MISSIONARINNEN IN HETEROSEXUELL EROTISIERTEN BEZIEHUNGSGEFLECHTEN. EINE THEOLOGISCH-SOZIOLOGISCHE UNTERSUCHUNG IN DEUTSCHEN EVANGELIKALEN MISSIONSGESELL- SCHAFTEN. HETEROSEXUAL FEMALE MISSIONARIES IN EROTICISED ENTANGLEMENT OF RELATIONSHIPS. A THEOLOGICAL-SOCIOLOGICAL INVESTIGATION OF EVANGELICAL GERMAN MISSION SOCIETIES. by MARTINA KESSLER submitted in accordance with the requirements for the degree of DOCTOR OF THEOLOGY in the subject MISSIOLOGY at UNIVERSITY OF SOUTH AFRICA Supervisor: Prof Willem Saayman Co- Supervisor: Prof Christina Landmann February 2014 I Danksagung Vielen herzlichen Dank meinen Supervisoren Prof. Dr. Willem Saayman und Prof. Dr. Chris- tina Landman. Danke, dass Sie mit mir dieses herausfordernde Thema angegangen sind. Ebenso danke ich Ihnen für Ihre gute und ermutigende Begleitung, Hilfestellungen und Her- ausforderungen. Darüber hinaus danke ich allen, die mir Fragen beantworteten, Artikel und Informatio- nen schickten, Feedback gaben, Korrektur lasen oder mir weiterführende Kontakte ermöglich- ten: Dr. Horst Afflerbach, Claudia Böckle, Dieter Bösser, Astrid Eichler, Willi Ferderer, Ju- dith Finkenbeiner, Beate Füßer, Prof. Dr. Ulrich Giesekus, Dr. Martin Grabe, Markus Hoff- mann, Anne Huhn, Ingrid Kessler, Angelika Marsch, Florian Meyerhöfer, Prof. Dr. Klaus W. Müller, Prof. Dr. Craig Ott, Harald Petersen, Attila Reimer, Prof. Dr. Johannes Reimer, Dr. Andreas Richter, Maike Roth, Beate Scheithauer, Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher, Anette und Ralph Schubert, Giesela Stübner, Wolfgang Theis, Dr. Christel Vonholdt, Prof. Dr. Chris de Wet. Ich danke Arthur Rempel für seine überaus hilfreiche, administrative Begleitung. Ich danke allen Missionsleiter/-innen der in der AEM angeschlossenen Missionswerke, die auf meine E-Mails zur Prästudie geantwortet haben und mir aktuelle Informationen aus ihren Werken zur Verfügung stellten. Besonders danke ich den Missionsleiter/-innen, die Kontakte zu Missionar/-innen er- möglichten, damit ich diese interviewen konnte. Um die Anonymität zu wahren, verzichte ich auf Namensnennungen. Ebenso anonym bleiben die 26 Interviewpartner/-innen, denen ich zu ganz besonderem Dank verpflichtet bin. Ich danke Ihnen, dass Sie mir durch Ihre Offenheit diese Studie ermöglicht haben. Ohne Sie wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Danken will ich auch meinem lieben Mann, Prof. Dr. Dr. Volker Kessler. Ohne seinen geduldigen und ermutigenden Zuspruch sowie die notwendige, private und berufliche Kom- pensation meiner Tätigkeitsfelder, wäre diese Arbeit vielleicht nie fertiggestellt worden. Du bist klasse! Meiner Familie danke ich dafür, dass sie kleine und große Aufgaben übernommen haben. Danke für Eure liebevolle Geduld, mit der Ihr meine Prioritätenverschiebung zu Guns- ten dieser Arbeit ausgehalten habt. II Zusammenfassung In dieser empirischen Untersuchung wird die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Missio- nar/-innen auf dem Missionsfeld erforscht. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Frage, wie der Status (Single oder verheiratet, Frau oder Mann) die Lebens- und Arbeitsgemein- schaft von Missionar/-innen beeinflusst. Mit welchen heterosexuell erotisierten Situationen werden Missionar/-innen konfrontiert? Ziel ist es, die verschiedenen Erotisierungen zu erken- nen, deren Einfluss auf die Missionsarbeit zu verstehen und herauszuarbeiten, welche Präven- tion für die Missionar/-innen hilfreich ist. Nach der Begriffsklärung wird im ersten Schritt die aktuelle Genderdebatte beleuchtet, um den Denkrahmen der Erotisierung zwischen Frau und Mann zu skizzieren und um die Notwendigkeit feministischer Ansätze zu erkennen. Dann werden in einer biblisch- theologischen Untersuchung zu Geschlecht und Erotik die biblisch-theologische Wesensmä- ßigkeit von Frauen und Männern, die Authentizität des Ehelebens, sowie sexuelle Versuchung und Versuchlichkeit dargestellt. Ebenso wird die Anziehung durch die Schönheit nach dem Hohelied dargestellt. In einer missionswissenschaftlichen Literaturstudie wird Leiterschaft und Mitarbeiterführung, sowie der Wahrnehmung von Frau- und Mannsein im Missionskon- text gesichtet. Die empirische Forschung begann mit einer Prästudie, in der die im Arbeitskreis Evan- gelikale Mission (AEM) zusammengeschlossenen Missionsgesellschaften zu ihrem aktuellen Umgang mit Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht befragt wurden. In der dann folgenden empirischen Forschung wurden Missionar/-innen narrativ interviewt. Sie be- richteten von Erotisierungen, die sie in ihrer aktiven Missionar/-innenzeit erlebt hatten. Dabei wurden Erotisierungen mit und ohne Erotik festgestellt. Ebenso wurden die Folgen der Eroti- sierungen für die Mission und hilfreiche Präventionen thematisiert. Die Auswertung geschah mittels Grounded Theory in der Software MAXQDA. Die Ergebnisse werden interpretiert und münden in Konsequenzen für die Praxis. Schlüsselwörter Missionsfeld, Erotisierung, Missionar/-innen, Gender, empirische Forschung, Gastkultur, Le- ben- und Arbeitsgemeinschaft, Missionsteam, Erotisierungsprävention III English Summary This empirical study investigates the living and working community of missionaries, male and female, on the missions field. The basis of this study is the question, how does the status of the missionary (single or married, man or woman) influence the community of missionar- ies. What kind of heterosexual eroticising situations are missionaries confronted with? The goal is to identify these eroticisations, attempt to understand their impact on missionary work and to find preventative measures that could be helpful for missionaries. After explaining key terms, the first step is to look at the gender debate in order to sketch out the various ways of understanding eroticisations between man and woman and to emphasise the necessity of feministic approaches. Then a biblical-theological investigation on gender and eroticism displays the biblical-theological perspective on the essential being of man and woman, the authenticity of marriage, as well as sexual temptation and the suscepti- bility to sexual temptation. The attraction of beauty in Solomon’s Song of Songs is also de- scribed. Finally, the role of leadership as well as the perception of what it means to be a man or woman in the context of missions is evaluated in a missiological literature review. The empirical research began with a pre-study in which mission societies who are member of the Arbeitskreis evangelikaler Missionen (AEM) were asked how they deal with eroticisations within the context of missions. The empirical research which followed was based on narrative interviews with missionaries. They described eroticisations that were ex- perienced during their time as active missionaries. It became apparent that there were erotici- sations with and without involving erotism. Furthermore, they addressed the consequences of eroticisations for missions itself and suggested helpful preventative measures. The interviews are analysed using Grounded Theory and the software MAXQDA. The results were interpret- ed and led to consequences for praxis. English Key Terms missions field, eroticisation, missionaries, gender, empirical study, host culture, community, missionary teams, prevention of eroticisation IV Student number: 3591-410-6 Declaration I declare that „Missionarinnen in heterosexuell erotisierten Beziehungsgeflechten. Eine theologisch- soziologische Untersuchung in deutschen evangelikalen Missionsgesellschaften“ („Heterosexual Female Missionaries in Eroticised Entangement of Relationsships. A Theolo- gical-Sociological Investigation of Evangelical German Mission Societies“) is my own work and that all the sources that I have used or quoted have been indicated and acknowledged by means of complete references. _________________________ 01.02.2014 SIGNATURE DATE (Mrs. Martina Kessler) V Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ........................................................................................................................... 1 1.1. Ziel der Arbeit ............................................................................................................ 1 1.2. Motivation .................................................................................................................. 1 1.2.1. Persönliche Motivation und Ausgangslage ........................................................ 2 1.2.2. Motivation aus der Beobachtung von Beziehungsgeflechten............................. 7 1.2.3. Motivation aus der Missiologie .......................................................................... 9 1.3. Forschungsfragen und Hypothese ............................................................................ 11 1.3.1. Forschungsfragen ............................................................................................. 11 1.3.2. Hypothese ......................................................................................................... 11 1.4. Verortung der Arbeit ................................................................................................ 12 1.4.1. Verortung in der theologischen Disziplin: Missiologie .................................... 12 1.4.2. Reflexion der missiologischen Ausgangsbasis ................................................. 14 1.5. Methodologie ............................................................................................................ 15 1.6. Struktur ..................................................................................................................... 16 1.7. Ausgangssituation..................................................................................................... 18 1.8. Forschungsüberblick................................................................................................. 18 1.9. Wissenschaftlicher Beitrag ....................................................................................... 20 1.10. Abgrenzung des Themas .......................................................................................... 20 2. Begriffsklärung ................................................................................................................. 22 2.1. Erotik – erotisch – erotisiert ..................................................................................... 22 2.1.1. „Erotisiert“ – Wortbedeutung ........................................................................... 22 2.1.2. Erotik in der Theologie ..................................................................................... 24 2.1.3. Ergebnis und Definition ................................................................................... 29 2.2. Beziehungsgeflecht................................................................................................... 30 2.2.1. „Beziehungsgeflecht“ – Wortbedeutung .......................................................... 31 2.2.2. Beziehungsgeflechte in der Mission ................................................................. 31 2.2.3. Ergebnis ............................................................................................................ 33 3. Feminismus und Gender ................................................................................................... 35 3.1. Vorgeschichte ........................................................................................................... 36 3.2. Entwicklung des Feminismus und der Gendertheorien ............................................ 38 3.3. Feministische Theologie ........................................................................................... 50 3.4. Kritik zum Feminismus und der Gendertheorienbildung ......................................... 54 3.5. Eigene Stellungnahme .............................................................................................. 56 3.6. Fazit und Relevanz ................................................................................................... 61 4. Biblisch-theologische Untersuchung zu Geschlecht und Erotik ...................................... 63 4.1. Wesensmäßig Frausein ............................................................................................. 64 4.1.1. Der Uterus ........................................................................................................ 64 4.1.2. Die Brust ........................................................................................................... 65 4.2. Wesensmäßig Mannsein ........................................................................................... 66 4.3. Authentisches Eheleben und Ehebruch aus biblisch-theologischer Perspektive ...... 70 4.3.1. Authentizität ..................................................................................................... 70 4.3.2. Authentisches Eheleben .................................................................................... 74 4.3.3. Ehebruch ........................................................................................................... 77 4.4. Ergebnis .................................................................................................................... 78 4.5. Sexuelle Versuchung oder Versuchlichkeit bei Frauen ............................................ 79 4.5.1. Direkte Hinweise .............................................................................................. 79 4.5.2. Indirekte Hinweise im Alten Testament ........................................................... 80 4.5.3. Vergleich von Jerusalem und Israel mit Frauen in der Hurerei ........................ 81 4.5.3.1. Hosea 2,7b .................................................................................................... 81 VI 4.5.3.2. Jeremia 2,25b ............................................................................................... 82 4.5.3.3. Hesekiel 16,15-34 ........................................................................................ 84 4.5.3.4. Hesekiel 23,1-21.36-44 ................................................................................ 85 4.5.4. Ergebnis ........................................................................................................... 86 4.6. Sexuelle Versuchung oder Versuchlichkeit von Männern ....................................... 87 4.6.1. Sprüche 5,1-6.20 .............................................................................................. 88 4.6.2. Sexuelle Verführung ........................................................................................ 88 4.6.2.1. Genesis 38,12-30 .......................................................................................... 88 4.6.2.2. Genesis 39,7-18 ............................................................................................ 90 4.6.3. Sexuelle Versuchlichkeit: Richter 14-16 ......................................................... 91 4.6.4. Sexuelle Forderung: 2. Samuel 11,2-4 ............................................................. 92 4.6.5. Sexuelle Gewalt ............................................................................................... 94 4.6.5.1. Genesis 34,1-5 .............................................................................................. 94 4.6.5.2. 2. Samuel 13,1-22 ........................................................................................ 95 4.6.6. Ergebnis ........................................................................................................... 96 4.7. Anziehung durch die Schönheit des Körpers im Hohelied ...................................... 97 4.7.1. Das Hohelied .................................................................................................... 97 4.7.1.1. Die Beschreibung des geliebten Mannes ..................................................... 98 4.7.1.2. Die Sehnsucht nach der geliebten Frau ...................................................... 100 Hohelied 4,1-7 ..................................................................................... 100 4.7.1.2.1. Hohelied 7,2-6 ..................................................................................... 101 4.7.1.2.2. 4.7.2. Ergebnis ......................................................................................................... 102 4.8. Fazit und Relevanz ................................................................................................. 103 5. Geschichte der Leiterschaft, Missionarinnen und Missionare, Berufung ...................... 105 5.1. Geschichte der Leiterschaft und Mitarbeiterführung evangelikaler Missionen ..... 105 5.1.1. Verständnis von „Biblischer Leiterschaft“ .................................................... 106 5.1.2. Entwicklung von Leiterschaft und Mitarbeiterführung in den Missionsorganisationen der AEM .................................................................................. 109 5.1.3. Das Verständnis von Leiterschaft im Missionskontext .................................. 111 5.1.4. Ergebnis ......................................................................................................... 113 5.2. Missionarinnen und Missionare ............................................................................. 114 5.2.1. Neue Herausforderungen in der Mission ....................................................... 119 5.2.2. Missionarinnen ............................................................................................... 121 5.2.2.1. Die Situation von weiblichen Singles ........................................................ 123 5.2.2.2. Missionarsfrau oder Missionarin? .............................................................. 130 5.2.2.3. Die Situation der verheirateten Frau .......................................................... 131 5.2.3. Die Missionarsehe .......................................................................................... 135 5.2.4. Missionare ...................................................................................................... 137 5.2.5. Ergebnisse ...................................................................................................... 139 5.3. Berufung ................................................................................................................ 142 5.3.1. Berufung: Eine Definition im Kontext evangelikaler Missionen .................. 143 5.3.2. Berufung: kirchengeschichtliche Entwicklung und heute ............................. 146 5.3.3. Als Missionarin berufen ................................................................................. 151 5.3.3.1. Berufen: Frau und Single ........................................................................... 151 5.3.3.2. Berufen: als Ehefrau in die Mission ........................................................... 152 5.3.3.3. Ergebnis ..................................................................................................... 153 6. Die Theorie zur empirischen Forschung ........................................................................ 155 6.1. Prästudie ................................................................................................................. 155 6.1.1. Auswahlkriterien und Verlauf ........................................................................ 157 6.1.2. Ergebnisse der Prästudie ................................................................................ 158 6.1.3. Missionsaktive Institutionen und Einzelpersonen.......................................... 162 VII 6.1.4. Fazit ................................................................................................................ 163 6.2. Empirische Studie ................................................................................................... 163 6.2.1. Die Auswahl der Interviewpartner/-innen ...................................................... 163 6.2.2. Die Datenerhebung und praktische Umsetzung ............................................. 166 6.2.3. Das Interview .................................................................................................. 171 6.2.4. Die Auswertung der Daten ............................................................................. 174 6.2.4.1. Die Datenanalyse mit MAXQDA............................................................... 175 6.2.4.2. Die Theorienbildung ................................................................................... 177 7. Ergebnisse der empirischen Forschung .......................................................................... 186 7.1. Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht ........................................ 186 7.1.1. Erotisierung durch Vorannahmen und Verallgemeinerungen ........................ 186 7.1.2. Erotisierungen zwischen Missionar/-innen und Einheimischen ..................... 187 7.1.2.1. Die Erotisierung von Missionar/-innen durch die Gastkultur bzw. durch Einheimische .............................................................................................................. 187 7.1.2.2. Die Erotisierung Einheimischer durch Missionar/-innen ........................... 195 7.1.3. Erotisierungen im kollegialen Beziehungsgeflecht ........................................ 198 7.1.4. Erotisierung, Familienstand und Lebensumstände ......................................... 208 7.1.5. Erotisierungsfaktoren...................................................................................... 219 7.1.5.1. Intrinsische Persönlichkeitsaspekte, die aktive Erotisierung begünstigen . 220 7.1.5.2. Extrinsische Erotisierung begünstigende intrinsische Faktoren ................. 223 7.1.5.3. Eifersucht .................................................................................................... 225 7.1.5.4. Anzeichen und Fehlinterpretationen bei tatsächlicher Erotisierung ........... 226 7.1.5.5. Erotisierungen, die in Seitensprüngen münden .......................................... 228 7.1.6. Weitere Erotisierungen im Missionar/-innenumfeld ...................................... 231 7.2. Folgen der Erotisierung für die Mission ................................................................. 233 7.2.1. Folgen für die Missionsarbeit ......................................................................... 233 7.2.2. Persönliche Folgen ......................................................................................... 238 7.3. Präventionen ........................................................................................................... 242 7.3.1. Erwartungen an das Beziehungsgeflecht und die Missionsleitung ................ 242 7.3.2. Persönliche Maßnahmen................................................................................. 251 7.3.2.1. Präventionsmaßnahmen und Singlemissionarinnen ................................... 255 7.3.2.2. Prävention durch gegenseitige Hilfe in der Paarbeziehung ........................ 257 8. Interpretation der Ergebnisse und Konsequenzen .......................................................... 260 8.1. Ergebniszusammenfassung und Interpretation ....................................................... 260 8.1.1. Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht .................................... 260 8.1.2. Folgen der Erotisierung für die Mission ......................................................... 269 8.1.3. Präventionen ................................................................................................... 269 8.1.4. Ertrag .............................................................................................................. 271 8.2. Konsequenzen für die Praxis .................................................................................. 274 8.2.1. Reflexion des Umgangs mit Erotisierungen in der deutschen Kultur und durch die geistliche Prägung ..................................................................................................... 274 8.2.2. Veränderung der Missionsvorbereitung ......................................................... 275 8.3. Missionstheologischer Beitrag ............................................................................... 280 8.4. Offene Themen ....................................................................................................... 282 8.5. Schlussgedanke....................................................................................................... 283 Bibliographie .......................................................................................................................... 284 VIII Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Dimensions of the praxis cycle 15 Abbildung 2: Festlegung: geschlechtsspezifische, kulturelle Erwartungen bestimmen geschlechtstypisches Verhalten 43 Abbildung 3: Entwicklung und Veränderung in Geschlechterfragen 49 Abbildung 4: Geschlechtsspezifische, kulturelle Erwartung und biologisches Geschlecht 58 Abbildung 5: Vier Dimensionen der Sexualität 58 Abbildung 6: Mandate 151 Abbildung 7: Screenshot zum Überblick über die Darstellungsoberfläche und -optionen von MAXQDA 176 Abbildung 8: Bildung von Konzepten und Kategorien beim theoretical sampling 181 Abbildung 9: Codierparadigma mit Übertrag auf die Forschungsarbeit 182 Abbildung 10: Entwicklung des weiblichen und männlichen Sexualtriebs über die Lebenszeit 220 IX Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Vorannahmen und Verallgemeinerungen 187 Tabelle 2: Verallgemeinernde Aussagen zur Erotisierung durch die Gastkultur 188 Tabelle 3: Erotisierungen durch Spezifika der Gastkultur 191 Tabelle 4: Erotisierungen im Zusammenhang mit bestimmten Kontinenten 194 Tabelle 5: Kulturelle und personale Erotisierung innerhalb der Gastkultur 195 Tabelle 6: Erotisierungen in der Gastkultur durch Missionar/-innen 198 Tabelle 7: Ausgang und Ziel von aktiven Erotisierungen durch Missionar/-innen 198 Tabelle 8: Kollegiale Erotisierungen 199 Tabelle 9: Kultur der erotisierenden Kolleg/-innen und deren passive oder aktive Erotisierung 202 Tabelle 10: Erotisierungen durch Vorbeugen 204 Tabelle 11: Spiel mit der Erotik 206 Tabelle 12: Kollegiale Erotisierungen ohne zugrundeliegende Erotik 207 Tabelle 13: Erotisierungsgründe ohne erotische Basis 208 Tabelle 14: Ausgangsperson von Erotisierungen bei Singlemissionarinnen 212 Tabelle 15: Einfluss der Lebensumstände auf Erotisierungen 214 Tabelle 16: Herausforderungen für Missionarseheleute, die Erotisierungen begünstigen 219 Tabelle 17: Intrinsische Erotisierungsoffenheit 223 Tabelle 18: Extrinsische Erotisierung begünstigende Faktoren 225 Tabelle 19: Eifersucht 226 Tabelle 20: Anzeichen und Fehlinterpretationen bei Erotisierungen 228 Tabelle 21: Erotisierungen und Seitensprünge 231 Tabelle 22: Sammlung von Erotisierungen im weiteren Umfeld der Missionar/-innen 233 Tabelle 23: Folgen für die Missionswelt und Missionsgesellschaft 235 Tabelle 24: Folgen von Erotisierungen für die Missionsarbeit 237 Tabelle 25: Kosten-Nutzen-Tabelle bei Erotisierungen in der Missionsarbeit 238 Tabelle 26: Persönliche Folgen der Erotisierungen 242 Tabelle 27: Erwartungen an Missionsleitungen 247 Tabelle 28: Erwartungen an das Missionsteam vor Ort 249 Tabelle 29: Vorbeugende Informationen 250 Tabelle 30: Präventivmaßnahmen durch Weiterbildung 251 Tabelle 31: Persönliche Maßnahmen zu Prävention 255 Tabelle 32: Präventionsmaßnahmen und Singlemissionarinnen 257 Tabelle 33: Prävention durch gegenseitige Hilfe in der Paarbeziehung 259 1 1. Einleitung Bei dieser Arbeit wird untersucht, welche heterosexuell erotisierenden Beziehungsgeflechte Missionarinnen auf dem Missionsfeld erleben und welche Bedeutung das für die Missionsar- beit hat. Bisher ist dieses Thema nach meiner Kenntnis in der Mission weder untersucht noch beschrieben worden. In der Missionsarbeit leben und arbeiten Singlefrauen und verheiratete Frauen und Männer zusammen. Das daraus entstehende Beziehungsgeflecht soll mit dem Schwerpunkt „erotisierte Beziehungsveränderungen“ in dieser Forschungsarbeit untersucht werden. Um das zu erreichen, bedarf es einer zielorientierten und eingrenzenden Literaturstudie aus verschie- denen Disziplinen, die durch eine empirische Forschung unter Missionar/-innen ergänzt wird. Die daraus resultierenden Ergebnisse sollen die Missionswissenschaft bereichern und Missio- naren und Missionarinnen sowie Missionsgesellschaften praktische Hilfe sein. 1.1. Ziel der Arbeit Ziel der Forschungsarbeit ist es, den Einfluss von offensichtlicher oder subtiler Erotisierung im Beziehungsgeflecht zwischen Singlefrauen und verheirateten Frauen und ihren Missio- narskollegen oder Ehemännern auf das Miteinander und die Arbeitsfähigkeit hin herauszuar- beiten. Dabei sollen besonders Frauen im Fokus sein. Neben der Hilfe für Missionsleiter und Missionsleiterinnen bei der Begleitung von Mis- sionarinnen und Missionaren soll die Ausarbeitung des Themas für Missionarinnen und Mis- sionare erhellende Erkenntnisse und praktische Hilfe anbieten. Daher schließt diese Arbeit mit Ergebnissen und Konsequenzen für die Praxis der Mission. Ziel ist es, dass gemischtgeschlechtliche Teams ihre Beziehungen in Arbeits- und Le- bensgemeinschaften auch in Bezug auf Erotisierungen reflektieren und aktiv gestalten kön- nen, und dass Frauen, unabhängig von ihrem Familienstand, in gegenseitiger Wertschätzung und ohne Angst voreinander, authentisch und versöhnt miteinander leben und arbeiten kön- nen. 1.2. Motivation Im folgenden Abschnitt wird dargelegt, aus welcher Motivation diese Studie entstanden ist und welche Beobachtungen und Erlebnisse den Wunsch, diese Aspekte zu untersuchen, ver- dichtet haben. Ebenso wird die kulturelle und theologische Prägung und Entwicklung der Au- torin dargelegt. Außerdem wird begründet, weshalb diese Arbeit im Rahmen der Missiologie entstanden ist. 2 1.2.1. Persönliche Motivation und Ausgangslage Mein Interesse, heterosexuell erotische Beziehungsgeflechte in der deutschen Mission zu un- tersuchen, resultiert aus zwei Beobachtungen und aus meinem Arbeitsalltag: Erstens erlebe ich innerhalb des deutschen Kontextes eine Verunsicherung verheirateter Frauen weiblichen Singles1 gegenüber. So konnte ich bei einer Frauenfreizeit2 konkret erle- ben, wie verheiratete Frauen ablehnend bis aggressiv darauf reagierten, als ich formulierte, dass weibliche Singles gute, unerotische Beziehungen zu Männern brauchen.3 In den nachfol- genden Gesprächen mit den Ehefrauen stellte sich heraus, dass gerade jene am stärksten inter- venierten, die selbst beziehungsunsicher waren. Für sie war jede ledige Frau eine potentielle Gefahr. Die Abwehr der verheirateten Frauen was so stark, dass eine der Singlefrauen sich genötigt sah zu sagen: „Wir Singles sind doch keine nymphomanen Frauen, die von morgens bis abends auf der Suche nach Männern sind und auch vor Verheirateten nicht halt machen!“ Zweitens beobachte ich, dass nur manche weibliche Singles mit ihrem Status als Single Frieden geschlossen haben. In der psychologischen Beratung erlebe ich häufig Frauen, die mit ihrem Status als Single nicht so gut klar kommen.4 Deutlich wurde das auch bei einem Semi- nar für Singles während eines Kongresses für Seelsorger und Psychotherapeuten:5 Eine Sin- gleseminarleiterin stellte Singledasein, obwohl um positive Einsichten bemüht, vorwiegend defizitär dar. Sie bemühte sich zwar um ein für Singles hilfreiches Seminar, dennoch formu- lierte sie Sätze wie: „Verheiratete haben zwar einen Partner und da läuft auch nicht immer alles gut, aber wir Singles müssen halt das Beste aus unserer Situation machen.“ Das wirkte auf mich eher wie ein verkrampftes Suchen, bei dem unterschwellig deutlich wurde: „Uns fehlt gegenüber Verheirateten etwas, aber wir müssen es halt akzeptieren und irgendwie etwas Gutes finden um damit leben zu können.“ Die Seminardynamik wirkte auf mich eher wie die einer Selbsthilfegruppe, in der man sich gegenseitig die Wunden leckte. Sicherlich empfanden 1 In dieser Arbeit wird weitgehend das im Deutschen eher neue Wort Singles benutzt, um Menschen zu beschrei- ben, die jenseits einer Paarbeziehung leben (Kaufmann 2006b:306). Selten ist auch die Rede von Ledigen. Dieser Begriff ist jedoch nicht eindeutig, weil ledig ist, wer nicht verheiratet ist. Dabei kann man dennoch in einer Be- ziehung, im Sinne eines unverheirateten Zusammenlebens, leben (:304-305). Allerdings werden die Begriffe ledig und Single im christlichen Kontext häufig synonym benutzt, weil man davon ausgeht, dass ledige Men- schen als Singles leben. Möglich wäre auch die Bezeichnung alleinstehende Frauen. Da dies jedoch negativ besetzt ist, weil dabei Einsamkeit und möglicherweise ein Hinweis auf ein schwaches soziales Beziehungsnetz mitschwingt (:305), wird in dieser Arbeit darauf verzichtet. 2 Frauenfreizeit der Mennoniten Brüdergemeinde Oerlinghausen vom 26.-28.10.2007. 3 Diese Erkenntnis hatte ich bei meiner Masterarbeit „Macht macht erotisch. Authentisch leben – eine Heraus- forderung in der christlichen Mission. Am Beispiel sexueller Versuchlichkeit weiblicher, lediger, heterosexueller Führungskräfte in Deutschland“ gewonnen. 4 So zeigt auch ein E-Mail-Auszug vom 28.08.2009 (Privatarchiv): „Ich habe mit unfreiwilligen Singles, unfrei- willig kinderlosen Christinnen auf der ganzen Welt gesprochen, sie leiden überall auf die gleiche Weise. …“. 5 APS-Kongress vom 20.-24.05.2009 in Marburg an der Lahn. 3 die anwesenden Singles6 das Seminar kurzfristig als hilfreich. Einige formulierten, dass ihnen das Angebot als solches einfach schon gut täte. „Singles werden als solche wahrgenommen!“ Ich glaube allerdings, dass Singles langfristig mehr brauchen. Die bei Frauen – egal ob alleinstehend oder verheiratet – festzustellende Unsicherheit in Bezug auf das eigene Leben und die (Vor-)Urteile gegenüber dem jeweils anderen Familien- stand weckten mein Interesse zu forschen. Frauen sollten versöhnt und sich gegenseitig er- gänzend und stärkend miteinander leben können. Das könnte den Frauen selbst, ihrer Arbeit und auch der Mission zugute kommen. Meine Vermutung ist, dass das Beziehungsgeflecht im Miteinander von Singlefrauen und verheirateten Frauen und Männern in der Mission stärker durch erotische Einflüsse belas- tet ist als üblicherweise im Inland und als üblicherweise wahrgenommen wird. Ich vermute, dass auf Grund der Veränderung der Lebenssituation,7 wie sie bei Missionaren üblich ist, Be- ziehungskonflikte früher und deutlicher auftreten.8 Gleichzeitig könnte, gerade durch das Missionarsdasein, eine von der Bibel abgeleitete Erwartung mit verstärktem Anspruch an sich selbst und an andere bestehen. Wenn dann z. B. Konflikte eher unterschwellig bleiben9 oder auf andere Ebenen verlagert werden, 10 wird es immer problematischer im Miteinander. Das Sich-hingezogen-fühlen zum anderen Geschlecht kann dadurch so gefördert werden, dass es letztlich zu außerehelichen sexuellen Aktivitäten kommen kann.11 Ich arbeite vorwiegend, aber nicht ausschließlich, mit evangelikalen Christen zusam- men, die vor der Ehe sexuell enthaltsam und in ihrer Ehe treu leben wollen. Vor- und außer- ehelicher Geschlechtsverkehr wird daher zumeist abgelehnt. Im Rahmen der Vorbereitung zu diesem Thema fällt mir auf, dass die Themenstellung der hier angestrebten Untersuchung bei evangelikal geprägten Christen immer wieder als „heißes Eisen“ oder „Tabuthema“ bezeich- net wird. Darüber spricht oder schreibt man offensichtlich nicht. Allerdings erlebe ich gleich- zeitig ein hohes Interesse am Thema. Nachdem ich mich zu dieser Forschungsarbeit ent- schlossen hatte und darüber zu reden begann, erzählten mir viele Menschen ihre persönliche 6 Am Seminar nahmen deutlich mehr Frauen als Männer teil. 7 Alles ist anders und neu. Das führt zu Stress (siehe auch Wagner 2004). 8 Gesucht wurde nach „Erotik-Mission“, „Erotisierung-Mission“, „erotisierte Beziehungen-Mission“, „Sexuali- tät-Mission“, „Sexualisierung-Mission“, „sexualisierte Beziehungen-Mission“ und „sexualisiert-Mission“. Dabei wurde „Mission“ auch gegen „Missionar“ ausgetauscht. Gesucht wurde in den Internetportalen: http://www.ixtheo.de/; http://www.subito-doc.de/; http://www.unisa.ac.za/; http://www.vthk.de/; http://scholar.google.de/intl/de/scholar/about.html am 10.03.2010 und nochmals am 15.08.13. 9 Oft wird versucht zu harmonisieren, statt den Konflikt zu klären. Er soll eher wegretuschiert werden. 10 Zwischenmenschliche Probleme werden eher als geistliche Probleme betrachtet und dann eher indirekt (z. B. mittels einer Bibelarbeit) angesprochen. 11 Außereheliche sexuelle Aktivitäten sind nicht Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. 4 Geschichte.12 Häufig begann sie mit den Worten: „Da könntest du Recht haben. Ich habe Fol- gendes erlebt: …“.13 Ebenso hörte ich immer wieder Geschichten zu indirekter Erotisierung in Beziehungs- geflechten.14 In manchen (auch christlich geprägten) Kulturen oder Kontexten ist es ein Tabu, dass sich eine Frau und ein Mann alleine in einem geschlossenen Raum aufhalten. Das schließt auch berufliche Kontakte z. B. in einem Büroraum oder eine Autofahrt zu zweit ein. Auch wenn die Frau und der Mann keinerlei erotische Gefühle füreinander hegen, wird das Alleinsein einer Frau mit einem Mann von außen als erotisch bewertet. Diese Muster habe ich aus drei verschieden Situationen heraus gehört: 1. Innerhalb einer chauvinistischen Kultur, in die Ungleichheit von Männern und Frau- en immer neu zementiert wird.15 Ähnliche, weitere an mich herangetragene Erlebnis- se wurden aus dem christlichen Lebensumfeld berichtet.16 2. Innerhalb einer Missionsgemeinschaft: Die Missionar/-innen achten untereinander sehr darauf, wer sich mit wem wann und wie oft trifft. Dabei werden private Treffen stärker beobachtet und bewertet als berufliche (siehe Anlage 3). 3. Wenn in einer Familie ein weiblicher Single (z. B. als Lernhelferin) mitlebt und diese (evtl. noch junge) Singlefrau und der Ehemann gemeinsamen Interessen (z. B. Musik hören, walken etc.) nachgehen (auch in der Öffentlichkeit), kann dies durchaus zu ei- ner Reaktion der Ehefrau führen, ohne dass die direkte Beziehung zwischen Single und Ehemann erotisiert ist.17 12 Die Erlebnisse wurden aus Missionssituationen heraus, aber auch innerhalb des deutschen Kontextes, berich- tet. 13 „Es gibt Menschen, die die sexuelle Verletzlichkeit und Verführbarkeit von Singles ausnutzen (Füßer 2012:77). 14 Z. B. erzählten mir mehrere Missionar/-innen von einer Kollegin die darauf achte, wer sich mit wem treffe. Dabei achte sie besonders auf die Treffen nach Feierabend und wisse genau, wer bei wem zu Besuch sei. Sie habe mehrmals bei der Missionsleitung interveniert, dass diese Besuche untersagt werden müssten, damit die Einheimischen nicht denken würden, es läge eine sexuelle Beziehung vor (siehe Anlage 3). 15 So beschreibt beispielsweise der ehemalige Missionar Saayman seine Erlebnisse (siehe Anlage 2) 16 Das gleiche Phänomen beschreibt die islamische Autorin Ateş (2009) aus muslimischem Umfeld. 17 Ein Missionar erzählt von seiner Erfahrung mit Erotisierung: Seine Familie habe regelmäßig Lernhelferinnen beherbergt. Da er an in Deutschland aktueller Musik interessiert gewesen sein, habe er die jährlich neu eintref- fenden Lernhelferinnen dazu befragt und mit ihnen gemeinsam diese Musik im Wohnzimmer der Familie gehört. Mangels technischer Möglichkeiten häufig gemeinsam mit der Lernhelferin, indem sie sich ein Headset geteilt hätten. Seine Frau habe eine Erotisierung zwischen ihm und einer Lernhelferin vermutete und reagierte daraufhin mit Eifersucht. Der Missionar war irritiert, denn „Da war wirklich nichts!“ (Anlage 4). 5 Manchmal geschieht es dann, dass der Mann und die Frau die Beziehung tatsächlich erotisieren.18 Sie sind so darauf fixiert zu vermeiden, dass ihnen niemand eine Beziehung un- terstellen kann, dass sich ihre Gedanken ständig um die Vermeidung des Eindrucks von Be- ziehung und Erotik drehen. Sie sind also ständig mit dem beschäftigt, was sie nicht wollen, können, dürfen.19 So wird die von außen herangetragene Erotisierung durch den ständigen Vermeidungsgedanken der beiden Betroffenen dann manchmal doch Wirklichkeit. Dem Thema nähere ich mich aus den mir vertrauten Berufsfeldern Allgemeinmedizin, Individualpsychologie und christlichen Theologie. Dies entspricht meinem Lebenslauf und auch meiner beruflichen Entwicklung. 1983 legte ich ein staatlich anerkanntes Krankenpfle- geexamen im Kreiskrankenhaus Gummersbach ab, 2001 beendete ich eine Ausbildung in In- dividualpsychologischer Seelsorge beim Therapeutischen Seelsorgeinstitut Neuendettelsau und 2008 verlieh mir Unisa, Pretoria, den Master of Theology in Missiology. In meinem Berufsalltag wird mir immer wieder deutlich, wie eng diese Themenbereiche bei der ganzheitlichen Arbeit mit Menschen verzahnt sind. Als Krankenschwester ist der Zu- gang zur wesensmäßig-biologischen Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen für mich eine Selbstverständlichkeit.20 Daher konnte ich nie nachvollziehen, wenn Mannsein und Frau- sein allein als Folge kultureller Prägung oder Erziehung dargestellt wurde.21 Allerdings wird es nicht möglich sein, klare Grenzen zwischen kultureller Prägung und männlichem oder 18 Eine junge Frau, die zu der Zeit an einer deutschen Bibelschule mit strengen ethischen Auflagen lebte, erzähl- te, dass vieles, was sie bisher als natürliches Zusammensein von Frauen und Männern erlebt habe, nicht erlaubt sei. Dazu gehörten Autofahrten zu zweit und gemeinsame geistliche wie private Aktivitäten. Sie sei bisher nie auf den Gedanken gekommen, dass zwischen ihr und ihrem Mitbibelschüler eine erotische Beziehung entstehen könnte. Jetzt allerdings habe sie begonnen, darüber nach zu denken (Anlage 5). 19 Das ist für unser Gehirn ein akrobatischer Akt. Wir sind nicht in der Lage zu denken, was wir nicht denken wollen. Genau in dem Moment sind wir schon dabei, genau das zu denken, was wir nicht wollen. Als Beispiel- satz kann „Nur nicht an einen Bären denken…“ (Weisbach & Sonne-Neubacher 2008:291) herangezogen wer- den. 20 Vor ca. 30 Jahren zogen sich die biologischen männlich-weiblichen Unterschiede deutlich durch die Ausbil- dung. Das bezog sich natürlich auf die gynäkologischen und urologischen Erkrankungen, aber es wurde z. B. in der Frühgeborenenabteilung, in der ich als examinierte Krankenschwester eingesetzt war, immer wieder themati- siert, dass zu früh geborene Mädchen häufiger überleben als zu früh geborene Jungen, weil Mädchen für diese Stresssituation die bessere Konstitution mitbringen. Medizinisch relevante Unterschiede bei Erkrankungen von Frauen und Männern werden bis heute immer wieder neu entdeckt. So wurde z. B. erst vor ca. zwei Jahren er- kannt, dass Herzinfarkte bei Frauen eher unerkannt bleiben oder später diagnostiziert werden, da Frauen häufiger über unspezifische Symptome klagen als Männer (netdoktor 2011; Deutsche Herzstiftung 2011; Deutsches Grü- nes Kreuz 2011). Bei der Symptombeschreibung in medizinischen Lehrbüchern zu Herzinfarkten muss also nach Geschlecht unterschieden werden, damit Herzinfarkte bei Frauen auch als solche von Fachpersonen erkannt werden. 21 Dieses Spannungsfeld wird in Kapitel 3 diskutiert. 6 weiblichem Sein zu ziehen, denn die Kulturen22 verändern sich und manches, was heute für einen Mann oder eine Frau Alltag ist, war vor 40 Jahren geschlechtsspezifisch noch undenk- bar.23 In dieser Arbeit werden psychologische und theologische, männliche oder weibliche Wesensmerkmale mit biologischen Erscheinungsformen begründet. Ziel ist es dabei, der weiblichen Geschöpflichkeit so nahe wie möglich zu kommen, ohne die geschlechtsspezifi- schen Festlegungen erneut zu zementieren. Ebenso wie die kulturelle Haltung zu Genderfragen ist meine theologische Ausgangsla- ge geprägt vom Aufwachsen in einer ländlich-konservativen Umgebung. Die theologische Einordung ist dabei am ehesten als konservativ und evangelikal zu bezeichnen. Was in der Bibel steht, wurde als Reden Gottes zu den Menschen verstanden, in der Er seinen Willen und seine Pläne bis heute offenbart. Durch verschiedene einschneidende Lebensabschnitte, theo- logische Ausbildung und Reflektion wurde meine theologische Haltung verändert. Heute er- lebe ich, dass ich für manche konservativ, evangelikale Christen viel zu progressiv (fast femi- nistisch) und für theologisch-kritisch geprägte Menschen viel zu konservativ bzw. kulturkon- servativ bin. Ich gehe davon aus, dass die Rollen von Frauen und Männern in Familie, Ge- meinde und Gesellschaft möglichst aus ihrer persönlichen Begabung heraus besetzt werden sollen. Dabei soll Männlichkeit und Weiblichkeit unbedingt gelebt und unterstützt werden. Die in dieser Arbeit untersuchte Missionarsgruppe misst der Bibel eine hohe Autorität zu. Daher wird es notwendig sein, die Bibel in Bezug auf das hier erforschte Thema heran zu ziehen. Dabei werde ich als christliche Theologin bei der biblisch-theologischen Untersu- chung die Erkenntnisse aus der Biologie mit der christlichen Tradition verknüpfen. In der individualpsychologischen Seelsorgeausbildung wurde ich darin geschult genau 22 Hier sei bemerkt, dass das, was in einer Kultur als „feminin“ und was als „maskulin“ angesehen wird, „sowohl in den traditionellen als auch in den modernen Gesellschaften verschieden ist. Am stärksten treten die Unter- schiede in den verschiedenen Berufszweigen hervor. In Russland sind die meisten Ärzte Frauen, in Belgien sind die meisten Zahnärzte Frauen, und in Teilen Westafrikas findet man unter den Ladeninhabern eine große Anzahl von Frauen. In Pakistan überwiegen die männlichen Schreibkräfte und in den Niederlanden gibt es eine beträcht- liche Anzahl männlicher Krankenpfleger. In Japan sitzt so gut wie keine Frau auf einem Managerposten, auf den Philippinen und in Thailand sind Frauen in Führungspositionen dagegen keine Seltenheit. … Geschlechtsrollen sind fester Bestandteil einer jeden Gesellschaft“ (Hofstede & Hofstede 2009:159-163). 23 So bin ich z. B. in einer ländlichen Gegend aufgewachsen, in der die Rollenbilder traditionell festgelegt waren. Vor 40 Jahren galt als männlich, einen Traktor beherrschen zu können. Daher steuerten Frauen keine solche Maschine, obwohl das Steuern eines Autos für Frauen schon fast selbstverständlich war. Während ich die Kran- kenpflegeausbildung absolvierte wurde diskutiert, ob ein Mann als Operationspfleger in einem gynäkologischen Operationssaal arbeiten kann (bei Ärzten war das offensichtlich kein Problem, denn die meisten Gynäkologen waren Männer). 7 hin zu hören und final24 zu hören, zu denken und zu beobachten. Das prägt auch meinen Um- gang mit Menschen. Neben der Leitfrage nach dem Ziel eines Menschen ist es ebenso wichtig zu erkennen, was ein Mensch wirklich tut. Erst wenn handeln und reden übereinstimmen, ist ein Mensch authentisch. Diese Ausgangsposition wird sowohl in die Literaturstudie als auch in die empirische Untersuchung einfließen. 1.2.2. Motivation aus der Beobachtung von Beziehungsgeflechten „Meine schwierigsten Klienten sind Missionare“ (Tröger 2003:57). Das gilt auch für Missio- nar/-innen in Beziehungskrisen, die häufig schon weit fortgeschritten sind, bevor sich die Missionar/-innen in einen Beratungsprozess begeben. Häufig werden die Eheprobleme auch mit christlichen Argumenten übertüncht.25 Allerdings kann man nicht automatisch davon aus- gehen, dass gleich eine erotische Veränderung im Beziehungsgeflecht der Missionar/-innen stattgefunden hat. Dennoch ist eine schwierige oder gar schlechte Ehe ein guter Nährboden für derlei Veränderungen. Erhärtet wurden meine Annahmen bei einem Telefonat mit Dr. Andreas Richter, Oberarzt in der Klinik Hohe Mark, Oberursel.26 Im deutschsprachigen Raum gibt es für verheiratete Personen eine Fülle von Literatur zur Prävention sexueller Versuchlichkeit.27 Mögliche Ausstiege, wenn sexuelle Versuchlich- keit und/oder Versuchung aufgetreten ist, werden dabei meistens an gute, aktive Ehebezie- hungen geknüpft und verheiratete Christen werden darin vor außerehelichen Beziehungen und erotischen Erlebnissen außerhalb der Ehe gewarnt. Die von dem Theologen, Ehe- und Le- bensberater Bochmann und dem Sozialpädagogen Näther (2002:93) durchgeführte „Umfrage zu sexuellen Zufriedenheit bei christlichen Ehepaaren“ zeigt, dass 56,9% der befragten Frauen und 56,5% der Männer vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten. 32,6% der verheirateten Männer hatten in Gedanken eine außereheliche Beziehung (21,5% der Frauen). 6,8% der Männer waren aktiv untreu (6,7% der Frauen). 14,4% der Frauen gaben an, dass ihre sexuelle Zufriedenheit in der Ehe gesunken sei (22,5% der Männer) und 34,1 % der Frauen berichteten von einer gesunkenen sexuellen Aktivität (Männer: 36,8%) (:114). Ob diese Zahlen ohne wei- teres auf Missionarsehen zu übertragen sind, kann nicht belegt werden. Allerdings ist die 24 Finales bzw. teleologisches (beide Wörter werden in der Individualpsychologie synonym verwandt) Handeln versteht sich aus der Ziel- bzw. Zwecksetzung des Handelns (Seidenfuß 1995:156; 159). Dabei sind frühkindli- che objektive Tatsachen wesentlich für die Entstehung einer individuellen Finalität. Die beim Erwachsenen aus- gebildete individuelle Finalität beeinflusst die Handlungsmaßnahmen bei gegenwärtig objektiven Tatsachen (:160). 25 So ist z. B. das Missionarsleben vollgepackt mit Menschen die „dringend“ Hilfe brauchen, „geistlichen“ Ak- tionen und „wichtigen“ Reisen, statt eheliches Wohlergehen im Blick zu haben (Wagner 2004:19-30). 26 Das Telefonat ist als Erinnerungsprotokoll in Anlage 6 beigefügt. 27 Beispiele: Seher (1930), Bovet (1955), Smalley (1992, 1993, 2009), Scherer (1992), Crabb (1992), Wheat (1993), Leman (2003), Zurhorst (2004). 8 Übertragung nicht fahrlässig, da es sich bei der von Bochmann & Näther (:93) untersuchten Personengruppe um „christliche Ehepaare“ handelt. Singlefrauen berichten von starken Sehnsüchten nach einer Partnerschaft (Kessler 2008:105, 117). Das empfundene Defizit durch das Alleinleben löst eine Sehnsucht aus, die auch an Erotik und Sexualität geknüpft wird (vgl. Tournier 1965:165). Singlefrauen, die sexu- ell enthaltsam leben wollen, fühlen sich dabei oft allein gelassen (Foyle 1995:43-46; Kessler 2008:116, 124, 125). Zum Umgang mit dem Singlesein an sich, aber im Besondern mit dem Umgang in Bezug auf sexueller Versuchung oder Versuchlichkeit von erwachsenen Singles, gibt es wenig Hilfe. 28 Die Auswirkungen von erotisierten Beziehungsgeflechten in missiona- rischen Lebens- und/oder Arbeitgemeinschaften finden dabei oft keinen Raum.29 Reife Singlefrauen berichten (Kessler 2008:1) vom immer schwerer auszuhaltenden Singledasein. Die reife Frau kann nicht mehr ohne weiteres davon ausgehen noch zu heiraten und weiß, dass sie auch zukünftig mit sexuellem Unerfülltsein leben muss. Manchmal be- kommen Singlemissionarinnen sogar klare Angebote zur Aufnahme einer Beziehung, auch wenn der Anbieter verheiratet und ebenso Christ ist.30 Die unter Christen immer wieder zitierte, schnelle Antwort für Singlemenschen nach 1 Korinther 7,9: „Wenn sie sich aber nicht enthalten können, sollen sie heiraten; denn es ist besser, zu heiraten als sich in Begierde zu verzehren“31 greift meines Ermessens zu kurz. Sie führt häufig zu einer zusätzlichen Verletzung bei Singlemenschen, da sich die Frage nach einer Eheschließung erst stellt, wenn es einen entsprechenden Partner dafür gibt. Nach der Überzeugung des Alttestamentlers van Oorschots (2000:8) sind die theologi- schen Überlegungen, Mann und Frau auch außerhalb der Ehe als geschlechtliches Wesen zu betrachten, noch am Anfang.32 Noch bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden Frauen in der Theologie häufig ausschließlich als Ehefrauen gedacht. Ausnahmen sind der Arzt und Theologe Bovet (1959:138-170), der Mann und Frau auch außerhalb der Ehe be- schreibt und Thielicke (1966:169-183), der auch über die „unverheiratete“ Frau schreibt. 28 Meine dahingehende Recherche führte 2004 zum Start der Masterarbeit. Ich hatte beruflich viel mit Singles zu tun und suchte Hilfen, um sie besser beraten und lehren zu können. 29 Singlefrauen werden in der christlich, missiologischen Literatur durchaus beschrieben, z. B. in Conrad (1998), Eichler (2010a), Eichler & Widmer-Huber (2010b). Erotik und Sexualität werden dabei manchmal aufgegriffen, aber im Vergleich zur Literaturfülle für verheiratete Menschen ist der Anteil eher gering. 2012 widmete die Zeit- schrift evangelikale missiologie eine ganze Ausgabe dem Singlesein in der Weltmission. Dabei wird die sexuelle Versuchlichkeit von Singles thematisiert (Kessler 2012a:80-91). 30 Ein Erlebnis einer Missionarin in Anlage 7. 31 Alle Bibelzitate und Stellenangaben sind, wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, nach der Lutherüberset- zung 1984 zitiert. 32 In dem vorliegenden Buch (Haubeck 2000) geht es dann allerdings auch wieder um Ehe, Scheidung und um Homosexualität. 9 „Auch die Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen keine Ehe eingehen, leben als Männer und Frauen in Beziehungen zueinander. Dazu gehört ihre Geschlechtlichkeit, …“. Geschlechtlichkeit „ist deshalb nicht nur die private Angelegenheit von zwei Menschen, son- dern wie sie gelebt wird, wirkt sich auf das Zusammenleben der Geschlechter aus“ (van Oor- schot 2000:2). Das gilt auch für die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft in Missionssituationen. Wenn Lebensgemeinschaften oder Arbeitsbeziehungen von Missionaren erotisierte Beziehun- gen geworden sind, werden die Missionar/-innen inkongruent33 wirken und im nächsten Schritt selbstinkongruent.34 Das werden die Menschen in der Umgebung bemerken. Innerhalb der sexuellen An- und Erregung bewegen wir uns in einem Spannungsfeld zwischen dem Willkürlichen und dem Unwillkürlichen. Einerseits ist die sexuelle Regung dem Unwillkürlichen zugeordnet, „sie geschieht – unter bestimmten, d.h. individuellen Be- dingungen, unter anderen Bedingungen nicht“ (Seemann 2003:63). Andererseits kann gefragt werden: „Wer bestimmt – ich oder der Körper?“ (:69). 1.2.3. Motivation aus der Missiologie Für den Missionswissenschaftler David Bosch (1991:9) ist das Christentum in seiner Natur missionarisch. Bosch nimmt damit unter anderem das Vaticanum II auf. Im Katechismus der Katholischen Kirche (1993:253) heißt es, dass die Kirche dem Wesen nach missionarisch, also als Gesandte unterwegs, ist. „Das letzte Ziel der Mission ist es, die Menschen an der Ge- meinschaft teilhaben zu lassen, die zwischen dem Vater und dem Sohn im Geist der Liebe besteht“. Darin zeigt sich auch die Beziehungsorientiertheit der Mission. Menschen sollen andere Menschen mit Jesus Christus in Kontakt bringen, damit diese durch ihn gerettet wer- den und Heil erlangen (vgl. Matthäus 28,19-20; 2. Korinther 5,20). Mission ist Sendung zu den Menschen. Mission geschieht durch zwischenmenschliche Beziehung in unterschiedli- chen Facetten und auf viele verschiedene Arten und Weisen.35 In der Mission muss sich der Missionar/die Missionarin zu den Menschen aufmachen. Es gilt ihnen zuzuhören, ihre Sorgen und Freuden zu teilen (Ziemer 2003:195). Nur wenn sich der Mensch ernst genommen weiß, ist er bereit, Missionare ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören (:196). Dabei gilt es ebenso diakonische und seelsorgerliche Lebenshilfe zu leisten wie gesellschaftsrelevant (Reimer 33 Wer inkongruent ist, ist nicht übereinstimmend, nicht passend, nicht deckungsgleich (Duden 1994:634), z. B. ist ein Missionar, der selbst nicht lebt was er verkündet inkongruent. 34 Selbstinkongruent bedeutet nicht übereinstimmend, nicht zusammen passend, nicht deckungsgleich mit sich selbst zu sein (Duden 1994:634). Selbstkongruenz bedeutet demnach mit sich selbst übereinstimmen, mit sich selbst deckungsgleich sein (:755). 35 Der Missiologe Hans Ulrich Reifler (2005:130-137) fasst das Ziel der Mission in sieben verschieden Aktivitä- ten zusammen: 1. Die christliche Taufe; 2. Der Herrschaftswechsel in Bekehrung und Wiedergeburt; 3. Das ekklesiozentrische Missionsziel; 4. Das Gemeindewachstum; 5. Christianisierung der Völker; 6. Die Sammlung der Kirche und 7. Völlige Eigenverantwortung und geistliche Multiplikation. 10 2009) und multikulturell versöhnend (Reimer 2011) zu sein. Theologische Kompetenz (:201) zeigt sich auch, wenn Missionare sich in Wahrnehmungsfähigkeit (:202) und Fremdverstehen (:203) trainieren. Dies setzt empathische Fähigkeiten voraus. Im Zusammenleben ist wirkli- cher Dialog möglich. Demzufolge verlangt Mission geradezu nach einer hohen Bereitschaft sich auf andere Menschen ein zu lassen, sie verstehen zu wollen und sich in sie hinein denken zu können. Das bedeutet auch ein hohes Maß an zwischenmenschlicher Nähe. Beziehungsori- entierte Missionare und Missionarinnen werden auch innerhalb der Missionarsgemeinschaft Beziehung leben. Der Missionswissenschaftler Rommen (1985:94-95) beschreibt die Wichtigkeit von Echtheit in der Mission. Sie ist deshalb von so hohem Wert, weil die Bereitschaft die Bot- schaft des Kommunikators ernst zu nehmen auch von seiner Authentizität abhängt. Botschaf- ten, auch die biblische Botschaft, werden von den Zuhörern eher angenommen, wenn die Bot- schafter leben was sie predigen. Subtil erotisierte Beziehungen im Missionarskollegium kön- nen von Zuhörern, Zuschauern oder einheimischen Mitarbeitern wahrgenommen werden. Die Botschaft wird dann unglaubwürdig und in Frage gestellt, weil die Zuhörer die Botschaft im Allgemeinen mit dem Botschafter/der Botschafterin verknüpfen. Natürlich hat hier der kulturelle Umgang mit Sexualität Einfluss. Sexuelle Reinheit ist nicht in jeder Kultur ein Maßstab für die Glaubwürdigkeit von Christen. So z. B. in manchen Teilen Tansanias, wo es durchaus üblich ist, dass man bei einheimischen Frauen schon vor der Eheschließung erkennen will, ob sie Kinder empfangen können. Außerdem gehen die Einheimischen bei ihrer Wahrnehmung von Missionarsgemeinschaften einfach davon aus, dass alle zur Missionarsgemeinschaft gehörenden Singlefrauen einem der Männer (oft dem Leiter) gehören, da Singlesein in vielen Kulturen überhaupt nicht denkbar ist. Das gibt es schlichtweg nicht. In der Missionssituation wird es dann schwierig, wenn Missionare sexuelle Reinheit verkünden und das selbst nicht leben. Außerdem werden sie selbst dadurch belastet und stehen sich dann selbst bei ihrer Missionstätigkeit im Weg. Rommen (1985:94-95) sieht, neben dem Wahrnehmen des eigenen kulturellen Hinter- grundes bei der Weitergabe einer Botschaft, die Vertrauenswürdigkeit des Kommunikators als wichtigen Punkt in der Mission. Er stellt einen direkten Zusammenhang von Glaubwürdigkeit, Sachkenntnis und der Dynamik des Verkündigers zur Wandlungsbereitschaft des Hörers her. Vertrauenswürdigkeit, manifestiert an dem Gesamteindruck der Persönlichkeit, sei für man- che der wichtigste Punkt überhaupt. Kritzinger (2005:6) schreibt über „missionale Integrität“. Dazu gehört für ihn auch, dass der Missionar die Fähigkeit besitzt seine soziale und ökonomische Position zu reflektieren 11 und auch zugeben kann, dass dies seine Sicht und die Art und Weise, wie er mit der Umge- bung umgeht, beeinflusst. Kritzinger (:9) wendet das indische Sprichwort „It is dark under the lamp“ auf missionarische Leiter an: „leaders sometimes have a dark shadow in their own lives. While giving light to others, we often harbour compromises and contradictions in our own hearts and lives.“ Auch wenn Kritzinger hier allgemein von Integrität in der Mission spricht, können seine Ausführungen sicherlich auch auf die Erotisierung im Missionarsge- flecht übertragen werden. Daher scheint es notwendig, sich mit dem Einfluss von Erotisierungen auf die Authenti- zität von Missionar/-innen und in missionarischen Beziehungsgeflechten auseinander zu set- zen. 1.3. Forschungsfragen und Hypothese 1.3.1. Forschungsfragen Von den oben aufgezeigten Überlegungen ausgehend, wurde folgende Forschungsfrage ent- wickelt: Welchen Einfluss hat das Singlesein oder Verheiratet sein von Frauen und Männern auf die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Missionar/-innen? Dabei werden folgende Teilaspekte mit einbezogen:  Wie und woran könnte man eine heterosexuelle (auch subtile) Erotisierung im Be- ziehungsgeflecht erkennen?  Welche Spannungsfelder ergeben sich daraus? 1.3.2. Hypothese Die Hypothesen dieser Arbeit setzen sich aus drei Bereichen zusammen: 1. Durch unerwünschte Erotisierungen entstehen in Missionarsgemeinschaften Behin- derungen, werden Bedingungen erschwert oder es entstehen Probleme innerhalb der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auf Missionsstationen. Ungelöste oder nicht er- kannte Erotisierungen erschweren oder verhindern Mission, weil erstens der Missio- nar/die Missionarin nicht mehr selbstkongruent lebt und zweitens die Kräfte der be- teiligten Personen gebunden sind. In der Arbeitswelt werden Erotisierungen normalerweise als normales zwischen- menschliches Verhalten akzeptiert. Es ist, wie es ist. Das gilt auch für Erotisierun- 12 gen, durch die z. B. eine Ehe gefährdet werden kann. Darin unterscheiden sich häufig Anstellungsverhältnisse in Missionswerken.36 Hier wirken Erotisierungen prekär. 2. Erotisierung von Beziehungen wird zuerst eher unbewusst geschehen und bleibt häu- fig unerkannt. Es kann aber auch sein, dass sie nicht wahrgenommen werden kann gemäß dem Mot- to: „Was nicht sein darf, gibt es nicht!“ Dennoch, oder gerade dann, wird es das Mit- einander erschweren. Wie in der Prästudie bereits erkennbar war, werden erste eroti- sierte Veränderungen von Beziehungen in Missionssituationen selten angesprochen und noch seltener konstruktiv geklärt. 3. Es ist möglich, dass Beziehungsgeflechte im Miteinander von Singlefrauen und ver- heirateten Frauen und Männern in der Mission stärker durch erotische Einflüsse be- einflusst ist als üblicherweise wahrgenommen wird und diese sich besonders negativ auf die Beziehung der Frauen untereinander auswirkt. Auf Grund der elementaren Lebensveränderungen, wie sie bei Missionaren dazuge- hören, können Beziehungskonflikte deutlicher hervortreten. Ein gleichzeitig hoher Anspruch an sich selbst und an andere führt oft zu unterschwelligen Konflikten und/oder zu einer Verlagerung auf andere Ebenen, die möglicherweise theologisch oder moralisch begründet wird. 1.4. Verortung der Arbeit Da es für eine akademische Arbeit unerlässlich ist, diese in der Fachrichtung zu verorten, wird dies im Folgenden skizziert. Im ersten Kapitelteil wird die Arbeit in der Missiologie verortet und in einem weiteren Kapitelteil die persönlich missiologische Ausgangsbasis reflektiert. 1.4.1. Verortung in der theologischen Disziplin: Missiologie Die Missionlogie ist eine Disziplin der Theologie, die in drei Bereiche unterteilt wird: Missi- onstheologie, Missionspraxis und Missionsgeschichte. Die vorliegende Arbeit ist in der Mis- sionspraxis verankert. Mein Verständnis der Missionspraxis ist stark an Bosch (1991) ange- lehnt, aber durch andere missionswissenschaftliche Ansätze erweitert (z. B. Reimer 2005, 2009, Kritzinger & Saayman 2011). Da die Theorie und die Praxis der Mission nicht vonei- nander zu trennen sind, soll es in der Missionswissenschaft immer wieder zur theoretischen Reflexion der Praxis für Mission kommen (Bosch 2011:40). 36 Häufig wird man eine unerwünschte Erotisierung auch in christlichen Gemeinden nicht einfach hinnehmen. Allerdings können Erotisierungen in diesem Kontext häufig im Verborgenen wachsen. Damit entziehen sie sich schon im Anfangsstadium der Aufmerksamkeit. 13 Die Ausgangsfragen dazu:  Warum Mission? - Die Begründung  Was beinhaltet Mission? - Die Botschaft  Wer soll erreicht werden? - Das Ziel  Wer handelt? - Die Handelnden  Wie kann „Mission“ umgesetzt werden? - Die Praxis Im Nachfolgenden gehe ich allgemein auf die Handelnden in der Missionspraxis ein, da diese Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind (Missionarinnen und Missionare werden in Kapitel 5.2 spezieller in Bezug auf ihr Geschlecht beschrieben). Jeder Christ ist zum Zeugnis berufen. Dennoch ist die „Kerygmatische Leitung in evangelistischer Verkündigung nach Epheser 4,11 vor allem Aufgabe des Evangelisten“ (Reimer 2004:91). Schwarz (1992:15) differenziert das so: „Nicht jeder Christ hat die Gabe der Evangelisation, aber jeder hat die christliche Universalrolle, seinen Glauben zu bezeugen“. Ebenso wird eine Unterscheidung in Missionare als sogenannte „Vollzeitliche“37 und Missionare als „Zeltmacher“38 vorgenom- men. So muss geklärt werden, wer die in die Mission involvierte Person sind (Kritzinger & Saayman 2011), wie ihr sozialer Hintergrund ist, wie vertraut sie mit dem Evangelium sind. Die Handelnden müssen das Wort selbst verstanden haben, um es weitergeben zu können. Außerdem müssten die Handelnden die „linguistische Kompetenz des Gesprächspartners in Betracht ziehen“ (Schnabel 2002:1519), um diese weder zu über- noch zu unterfordern. „Je- den kleinsten Teil der eigenen Theologie in die Umgangssprache übersetzen“ zu können be- deutete auch, sie „in die Sprache der Ungebildeten übersetzen“ zu können so C.S. Lewis (McGrath 1999:22). Missionar/-innen werden sich selbst im Lichte der Bibel betrachten müssen, um ihre Kulturbezogenheit zu erkennen, genauso, wie ihre kulturelle Einengung durch eine andere Kultur erkennbar wird. Die in der Mission Handelnden werden in der Regel ihre eigene Veränderung durch die Mission wieder zurück in die aussendende Gemeinde mitbringen, da sie in der Mission er- gänzt, ermutigt und geläutert wurden. Durch die Rückkopplung in die Heimatgemeinde 37 „Vollzeitliche“ gehen keiner weiteren beruflichen Beschäftigung nach, um ihren Lebensunterhalt zu verdie- nen. 38 „Zeltmacher“ verdienen ihren Lebensunterhalt anderweitig und widmen sich nebenberuflich, und oft mit gro- ßem Einsatz, einem missionarischen Dienst. 14 verändert sich diese wiederum, eben weil die Gemeinde Menschen aus ihrer Mitte in eine andere Kultur sandte (nach Reimer 2005). Nach Reimer (2005:4) soll sich der Theologe zunächst einmal auf die Nöte der Men- schen einlassen, „bevor er zu seinen Büchern zurückkehrt“. Mein Weg führte mich aus der missionswilligen, dörflichen Missionspraxis in die Missionswissenschaft. 1.4.2. Reflexion der missiologischen Ausgangsbasis Sowohl in der Freikirche in der ich aufwuchs, als auch in meiner Ursprungsfamilie,39 waren Evangelisationen (unterschiedlichster Formen) und Innen- wie Außenmission feste Begriffe im Vokabular und beides wurde in meinem Umfeld aktiv gelebt. In meinem Elternhaus gin- gen Missionare aus Deutschland und Übersee ein und aus. Trotz hohem Sättigungsgrad in dieser christlich geprägten Religion wurden immer wieder Evangelisationen unterschiedlichs- ter Art durchgeführt. Ich habe mich mit 8 Jahren, bei einer Kinderevangelisation, für einen persönlichen christlichen Glauben entschieden, bei dem die eindrückliche (und beängstigen- de) Darstellung die Entrückung von Christen beim zweiten Kommen Christi eine besondere Rolle spielte. Den Frömmigkeitsstil kann man sicherlich am ehesten zusammenfassen mit fromm, tätig und lernwillig (nach Kritzinger & Saayman 2011:4-5).40 So aufwachsend, habe ich lange nicht wahrgenommen, dass die Mission in der Krise ist (Bosch 1991:1-11; 2011:16-24). Am Willen und den Möglichkeiten zur Mission mangelte es nie. Allerdings war es mehr ein diffuses Wünschen, Wollen und Umsetzen ohne strategische Vorüberlegungen. Menschen sollten mit der Heilsbotschaft Jesu bekannt gemacht werden. Das war der Plan. Fragen wie: „Was ist die Botschaft? Wen wollen oder können wir errei- chen? Wie und wo sind die Menschen zu finden? Wie können wir als Christen bewusst Ein- fluss nehmen auf unsere Umwelt?“ wurden selten gestellt. So ist es nicht erstaunlich, dass sich die Gemeinden selten durch „echte“ Neuzugänge erweiterten. Insgesamt war das dörfli- che Leben eher in „Fromme“ und „Nichtfromme“ eingeteilt. Boschs (:5) Einschätzung „An inadequate foundation for mission and ambiguous missionary motives and aims are bound to lead to an unsatisfactory missionary practice“ kann ich aus eigenem Erleben nachvollziehen. 39 In der Psychologie wird das Wort „Ursprungsfamilie“ für diejenige Familie verwandt, in der eine Person auf- gewachsen ist. Würde hier das Wort „Familie“ gebraucht, bliebe unklar, ob es sich um die jetzige Familie han- delt oder die Familie, in die eine Person hineingeboren wurde. 40 Diese Zusammenfassung bezieht sich auf die Ausführungen zum Praxiszyklus, der unter der Leitung von Da- vid J. Bosch in Zusammenarbeit mit Inus Danee, Willem Saayman, Klippises Kritzinger, Nico Botha und Steve Hayes entstanden ist (Kritzinger & Saayman 2011:3-6). 15 Durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen missionstheologischen Ansätzen41 hat sich mein eigenes missionstheologisches Verständnis verändert. Es wurde systematisiert und durch die bei Bosch wiederkehrende „kreative Spannung“42 zunehmend mit Inhalten gefüllt. 1.5. Methodologie Methodisch wird diese Arbeit an dem von den Unisa-Missiologen entwickelten Praxiszyklus ausgerichtet, wie er in Kritzinger (2002:144-173) publiziert ist. In einem wissenschaftlichen Wagnis sollen Zusammenhänge und Schöpfungskraft erkannt und miteinander ins Gespräch gebracht werden (McDaniel 1995:4 in Kritzinger 2002:145), um mit Wurzeln und Flügeln neue Wege einschlagen zu können. Das gibt Raum für kreative und motivierte Theologie (und Missiologie) (:145-146). Bei der Ausrichtung auf den Praxiszyklus geht es nicht zuerst um Praxis oder Aktionen, sondern er bezieht sich auf gemeinsame und transformierende Prozesse, zu denen nachdenken und handeln, beten und arbeiten gehören (:149). Theological Reflection Context Spirituality Analysis Involvement Planning Abbildung 1: Dimensions of the praxis cycle (Kritzinger 2002:148-150) Der gesamte Praxiszyklus ist als Denkansatz für eine Gruppe von engagierten Men- schen gedacht, die eben zusammen denken, beten und arbeiten, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu verändern (:149-150). Ein Schlüssel in diesem transformierenden Prozess ist die weltver- 41 Gensichen (1971), Bosch (1991, 2011) und Beyerhaus (1996). 42 „Kreative Spannung“ – ein von Newbigin stammender Begriff, den Bosch aufgreift, weil er Einseitigkeit nicht akzeptieren will (Reimer in Bosch 2011:10). 16 ändernde Kraft des Evangeliums, die von einem ganzheitlichen Praxiszyklus ausgeht und ent- faltet werden kann. Gleichwohl gibt es Abkürzungswege, bei denen eine oder mehr Dimensionen außer acht gelassen werden. Dabei ist es gut, wenn man sich der negativen Folgen für den Gesamtzu- sammenhang bewusst ist. Kritzinger (:151) spricht vom „Elfenbeinturm“, in dem akademi- sches Denken stattfindet.43 Dabei wird der Praxiszyklus auf die Sozialanalyse und die Refle- xion (manchmal unter Einbeziehung der Spiritualität) reduziert. Persönliches Beteiligtsein (involvement), das Arbeiten mit Anderen in konkreten Projekten (planning) und häufig auch kirchlich Spiritualität (spirituality) bleiben außen vor. Schon Bosch (1991:420-432) fordert zu einer umfassenderen, aber selbstkritischen The- ologie, einer Tat-Theologie auf, die sich an den Menschen bindet und nicht an Theorien. Da- her ist einer von Boschs fünf wesentlichen Punkten zu Kontextualisierung: Theologen sind nicht länger wie einsamen Vögel auf dem Dach (:424), sondern Theologie soll mit den Be- troffenen gemeinsam betrieben werden. Die weiteren Punkte sind: Die westliche Theologie hat bisher der Legitimation der bestehenden Verhältnisse in der Welt gedient. Die Welt ist kein statisches Gebäude, das nur erklärt werden muss. Es ist eine wirkliche Welt, die verän- dert werden muss. Der Einsatz für Arme und Randgruppen ist ein erster Schritt im theologi- schen Arbeiten. Theologie ist in erster Linie Tat und nicht Wissen. Die vorliegende Arbeit bewegt sich in den Dimensionen Kontextanalyse, theologische Reflexion und Spiritualität. Die empirische Forschung bei der Prästudie wird daher metho- disch an Mayring angelehnt. Die empirische Studie ist im Fragestil und bei der Frageat- mosphäre an den Ansatz des französischen Soziologen Jean-Claude Kaufmann (1999) ange- lehnt. Die Auswertung wird Mittels Grounded Theory (Strauss & Corbin 1996) vorgenom- men. 1.6. Struktur In dieser Arbeit wird eine trichterförmige Annäherung an problematische, erotisierte Bezie- hungsgeflechte dargestellt. In Kapitel 1 werden in den Vorbemerkungen das Ziel und die Mo- tivation zur dieser Arbeit erläutert. Danach werden die Forschungsfrage und die -hypothesen erläutert und die Arbeit missionswissenschaftlich verortet. Ebenso werden die Methodologie, die Struktur, die Ausgangssituation, der Forschungsüberblick und der wissenschaftliche Bei- trag sowie die Abgrenzung des Themas aufgezeigt. Beginnend mit Kapitel 2 bis einschließlich 43 Andere Abkürzungswege nennt er „Politische Aktivisten“, „Missionarische Aktivisten“ und „Wandlung“ (Kritzinger 2002:150-152). 17 Kapitel 5 wird eine literarische Erarbeitung des Themas aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen heraus angestrebt. Dieser Weg ist notwendig, da die Literaturrecherchen zu kon- kreter, themenspezifischer Literatur wenig Ertrag brachten.44 In Kapitel 2 ist eine Begriffsklärung vorangestellt, in der die für diese Arbeit relevanten Begriffe wie „erotisiert“ und „Beziehungsgeflecht“ definiert und erläutert werden. Im 3. Kapi- tel wird die aktuelle Entwicklung von Feminismus, Genderideologie und -theologie und deren Kritik beschrieben um aufzuzeigen, dass die Diskussion bekannt ist und verstanden wurde. Dieses Kapitel schließt mit einer eigenen Positionierung. In Kapitel 4 wird eine biblisch- theologische Untersuchung von Geschlecht und Erotik, inklusive Ehe und Ehebruch, sexueller Versuchung oder Versuchlichkeit bei Frauen und Männern und die Anziehungskraft von Schönheit, unter Bezugnahme auf das Hohelied, dargestellt. Auf komplexe Ausführungen von Weiblichkeit und Männlichkeit aus psychologischer Sicht wird, zumindest als eigenständiges Kapitel, verzichtet, da es erstens im Ziel dieser Arbeit nicht liegt, die Unterschiede von Frau- en und Männern umfassend zu erläutern und zweitens dies den Rahmen dieser Arbeit spren- gen würde. Kapitel 4 dient in erster Linie der missiologischen Darlegung als Basis, um die Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen auf dem Missionsfeld erkennen zu können, auf welche in Kapitel 5 dann besonders eingegangen wird. Neben einer grundsätzlichen Sicht von Mission werden die Geschichte der Leiterschaft und Mitarbeiterführung und einige Grundge- danken zum Missionarsein unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechterfrage in Mis- sionssituationen herausgearbeitet. Dem folgt eine Untersuchung zu Fragen der Berufung, mit dem besonderen Fokus zur Berufung von Frauen in die Mission. Bei der Theorie zur empirischen Forschung in Kapitel 6 wird eine Prästudie vorange- stellt, in der untersucht wurde, welche Präventionsmaßnahmen in Missionsorganisationen angewandt werden. Danach werden die Theorie zur empirischen Studie mit der Auswahl der Interviewpartner/-innen, die Datenerhebung und deren praktische Umsetzung sowie der Inter- viewverlauf und die Auswertung der Daten beschrieben. In Kapitel 7 werden die Ergebnisse der qualitativ-empirischen Forschung, die mit der „Grounded Theory“ ausgewertet wurden, dargestellt und interpretiert. Am Ende der Arbeit (Kapitel 8) münden die aus der empirischen Forschung resultierenden Ergebnissen in Konse- quenzen für die Praxis. Ebenso werden einige offene Themen aufgeführt, die einer weiteren akademischen Reflexion bedürfen. 44 Siehe Fußnote 8. 18 1.7. Ausgangssituation Sprungbrett für diese Forschungsarbeit wurde meine Masterarbeit „Macht Macht erotisch? Authentisch leben – eine Herausforderung in der christlichen Mission. Am Beispiel sexueller Versuchlichkeit weiblicher, lediger, heterosexueller Führungskräfte in Deutschland“ (Kessler 2008). Durch diese empirische Arbeit habe ich einen vertieften Zugang zu weiblichem Identi- tätsverständnis und zu sexueller Versuchlichkeit von weiblichen Singles bekommen. Die da- bei gewonnenen Kenntnisse fließen in diese Arbeit mit ein. Das in der Literatur genutzte Wort „Versuchung“45 meint in aller Regel, dass einem Menschen etwas begegnet, das ihn oder sie in Versuchung führt. Die in der Masterarbeit vor- genommene Trennung zwischen extrinsisch motivierter sexueller Versuchung und intrin- sisch46 motivierter sexueller Versuchlichkeit verhilft zu einer deutlicheren Unterscheidung, da bei den meisten Menschen Versuchung nur wirksam werden kann, wenn bereits Versuchlich- keit vorhanden ist. Diese Unterscheidung wird in dieser Arbeit beibehalten und bei der Aus- wertung der Interviews nützlich sein. Balswick und Balswick (1999:14-15) zeigen vier Dimensionen der Sexualität auf: Natal sex meint die angeborenen physiologischen und biologischen Eigenschaften, an denen sich entscheidet, ob ein Baby männlich oder weiblich ist. Unter Sexual identity ist die Eigenwahr- nehmung einer Person, sich als sexuelles Wesen zu verstehen gemeint. Gender role meint die kulturspezifische Identifikation innerhalb einer bestimmten Kultur. Hierbei geht es auch um die Fragen der Gesprächsführung, Ausdrucksweisen, Bewegung, Kleidung und Stereotypen. Sexual orientation ist die Frage der erotischen Ausrichtung: Ist ein Mensch heterosexuell, homosexuell oder bisexuell ausgerichtet? In dieser Forschungsarbeit werden Frauen und Männer (Natal sex) untersucht, die sich als Frauen bzw. Männer wahrnehmen (Sexual identity) und heterosexuell orientiert sind (Se- xual orientation). 1.8. Forschungsüberblick Im Allgemeinen kann vorab bemerkt werden, dass eher auf deutschsprachige Literatur zu- rückgegriffen wurde, da diese Arbeit erotische Beziehungsgeflechte von deutschen Missiona- 45 Z. B.: Jedermann und die Versuchung (Eldridge 2013); Jede Frau und das geheime Verlangen (Ethridge 2010), Wie Frauen fremdgehen (Runte 2002), Geld, Sex und Macht (Forster 1993); Ledig – na und? (Lum 1987), Gestresst, verletzt und ausgebrannt (Folye 2002) und in vielen seelsorgerliche Bücher zur Gestaltung einer halt- baren Ehe. 46 Intrinsisch motiviert ist eine Person, wenn sie von innen heraus, aus eigenem Antrieb, durch Interesse an et- was, dem in der Sache oder in einem Menschen liegenden Anreiz folgt (Duden 1994:655). Im Gegensatz dazu meint „extrinsisch“ einer Anregung, einem Antrieb von außen zu folgen, nicht aus eigenem innerem Anlass (Duden (:447). 19 ren untersucht und auch alle Probanden der empirischen Studie aus dem deutschen Kontext kommen und, zumindest ursprünglich, deutsch geprägt waren. Die für die jeweiligen Kapitel relevante Literatur wird zu Beginn jedes Kapitels vorgestellt. Im Folgenden ist ein Überblick über die verschiedenen Fachdisziplinen, aus denen die Literatur für das jeweilige Kapitel aus- gewählt wurde, um diese grob zu skizzieren. Nach der Einleitung (Kapitel 1) werden die relevanten Begriffe (Kapitel 2) mit theologi- scher, psychologischer und soziologischer Literatur definiert. Bei der Darstellung des aktuel- len Feminismus und der Genderideologie (Kapitel 3) wurden wissenschaftliche Standardwer- ke der Befürworter und Gegner herangezogen. Zu Kapitel 4 (biblisch-theologische Untersuchung) gibt es noch keine Standardwerke. Daher habe ich Erkenntnisse von Theologen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenge- führt: Alttestamentler, Systematiker und Praktische Theologen. Ebenso werden verschiedene Positionen aus der neueren Theologiegeschichte dargestellt. Kapitel 5: Da die Untersuchung die Missionswerke der Arbeitsgemeinschaft Evangeli- kaler Mission (AEM) zum Fokus hat, konzentriere ich mich auf deutschsprachige Literatur aus diesem Umfeld – vorwiegend aus dem evangelikalen Spektrum. Wobei auch anderer Posi- tionen berücksichtigt werden. In Kapitel 6 wird eine Prästudie präsentiert, in der mit leitfadengestützten Interviews mit qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (1999) gearbeitet wird. Die nachfolgende empi- rische Studie wird mittels Grounded Theory ausgewertet, da aus den Erlebnissen der Missio- nar/-innen Theorien gebildet werden sollen, die die erotisierenden Situationen auf dem Missi- onsfeld abbilden. Daher wird als Standardwerk zur Grounded Theory Strauss & Corbin (1996) genutzt und die empirischen Interviews werden an Kaufmann (1999) angelehnt. Wo immer es möglich war, wurde wissenschaftlich relevante Literatur herangezogen. Da das im Fokus liegende Forschungsfeld aber insgesamt wenig erforscht ist, wurde es gele- gentlich notwendig auch populärwissenschaftliche und anwenderorientierte psychologische und seelsorgerliche Literatur hinzu zu ziehen. In der Erarbeitung der Themen wurde die popu- lärwissenschaftliche und anwenderorientierten Literatur der wissenschaftliche Literatur unter- geordnet und flankierend eingesetzt. Viele der genutzten Bücher haben ein spezielles Kernthema. Aussagen zum „erotischen Beziehungsgeflecht“ sind daher eher fragmentarische Nebenbemerkungen. Oft war ich froh, überhaupt themenbezogene Aussagen zu finden. Zu „Missionarinnen in heterosexuell eroti- sierten Beziehungsgeflechten“ habe ich so gut wie keine Aussagen gefunden. 20 1.9. Wissenschaftlicher Beitrag Der wissenschaftliche Beitrag dieser Arbeit liegt darin, dass das Thema dieser Arbeit bisher nur von manchen Missionsgesellschaften als mögliches Problem aufgegriffen wurde und nur einige über, dann aber sehr unterschiedliche, Präventivmaßnahmen verfügen. Diese Arbeit soll ein Beitrag dazu sein, das Thema systematisch zu erfassen. Mir wurde immer wieder bestätigt, dass Sexualität im evangelikalen Umfeld, und da be- sonders in der Missionssituation, ein Tabuthema sei und „klassisch evangelikalen Raum eher ausgeklammert und daher nicht beschrieben wird“.47 Dieser wissenschaftliche Beitrag wird auch dazu verhelfen, dass die Themen Sexualität und Erotik aus der Tabuzone herausgeführt werden. 1.10. Abgrenzung des Themas Ich schreibe diese Arbeit als bekennende evangelikale Christin, für die die Bibel normativen Charakter hat. Dabei beziehe mich weitestgehend auf eine Darstellung der Deutsche Evange- lische Allianz (2009:11-12): Zu unserer Überzeugung gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Nach unserem Verständnis hat Gott beide Geschlechter gleichberechtigt und gleichwertig geschaffen (Gen 1,26-27). … Andererseits betonen wir die vom Schöpfer gewollte geschlechtliche Unterschiedlichkeit von Mann und Frau … Auch wenn sich das Rollenverhalten soziologisch und kulturell im Laufe der Ge- schichte gewandelt hat und wandelt, lehnen wir eine prinzipielle Gleichmacherei der Geschlechter und eine Nivellierung der Geschlechtsunterschiede ab, da sie der Natur des Menschen zuwider laufen. Ich gehe in dieser Arbeit von einem kausalen Zusammenhang zwischen dem Willen Gottes („… und schuf sie als Mann und Frau, Genesis 1,27)48 bei der Erschaffung von Men- schen in zwei Geschlechtern und dem biologischem Geschlecht aus. Die Naturhaftigkeit ist die Basisannahme für die biologisch-physiologische Geschlechtlichkeit des Menschen. „Kon- kret gilt ein Mensch entweder als weiblich oder männlich, wobei dieses Geschlecht durch die Chromosomenkonstellation der Zygote festgelegt ist und zeitlebens konstant bleibt“ (Riegel 2004:135).49 Außereheliche Sexualkontakte gelten gesellschaftlich mehr und mehr als akzeptabel, aber sie führen im Einzelfall weiterhin zu großen Irritationen in einer Partnerschaft. Eine „of- 47 Die komplette E-Mail ist als Anlage 12 beigefügt. 48 Hervorhebung durch die Autorin 49 Der Einfluss von männlichen und weiblichen Hormonen auf die Entwicklung eines Jungen oder Mädchen die schon im Mutterleib beginnt und auch Einfluss auf erwachsene Männer und Frauen haben, bleiben hier unbe- rücksichtigt, da sie den Chromosomensatz an sich nicht beeinflussen. 21 fene Ehebeziehung“ führen zu können wird von manchen Menschen als Ideal präsentiert.50 Für mich, als evangelikale Christin, ist eheliche Treue in einer monogamen Ehebeziehung ein hoher Wert. Der One-night-stand, allein zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse, setzt sich allgemein in der deutschen Öffentlichkeit nicht durch. Er gilt allerdings nicht als Tabu. Da diese Arbeit im Rahmen evangelikaler Missionsgesellschaften entstand, wird die breite Ablehnung von One-night-stands bereits vorab vermutet. In dieser Arbeit geht es nicht um den Vollzug außerehelicher sexueller Kontakte, nicht um den Umgang mit (Internet-)Pornographie, und nicht um Inzest. Homosexuell empfindende Frauen und Männer werden im Rahmen der angestrebten Doktorarbeit nicht berücksichtigt.51 In Kirchen, Gemeinden, der Mission und in christlichen Werken führen unterschiedliche theologische Ansätze zu unterschiedlichen Konsequenzen bei der Besetzung von Aufgaben- feldern und Leitungstätigkeiten von Frauen. Welche Funktionen für Frauen von der Bibel her zu befürworten sind, wird in dieser Arbeit nicht diskutiert. Im Folgenden werden die Begriffe „erotisiert“ und „Beziehungsgeflecht“ definiert bzw. erläu- tert, um eine Arbeitsgrundlage für die im Deutschen eher unbekannten und unscharfen Begrif- fen zu schaffen. 50 Dabei sind die prominenten „Stars und Sternchen“ sicherlich Vorreiter, so z. B. einige deutsche, weltweit bekannte Sportler wie Franz Beckenbauer oder Boris Becker. 51 In persönlichen Gesprächen wurde ich immer wieder darauf hingewiesen, dass auch homosexuelle Empfin- dungen die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Missionaren durchaus beeinflussen. Manche Seelsorger/-innen und manche Missionsleiter/-innen versuchten mich zu motivieren, diese Arbeit auf homoerotische Beziehungs- geflechte auszudehnen. Das würde den Rahmen dieser Arbeit allerdings sprengen und wird daher unberücksich- tigt bleiben (siehe auch Anlage 6). 22 2. Begriffsklärung Bei dieser Arbeit geht es um die heterosexuelle Erotisierung von Beziehungsgeflechten in der Mission. Dazu soll die beginnende, heterosexuell erotisierte Veränderung im Miteinander untersucht werden. Untersuchungsgegenstand ist der fließende Übergang von einem kollegia- len, geselligen, freundschaftlichen Miteinander hin zu einer Erotisierung der Beziehung. Da- her ist es nötig, die im Fokus der Arbeit stehende Erotisierung in Beziehungsgeflechten zu definieren. Die Erläuterungen zu „erotisiert“ sind eng verzahnt mit den Kapiteln 3-5, weil in diesen Kapiteln die Bedeutung von Frau- und Mannsein unter verschiedenen Blickwinkeln beschrie- ben wird, denn gerade die Unterschiedlichkeit von Frau und Mann trägt zur Erotisierung hete- rosexueller Begegnungen bei, obwohl sie nicht als automatisiert betrachtet werden kann. „Beziehungsgeflechte“ werden, neben der Wortbedeutung, aus der missiologischen Per- spektive beschrieben, da eine allgemeine Erläuterung zu weit vom Fokus der Arbeit wegfüh- ren würde. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Betrachtung des Begriffes der Authenti- zität, da es für Missionare unerlässlich ist, authentisch zu sein. Als „unecht“ wirkende Perso- nen würden sie der christlichen Botschaft im Weg stehen (siehe Rommen in 1.2.3). 2.1. Erotik – erotisch – erotisiert Das Wort „erotisiert“ ist zwar im deutschen Sprachgebrauch gegenwärtig, aber es wird sehr unterschiedlich verstanden. Jeder hat eine ganz persönliche Interpretation. Daher muss das Wort von seinem Wortstamm her herausgearbeitet werden.52 In einem weiteren Unterkapitel wird untersucht, wie Erotik in Bezug auf die Frau-Mann-Beziehung aus theologischer Sicht beschrieben wird. 2.1.1. „Erotisiert“ – Wortbedeutung Sich dem Wort „erotisiert“ zu nähern führt über das Stammwort eros, das Substantiv Erotik und das Adjektiv erotisch zum Adjektiv erotisiert. Eros (altgriechisch, `zur Liebe gehörig´, `die Liebe betreffend´), eine emotiv- motivationale Kraft, wird seit Platon „mit dem Muthaften in Verbindung gebracht und ran- giert als Mittler zwischen der triebhaften Begierde und dem Geistigen“ die gleichzeitig in göttlicher Begeisterung den Aufstieg beflügelt und als Verblendung oder gar Wahn wirkt, der 52 Weder in Burkhardt & Swarat (1998), noch in Schirrmacher (2002a), noch in Afflerbach (2002) finden sich zu diesen Begriffen Beiträge, obwohl Schirrmacher (2002a) und Afflerbach (2002) das Eheleben christlich gepräg- ter Eheleute aus ethischer Sicht beschreiben (siehe Kapitel 4.3). 23 herabziehen kann. Diese Bedeutung reicht, wenn auch facettenreich, bis in die Neuzeit hinein (Schöpf 2006:822). Eros ist auch der Name des griechischen Gottes der Liebe und bedeutet „Liebesverlan- gen“ (Duden 1989:419) bzw. „in jemand verliebt sein“ (Konstan 1999:1465) oder die sinnli- che Liebe, die körperliche und geistig-seelische Bereiche in all ihren Erscheinungsformen umfasst. Damit wird die sehnsuchtsvolle, (ästhetisch-)sinnliche Anziehung beschrieben, wel- che ein Prinzip der geschlechtlichen Liebe ist, aber es meint auch (verhüllende) Sexualität (Duden 1989:419).53 Dabei geht es um intensive Zuneigung oder intensives Begehren. Für die Griechen und die antike Welt war Eros „Liebe als Wunsch, Sehnsucht oder Appetit“, welche hervorgerufen wurden durch „die attraktiven Eigenschaften des Objekts des Wunsches – sei es nun Ehre, Anerkennung, Wahrheit, Gerechtigkeit, Schönheit, Liebe oder Gott“ (Guinness 2000:22). Man sehnt sich nach Liebe. Sehnsucht und Liebe werden auf ein Objekt gerichtet, „durch dessen Besitz man erwartet, glücklich gemacht zu werden“ (:22). Eros kann die Leidenschaft für Belebtes oder Unbelebtes ausdrücken, wird von Schön- heit inspiriert und kann plötzlich, mit unwiderstehlich zuschlagender Gewalt hereinbrechen. Dabei wird Eros normalerweise mit erotischer Liebe oder Erregung in Verbindung gebracht, bei der eine sexuelle Komponente vorhanden ist. Häufig bezeichnet Eros die Leidenschaft eines männlich liebenden für eine Frau54 oder, wenn auch weniger häufig, die einer Frau für einen Mann. Normalerweise ist Eros nicht gebräuchlich für die Liebe zwischen Eheleuten (Konstan 1999:1465). Umgangssprachlich wird in Deutschland heute Erotik oft gleichbedeutend mit Sexuali- tät gesetzt. Dabei werden Erotik und Pornographie voneinander abgrenzt, da Pornographie allein auf die Befriedigung des Sexualtriebs ausgerichtet ist. Nach Duden (1989:420) be- schreibt das Substantiv Erotik den geistig-seelischen Bereich der Liebe, die mehr atmosphä- risch wahrgenommen wird und nicht bloße Sexualität ist. Zu ihr gehören auch die Liebeskunst mit vergeistigtem Liebes- und Geschlechtsleben, sowie die Sinnlichkeit und die Liebeslehre (Wahrig 1986:432). Erotik kann in einer Beziehung zum anderen Geschlecht hin beschrieben werden, aber sie kann auch als Homoerotik und als Autoerotik vorkommen (Hunold 2006:823). Dann dient sie der Lust am eigenen Selbst (Psychology48:Autoerotik).55 53 Eine weitere Bedeutung hat eros in der Philosophie und in der Pädagogik. In der Philosophie wird damit der „Drang nach philosophischer Erkenntnis durch Aufschwung von der Sinnwelt zur wahren Ideenwelt“ beschrie- ben (Duden 1989:419; vgl. Wahrig 1986:432). In der Pädagogik wird damit das Verhältnis zwischen Erzieher und Schüler in beherrschend geistig-seelischer Liebe bezeichnet (Duden 1989:419). 54 Ebenso wird die Leidenschaft eines Mannes zu einem Knaben mit Eros bezeichnet (Konstan 1999:1465). 55 Von Autoerotik wird auch gesprochen, wenn es tatsächlich um Erotik mit dem Auto geht. Dabei nimmt der Mann den männlichen Part und das Auto den weiblichen Part ein (stupidedia 2013). 24 Mit dem Adjektiv erotisch (im 18. Jahrhundert aus dem Französischen érotique ins Deutsche übernommen) wird umschrieben, was die Liebe in ihrer ästhetisch-sinnlichen An- ziehungskraft ausmacht und es betrifft Beziehungen, Erlebnisse oder auch Konflikte (Duden 1989:420). Erotisches betrifft und beinhaltet Erotik, nimmt auf sie Bezug bzw. beruht auf ihr. Das Geschlechts- und Liebesleben wird durch Erotisches betont oder angereizt (Wahrig 1986:432). Zwischen den Adjektiven „erotisch“ und „erotisiert“ gibt es einen kleinen Bedeutungs- unterschied. Erotisiert wird, was aktiv erotisch gemacht wurde. Erotisch beschreibt eine Ei- genschaft. Um erotisiert zu sein, bedarf es vorher einer Handlung. Erotisiert wurde etwas oder jemand, wenn durch (ästhetische) Reize sinnliches Verlangen geweckt wurde. Das kann durch Filme, Gegenstände oder Musik genauso geschehen wie durch Menschen. Manchmal werden dabei alltägliche Dinge, Lebensbereiche oder Beziehungen auf das Gebiet der Erotik verlagert und mit erotischen Inhalten gefüllt. Erotisiertes kann Erotik hervorrufen, verlagert etwas mit erotischem Inhalt auf das Gebiet der Erotik. Die entsprechenden Substantive sind Erotisierung und das Erotisieren. (Wahrig 1986:432, Duden 1989:420; Müller 1997:224; Hunold 2006:822-823). Erotisierung kann auf verschiedenen Wegen stattfinden. Zum einen geschieht sie, wenn Menschen unterschiedlicher Geschlechtszugehörigkeit Gefühle füreinander entwickeln, was manchmal zum Schaden einer bereits vorhandenen Ehe ist. Dann entwickelt sich die Erotisie- rung häufig zuerst im Verborgenen weiter. Zum anderen kommt es vor, dass die Erotisierung in Form einer Übertragung stattfindet. Dann sind es nicht die zweigeschlechtlichen Menschen, von denen die Erotisierung ausgeht, sondern sie geht von einem eifersüchtigen Ehepartner oder einem kontrollierenden Umfeld aus.56 In diesem Fall muss überprüft werden, ob die Beziehung tatsächlich erotisch ist, oder ob sie ausschließlich von außen erotisiert wird. Eifersucht alleine ist noch kein Indiz für eine tatsächliche Erotisierung der Beziehung. Manchmal wird eine Person erotisiert, weil sie at- traktiv, erotisch oder anziehend auf eine andersgeschlechtliche Person wirkt. 2.1.2. Erotik in der Theologie Um die Erotik in der Theologie zu beschreiben, greife ich auf Theologen aus verschiedenen Disziplinen (Altes Testament und Systematiker) zurück und stelle deren Ergebnisse zusam- men dar, weil sie sich auf den gleichen Text beziehen. 56 Siehe wiederum Anlage 4. 25 Im Alten Testament werden die Bilder des Erotischen auch zur Vermittlung der „leibli- chen-zuwendenden Grundgestalt des Gott-Mensch-Verhältnisses“ (Hunold 2006:824) (im Hohelied, Hosea) verwandt. Aber es wird auch die Beziehungsintensität und Dynamik der Erotik zwischen Frau und Mann formuliert, die im Folgenden aus der Theologie heraus ver- standen werden soll. Jacob ([1934] 2000:100) trennt die Gott geschaffene Verschiedenheit der Geschlechter und die Liebe zwischen Mann und Frau voneinander. Die Verschiedenheit der Geschlechter sei eine von Gott geschaffene Schöpfungsordnung, die Liebe zwischen Mann und Frau stam- me aus ihnen selbst. Die Liebe werde von der Tora gebilligt und der Schöpfungsordnung gleichgestellt. Gott stiftete die Ehe, da er Mann und Frau schuf. Dass sie ein Fleisch werden sollen (Genesis 2,24), verstärkt Gottes Ehestiftung. Eheliches Beiwohnen hat bereits im Para- dies stattgefunden, denn dazu sind Mann und Weib geschaffen worden. „D i e S e x u a l i t ä t d e s M e n s c h e n i s t i m m e r i r g e n d w i e e r o t i s c h“ (Brunner 1937:358).57 Sie bestimmt das seelische und geistige Wesen des Mannes und der Frau mit. Nach von Rad (1992:163) ist der urgewaltige Drang der Geschlechter zueinander vor dem Auftrag Gottes an die Menschen verankert, fruchtbar zu sein, sich zu mehren und die Erde zu füllen. Weil die Frau aus einem Seitenteil des Mannes entnommen und geformt wur- de (Bielefeldt 2007:41-50), liegt in der sexuellen Begegnung die Sehnsucht von Frau und Mann wieder zu „einem Fleisch“ zu werden. Daher ist die „Macht des Eros“ (von Rad 1992:163) eine dem Menschen vom Schöpfer selbst bei der Schöpfung gestifteter Drang. Deshalb ist in der Geschlechtsbeziehung von Mann und Frau die „Würde des höchsten ge- schöpflichen Wunders und Geheimnisses“ (:163) enthalten. Bonhoeffer (1958:108) schreibt von der Sexualität als Sucht, die er „Lust der Sucht“ nennt. Die Gemeinschaft der Liebe sei durch die Sexualität gänzlich zerrissen und zur Sucht geworden. Der Mensch bejahe sich selbst und verneine den anderen als Geschöpf Gottes. Se- xualität sei gerade nicht die Verherrlichung des Schöpfers (:77). Wo Liebe zerstört ist, will der Mensch nur noch besitzen, ist grenzenlos und will vernichten (:74). Für Bonhoeffer (:98- 109) findet die Sucht des Menschen nach dem anderen Menschen ihren ursprünglichen Aus- druck in der Sexualität. In ihr überschreite der Mensch seine Grenze – mit dem Willen in maßloser Sucht grenzenlos sein zu wollen. Sexualität ist für ihn „leidenschaftlicher Haß jeder Grenze“ (:99), Unsachlichkeit im höchsten Ausmaß, Ichwille, süchtiger, ohnmächtiger Wille 57 Hervorhebung in Brunner (1937:358). 26 zur Einheit in einer entzweiten Welt. „Sexualität will die Vernichtung des anderen Menschen als Geschöpf, raubt ihm seine Geschöpflichkeit“ (:100), sie vergreife sich an seinen Grenzen und hasse Gnade. In der Vernichtung des Anderen solle das eigene Leben erhalten bleiben und sich fortpflanzen. Außerhalb des Paradieses bewähren sich die dem Tod verfallenen Men- schen dann in ihrer neuen Gemeinschaft auf neue Weise. Sie werden die stolzen Schöpfer neuen Lebens, aber dieses neue Leben ist in „der süchtigen Gemeinschaft der Menschen und des Todes geschaffen“ (:119). Zimmerli (1967:145) betont, dass der Mensch in seiner Ganzheit zur Ehe hin angelegt ist und daher werde auch ganz nüchtern von der körperlichen Einheit gesprochen (:146). Da der Bibel rein naturalistische Verständnisse aber fremd seien, werde die Ehebeziehung geadelt in ihrer Bindung an Gott (:146). Die Frau sei dem Manne so köstlich, dass er für sie sogar die Sippe verlasse (:147). Im alttestamentlichen Sinn kommt „erkennen“ erst da zu seiner vollen Entfaltung, „wo die ganze Person mit ihrem Willen und ihrem Fühlen dabei ist“ (:206). „Der Akt, dass Mann und Frau auch leiblich miteinander eins werden, ist der Akt des gegenseitigen »Erkennens« von Mann und Frau“ (:206). Daher sei es befremdlich, Leib und Geist auseinan- der zu reißen. Die Ganzheitlichkeit des Menschen sei von der Bibel her ohne Anstoß. Für Thielicke (1966:155-157) liegt im biblischen „Erkennen“ (vgl. Genesis 4,1; 19,8) mehr als objektivierendes Erkennen, das von außen her sehen will. Die Bibel sieht „Erkennen“ von innen her. Erst im Vollzug wird klar, wie „Erkennen“ ist.58 „So gewiß in der Hülle der Ge- schlechtlichkeit das Geheimnis der Person liegt, so gewiß kommt diese Person eben erst in der Geschlechtlichkeit zu sich selbst und wird auch Gegenstand ihrer Selbsterkenntnis“ (:67). Dieses Zu-sich-selbst-Kommen findet in der erotischen Begegnung und in der Agape- Begegnung statt. Nach Barth (1969:144) leben Mann und Frau ihr physisches Geschlechtsle- ben „irgendwo in der Ganzheit ihres Seins“. Der Sexualtrieb gewinnt seine „volle Kraft und Eigenart“, weil er mit „unauflöslicher Einheit mit der Liebe und mit dem geistigen Element der sittlichen Aufgabe“ in das „Ganze der Persönlichkeit aufgenommen wird“. Durch diese „Vereinigung vollzieht sich der Aufschwung der Sexualität des bloßen Lebewesens zur Ge- schlechtlichkeit des Menschen“ (:151). Piper (1954:41) legt fünf Gedanken für das biblische Verständnis von Geschlechtlich- keit zu Grunde: Erstens die durch die geschlechtliche Begegnung unauflösliche Einheit mit dem Partner, zweitens die Geschlechtlichkeit als Urerlebnis, dessen Rechtfertigung durch 58 Thielicke (1966:155-157) vergleicht hier „Erkennen“ mit „Tod“. Ein Mensch kann viel über Tod und Sterben lernen und wissen. Dennoch: erst im eigenen Sterben können wir wissen wie es ist. Das gilt auch für das „Erken- nen“. 27 Fortpflanzung nicht nötig ist, drittens wird durch das Geschlechtsleben Erkenntnis über das „Mysterium“ der eigenen geschlechtlichen Bestimmung erlangt, viertens die Vollendung der Geschlechtlichkeit durch gläubige Liebe und fünftens setzt Gott selbst geschlechtliches Leben als Gleichnis für die Kirche ein. Daher ist der Sinn des geschlechtlichen Lebens nicht alleine in seiner leiblichen Funktion zu sehen. „In der Bibel wird die Geschlechtlichkeit als eine Funktion des Leibes angesehen, nämlich des Ichs in seiner konkreten Ganzheit. … Als Funk- tion des Leibes steht daher das Geschlechtliche dem Lebensverlangen, der Todesfurcht und der Selbsthingabe nahe“ (:42). Piper (:43) trennt zwischen „Sexualvorgängen im engeren Sin- ne und der Geschlechtlichkeit“. Die Art, wie Geschlechtlichkeit erlebt und gestaltet wird, ist weitgehend unabhängig von den individuellen Funktionen der Sexualvorgänge. „Nicht das Fleisch, als die Geschlechtsorgane oder Drüsen, haben geschlechtliches Verlangen, sondern das Ich“. Beim Menschen tritt der Wunsch nach Geschlechtlichkeit als lustbetontes Verlangen nach einem anderen Menschen auf. Das weibliche Verlangen nach Fortpflanzung sieht Piper durch die Gebärfähigkeit und den Wunsch, die eigene Leibesfrucht liebend aufzuziehen, be- gründet (:58). Nach Piper (:62) ist der männliche Wunsch nach der Gefährtin bis heute die treibende Kraft, wenn er „Eva“ zu erkennen sucht. Sexuelle Erregung entstehe durch das Zei- gen bisher verhüllter oder bedeckter Köperteile (:67). Die geschlechtliche Begegnung gibt dem Mann ein Ziel für seine Männlichkeit und der Frau einen Inhalt für ihre Weiblichkeit (:75). Die Frau wird als Frau in drei Funktionen durch die geschlechtliche Begegnung befä- higt: als Liebende, als Gefährtin, als Gebärende. Der Mann wird durch den Geschlechtsakt als Mann befähigt: zum Liebhaber, Gefährten und Zeugenden (:76). Für van Oorschot (2000:29) gehören „Erotik und Sexualität … zur Gestaltwerdung des in der Gottesbeziehung grundgelegten Mensch-seins“. Da der Semit nicht geteilt, sondern synthetisch denkt, meint auch „ein Fleisch werden“ (Genesis 2,24) mehr als den Geschlechts- verkehr. Bei der Vereinigung von Mann und Frau schwingen der Wille, ungeteilten Herzens auch für den „Wirtschaftsbetrieb Familie gerade zu stehen“ (:29), mit. Ebenso drückt sich darin die gemeinsame Sehnsucht nach Leben aus. Während van Oorschot in Genesis 2,24 neben der Sexualität die Sehnsucht nach Fortpflanzung und sogar den Wirtschaftsbetrieb Fa- milie sieht, ist Genesis 2,24 für Karle (2006:212) vor allem auf Sexualität bezogen. Für sie ist die hier angesprochene Sexualität erst einmal um ihrer selbst willen geschaffen und nicht so- fort und unmittelbar auf Fortpflanzung bezogen. Nach van Oorschot (2000:29-31) ist für den antiken Menschen Sexualität eine Grenz- erfahrung. Höchste Lust steht direkt neben dem drohenden Verlust von Selbstkontrolle. Der 28 Orgasmus werde mit dem unkontrollierten Erregungszustand eines Epileptikers verglichen (:30). Beim Umgang mit der Geschlechtlichkeit geht es immer um die Würde des Menschen – theologisch gesprochen um seine Gottebenbildlichkeit. Jacob, Barth, Piper, Zimmerli, Westermann und van Oorschot betonen die Einheit von Geist und Körper, die Frauen und Männer durch die Erotik zueinander hin führt. Dabei unter- scheiden sie sich in Facetten. Jacob trennt das Geschlecht als Schöpfung Gottes von Liebe als menschliche Schöpfung. Für Barth gewinnt der Sexualtrieb erst in der Liebe seine Gestalt. Van Oorschot lässt sich etwas mehr auf die körperliche Ebene ein und schreibt einige Zeilen zum Orgasmus. Wesentlich unterscheiden sich die Ausführungen von von Rad und Bonhoef- fer. Der Beginn des mächtigen Zueinander-hingezogen-Seins ist für von Rad schon im Schöp- fungsakt der Frau verankert. Die Menschen erkennen ihre Geschlechtlichkeit auch im Anderssein. Nach dem Theo- logen und Psychoanalytiker Schellenbaum (2001:90) kommen Menschen in den bekannten Zügen des Partners in Kontakt mit ihren eigenen unbekannten Möglichkeiten. Der Mann wird wie ein Spiegel für die Frau (vgl. Buber 2006:15,32; vgl. Bovet 1951:21). Wenn auch Buber hier nicht speziell von Männern und Frauen, sondern von Menschen im Allgemeinen schreibt, so meine ich dennoch, dass die Ausführungen Bubers dem „Erkennen“, wie man es sich vor- stellen und erst im Vollzug wissen kann, nahe kommen. Gott schuf Frau und Mann. Und in dieser Verschiedenheit liegt auch ein Reiz. In Gene- sis 1,27 werden die Menschen aufgefordert fruchtbar zu sein, sich zu vermehren und die Erde zu füllen. Diese Aufforderung Gottes ist dann notwendig, wenn es eine Wahlmöglichkeit dazu gibt.59 Gott delegiert die Aufgabe die Erde zu füllen an die Menschen. Adam und Eva sollen sich sexuell vereinen und Nachkommen haben. Der Vollzug von Sexualität war demnach bei der Schöpfung des Menschen mit eingeplant. Demzufolge hat Gott Anziehungskraft, Erotik und Sexualität gestiftet, als er Frau und Mann in ihrem jeweiligen Geschlecht erschuf. Der urgewaltige Drang der Geschlechter zueinander könnte auch darauf begründet sein, dass die Frau aus der Seite des Mannes gebildet wurde und beide im Sexualakt wieder zu einem Fleisch werden, was sich sichtbar in einem gezeugten Kind zeigen würde (von Rad 1992:163). Da Gott bei der Schöpfung von Sexualität auch die Orgasmusfähigkeit organisch anleg- te, sind auch die dazu gehörigen intensiven Gefühle von Gott gewollt. Ein Partner soll den 59 So beauftragt Gott die Menschen auch, die Erde zu füllen (Genesis 1,28). Nach der Sintflut kamen die Men- schen diesem Auftrag nicht nach, denn sie zogen gemeinsam nach Osten (Genesis 11,2). Dort wollten sie sich durch den Bau eines Turmes einen Namen machen (V4). In der Folge des Turmbaus zu Babel zerstreute Gott sie in alle Länder (V8-9). 29 anderen anziehend finden und freudig auf ihn zugehen können. Beim sexuellen Akt sind ge- rade die Organe besonders beteiligt, die bei Mann und Frau verschieden sind (Bovet 1981:9). Damit geht die Geschlechtsbeziehung von Frau und Mann deutlich über die der Tiere (wie in einem Wunder und Geheimnis) hinaus. Nachdem Gott die Frau gemacht hat, wird sie von dem Menschen überaus freudig begrüßt. Schon im Paradies wurde aus Mann und Frau ein Fleisch. Inniger als „eins werden“ kann menschliche Gemeinschaft nicht sein. Da der Mensch nie und nirgends als Mensch an sich existiert, sondern immer und überall als Mann oder Frau, ist Menschsein auch nur in der Polarität der Geschlechter zu begreifen. Damit sind die Geschlechtlichkeit eines Menschen, und damit auch seine Erotik, erst einmal unabhängig von der Ehe und vom aktiven Sexualle- ben zu begreifen. Allerdings braucht Anziehungskraft und Erotik immer Andersartigkeit, wie sie in der Frau-Mann-Konstellation vorliegt. Für Bonhoeffer (1958:74) ist das Einswerden und doch „Zwei bleiben“ von Adam und Eva die ihnen von Gott gesetzte Grenze durch den anderen Menschen. Der andere Mensch soll geliebt werden und dessen Grenze soll nicht überschritten werden. Ein Leib werden heißt in „der Liebe einander gehören“ (:74). Die „Geschlechtlichkeit ist nichts als die letztmögliche Verwirklichung des Einandergehörens, … die den Schöpfer verherrlichende, anbetende Ge- meinschaft der Liebe“ (:76). Bonhoeffers Ausführungen münden in einer Allegorie, denn hier sei die Kirche in ihrer ursprünglichen Gestalt gemeint60 (vgl. Dudzus 1963:84-86). Er sieht in Genesis 2,24 („Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden ein Fleisch sein.“) außerdem ein „Stolpern des Erzählers“ (:75), da Adam weder Vater noch Mutter hatte. Der Ausdruck Einssein in Vers 24 meine bei- des, „Einzelnersein“ und das „Einandergehören mit dem Anderen“ (:76). Für Bonhoeffer be- deutet „ein Leib werden“ in Liebe einander gehören. Wenn er sich dann zur Sexualität äußert, ändert sich sein Tenor: Sie zerstöre Liebe, sei leidenschaftlicher Hass, der den anderen zerstö- ren will. Offen bleibt, ab welchen Zeitpunkt Bonhoeffer die Veränderungen zwischen Liebe und Sexualität ansiedelt und damit bleibt auch offen, welchen Einfluss die Erotisierung hat. 2.1.3. Ergebnis und Definition Die Erotisierung einer Beziehung geschieht, wenn diese von jemand als erotisch interpretiert wird. Es bedarf dazu eines aktiven Handelns von Personen. Etwas wird erotisch gemacht, gleichgültig, ob die Beziehung bereits einen erotischen Charakter hat oder nicht. Manchmal 60 Darum ist für ihn „gerade die kirchliche Handlung der Trauung vielleicht die fragwürdigste aller kirchlichen Amtshandlungen“ (Bonhoeffer 1958:76-77). 30 fühlen sich zwei Menschen erotisiert und zueinander hingezogen, manchmal erotisiert ein Mensch Beziehungen einseitig und manchmal kann eine dritte Person eine Beziehung eroti- sieren, obwohl die betroffenen Personen selbst keine erotischen Gefühle füreinander hegen. Die Verschiedenheit von Frau und Mann scheint ein wesentlicher Bestandteil der Erotik zu sein: 1. Die Unterschiedlichkeit von Frau und Mann bietet eine Basis an, sich selbst in der eigenen Geschlechtlichkeit als Frau oder Mann wahr zu nehmen. Im Anderen wird es möglich, sich selbst in Eros und Agape zu finden. 2. Das Ziel Weiblichkeit und Männlichkeit ausleben zu können scheint in einer sich an- bahnenden Erotisierung in vorausschauender Erfüllung attraktiv. 3. Die Sehnsucht nach einem sexuellen Akt kann verstanden werden als ein „urgewalti- ger Drang“ sich selbst wieder herstellen zu wollen. 4. Die Erotisierung einer Begegnung kommt in erster Linie aus dem Ich und nicht aus den Organen. 5. Gott stiftet die Erotik, Menschen erotisieren einander. Da die Worte „erotisieren“ oder „Erotisierung“ im Deutschen nicht häufig vorkommen und sich von „erotisch“ und „Erotik“ unterscheiden, werden sie im Folgenden für diese Arbeit definiert. Definition: Eine Erotisierung setzt aktives Handeln voraus und geschieht, wenn jemand in etwas oder in jemanden Erotik hineininterpretiert. Dies kann sich auf Beziehungen, Aktionen, Situationen oder auch Personen beziehen. 2.2. Beziehungsgeflecht Ebenso wie das Wort erotisch kommt das Wort Beziehungsgeflecht im Wortschatz der Deut- schen vor. Aber auch hier werden eher „gedachte“, persönliche Interpretationen laut, obwohl die Worte „Beziehung“ und „Geflecht“ jedem vertraut sind. Die in der deutschen Sprache mögliche Zusammensetzung von Substantiven kann aber manchmal, wie eben beim Wort „Beziehungsgeflecht“, dazu beitragen, dass die Wortbedeutung unscharf wird. Daher wird im ersten Kapitelteil das Wort von seiner Wortbedeutung her aufgearbeitet. Im zweiten Teil wird untersucht, wie das Beziehungsgeflecht in der gegenwärtigen Missionssituation, im Rahmen der in der AEM zusammengeschlossenen Missionsgesellschaften, beschrieben wird, um im Fokus dieser Arbeit zu bleiben. 31 2.2.1. „Beziehungsgeflecht“ – Wortbedeutung Das aus den Worten Beziehung und Geflecht zusammengesetzte Substantiv wird in der Online Enzyklopädie (2013) folgendermaßen vorgestellt: Erstens versteht man darunter die „Gesamt- heit von Wechselbeziehungen zwischen Menschen, innerhalb von Gruppen, Organisationen, Verbänden“ und zweitens „undurchschaubare Verbindungen“, die auch zwischen Behörden, Ingenieuren, Landratsämtern, Bürgermeistern oder Firmen möglich sind. Genährt werden Beziehungsgeflechte durch bestimmte soziale Vorstellungen bezüglich der Nützlichkeit und Effizienz, durch eine Ideologie und/oder Ansicht (Linguee 2013). Das Substantiv Beziehung wird vom Verbstamm beziehen abgeleitet. Ein Gegenwort ist trennen. Hinter dem Wort Beziehung können sich auch Verbindung, Beziehungen haben, Verbindungen haben, Lebensgemeinschaft, Verhältnis, freundschaftliche Beziehung, Kontakt anbahnen oder herstellen oder Vetternwirtschaft verbergen (Müller 1997:130). Im alltäglichen Gebrauch werden so bestimmte Relationen zwischen verschiedenen Objekten und Individuen in Beziehung gesetzt. Dabei geht es um das Verhältnis von Menschen und Organisationen, um wechselseitige Verhältnisse zwischen beliebigen Objekten und Partnerschaften zwischen zwei oder mehreren Menschen. Synonym werden gesellschaftlich auch soziale Beziehung, Partnerschaft, Liebesbezie- hung, Freundschaft und Gemeinschaft gebraucht oder auch Verbindungen, Verhältnis, Relati- on, Bezug, Zusammenhang, Kontext und Liebschaft (Wiktionary 2013). In der Wirtschaft geht es um Customer-Relationship-Management, Geschäfts-, Arbeits-, Handels-, Wechsel- oder Lieferantenbeziehungen. Weitere Unterbegriffe sind Fern- und Liebesbeziehung. Als ein Geflecht bezeichnet man ein Produkt, das durch das Ineinanderschlingen (flech- ten) mehrerer Stränge aus biegsamem Material entsteht. Im übertragenen Sinne kann daher auch von Verflechtungen von Interessen oder Bindungen gesprochen werden. Es entsteht ein Flechtwerk, ein verflochtenes, dichtes Netz. Synonym kann auch von Gewebe, Maschenwerk oder Netzwerk gesprochen werden (siehe auch Müller 1997:286). Das Wort entstand im 15. Jahrhundert als Bezeichnung für eine Kollektivbildung zur Flechte (mittelhochdeutsch: vlehte = Flechtwerk, Geflochtenes) (Duden 2013:Geflecht; Duden 2013:Flechte). Es geht also im Beziehungsgeflecht im Rahmen dieser Arbeit um eine Verwebung von Kontakten, um ein Netz von Verbindungen, um ein Gewebe innerhalb einer Lebensgemein- schaft. 2.2.2. Beziehungsgeflechte in der Mission Häufig sind die Beziehungsgeflechte in Missionssituationen Arbeits- und Lebensgemein- schaften inmitten eines fremden Landes, mit einer fremden Sprache in einer fremden Kultur. 32 Vieles Bekanntes ist verloren gegangen. Die erwachsenen Missionare sind zu Unwissenden degradiert (dem sie zuerst freiwillig zugestimmt haben, was aber dann zur echten Belastung werden kann) und müssen ganz alltägliche Lebensvorgänge neu lernen. Über diese Basis hin- aus, werden die besonderen Lebensbedingungen im Beziehungsgeflecht im Folgenden darge- stellt. Die Missionare finden sich auf dem Missionsfeld häufig in einem eingeengten Umfeld mit Mitmissionaren wieder, die als Kollegen und Kolleginnen eher willkürlich zusammenge- stellt sind und die sie sich so nicht unbedingt für einen Freundeskreis ausgesucht hätten. Um das heutige Beziehungsgeflecht in evangelikalen Missionssituationen zu erfassen, wird im Folgenden die gegenwärtige, missiologische, evangelikale Literatur zu Grunde ge- legt, denn das Beziehungsgeflecht der Missionare hat sich verändert und ist komplizierter geworden. Das zeigt sich auch darin, dass der häufigste Grund für vorzeitiges Heimkehren im Scheitern zwischenmenschlicher Beziehungen liegt (Scheunemann 2003:32). Deutsche Missionare sind zwar meistens von einer deutschen Missionsgesellschaft aus- gesandt, aber ihr Beziehungsgeflecht auf der zwischenmenschlichen und Mitarbeiterebene ist multinational. Das Lebensumfeld in der Missionsgemeinschaft ist christlich und daher oft durch hohe Ideale geprägt, darüber hinaus leben die Missionare häufig in einem nichtchristli- chen Umfeld. Auch wenn die persönliche Beziehung zu Gott und die Orientierung an Gottes Wort für den Umgang der Missionare miteinander hilfreich sind, werden die christlichen Wer- te immer wieder von den individuellen Eigenarten, Denkweisen, Möglichkeiten und Verlet- zungen geprägt sein. Um sich in der Mission weiterentwickeln und leben zu können, bedarf es „einer tiefen Willigkeit, voneinander zu lernen, kultureller Verstehenshilfen und viel prakti- zierter Vergebung“ (:32), die wiederum bei allen Missionaren vorhanden sein sollte. Die Zusammenarbeit kann dabei stark von einer einheimischen Missionsgesellschaft und/oder einer dritten Kultur geprägt sein. In der konkreten Arbeit arbeiten Missionare mit jungen und/oder reifen Christen und/oder einheimischen, nichtchristlichen Projektmitarbeitern zusammen und unterstehen zumeist einem Feldleiter aus der sendenden Missionsgesellschaft. Durch die Kooperation mit einheimischen oder anderen Missionsgesellschaften unterstehen sie auch der Leitung eines einheimischen (Kirchen-)Leiters oder der Leitung eines Leiters einer Partnermission aus einer dritten Kultur. Gleichzeitig gibt es Beziehungen zur Missions- leitung der sendenden Missionsgesellschaft und heute auch vermehrt den direkten Kontakt zur Leitung der Heimatgemeinde (:32) oder zum Freundeskreis, die alle in beachtlicher räumli- cher Distanz sind (Brandl 2003:48) und Erwartungen an die Missionare haben – besonders wenn deren Heimataufenthalt bevorsteht (Tröger 2003:56). 33 Weitere Spannungsfelder können für die Missionare durch die Beziehungsgeflechte zwischen der Leitung der Missionsgesellschaft und den sendenden Heimatgemeinden, dem Freundeskreis der Mission, des Missionars und der Feldleitung bestehen. Diese können durchaus sehr verschieden sein. Aber es sind auch Spannungen zwischen der Feldleitung, der Missionarsgemeinschaft, der einheimischen Kirche und der Kultur des Gastlandes möglich (Brandl 2003:49, Müller 2009:49). Dabei sind der Einfluss und die Macht der einheimischen Mission oder der Missionsgesellschaft eines Drittlandes und deren kulturell geprägten Erwar- tungen nicht zu unterschätzen. Sie bilden daher oft ein weiteres Spannungsfeld. Hierbei tref- fen in den meisten Fällen zusätzlich auch noch unterschiedliche Erwartungen an Leiterschaft aufeinander (siehe dazu 5.1). Das Beziehungsgeflecht heutiger Missionare und Missionarinnen ist also eher eine un- überschaubare Verflechtung mit vielen Möglichkeiten zu Missverständnissen und Verwirrun- gen, in der die Missionare ihren Alltag gestalten müssen.61 Gleichzeitig wird diese praktische Form weltweiter Gemeinschaft auch als im Ein- klang mit dem Willen Jesu angenommen. Daher sind alte und junge Missionare bereit, sich weiterzubilden. Das Beziehungsgeflecht soll nicht frustrierend und entmutigend sein, sondern als Bereicherung für die Person und die gemeinsame Tätigkeit erlebt und gestaltet werden (Scheunemann 2003:32). 2.2.3. Ergebnis Beziehungsgeflechte sind also menschliche Verbindungen (Beziehungen) und deren Bezie- hungsprodukt (Geflecht), in dem mehrere Beziehungsstränge ineinander verflochten sind. Missionar/-innen sind untereinander, in der Gastkultur, innerhalb der Missionsgesellschaft und mit der sendenden Gemeinde und/oder einem Freundeskreis verwoben. Dabei müssen häufig Hierarchien und unterschiedliche kulturelle Hintergründe berücksichtigt werden. In einem solchen Beziehungsgeflecht gilt es zu leben und zu arbeiten. Das ist heraus- fordernd. Daher ist es gut, wenn dies zuerst angenommen wird um dann gestaltet werden zu können. Allerdings ist zu erwarten, dass das Beziehungsgeflecht alleine schon viel Energie der Missionar/-innen verschlingt. Störungen, wie Erotisierungen, werden das Beziehungsge- flecht beeinflussen und/oder belasten. 61 Allerding sei auch darauf hingewiesen, dass viele Beziehungen im Geflecht für die Missionare hilfreich gestal- tet werden (Tröger 2003:57). 34 Da in dieser Arbeit die Erotisierung zwischen Männern und Frauen untersucht werden soll, werden im folgenden Kapitel Feminismus und Gender-Mainstreaming beschrieben. Dies dient einerseits dazu aufzuzeigen, dass diese Entwicklungen wahrgenommen und verstanden wur- den. Dazu werden die verschiedenen Positionen innerhalb der Gender-Mainstreaming- Forschung und die Entwicklung des Feminismus dargestellt. Dabei ist es von Interesse, die dazugehörige Theologie zu betrachten damit andererseits mögliche Defizite im Missionskon- text erkannt werden können. 35 3. Feminismus und Gender Wer über Beziehungsgeflechte zwischen Frauen und Männern schreibt, sollte die aktuellen Gender-Mainstreaming-Diskussionen kennen, bzw. sich der Genderideologie stellen können. Das ist erst recht wichtig, da die in dieser Arbeit aufgezeigte Theorie zum Frau- und Mann- sein nicht oder nur ansatzweise zum aktuellen Mainstream passt. Es ist auch deshalb notwendig, weil die Genderideologie über die von Gender- Mainstreaming anvisierte Gleichstellung von Frauen und Männern hinausgeht. Die Vermi- schung zu Grunde liegender Ideologien mit dem politischen Ziel der Gleichwertigkeit wird in einem ersten Teil dieses Kapitels durch eine kurze, überblickartige Darstellung zur geschicht- lichen Entwicklung bis hin zu Facetten der Gegenwart wiedergegeben. Dabei wird auch die Inhomogenität und Emotionalität der Debatte dargestellt. Ziel ist es aufzuzeigen, dass die aktuelle Diskussion wahrgenommen wurde und vertraut ist. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei feministischen Ansätzen und der Gendertheorie um sich schnell verändernde und verästelte Richtungen handelt, die sich teilweise wiedersprechen. „Den Feminismus“ und „die Gendertheorie“ gibt es nicht. Das führt in der Darstellung der für diese Arbeit notwendigen Untersuchung zu Verkürzungen und Vereinfachungen, außerdem ist diese Untersuchung nur als Momentaufnahme zu sehen, denn die Entwicklung schreitet kontinuierlich, wie auf einer Überholspur, fort. Die Fülle62 der feministischen nationalen und internationalen Literatur sowie die stetig fortschreitenden Veröffentlichungen zu Gender-Mainstreaming-Theorie63 machen es jedoch nahezu unmöglich, innerhalb dieser Arbeit eine ausführliche Diskussion anzustreben. Das Ziel dieser Arbeit ist, das Beziehungsgeflecht der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Mis- sionarinnen und Missionaren zu verstehen. Die Forschungsergebnisse aus dem Feminismus und der Gender-Mainstreaming-Theorie sind dabei nicht irrelevant, müssen aber im Zusam- menhang mit dem Fokus dieser Arbeit eher rudimentär bleiben. Weil in der Genderideologie Körperlichkeit Gestaltungsraum wurde, kann auch die bio- logische Festlegung hinterfragt werden. Sie zeigt sich in unterschiedlichen Formen, wie die folgenden Zitate zeigen: Angekommen im neuen Jahrtausend, geht es nicht mehr um den Dualismus des Geistes von der Natur, von seiner eigenen Leiblichkeit und körperlichen Bedingt- 62 So stieß ich z. B. erst nach der Abgabe dieser Arbeit zur Begutachtung auf Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien (Von Braun & Stephan 2009). 63 Nachdem die Arbeit zur Begutachtung eingereicht war, erschien z. B. ein englischsprachiges Handbuch zur feministischen Theorie (Evans u. a. 2014). Daher konnte es nicht berücksichtigt werden. 36 heit, sondern dessen Gegensatzpaar ist aufgelöst, der Köper selbst steht zur Dispo- sition. Der postmoderne Verlust der Grenzen zwischen innen und außen, belebt und unbelebt, männlich und weiblich, Geist und Körper kulminiert im Verlust der Grenze zwischen Körperpräsentation und Körperwirklichkeit … Menschliche Körper fungieren als bloße Kunstobjekte …, sie bilden lebendige Skulpturen, ein bewegliches Ereignisfeld oder sind überhaupt nur `undifferenziertes Fleisch´. Sampson in Gerl-Falkovitz 2009:163 Der Körper als kulturelles Artefakt verliert seine Starre wie Stabilität, die Idee ei- nes sozialen Konstruktes wird wörtlich genommen und verwandelt sich in die Forderung, die eigene Existenz nicht mehr von der vorgefunden Kontingenz des zughörigen Körpers abhängig zu machen, sondern im selbstbewussten Entwurf neu zu gestalten und immer wieder neu zu inszenieren. Ludwig in Gerl-Falkovitz 2009:163-164 Im zweiten Teil wird die aktuelle theologische Diskussion, ebenfalls überblickartig, un- tersucht. Im dritten Teil wird die Kritik an der europäischen Genderideologie aufgezeigt und in einem vierten Teil eine eigene Stellungnahme entwickelt. 3.1. Vorgeschichte Die Geschlechterrollen von Männern und Frauen waren über Jahrhunderte hinweg einerseits relativ festgelegt. Die Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes verfolgten die Eheleute gemein- sam, jeder an seinem Platz, aber doch in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Dabei wur- den die Tätigkeiten immer wieder dem aktuellen Leben angepasst. Wurden Kinder geboren, galt die Frau in erster Linie als zuständig für das Kleinkind, ältere Kinder wurden in den All- tag integriert und zur Erwirtschaftung des Familieneinkommens herangezogen.64 Es gab also Geschlechterrollen, aber innerhalb des gemeinsamen Lebensrahmens (Bielefeld 2007:115). Andererseits zeigen Sprüche 31 und die Purpurhändlerin (in Apostelgeschichte 16,14) Bei- spiele für beruflich aktive Frauen. Da es nicht dem Ziel dieser Arbeit entspricht, die Berufstä- tigkeit von Frauen zu untersuchen, gehe ich auf diese biblischen Berichte nur insofern ein, als dass die Rollen von Frauen in alttestamentlicher wie neutestamentlicher Zeit komplex waren und es die eine Rolle für Frauen schon zu biblischen Zeiten nicht gab. Über das Fühlen und Denken von Frauen im Mittelalter gibt es nach von Padberg (1985:37) praktisch keine Selbstaussagen. Vor allem kirchliche Autoren beherrschten das Schreiben und alle Autoren waren Männer. Frauen waren nicht nur im Haus tätig, sondern auch an der Viehhaltung und der Erntearbeit beteiligt. Von der Vormundschaft der Eltern wechselte die Frau bei ihrer Eheschließung in die Vormundschaft des Mannes, der sie straflos 64 Da das Familieneinkommen der allgemeinen Bevölkerung in bäuerlichen Betrieben oder im Handwerk erwirt- schaftet wurde, wurden Kinder schon früh zu Hilfsarbeiten herangezogen. Das führte dazu, dass sie gleichzeitig in Bezug zu Mutter und Vater standen. 37 schlagen, verkaufen oder töten konnte. Im geltenden Recht hatte die Frau keinen Platz – sie wurde einfach nicht erwähnt. Ende des 12. Jahrhunderts wurde die Stellung der Frau, zumindest im ritterlich- höflichen Bereich höher gestellt, z. B. bekamen diese Frauen jetzt ein Erbrecht (:37-40). Al- lerdings gab es ab 1220 in Europa65 Zusammenschlüsse von Frauen, die in relativer Freiheit und Selbstständigkeit in einer Gemeinschaft außerhalb der Klöster mit anderen Frauen zu- sammen lebten. Die Beginenhöfe hatten ihre Blütezeit in Deutschland zwischen 1250 und 1450 und zeitweise lebten bis zu 10 % der Frauen in den Städten als Beginen. Durch Stiftun- gen, ihr eingebrachtes Vermögen und durch ihre Arbeitsleistung waren sie wirtschaftlich un- abhängig. Sie arbeiteten als Unternehmerinnen, Handwerkerinnen, in der Geburtshilfe und medizinischen Versorgung der Bevölkerung, sie begleitenden Sterbende und veranlassten deren Bestattung. Sie wurden gerufen, um für Lebende und Verstorbene zu beten, ebenso un- terrichteten sie Mädchen und Frauen. Sie übersetzten die Bibel und verfassten mystische Schriften, Bücher und Lieder (Dachverband der Beginen 2013).66 Die Industrialisierung67 trennte ab dem 18. Jahrhundert Arbeit und Wohnen, Arbeit und gemeinsames Leben deutlicher. Jetzt entstand ein „draußen“ und die private Welt des „drin- nen“ (Karle 2006:23). Sie trennte Frauen und Männer im gemeinsamen Lebenserwerb und zurrte die Geschlechterrollen von Frauen und Männern noch fester. So formulierte z. B. Fried- rich Schiller (1759-1805) im `Lied von der Glocke´:68 Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben, muß wirken und streben und pflanzen und schaffen, erlisten, erraffen, muß wetten und wagen, das Glück zu erjagen. Da strömet herbei die unendliche Gabe, 65 Beginenhöfe sind in Holland, Belgien, am Rhein entlang bis Südfrankreich, Spanien, Italien bis zu den Bal- kanstaaten, aber auch in Polen, Norwegen und Schweden nachweisbar. Sie tauschten Nachrichten und Waren aus. Die Weiterentwicklung der Beginenbewegung wurde verhindert durch den gezielten Entzug ihrer Lebens- und Arbeitsgrundlagen (Dachverband der Beginen 2013). 66 „In den Schulbüchern und Schriften des 19. und 20. Jahrhunderts wurde die Geschichte der Frauen konsequent verschwiegen, weshalb das Wissen um die Bedeutung der Beginen-Kultur unterbrochen wurde. Heute liegen uns aufgrund eigenständiger, feministischer Forschungsarbeit bereits Archivdokumente zur Beginenbewegung aus über 600 Städten in Deutschland vor. Im Jahr 1998 hat die Unesco dreizehn Beginenhöfe in Flandern zum Welt- kulturerbe erklärt … Trotz Reformation, Aufklärung und Säkularisierung gab es bis zum Ende des 19. Jahrhun- derts zahlreiche Beginen in Deutschland“ (Dachverband der Beginen 2013). 67 Die industrielle Revolution und Industrialisierung führte zu tief greifenden Einschnitten im wirtschaftlichen und sozialen Leben. Sie zeigen den Beginn einer neuen Epoche in Europa an. Ausgangspunkt der Entwicklung war England, wo ab 1730 die meisten für diese Epoche kennzeichnenden technischen Erfindungen gemacht wurden, deren bedeutendste die Dampfmaschine war (Geschichtsverein 2012). 68 Das Lied wird nur mit dem für diese Arbeit relevanten Auszug angezeigt. 38 es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus. Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise und lehret die Mädchen und wehret den Knaben und reget ohn' Ende die fleißigen Hände und mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn und füllet mit Schätzen die duftenden Laden und dreht um die schnurrende Spindel den Faden und sammelt im reinlich geglätteten Schrein die schimmernde Wolle, den schneeigen Lein und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer und ruhet nimmer. Lyrikwelt 2013 Drüber lachten bereits die Romantiker, „aber Generationen von Kleinbürgern sahen sich in ihrem patriarchalischen Weltbild bestätigt“ (Hofmann 2014). Es entstand das Bild der „Nurhausfrau“, zumindest bei den Familien, die mit dem Einkommen nur eines Verdieners leben konnten – ein Luxus für das gehobene Bürgertum, den sich erst ab den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts auch die Arbeiterinnen und Bäuerinnen in Deutschland leisten konnten (Karle 2006:23). Die Arbeit der Nurhausfrau wurde weiter „erleichtert“69 durch die zunehmende Fülle an Maschinen im Haushalt.70 Im 19. Jahrhundert galten die Frau- en weder als Rechtspersonen noch konnten sie wählen oder Vereine gründen. Sie konnten keine Verträge schließen und verfügten kaum über Eigentum (:22). In Filmen z. B. wurden Frauen leicht von oben und Männer leicht von unten aufgenommen, um gesellschaftliche Normen zu zeigen (Müller 2003a:99). Aus diesen gesellschaftlichen Beobachtungen heraus sind auch der Feminismus und die Gendertheorien nachzuvollziehen. 3.2. Entwicklung des Feminismus und der Gendertheorien Die moderne Frauenbewegung kann in drei Wellen eingeteilt werden: Bei der ersten Welle (ca. 1850 – 1918) kämpfte die Frauenrechtsbewegung für die grundsätzlichen politischen und bürgerlichen Rechte von Frauen wie das Frauenwahlrecht, das Recht auf Erwerbstätigkeit, das Recht auf Bildung und für eine Gesellschaft mit neuer sittlicher Grundlage. Als ein Beispiel 69 Mit dieser Veränderung ging einher, dass die Frauen weiterhin zur Erwirtschaftung des Familieneinkommens beitrugen und das gleiche Ergebnis ihrer Arbeit in weniger Zeit erreichen konnten. 70 Der Prozess hat sich von Beginn der Menschheit an fortwährend gesteigert. Durch die Industrialisierung wurde er insgesamt schneller und umfassender. 39 sei hier das 1901 erstmalig erschienene Buch71 Die Frau als Hausärztin. Ein ärztliches Nach- schlagewerk für die Frau (Fischer-Dücklermann 1905) genannt, in dem die verheiratete Fi- scher-Dückermann (:233) neben den fachlich biologisch-aufklärenden und der medizinisch hilfreichen Wissensvermittlung eine neue Sichtweise des Ehelebens skizziert: Die Ehe darf unbedingt nicht die Bedeutung erhalten, die sie heute hat, vor allem nicht für die Frau, für die sie sozusagen fast alles bedeutet: Lebensaufgabe, Ver- sorgung, Lebensstellung. Alles gibt und leitet dabei der Mann! Die Frau empfängt nur in der demütigendsten Weise. Mit dem Augenblick, in dem die Frau aber ein eigenes Geistesleben hat, einen eigenen Beruf, wirtschaftliche Selbständigkeit und gesetzliche Gleichberechtigung, hört dieses unbegrenzte Empfangen auf. … Es sind freie Persönlichkeiten, die auf das eheliche Verhältnis den besten Einfluss ausüben. … Sie ist keine willenslose Gebärmaschine mehr, sie wird nicht vom Fortpflanzungsgeschäft total verbraucht und stumpft im Ehejoch nicht ab. In welchen Dimensionen der Kampf der Frauen stattfand wird auch deutlich, wenn man ein anderes, auch erfolgreiches Buch dieser Epoche von Möbius ([1903] 2001:18) beachtet. Für ihn ist die Frau körperlich genommen „abgesehen von den Geschlechtsmerkmalen, … ein Mittelding zwischen Kind und Mann und geistig ist sie es, wenigstens in vielen Hinsichten, auch“.72 Möbius plädiert dafür, dass Frauen weiterhin ihre Leistung beim Gebären und Auf- ziehen der Kinder erbringen sollen, satt durch Gehirnarbeit. Zusammenfassen kann man sein Plädoyer wie folgt: Frauen, die denken verlieren Energie, die sie, ihrem Wesen entsprechend, für die Aufgaben nutzen sollten, die ihnen zukommen: Das Gebären und Aufziehen von Kin- dern und dazu, den Mann zu unterstützen. Die formalrechtliche Gleichstellung der Frauen ist, mit einigen Ausnahmen, in den westlichen und östlichen Industrieländern weitgehend abgeschlossen (Schiersmann 1986:1336). Die zweite Welle folgte ab 1950 als Kritik an der massiven Diskriminierung von Frauen (besonders der Mütter), die ab 1968 in der autonomen Frauenbewegung mündete. In dem erstmals 1955 erschienen Buch Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau vertrat de Beauvoir (2012) die These, dass die Unterdrückung der Frau ausschließlich gesellschaftlich bedingt sei. Es könne „keinen Essens“ von „Frau“ geben.73 Ihre Theorie ist, dass das Subjekt Mann die Frau zum Objekt macht, indem die Frau nur vom Mann her definiert wird und die Frauen damit in die Abhängigkeit von Männern gebracht werden. Weiblichkeit bedeute, sich mit einer passiven Rolle begnügen zu müssen. De Beauvoir ging davon aus, dass keine wis- 71 Welches bis 1913 schon eine Millionenauflage erreichte. 72 Hervorhebung durch die Autorin. 73 Das unterstreicht der berühmte und häufig zitierte Satz „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (Originaler Wortlaut: „On ne naît pas femme, on le devient“) (de Beauvoir 2012:334). 40 senschaftliche Betrachtung die Frau erklären könne. Das Buch wurde zum Klassiker der Frau- enbewegung und gab dieser neuen Schwung durch neue Argumente. Zeitgleich (1955) wurde der Begriff gender von dem US-amerikanischen Forscher John Money eingeführt,74 um Ver- halten und Fühlen von intersexuellen Menschen75 zu beschreiben (Wikipedia 2012:Gender).76 Ab diesem Zeitraum wurden Frauenrechtlerinnen „Feministinnen“ genannt. Allerdings ist das komplementäre oder alternative Verhältnis von Frauenforschung und Genderforschung um- stritten. Manche Wissenschaftlerinnen sehen in der Veränderung der Bezeichnung eine Aus- weitung, andere befürchten eine Neutralisierung, Relativierung und Entpolitisierung (Bachte- ler 2000:657). Die dritte Welle zeichnete sich ab den 1990er Jahren in den USA ab. Wenngleich sie die Ideen der zweiten Welle modifiziere, wurde hinzugefügt, dass auch Männlichkeit ein zeitlich und regionaler Konstrukt ist, der kritisch hinterfragt werden muss (Wikipedia 2012:Frauenbewegung). „Feminismus ist die radikale Überzeugung, dass Frauen mündige Bürger/-innen mit vollen Rechten sind“ (Schüssler Fiorenza 2004:91), weil sie „freie und gleiche Individuen sind, die ihr Zusammenleben auf dem Weg demokratischer Willensbildung selbst regeln“ (Habermas in Schüssler Fiorenza 2004:97). Gender-Studies entwickelten sich aus dem Femi- nismus der „1970er und 1980er Jahre, der beklagte, Wissenschaft wäre vornehmlich männlich dominiert“ (Wassermann & Ulmer 2012:4). Angeprangert wurde, dass insbesondere die Er- forschung weiblicher Lebenswelten aus männlicher Perspektive grundsätzlich nur zu verkürz- ten Ergebnissen gelangen kann. Z. B. wurde in einer „von Männern dominierten Wissen- schaft“ häufig von „Mensch“ geschrieben – also verallgemeinert, aber in Wahrheit nur Männ- liches beschrieben (vgl. Schroer & Staubli 2005:13). Aus dieser Grundthese entwickelte sich mit dem Feminismus zugleich ein „eigenständiges Untersuchungsfeld mit neuen Methoden und einem anderen wissenschaftstheoretischen Verständnis“ (Wassermann & Ulmer 2012:4- 5). Die in der empirisch-analytischen Wissenschaft vorherrschenden Grundlagen der Objekti- vität, 74 Nach Sieben & Scholz (2012:21) wurde der Begriff 1968 von Robert Stoller etabliert (vgl. Wikipedia 2012: Robert Stoller). 75 Bei intersexuellen Menschen ist das biologische Geschlecht uneindeutig. Laut Schätzung der Bundesregierung sind davon 8000 Deutsche betroffen, also 0,01%. Interessengruppen gehen von weit höheren Zahlen aus (Kuby 2012:156). Häufig werden auch Menschen mit uneindeutiger Geschlechtsrollenpräsentation dazu gezählt. Ur- sprünglich wurde hierbei von sex role und sex identity gesprochen (Wikipedia 2012:Gender). 76 Da in dieser Arbeit Missionar/-innen im Fokus sind, die sich als entweder umfassend als Mann oder Frau ver- stehen, wird die Diskussion zu intersexuellen Menschen hier nicht aufgegriffen. 41 Wertefreiheit und Rationalität wurden in Frage gestellt77 und eng mit der Sichtweise ver- knüpft, dass Erkenntnis auch entscheidend von der Geschlechtszugehörigkeit des Forschers abhängig ist. Daher darf Geschlecht nicht länger nur als demografische Variable begriffen werden. Geschlecht sei mehr und als „theoretische Kategorie zu verstehen, die Aussagen über Lebenschancen, Abhängigkeitsmechanismen und soziale Statuszuschreibungen impliziere“ (Mies 1994 in Wassermann & Ulmer 2012:5). Der Forschungsdrang früher feministischer Arbeiten stieß bei Kritikerinnen78 bald auf Grenzen. Dass Gleichheit aus der Gleichberechtigung von Männern und Frauen abzuleiten sein, könne nicht bewiesen werden, solange auf eine originäre weibliche Kultur und Erfah- rungswelt beharrt würde. So entwickelten sich aus dem Feminismus heraus Gender-Studies. Die damit einhergehende Veränderung von Feminismus in Gender-Studies geschah schlei- chend. Als Ziel von Gender-Studies wurde „die Entstehung und Bestimmung von Geschlecht sowie die Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu analysieren“ benannt (Wassermann & Ulmer 2012:7). Seit der 3. UN-Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi wird die Gleichstellung der Ge- schlechter unter dem Begriff „Gender-Mainstreaming“ diskutiert, dessen Inhalte zehn Jahre später auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking weiterentwickelt wurden. Der Amsterdamer Vertrag 1997/1999 machte Gleichstellung zum offiziellen Ziel der Europäischen Union und trug damit zu einem stärkeren Bekanntheitsgrad bei. „Gender-Mainstreaming unterscheidet sich von expliziter Frauenpolitik dadurch, dass beide Geschlechter gleichermaßen in die Kon- zeptgestaltung einbezogen werden sollen.“ (Wikipedia 2012:Gender-Mainstreaming). Für die deutsche Bundesregierung (Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend 201279) bedeutet Gender-Mainstreaming „bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unter- 77 Eine These war, dass sich im Laufe der Forschung ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Forschungsobjekt und -subjekt herausbildet. Daher ist der Versuch einer Verobjektivierung der Forschung grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Eine andere These wird als „dynamische Objektivität“ (Keller in Wassermann & Ulmer 2012:5) bezeichnet. Darin wird bewusst auf subjektive Erfahrungen zurückgegriffen und diesenin den For- schungsprozess einbezogen. Durch ein empathisches Verhältnis in Verantwortung und Fürsorge dem For- schungsobjekt gegenüber wird objektive Forschung möglich. Wichtig ist das Bewusstsein dafür, dass Forschung letztlich immer parteiisch ist und nie von sozialen Kontexten gelöst werden kann. 78 Hier ist in der Literatur immer von Frauen die Rede. 79 Bei der Darstellung zu Gender Mainstreaming beziehe ich mich vor allem auf Veröffentlichungen der Bundes- regierung Deutschland und des GenderKompetenzZentrums, das in seinem Ursprung mit der Bundesregierung entstand und bis 2010 von der Bundesregierung gefördert wurde. Die deutsche Bundesregierung spricht von `Gleichstellung als Erfolgsstrategie´ und § 2 der Ge- meinsamen Geschäftsordnung der Ressorts von `Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip´. Andere Staaten haben andere Formulierungen gefunden: In Däne- mark, Frankreich, Italien, Luxemburg und Litauen ist es die `Integration von Geschlechteraspek- ten´ oder der `Geschlechterdimension´, in den Niederlanden die `Gender-Dimension´ und `Eman- zipationsaspekte`, in Schweden und Rumänien die `Integration der Gleichstellungsperspektive´. Genderkompetenz 2012:Genderkompetenz-2003-2010 42 schiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“80 Innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung81 unterscheidet man heute drei Strömun- gen: - Der Differenzfeminismus hat verschiedene geschlechtertheoretische Ansätze, in de- nen aus den biologischen Unterschieden zwischen Frauen und Männern unterschied- liches soziales Verhalten abgeleitet wird. Maßgeblich ist dabei die Erfahrung der Mutterschaft.82 Je intensiver diese Form des Feminismus vertreten wird, umso mehr wird die Frau dem Mann als moralisch überlegen gezeichnet (Kahlert 2010:94; Was- sermann & Ulmer 2012:8). - Der Konstruktivismus, aus der sozialwissenschaftlichen Tradition kommend, zeigt sich besonders darin, dass Geschlecht als ein performatives Produkt aufgefasst wird. Geschlecht wird kulturspezifisch her- oder dargestellt und dann als männlich oder weiblich gedacht. Um diese soziale Konstrukt analysieren zu können, unterteilt man biologisches Geschlecht (sex) und soziales Geschlecht (gender) (Villa 2010:146) um nachzuweisen, dass Geschlecht hauptsächlich ein soziales Konstrukt ist.83 - Der Dekonstruktivismus kommt mit eher radikalen Ansichten aus der philosophi- schen Arbeit, in der auch das biologische Geschlecht als Konstrukt gilt (vgl. Butler 1985 in Wassermann & Ulmer 2012:7). Nicht nur das soziale Geschlecht soll als kul- turelle Konstruktion hinterfragt werden, sondern auch das biologische, da beide von- einander abhängig sind (Villa 2010:146). Im „Differenzfeminismus wird die Zweigeschlechtlichkeit ausdrücklich anerkannt“ (Ladner 2003:134) und als bestimmende körperliche Bedingtheit/Gegebenheit angenommen (:240). Allerdings wird der „Vergleich Frau-Mann unbedeutend“ (:134) und bleibt hinter der Beziehung Frau-Frau zurück, welche hervorgehoben und weiter erforscht wird. Der Leitge- danke ist: Was kann eine Frau von einer Frau lernen? (:135). Das Forschen zum Mann-Sein oder zur Mann-Mann-Beziehung wird bewusst den Männern überlassen. 80 Hervorhebung durch die Autorin. 81 Das ist die in Deutschland übliche Bezeichnung für Gender-Studies. 82 Wobei Mutterschaft nicht gleichbedeutend ist mit einer „realen“ Frau die Kinder zur Welt bringt, sondern es kann damit auch eine sprachliche Repräsentation oder eine Schlüsselsignifikanz in der symbolischen Ordnung gemeint sein (Kahlert 2010:95). 83 Dieser Ansatz wird später etwas ausführlicher dargestellt, da er auch die Ausgangsbasis für den dekonstrukti- vistischen Ansatz ist, der ebenfalls ansatzweise, soweit möglich, dargelegt wird. Beim Ansatz des Differenzfe- minismus ist noch vieles ungeklärt (Kahlert 2010:94). 43 Im Rahmen des konstruktivistischen Gender-Ansatzes wird zwischen realem Geschlecht (sex) und dem Objekt der Repräsentation (gender) unterschieden (:90-91). Sex bezeichnet die körperlichen Geschlechtsmerkmale, sowie die sich daraus ergebenden körperlichen Funktio- nen. Gender beschreibt die soziale Bedeutung von Geschlecht mit ihren sozialen Ge- schlechtsmerkmalen. „Diese sind erlernt, können im Verlauf der Zeit verändert werden und unterliegen großen Schwankungen, sowohl innerhalb von Kulturen als auch zwischen unter- schiedlichen Kulturen“ (Europa 2007). Gender bezeichnet also alles, was in der jeweiligen Kultur als typisch für ein bestimmtes Geschlecht angesehen wird (Neuberger 2002:766) und verweist nicht unmittelbar auf die körperlichen Geschlechtsmerkmale. Im Konstruktivismus herrscht die Überzeugung, dass nicht die Biologie, sondern „die Art und Weise, wie das gesellschaftliche System die Biologie organisiert und ihr Bedeutung“ (:91) verleiht, Druck auf Frauen ausübt.84 Abbildung 2: Festlegung: geschlechtsspezifische, kulturelle Erwartungen bestimmen geschlechtstypisches Verhalten Häufig würden „geschlechtsspezifische Asymmetrien“ von vornherein als „Ausdruck von Männerherrschaft definiert“. Damit sei aber „über die konkreten Ursachen und Mecha- nismen der Diskriminierung noch nichts gesagt“ (Cyba 2010:19). Bekämpft wird das „Grund- raster, auf dem alle anderen Machtverhältnisse ruhen“ (Dünnebier & Paczenska zitiert in En- 84 Inzwischen empfinden nicht nur Frauen diesen Druck als unangemessen, sondern auch Männer. So klagte ein Lufthansapilot vor dem Kölner Landesgericht ein, vom Tragen der Pilotenmütze befreit zu werden. Er wollte erreichen, als Mensch und nicht als Mann Pilot sein zu können, da weibliche Pilotinnen keine Pilotenmütze tra- gen müssten. Am 29.10.2012 hob das Kölner Landesarbeitsgericht ein Urteil (Az. 5 Sa 549/11) einer Vorinstanz auf. Ein Revisionsverfahren beim Bundesarbeitsgericht ist noch möglich. Auch wenn Arbeitgeber einen weiten Ermessensspielraum beim Tragen von Arbeitskleidung haben (Frauen ist es erlaubt Röcke zu tragen, Männern nicht), so könnte die geschlechtsspezifische Uniform der Lufthansa als geschlechtsspezifischer Diskrimination ausgelegt werden (Wilde, Beuger & Solmecke 2012). kulturspezifisch männlich kulturspezifisch weiblich biologisches Geschlecht biologisches Geschlecht 44 gel & Gärtner-Engel 2008:105). Das „Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern, das alles durchzieht: durch Klassen und Rassen“ sei daher die Ursache. Das Patriarchat85 – ein Schlüs- selbegriff für feministische Wissenschaftler/-innen – verweist auf soziale Ungleichheit, auf „asymmetrische Machtbeziehungen und soziale Unterdrückung“ und darauf, „dass es sich dabei nicht um ein natürliches oder selbstverständliches Phänomen handelt“ (Cyba 2010:17). Gleichzeitig wurde Ungleichheit durch die wachsende kapitalistische Wirtschaftsweise geför- dert.86 Seit 1950 wurde Kritik an der scharfen Abgrenzung von Aufgabenfeldern von Frauen und Männern geübt, deren biologische Unterschiedlichkeit aber nicht bestritten. Die weibli- chen Rollen wurde ausgeweitet und Rollenfixationen abgebaut. Im weiteren Verlauf wurde aber nicht nur die vorhandene Asymmetrie gelöst, sondern die Wandelbarkeit von sex propa- giert. Leitfrage ist die Strukturfrage „Wie wird man eine Frau?“ statt die Wesensfrage „Was ist eine Frau?“. Dabei wird der Frauenkörper wie zum Stolperstein der Gleichberechtigung, weil seine besondere Natur „als Einschränkung für Frauen im Vergleich zu den Reichen und Privilegierten, die die patriarchale Kultur für Männer hat“ (Ladner 2003:85-86) angesehen. Seit den 90er Jahren gilt auch Sexualität als Konstrukt, das es zu dekonstruieren gilt.87 Sex wird nicht mehr als biologische Gegebenheit, sondern als sozialkonstruiertes Bedürfnis be- wertet (Gerl-Falkovitz 2009:164-165). Gender-Mainstreaming will die Beteiligung aller an einer Entscheidung beteiligten Per- sonen. Es liegt in der Verantwortung der jeweils zuständigen Personen, Gleichstellung zwi- schen Männern und Frauen herzustellen. Gender-Mainstreaming setzt bei allen politischen Entscheidungen an, auch bei denen, die auf den ersten Blick keinen geschlechtsspezifischen Problemgehalt haben. Diese Strategie soll grundlegender und breiter als bisher angesetzt wer- den. Dafür nimmt man in Kauf, dass die Umsetzung länger dauert. Der Ansatz beinhaltet das Potential für eine nachhaltige Veränderung bei allen Akteuren und Akteurinnen und bei allen politischen Prozessen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2007: Gender Mainstreaming und Frauenpolitik). 85 Mit Patriarchat beschreibt man „jene Herrschaftsform, in der der Vater zur Zentralfigur der Familie“ und Ge- sellschaft erhoben wird (dazu gehört, dass Verwandtschaftsbeziehungen über ihn definiert werden) (Dunde 1992:51). 86 Für Cyba (2012:17-22) ist die Wahl des Begriffs „Patriarchat“ für das Phänomen der Unterdrückung der Frau zu einseitig. Damit entfalle der Hinweis auf die Diskriminierung der Frauen als eine „Folge der kapitalistischen Wirtschaftsweise“ (:19), denn im Kapitalismus kontrollieren Männer auch außerhalb der Familie. Das hat zur Folge, dass in marxistisch oder dualistisch geprägten Ansätzen des Feminismus der Staat als Gehilfe des Unter- drückungsmechanismus gilt, der die Durchsetzung kapitalistischer und patriarchischer Interessen fördert. Von anderen Theoretikerinnen wird die Rolle des Staates differenzierter wahrgenommen und als eine Institution an- gesehen, die patriarchale Strukturen beseitigen kann (:20). 87 Darin zeigt sich der Ansatz der Dekonstruktion. 45 Männer als männlich und Frauen als weiblich zu beschreiben, schürt oft Angst. Denn wer Männer als männlich und Frauen als weiblich beschreibe, nutze Geschlechtsstereotype und schreibe „Personen auf Grund ihrer erkennbaren Geschlechtszugehörigkeit bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zu“ (Genderkompetenz 2012:Geschlechterstereotype88). Weil diese Eigenschaften im Laufe des Lebens erworben und dann permanent aktiviert seien, würden sie als „natürlich“ erscheinen. Diese Festlegung basiere auf einer naturalisierenden und essenzalisierenden Zuschreibung. Im täglichen „doing-gender“ (West & Zimmermann 1989:125-151 in Genderkompetenz 2012:Geschlechtssterotype) spielten die Stereotypen eine entscheidende Rolle in der Legitimierung von Ungleichheiten. Diese führten zum „doing dif- ference“ (West & Fenstermaker 1995 in Genderkompetenz 2012:Geschlechtssterotype), einer im Alltag beständigen hierarchischen Ungleichheit.89 „Keine Gesellschaft darf sich heute Ausgrenzung und Diskriminierung und eine Fixierung auf überkommene Rollenbilder leis- ten“, denn davon hänge die Zukunftsfähigkeit ab. Ziel sei es, für Gleichheit,90 für Gleichstel- lung und für Chancengerechtigkeit zu sorgen.91 Wie emotional und teilweise widersprüchlich aufgeladen die Debatte ist, kann man si- cherlich besonders gut am Abschlusssatz der Seite „Geschlechtsstereotypen“ (Genderkompe- tenz 2012:Geschlechtsstereotype) erkennen, denn: 88 Das GenderKompetenzZentrum wurde 2003 unter dem Dach des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechter- studien am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humbold-Universität in Berlin (Abteilung Juristische Fakultät) gegründet. Es geht auch auf die Arbeit der wissenschaftlichen Begleitung zu Gender Mainstreaming der Bundesregierung zurück. Gestartet und begleitet wurde es unter und von Ministerin Bergmann (SPD), danach vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, unter der Leitung der Ministerinnen Schmidt (SPD), von der Leyen (CDU) und Schröder (CDU) und bis zu seinem Übergang in die Selbständigkeit 2010 finanziell von der Bundesregierung gefördert (Genderkompetenz 2012:Genderkompetenz-2003-2010). Bis heute sind dort mehr als 2000 Seiten mit „Informationen zu Gender in zahlreichen Sachgebieten und Handlungsfeldern der Bundesregierung, die in der Zeit der Beratung für den Bund entstanden sind“ zu finden. 89 Allerdings wird Ungleichheit gleichzeitig wiederum gefordert. Ein Beispiel aus dem manager magazin (2012/11), in dem schon seit Jahren regelmäßig Artikel zu Frauen in Führungspositionen und Gender- Mainstreaming veröffentlicht werden. Wittenbert-Cox (2012:100) fordert endlich eine Quotenregelung von der deutschen Regierung, damit mehr Frauen in Führungsverantwortung kommen. Sie will mehr „Mitglieder der aktuell dominierenden Mehrheit, die akzeptiert haben, dass ihre Zeit abläuft, und dem Neuen die Tür öffnen“. Männliche Führungskräfte sollen sich selbst abschaffen. Einige Seiten weiter berichtet Werle (2012:146) von einer Untersuchung bei Frauen auf Geschäftsreise. Neben einigen speziell weiblichen Erwartungen an Fluglinien wollen die meisten Frauen im Flieger auch nicht neben Männern sitzen. Sie machten sich zu breit, schnarchten und würden irgendwann nicht mehr gut riechen. Die nicht ganz ernst gemeinte Quintessenz des Autors: Nach Geschlecht getrennte Flugzeuge einführen. Als Leserin frage ich mich da: Ja, was denn nun? Gleich oder un- gleich? 90 Hervorhebungen im Original. 91 „Gleichstellung meint gleiche Chancen für Frauen und Männer, also für Jungen und Mädchen, für junge und alte Menschen in ihrer Vielfalt. Gleichstellung anerkennt Menschen in ihrer „Diversität“ hinsichtlich des Ge- schlechts und der sexuellen Orientierung, der Herkunft und des Glaubens, der Mobilität und des Alters - so ver- wirklicht Gleichstellungspolitik die Versprechen der Grund- und Menschenrechte, frei von Diskriminierung leben zu können. Es geht also darum, Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenslagen gerecht zu werden, ihnen Teilhabe und echte Wahlfreiheit zu ermöglichen“ (Genderkompetenz 2012:Genderkompetenz-2003-2010) (Hervorhebungen im Original). 46 Geschlechtsstereotypen werden binär – heterosexuell, gegengeschlechtlich kon- struiert, enthalten hierarchische Wertungen und sind oft ganz explizit sexualisiert. Damit aktivieren Stereotypen nicht nur homophobe Haltungen, sondern auch ras- sistische oder behindertenfeindliche oder antisemistische oder antimuslimische Vorurteile. Leider scheint es den Autoren dieser Zeilen nicht bewusst zu sein, wie sie selbst Stereo- typen nutzen, um ihre Meinung zu unterstreichen und Meinungsbildung damit voranzutreiben. Ein weiteres Erlebnis für die Emotionalität der Gesamtdiskussion konnte ich bei einer Diskussionsrunde am 11.05.2012 an der Universität zu Köln miterleben, bei der das für diesen Abend ausgeschriebene Thema letztlich nicht diskutiert wurde.92 Schon bei der Vorstellung einer der Diskutantinnen93 applaudierte eine Gruppe aus dem Plenum, weil diese ihren Ar- beitsplatz als Gleichstellungsbeauftragte in der niedersächsischen Kleinstadt Goslar verloren hatte, da sie für die Gleichstellung von Frauen UND Männern eingetreten war (vgl. Huch 2011). Statements94 für eine wesentliche Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern, wur- den mit Zwischenrufen und Pfiffen quittiert, obwohl sich die dafür eintretenden Diskutanten deutlich für eine Verbesserung der Gleichheit der Rechte (von Frauen UND Männern95) aus- sprachen. Nach Amendt (2012) gibt es eine historisch berechtige Unterscheidung von Frau und Mann, die aus körperlicher, hormoneller und anatomischer Unterschiedlichkeit ihre Be- rechtigung zieht.96 92 Es war zum IX. KölnAlumni-Symposium mit dem Thema „Frauen an die Macht. Anspruch, Wirklichkeit und Perspektiven der Gleichstellung“ von KölnAlumni – Freunde und Förderer der Universität zu Köln eingeladen worden. 93 Diplom Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin Monika Ebeling, systemische Familientherapeutin und Autorin. 94 Jede/-r Diskutan/-in konnte zu Beginn der geplanten Diskussion seine/ihre Position darlegen. Neben Frau Ebeling waren Herr Prof. Dr. Gerhard Amendt (Soziologe, emeritierter Professor am Institut für Geschlechter- und Generationenforschung der Universität zu Bremen, Autor) und Prof. Dr. Wolfgang Plischke (Mitglied des Vorstandes der Bayer AG) eingeladene Gäste. Eine Diskussionsteilnehmerin, Dr. Lale Akgün (Politikerin und Referatsleiterin in der Staatskanzlei NRW, Psychologin, Autorin), die eine eindeutige feministische Sichtweise vertreten sollte, hatte kurzfristig abgesagt. Deren Position wurde deshalb immer wieder durch die Moderatorin Prof. Dr. Christiane Woopen (Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln, stellver- tretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats) eingebracht. 95 Dass man als Gleichstellungsbeauftragte die Rechte von Männern auch vertreten solle, wurde ebenso mit (teilweise beleidigenden) Zwischenrufen und Pfiffen quittiert. 96 Amendt (2012) folgert aus de Beauvoir ([1955] 2012). 47 Nach Butler97 soll aber nicht nur das soziale Geschlecht als Konstruktion hinterfragt werden, sondern auch das biologische als eine kulturelle Interpretation des körperlichen be- trachtet und als Wahrheit hinterfragt werden. Gender und Körperlichkeit seien voneinander abhängig und körperliche Möglichkeiten kulturell interpretiert (Wikipedia 2012:Gender).98 „Körperliche Geschlechtsunterschiede seine allesamt sprachlich bearbeitet; … der Unter- schied zwischen sex (Biologie) und gender (kulturelle Zuschreibung)“ pure Ideologie. Wissenschaftler/-innen aus dem Dekonstruktivismus kritisieren die begriffliche Tren- nung des biologischen Geschlechts (sex) und dem sozialen (gender), die seit den Achtziger- jahren zentral im sozialwissenschaftlich-feministischen Diskurs vollzogen wurde. Sie lehnen die Trennung ab, da dies auf die von Descartes begründete philosophische Auffassung, dass Körper und Geist unabhängig voneinander nebeneinander existieren, zurückzuführen sei. Die Trennung zwischen Sex und Gender impliziere, der Mensch bestehe, so wie auch Descartes die Dichotomie zwischen Körper und Geist aufmacht, zum Ersten aus seinem biologischen Geschlecht, das heißt seinem Sex, seinem biologischen, unhinterfragbaren, natürlich gegebenen Körper, und zum Zweiten aus seinem so- zialen Geschlecht, das heißt seinem Gender, seinem vom Körper unabhängig qua- si frei wählbaren Geschlecht. Wikipedia 2012:Gender 97 Einerseits gilt Butler als gefeierte und einflussreiche Wissenschaftlerin und ihre Theorienbildung ist innerhalb der feministischen und kritischen Theorienbildung einflussreich. Da sie allerdings die Kategorie „Frau“ und das Subjekt „Feminismus“ in Frage stellt, löste sie andererseits intensive Debatten unter feministischen Theoretiker/- innen aus. Sie trenne nicht zwischen Sprache und Praxis und ihren machttheoretischen Analysen mangle es an historisch-gesellschaftlicher und empirischer Fundierung (Villa 2010:155). Außerdem verkürze sie den Femi- nismus zu einer Debatte über symbolische Repräsentationsformen. Dabei würden die Themen, die Frauen wirk- lich betreffen, verkürzt. Geschlecht sei nun mal ein wesentlicher Teil vieler individueller Identitäten und „deren Umgestaltung käme für die meisten Frauen nicht in Frage“ (Wikipedia 2012:Judith Butler). Butlers prosaischer Sprachstil vereitle die Philosophie der Ausweglosigkeit. Andere beschreiben ihre Werke als vielseitig und sie als umfassend an Bildung. Sie nur als Feministin wahrzunehmen, so wie es in Deutschland geschehe, werde der Breite ihrer Werke nicht gerecht. 98 So ist für Butler (Wikipedia 2012:Judith Butler) das Schicksal von David Reimer (geboren als Bruce, aufge- wachsen als Brenda, geheiratet und gestorben als David), „der nach einer missglückten Beschneidung als Mäd- chen aufgezogen und hormonell und operativ behandelt wurde“ ein „Normalisierungsdiskurs, der auch mit dem Mittel der Gewalt vorgeht, um verschiedene Vorstellungen eines angemessenen Geschlechts durchzusetzen“. Reimer widersetzte sich mit seinem Eintritt in die Pubertät, unterzog sich einer konträren Behandlung und lebte fortan als Junge. Er heiratete und adoptiere, mit seiner Frau zusammen, drei Kinder. Für Bischof-Köhler (2002:211) ist es ein Beispiel für das von Natur aus angelegte Geschlecht und dessen Durchsetzungsvermögen. „Der transformierte Zwilling hatte vor der Pubertät und bevor man ihn mit seiner Sexualgeschichte konfrontiert hatte, massive Schwierigkeiten mit seiner weiblichen Rolle“ (Pool 1996:212). Obwohl das Kind wie ein Mäd- chen aussah und auch so erzogen wurde, reichte es nicht aus, um sich selbst als Frau zu verstehen. Am 4. Mai 2004 beendete David Reimer, 38-jährig, sein Leben (Wikipedia 2012:David Reimer; Zastrow 2006:35-46). Der behandelnde Arzt, John Money, ging von der Grundannahme aus, dass Menschen keine von Geburt an fest- gelegte geschlechterspezifische Verhaltensweisen besäßen und das biologische Geschlecht (sex) nichts mit dem sozialen Geschlecht (gender) zu tun habe. Schwarzer „würdigt Moneys `Forschung´ als eine der `wenigen Aus- nahmen, die nicht manipulativ, sondern dem aufklärenden Auftrag der Forschung gerecht werden´“ (Späth, Spreng & Seubert 2012:9). Butler beurteilt Moneys Vorgehen als gewaltsam und zwanghaft und unterstellt sei- nem Sexologen Milton Diamond, er habe dem Jungen seine Geschlechtstheorie aufgezwungen. Antifeministen und Kritiker von Gender-Mainstreaming folgern, dass die Thesen von Gender-Mainstreaming die Fortführung von Moneys Thesen sei (Wikipedia 2012:David Reimer). 48 Den „Sinn der Biologie als Schicksal, Biologie als Zwang“ (Butler 1995:10 in Villa 2010:146) gilt es zu überwinden. Denn Geschlecht kann keine „vordiskursive anatomische Gegebenheit sein“ (:153). Biologie wird zur Kultur und zum Schicksal, denn die entscheiden- den Ereignisse des Lebens kann eine Person nicht wählen (Gerl-Falkovitz 2009:166). Butler bezeichnet die feministische Forschung als inkohärent, wenn einerseits Anatomie nicht schicksalhaft betrachtet werde, aber andererseits ein „binäres System der Geschlechtlichkeit (männlich/weiblich)“ tradiert, dass „die Auffassung einer patriarchalen Kultur verfestige“ (Wikipedia 2012:Judith Butler). Wer Geschlechterdifferenz99 hervorhebe, stehe der feministi- schen Forderung grundsätzlich entgegen und kehre die maskuline „Asymmetrie der Ge- schlechter lediglich um“. Ziel ist es, eine alternative Geschlechtsidentität (queer identities)100 zu schaffen (vgl. Zastrow 2006:16).101 Geschlecht könne aufgrund seiner Vielschichtigkeit nicht auf ein „natürliches Substrat“ zurückgeführt werden, sondern müsse neu inszeniert wer- den. Vielmehr umfassen das Geschlecht auch ideologische Aspekte, Sexualitäten, kör- perliche Erfahrungen und Materialitäten, Identitäten, Diskurse, Politik, Macht und Geschichte. ‚Intelligible‘ Geschlechtsidentitäten sind solche, die in bestimmtem Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren stiften und aufrechterhalten. Wikipedia 2012:Das Unbehagen der Geschlechter Außerdem kann man gesamtgesellschaftlich von drei großen Intensitätsformen des Feminis- mus/der Gendertheorien sprechen:  Der liberale Feminismus, der in der Politik die Gleichberechtigung im Sinne allge- meingültiger Rechte vertritt,  der sozialistische Feminismus, in welchem die Unterdrückung der Frauen in der Struktur der gesamtgesellschaftlichen Machtverhältnisse gesehen wird,  der radikale Feminismus, der „eine separate Organisierung zur Schaffung autonomer Frauen-Räume, (…) psychologische Befreiungsprozesse“ für die „Frau aus der Iden- tifikation mit dem Mann und eine Neudefinition bzw. Neubewertung von Gesell- schaftsproblemen durch Frauen“ anstrebt (Schenkluhn 1999:397). In ihm sind Sexua- 99 Mit dieser Aussage werden der Differenzfeminismus und der Konstruktivismus angegriffen. 100 Das englische Wort queer, im Englischen klar negativ besetzt, klingt im Deutschen tendenziell freundlicher und sollte mit verrückt oder anders übersetzt werden (Sieben & Scholz 2012:16) und meint einen gemeinsamen Schirm für alle „Gendernauten“, sexuell Gesetzlose, ein Dach für Lesben, Bisexuelle, Schwule und „transgende- res people“ (Zastrow 2006:16-17). 101 Die Diskussion zu alternativen Geschlechtsidentitäten wird nicht geführt, da sie dieser Arbeit nicht dienlich ist. Die zu interviewenden Missionar/-innen definieren sich eindeutig als Männer bzw. Frauen. 49 lität und Reproduktion zentrale Bezugspunkte männlicher Macht in einer patriarcha- lischen Weltordnung. Zusammenfassend kann die Entwicklung und der gegenwärtige Stand der europäischen Gendertheorien folgendermaßen dargestellt werden: Abbildung 3: Entwicklung und Veränderung in Geschlechterfragen Der radikale Feminismus wird in Deutschland fast militant vertreten, so, dass sich die ehemalige deutsche Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Christina Schröder,102 aufgefordert sah, ein Buch mit dem Titel Danke, emanzipiert sind wir selber! zu schreiben (siehe Schröder 2011). Darin geht sie hart mit der Emanzipationsbewegung ins Ge- richt, die frei wählbare Lebenskonzepte für Frauen nicht zulassen will.103 Seit dem Erscheinen des Buches ist der Name „Schröder“ allerdings in der feministischen Bewegung eher ein 102 Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 2009-2013. 103 Ebenso wendet sie sich gegen eine Festlegung aus dem strukturkonservativen Familienbild. Hier stimme ich Schröder zu, wenngleich ich mich von anderen politischen Zielen, Neu- und Umdefinitionen distanziere. 50 Reizwort. Sie ist daher eher keine akzeptierte Gesprächspartnerin, wenn es von feministischer Seite aus um die Anliegen von Frauen geht.104 3.3. Feministische Theologie Dieser Kapitelteil stellt die groben Strömungen der feministischen Theologie dar, die seit Mit- te des 20. Jahrhunderts stark geworden ist und auf allen theologischen Gebieten arbeitet.105 Ihre Verwandtschaft mit der Befreiungstheologie und – in ihren Denkansätzen und ihrem wis- senschaftstheoretischen Anspruch – auch mit der feministischen Wissenschaftstheorie ist deutlich. Feministische Theologie analysiert anhand des Geschlechterbegriffes die gesell- schaftliche Wirklichkeit und das Wissenschaftskonzept der Theologie (Kaupp 2010:30). Sie versteht sich als „weisheitliche, emanzipatorische, emotionale, kommunikativ-schwesterliche“ (Pfäffin 1986:1338) Wissenschaft, die die Betroffenen an der Forschung beteiligt und als Handlungswissenschaft Theorie und Praxis verknüpft. In der theologischen Frauenforschung werden neben der Geschlechterbeziehung alle Lebenszusammenhänge von Frauen themati- siert (Meyer-Wilmes 2006:78). Sie beinhaltet ein weites Spektrum von unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Denkrichtungen in verschiedene Religionen und Regionen der Welt hinein (vgl. van Schalkwyk 2002:136). Traditionelle Gottesbilder werden in Frage gestellt, religiöse Instituti- onen und Praktiken aus feministischer Perspektive überprüft. Die durch das hellenistische und jüdische Umfeld entstandene patriarchische Prägung, welche im Christentum Fuß fasste, wur- de durch feministische Theologinnen sichtbar gemacht (Kaupp 2010:30). Da (fast) alle Schrif- ten und Predigten von Männern verfasst wurden, traten über Jahrhunderte hinweg „weibliche Gottesbilder und weibliche Zeuginnen des christlichen Glaubens in den Hintergrund“ (:30). Durch die feministische Theologie sollen nun die unbeachteten Traditionen wieder zugänglich gemacht werden, weibliche Gottesbilder und Rollenvielfalt in der Bibel erforscht und deren Konsequenzen in die Lehre einfließen. Wird die feministische Theologie mit dem Vorwurf konfrontiert, parteilich zu sein, weil Theologie mit der besonderen Berücksichtigung von Frauenperspektiven betrieben wird, set- zen sich ihre Vertreterinnen mit dem Gegenargument zur Wehr, dass Theologie doch gar nicht ohne Kontextbezug zu betreiben sei. So beschreibt z. B. der Alttestamentler Hans Wal- ter Wolff (1994) das menschliche Sein. Wolff nähert sich der alttestamentarischen Anthropo- 104 So habe ich es selbst bei der schon erwähnten Diskussionsrunde am 11.05.2012 an der Universität zu Köln erlebt. 105 Es werden nur beispielhaft biblische Texte zitiert. Der hermeneutische Ansatz der feministischen Theologie wird nicht diskutiert. 51 logie, indem er Körperteile wie Kehle, Herz, Ohr, Gliedmaßen etc. analysiert. Das zentrale Organ Uterus wird dabei völlig übersehen und ist „ein besonders eklatantes Beispiel für die weißen Flecken in einer von Männern dominierten Wissenschaft“ (Schroer & Staubli 2005:13). Daher muss, wer über Menschsein nachdenkt, sein eigenes Geschlecht verstehen. Dann wird es möglich werden, Andersgeschlechtlichkeit nicht nur an Äußerlichkeiten zu er- kennen, sondern das andere Geschlecht auch in seinem Wesen zu erfassen. Zuerst wollte feministische Theologie die Frauen zur Sprache bringen, um mit femini- nen Erfahrungen die theologische Reflexion zu vervollständigen (vgl. Pfäffin 1986). Im Denkrahmen von gender geht es aber in der theologischen Wissenschaft nicht mehr nur um Ergänzung und Korrektur einer vorrangig durch Männer geprägten Theologie, sondern die Interpretationsmuster sollen insgesamt und tiefgreifend verändert werden. Dabei soll alles theologische Reden von einengenden Geschlechtsrollen befreit werden (Kaupp 2010:31). Da- raus resultieren zwei Herausforderungen: 1. Es muss überprüft werden, in wie weit der Gender-Begriff mit sozialwissenschaftli- chen Konzepten kompatibel ist, und es 2. „erfordert die Rezeption der Kategorie gender letztlich eine kritische Relektüre der über 2000-jährigen Philosophie- und Theologietradition und ihrer jeweiligen Vorstel- lungen von Geschlecht bzw. von Frau- und Mannsein“ (:31). Nach Kaupp (:31) steht eine umfassende theologische Auseinandersetzung mit den Gender- theorien noch aus. Die Entwürfe der wissenschaftlichen Theologie sollen genauso, wie das praktische Handeln auf offene und verdeckte Formen der Diskriminierung überprüft werden. Durch die Sensibilisierung von Kirche und Gesellschaft kann dann erreicht werden, „dass die ursprünglich vom Christentum grundgelegte Gleichwertigkeit von Frau und Mann umfassen- de Realität wird“ (:34; vgl. Haag 2006:1276-1278) und die Aussage „Gott schuf den Men- schen nach seinem Bilde; (…) als Mann und Frau schuf er sie“ (Genesis 1,27) wird dann stär- ker in die Lebenswirklichkeit aufgenommen. Bisher ist die Wechselwirkung zwischen der Lebensgeschichte, dem Geschlecht und der Religiosität von Kindern und Jugendlichen, aber auch die der männlichen Sozialisation, weit- gehend unerforscht. Bei Untersuchungen zur Entwicklung von Gottesvorstellungen bei Mäd- chen und Jungen zeigt sich eine geschlechtsabhängig unterschiedliche Gottesvorstellung, bei der das eigene Geschlechtskonzept in das Gottesbild einfließt. Allerdings befindet sich auch diese „Theoriendiskussion zum Verhältnis von gender zu religiösen Bildungs- bzw. Sozial- prozessen insgesamt noch in den Anfängen“ (:34). 52 Genauso wie im Feminismus, entwickelten sich auch in der feministischen Theologie unterschiedliche Strömungen mit unterschiedlichen Zielen. Im theologisch geprägten Diffe- renzfeminismus wird Wert auf die Unterschiedlichkeit von Frauen und Männer gelegt und eine Aufwertung des Weiblichen gefordert (vgl. van Schalkwyk 2002:136-161), um das Mat- riarchat zu fördern (Schenkluhn 1999:397). Frausein kann theologisch besser erfasst werden wenn man sich eine „Body Theologie“ erlaubt und obwohl Geschaffene niemals die volle befreiende Kraft der Inkarnation verstehen können, kann der Körper befreit werden von patri- archalischen Bindungen, von denen viele durch die Christenheit eingesetzt wurden. Daher ist es wichtig, weibliche Sexualität nicht nur durch Männer definieren zu lassen (Isherwood & Stuart 1998:31-32).106 Nachdem es zuerst das Anliegen der feministischen Theologie war, die Frauen über- haupt zur Sprache zu bringen, ging es in der Kategorie gender in der theoretischen Wissen- schaft dann darum, tiefgreifende Veränderungen im Interpretationsmuster vorzunehmen und jede einengende Geschlechtsrolle zu verändern. Eine andere Strömung der auf der Gendertheorie aufbauenden Theologie geht davon aus, dass der Unterschied zwischen Männern und Frauen vorwiegend gesellschaftlich bedingt ist. Dieser Unterschied wirft in der feministischen Theologie manche Fragen auf. So z. B. sollte Gottes „weibliche“ Seite bewusst wiederentdeckt werden oder würde man damit gesell- schaftlich verankerte Unterschiede „mit in den Himmel nehmen“? Ist die Frau als Gegenüber für den Mann wieder zu entdecken oder soll nach Galater 3,28107 realisiert werden, dass vor Gott weder männlich und weiblich gilt? In der feministischen Exegese gilt Galater 3,28 als wesentlicher neutestamentlicher Text, in welchem die Gleichheit von Mann und Frau betont wird.108 Für manche feministische Theologin wird dieser Vers zur Begründung Männlich und Weiblich ganz aufzulösen (Karle 2006:227-236). Durch den Glauben an Christus entstehe eine neue Sozialstruktur. „Das Fallen der Schranken zwischen Männern und Frauen ist Aus- druck der Neuschöpfung in Christus, die … Geschlechtsunterschiede tiefgreifend relativiert und transformiert“ (:230). Dabei geht es aber nicht um die Anatomie der Leiber, sondern um ein Leben im Geist der Liebe und der Freiheit (:236). Aus „Gott schuf sie männlich und weib- lich“ werde eine direkte Verneinung zu „nicht mehr männlich und weiblich“ (:230) in Galater 106 Isherwood & Stuart (1998:15-32) fordern dazu auf, weibliche Sexualität von lesbischer Sexualität aus zu verstehen, damit weibliche Sexualität ohne patriarchalen Einfluss verstanden werden kann. Auch wenn der An- satz interessant ist und sicherlich Erkenntnisse über weibliche Sexualität möglich sind, darf dabei nicht verges- sen werden, dass bei vielen lesbisch-aktiven Frauen Negativerlebnisse mit Männern zu Grunde liegen. 107 Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus (Galater 3,28). 108 Der Vorwurf an das hellenistisch-römische Patriarchat lautet, dass der Text weniger rezipiert und häufig erst auf einen Zustand im Jenseits umgedeutet wurde (Kaupp 2008:30). 53 3,28. Gleichzeitig werde die sozialwissenschaftliche Genderforschung durch die feministische Theologie, wenn auch nur zögerlich, aber nun doch langsam wahrgenommen (:11). Schon Barth (1964:61) wehrt sich vehement gegen eine Festlegung der Unterschiede von Mann und Frau und seine Ausführungen zu Brunner (in Barth 1964:60) sind schon als polemisch zu bezeichnen. Barth will keine Phänomenologie und Typologie der Geschlechter. Er sorgt sich, dass die Unterschiedlichkeit zu einem Gesetz erhoben und damit größte Verwir- rung angerichtet werden könnte. Brunner beschreibe die Rollen von Mann und Frau so stark unterschiedlich, dass man nicht umhin könne, sie mit Heiterkeit als „ein bißchen boshafte Karikatur“ zu betrachten. Solle sich die wirkliche Frau sagen lassen: Du sollst dich an „Perso- nen halten, … die Seele pflegen, … deinem Instinkt folgen, … subjektivieren, … darfst bloß schmücken, … sollst pflegen“ (:61)? Solle die Frau allein auf diese Wesensarten festgelegt werden? Das gehe eben nicht. Barth will erreichen, dass Frau und Mann in ihrer Ebenbild- lichkeit und Gleichnishaftigkeit frei sind von Systematik und deshalb ohne vorgefasste Mei- nung leben können. Barth fordert, dass Männer und Frauen nicht anstreben ihr Mann- und Frausein vertauschen zu wollen. Sie sollen in ihrem Geschaffensein treu sein (:61-62, 84). Mann- und Frausein hebt Menschsein weder auf, noch verschwindet es darin (:66). Barth will Männer und Frauen in erster Linie als Menschen sehen, deren Unterschiedlichkeit nicht zu einem Gesetz erhoben werden darf. Genesis 2,18109 bleibt an dieser Stelle bei ihm unberück- sichtigt. Moltmann (2005:9) schreibt im Vorwort zu Mensch, das erstmalig 1971 veröffentlicht worden ist, er habe „undifferenziert von `dem Menschen´ gesprochen und gemeint“, dass er als Mann dazu alles Notwendige sagen könne. Inzwischen sei ihm klar geworden, dass es „den Menschen nur im Dual von Mann und Frau gibt und folglich eine realistische Anthropo- logie nur von Frauen und Männern zusammen entworfen werden kann“. Er habe die Grenzen seiner männlichen Perspektiven kritisch erkennen können und die weiblichen Perspektiven als Bereicherung wahrgenommen. Insgesamt nehmen die Diskussionen und Stellungnahmen zur Bibel als Wort Gottes in- nerhalb der feministischen Theologie einen breiten Raum ein. Dabei dreht es sich vor allem um die Kernfrage, ob „Wort Gottes“ fundamentalistisch oder historisch verstanden, also als „Gotteswort in Menschenwort“ verstanden werden muss. Wenn die Bibel als Gottes Wort ganz und ohne Fehler anerkannt wird, können patriarchalische Denkstrukturen nicht kritisiert werden, sondern es muss da angesetzt werden, wo Androzentrismus die Auslegungsgeschich- 109 „Dann sprach Gott, der Herr: `Es ist nicht gut für den Menschen allein zu sein. Ich will ihm ein Wesen schaf- fen, das zu ihm passt.´“ (zitiert nach Neues Leben. Die Bibel 2006). 54 te prägte. Von anderen feministischen Theolog/-innen wird die Bibel als patriarchal abge- lehnt, da bereits deren Abfassung nach androzentrischen Gesichtspunkten erfolgte. Texte, die erkennbar emanzipatorischen Strömungen zuwider laufen, werden nicht als heilige Schrift anerkannt. Einige radikale Theologinnen haben sich ganz vom Christentum abgewandt (z. B. Mary Daly110), weil sie in ihm eine „Erzwingung, Mythisierung und damit Verewigung der Geschlechterrollen-Stereotypen“ (Schenkluhn 1999:397) sehen. 3.4. Kritik zum Feminismus und der Gendertheorienbildung Hinter dem Konzept von Gender-Mainstreaming verbirgt sich ein nicht kommuniziertes Um- erziehungsprogramm, das den meisten Bürgern in Deutschland nicht bewusst ist und wozu sie die Volksvertreter nicht legitimiert haben (Spaemann 2012:13-14; Zastrow 2006:7-9, 22).111 Die Folge ist eine bei den Vertretern von Gender-Mainstreaming „wachsende Diskussions- verweigerung im Namen der `politischen Korrektheit´ … Dem vom Mainstream abweichen- den wird nicht mit Argumenten erklärt, inwiefern er irrt, sondern es wird ihm gesagt: `Das hättest du nicht sagen dürfen.´“ (Spaemann 2012:14). Folglich wird eine nicht dem Mainstream entsprechende Meinung nicht widerlegt, sondern geächtet.112 Obwohl die philosophische Hypothese der Gendertheorienbildung dem ursprünglichen Wahrnehmen und Empfinden der meisten Menschen widerstrebt,113 wird schon allein die An- nahme von Geschlecht als gewalthafte Zuweisung bewertet (Spaemann 2012:17) und traditio- nelle Geschlechterrollen sollen zerstört werden. Das beginnt mit einer geistigen Geschlechts- umwandlung (:19). Diese soziale Evolution wird deutlich von den Frauen gesteuert (Schirr- macher 2006:134-140). Die gleichen Muster tauchen in der feministischen Theologie auf. 110 Dalys (Differenzfeministin, vgl. Daly 1978) beantwortet die Frage nach einer Reduzierung der Männer auf 10% (eine Forderung, die Sally Miller Gerharts gestellt hatte) mit: „Ich denke, das ist durchaus keine schlechte Idee. Wenn Leben so viel heißt wie Überleben auf diesem Planeten, dann muss es eine Entseuchung (decontami- nation) geben. Ich denke, das wird begleitet sein von einem evolutionären Prozess, der in einer drastischen Re- duktion der Männer bestehen wird.“ Kein Wunder also, dass ihre feministische Gesellschaftsanalyse kontrovers diskutiert wird. Einige finden in ihren „philosophischen Werken neue gynozentrische Gesichtspunkte“, andere klagen über ihre Männerdiskriminierung und darüber, dass sie zum Gendercide aufrufen würde (Wikipedia 2012:Mary Daly). 111 Auf der politischen Ebene werden oft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorangestellt (Zastrow 2006:8). 112 Deshalb wird eine Theorie nicht mehr einer diskursiven Prüfung ausgesetzt, um erkennen zu können, wie der Wahrheitsgehalt ist, sondern es geht nur noch darum, ob eine Meinung beherrschend oder abweichend ist oder ob sie eine Ächtung verdient (Spaemann 2012:14). Ein Beispiel dafür ist die aktuelle, intensive und in weiten Teilen unsachliche Diskussion zum Bildungsplan 2015 in Baden-Württemberg (Padtberg-Kurse 2014), die in ganz Deutschland mit Petition (Stängle 2014) und Gegenpetitionen (Burger 2014) ausgetragen wird. 113 Nach einem Vortrag zu „Frauen im Wandel“ erzählte ein Teilnehmer folgende Begebenheit: Vertreter der Genderideologie hatten einen Indianerstamm in Paraguay aufgesucht, um ihnen die Gendertheorien zu erläutern. Am Ende des Tages, nach geduldigem Zuhören, habe ein älterer Indianer gesagt, das sei aber interessant, denn bei ihnen kämen die Babys als Jungen und Mädchen auf die Welt (beigefügt als Anlage 13). 55 Das in der Literatur häufig zitierte Beispiel von Bruce/Brenda/David Reimer zeigt, dass man eben nicht einfach zur Frau gemacht werden kann (Zastrow 2006:36-42). Die körperli- chen Unterschiede von Frauen und Männern können nicht einfach als nichtig erklärt werden, denn sie sind auf der ganzen Welt, egal wo, zu finden (Hofstede & Hofstede 2009:161).114 „Anthropologie kommt nicht umhin, den Menschen als spannungsreiche Wirklichkeit zu beschreiben … dem Pol einer gegebenen Ausstattung von `Natur´ und dem Gegenpol der Veränderung: einem Werden, einem Futur, der `Kultur´“ (Gerl-Falkovitz 2009:181). In unter- schiedlichen Disziplinen werden zeitgleich unterschiedliche Schlüsse zum Mann- und Frau- sein gezogen. In der Medizin z. B. ist männlich und weiblich einerseits klar getrennt, anderer- seits wird an Männern oder Frauen eine anatomisch-physiologische Geschlechtsumwandlung vollzogen, damit die Menschen in dem Körper leben können, den sie für sich als richtig emp- finden. Ende 2004 eröffnete in der Berliner Charité ein neues „Zentrum für medizinische Ge- schlechterforschung“. In speziellen Forschungsprojekten wird den Fragestellungen nachge- gangenen, warum bei „Männern und Frauen zahlreiche Krankheiten unterschiedlich häufig auftreten, anders verlaufen oder signifikant verschiedene Symptome zeigen“ (Genderfor- schung 2005). Allein schon die Fragestellung weist auf körperliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen hin. Einerseits werden Frauen und Männer, auch im Rahmen der Genderforschung, mit weiblichen bzw. männlichen Attributen beschrieben, andererseits ist es nicht akzeptabel über Männer und Frauen an sich zu schreiben, weil Menschen als vielschichtige, individuelle Men- schen und nicht als Männer und Frauen wahrgenommen werden sollen. Dennoch, die „unterschiedliche genetische und hormonelle Ausstattung der Geschlech- ter determiniert eine schmale naturale Basis der Geschlechterdifferenz“ (Heimbach-Steins 2006:1275). Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind biologisch und haben Einfluss auf das soziale Auftreten, denn „das Frau- bzw. Mannsein prägt ja nicht nur unseren Köper, sondern unser ganzes Sein, da wir in unserem Wesen von unserer Sexualität bestimmt sind“ (Eichler 2010a:56). Dass für die Deutung wissenschaftlicher Beobachtungen das Geschlecht des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich in verschie- denen Beispielen.115 Schon 1937 schreibt Brunner (1937:357), dass bei Philosophen und 114 So profitieren die im Unterschied zu Männern körperlich schwächeren Frauen mehr von sozialen Bindungen, denn ihr Wunsch sich mit anderen zu verbinden sei sehr viel ausgeprägter als bei Männern (Hofstede & Hofstede 2009:161). 115 Hier sei an das Beispiel von Wolff (1994) zur alttestamentlichen Anthropologie erinnert und die Stellung- nahme von Schroer & Staubli (2005:13), Seite 56. 56 Dichtern116 beim Nachdenken über „den Menschen“ in der Regel der Mann im Blickfeld ge- wesen sei. Die Frau sei verdeckt durch das Männerbild und sie sei daher nicht deutlich erfasst (:367). Frauen seien Produkt eines herrischen Männerwillens und hätten noch einen langen Freiheitsweg vor sich. Wer allerdings „Menschsein vom Gesichtspunkt der Kulturpotenz“ (:368) betrachte, komme zu missverständlichen Ergebnissen. Während z. B. Willi (2005:77-80) der Meinung ist, dass Männer und Frauen sich gerade in ihrem Zusammenleben geschlechtstypischer verhalten als in ihrem Beruf, meinen andere, dass sich Männer und Frauen besonders im häuslichen Bereich stark aneinander angeglichen hätten. Riegel (2004:131) fasst die Bestrebungen der Genderforschung in seiner genderkriti- schen, empirisch-religionspädagogischen Untersuchung so zusammen: „Geschlechterdiffe- renz wird demnach erst in der sozialen Interaktion erzeugt, in der sich ein Individuum durch seine geschlechtliche Inszenierung als Frau bzw. weiblich oder Mann bzw. männlich zu er- kennen gibt“. Der Mensch wird als „abstrakt geschlechtslos“ gedacht – Mann und Frau gibt es nicht mehr, es gibt nur noch gender (Klenk 2006:199). Die „willkürliche Festlegung“ des `bi- ologischen Geschlechts´ wird als Weichenlegung für soziales Verhalten betrachtet und dieser „Willkürlichkeit“ wird durch die Gender-Bewegung der Kampf angesagt (Maschner 2006:203), weil der kausale Zusammenhang von biologischem Geschlecht und die daraus resultierenden Verhaltensweisen von Männern und Frauen abgelehnt werden. Insgesamt bleibt die Frage nach der Zeugung, bei der es nach wie vor elementarer weib- licher und männlicher Bestandteile bedarf, bis heute unbeantwortet (Gerl-Falkowitz 2013). Diese werde von Butler überhaupt nicht diskutiert. Afrikanische Frauen kritisieren die vorherrschenden feministischen Theorien Europas und gehen über deren Relevanz, Angemessenheit und Eignung hinaus, wenn sie entscheiden- de Fragen zur Darstellung stellen und Aufgabenteilung mit einschließen (Nnaemeka 2004:366). Das Ziel afrikanischer Feministinnen ist Nego-Feminism (ein Verhandlungsfemi- nismus und kein Ich-Feminismus) der zielorientiert, achtsam, entgegenkommend, anpassungs- fähig und offen für verschiedene Sichtweisen gestaltet werden soll (:382). 3.5. Eigene Stellungnahme Wenngleich ich die Entwicklung von Feminismus und Gendertheorien nachvollziehen kann, teile ich Martin Luthers (1483–1546) Aussage zu Mann und Frau, der das Geschlecht als von Gott gegeben betrachtet: 116 Brunner nennt hier keine Namen. 57 Gott schuf den Menschen, daß es ein Männlein und ein Fräulein sein sollte (1. Mose 1,27). Aus dem Spruch sind wir gewiß, daß Gott die Menschen in die zwei Teile geteilt hat, daß es Mann und Weib oder ein Er und Sie sein soll. Und das hat ihm so gefallen, daß er´s selbst ein gut Geschöpf nennet. Darum, wie einem jeden von uns Gott seinen Leib geschaffen hat, so muß er ihn haben, und es stehet nicht in unserer Gewalt, dass ich mich zu einem Weibsbild oder du dich zu einem Mannsbild machest, sondern wie er mich und dich gemacht hat, so sind wir: ich ein Mann und du ein Weib. Luther in Lorenz 1997:13 Die subjektive Selbstbestimmung der biologischen Geschlechtlichkeit innerhalb Genderstu- dies teile ich nicht. „Konkret gilt ein Mensch entweder als weiblich oder männlich, wobei dieses Geschlecht durch die Chromosomenkonstellation der Zygote festgelegt ist und zeitle- bens konstant bleibt“ (Riegel 2004:135). Allerdings spreche ich mich für eine kritische Auseinandersetzung mit dem spezifisch kulturell gefüllten Bild von Mann- und Frausein aus.117 Biologisch festgelegte Männer und Frauen118 bewegen sich innerhalb einer Kultur im Rahmen von kulturspezifischen Erwartun- gen an Weiblichkeit und Männlichkeit. Diese Erwartungen sind im Fluss und haben und wer- den sich erstens im Laufe der Jahre verändern und zweitens in jeder Generation von Einzel- personen oder individuellen Paarzusammensetzungen gesprengt. Daraus folgt, dass das Ver- halten von Frauen innerhalb einer Kultur auch als klassisch männlich bewertet werden kann und dass es bei Männern eben genau umgekehrt möglich ist – und dabei sind sowohl die Frauen als auch die Männer psychisch gesund! Biologisch festgelegten Männern und Frauen stehen eine Bandbreite an Möglichkeiten zwischen den kulturtypischen Festlegungen von typisch weiblichem und typisch männlichem Verhalten offen. Natürlich rechtfertigt das Argument, Frau und Mann seien biologisch auf ein Geschlecht festgelegt, niemals Unterdrückung und einseitige Freiheiten. Im Rahmen der Gleichwertigkeit ist nicht relevant, was Frauen oder Männer zu tun oder zu lassen haben, sondern sie werden sich in der Art und Weise wie sie etwas tun voneinander unterscheiden. Das biologische Ge- schlecht hat Einfluss auf das Handeln, aber die kulturellen Erwartungen können und sollen hinterfragt werden. 117 Denn gerade hierbei gibt es keine weltweite Einheitlichkeit. Z. B. während in Deutschland Frisörsein ein typischer Frauenberuf ist, sind es in der Türkei vorwiegende Männer, die diesen Beruf ausüben. 118 Die Aussage bezieht sich auf die Masse der Menschen auf der ganzen Welt. Dennoch möchte ich wiederum darauf hinweisen, dass ich mir der Menschen mit biologisch uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen (früher als Hermaphroditismus, Zwitter genannt) bewusst bin und diese nicht automatisch als kranke Menschen anzusehen sind. 58 Abbildung 4: Geschlechtsspezifische, kulturelle Erwartung und biologisches Geschlecht Frauen wie Männer bewegen sich mit ihrem biologischen Geschlecht im Rahmen kul- turspezifischer Erwartung an weibliches bzw. männliches Verhalten. Dabei kann es vorkom- men, dass Menschen die kulturspezifisch- geschlechtstypischen Erwartungen nicht erfüllen, d. h. eine Frau kann kulturspezifisch männliches oder ein Mann kann kulturspezifisch weibli- ches Verhalten zeigen, obwohl sie ihr biologisches Geschlecht angenommen haben. Außer- dem sind sie von ihrer individuellen sexuellen Identität und Orientierung geprägt (vgl. von Balswick & Balswick (1999:14-15). Unter Einbeziehung dieser Aspekte entsteht folgende Darstellung: Abbildung 5: Vier Dimensionen der Sexualität kulturspezifisch männlich kulturspezifisch weiblich biologisches Geschlecht biologisches Geschlecht kulturspezifisch männlich kulturspezifisch weiblich biologisches Geschlecht sexuelle Identität sexuelle Orientierung biologisches Geschlecht sexuelle Orientierung sexuelle Identität 59 Der Auslegung feministischer Theologinnen zu Galater 3,28 (siehe z. B. Karle 2006:227-236) ist die Auslegung von Schlatter (1965b:101-102) entgegenzustellen. Die Ge- meinden in Galatien litten unter den Spaltungen zwischen Juden und Griechen. Weitere Ge- gensätze gab es in den Lebenslagen von Sklaven und Freien, sowie den naturhaften Unter- schieden von Männern und Frauen. Christen sind durch Christus mehr als nur Glieder der jeweiligen Gruppe. Die Vollkommenheit Christi stellt sich dar in Juden und Griechen, Skla- ven und Freien, und genauso in Männern und Frauen. Keiner ist bevorzugt, keiner benachtei- ligt (:102). Wird diese christuszentrierte Auslegung in ihrem Fokus verändert, ist die Option „nicht mehr Mann noch Frau“ als eine sexuelle und kulturelle Veränderung des Geschlechts eine mögliche Sichtweise, aber eben nur durch Verschiebung des Fokus möglich. Das biologische Geschlecht von Mann und Frau ist, ausgehend von meiner Grundan- nahme, nicht diskutierbar, wenngleich ich mir nicht anmaßen möchte, die Intensität dieser Unterschiedlichkeit zu skizzieren.119 Allerdings wäre es eine hilfreich Ergänzung, wenn Men- schen ihre Körper frei von den üblichen sexuellen Mustern erforschen würden (Isherwood & Stuart 1998:31). Die Grundannahme, dass Menschen als Männer und Frauen geboren werden, wird in den nächsten Kapiteln theologisch erhärtet. Die Grenzen im Rahmen von Gender, also im kulturellen und soziologischen Rahmen, sind jedoch veränderbar und fließend. Hier sind Wissenschaftler und Gesellschaft aufgefordert geschlechtstypische kulturelle Festlegungen und Einengungen zu überdenken. Die Ängste, dass das Festhalten an Frauen und Männern als Geschlechtskategorien zu Ungerechtigkeiten und Festlegungen führt, vor allem den Frauen gegenüber, kann ich nach- vollziehen und oft genug habe ich selbst darunter gelitten. Daher ist es gut, dass diese Themen neu und auf breiter Ebene diskutiert werden. Meine Position, will man sie in Genderkategorien erfassen, steht sowohl dem Differenz- feminismus als auch dem Konstruktivismus nahe. Den Ansatz des Differenzfeminismus kann ich zumindest so weit nachvollziehen, wie aus den verschiedenen geschlechtertheoretischen Ansätzen, in denen aus den biologischen Unterschieden zwischen Frauen und Männern auch unterschiedliches soziales Verhalten abgeleitet wird, die Rede ist. Der Differenzfeminismus ist für mich so lange akzeptabel, wie er sich innerhalb der Intensitätsformen im liberalen und sozialistischen Bereich bewegt. Die Überlegenheit der Frauen über die Männer, die den radi- 119 Unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen und persönliche Entwicklungsgeschichte von Frauen und Män- nern können typisch weibliche und männliche Erscheinungsformen durchaus in guter und gesunder Weise über- lagern. Das erlebe ich auch im Rahmen meiner seelsorgerlichen Tätigkeit. Sowohl Männer als auch Frauen kommen in die Beratung, weil sie sich zwar eindeutig als heterosexuelle Männer bzw. Frauen wahrnehmen, aber durch manche ihrer Persönlichkeitsmerkmale, die geschlechtstypisch „nicht passen“, verwirrt sind. 60 kalen Vertreter/-innen des Differenzfeminismus zuzurechnen sind, teile ich nicht, weil sie grundsätzlich dem Gleichwertigkeitsgedanken widerspricht. Ebenso sind die Bestrebungen eine matriarchalische Weltordnung, als ein Ort des Friedens, der Naturverbundenheit und Gewaltlosigkeit, für mich Utopie, da dieses Konzept weniger auf objektive Fakten, also auf subjektive Inanspruchnahme von kulturellen, religiösen und historischen Elementen gegrün- det ist (vgl. Schenkluhn 1999:399). Demgegenüber beschreibt Heller (2006:63), aus der evan- gelischen Theologie kommend, die Möglichkeit eines kulturhistorischen Vergleichs, in dem Frauen in mutterrechtlichen Gesellschaften eine hohe soziale, ökonomische und/oder religiöse Position hatten. Dem konstruktivistischen Ansatz komme ich da nahe, wo versucht wird, die soziale Er- wartung an Männer und Frauen durch die Kategorien sex und gender zu erfassen und zu re- flektieren. Diese Unterteilung hilft, biologische und soziale Wirklichkeit auseinander zu divi- dieren, um sie im Sinne von sozialer Gleichwertigkeit und biologischer Unterschiedlichkeit, die auch Auswirkungen auf soziales Verhalten hat, neu zu gestalten. Dabei sind die Intensi- tätsformen liberal und sozialistisch für mich nachvollziehbar. Ich distanziere mich aber von allen radikalen feministischen und gendertheoretischen Bestrebungen, wie sie der radikale Feminismus vertritt, die einerseits Frauen auf Kosten der Männer überhöhen und andererseits durch Gleichmacherei dem männlichen und weiblichen Sein nicht mehr gerecht werden (kön- nen). So zu tun, als wären Männer und Frauen gleich, verletzt die Frauen, weil man sie auf der Grundlage männlicher Normen beurteilt. Es verletzt auch Männer, die – in bester Absicht – mit einer Frau genauso reden wie mit einem Mann und fassungs- los sind, wenn ihre Worte nicht den erwarteten Erfolg erzielen oder sogar Ableh- nung und Zorn auslösen. Tannen 1995:15 Allerdings bin ich dann mit dem konfrontiert, was Kuby (2012:154-155) wie folgt in ih- rem genderkritischen Buch so zusammenfasst: Wer also der Ansicht ist, es gäbe eine göttliche Bestimmung für Mann und Frau ist ein religiöser Fundamentalist, und wer meint, es spiele eine Rolle, das jede Körperzelle genetisch männlich oder weiblich definiert ist und das Gehirn von Männern und Frauen erhebliche Unterschiede aufweist, der ist ein biologischer, sexistischer Fundamentalist und damit ein gefährliches, freiheitsfeindliches Sub- jekt. Sexuelle Differenzierung und die Differenzierung der Trinität gehen Hand in Hand.120 Eine Frau ist nicht in der Lage genauso zu sein wie ein Mann und ein Mann ist nicht in der 120 Die Differenzierung der Trinität soll hier nicht weiter entfaltet werden (vgl. Williams 2013:1-7). 61 Lage genauso zu sein wie eine Frau. Jedes Geschlecht ist privilegiert durch sein Geschlecht und zugleich limitiert durch diese Geschlechtsform (Williams 2013:2). Als ich 2011 einen Vortrag von Madipoane Masenya zu Sprüche 31 hörte (auch veröf- fentlicht: Masenya 2011:89-106), war ich sehr erstaunt, dass sie sich selbst als Feministin bezeichnet. Der hierbei entfaltete (afrikanische) Feminismus hat eine ganz andere Zielrich- tung als der deutsche Feminismus. Ebenso schließe ich mich den Ausführungen zum Ansatz des kooperativ ausgelegten Nego-Feminism an (vgl. Nnaemeka 2004). 3.6. Fazit und Relevanz Die Theorien des Feminismus und die Gendertheorien stellen traditionelles, patriarchisches Denken zu Recht in Frage. Gleichzeitig gehen besonders die aus dem radikalen Feminismus kommenden feministischen und genderideologischen Theorien über den Gleichwertigkeitsge- danken von Frau und Mann hinaus und setzen sich teilweise über biologische Gegebenheiten hinweg. Dieses Kapitel diente dazu, aufzuzeigen, die aktuell diskutierten, feministischen und genderideologischen wissenschaftlichen Bestrebungen zu erfassen und um aufzuzeigen, dass diese verstanden und reflektiert wurden. Gleichzeitig dienten sie einer eigenen differenzierten Positionierung. Die eigene Position wurde im Denkrahmen des liberalen und sozialistischen Feminismus neu überdacht und es fand eine Abgrenzung zum radikalen Feminismus statt. Denn: trotz Genderideologie halte ich an der Dualität und Polarität von Frau und Mann fest. Daher wird die Beschreibung der Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht im Denkrahmen von Erotisierungen zwischen biologischer Frau und biologischem Mann stattfin- den, denn das hat Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Missionar/-innen. Daraus resultieren dann wiederum die Dynamiken von Missionarinnen im Miteinander. Nun stellt sich die Frage, wie die bisherigen Erkenntnisse mit der biblischen Tradition ver- knüpft werden können, da die in dieser Arbeit untersuchten Missionar/-innen sich dieser ver- pflichtet sehen. Da sexuelle Versuchung und Versuchlichkeit im missionarischen Bezie- hungsgeflecht aber häufig tabuisiert sind, kann die Dichte der folgenden Untersuchung hilf- reich sein, wenn aus der empirischen Studie Konsequenzen für die Missionspraxis aufgezeigt werden. In der folgenden biblisch-theologische Untersuchung zu Geschlecht und Erotik wer- den die Schwerpunkte dabei auf der Wesensmäßigkeit von Frau und Mann, der Authentizität von Eheleben, der sexuellen Versuchungen und Versuchlichkeit von Frauen und Männern und auf der Anziehung durch die Schönheit des Körpers wie sie das Hohelied beschreibt liegen. 62 Auf die Erkenntnisse aus Kapitel 3 wird in der Interpretation der Ergebnisse und den Konse- quenzen für die Missionstheologie sowie für die -praxis zurückzugreifen sein. 63 4. Biblisch-theologische Untersuchung zu Geschlecht und Erotik In den folgenden biblisch-theologischen Untersuchungen werde ich als christliche Theologin die bisherigen Erkenntnisse mit der biblischen Tradition verknüpfen. Die biblische Metapho- rik ist bedeutsam als wichtige charakteristische Dimension zur weiblich-männlichen Interak- tion in der jüdisch-christlichen Tradition. Die metaphorische Herangehensweise bedeutet nicht, dass der Wert der biblischen Aussagen unterschätzt oder gar missachtet wird. Grundsätzlich betrachte ich die Bibel als Einheit, denn wer „die Schrift in dem Geist verstehen will, in dem sie geschrieben ist“, muss auf „Inhalt und Einheit der ganzen Schrift achten“ (Zweites Vatikanisches Konzil in Ratzinger 2006:17).121 In den folgenden Ausführungen wird vorwiegend das Alte Testament befragt. Erstens waren die Autoren des Neuen Testaments im Alten Testament zu Hause und schrieben aus diesem Hintergrund heraus. Auch wenn im Neuen Testament einige Korrekturen vorgenom- men werden, Gesetze abgeschafft oder erweitert interpretiert werden, so ist das Neue Testa- ment dennoch auf dem Hintergrund des Alten zu lesen und zu verstehen.122 Zweites geht es in dieser Arbeit um das Leben miteinander, das Leben in Arbeits- und Lebensgemeinschaften. Im Alten Testament wird der Weg des Volkes Gottes über viele Generationen hinweg be- schrieben. Dadurch ist im Alten Testament vom Miteinander im Alltag mehr zu erfahren als im Neuen Testament, wie der Alttestamentler Westermann (1996:210) herausstellt: Vom Menschen, wie er wirklich ist, redet das Neue Testament kaum, denn es ist beschränkt auf den Abschnitt der Beziehung einer kleinen Gruppe von Menschen zu ihrem Meister, Jesus von Nazareth. Von dem Menschen als Ganzen, als Gottes Geschöpf, und von dem Menschen in der Vielfalt des Menschenlebens redet das Alte Testament. Ziel ist es, Frau- und Mannsein auch aus biblisch-theologischer Perspektive unter dem Blickwinkel von Erotik, Eheleben, Versuchung und Versuchlichkeit zu reflektieren. Aus dem Neuen Testament können keine zusätzlichen, grundlegenden Informationen speziell über Mannsein bzw. Frausein gewonnen werden.123 121 „`Kanonische Exegese´ – Lesen der einzelnen Texte der Bibel in deren Ganzheit – ist eine wesentliche Di- mension der Auslegung, die zur historisch-kritischen Auslegung nicht im Widerspruch steht, sondern sie orga- nisch weiterführt und zu eigentlicher Theologie werden lässt“ (Ratzinger 2006:18, Steins 2007:116-121). 122 Diese Aussage zeigt auch eine hermeneutische Entscheidung auf. 123 Im Neuen Testament findet man Vergleiche mit Mutter und Vater als geistliche Mütter und Väter (1. Thessa- lonicher 2,7-12), Hinweise zum Eheleben (z. B. 1. Korinther 7,4), auf ethisch-moralisches Verhalten (z. B. Mat- thäus 5,27-32) oder Anweisungen für das geistliche Leben von Männern und Frauen (vgl. Titus 2). 64 4.1. Wesensmäßig Frausein Frauen müssen zuerst ohne den Blickwinkel auf ihren Familienstand als geschlechtliche We- sen erfasst werden. Alle Frauen, Verheiratete, Singles, Geschiedene und Witwen sind we- sensmäßig Frauen. Sie sollten daher auch theologisch so betrachtet werden, denn auch in der theologischen Reflexion ist wesensmäßiges Frausein zutiefst in der Geschlechtlichkeit ver- wurzelt und wird durch sie sichtbar. Daher werden im Folgenden wieder die frauentypischen Organe Uterus und Brust, jetzt theologisch, erforscht. 4.1.1. Der Uterus Das weibliche Organ Uterus wurde von der Sprache her zu einer Metapher für Frausein und Mütterlichkeit mit Barmherzigkeit und Empathie. Mit dieser sprachlichen Verbindung werden menschliche Gefühle beschrieben (Schroer & Staubli 2005:57-62). Das hebräische Wort rachamin bedeutet „Mitgefühl, Mitleid, Barmherzigkeit, Einfühlung, Empathie“, das dazu gehörige Verb racham bedeutet „sich erbarmen“. Beides kommt von der Wurzel rāchām, welches übersetzt wird mit „weiblicher Schoß, Mutterschoß oder Gebärmutter“. Barmherzigkeit und Erbarmen werden auch als Eigenschaften Gottes benannt (vgl. Ho- sea 11,8b; Jesaja 45,8b). Gottes Zorn und Gerechtigkeitssinn drängen ihn, Israel zu strafen, „doch dann entbrennt das Mitgefühl in JHWHs Bauch, und so bleibt das Volk abermals ver- schont“ (Schroer & Staubli 2005:64 zu Hosea 11,8b). Für Mitgefühl, Mitleid, Barmherzigkeit, Einfühlung und Empathie steht in der Sprachlehre das Wort rāchām. Die Verwebung von rāchām als weiblichem Schoß und rachamin als Mitgefühl, Mitleid, Einfühlung und Empa- thie zeigen eine tiefe Verwurzelung der Trägerinnen mit diesen Eigenschaften (:59-66). Diese Attribute Gottes weisen auch auf die Gottebenbildlichkeit der Frau von ihrem Wesen her hin.124 Wann immer in den Psalmen die Rede von Gottes Barmherzigkeit ist, so „hat dies im Deutschen mit dem `Herzen´ zu tun, im Hebräischen aber mit rāchām, dem Mutterschoß, von dem das Wort rachamin, Erbarmen, abgeleitet ist“ (Gerl-Falkovitz 2009:213). Die Erwartung dabei ist, dass Gott, wenn er bei seinem „Mutterschoß“ angerufen wird, nicht widerstehen kann. In der begrifflichen Verzahnung wird eine Einheit des weiblichen Wesens mit dem Körper ausgedrückt. Der Uterus gibt dem Femininen etwas Bewahrendes und Pflegendes. Ähnlich ist es im Griechischen mit splanchnon, splanchna, mit denen „innere Organe, Bauch, 124 Männer können diese Charaktereigenschaften ebenso haben oder von Gott bekommen. Intensiv verwoben sind sie allerdings mit dem Frausein. 65 Eingeweide, Mutterleib, Gemüt“ beschrieben werden. Das dazu gehörige Verb splanchnizest- hai drückt „Mitleid haben, sich erbarmen“ aus. 4.1.2. Die Brust Die Symbolik der Frauenbrust liegt im Alten Testamentes nicht allein in der Sexualität, son- dern auch auf erotischen und nährenden Aspekten. So erfahren die Brüste im Hohelied mehr Aufmerksamkeit als der Genitalbereich. Dort sind sie ein Bild größter Intimität. Nicht einge- schnürte Brüste werden mit Gazellen (Hhld 4,5), mit köstlichen Weintrauben (7,8) oder mit einem Turm (8,10) verglichen. Sie sind damit Leben und Lebenserneuerung (Keel 1986:139). Durch ein Bild werden sie in reicher Ausstattung mit Früchten (:224-226) stolz zur Schau getragen (:253). Der junge Mann bekommt in Sprüche 5,18b.19 die Aufforderung, sich an der Frau sei- ner Jugend zu erfreuen und „ihre Brüste sollen dich berauschen jederzeit, in ihrer Liebe sollst du taumeln immerdar!“125 Besser übersetzt wäre der Vers mit „Ihre Brüste sättigen dich zu jeder Zeit, an ihrer Liebe kannst du dich berauschen“ (Schroer und Staubli 2005:67 zu Vers 19b).126 Der nährende Charakter der Brüste ist, zumindest bildhaft, nicht dem Säugling vorbe- halten. Die Frauenbrust hat die Funktion Nahrungsquelle zu sein, dazu kommt, dass sie Leben stärkende und Lust weckende Reize hat. Volle Brüste sind ein Bild des Segens (vgl. Genesis 49,25). Genauso sind sie ein Ort großer Geborgenheit (vgl. Psalm 22,10) (Schroer & Staubli 2005:68). Van Oorschot (2000:31) betont mehr den erotischen Charakter der Brust, wenn er Vers 19b mit „ … die anmutige Gemse, ihre Brüste mögen dich allezeit berauschen, in ihrer Liebe sei trunken immerfort!“ übersetzt. Hesekiel 32,3.21 unterscheidet sich von der positiven Atmosphäre im Hohelied deutlich, wenn dort das Betasten und Drücken lassen der Brüste als ein Anfang von Hurerei und Unzucht beschrieben wird (Schroer & Staubli 2005:68). Gleich- wohl geht es auch hier um eine Erotisierung. Resümee: Während die Frauenbrust in hohem Maße erotisierend und erotisch erlebt wirkt, ist der Uterus eher mit der Beschreibung des weiblichen Seins verknüpft. Allerdings wird hier hervorgehoben, dass diese Eigenschaften wesenhaft zum Frauensein gehören, was wiederum Auswirkungen auf die Attraktivität einer Frau haben könnte. 125 Nach der Scofield Bibel. Revidierte Elberfelder Übersetzung (1992). 126 Hervorhebung durch die Autorin. 66 4.2. Wesensmäßig Mannsein Da es in dieser Arbeit um die erotische Dynamik zwischen Frauen und Männern geht, soll auch das Wesen von Männlichkeit aus theologischer Sicht beschrieben werden. Die west- lich,127 biblisch-theologische Literaturlage zum Mannsein ist allerdings insgesamt recht dünn. So sind z. B. auch bei Wolff (1994) keine Verknüpfungen von männlichen Körperorgangen und männlichem Wesen zu finden. Nur in einer Bibelstelle (1. Könige 12,8; auch in 2. Chronik 10,10) wird ein speziell männliches Organ zur Methaper für Männlichkeit. Während Japhet (2003:137) den Ausspruch „Mein kleiner Finger soll dicker sein als meines Vaters Lenden“ auslegt als den Vergleich eines Fingers von Rehabeam mit den Hüften des Vaters im Sinne von: „Wofür der Vater die Lenden umgürten muss, dafür reicht mir der kleine Finger“, sehen andere Ausleger einen Vergleich mit dem männlichen Glied. Dabei wird von der Aussage „mein Kleiner ist dicker als meines Vaters Hüfte“ ausgegangen (Meyer 1976:37; Keil 1988:163; Wolff 1994; Schmid 2004:354). Mit diesem obszönen Spruch will Rehabeam dem Volk seine Macht, Stärke und Überlegenheit gegenüber den Fähigkeiten des Vaters demonstrieren. Nach Noth (1983:267) wird mit „mein Kleiner“ am Ehesten das Glied umschrieben, nach Fritz (1996:134) ist mit „mein Kleiner“ der kleine Finger gemeint, der dem Penis des Vaters (als Lenden bezeichnet) gegenübergestellt wird.128 Wie dem auch sei. Die Fülle der Ausleger, die in Rehabeams Aus- sage eine anzügliche Bemerkung sehen, scheint mir überzeugend und der Vergleich Penis – Lenden oder Finger – Penis scheint als Vergleich von Männlichkeit geeignet, in der die eigene Potenz über alle Maßen gerühmt wird und die des Vaters abgewertet werden soll.129 So kann der Penis als „kräftiges Bild für Geilheit als Hinweis auf die Kraft des politischen Konspirie- rens“ (Wolff 1994:52) verstanden werden. Das männliche Glied wird in der weiteren Ent- wicklung (vgl. Hesekiel 23, 19-49) nicht positiv im Sinne der Zeugungskraft dargestellt, son- dern als die Verdeutlichung von Untreue und Unreinheit. 127 Das ist offensichtlich in der russisch-orthodoxen Kirche anders, in der die Frau mit den Kindern zu tun hat und der Mann Beschützer und Krieger ist. „Die russisch-orthodoxe Kirche ist nicht sanft und pazifistisch, wie man es aus vielen deutschen Kirchengemeinden kennt“ (Schnepp 2013:54). Daher findet es in diesem kulturellen Kontext auch niemand anstößig, wenn der Präsident Putin sich immer wieder halbnackt zu Pferd, in einem Wildbach oder mit einem Gewehr ablichten lässt. Schnepp berichtet von seinen beiden Söhnen, die russische und deutsche Ferienlager kennen gelernt haben und letztlich an den russischen mehr Gefallen fanden, weil sie männ- lichen Bedürfnissen eher entsprachen – und er berichtete von den daraus resultierenden positiven Veränderungen bei seinen Söhnen. 128 Im Deutschen kennt man das anzügliche Sprichwort: „Der kann vor lauter Kraft nicht laufen.“ Das konnte man zuletzt über den Ministerpräsidenten Host Seehofer lesen, der bei der Landtagswahl in Bayern eine absolute Mehrheit erreichte (Marinos 2013:3). 129 Rehabeams Vater Salomo hatte immerhin tausend Frauen und soll nun auf diese Weise lächerlich gemacht werden (Schmid 2004:356). 67 In anderen theologischen Beschreibungen vom Mannsein wird immer wieder der Ein- fluss des Sündenfalls mit eingebracht. Z B. bringt für Brunner (1937:371-372, Brunner in Barth 1964:60) unterschiedliche Geschlechtlichkeit mit unterschiedlichen Aufträgen als Bei- trag zur Menschheit hervor. So solle der Mann der Zeugende und Führende, das Neue Gestal- tende und der nach außen Tretende sein, der sich die Erde untertan macht, objektiviert und generalisiert, baut, erobert und der umfassend sein müsse.130 Er habe auch die Aufgabe zu planen und zu meistern. In diesen Eigenarten sei eine funktionelle Über- und Unterordnung gegeben. Dabei muss er vor dem negativen und zerstörerischen Einfluss der Einsamkeit ge- schützt werden (Soggin 1997:74, Piper 1954:57), denn das Leben des Mannes ohne eine Frau ist unvollständig (:76). Brunner, ein theologisch denkender Mann, wird durch seine Beschrei- bung männlicher Attribute zum Erfüllungsgehilfen der vorausschauenden Strafandrohung Gottes, denn es wirkt fast so, als sei der Führungsauftrag (oder Herrschaftssauftrag) im Schöpfungsakt Gottes verankert. Thielicke (1966:5) beschreibt die Frau in einer nicht lösbaren inneren Spannung zwi- schen liebendem Verlangen nach dem Mann und männlicher Herrschaft über die Frau. Die Beziehung wurde durch den Sündenfall unklar und zweideutig. Auch wenn Thielicke Gottes gute Schöpfungsordnung als gestört beschreibt, untermauert er mit seinen Ausführungen das Spannungsverhältnis von Frau und Mann, denn nirgendwo fordert er dazu auf, sich im Mitei- nander der Geschlechter auf die Zeit vor dem Sündenfall zu beziehen, sondern Männlichkeit und Herrschen wird fast synonym gebraucht. Für Piper (1954:75) erlebt Männlichkeit ein Ziel in der geschlechtlichen Begegnung,131 in der er Liebhaber, Gefährte und Zeugender ist (:76). Nach Dunde (1992:51) blieb Männlichkeit über die Jahrhunderte hinweg wissen- schaftlich unbefragt, wenngleich die Wissenschaft männerdominiert war (Schroer & Staubli 2005:13, u.a.) und männliche Verhaltensweisen fraglos und allgemeingültig für alle Men- schen dargestellt wurden (Grieser 1999:404). Das ist nun zu einem Problem geworden, denn jetzt, im Nachhinein, ist es fast unmöglich die Literatur in der Kategorie gender zu rezipieren und diese Verwebung mittels einer Relektüre aufzuheben (Kaupp 2008:31). Wenn es For- schungen zum Mannsein gab, wurden sie, auf jeden Fall zu Beginn, zumeist von Wissen- schaftlerinnen vorangetrieben (Hollstein 1992:267). Obwohl sich die Männerforschung in den USA schon ab Ende der 70er Jahre konstitu- ierte, ist die wissenschaftliche Literaturlage nach wie vor dünn und zu „Mannsein“, „Mann- 130 Die Frau solle verinnerlichen, verborgene Einheit hüten, subjektivieren, individualisieren, schmücken, pfle- gen, durchseelen, verstehen und verbinden (Brunner 1937:371-372). 131 Für die Frau sei Sexualität ein Inhalt für ihre Weiblichkeit (Piper 1954:75). 68 sein, Mission“, „Mannsein, Erotik“ und „Mannsein, Theologie“ wurden bei einer Online- recherche keine Ergebnisse erzielt.132 Die folgende Untersuchung beinhaltet Informationen aus theologischen Lexika, die al- lerdings vorwiegend das Verhältnis zwischen Frauen und Männern und die Entwicklungen seit etwa den 70er Jahren aufgreifen und sich häufiger auf die Rolle des Mannes beziehen als auf männliches Sein. Außerdem ist zu beachten, dass die theologischen Lexika Mannsein we- niger theologisch thematisieren, sondern viel mehr soziologisch und psychologisch. Die schon bei kleinen Jungen zu beobachtende Identifikation von Mannsein mit Leis- tung bringt wettbewerbsbetonte, leistungsorientierte und sich kontinuierlich Kompetenz er- werbende Erwachsene hervor, die persönliches Glück und Sicherheit von harter Arbeit, Erfolg und Leistung abhängig machen (:268). Gesellschaftliche Rollenerwartungen sind Leistung, Härte, Kontrolle, Konkurrenz, Kampf, Distanz und Gehorsam. So werden Männer zu Herr- schern der Außenwelt.133 Diese Atmosphäre haben auch auf die Charakterentwicklung Ein- fluss. Empathie, Emotion, Zärtlichkeit Hingabe und Passivität werden als „weiblich“ etikettie- re Eigenschaften abgespalten und nicht oder nur wenig ausgebildet. Das führt zu einem einge- schränkten Gefühlsleben, Homophobie,134 Macht- und Wettbewerbszwängen, gehemmtem sexuellen und affektivem Verhalten, der Sucht nach Leistung und Erfolg und zu einer unsorg- samen Gesundheitspflege (:269; Dunde 1992:52). Dabei verdrängen oder überkompensieren die meisten Männer diese sozialen Tatsachen (Hollstein 1992:269; vgl. Süfke 2010) und sie unterwerfen ihren Körper einer Disziplinierungsschulung (Dunde 1992:52). Es ist umstritten, wie „männliche Identität, die nicht mehr durch das historische und herrschende Patriarchat gebunden ist, ausgeprägt werden kann“ (Martin 1992:272). Männer verneinen Tanz, Krank- heit und Trauer und reduzieren Sexualität auf den Genitalbereich. Libidöse Kräfte können nicht nur Aggressionen135 hervorbringen, sondern auf Ideen und Engagement übertragen wer- den (:53). Allerdings ist die Rolle der Vaterschaft als Schützer, Förderer und Forderer wieder- entdeckt worden (Dunde 1992:52).136 132 Gesucht wurde unter http://www.ixtheo.de/; http://www.subito-doc.de/; http://www.unisa.ac.za/; http://www.vthk.de/; http://scholar.google.de/intl/de/scholar/about.html. Außerdem wurden mehrere Theologen angeschrieben, die zurzeit speziell Seminare und Workshops für Männer anbieten. 133 Demgegenüber steht die auf die Innenwelt fixierte Frau (Hollstein 1992:268). 134 Der Angst vor zu viel Nähe zu anderen Männern. Auf die enge Beziehung zwischen David und Jonathan wurde dabei nicht eingegangen. 135 Das kann auch zu Gewalt führen. Dabei sind zwei Dinge festzuhalten: Erstens ist die Ursache männlicher Gewalt umstritten und zweitens scheint das Bewusstsein von Männern für diese Themen wenig verbreitet zu sein (Dunde 1992:73). 136 Im Unterschied zur Vaterrolle als autoritärer Vormund und Unterdrücker (Dunde 1992:52). 69 Nach Christ & Mitterlehner (2013) bestimmen folgende fünf Identitätssäulen den Mann: Arbeit und Leistung, materielle Sicherung des Lebens, soziales Netz und Beziehungen, Werte, Normen und Visionen, Körper und Leiblichkeit. Religiöse Männer definieren sich, indem sie „unweiblichen“ Tätigkeiten, wie z. B. geis- tiger Arbeit, nachgehen, „rein“ sind, im Sinne einer legitimen Beziehung in der Ehe oder sie müssen vor „Verführung durch die Frau geschützt werden oder separiert werden (Zölibat)“ (Grieser 1999:405). Allerdings sind inzwischen einige populärwissenschaftlich, christlich-theologisch moti- vierte Monographien und Literatur unter seelsorgerlichen Aspekten entstanden. Aus diesen werden im Folgenden Aspekte des Mannseins aufgezeigt. Der Cellar Anselm Grün (2003) beschreibt 18 Archetypen des Mannes, die er von bibli- schen Vorbildern ableitet und die er nicht jeweils auf einen Mann festgelegt wissen will (:13, 185): Männer sind sexuelle Wesen (wie Adam), Pilger (wie Abraham), Vaterloser (wie Isaak), Vater (wie Jakob), Magier (wie Josef), Führer (wie Mose), Krieger (wie Simson), Könige (wie David), Liebhaber (wie Salomo), Märtyrer (wie Jeremia), Propheten (wie Elia), leidende Gerechte (wie Hiob), Schelme (wie Jona), Felsen (wie Petrus), Missionare (wie Johannes der Täufer) und Heiler (wie Jesus).137 Das leben sie aus als wilde Männer, als Freund oder weise Alte. Männer suchen die Auseinandersetzung, den Kampf und nehmen Verlieren dabei in Kauf. Sichere Wege verabscheuen sie (:13). Weil die Männer der Bibel kraftvoll sind (:183), sind Männer aufgefordert, aus weiblicher Spiritualität herauszutreten und männliche Spiritua- lität zu entwickeln, die sich jeder Systematisierung und Idealisierung widersetzt und die „konkret auf Handlungen und Engagement ausgerichtet, voller Kraft und voller Leidenschaft“ (:184) ist und in der jeder „seine persönliche Balance zwischen Kämpfen und Lieben“ (:186) finden muss. Der „wilde Mann“ (Rohr 2013) ist in der Lage Weisheit zu gewinnen und kann sich deren Kraft zu Nutze machen. Männer sind auf Abenteuer aus, sehnen sich nach Kampf und wollen eine persönliche Prinzessin erobern (Eldredge 2003:13). Dabei wollen sie unge- zähmt leben und auf zu viel Sicherheit verzichten sie gerne. Dazu gehören Werte wie Leis- tung, Kompetenz, Risikobereitschaft, Mut, heldenhafte Selbstaufopferung, Wettbewerbsorien- tiertheit, Aggression, der Wunsch zu gewinnen (Murrow 2011:18) und Stärke (:63), aber auch Abenteuer, Risiko, Wagemut, Unabhängigkeit, Veränderung/Abwechslung, Konflikt, 137 Die weiblichen Archetypen sind nach Jarosch & Grün (2004): Richterin (wie Deborah), Königin (wie Ester), Mutter (wie Eva), Verlassene und von Engeln Geschützte (wie Hagar), weise Frau (wie Hanna), priesterliche Frau (wie Lydia), leidenschaftlich Liebende (wie Maria Magdalena), Wandlerin (wie Maria), Gastgeberin und Künstlerin (wie Maria und Martha), Prophetin (wie Mirjam), Fremde (wie Ruth), Lachende (wie Sarah) und wilde Frau (wie Tamar). 70 Spaß/Vergnügen und Belohnung138 (:31). Männer leben ihre Begabungen, Neigungen und Verhaltensmuster maskulin in Beziehungen, Selbstbehauptung und Sexualität aus (Malessa & Giesekus 2011:52). So empfinden z. B. die meisten Männer bei der Anwesenheit von Vätern, Brüdern und Schwägern die Notwendigkeit, Eindruck schinden und aufzeigen zu müssen, dass sie gut dastehen (:64). Resümee: Biblisch-theologische Literatur zu finden, in der Mannsein wirklich beschrieben wird ist ungleich schwieriger als zum Thema Frausein. In nur einer Bibelstelle wird Mannsein mit männlichen Geschlechtsmerkmalen verknüpft. Dennoch scheint die Feststellung berech- tigt zu sein, dass es typisch männlich ist nach Kraft, Potenz, Fähigkeiten und Abenteuer zu streben. Ebenso suchen Männer Wettbewerb und die Möglichkeit irgendwie ungezähmt und heldenhaft zu leben. 4.3. Authentisches Eheleben und Ehebruch aus biblisch- theologischer Perspektive Zum Fokus dieser Arbeit gehören auch Ehebeziehungen, da viele Missionare als Eheleute ausreisen. Daher soll im folgenden Unterkapitel die Authentizität einer heterosexuellen Ehe aus der aktuellen, biblisch-theologischen Sicht beschrieben werden. Ebenso wird untersucht, was unter „Ehebruch“ zu verstehen ist. Ziel ist es dabei, die christliche Ehe von der Theorie her zu verstehen, damit bei der Auswertung der Feldforschung Parameter vorliegen, an denen die Ehebeziehung von Missionaren gemessen werden kann. 4.3.1. Authentizität Bevor die Wichtigkeit eines authentischen Ehelebens dargestellt werden kann, soll Authenti- zität aus soziologischer, kommunikationswissenschaftlicher und theologischer Sicht definiert werden. Der Ruf nach Authentizität ist insgesamt berechtigterweise in Mode gekommen.139 Zuerst wird dazu die Selbstkompetenz einer Persönlichkeit soziologisch dargestellt. Von die- ser wird häufig der Gesamteindruck einer Persönlichkeit abgeleitet. Die Wichtigkeit von Selbstkompetenz ist aus der therapeutischen Arbeit bekannt. „Der geübte Therapeut hat gelernt, sich seiner eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Befürchtungen … bewußt zu werden“ (Cohn in Weber 1996:119). Die „Offenheit und Durchlässigkeit ge- genüber“ den eigenen Gefühlen können Offenheit und Sensibilität „gegenüber Gefühlen ähn- 138 Dieser Wunsch ist ebenso bei jungen Erwachsenen zu finden (Murrow 2011:31). 139 Es vergeht fast keine Diskussion, in der Authentizität nicht eingeklagt oder für sich in Anspruch genommen wird. Das ist insgesamt zu begrüßen. Dennoch ist der laute Ruf nach Authentizität (wie zurzeit in Deutschland) nur eine Seite einer Münze. Wenn Authentizität ohne Ethik ausgelebt wird, ist bald eine Schieflage zu erkennen. Adolf Hitler war authentisch, aber seine Werte ethisch absolut verwerflich. 71 licher Art bei Klienten ermöglichen“. Wenn Therapeuten etwas bei sich selbst abwehren, wehren sie es in der Regel auch beim Klienten ab – oder sie suchen es in übertriebener Weise beim Klienten (Weber 1996:119). Sich selbst nicht bewusst wahrzunehmen bedeutet, sich selbst zu täuschen. Die Kommunikation wird widersprüchlich und unklar und die Beziehung damit zwei- oder vieldeutig. Ein Klient kann dem Therapeuten seine Worte oder sein Verhal- ten nicht abnehmen. Offenheit führt zu Vertrauen. Schon im 5. Jahrhundert v. Chr. lautet die Botschaft im Apollo-Tempel: „Erkenne dich selbst. Werde, der du bist“ (in Weber 1996:120). Die Auswirkungen von Selbstkompetenz formuliert der Psychologe Goleman so (1999:127): „Je offener wir für unsere eigenen Gefühle sind, desto besser können wir die Gefühle anderer deuten!“ Wer sich selbst kennt, kann demnach besser auf andere eingehen, bleibt klarer und kann zum akzeptierten Vorbild werden. Authentizität wird ausgedrückt in der Gesamtheit der Persönlichkeit. Darin ist die Kör- persprache einer Person eingebettet. Nach einem viel zitierten Experiment sei der Gesamtein- druck einer Persönlichkeit zu 55 % von der Körpersprache, zu 38 % von der Stimme an sich und zu 7 % vom gesprochenen Wort abhängig140 (Weisbach 2003:67). Die weite Verbreitung dieser Studie141 zeigt, wie intensiv die Körpersprache als nonverbales Kommunikationsmittel gilt und welch große Bedeutung man ihr beimisst. Nach Guardini (1963:13) prägt das persön- liche Tun die Umgebung, denn das „eigene Gepräge der Gesinnung, der Sprache, der Haltun- gen“ (:19) hat Einfluss auf andere Menschen. Sicher ist, dass die Körpersprache Widersprü- che aufdecken kann (Weisbach 2003:67). In der Literatur zur Gesprächsführung für Seelsor- ger und Therapeuten wird großer Wert auf Echtheit und Selbstkongruenz gelegt (Weber 1996:118-124). Weber (:119) bezieht sich auf Carl Rogers, der die Veränderung der Persön- lichkeit dann gefördert sieht, „wenn der Psychotherapeut ganz er selbst ist, wenn er in der Beziehung … authentisch und ohne `Front´ oder Fassade dasteht, wenn er offen Gefühle und Einstellungen präsentiert“. Nur der selbstkongruente, echte Therapeut kann für Klienten ein Vorbild und Modell werden und so zu mehr Echtheit und Identität und damit auch zu mehr Gesundheit für Seele, Geist und Leib und im Zusammenleben mit anderen Menschen verhel- 140 Wenn man genau hinschaut, liefert das Experiment selbst diese Zahlen gar nicht. Es handelt sich auch nicht um ein Experiment, sondern um zwei. In diesen Experimenten wurden allein inkongruente Botschaften unter- sucht. Die Daten der zwei verschiedenen Experimente wurden mit einander verwoben und das Ergebnis sind die oben genannten Ergebniszahlen (Kessler 2005:AcF-Kurs: Kommunikation & Konfliktmanagement). Dass die Zahlen bereitwillig aufgenommen werden zeigt, dass das Zahlenmaterial als glaubwürdig angesehen wird. 141 Auch in Wiedenmann (1999:23) der die 7 % Wirkung für das gesprochene Wort aufnimmt und Körperspra- che, Tonfall und Stimme auf 93 % addiert. Ebenso nimmt Donders (2001:29) diese Zahlen auf. Er schreibt, dass Botschaften zu 59 % durch non-verbale Kommunikation, zu 34 % durch den Ton und zu 7 % durch das Wort transportiert werden. Er setzt voraus, dass unser Sein andere zu ungefähr 60 % prägt, unser Handeln zu ca. 30 % und unser Reden zu ca. 10 %. Goleman (1999:129) schreibt von einer Faustregel der Kommunikationsforscher, die besage, dass eine emotionale Mitteilung zu 90 % non-verbal sei. 72 fen. Das kann sicherlich insgesamt auf zwischenmenschliche Begegnungen übertragen wer- den, besonders aber in Vorbildfunktionen hinein. Wenn Körpersprache und Worte nicht übereinstimmen, kann die Köpersprache Wider- sprüche aufdecken (Weisbach 2003:67). Daher fordert Weisbach (:68-69) dazu auf, nicht nur Kommunikationsverhalten zu verändern, sondern die Einstellung zum Gegenüber zu überprü- fen. Denn das Gegenüber merkt, ob die in Worte gefasste Wertschätzung von innen, also aus Überzeugung, kommt, unglaubwürdig oder authentisch ist. Schon kleine Gesten können dem Gesagten widersprechen. Besonders Frauen scheinen diesen Hinweis auf Echtheit und Authentizität zu benötigen. „Verbiegen Sie sich nicht. Bleiben Sie echt … und authentisch“ (Haucke & Krenovsky 2003:44-48). Die Psychologin Storch (2002:133-142) verdeutlicht an ihrem eigenen Beispiel, welchen Einfluss ihre innere Wandlung auf ihren Vorlesungsstil nahm. Sie entwickelte sich von einer Karrierefrau, die meinte männliche Vorlesungsstile kopieren zu müssen, zur Wis- senschaftlerin, die ihren eigenen weiblichen Stil lebt. Ihre Vorlesungen seien nun echter, bun- ter und damit für die Studenten hilfreicher geworden. Echtheit ist in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich verankert. Es ist eine Heraus- forderung für Missionare und Missionarinnen dies jeweils im Einsatzland herauszufinden. In Tansania beispielsweise verlieren Missionare ihre Authentizität als Christen, wenn sie mit anderen laut streiten.142 Im deutschen, christlichen Kontext wird die Echtheit einer Person auch an ihren sexuellen Verhaltensweisen gemessen. Unter Authentizität143 versteht man also eine Echtheit, in der jemand als Original erlebt wird. Authentizität wird bei verschiedenen gefundenen Artefakten untersucht und auch auf Personen angewendet. Bei Personen bedeutet es, dass das Handeln der Person nicht durch äußere Einflüsse bestimmt, sondern in der Person selbst begründet ist.144 Dabei müssen vier Kriterien erfüllt sein, um sich selbst als authentisch zu erleben: Bewusstsein – Die eigenen Stärken und Schwächen, Gefühle und Motive sind ei- ner Person für ein bestimmtes Verhalten bekannt. Durch die Selbstreflexion kann das eigene Handeln bewusst erlebt und beeinflusst werden. 142 Das berichtete mir die Tansaniamissionarin Ilka Gigas bei einer Missionarsschulung vom 06.-13.10.2005 in Mbesa, Tansania. 143 Authentizität kommt vom griechischen αυθεντικός authentikós, das „echt“ bedeutet und dem spätlateinisch authenticus, das mit „verbürgt, zuverlässig“ übersetzt werden kann. Das Adjektiv heißt authentisch (Wikipedia 2011:Authentizität). 144 „Wenn bei einer Person allerdings die Eigenschaft, dass ihr Handeln durch äußere Einflüsse bestimmt wird, als Persönlichkeitsmerkmal oder Charakterzug bezeichnet werden kann, spricht man von einer authentischen Inauthentizität, auch von der Authentisch inauthentischen Persönlichkeit“ (Wikipedia 2011:Authentizität). Eine Unterwanderung persönlicher Authentizität kann durch Manipulation oder Gruppenzwang vorkommen. 73 Ehrlichkeit – In die reale Umgebung blicken und als solche akzeptieren. Ebenso werden unangenehme Rückmeldungen akzeptiert. Konsequenz – Ein Handeln nach den eigenen Werten auch, wenn dadurch Nach- teile entstehen. Opportunisten wirken verlogen und unecht. Aufrichtigkeit – In der Authentizität ist die Bereitschaft beinhaltet negative Seiten nicht zu verleugnen. Kernis & Goldmann in Wright 2013 Wird eine Person als authentisch bezeichnet, wirkt sie besonders „echt“. Sie wird real, unge- künstelt und unverbogen wahrgenommen. Authentizität ist keine Eigenschaft von Personen, sondern etwas, was ihnen zugeschrieben wird. In der Kommunikation kann es sein, dass Texte rednerisch so aufgeführt werden sollen, dass die Inszenierung in der Inszenierung verborgen werden soll und so ein Echtheits- und Wirklichkeitseffekt erzeugt werden kann (Wikipedia 2011:Authentizität). In der missionarischen Verkündigung kann die Lebensart und -führung das Wort unter- streichen oder durchstreichen. Für die Zuhörer wird aus dem Wort sein Wort – die Botschaft von Gott durch die Missionar/-innen (Bürki 1974:152).145 Wort und Wandel gehören untrenn- bar zusammen – Wort ohne Werk wird den Namen lästern und Werk ohne Wort wird eine unerfüllbare Aufgabe. Die ganze Lebensführung soll von der Lehre geprägt sein, die eine weltliche und geistliche Dimension hat (Neudorfer 2004:181).146 Die verwandelbare und er- neuernde Macht der Lehre soll den Menschen an der Person des Missionars deutlich werden. Darum sollen Missionare ihr „eigenes Leben ständig kritisch“ (Roloff 1988:152-153) über- prüfen oder „Selbstkontrolle“ (Neudorfer 2004:187) üben. Bürki (1974:159) weist darauf hin, dass „viele“ so „sehr mit der rechten Lehre beschäftigt sind, daß sie das rechte Leben, ihr ei- genes Leben vor Gott vernachlässigen“. Auch so beschäftigt zu sein, dass man sich selbst vergisst, ist keine Alternative. „Kein noch so starker Aktivismus kann das Achthaben auf das eigene Leben ersetzen“ (:159). Worte und Taten seien schon in der Antike als Gesamtansicht menschlichen Verhaltens ein geläufiges Schema gewesen, die ganze Persönlichkeit in ihrer öffentlichen Wirkung zu charakterisieren, so Neudorfer (2004:181). So formuliert Homer (in Ueding 1996:13) „ein Redner von Worten und ein Täter von Taten“ als ein Bildungsziel. Resümee: Wenn Missionarinnen und Missionare mit und ohne Selbstkompetenz bei ihrem Umgang mit Erotisierung im Beziehungsgeflecht hinter ihrer Erwartung an sich selbst zu- 145 Mir ist bewusst, dass die hier zitierten Theologen teilweise sehr unterschiedliche Ansätze haben. Dennoch kommen sie hier zu ähnlichen Erkenntnissen. 146 Hier ist einerseits das von Timotheus ganz alltäglich gesprochene Wort gemeint, andererseits das Gotteswort, „in dessen Handhabung er sich hervortun soll“ (Neudorfer 2004:181). 74 rückbleiben, verlieren sie an Authentizität. Das kann erstens geschehen, weil die Missionare sich selbst im Bereich der Erotisierung als nicht authentisch und im Dienst geschwächt erle- ben. Zweitens können Missionare durch ihre Kolleginnen und Kollegen inkongruent, also nicht authentisch, erlebt werden, weil der schwierige Umgang mit Erotisierung im Bezie- hungsgeflecht aufgefallen ist. Außerdem können drittens, durch die Verwebung der Botschaft mit ihren Botschaftern, Missionare als nicht authentisch bei ihrer Botschaft erlebt werden, wenn sie selbst den Maßstab nicht ausleben, den sie verkünden (siehe dazu auch 1.2.3). 4.3.2. Authentisches Eheleben147 Gott schuf die Menschen als Imago Dei (Ebenbild Gottes).148 Frau und Mann sind von An- fang an je ein Teil davon und auf Ergänzung hin angelegt (vgl. Haag 2006:1276-1278). Daher gehört Zweigeschlechtlichkeit unmittelbar zur Erschaffung des Menschen. Sie gibt dem Men- schen eine „unverwechselbare Würde“ (Bräumer 2000:30). „Daraus folgt, dass es nach dieser Auffassung ein ,Wesen des Menschen‘, eine Bestimmung des Menschen, abgesehen von sei- ner Existenz in zwei Geschlechtern, nicht geben kann“ (Westermann 1974:221). Das „Bild Gottes“ ist in der Welt als zweigeschlechtliche Menschheit bestimmt (Wolff 1994:243). Der Mensch ist als ein Gemeinschaftswesen, „als ein zu zweit Existierender“ zu sehen (Wester- mann 2000:33). Um Mensch zu sein braucht der Mensch Gesellschaft und Gemeinschaft (vgl. Hempelmann 1997:53-54). Westermann und Soggin begründen den Auftrag zur Ehe, einschließlich der Sexualität, mit Genesis 1,28. Der Auftrag Gottes für die Ehe ist bereits im Paradies formuliert: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllt die Erde …“ (Genesis 1,28a) (Westermann 1974:221). Der bei der Erschaffung verliehene Segen wirkt „Zeugung, Empfängnis und Geburt und be- wirkt die Kette der Geschlechter, die Reihe der Generationen“ (:221). Mann und Frau brau- chen einander. Die Frau ist ohne den Mann nicht zu denken, genauso wie der Mann nicht oh- ne die Frau zu denken ist. Beide sind auf Beziehung hin angelegt und erst zusammen, gemäß ihrer Geschlechtlichkeit, vollständig. Eheliche Gemeinschaft umfasst damit das ganze Dasein. Die Liebesbegegnung zweier Menschen bildet eine neue Gemeinschaft und diese wird in den weiteren Horizont einer Le- 147 Während der Ausarbeitungen zu authentischem Eheleben hat der Rat EKD eine Stellungnahme zu „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit - Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ als Orientierungshilfe veröf- fentlicht (EKD 2013). Der Rat der EKD tritt darin für eine breite Vielfalt von Familienformen ein. Diese Stel- lungnahme wird in gesamtgesellschaftlich in Deutschland, von verschiedenen Kirchen und auch innerhalb der evangelischen Kirche kontrovers diskutiert. So titelte z. B. die Süddeutsche Zeitung „Traditionelle Ehe hat als Leitbild ausgedient“ (Süddeutsch Zeitung 2013). 148 Die Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau wird in dieser Arbeit vorausgesetzt und nicht weiter diskutiert (ausführlich auch in Kessler 2004) (vgl. Genesis 1). 75 bensgemeinschaft gestellt. Nur „in der Erstreckung über den gesamten Daseinsbogen ist sie das, was mit ihr gemeint ist“ (1971:126). Die Ehe wurde bereits im Paradies vollzogen (Sog- gin 1997:76). Es geht hier um die Ganzheit des Menschen, um eine völlige, totale Gemein- schaft, auch auf sexuellem Gebiet, bei der weder die Unschuld verloren werden sollte, noch Sexualität abgespalten werden darf. Als großes Geheimnis bezeichnet es Schirrmacher (2002b:202), „was in Mann und Frau vorgeht, die sich kennen und lieben lernen, und schließlich eine Ehe eingehen“. Ihre Liebe betrifft ihre Gefühle von Zuneigung und Freiwilligkeit ebenso, wie die rechtliche Seite von Treue und Verbindlichkeit. Beides ist geleichermaßen wichtig (:203). Artikel 24.1-2 des Westminster Bekenntnisses von 1647 beschreibt die Ehe folgender- maßen: Die Ehe besteht zwischen Mann und Frau; … Die Ehe ist zur gegenseitigen Hilfe des Ehemanns und der Ehefrau (1Mose 2,18), zur Vermehrung der Menschheit durch rechtmäßige Nachkommenschaft und der Kirche durch heiligen Samen (Mal 2,15) und zur Verhütung von Unreinigkeit verordnet (1Kor 7,2+9). (:202) Zwei Menschen werden zu einer untrennbaren Einheit zusammengeschmiedet (:205). Sie schließen einen auf einer Liebesbeziehung basierenden verlässlichen Ehebund149 miteinander. Dieser Ehebund wird ohne Bedingung geschlossen. Seine besonderen Kennzeichen sind die Selbsthingabe aneinander, personale Liebe, umfassende, lebenslange Gemeinschaft, lebens- lange Treue und eine Ausschließlichkeit, die den anderen ganz annimmt. In all dem spiegelt sich die Liebe Gottes zu den Menschen wider und in ihm verwirklicht sich die Liebe Gottes. Der Ehebund ist heilig, unkündbar und auf Lebenszeit angelegt, nur so kann er zu einer inni- gen Gemeinschaft des Lebens und der Liebe werden. Werden aus Eheleuten Eltern, werden sie zu Mitschöpfern Gottes und ihre Kinder sind in den Ehebund mit einbezogen (Erziehungs- trends 2013; Bibelinfo 2013). 149 Ein Bund (theologisch von dem hebräischen Wort berît abgeleitet und mit Verpflichtung übersetzt) ist mehr als ein Vertragsabschluss. Gott macht mit den Menschen Bünde, in denen er sich „auf ewig“ auf das festlegt, was er den oder dem jeweils betroffenen Menschen versprochen hat. Ein Bund kann einseitig, als auferlegte Ver- pflichtung einem Schwächeren gegenüber und eine gegenseitige Verpflichtung sein. Ein berît wird geschnitten, d. h. im Ritual eines Bundesschlusses werden ein oder mehrere Tiere zerschnitten. Durch dieses Ritual wird neben der Selbstverpflichtung sogleich eine Selbstverfluchung ausgedrückt: „Wenn ich den Bund nicht einhalte, soll es mir gehen, wie diesen Tieren“ (Kessler 2003:17-21). Diese Darstellung eines Bundesschlusses zeigt die Intensität und eine tiefe Dimension eines Bundes und damit auch des Ehebundes, der sich deshalb deutlich von einem Ehevertrag unterscheidet. Bei einem Vertrag werden zwischen zwei oder mehr Partnern Abmachungen festgelegt. Man regelt, was zu tun oder unterlassen ist. In Eheverträgen können viele Details im ehelichen Mitei- nander geregelt werden, die die Partner auf bestimmte Verhaltensweisen und Konsequenzen bei Nichteinhaltung festlegen. Mit einem Vertrag soll so viel Unsicherheit wie möglich aus dem Weg geräumt werden. „Ein Bund hingegen ist per definitionem eine Angelegenheit von Leben und Tod, das Versprechen bedingungsloser Loyali- tät“ (Wannenwetsch 2010:14). 76 Nach menschlichem Ermessen sind die Ehepartner jedoch kaum dazu fähig, ihr Ver- sprechen einzulösen, es sein denn, sie sind gleichzeitig in einem umfassenden Bund eingebet- tet, in dem sie unverbrüchliche Treue erleben können (Wannenwetsch 2010:14). Dennoch ist der Ehebund beständig gefährdet, weil er von unvollkommenen Menschen geschlossen wird (Afflerbach 2002:432), die durch ein neuzeitliches Konstrukt von Ehe geprägt sind, das als eine unglückselige Nachkommenschaft zwischen dem Vertragsdenken der Aufklärung und dem Liebeskonzept der Romantik betrachtet werden kann (Wannenwetsch 2010:11). Daher soll das Verbot die Ehe zu brechen (2. Mose 20,14) eine „Wegweisung für den Umgang mit Sexualität“ (Emeis in Afflerbach 2002:431) im umfassenden Sinn geben und es wendet sich an alle Menschen, in allen familiären Lebensformen. Die Grundstruktur einer Ehe besteht, nach biblischem Befund, aus drei Stücken, deren Reihenfolge eingehalten werden sollte: 1. Dem Verlassen, sich loslösen von den Eltern, 2. dem Anhängen (auch Zusammenkleben) verbunden mit einem Initiationsritus als ein öffentliches Bekenntnis und 3. dem Ein-Fleisch-Werden in einer sexuellen und personenhaft-ganzheitlich vollzoge- nen Einheit (Afflerbach 2002:435-436). Die Qualität einer christlichen Ehe zeigt sich in lebenslanger geschlechtliche Treue und dem Streben nach Kontinuität, die getragen wird von der „unveränderten Idee eines aufregen- den Partners, eines Menschen, der in der Lage ist, in unserem ansonsten eher langweiligen Leben aufregende Leidenschaft zu entfachen“ (Wannenwetsch 2010:13). Innerhalb des Ehebundes sind beide Partner kontinuierlich dazu aufgefordert, den Verände- rungen beider Partner gerecht zu werden. Daher muss das Zusammenleben immer wieder an- gepasst und neu gestaltet werden und der wesentliche Faktor der Treue im Fokus der Eheleute sein. Kreative Treue fordert das Wachsein für die verschiedenen Ehephasen mit ihren Entfal- tungschancen, einen Blick für die Entwicklung für den Partner/die Partnerin, Stabilität zu ge- ben, wenn ein Partner schwach und labil ist, Verständnis und Akzeptanz. Kreative Treue zeigt sich auch in Großmut, Verzeihung erbitten und gewähren und im Verzicht von Schuldzuwei- sungen. Sie zeigt sich genauso in der Bereitschaft eigenes Versagen zu erkennen, einzugeste- hen und um Vergebung zu bitten, aber auch darin, Vergebung auszusprechen und immer wie- der im Mut zu einem Neuanfang bzw. darin, schwierige Zeiten gemeinsam durchstehen zu wollen (Masshoff-Fischer 2006:484) und in dem festen Vorsatz, Ehe als „unendliches Spiel“ zu betrachten und so auch miteinander leben zu wollen (Kessler 2009:68-70). Dann sind die 77 Bestrebungen der Ehepartner darauf ausgerichtet, dem anderen Treusein leicht zu machen. Sexualität, Agape und Eros150 sind in der Liebesbeziehung eine Einheit (Afflerbach 2002:436). Das Gemeinschaftsverhältnis in der Ehe soll nicht von Über- und Unterordnung geprägt sein, sondern von gegenseitiger Achtung und Liebe (Haag 2006:1276). Rollenerwartungen und der Umgang mit den gemeinsamen Gütern sollte besprochen und gemäß der Absprachen wahrgenommen werden (Heimbach-Steins 2006:1279). Allerdings ist der Eintritt in die Eherechtsform (fast) immer abhängig von den rechts- gültigen Bestimmungen der Eheschließung im jeweiligen Land. Daher ist die Eheschließung bis heute ein „weltlich Ding“ (Schild 1982:338)151 und das im BGB formulierte Familienrecht Abschnitt 1 Bügerliche Ehe gilt für alle, die in Deutschland eine rechtsverbindliches Ehe- bündnis eingehen wollen, gleich welcher konfessionellen Zugehörigkeit. „Eine Ehe kommt zur zustande, wenn die Eheschließung vor einem Standesbeamten erfolgt“ (Schirrmacher 2002b:215, vgl. Müller-Freienfels 1986:956).152 Im internationalen, christlichen Kontext finden Diskussionen zur Monogamie und Poly- gamie statt, in denen häufig eine sozialverträgliche Lösung für die ganze christliche Familie gesucht wird (Abeng 1986:971-974). Diese Diskussion betrifft Missionare und Missionarin- nen (und ihre Missionsgesellschaften) allerdings nur dann, wenn sie in ein Missionsland mit entsprechender Ehepraxis gehen. In Deutschland ist Polygamie verboten. Daher ist eine offi- zielle Vielehe für deutsche Missionare keine Option. 4.3.3. Ehebruch Frau und Mann verschmelzen im Ehebund zu einer unauflöslichen Einheit, die von Menschen nicht aufgehoben werden soll (Masshoff-Fischer 2006:483) und 85% der frisch verheirateten Paare bezeichnen sich als glücklich (Stein 2005:36). Trotzdem geraten mit bestem Wissen und Wollen geschlossene Ehen in Krisen und können daran zerbrechen. 150 Afflerbach (2002:436) weist darauf hin, dass diese Begriffe recht unterschiedlich gebraucht werden. Aller- dings seien sich einige darin einig, dass alle drei Komponenten zu einer erfüllenden Liebesbeziehung gehören. 151 Schild (1982:338) bezieht sich hier auf eine Aussage von Luther. 152 So war auch die Eheschließung in der Kirchengschichte bis zur Jahrtausendwende ein rein weltlicher Vor- gang (Gäckle, Cochlovius, Pöhlmann 1998:473). Inzwischen hat der Bundesgerichtshof (seit dem 09. Juni 2008) die Rechte von Unverheirateten in eheähnlichen Gemeinschaften (früher sprach man von „Wilder Ehe“ oder „Ehe ohne Trauschein“) gestärkt, um Rechtsunsicherheit bei finanziellen Risiken zu minimieren bzw. damit Rentenansprüche von (zumeist) Witwen erhalten bleiben. Mit der Bezeichnung „eheähnliche Gemeinschaft“ ist die Gemeinschaft von (zumeist) zwei Personen erfasst, die wie Eheleute zusammenleben, ohne formal verheira- tet zu sein. Die Anerkennung der eheähnlichen Gemeinschaft, die dennoch in manchen Facetten unter rechtlich besonderem Schutz steht, wird nicht von allen Kirchen akzeptiert. Mir ist keine Missionsgesellschaft bekannt, die Missionare aussenden würde, die in einer Gemeinschaft eheähnlichen miteinander leben. 78 Im nun folgenden Teil soll keine allgemeine Darstellung von Ehebruch erfolgen. Im Sinne der Arbeit ist es aber relevant aufzuzeigen, dass Ehebruch beginnt, wo etwas in der Ehe gebrochen wird oder gar ein Ehepartner innerhalb zerbricht. Im Allgemeinen wird unter Ehebruch eine einmalige oder vorübergehende sexuelle Be- ziehung zu einer dritten Person verstanden (Maurer 2006:493) und wer die Sexualität außer- halb der Ehe zu befriedigen sucht, bricht die Ehe (Afflerbach 2002:436). Ehebruch geschieht nicht erst, wenn es einen außerehelichen, sexuellen Kontakt gege- ben hat. Er geschieht schon dann, wenn bei einem der Ehepartner in Bezug auf die Ehe irgend etwas zerbricht, z. B. Vertrauen, Geborgenheit, angenommen werden u.v.a.m. Vor dem Zer- bruch geschah eheschädigendes Verhalten, was wiederum sehr unterschiedlich sein kann: Süchte, Eifersucht, Nörgeln, Ausfallend werden, Kommunikationsstörungen, Perfektionis- mus, Gewalt, überlange Abwesenheitszeiten, hoher Fernsehkonsum, Überbetonungen aller Art oder Belastungen durch Angehörige oder Pflegebedürftigkeit. Aber auch das Ringen um Tradition und Moderne, Emotionalität und Rationalität, Ideal und Realität sowie Autonomie und Bindung sind nachhaltige Konfliktfelder für Ehen (Lambert 2003:55-62), sowie das Feh- len von Kommunikations-, Problemlösungs- und Stressbewältigungskompetenz (Harder 2012:364-375). Was der Ehe tatsächlich schadet, müsste dann in Ehegesprächen miteinander geklärt werden. Dazu gehört aber, dass beide Partner bereit sind, ihre Position zu überdenken. Ist das nicht der Fall, kommt zum eheschädigenden Verhalten eine weitere Störung der Ehe- beziehung hinzu. Sexueller Ehebruch ist häufig die Folge vieler kleiner eheschädigender Verhaltenswei- sen und Ehebrüche von beiden Partnern im Vorfeld, wobei eheliche Unzufriedenheit eine häu- fige Ursachen für außereheliche Beziehungen ist. Häufig haben die Eheleute ihre sexuelle Gemeinschaft dann bereits aufgegeben. Daher sind „Schwierigkeiten bei der Führung der Ehe, (…) die Folgen eines Abbruchs ehelicher Gemeinschaft“ der Hauptanlass für kirchliche Seel- sorge (Stein 1982:357). 4.4. Ergebnis Von wesensmäßigem Frausein und wesensmäßigen Mannsein zu sprechen, ist auch aus dem biblischen Befund heraus haltbar. Männlichkeit, wenn auch bisher in der westlich, biblisch- theologischen Literatur wenig beschrieben, bzw. Weiblichkeit ist immer ganzheitlich und erstreckt sich auf alle Männer und Frauen, egal, in welchem Familienstand! Dazu gehören bei der Frau die Facetten Mitgefühl, Empathie, Barmherzigkeit und Geborgenheit. Bei Männern erstecken sich die Facetten auf Kraft, Fähigkeit, Wettbewerb und Heldenhaftigkeit. Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Unterschiede auf keinen Fall zu 79 Festlegungen führen dürfen, welche womöglich die Rolle bestimmt, die eine Frau oder ein Mann in der Gesellschaft auszuleben hat. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass sich weibli- che oder männliche Wesenszüge bei der Umsetzung einer beliebigen Tätigkeit zeigen werden. Auch durch diese Unterschiedlichkeit (wie eben auch durch die biologische) ist jeder- zeit, von und für jeden Mann und jede Frau, eine Erotisierung möglich, denn Frauen und Männer können auch die Unterschiedlichkeit im Wesen des anderen attraktiv finden. Authentisches Eheleben ist geprägt von einer liebevollen, fürsorglichen Ausschließlich- keit der Partner, in der die Eheleute ohne Bedingung lebenslang und ganzheitlich zusammen- geschmiedet sind. Daher sind die Eheleute authentisch, die diesen Zielen treu bleiben und ihre Ehe immer wieder daran ausrichten. Menschen aus der Umgebung nehmen das wahr und das schützt die Ehe. Sind die Eheleute nicht so eng miteinander verwoben oder bleiben Bedürfnis- se dauerhaft unbefriedigt, können durchaus Menschen außerhalb der Ehebeziehung attraktiv und erotisch erlebt werden. Ehebruch beginnt, wenn etwas in der Beziehung zerbricht und nicht gemeinsam wieder repariert wird oder wenn elementare Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Das ist häufig der erste Schritt in einen Ehebruch hinein, in welchen dann weitere Personen involviert sind. 4.5. Sexuelle Versuchung oder Versuchlichkeit bei Frauen Da in dieser Arbeit problematische, erotisierte Beziehungsgeflechte in der Mission untersucht werden, soll von der Bibel her dargelegt werden, wo dort konkret sexuell ausgerichtete Ver- suchung beschrieben wird. Die Leitfrage ist dabei: Wie wird der Einstieg in eine Versu- chungssituation in den Geschichten der Bibel, vorzugsweise im Alten Testament, dargestellt? 4.5.1. Direkte Hinweise Junge Männer erhalten in der Weisheitsliteratur in nüchterner Weise eine Warnung vor der fremden und verführerischen Frau (Sprüche 5,1-6.20). Die Frau ist als Verführerin bekannt. In der Bibel werden eher Männer beschrieben, die von Frauen sexuell verführt werden sollen, verführt werden oder sich willig verführen lassen.153 Die Frau als sexuell Verführte kann man nicht direkt in der Bibel finden.154 Daher können auch keine Warnungen dazu gefunden wer- den. „Was die Frauen zu hören bekamen, wissen wir nicht“, mutmaßt van Oorschot (2000:30), der wohl auch davon ausgeht, dass Frauen verführt wurden. Dass es in der Bibel keine direkten Berichte über verführte Frauen gibt könnte folgende möglichen Gründe haben: 153 Eine biblisch-theologische Auseinandersetzung mit männlicher Versuchung oder Versuchlichkeit ist in Kapi- tel 4.6 zu finden. 154 Sie schweigt nicht grundsätzlich zur Versuchung von Frauen (vgl. Genesis 3,1-6; 1 Timotheus 2,14). 80 1. Höchstwahrscheinlich wurde die Bibel ausschließlich von Männern geschrieben. 2. Im Alten wie im Neuen Testament begegnet uns eine patriarchalische Kultur. Berich- te über Frauen sind daher eher die Ausnahme. 3. Bei Vergewaltigung erübrigt sich Verführung. Dennoch ist die Bibel kein bloßes Kulturdokument oder eine einseitige Offenbarung für Män- ner. Die Ledigen und Witwen sollen heirateten wenn sie sich in Begierde verzehren, weil sie sich nicht enthalten können (1. Korinther 7,8-9). Die ungestillte Sehnsucht kann die Seele durchglühen lassen (Schlatter 1965a:84) und jüngere Witwen werden ausdrücklich aufgefor- dert zu heiraten. Damit soll verhindert werden, dass sie ihre Begierden in einer Weise ausle- ben, die Christus zuwider ist (1. Timotheus 5,11+15). Der jugendliche und gesunde Körper reagiert, regt sich, und Lust erwacht (Schlatter 1965b:178). Anlässe zum Lästern könnten dann entstehen, wenn die jungen Witwen einen vor dem Herrn im Glauben gefassten Ent- schluss widerrufen (:180). Es scheint so, dass Frauen eher die Warnungen brauchen, nicht zu verführen, und Männer eher die Warnungen, sich nicht verführen zu lassen. Das Alte Testament zeigt Frauen, die verführten, um ein Kind zu bekommen (vgl. Tamar in Genesis 38,6-30). Rahel forderte von Jakob, ihr ein Kind zu zeugen (Genesis 30,1-4).155 Das Motiv der verführenden Frau ist nicht immer erklärt (vgl. Frau des Potifar in Genesis 39,7-18). Naomie fordert ihre Schwie- gertochter Ruth auf, sich zu Boas Füßen zu legen, damit Boas aktiv wird als ihr Löser (Ruth 3,2-18). Ruth verführt Boas nicht sexuell, dennoch könnte sie ihn mit dieser Tat in eine pein- liche Situation bringen. Boas will, dass niemand erfährt, dass sie in der Nacht bei ihm war (3,14). Bei „der Sünderin“ im Neuen Testament (Johannes 4,1-42; 8,1-11) lassen die Be- schreibung der Lebensumstände und die verschiedenen Reaktionen auf erhöhte Promiskuität schließen. Die Warnungen des Neuen Testamentes vor Unzucht und Wolllust (Matthäus 15,11; Apostelgeschichte 15,20; Römer 13,13; Galater 5,19; u.a.) sind nicht geschlechtsspezifisch formuliert. Sie betreffen sowohl die Verführung, wie auch das sich Verführen lassen. 4.5.2. Indirekte Hinweise im Alten Testament In einem indirekten Hinweis zeigt Sprüche 5,16 auf, wann Ehefrauen versuchlich werden können. Die Verse 15-20 richten sich an den Mann, der sich an seiner Frau berauschen und 155 Als das nicht gelingt, gibt sie ihm ihre Magd Bilha, denn deren Kinder galten nach damaligem Recht und unter bestimmten Geburtsbedingungen als Kinder der Herrin (Genesis 30,1-4; vgl. auch Genesis 16,1-4). 81 ihr treu bleiben soll. Die Konsequenzen der Vernachlässigung seiner Ehefrau zeigt Vers 16. Sie wird „draußen, außerhalb der Ehe, das suchen, was ihr von ihrem mit der Fremden be- schäftigten Ehemann nicht gewährt wird“ (Plöger 2003:57-58). Der Ehemann wird dazu an- gehalten seine Frau zu befriedigen, damit sie sich nicht enttäuscht Fremden zuwendet und diese aus ihrem „Brunnen“ trinken lässt Keel (1992:11).156 Das Alte Testament meint mit Hurerei ein ungeregeltes, unrechtmäßiges, geschlechtli- ches Verhalten zwischen Mann und Frau. Parallel verwandte Vokabeln sind entweihen (Le- vitikus 19,29; 21,9), treulos handeln (Jeremia 3,8; 1. Chronik 5,25), sich verunreinigen (Hese- kiel 20,30; 23,30; Hosea 5,3; Psalm 106,39) oder ehebrechen (Hosea 4,13) (Kühlewein 1994:519). Gott selbst ist Brautvater und Ehemann (Ortlund Jr. 1996:15-45). Wer Hurerei betreibt, begeht eine Schandtat in Israel und wird mit Ausrottung (z. B. Levitikus 21,9) oder Verbrennung bestraft (z. B. Genesis 38,24) (Kühlewein 1994:519). 4.5.3. Vergleich von Jerusalem und Israel mit Frauen in der Hurerei Weitere indirekte Hinweise auf die sexuelle Versuchlichkeit von Frauen können da gefunden werden, wo Gott Israel mit einer Frau vergleicht. Gott reagiert auf die Untreue seines Volkes und stellt diese Untreue sexueller Versuchung gleich (Ortlund 1996). Die „Frau“ läuft weg und prostituiert sich. Eine Schwierigkeit, die Texte in unser Thema hinein zu nehmen entsteht dadurch, dass es sich bei den Texten um ein Bild handelt: Israel oder Jerusalem als hurende Frau. Das Volk Israel oder die Stadt Jerusalem wird dabei zu „einer Frau“. Wenn diese Bilder im Folgenden benutzt werden und aus den alttestamentarischen Stellen Ergebnisse über die Motive für se- xuelle Versuchung erkannt werden sollen, müssen wir uns der Umdrehung des Bildes bewusst sein. Ich meine, dass die Motive sexueller Versuchung zu erliegen hier herausgearbeitet wer- den können, da die Texte die tatsächlichen sexuellen Ausschweifungen ihrer Zeit widerspie- geln. Leitfrage für die folgende Untersuchung ist: Welche Motive finden sich in den Be- schreibungen, die sexuelle Versuchung und/oder Versuchlichkeit begünstigen oder fördern. 4.5.3.1. Hosea 2,7b Hosea heiratet im Auftrag Gottes eine Hure (Hosea 1,2) und wird damit ein lebendiger und sichtbarer Spiegel für die Hurerei Israels. Nach der Geburt des dritten, gemeinsamen Kindes 156 Dass in Vers 16 die Frau gemeint ist, wird nicht von allen Auslegern so interpretiert. Für Murphy (1998:32) ist es „the man staying outside of marriage“. Die Interpretation von Plöger und Keel scheint mir glaubhafter, da sich alle Metaphern (Zisterne, Brunnen, Quelle und die Bilder aus dem Tierreich, Vers 19) auf die Ehefrau be- ziehen (Plöger 2003:57). 82 kann Israel nicht länger Gottes Volk sein und Gott will nicht mehr der Gott Israels sein (Vers 9) (Schulz 1988:434). Danach lockt Gott das Volk Israel – jetzt im Bild einer ehebrecheri- schen Frau – indem er ihnen seine vergebende Liebe verheißt (2,1-3) (Holland 1990:35). Die ehebrechende Frau wird unter der Zuhilfenahme ihrer Söhne und der ausgesprochenen Schei- dungsformel verklagt; letztlich mit dem Ziel die Beziehung zu retten (Vers 4). Der sichtbare menschliche Spiegel mit dem Einblick in Hoseas Ehe und die eher unsichtbare Beziehung Gottes zu seinem Volk Israel werden in ständigem Wechsel aufgezeigt. „Unzucht“ und „Ehe- bruch“ sind ein Bild für den Abfall von Gott in den Baalskult (Vers 4), der oft mit sexueller Freizügigkeit einherging (Holland 1990:42). Ihre Mutter ist eine Hure, und die sie getragen hat, treibt es schändlich und spricht: Ich will meinen Liebhabern nachlaufen, die mir mein Brot und Wasser geben, Wolle und Flachs, Öl und Trank. Hosea 2,7 Die Mutter treibt es schändlich (Vers 7a), denn sie wartet erstens auf ihre Liebhaber und läuft ihnen zweitens auch noch nach (Holland 1990:43). Sie ist eine mannstolle Dirne (Wolff 1976:41). Gott selbst formuliert die Motivation der ehebrecherischen Frau: Sie läuft ihren Liebhabern nach, weil sie ihr Brot und Wasser, Wolle und Flachs, Öl und Trank geben (Vers 7b). Die untreue Frau erwartet von ihren Liebhabern Grundnahrungsmittel, Rohstoffe und Handelsartikel, das überall benötigte Öl157 und Luxus (Holland 1990:44-45). „Diese Gaben umfassen also alles, von lebensnotwendigen Essen und von Kleidern bis hin zu den Luxusgü- tern“ (:45). Israel erwartet diese Gaben, die nähren, schützen und erheitern nicht mehr von Gott, sondern von den Baalen (Wolff 1976:42), den Gottheiten, denen die Israel umgebenden Völker nachfolgten (Holland 1990:45). Hosea 2,10 zeigt, dass die Frau nicht erkennt, was sie bisher von ihrem Mann bekam. Er gab ihr Korn, Wein, Öl, Silber und Gold. Gott gibt seinem Volk die veredelten Landesfrüchte Israels und Teile der Bodenschätze der Heiden. Gott verfügt über alles, kein Bereich des menschlichen Lebens ist von der göttlichen Herrschaft ausgeschlossen (Holland 1990:47-48, Wolff 1976:44-45), aber die Frau Israel erkennt es nicht. 4.5.3.2. Jeremia 2,25b Weil das verhärtete Volk den Warnungen Jeremias gegenüber gleichgültig ist und jetzt dem schrecklichen Gericht Gottes unterworfen werden soll, weint Jeremia Tag und Nacht (Jeremia 8,23) (Schulz 1988:370-371). Er erhält Gottes Auftrag öffentlich in Jerusalem zu predigen 157 Öl wurde zum Backen und zur Wundheilung verwandt, ebenso als Beleuchtungsmittel für die Öllampen und als Schönheitsmittel. Außerdem wurden kultische Handlungen damit vollzogen wie z. B. die Salbung von Perso- nen und Gegenständen (Holland 1990:44). 83 und damit Gottes Botschaft zu übermitteln (Jeremia 2,2). Im immer schärfer werdenden Ge- spräch Gottes mit dem Volk sagt er: Wie wagst du denn zu sagen: Ich bin unrein, ich habe mich nicht an die Baale ge- hängt? Sieh doch, wie du es treibst im Tal, und bedenke, was du getan hast! Du läufst umher wie eine Kamelstute in der Brunst, wie eine Wildeselin in der Wüste, wenn sie vor großer Brunst lechzt und läuft, daß niemand sie aufhalten kann. Wer sie haben will, muß nicht weit laufen; er trifft sie bald in dieser Zeit. Schone doch deine Füße, daß sie nicht wund werden, und deine Kehle, daß sie nicht durstig werde. Aber du sprichst: Da wird nichts draus; ich muß diese Fremden lieben und ihnen nachlaufen. Jeremia 2,23-25 Gott hält dem abtrünnigen Volk einen Spiegel vor (Lamparter 1974:49). Es soll erkennen, was es getan hat, aber nicht wahrhaben will (:50). Von wilder Gier getrieben, hat es sich, wie eine Dirne, fremden Göttern an den Hals geworfen. In seinem Benehmen ist es planlos und unbe- rechenbar, wie der Vergleich mit der paarungsbereiten Kamelstute und der Wildeselin zeigt (Fischer 2005:168). In ihrer Gier schnappt die Kamelstute nach Luft (Wolff 1994:29, 60). Wolff (:96) zieht hier eine Parallele zum Organ Kehle, nêfêsch, mit dem im Alten Testament im Wesentlichen Leben ausgedrückt wird. Aber die Kehle ist auch ein Ausdruck für elementa- re Lebensbedürfnisse, denn in ihr vollziehen sich Essen, Trinken und Atmen (:31). Das ab- trünnige Volk versucht also, wo immer es möglich ist, schnappt das Leben auf. Der Durst der Kehle (Vers 25) zeigt ein fehlgeleitetes und scheinbares Bedürfnis nach sich dann doch nicht erfüllenden Beziehungen (Fischer 2005:169). Die Bedürfnisse bleiben unbefriedigt. Irgend- wann können keine vernünftigen Überlegungen mehr angestellt werden (Schneider 1991:46). Am Ende der Rede steht der Entschluss: Ich habe den Fremden lieb, den mit der anderen Her- kunft und werde ihm weiter nachlaufen (Fischer 2005:169). 84 4.5.3.3. Hesekiel 16,15-34 In Hesekiel 16,15-36158 verurteilt Gott sein Volk, weil jetzt das Maß voll ist (Schultz 1960:394). Der Untergang Jerusalems steht kurz bevor. In Hesekiel 16 wird der Verfall Jeru- salems in Bildern beschrieben. Hilflos wie ein Säugling wurde es von Gott auserwählt und als sein Volk aufgezogen. Israel hat sich zuerst an diesen Segnungen erfreut. Dann wurde es so vorsätzlich abtrünnig, wie eine Hure (:401). Jerusalem vertraut seiner Schönheit und dem durch Schönheit gewonnenen guten Namen (Vers 15) (Zimmerli 1979:354-360), obwohl doch beides von Gott geschenkt ist (Maier 1998:217). Was Gott gegeben hat, wird missbraucht (Verse 10.16), die bunten Kleider, der Schmuck (Vers 17) und seine Speisegaben (Vers 18). Als Jerusalem auch seine Kinder opfert, ist der Gipfel erreicht (Vers 20) (Zimmerli 1979:357). Denn es sind ja gar nicht Jerusalems Kinder, es sind Gottes Kinder (Maier 1998:219). Das Leben ist geprägt von Hurerei im Vollzug (Verse 24-26) und dem Buhlen um die Nachbarvölker (Vers 29). Eine „ordentliche Hure“ bekäme Geld für ihren Einsatz, aber Jerusalem gibt Lohn und buhlt, wo ihm nicht nachgebuhlt wird (Verse 30-33) (Zimmerli 1979:359). Durch Bestechung oder Geschenke bringt die Hure Jerusalem andere dazu, das zu tun, was sie sonst nicht getan hätten (Greenberg 2001:343). Die Hure Jerusalem gab ihre Aus- steuer, Gottes Geschenk an sie, an die Geliebten (:343). Die Israeliten wechseln von einem Liebhaber zum anderen, sie werden „nicht satt“ (Verse 26.28.29) (Maier 1998:221). Das Herz des Volkes fiebert nach dem Götzendienst (Vers 30) (:222). Das Herz steht im Alten Testa- 158 Hesekiel 16,15-36: Aber du verließest dich auf deine Schönheit. Und weil du so gerühmt wurdest, triebst du Hurerei und botest dich jedem an, der vorüberging, und warst ihm zu Willen. Du nahmst von deinen Kleidern und machtest dir bunte Opferhöhen daraus und triebst dort deine Hurerei, wie es nie geschehen ist noch gesche- hen wird. Du nahmst auch dein schönes Geschmeide, das ich dir von meinem Gold und Silber gegeben hatte, und machtest dir Götzenbilder daraus und triebst deine Hurerei mit ihnen. Und du nahmst deine bunten Kleider und bedecktest sie damit, und mein Öl und Räucherwerk legtest du ihnen vor. Meine Speise, die ich dir zu essen gab, feinstes Mehl, Öl und Honig, legtest du ihnen vor zum lieblichen Geruch. Ja, es kam dahin, spricht Gott der HERR, dass du deine Söhne und Töchter nahmst, die du mir geboren hattest, und opfertest sie ihnen zum Fraß. War es denn noch nicht genug mit deiner Hurerei, dass du meine Kinder schlachtetest und ließest sie für die Götzen verbrennen? Und bei all deinen Gräueln und deiner Hurerei hast du nie gedacht an die Zeit deiner Ju- gend, wie du bloß und nackt warst und in deinem Blute lagst. Und nach all diesen deinen Übeltaten - o weh, weh dir!, spricht Gott der HERR - bautest du dir einen Hurenaltar und machtest dir ein Lager darauf an allen Plätzen. An jeder Straßenecke bautest du dein Hurenlager und machtest deine Schönheit zum Abscheu. Du spreiztest deine Beine für alle, die vorübergingen, und triebst viel Hurerei. Zuerst triebst du Hurerei mit den Ägyptern, deinen Nachbarn voller Geilheit, und triebst viel Hurerei, um mich zu reizen. Ich aber streckte meine Hand aus gegen dich und entzog dir einen Teil meiner Gaben und gab dich preis der Willkür deiner Feinde, der Töchter der Philister, die sich schämten über dein schamloses Treiben. Danach triebst du Hurerei mit den Assyrern, weil du nicht satt geworden warst; du triebst mit ihnen Hurerei und wurdest auch hier nicht satt. Da triebst du noch mehr Hurerei mit dem Krämerland Chaldäa; doch auch da wurdest du nicht satt. Wie fieberte doch dein Herz, spricht Gott der HERR, dass du alle diese Werke einer großen Erzhure tatest: dass du deinen Hurenaltar bautest an allen Straßenecken und dir ein Hurenlager machtest auf allen Plätzen! Dazu warst du nicht wie sonst eine Hure; denn du hast ja Geld dafür verschmäht. Du Ehebrecherin, die du dir Fremde anstelle deines Mannes nimmst! Allen andern Huren gibt man Geld; du aber gibst allen deinen Liebhabern noch Geld dazu und kaufst sie, damit sie von überall her zu dir kommen und mit dir Hurerei treiben. So ist es bei dir mit deiner Hurerei umgekehrt wie bei andern Frauen, weil man dir nicht nachläuft und dir nicht Geld gibt, sondern du noch Geld dazugibst; bei dir ist es also umgekehrt. 85 ment nicht für die äußere Erscheinung, sondern es ist dem Menschen verborgen und bringt doch Lebensentscheidungen hervor (Wolff 1994:73). Eine Verschmelzung von „Herz“ und „Flamme“, die man auch mit „Glut“ übersetzen kann, ist ein fieberndes Herz (Greenberg 2001:341). Die Lebensentscheidungen fallen also im glühenden Herzen und sind durch Nicht- satt-werden motiviert. 4.5.3.4. Hesekiel 23,1-21.36-44 Hesekiel 16 und 23 stehen sich in der Thematik nahe (Zimmerli 1972:74, 77; 1979:536). In Hesekiel 23 geht es allerdings um Israel (1972:77). Es wird das Gleichnis der Schwestern Ohola und Oholiba beschrieben.159 Ohola steht als Bild für Samaria und Oholiba für Jerusa- lem (Vers 4b). Beide hurten schon in ihrer Jugend (Vers 3) (Maier 1998:305), denn sie wur- den schon vor ihrer Heirat von den Ägyptern mit der Fleischeslust bekannt gemacht (Green- berg 2005:109). Dadurch sind sie nymphomane Schwestern geworden (:103). Sie waren noch 159 Hesekiel 23,1-21.36-44: Und des HERRN Wort geschah zu mir: Du Menschenkind, es waren zwei Frauen, Töchter "einer" Mutter. Die wurden Huren in Ägypten schon in ihrer Jugend; dort ließen sie nach ihren Brüsten greifen und ihren jungen Busen betasten. Die große hieß Ohola und ihre Schwester Oholiba. Und ich nahm sie zu Frauen und sie gebaren mir Söhne und Töchter. Ohola ist Samaria und Oholiba Jerusalem. Ohola trieb Hure- rei hinter meinem Rücken und entbrannte für ihre Liebhaber, für die Assyrer, die zu ihr kamen, für die Statthalter und Hauptleute, die mit Purpur gekleidet waren, lauter junge hübsche Leute, die auf Rossen ritten. Und sie buhl- te mit ihnen, lauter auserlesenen Söhnen Assurs, und bei allen, für die sie entbrannte, machte sie sich auch unrein mit ihren Götzen. Dazu ließ sie auch nicht von ihrer Hurerei mit den Ägyptern, die bei ihr gelegen hatten in ihrer Jugend und ihre jungen Brüste betastet und schlimme Hurerei mit ihr getrieben hatten. Da übergab ich sie in die Hand ihrer Liebhaber, der Söhne Assurs, für die sie entbrannt war. Die deckten ihre Blöße auf und nahmen ihre Söhne und Töchter weg; sie selbst aber töteten sie mit dem Schwert, und sie wurde zum Gespött unter den Frau- en. So vollzogen sie das Gericht an ihr. Als aber ihre Schwester Oholiba das sah, entbrannte sie noch viel mehr als ihre Schwester und trieb die Hurerei noch schlimmer als sie. Sie entbrannte für die Söhne Assurs, Statthalter und Hauptleute, die zu ihr kamen, herrlich gekleidet, lauter junge hübsche Leute, die auf Rossen ritten. Da sah ich, dass sie beide auf gleiche Weise unrein geworden waren. Aber diese trieb ihre Hurerei noch weiter. Denn sie sah Bilder von Männern an der Wand in roter Farbe, Bilder von Chaldäern, um ihre Lenden gegürtet und bunte Turbane auf ihren Köpfen, ein Bild gewaltiger Kämpfer allesamt, wie eben die Söhne Babels sind, deren Vater- land Chaldäa ist. Da entbrannte sie für sie, sobald sie die Bilder sah, und schickte Boten zu ihnen nach Chaldäa. Und die Söhne Babels kamen zu ihr, um bei ihr zu schlafen, und machten sie unrein mit ihrer Hurerei, und sie machte sich unrein mit ihnen, bis sie ihrer müde wurde. Als sie ihre Hurerei so offen trieb und ihre Schande so enthüllte, da wurde ich auch ihrer überdrüssig, wie ich ihrer Schwester müde geworden war. Sie aber trieb ihre Hurerei immer schlimmer und dachte an die Zeit ihrer Jugend, als sie in Ägyptenland zur Hure geworden war, und entbrannte für ihre Liebhaber, deren Brunst war wie die der Esel und der Hengste. Und du sehntest dich nach der Unzucht deiner Jugend, als die Ägypter nach deinen Brüsten griffen und deinen Busen betasteten. …Und der HERR sprach zu mir: Du Menschenkind, willst du nicht Ohola und Oholiba richten? Zeige ihnen ihre Gräueltaten: wie sie Ehebruch getrieben und Blut vergossen und die Ehe gebrochen haben mit ihren Götzen; und wie sie ihnen noch dazu ihre Kinder, die sie mir geboren hatten, zum Fraß darbrachten. Überdies haben sie mir das angetan: Sie haben noch am gleichen Tag mein Heiligtum unrein gemacht und meine Sabbate entheiligt. Denn als sie ihre Kinder den Götzen geschlachtet hatten, gingen sie noch am gleichen Tag in mein Heiligtum, es zu entheiligen. Siehe, so haben sie es in meinem Hause getrieben. Sie haben sogar Boten geschickt nach Män- nern, die aus fernen Landen kommen sollten. Und siehe, als sie kamen, da badetest du dich und schminktest dich und schmücktest dich mit Geschmeide ihnen zu Ehren und saßest auf einem herrlichen Polster, und ein Tisch war davor hergerichtet; darauf legtest du mein Räucherwerk und mein Öl. Und es erhob sich in der Stadt ein großes Freudengeschrei über die Männer, weil solch eine Menge von Menschen herbeigebracht war aus Saba, aus der Wüste, und sie gaben ihnen Geschmeide an ihre Arme und schöne Kronen auf ihre Häupter. Ich aber dachte: Sie ist das Ehebrechen gewohnt von alters her, sie kann das Huren nicht lassen. Denn man ging zu ihr, wie man zu einer Hure geht; so ging man zu Ohola und Oholiba, den zuchtlosen Frauen. 86 Mädchen, als die einschlägigen Berührungen ihrer Brüste ihre Sexualität weckte, die dann in Promiskuität mündete (:110). Die Töchter Jerusalems werden beschworen, die Liebe nicht aufzuwecken oder zu stö- ren, bis es ihr selbst gefällt (Hohelied 2,7; 8,4).160 Mit dieser Beschwörung soll auf die Hei- ligkeit und Unantastbarkeit der Verbindung hingewiesen werden, bei der die Eigengesetzlich- keit erhalten bleiben soll (Keel 1992:89). Im Hohelied werden keine Konsequenzen genannt und es wird nicht aufgezeigt wozu die intensive Warnung nützlich ist. In Hesekiel 23,3-21 sind die Konsequenzen zu früh geweckter Liebe jedoch deutlich beschrieben. Die späteren Liebhaber von Ohola und Oholiba waren in der Farbe der Könige und der Reichen gekleidet (Maier 1998:307). Es waren vornehme Leute (Vers 6), lauter schöne, junge Männer, hoch zu Ross. Ohola wurde, wie ein naives Mädchen, von der assyrischen militärischen Elite angezo- gen und ließ sich von einer Gruppe galanter Offiziere blenden (Ortlund 1996:121). Trotz des schlechten Beispiels Oholas trieb Oholiba ihre Gier noch schlimmer (Vers 11). Wer aus einem „warnenden Beispiel keine Lehre zieht, lädt noch größere Schuld auf sich“ (Maier 1998:310). Die Symbolfiguren „Esel“ und „Hengst“ stehen für sexuelle Trieb- haftigkeit – das zeigt: es geht ausschließlich um Sex (Vers 20) (:313), der in einer Orgie mün- det (Verse 19-21) (Greenberg 2005:104). Die Schwestern lassen sich von den jungen, gut aus- sehenden, mächtigen und gut angezogenen Männern einer kriegerischen Elite aus Assyrien und Chaldäa faszinieren (Verse 6.12) (Ortlund 1996:121; Zimmerli 1979:543 und 546). Greenberg (2005:107) differenziert noch stärker. Die Assyrer beeindrucken durch ihre militä- risch-politische Organisation, die babylonischen Beamten durch ihre Kleidung, die mesopo- tamischen Partner durch ihr Strotzen von Kraft und die Ägypter durch ihre Erotik. Ohola und Oholiba lassen die Männer aus den fernen Landen holen (Vers 40) und empfangen sie, wie Huren ihre Freier (Maier 1998:320). Die Schwestern putzten sich heraus, denn sie wollen den Freiern gefallen (Verse 40-41). 4.5.4. Ergebnis Indirekte Hinweise verführter und verführender Frauen zeigen die verschiedenen Bilder un- treuer Frauen. Sie laufen Gott immer wieder weg. So kann sexuelle Freizügigkeit auch von Ehefrauen ausgehen (Hosea 2,7b) und zwar so weit, dass sie ihren Liebhabern nachrennen, um zu bekommen, was sie zum Leben brauchen oder auch um Luxus zu bekommen. Häufig wird dabei nicht erkannt, was bereits an Gutem vorhanden ist und manchmal ist den Frauen 160 Reichert (2004:48) übersetzt: „Ich beschwöre euch, Töchter Jerushalajims, … wenn ihr sie weckt! wenn ihr sie aufweckt!, die Liebe bis es beliebt …!“. „Wecken“ bedeutet hier wecken, aufstören, auch sexuell erregen (:74). 87 auch nicht bewusst, was sie suchen. Sie sind blind dafür, was ihnen ihr Ehemann noch alles geben könnte und welcher Reichtum in der Umgebung liegt. Manche Frauen werden von wilder Gier getrieben und werfen sich anderen an den Hals (Jeremia 2,25b). Dabei sind sie planlos und unberechenbar. Sie schnappen nach Leben. Das unbefriedigte, fehlgeleitete, scheinbare Bedürfnis nach Beziehung soll gestillt werden. Aber es wird versäumt darüber nachzudenken was wirklich gut ist. Das Fremde erscheint attraktiv. Frauen können auch ihrer Schönheit vertrauen und auf ihren daraus resultierenden guten Ruf (Hesekiel 16,15-34). Dann missbrauchen sie, was sie schmücken soll, sie missbrauchen die tägliche Nahrung und opfern dafür sogar ihre Kinder. Das Ausleben der Hurerei kann so wichtig werden, dass es nicht einmal gegen Lohn geschieht, sondern die Hure selbst noch für die Hurerei bezahlt. Dabei benutzt sie andere. Aber sie wird nicht satt. In ihrem Inneren lodert es, denn ihre Wünsche kommen aus ihren Herzen. In Hesekiel 23,1-21.36-44 begegnen wir zwei Frauen, die schon früh Bekanntschaft mit sexuellen Übergriffen gemacht haben. Schon als Mädchen, also bevor sie verheiratet waren, wurde viel zu früh ihre Sexualität geweckt. Als erwachsene Frauen sind sie vom Reichtum, von schönen jungen Männern, die Macht und Potenz ausstrahlen, fasziniert. Sie nehmen die Männer, die ihnen begegnen und sie sorgen selbst aktiv für neue Männer. Ihre Freude daran kann man an ihrer Art sich schön zu machen erkennen. Wenn Sexualität zu früh geweckt wird, kann es erst einmal so aussehen, als herrsche extrinsische Motivation, also Versuchung, vor. Dennoch besteht auch hier intrinsische Moti- vation, da eine (viel zu) frühe Fixierung auf Sexualität stattgefunden hat. Der biblische Befund zeigt mögliche Einfallstore in außerehelich-erotisierte Bezie- hungsgeflechte hinein. Und alle Hinweise auf sexuelle Versuchung zeigen intrinsische Moti- vation, also Versuchlichkeit. 4.6. Sexuelle Versuchung oder Versuchlichkeit von Männern Junge Männer erhalten in der Weisheitsliteratur eine Warnung vor der fremden und verführe- rischen Frau (Sprüche 5,1-6.20). Außerdem werden im Alten Testament mehrere sexuelle Versuchungen oder Versuchlichkeiten außerhalb einer Ehebeziehung beschrieben. Diese wer- den im nun folgenden Kapitelteil untersucht. Dabei geht es im Besonderen um die Anteile des jeweiligen Mannes. Die Leitfrage dabei ist: Was könnte einen Mann motivieren, sexuelle Ak- tivitäten aufzunehmen, abzulehnen oder sich mit Gewalt zu nehmen? 88 4.6.1. Sprüche 5,1-6.20 Wie eine Überschrift möchte ich Sprüche 5,1-6.20 voranstellen: Mein Sohn, merke auf meine Weisheit; neige dein Ohr zu meiner Lehre, dass du behaltest guten Rat und dein Mund wisse Erkenntnis zu bewahren! Denn die Lip- pen der fremden Frau sind süß wie Honigseim, und ihre Kehle ist glatter als Öl, hernach aber ist sie bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Ihre Füße laufen zum Tode hinab; ihre Schritte führen ins Totenreich, dass du den Weg des Lebens nicht wahrnimmst; haltlos sind ihre Tritte und du merkst es nicht. Mein Sohn, warum willst du dich an der Fremden ergötzen und herzest eine ande- re? Die in die Form einer väterlichen Warnung gekleideten Sprüche 5,1-6.20 richten sich an jün- gere Männer („Mein Sohn“), denen Frauen auf zwei verschiedene Arten gefährlich werden könnten. Sie landen entweder bei einer Prostituierten oder könnten einer lockenden Frau ins Netz gehen, weil diese ihrem Ehemann untreu sein will (Lamparter 1955:188). Die Mahnung will zu klugen Überlegungen anregen und fordert auf, die Folgen vorher zu bedenken. „Wer auf gesunden Rat hört und von der Erfahrung anderer lernt, entwickelt echtes Unterschei- dungsvermögen“ (MacDonald 1986:38). Wenn auch zuerst alles süß und süffig ist, wird das Ende bitter sein. Sprüche 5,15-19 lenken, wie in einem Einschub zwischen den Warnungen, den Blick auf das Mögliche, Gute und wirklich Erfüllende. Der Angesprochene soll sich an seiner eigenen Frau berauschen. Die Warnung vor der Prostituierten bzw. der Ehebrecherin beinhaltet also nicht, dass körperliche Liebe zwischen Mann und Frau ausgeschlossen wird, sondern – ganz im Gegenteil – erfüllender ist, wenn sie in geordneten Verhältnissen stattfin- det (Lamparter 1955:188). Dann gibt die Liebe Befriedigung und Erfüllung (MacDonald 1986:40). 4.6.2. Sexuelle Verführung In Genesis 38 und 39 kann man von Juda und Josef lesen, die beide aktiv von je einer Frau sexuell verführt werden sollen. Während Josef der sexuellen Verführung widerstand, ging Juda darauf ein. 4.6.2.1. Genesis 38,12-30 Juda war Witwer geworden und nach der Trauerzeit161 wandte er sich wieder den Freuden des Lebens zu (Jacob 2000:714). Tamar, seine Schwiegertochter, sitzt kinderlos (Westermann 1982:43) als „Witwe im elterlichen Hause, so beschließt auch sie, ihrer Witwenschaft ein En- 161 Vermutlich ging es um einen Zeitraum von einem Jahr (Jacob 2000:714). 89 de zu machen“ (Jacob 2000:715). Nach der Tradition hätte Juda ihr den jüngeren Bruder Schela ihres verstorbenen Mannes zum Mann geben oder sie selbst ehelichen müssen, nach- dem er Witwer geworden war (von Rad 1972:293). Beides war bisher unterblieben, obwohl Schela bereits im heiratsfähigen Alter und Juda eben Witwer geworden war. Daher plant Tamar der Tradition durch Eigeninitiative Genüge zu tun. Sie verkleidet sich und setzt sich Juda so in den Weg, dass er sie sehen muss, sie aber nicht erkennen kann. „Als Juda sie nun sah, meinte er, es wäre eine Hure, denn sie hatte ihr Angesicht verdeckt“ (1. Mose 38,15). Juda sieht sie also tatsächlich (Genesis 38,15),162 erkennt sie aber nicht als seine Schwieger- tochter und nutzt daher eine sich ihm bietende Gelegenheit. Mit: „Lass mich zu dir kommen!“ (Genesis 38,16) spricht er sie an. „Der Schleier“ den Tamar für ihre Verkleidung nutzte, „war ein wesentlicher Bestandteil der Kleidung einer verheirateten Frau und hatte mit Prostitution nichts zu tun“ (Soggin 1997:449). Prostituierte stellten sich eher zur Schau. Hier diente der Schleier dazu, die Identität von Tamar zu verbergen. Juda hält die Frau für eine Dirne, weil sie am Straßenrand sitzt, nicht, weil sie verschleiert ist. Nach Westermann (1982:47) gibt sich Tamar das Aussehen einer Dirne.163 Frey (1939:43) beschreibt Juda einerseits als einen Mann „in zügelloser Lust“, anderer- seits als einen in diesem Moment schwach und leidenschaftlich, der von einer Frau in Berech- nung und willentlich ausgenutzt wird (:44). Von Rad (1972:294) erklärt Judas Verhalten in- dem er darauf verweist, dass es im alten Orient weitgehend die Sitte gab, dass sich verheirate- te Freuen auf Grund irgendeines Gelübdes Fremden hingaben. Wenn auch dieses Keusch- heitsopfer für Israel etwas Abstoßendes hatte, so galt es doch nicht als Prostitution. Tamar gab sich als verheiratete Frau aus, und so hat sie Juda genommen. Er tat also etwas, was der Sitte nicht widersprach. Bemerkenswert ist abschließend, dass Juda keinen weiteren Verkehr mit Tamar hatte (Genesis 38,26b), denn jeder weitere „Verkehr, der nicht der Pflicht des Levirats gedient hät- te, könnte als Inzest angesehen werden“ (Westermann 1982:50). Resümee: Juda sieht die Frau und nutzt nach einjähriger Trauerzeit und Enthaltsamkeit eine sich ihm bietende Gelegenheit bei einer Frau, von der er denkt, sie sei eine Dirne. Nachdem er sie als seine Schwiegertochter erkannt hat, findet kein Geschlechtsverkehr mehr statt. 162 Als Juda die Frau wahrnimmt, die die Mutter seiner Söhne wurde, reagiert er ebenfalls über die Augen (Gene- sis 38,2) (Westermann 1982:47). 163 Ob Tamar sich tatsächlich das Aussehen einer Dirne gab und sich deshalb verschleierte oder ob sie sich ver- schleierte wie eine verheiratete Frau, ist für diese Erörterung nur untergeordnet wichtig. Die verschiedenen Au- toren diskutieren das kontrovers (z. B. Westermann 1982, von Rad 1972, Zakovitch 2004, Clark Kroeger & Evans 2002:25). Wichtig dagegen ist, dass Juda sie für eine Dirne hielt (Keil 1983:288). 90 4.6.2.2. Genesis 39,7-18 Josef war als Sklave von einem ägyptischen Hofbeamten des Pharao gekauft worden und lebt in dessen Haus. Alles geht gut, bis die Frau seines Herrn ihn schamlos und lüstern ohne Um- schweife auffordert mit ihr zu schlafen (Jacob 2000:729). Joseph sagte entschieden nein. Er bleibt standhaft (Soggin 1997:457) und verweigerte sich (Westermann 1982:60). Für ihn war es undenkbar, mit der Frau seines Herrn zu schlafen. Er wollte dessen uneingeschränktes Ver- trauen nicht missbrauchen (Keil 1983:288). Für Josef ist „das Unrecht gegen den Mann eine unmittelbare Sünde gegen Gott“ (62; von Rad 1972:298).164 Gottesfurcht bzw. die Scheu vor den strengen Geboten binden Josef. Er akzeptiert diese Grenzen und bleibt keusch (Frey 1939:50). Obwohl er ein sinnlicher und schwacher Mensch ist, gibt ihm die Furcht Gottes die Kraft fest zu bleiben. Nicht Josef ist der Held über Treue und Keuschheit, sondern die Furcht Gottes kann einen Menschen treu und keusch halten (:51). Josef ist bewusst, dass Potifar ihm nichts vorenthalten hat, außer seiner Frau (Westermann 1982:62). Potifars Frau wiederholt ihr Werben hartnäckig, als Herrin hatte sie die Macht einem Sklaven zu befehlen.165 Eines Tages wird sie handgreiflich, packt Josefs Kleid und er muss unbekleidet fliehen (von Rad 1972:299). Josef geht wie gewohnt, aber dennoch leichtsinnig, seiner Arbeit im Haus nach, obwohl keiner der Hausleute sonst im Haus ist (Westermann 1982:63). Er kannte ja das An- sinnen seiner Herrin. Nun wird ihm das zum Problem. „Das war buchstäbliches Sich- losreisen, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich“ (Frey 1939:51). Das zurückgelassene Kleidungsstück dient Potifars Frau später als „Beweis“ für Josefs versuchten Beischlaf (Jacob 2000:731).166 Resümee: Durch seine starke Bindung an Gott und die Vertrauensbeziehung zu Potifar hat Josef genügend Kraft und Stärke, um die konstante Aufforderung von Potifars Frau zum Se- xualkontakt abzulehnen. 164 „Sowohl die ethische wie die religiöse Begründung trifft für Ägypten wie für Israel zu; hier wie dort und wie bei den meisten Völkern der Antike ist der Ehebruch ein schweres Vergehen, und die Ehe steht unter göttlichem Schutz“ (Westermann 1982:62-63). 165 Westermann (1982:62) sinniert darüber, ob der Erzähler damit wohl auch „die ganz andere Sprache der Lie- benden bewusst wiedergeben“ wollte. 166 Jacob (2000:730) interpretiert die Aussage von Potifars Frau, sie habe geschrien (Genesis 39,14), als einen Hinweis, dass sie eine Vergewaltigung vortäuschen wollte. Soggin (1997:458) betrachtet dieses Schreien eher als ein Element, mit dem die Frau ihre Unschuld beweisen will und ausdrücklich nicht als einen Versuch, Josef der Vergewaltigung zu bezichtigen. 91 4.6.3. Sexuelle Versuchlichkeit: Richter 14-16 Simson, der sein Leben lang ein Geweihter Gottes sein soll (Richter 13,7), kommt an mehre- ren Punkten seines Lebens in sexuelle Versuchlichkeit (Hertzberg 1959:220), denn er ist ein großer Frauenliebhaber (Zakovitch 2004:58). Dabei ist seine Lebensgeschichte so an den Wil- len Gottes geknüpft, dass mit einer Situation, die wie sexuelle Versuchlichkeit aussehen kann, mit diesem unverständlichen Handeln, gleichzeitig der Wille Gottes vollzogen wird (Richter 14,1-6). Simson sieht167 ein Mädchen168 bei den Philistern und will sie zur Frau nehmen.169 Er lebt damit, wenngleich sich das vermutlich dem Bewusstsein Simsons entzog, im Willen Got- tes. Dennoch wird durch die Prozessbeschreibung deutlich, dass Simson durch das Sehen sei- ner Augen geleitet wird. Die nach der Hochzeit auftretenden Turbulenzen (siehe Richter 14,10-15,1) führen dazu, dass der Vater der Braut seine Tochter dem Brautführer gibt. Als Simson zu ihr zurückkehren will, muss er feststellen, dass dies nicht mehr möglich ist. Sein Schwiegervater bietet ihm die jüngere Schwester an, denn diese „ist schöner als sie“ (Richter 15,2). Simsons Schwiegervater setzt hier auf die Verführbarkeit Simsons mittels optischer Reize.170 Ob diese Ehe vollzogen wird, bleibt im Text offen. Als Simson später nach Gaza kommt sieht er eine Hure und geht zu ihr (Richter 16,1).171 Wieder sind es die Augen, die Simson zu einer Frau bringen. Durch die Philisterin Delila, einer weiteren Frau in Simsons Leben, nähert sich die Ge- schichte von Simson einem dramatischen Ende. Simson gewann Delila lieb. Der Text offen- bart nicht, aus welchem Grund diese Liebe entflammte. Offen bleibt auch, ob diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruhte.172 In der folgenden, sich zuspitzenden Begebenheit erscheint es, als würden Delila und Simson in ein Machspiel treten, das vorerst mit Simsons Niederlage endet (Richter 16,4-21). Obwohl Delila immer wieder versucht zu erfragen, woher Simsons große Kraft kommt, lässt er sich weiter auf dieses „Spiel“ ein. Schließlich appelliert Delila so an 167 Richter 14,1-3 in Auszügen: „Simson ging hinab nach Timna und sah ein Mädchen … und sprach: Ich hab ein Mädchen gesehen in Timna …; nehmt mir nun diese zur Frau. … Simson sprach zu seinem Vater: Nimm mir diese, denn sie gefällt meinen Augen.“ (Hervorhebungen durch die Autorin.) 168 Nur Hertzberg (1959:220) schreibt, dass die Frau „merkwürdigerweise“ nicht als Mädchen vorgestellt werde, sondern als „Weib“. Alle anderen konsultierten Autoren bleiben bei „Mädchen“. 169 Die Philister herrschten zu der Zeit über das Volk Israel. Weil Simson eine Frau aus dem Volk der Philister nehmen will, will er, der Geweihte Gottes, eine Frau aus einem unbeschnittenen Volk (Hertzberg 1959:230). 170 Simsons Schwiegervater hatte inzwischen die enorme Kraft seines Schwiegersohns kennen gelernt und hatte sicherlich auch Angst vor dessen Reaktion, gleichzeitig sah er wohl die Möglichkeit einen zweiten Brautpreis zu erzielen (Hertzberg 1959:231). 171 Die Überlieferung hat „keine Bedenken dabei gehabt“ mitzuteilen, dass Simson zu einer Hure geht (Hertzberg 1959:233). 172Nach Hertzberg (1959:234) ist bei Delila der Wunsch nach Geld stärker gewesen als ihre Liebe zu Simson. 92 Simsons Liebe, dass er ihr zermürbt und „sterbensmatt“ sein ganzes Herz auftut (Hertzberg 1959:220-235).173 Resümee: Simson wird durch seine Augen auf eine Frau aufmerksam, die er zwar heiratet, mit der er aber die Ehe nicht vollzieht.174 Später bietet ihm sein Schwiegervater die jüngere Schwester der Braut mit dem Hinweis auf deren optische Reize an. Beide Male steht das „Se- hen“ im Vordergrund. Simson scheint sich Delila ergeben zu haben und ihr verfallen zu sein. Daher bekommt sie zunehmend Macht über ihn. Es bleibt offen, was bei Simson diese starke Anziehung zu Delila hin ausgelöst hat. 4.6.4. Sexuelle Forderung: 2. Samuel 11,2-4 Und es begab sich, dass David um den Abend aufstand von seinem Lager und sich auf dem Dach des Königshauses erging; da sah er vom Dach aus eine Frau sich waschen; und die Frau war von sehr schöner Gestalt. Und David sandte hin und ließ nach der Frau fragen und man sagte: Das ist doch Batseba, die Tochter Eli- ams, die Frau Urias, des Hetiters. Und David sandte Boten hin und ließ sie holen. Und als sie zu ihm kam, wohnte er ihr bei; sie aber hatte sich gerade gereinigt von ihrer Unreinheit. Und sie kehrte in ihr Haus zurück. Und die Frau ward schwan- ger. 2. Samuel 11,2-4 Die Erzählung in 2. Samuel 11 handelt in ihrem Kern von Davids mißglückter Vertuschung seines Ehebruchs und dem Mord an Urija. Der Erzähler gibt im Text die äußere Handlung wieder. Die jeweilige innere Motivation und Haltung vor und während des Ehebruchs von David und Batseba werden mit keinem Wort erwähnt. Geschildert werden die Stufen dieses Sündenfalls und die sittliche Erniedrigung Davids (Budde in Dietrich 2011:238). Die Erzäh- lung „beschäftigt sich ausschließlich mit der Tat Davids. Vom König ist allein die Rede“, davon, dass er eine badende Frau erblickt, begehrt, wie er sein Ziel ins Visier nimmt, um sei- nen Wunsch zu erfüllen. Dabei setzt er sich über das Recht des Ehemanns und über das Recht Gottes hinweg (Gutbrod 1958:139). Batsebas Schönheit, die gleich bei deren erster Erwähnung genannt wird, wird zum Auslöser für den Ehebruch. Nach Zakovitch (2004:34) wird weibliche Schönheit häufig „in 173 Hertzberg (1959:235) resümiert, dass diese seltsame Geschichte immer wieder theologisch eingeordnet und begründet wird. Der Geweihte Gottes erfüllt seine Aufgabe („Israel von den Philistern zu `retten´“), weil ihn der Geist Gottes wieder und wieder ergreift. „Damit rückt Simson, trotz seines ungereiften Habitus, in die Reihe der Gottesmänner“. 174 Und die deshalb von ihrem Vater dem Brautführer zur Frau gegeben wird (Richter 14,20). 93 unguten Zusammenhängen genannt, wenn die Verhältnisse nicht ihren rechten Gang ge- hen.“175 Batsebas auffallende Schönheit verdreht David den Sinn (Ketter 1940:231, Gutbrod 1958:139). Die enge Verbindung zwischen Sehen und Begehren stachelt männliche Sexual- triebe an und ist daher naturhaft begründet (Kettler 1940:231). Obwohl David weiß, dass Ehebruch gegen das Gesetz ist, sammelt er trotzdem Informa- tionen über die Frau. Und weil er sie in seinem Herzen bereits in Besitz genommen hat, geht er zielstrebig auf sie zu. Dabei kann ihn auch das Wissen darum, dass sie eine verheiratete Frau ist, nicht stoppen (Wiersbe 2007:72). „David sieht, erkundigt sich, schickt und nimmt. Noch bevor Batscheba kommt und den Palast betritt … hat David sie bereits `genommen´ (V4)“ (Gutbrod 1958:139; Dietrich 2011:241; Wiersbe 2007:73),176 obwohl die rechtliche Situation klar zu Ungunsten Davids steht (Stolz 1981:236). Allerdings scheint es im Text kei- nen Beleg dafür zu geben, dass Batseba unter Zwang oder Gewaltanwendung zu David ge- bracht wird (Wiersbe 2007:73). Auffällig ist die Betonung, dass David keineswegs heimlich ans Werk geht. Er zieht Er- kundigungen über Batseba ein, sendet Diener in seinem Namen zu der begehrten Frau und lässt sie zu sich bringen. Er, der König nutzt seine Macht und bedient sich einer Frau zur Er- füllung „seiner Mannesgelüste“ (Gutbrod 1958:139).177 175 Batsebas Rolle bei diesem Ehebruch wird unterschiedlich bewertet. Für die einen ist es „vielleicht weibliche Koketterie“ im Bewusstsein der Ehre, dem König begehrenswert zu erscheinen (Hertzberg 1960:254; Hertlberg in Dietrich 2011:241), für andere politisches Kalkül sich über das Bett des Königs und unter Opferung des Ehe- manns als Mutter des Thronfolgers empor zu arbeiten (Bailey in Dietrich 2011:241, ebenso Nicol in Dietrich 2011:421). Stolz (1981:236) weist darauf hin, dass sich eine Frau im Alten Testament für den Mann begehrens- wert machte, indem sie sich wusch und salbte (vgl. Ruth 3,3) und so wirke auch die Jerusalemerin auf David. Dabei legt er nahe, dass das wohl nicht so ganz zufällig geschah. Für Dietrich (2011:421-422) dagegen stehen einer Mittäterschaft Batsebas deutliche Textsignale entgegen, denn Batseba wird in den ganzen Handlungssätzen als „passives Objekt der Handlungen Davids gezeigt“. Auch Kettler (1940:231) sieht Vorwürfe an Batseba als nicht berechtigt an. Für ihn sind ein Mangel an Selbstbeherrschung und Takt die Ursache davon, dass David seine Blicke nicht abwendet, wenn eine Frau berechtigterweise im Hofraum, nicht auf dem Dach, ein Bad nimmt. Für Clark Kroeger und Evans (2002:175) ist es überhaupt keine Frage: Für Batseba war es unmöglich, einem so mächtigen Mann „nein“ zu sagen. Nach Gutbrod (1958:139) ist es müßig darüber nachzudenken, denn die „Erzählung berührt das alles mit keinem Wort. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit der Tat Davids“. 176 Genau dieses „Nehmen“ wird später in der Natanparabel aufgenommen, indem der Ehebruch entsprechend interpretiert wird (Dietrich 2011:241). 177 Nach Wiersbe (2007:73) musste kein israelischer Bürger einem König gehorchen, der Gottes Gesetz missach- tet, „denn der König verpflichtete sich gegenüber Gott und dem Volk, dem göttlichen Gesetz gehorsam zu sein“. Jede Mutmaßung über Batsebas Gründe dem Ruf Davids zu folgen, müssen unweigerlich ins Leere laufen, denn der biblische Text gibt dazu keine Auskunft (Hertzberg 1960:254). Dass Batseba ihre Mitschuld am Ehebruch anerkenne, zeige sich darin, dass sie die gesetzliche Reinigung nach dem Ehebruch noch im Königspalast vor- nehme (Kettler 1940:231). Für Gutbrod (1958:139), Stolz (1981), Wiersbe (2007) und Dietrich (2011) ist Batsebas Reinigung die gesetzlich vorgeschriebene Reinigung nach der monatlichen Periodenblutung. Diese Information wird in Vers 4 gegeben, denn sie steht im Zusammenhang mit der hohen Empfängnisbereitschaft und erklärt die umgehende Schwangerschaft. 94 Resümee: Die Schönheit Batsebas löst in David Begehren aus. Er erblickt die Frau, begehrt sie und wird aktiv um seine Wünsche zu erfüllen. Dabei ist er bereit, über gesetzliche und moralische Grenzen hinweg zu gehen. Offen bleibt, ob David seine Macht als König benutzte, um Batseba im Palast haben zu können. Sicherlich kann man aber davon ausgehen, dass zu keiner Zeit Gewalt angewandt wurde. 4.6.5. Sexuelle Gewalt Sexuelle Gewalt ist sicherlich in keiner Zeit aus sexueller Versuchung heraus zu rechtfertigen. Allerdings können sexuelle Gewalt und sexuelle Versuchlichkeit nah beieinander liegen und intrinsische Versuchlichkeit kann sexuelle Gewalt begünstigen. Wer gewalttätig ist und seine Überlegenheit, Macht und Möglichkeiten nutzt, wirkt auf jemand oder etwas verändernd oder schädigend ein. Das gilt natürlich besonders, wenn es um sexuelle Gewalt geht. Die folgenden Bibelstellen sind einbezogen, weil auch in dieser Untersuchung der jeweilige Einstieg in die Versuchlichkeit herausgearbeitet werden soll. 4.6.5.1. Genesis 34,1-5 „Wie so oft, beginnt das Geschehen mit dem Sehen“ (Westermann 1989:654). Dina, die Tochter Jakobs und Leas tritt aus ihrem üblichen und festgelegten altisraelitischen Lebens- kreis heraus, um sich ein wenig neugierig bei „den Töchtern des Landes“, also den eingeses- senen Kanaanäerinnen, umzusehen. Die keusche Dina hält nicht nach Männern Ausschau (Zakovitch 2004:56). Es kann vorausgesetzt werden, dass es Dina kulturell möglich war, sich frei und ohne Begleitung umzusehen (Westermann 1989:655). Nach von Rad (1972:269) löst sie damit ei- nen Stein aus, der zur Lawine wird.178 Sichem, der Sohn des Landesfürsten Hamor, also ein Angehöriger eines anderen Volkes (Boecker 1992:114), vergewaltigt das jungfräuliche, heb- räische Mädchen Dina aus edlem Hause. Ihr Äußeres179 hat den Prinzen so beeindruckt, dass er sie haben muss. Er glaubt, sich mit einem Judenmädchen keine Umstände machen zu müs- sen (Jakob 2000:649-650) und unterdrückt sie (Soggin 1997:407). Erst nach der Vergewalti- gung180 erkennt der Prinz, was geschehen ist und seinen Anteil daran. Ihm wird jetzt auch bewusst, mit wem er es zu tun hat, denn nun erkennt er, dass Dina ebenso von adliger Geburt und ihm damit durchaus ebenbürtig ist (Jakob 2000:649-650). Sichem verliebt sich in Dina 178 Nach Boecker (1992:115) liegt in der Erwähnung dessen, dass Dina sich unter den Töchtern des Landes um- sieht, kein Anlass zur Missbilligung. „Dina sehnt sich nach Kontakten, wie junge Menschen immer tun.“ 179 Ob Dina schön war, bleibt offen. Der Text fordert zu diesem Gedanken fast heraus, aber „die Schönheit einer Tochter Jakobs ist nicht zum Begaffen lüsterner Augen da“ (Jakob 2000:650). 180 Dass es eine Vergewaltigung ist, wird von keinem der Ausleger in Frage gestellt (vgl. Jakob 2000:649-652; von Rad 1972:270; Soggin 1997:407-408; Westermann 1989:655). 95 und versucht sie zu überzeugen, ihn zu heiraten (Westermann 1989:655; Soggin 1997:408).181 Er versucht damit, den angerichteten Schaden zu heilen182 (Boecker 1992:116) und ist bereit, jeden Preis zu zahlen, der von ihm verlangt wird, um sein Vergehen zu sühnen (Westermann 1989:657).183 Resümee: Der Sohn des Landesfürsten Hamor nimmt eine junge Frau wahr, lässt sich von seinen Augen und Trieben verführen und handelt sofort. Er geht von falschen gesellschaftli- chen Voraussetzungen aus, als er meint, Dina sei ihm gesellschaftlich nicht ebenbürtig. Zuerst ist sie ein Mädchen, mit dem man seinen „Spaß“ haben kann, das gebraucht/missbraucht wird und dann weggeschoben werden kann. Nach seinem Gewaltakt verliebt Sichem sich in sie und versucht eine Wiedergutmachung. 4.6.5.2. 2. Samuel 13,1-22 Während die Vergewaltigung von Dina durch Sichem spontan war, bereitet sich Amnon, der Sohn Davids, „lange und wohlüberlegt auf seine Untat“ (Boecker 1992:116) vor. Und wäh- rend Sichem und Dina Fremde sind, sind Tamar und Amnon Halbgeschwister. Amnon spürt ein leidenschaftliches Verlangen nach seiner schönen Halbschwester Dina (Ketter 1940:248). Darüber wird er fast krank. Er ist so von Tamars Schönheit angezogen, dass er wirklich denkt, dass er sie mit einer aussichtslosen Liebe liebt (Stolz 1981:245; Wiersbe 2007:88). „Amnons Fantasie machte Überstunden, wenn er an sie dachte“ (:89). Ihn leitet seine Gier (Gutbrod 1958:159). Mit einem Verwandten beschließt Amnon einen ausgeklügelten Plan, um sich Tamars zu bemächtigen (Boecker 1992:116). Amnon benutzt dabei pure Gewalt um seine egoistische Begierde und wilde Lust zu befriedigen (Gutbrod 1958:160; Wiersbe 2007:90). „In seinen erotischen Begierden verwechselte Amnon Lust und Liebe und erkannte nicht, dass nur eine 181 Keil (1983:263) schreibt, dass Sichem versuchte „sie über das Geschehene durch das Versprechen einer glücklichen Ehe zu trösten“. Die Vorstellung, dass ein Mann nach einer Vergewaltigung ernsthaft eine glückli- che Ehe mit der von ihm vergewaltigten Frau zum Ziel haben kann, ist vermutlich der Unkenntnis Keils über solcherlei Gewaltakte zuzuschreiben. 182 Sichem wendet sich auch an seinen Vater mit der Bitte, dass Dina seine Frau werden kann (Genesis 34,4). Ihm kann also durchaus ernsthafter Wille zur Wiedergutmachung im Sinne des damals gültigen Rechts unter- stellt werden. Die Vergewaltigung eines unverlobten Mädchens wurde nach alttestamentarischem Recht mit einer Geldzahlung, die dem Brautpreis entspricht, geahndet und der Mann musste bereit sein, dass Mädchen zur Frau zu nehmen (Exodus 22,15- 16). Eine solche Frau durfte nicht aus der Ehe entlassen werden (Deuteronomi- um 22,29). „Diese Rechtsbestimmungen können sicher nicht einfach auf die Nomadenexistenz übertragen wer- den. Da mag man durchaus ein anderes Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein gehabt haben“ (Boecker 1992:116). Dennoch wird Vergewaltigung im Alten Testament insgesamt als ein schweres Delikt bewertet und die Ahndung wird für die Zeit der Jahwisten nicht völlig losgelöst vom alttestamentlichen Rechtssystem betrachtet werden können. 183 Das schließt die von Dinas Brüdern geforderte Beschneidung mit ein (Genesis 34,13-19). 96 äußerst feine Grenzlinie die egoistische Liebeslust vom Hass trennt“ (Wierebe 2007:90). Ob- wohl Tamar auf Amnon einredet und sich auch körperlich zur Wehr setzt, vergewaltigt Am- non seine Halbschwester. Dann kommt eine überraschenden Wendung: Die Zuneigung des jungen Mannes wan- delt sich in Hass (Stolz 1981: 245-246). Nach der Vergewaltigung will Amnon Tamar nicht mehr sehen, sie nicht heiraten und lässt sie von seiner Dienerschaft aus seinem Haus verwei- sen.184 Aus ungezügelter Lust wird Ekel und Hass (Ketter 1940:249; Gutbrod 1958:160; Hertzberg 1960:266). Amnon wird als Egoist und Lüstling gezeigt (Ketter 1940:249). Offen bleibt, was die Liebe zu Tamar in Amnon entfacht hatte. Resümee: Tamar ist schön. Damit ist wohl wieder ein Hinweis auf die optische Wahrneh- mung einer Frau gegeben. In diese schöne Frau verliebt sich Amnon.185 Er will die Frau, die für ihn unerreichbar zu sein scheint, unbedingt besitzen. Als er sein Ziel erreicht hat, distan- ziert er sich von Tamar. 4.6.6. Ergebnis Im Alten Testament kommt es aus unterschiedlichen Gründen zu außerehelichem Ge- schlechtsverkehr.186 Juda, Simson, David, Amnon und Sichem reagieren auf Frauen, weil ihnen die jeweilige Frau äußerlich aufgefallen ist. Bei Juda und Simson werden diese Reakti- onen bei je zwei Frauen beschrieben. Weshalb Simson von Delila angezogen wird, bleibt of- fen. Josef kann sich gegen die Verführungsversuche abgrenzen, weil er höhere Werte hat als die Befriedigung seiner sexuellen Lust. Sexuelle Anziehung geht in diesen Geschichten stark vom Sehen aus. Aber das Beispiel von Joseph zeigt auch auf, dass es einer persönlichen Weichenstellung im Vorfeld bedarf. Die Wahrscheinlichkeit körperlichen Bedürfnissen oder erotischen Einflüssen nachzugeben ist deutlich erhöht, wenn die persönliche Haltung und intrinsische Motivation für sexuelle Ein- 184 Tamars Bitte, sie nun doch wenigstens zu heiraten bleibt also unerhört. Nach Boecker (1992:116) ist das schwere Delikt der Vergewaltigung eines unverlobten Mädchens damit auf „vernünftige Weise“ zu sühnen und könne so wieder gut gemacht werden. Boecker kann zugestimmt werden, dass eine Vergewaltigung gesühnt werden muss und die alttestamentarische Sitte der Heirat ein Weg dazu ist. Seine Äußerung, dass eine Vergewal- tigung so wieder gut gemacht werden könne, ist sicherlich dann richtig, wenn sie aus der Sicht der Familie bzw. des Vater betrachtet wird, der so den Brautpreis noch erhält. In der Seele einer Frau kann eine Vergewaltigung aber wohl nie wieder gut gemacht werden! 185 In der Thompson Studienbibel (1984) und der Revidierten Elberfelder (bibelserver.com 2011) steht, dass Amnon Dina liebte. In allen jüngeren Übersetzungen (bibelserver.com 2011:Hoffnung für alle; bibelserver.com 2011:Schlachter 2000; bibelserver.com 2011:Gute Nachricht Bibel; bibelserver.com 2011:Einheitsübersetzung, bibelserver.com 2011:Neues Leben) ist von Verliebtheit die Rede. 186 In Richter 19,22-29 und Genesis 19,30-38 werden weitere außereheliche Sexualakte konkret beschrieben. Im Sinne unseres Themas, Erotik im Beziehungsgeflecht, werden sie nicht untersucht. 97 flüsse im Vorfeld nicht geklärt wurde. (Extrinsiche) Versuchung ist eher erfolgreich, wenn (intrinsische) Versuchlichkeit vorhanden ist. Auf dieser Ebene unterscheidet sich die männliche Anfälligkeit für sexuelle Versuch- lichkeit nicht von der weiblichen. Unterschiedlich sind die Zugangswege. Männer nehmen ihr sexuelles Verlangen körperlich stärker wahr, daher ist die Bereitschaft zum Koitus eher gege- ben, wenn der jeweilige Mann sich nicht selbst diszipliniert bzw. seiner Frau „anhängt“. Der für erotisierende Reize offene Mann gibt sich äußeren Reizen hin, diese werden körperliche Reaktionen auslösen und das steigert den Willen zum Vollzug des sexuellen Aktes deutlich. 4.7. Anziehung durch die Schönheit des Körpers im Hohelied Im folgenden biblisch-theologischen Befund aus dem Hohelied wird zuerst eine Beschreibung männlicher Schönheit aus der Sicht einer liebenden Frau untersucht. Danach wird die Anzie- hungskraft einer Frau aus zwei weiteren Beschreibungsliedern festgestellt. Weil die Schönheit der beschriebenen Menschen von den jeweiligen Sprechern oder der Sprecherin eine so star- ke Wirkung hat, werden die Lieder auch Bewunderungslieder genannt (Müller 1992:7). 4.7.1. Das Hohelied Das Hohelied ist eine Sammlung von Liebesliedern (Keel 1986:9) ohne direkte Beziehung zu Ehe und Hochzeit (Gerlemann 1981:34-51). Es werden Spannung, Sehnsucht, Liebe, Glück und Schmerzerfahrungen thematisiert (Keel 1986:7), bei denen es mehrheitlich um die Sehn- sucht „mit dem geliebten Gegenüber vereinigt zu werden“ geht (:29).187 „Mitten unter Völ- kern, die die Vielehe pflegen … verherrlichen diese Lieder die Treue der Liebe in der Einehe“ (Brandenburg 1971:183). Offensichtlich ist, dass das Hohelied von Sexualität handelt. Noch mehr, es geht um „gute Sexualität“. Es ist eine Sammlung von Poesie, um Sexualität zu rüh- men und diese gut zu heißen (Lombaard 2009:117-118). Die Notwendigkeit das Hohelied typologisch und allegorisch verfremdet zu lesen wurde in der Christenheit immer wieder und ausführlich diskutiert (vgl. Keel 1986:14-20, Zakovitch 2004:30). Nach Keel (:20) hat spätestens seit 1943 die „Gefangenschaft des Hhld. im spiritu- ellen Babylon mit seiner Willkürherrschaft“ auch in der katholischen Kirche ein Ende gefun- den (typologische und allegorische Deutungen hielten sich dort ca. 100 Jahre länger, als in der evangelischen Kirche). J. Hudson Taylor vergleicht in seinem Büchlein „Das Hohelied“ auch 187 Den gesamten Text des Hoheliedes anzusehen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Daher wende ich mich den Texten im Hohelied zu, in denen einzelne Körperteile von Personen durch Adjektive, Vergleich oder Metaphern beschrieben werden: Hohelied 4,1-7; 5,9-16 und 7,2-6 (nach Keel 1986:30) und direkte Personenbe- schreibungen sind (Gerlemann 1981:57). Insgesamt ist die Begrenzung von einzelnen Liedern im Hohelied eher willkürlich und unterschiedliche wissenschaftliche Kommentare kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Adolf Schlatter teilt das Hohelied in zehn Lieder ein, Würthwein zählt dreißig (Brandenburg 1971:185). 98 1951 noch die im Hohelied beschriebene Liebe zwischen Mann und Frau mit der Liebe zwi- schen den Menschen und Christus. Dabei bedient er sich des erotischen Vokabulars des Tex- tes. Will die Braut geküsst werden, so ist das für Taylor (1951:12) der Wunsch nach „fühlba- re[r] Liebesgemeinschaft mit ihm“ und am Schluss des ersten Abschnittes sei die Braut „völ- lig befriedigt und in Ruhe in den Armen ihres Geliebten“. 188 Auch wenn in Israel die Eheschließung mehr eine Angelegenheit der Familie war, so kommt in diesen Liedern doch die persönliche Liebe junger Leute zu ihrem Recht. Dabei ist das Hohelied in seiner Sprache voller Poesie und unbefangen erotisch (Zakovitch 2004:29; Baum 1971:29). Die Beschreibungslieder, in denen ganz konkret Körperteile benannt werden, sind we- nig geschlechtsspezifisch, d. h. die gleichen Metaphern (z. B. die Lippen), die für einen Mann benutzt werden (Hhld 5,15), werden auch für eine „Frau benutzt (Sir 26,18) und die primären Geschlechtsmerkmale werden so gut wie nie direkt erwähnt“ (Keel 1986:193).189 Bei der Auswahl der Beschreibungslieder orientiere ich mich an Keel (:10). 4.7.1.1. Die Beschreibung des geliebten Mannes „Eine Frau beschreibt ihren Geliebten“, so könnte man das erotische Beschreibungslied über- schreiben (Müller 1992:7), das als einziges „den Mann zum Gegenstand hat“ (Ringgren 1962:282; Keel 1986:185). Was hat dein Freund vor andern Freunden voraus, o du Schönste unter den Frau- en? Was hat dein Freund vor andern Freunden voraus, dass du uns so beschwörst? Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter vielen Tausenden. Sein Haupt ist das feinste Gold. Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe. Seine Augen sind wie Tauben an den Wasserbächen, sie baden in Milch und sitzen an reichen Wassern. Seine Wangen sind wie Balsambeete, in denen Gewürzkräuter wachsen. Seine Lippen sind wie Lilien, die von fließender Myrrhe triefen. Seine Finger sind wie goldene Stäbe, voller Türkise. Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Saphi- ren geschmückt. Seine Beine sind wie Marmorsäulen, gegründet auf goldenen Fü- ßen. Seine Gestalt ist wie der Libanon, auserwählt wie Zedern. Sein Mund ist süß, und alles an ihm ist lieblich. - So ist mein Freund; ja, mein Freund ist so, ihr Töchter Jerusalems! Hohelied 5,9-16 188 Als 1961 geborene Freikirchlerin kann ich mich durchaus noch an allegorisch genutzte Bibelzitate aus dem Hohelied erinnern. Das Hohelied, Text des Alten Testamentes, wurde bei der Predigtplanung eher ausgespart. Umso wichtiger ist es mir deutlich zu machen, dass ich mich der Auslegung Keels (1986:21; Brandenburg 1971:183; Steinberg 2014) anschließe, im Hohelied seien Liebeslieder enthalten, die bei Hochzeiten, aber dar- über hinaus auch als „Beschreibungslieder“ zu anderen Gelegenheiten gesungen wurden (:21). Ebenso legt sich Steinberg (2014). lag bei Abgabe dieser Arbeit noch nicht vor. 189 Einzige Ausnahme sind die Brüste der geliebten Frau (z. B. Hhld 4,5). 99 Sie, `die Schönste unter den Frauen´ kann nur einen Mann lieben, der ihr in nichts nachsteht (Zakovitch 2004:221). Die Eröffnung und der Schlusssatz zeigen, dass der „herrliche Mann der Geliebte der Sprecherin ist“. Der Geliebte wird eher in Methaphern, in einer „Konzentra- tion auf Farbe“, mit „kostbaren Materialien“ (Keel 1986:186) und in einer „barbarischen Herrlichkeit“ beschrieben, die auf „wesentliche Elemente“ der „Beschreibung von Göttersta- tuen“ zurückgeht (:186; 184). Wenn der Geliebte als glänzend, flimmernd (weiß) und rot beschreiben wird, so ist das als Zeichen der Lebendigkeit und Intensität zu verstehen (Keel 1986:186), bei der Glanz, Far- be und Größe dominieren (Müller 1992:60). „`adam, `der Rote´ heißt der Mensch. … Der `glänzend Rote´ ist also der ideale Mann“ und sticht wie ein Feldzeichen hervor und überragt alle anderen an Glanz und Kostbarkeit (Keel 1986:187).190 In der Beschreibung als Rabe wer- den die geheimnisvollen und unheimlichen Seiten des Geliebten veranschaulicht. Die Augen des Geliebten zeigen strahlend seine Liebe in einer glücklichen Zeit des Überflusses unter glücklichen Umständen, in einer glücklichen Umgebung. Die Metaphern „Tauben an Wasser- bächen“, „baden in Milch“ und das „sitzen an reichen Wassern“ unterstreichen das Frische, Glänzende und Glückliche das von diesen Liebe verkündenden Augen ausgeht. Die dann fol- genden Vergleiche mit Gerüchen nutzen Superlative, die den „Eindruck des Göttlichen andeu- ten, den der Geliebte hervorruft“ (:187). Ebenso wie der Duft des Geliebten, haben auch seine küssenden Lippen eine belebende Wirkung (:188). Die Beschreibungen zu den Fingern, Armen, Beinen und Füßen (Vers 14 und 15a) ver- mitteln den Eindruck von einem außerordentlich kostbaren, wenn auch einem künstlichen Gebilde (Türkis, Elfenbein und Marmor auf goldenen Füßen). Ähnlich sind Götterstatuen beschrieben, die aus ebenso kostbaren Materialien gefertigt wurden. Damit wird der Geliebte den Zeitgenossen als vollkommener Repräsentant des Göttlichen beschrieben (:192), dessen Leib191 aus dem kostbaren Luxusgegenstand Elfenbein besteht. Der Mann ist von Kopf bis Fuß192 aus reinem Gold. „Er ragt aus allem hervor“ (:194). 190 Zakovitch (2004:221-222) deutet die Farben weiß als Metapher für Licht und Wärme, bei deren Erscheinung des Geliebten an die Sonne erinnert. Die Farbe rot unterstreicht für ihn die Hellhäutigkeit der Erscheinung und passt damit wieder zum Bild der Sonne. Mir erscheint Keels Interpretation schlüssiger. 191 Keel (1986:184, 192) übersetzt „Unterleib“ bei dem auch die Fortpflanzungsorgane einbezogen sind. Für Zakovitch (2004:225-226) steht der „Leib“ für den „Torso“, der normalerweise verhüllt, also der Öffentlichkeit entzogen ist und daher mit Elfenbein verglichen wird. Die Äußerungen zu diesen Körperteilen des Geliebten „lassen auf intimere Bekanntschaft der Sprecherin mit ihm schließen“ (:226). 192 Die hier verwendete Stilfigur wird als Chiasmus bezeichnet. Im Zentrum des Chiasmus stehen der Kopf und die Füße aus Gold. Daher ist der ganze Mann „von oben bis unten herrlich, rein, kostbar, göttlich wie Gold“ (Keel 1986:194). 100 Der Mund des Mannes ist süß und verführerisch (Zakovitsch 2004:227) und alles an ihm ist lieblich – er ist also ganz und gar begehrenswert (Keel 1986:194). Mit dieser Hervor- hebung des Mundes, am Schluss dieses Beschreibungsliedes, schwingt auch eine Anspielung auf das Liebespiel mit, das in der Regel mit Küssen beginnt (:194, Müller 1992:60). 4.7.1.2. Die Sehnsucht nach der geliebten Frau Hohelied 4,1-7 und 7,1-6 beschreiben den Körper der Frau vom Kopf bis zu ihren Brüsten. Für Ringgren (1962:285) besteht so viel Ähnlichkeit zwischen Hohelied 4,1-7 und 7,2-6, dass er für die Einzelerklärung zu Hohelied 7,2-6 auf die Einzelerklärung von Hohelied 4,1-7 ver- weist. Hohelied 4,1-7 4.7.1.2.1. Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Deine Zähne sind wie eine Herde geschore- ner Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle haben sie Zwillinge, und keines unter ihnen ist unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, an der tausend Schilde hangen, lauter Schilde der Starken. Dei- ne beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien wei- den. Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will ich zum Myrrhen- berge gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist wunderbar schön, meine Freun- din, und kein Makel ist an dir. Hohelied 4,1-7 In diesem erotischen Beschreibungslied (Müller 1992:7) werden die in der Geliebten „inne- wohnenden Kräfte“ mit ihrem „Geheimnis der anziehenden Macht ihrer Schönheit“ beschrie- ben (Keel 1986:130). Eingerahmt wird der Text von den Worten „du bist schön“ und „kein Makel ist an dir“.193 Die Brüste erfahren im Hohelied mehr Aufmerksamkeit als der Genital- bereich. In der hebräischen Literatur sind Brüste ein Bild für „Segen, Entgegenkommen, Ge- nährtwerden, Vertrauen-Gewinnen (Ps 22,10; Hi 3,12)“ (Keel 1986:138-139). Die liebeserre- genden Brüste (Müller 1992:44), die mit Gazellen (Hhld 4,5), köstlichen Weintrauben (7,8) oder einem Turm (8,10) verglichen werden, sind als Metaphern für Leben und Lebenserneue- rung zu verstehen (Keel 1992:139, 224–226, 253). Gazellen, die in Hohelied 4,5 symbolhaft für die Frauenbrust stehen, gehören auch zur Sphäre der Liebesgöttin, wo sie als „Repräsen- 193 „Der Talmud weist auf die Sitte hin, die Braut zu rühmen, selbst wenn ihre Schönheit nicht unbedingt dem Ideal entspräche“ (Baum 1971:42). 101 tantinnen der Lebenslust und -freude erscheinen“ (Keel 1986:139).194 Die Gazellenkitzen symbolisieren auch „das warme, bewegliche, siegreich dem Tod entgegenwirkende Leben“ (:140). In dieser Metapher geht es auch um ein allgemeines Schönheitsideal der älteren Zeit. Brüste sollen fest, rund, gut entwickelt und zart sein, aber nicht groß, hängend oder unge- wöhnlich voll (Gerlemann 1981:70). Die Brüste verhelfen dazu, die Freuden der Liebe zu genießen – bei Mann und Frau. Daher soll sich die Frau dessen erfreuen, „was der Geliebte ihr zu bieten hat“ (Zakovitch 2004:189). Die Kombination der Metaphern Gazelle und Lotusblume195 wird zu einer „superlativi- schen Verherrlichung der Geliebten“ und die Vorstellung daran verlockt ihn dazu, die Gelieb- te aufzusuchen. In poetischen Bildern werden Brüste und „sonstige Reize“ mit Bergen und Hügeln ver- glichen (Ringgren 1962:275). Die Geliebte wird mit all ihren „Höhen“ zu einer Wunderland- schaft (Keel 1986:140-141)196 und an ihr ist nichts, was missfallen oder stören könnte oder einen Anlass geben könnte sie zurückzuweisen (:144). Sie ist durch und durch ebenmäßig und von makelloser Schönheit (Ringgren 1962:275, Zakovitch 2004:190). Hohelied 7,2-6 4.7.1.2.2. Das Gedicht in Hohelied 7 beschreibt „eine perfekte, aber stolze und reservierte Fürstentoch- ter“ (Keel 1986:213)197 und benennt darüber hinausgehend auch die Hüften (Vers 2) und den Schoß (Vers 3). 198 Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Die Rundung deiner Hüfte ist wie ein Halsgeschmeide, das des Meisters Hand gemacht hat. Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Lilien. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwil- linge von Gazellen. Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein. Deine Augen sind wie die Teiche von Heschbon am Tor Bat-Rabbim. Deine Nase ist wie der Turm auf dem Libanon, der nach Damaskus sieht. Dein Haupt auf dir ist wie der Kar- mel. Das Haar auf deinem Haupt ist wie Purpur; ein König liegt in deinen Locken gefangen. Hohelied 7,2-6 194 In Sprüche 5,19 werden die Brüste ebenfalls als lebens- und lustspendend besonders hervorgehoben (Keel 1986:140). 195 Die Lotusblüte steht symbolhaft für die Überwindung von (trübem, wässrigem) Chaos (Keel 1986:140). Lu- ther übersetzt mit Lilien. 196 Für Baum (1971:42) sind „Myrrhenberg“ und „Weihrauchhügel“ eine Umschreibungen einer liebenden Ver- einigung. 197 Das geht auch aus der Beschreibung hervor, dass sie Schuhe trägt. Barfuss gehen bedeutet Schwäche, Trauer oder Armut. Das passt nicht zu einer Fürstentochter (Keel 1986:214). 198 Nach Keel (1986:214) kann der hebräische Ausdruck allerdings nur mit Nabel übersetzt werden, der dann wiederum für die ganze weibliche Genitalzone steht. 102 Das Ansprechen der Hüfte weist auf das Werk von plastischer Qualität aus Künstlerhänden hin (Gerlemann 1981:70, Keel 1986:216). Dass im Schoß „nimmer Getränk mangelt“ (V3), wurde als Beischlaf interpretiert. In sumerischen Texten zu Hochzeiten feierte man die (feuchte) Scham auch regelmäßig als Rauschtrank für den männlichen Partner. Ebenso wurde das gemeinsame Trinken aus Bechern mit einer deutlich erotischen Beziehung kombiniert (:216). Die Bedeutung von „Leib“ meint den Mutterschoß, und in dessen Kombination mit „Weizenhaufen“ wird wohl besonders auf Fruchtbarkeit und Nahrhaftigkeit hingewiesen. Aber der Mutterschoß der Geliebten „schenkt nicht nur Kinder, sondern auch dem Geliebten Frische und neues Leben“ (:216). Die Fürstentochter beschenkt den mit neuem Leben, dem ihre Intimität zuteil wird. Die Interpretation zu den Brüsten in Hohelied 4,5 kann hier über- nommen werden, da es sich um die gleiche Metapher handelt.199 Die von dem Hals ausgehende magische Faszination (:218) auf den Geliebten wird wei- tergeführt in den wirkungsvollen Augen, die den Geliebten anblicken und die jeden Vorüber- gehenden erfrischen und bezaubern. Am Schluss des Liedes wird die verführerische Anziehungskraft der Haarpracht besun- gen. Der Geliebte hat sich darin, wie in einem Netz, verfangen. Diese überragende Qualität fängt sogar den König so ein (:220-221), dass er an eine (finanziell nicht ungünstige) Heirat denkt (Müller 1992:74). 4.7.2. Ergebnis Im Hohelied werden Spannung, Sehnsucht, Liebe, Glück und Schmerzerfahrung thematisiert, die die Sehnsucht nach der Vereinigung mit dem geliebten Partner ausdrücken. Die Schönheit der Frau und des Mannes werden dabei bewundert mit verschiedenen Körperteilen verbunden. Die Liebenden erotisieren sich so gegenseitig, gleichzeitig wird der Andere erotisch erlebt. Dabei werden die Geschlechtsorgane nur an wenigen Stellen direkt benannt. Da das Hohelied insgesamt nicht nur in direktem Bezug zu einer Hochzeit steht, werden darin wohl die starken Emotionen sehnsuchtsvoller und zueinander hinziehender Erotik von liebenden Menschen außerhalb der Ehe poetisch besungen. Liebe und Sehnsucht sind wohl als Geschwister zu betrachten, die auch für Liebesbe- ziehungen heute relevant sind. Liebende Eheleute werden sich, auch erotisch, zueinander hin sehnen. 199 Für alle mit der weiblichen Fruchtbarkeit verbunden Körperteile werden in dieser Dichtung Metaphern aus dem Bereich der Flora und Fauna verwandt (Zakovitch 2004:246). 103 4.8. Fazit und Relevanz Weil Menschen (fast) immer als Frau oder Mann geboren werden, sind sie jeweils eindimen- sionale sexuelle Wesen und auf Ergänzung hin angelegt. Theologisch können die typisch weiblichen Geschlechtsmerkmale mit ihren Wesensmerkmalen verknüpft werden. Von „Ute- rus“ können als typisch weiblich Mitgefühl, Mitleid, Barmherzigkeit, Einfühlung, Empathie und sich Erbarmen abgeleitet werden und von der „Frauenbrust“ gehen Leben stärkende und Lust weckende Reize aus. Männlichkeit wird verbunden mit Kraft, Potenz, Fähigkeiten und Abenteuer. Auch in der theologischen Beschreibung von Frauen und Männern spiegelt sich die Unterschiedlichkeit wieder, die das andere Geschlecht interessant erscheinen lassen und Ero- tisierung möglich machen. Zweigeschlechtlichkeit gehört unmittelbar zur Erschaffung des Menschen und gibt ihm eine unverwechselbare Würde, in der die Gemeinschaft das ganze Dasein umfasst. Ehe und Liebe sind im westlichen Kulturkreis Geschwisterpaare, deren Basis aus Zuneigung und Freiwilligkeit, sowie Treue und Verbindlichkeit besteht. Die Ehe wird als Ehebund verstan- den, zu dem es gehört, die Eltern wirklich zu verlassen, sich mit dem Ehepartner/der Ehepart- nerin unauflöslich zu verbinden und miteinander in einer sexuellen, personenhaften Ganzheit- lichkeit ein Fleisch zu werden. Die Ehebeziehung soll in gegenseitiger Liebe, mit Respekt und Achtung und in Gleichwertigkeit gelebt werden. Leben Eheleute so in einer geistlich ausge- richteten, guten Ehebeziehung miteinander, wird sie das vor erotischen, außerehelichen Be- zugspunkten schützen. Ist die Ehe durch verschiedene Faktoren instabil und weitet sich das auf intrinsisch mo- tivierte Versuchlichkeit aus, erhöht das die Wahrscheinlichkeit eines außerehelichen Flucht- punktes. Der biblische Befund aus dem Alten Testament zeigt auf, dass sowohl Frauen wie Männer, wenn auch jeweils geschlechtstypisch, erotisiert werden können. Am Beispiel von Josef wird aber auch deutlich, dass nicht jede Erotisierung erfolgreich sein muss. Die im Ho- helied besungene Liebe ist verwoben mit der Sehnsucht nach dem Partner/der Partnerin, in der sich die Liebenden gegenseitig erotisieren. Im Zusammenhang mit der Erotisierung von missionarischen Beziehungsgeflechten sind die Ergebnisse der biblisch-theologischen Erarbeitung mit den Beobachtungen auf dem Missionsfeld in einer empirischen Untersuchung zu überprüfen. Nach dieser biblisch-theologischen Grundlage zu Geschlecht und Erotik, wird sich die Arbeit nun der Missiologie zuwenden um den Umgang mit Frauen und Männern als geschlechtliche 104 Wesen innerhalb der Missiologie zu untersuchen. Dabei scheint es unerlässlich zu sein, auch die Geschichte der Leiterschaft, der Mitarbeiterführung und Umgang mit Berufung in die Mission mit einzubeziehen um die Unterschiede zwischen (verheirateten) Männern, verheira- teten Frauen und Singlefrauen herauszuarbeiten. 105 5. Geschichte der Leiterschaft, Missionarinnen und Missi- onare, Berufung In Folgenden sollen drei verschiedene Themenfelder innerhalb der missionarischen Praxis dargestellt werden. Zum einen wird die Geschichte der Leiterschaft und Mitarbeiterführung in evangelikalen Missionswerken betrachtet, da diese erheblichen Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft haben. Um sich dem erotischen Beziehungsgeflecht in der heutigen Mis- sionssituation zu nähern, bedarf es auch einer Schau der Entwicklung von Leiterschaft und Mitarbeiterführung in der Mission. Die Untersuchung ist eingegrenzt auf deutsche, evangeli- kale Missionswerke. Zum anderen sollen Missionare und Missionarinnen in ihrem männlichen bzw. weibli- chen Wesen, aber auch in ihren Rollenbildern betrachtet werden und Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob und wenn ja, wie weit, dies in der Missionstheologie reflektiert ist. Da- her wird es um die Person des Missionars/der Missionarin gehen. Nach den ersten, eher all- gemeinen Aussagen zum „Missionarssein“ wird die spezielle Situation von verheirateten Frauen und weiblichen Singles, mit dem Fokus zum Umgang mit Sexualität, sowie die Situa- tion von Männern in Missionssituationen zu untersuchen sein. Gott will Mann und Frau, Ver- heiratete wie Singles „nicht als Neutrum gewinnen, sondern er erfreut sich an ihrem Frausein, an ihrem Mannsein“ (Eichler 2010a:56).200 Ebenso bedarf die Lebens- und Arbeitsgemein- schaft von Missionaren im Missionsland einer Durchleuchtung, um die daraus entstehenden Beziehungsgeflechte zu verstehen. Da Missionare und Missionarinnen häufig ihr Missionarsein an ihrer Berufung festma- chen, wird im letzten Teil dieses Kapitels auf die Berufung im Kontext evangelikaler Missio- nen und speziell auf die Berufung von verheirateten Missionarinnen und Singlemissionarin- nen eingegangen. Die Ergebnisse der Kapitelteile werden jeweils zusammengefasst. 5.1. Geschichte der Leiterschaft und Mitarbeiterführung evangeli- kaler Missionen Da im Rahmen dieser Arbeit erotische Beziehungsgeflechte innerhalb der evangelikalen Mis- sion untersucht, werden sich die Ausführungen zur Leiterschaft auf evangelikale Missions- werke beschränken. Gerade bibelorientierte Christen treten meistens mit dem Anspruch an, Leiterschaft in der einzig richtigen Art und Weise – also biblisch – praktizieren zu wollen. Daher wird im ersten Teil ein eher allgemeiner Überblick über Leiterschaft und deren Bezug 200 Eichler (2010a:56) spricht dies besonders Singles zu, nicht als Neutrum leben zu müssen, und ihre Ge- schlechtlichkeit als von Gott gewollt anzunehmen. Diese Aussage gilt aber natürlich ebenso für Verheiratete. 106 zur „biblischer Leiterschaft“ beschrieben. In einem zweiten Teil wird auf die Entwicklung der Leiterschaft und Mitarbeiterführung eingegangen und in einem letzten Teil Leiterschaft und Mitarbeiterführung heute betrachtet werden. Ziel ist dabei, Leiterschaft und Mitarbeiterführung in der Mission zu verstehen und er- kennen zu können, ob durch Leiterschaft und Mitarbeiterführung die Erotisierung von Bezie- hungen zwischen Missionaren und Missionarinnen vorgebeugt werden kann. 5.1.1. Verständnis von „Biblischer Leiterschaft“ Die Erwartung an „biblische Leiterschaft“ ist so unterschiedlich, weil das Führungsverständ- nis von Menschen in erster Linie kulturell geprägt ist. Daher ist das Verständnis von „bibli- scher Leiterschaft“ so unterschiedlich wie die Kulturen. Menschen die durch eine jahrhunder- tealte eher absolut geführte Monarchie werden andere Führungsstile für passend halten als Menschen, die seit Jahrhunderten in einer Demokratie aufwachsen konnten.201 Problematisch ist es immer dann, wenn die Führungskultur, die man selbst für richtig hält – sei sie diktato- risch oder demokratisch –, als die einzig wahre oder gar als die „biblische“ proklamiert wird. Es kann auch passieren, dass die persönlich erlebte Führungskultur als falsch beurteilt und verworfen wird. Man will es ganz anders machen. Leider zieht dabei nur allzu oft das Ver- worfene durch die Hintertür wieder ein (Kessler 2011:163-165). Um die Leitungsstruktur in deutschen Missionsgesellschaften besser verstehen zu kön- nen, ist es daher notwendig die wechselvolle deutsche, politische Geschichte, zumindest in einem groben Überblick, mit einzubeziehen. Wie deutsch die Missionsgesellschaft ist, ist auch davon abhängig davon, ob es sich bei dem Missionswerk um ein von Deutschen gegrün- detes Werk handelt oder ob es z. B. von Engländern oder Amerikanern gegründet wurde. Der Beginn der deutschen, historischen, staatlichen Tradition kann auf 962 datiert wer- den. In diesem Jahr wurde Otto I. zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt. In den folgenden Jahrhunderten befanden sich das Papsttum und der deutsche Kaiser immer wieder in Macht- und Religionskämpfen. Ab dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) hatte der Kaiser nur noch eine formale Machtstellung. In der Folgezeit konnten sich einzelne Fürstentümer bürokratisch 201 Als Beispiel seien hier die Länder Russland und die Schweiz beschrieben. Das Zarentum prägte Russland Jahrhunderte lang und wurde dann durch die Diktatur der kommunistischen Einheitspartei abgelöst. Auch wenn heute in Russland Wahlen möglich sind, so sind der russische Führungsstil und der Umgang mit Demokratie westlichen Beobachtern suspekt und fremd (Kessler 2011:164). 1291 begann die Schweiz als Eidgenossenschaft in einem losen Staatenbündnis, das sich durch eine große Auto- nomie der Kantone auszeichnete (Russenberger 2005:55). Heute sind „Keine Macht dem Einzelnen“ und die „Demokratische Mitbestimmungsmöglichkeit“ (:92-93) wesentliche Schweizer Werte. Nach schweizerischem Führungsempfinden ist Machtmissbrauch, was für russische Bürger normaler Alltag ist. Dem gegenüber diagnostizieren russische Bürger Führungsschwäche bei einem für Schweizer Bürger normalen politischen Geschehen. 107 organisieren und zu modernen Staaten werden. Manche dieser Herrscher öffneten sich dem philosophischen Zeitgeist. Es folgten z. B. eine Phase der französischen Besatzung (1806– 1813) und einer Zeit des Staatenbündnisses „Deutscher Bund“ (1815–1866). In dieser Zeit wollte der Hochadel seine Macht bewahren, aber das wirtschaftlich starke Bürgertum wollte an dieser Macht teilhaben. Schon 1817 trafen sich Professoren und Studenten zu politisch motivierten Bücherverbrennungen und 1831 trafen sich über 30.000 Menschen aus vielen Bevölkerungsschichten und Staaten und hissten erstmals die noch heute in Deutschland gülti- ge Nationalflagge in Schwarz-Rot-Gold. Der preußische König gab dem Druck zuerst nach, später lehnte er die ihm angetragene Kaiserkrone jedoch ab und bezeichnete sie als bürgerli- che „Lumpenkrone“. 1866 wurde der Norddeutsche Bund als Militärbündnis gegründet, in dem es ein Jahr später eine Verfassung gab, die ihn zum Bundesstaat machte. In den letzten 150 Jahren wechselten sich politische Phasen ab, obwohl Deutschland in- zwischen ein Nationalstaat geworden war. Von 1871 bis 1918 bestand eine konstitutionelle Monarchie, in welcher der Kaiser einer Verfassung unterlag. 1919 wurde Deutschland zu ei- ner parlamentarisch-demokratischen Republik, zur Weimarer Republik. Das Parteiensystem wies trotzdem „eine beachtliche Kontinuität zum Kaiserreich auf“ (Deutscher Bundestag 2012). Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Deutschland unter einem Dik- tator allmählich zu einem „Führerstaat“ umgewandelt, der sein Ende 1945 durch den Ein- marsch der Alliierten fand. Seit 1949 ist Westdeutschland eine repräsentative Demokratie, in der das Volk Personen wählt, die eine begrenzte Zeit die Macht übernehmen können. Der Osten Deutschlands wurde ab 1949 von einer kommunistischen Diktatur im Einparteiensys- tem beherrscht. Die DDR (Deutsche Demokratische Republik) verstand sich als sozialisti- scher Arbeiter- und Bauern-Staat. Die Macht sollten also Arbeiter und Bauern haben. Prak- tisch wurden die vormals Mächtigen entmachtet und oft auch enteignet. 202 Die Macht lag dadurch in den Händen einzelner Politiker des Einparteiensystems. „Die Wende“ wurde durch friedliche Demonstrationen ausgelöst und fand 1990 ihren Abschluss in der Wiedervereini- gung Deutschlands. Die Wurzeln der ältesten deutschen Partei, der SPD,203 reichen bis 1848 zurück. Die vor 202 Adelige, die nicht in den Westen gegangen waren, wurden oft wegen ihres Namens schikaniert. Daher be- schränkten sie sich häufig auf das „von“ und ließen sich zum Selbstschutz nicht mit ihrem vollen Namen (als Graf, Baron etc.) ansprechen. Ebenso wurden Fabriken verstaatlicht, indem die vorherigen Besitzer enteignet wurden. Die Prozedur der Enteignung erstreckte sich auf viele Ostblockstaaten (Anlage 14). 203 Sozialdemokratische Partei Deutschland. 108 145 Jahren gegründete Partei erreichte besonders die Arbeiter.204 Die Wurzeln der liberalen Partei Deutschland reichen bis in die Aufklärung zurück. Zwischen 1880 und 1900 manifes- tierte sich die FDP.205 Seit 1945 hat sich die Parteienlandschaft der vorherrschenden Parteien ständig erweitert. Zuerst 1945 durch die Gründung der CDU206, 1980 mit der Gründung der Grünen. Bis heute entstehen weitere Basisparteien mit politischem Einfluss. Im Ringen um die Machtverhältnisse gibt es in Deutschland also eine hundertjährige Tradition der Macht von unten.207 Die religiöse Entwicklung steht dem nicht nach. 1517 lehnte sich der kleine, deutsche Mönch Martin Luther gegen die mächtige Katholische Kirche auf. Damit begann eine Ent- wicklung, die die kirchliche Landschaft für immer verändern sollte. Später kam die Gründung verschiedener Freikirchen208 in Deutschland209 hinzu. Die wechselvolle, deutsche Geschichte führt mit zu der Kulturbeschreibung von Hof- stede und Hofstede (2009): Deutschland ist eine individualistische, maskuline Kultur, mit einer geringen Machtdistanz210 (:51-220), einem Bewusstsein für Unsicherheitsvermeidung (:228-306), einer geringen Langzeitorientierung und einem geringen Wachstum des Bruttoso- zialproduktes (pro Kopf) (:307-329). 204 Mein Großvater mütterlicherseits, Christian Meier, 1896-1969, Maurer, stand der sozialistischen Bewegung sehr nahe, auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Nachdem er Hitler während des 2. Weltkrie- ges einen „dahergelaufenen Österreicher“ genannt hatte, entkam er einer Deportation nur durch das beherzte Eingreifen eines Dorfbewohners (mündlich überliefert von Emmi Maria Weirich, 1922-2006, älteste Tochter von Christian Meier). Der Vater meiner Schwiegermutter, Reinhold Thielscher, 1898-1965, Hufschmied und später als Brenner in einer Porzellanfabrik tätig, wurde, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wegen abfälliger Bemer- kungen über „die Braunen“ sechs Wochen in einem „Lager“ (vermutlich ein Vorläufer eines Konzentrationsla- gers) interniert. Er kam frei, nachdem er schriftlich zugesichert hatte, auf aktiven Wiederstand gegen das System zu verzichten (mündlich überliefert von Ingrid Kessler, geb. 1938, Tochter von Reinhold Thielscher). 205 Freie Demokratische Partei. 206 Christliche Demokratische Union. 207 Das schließt dennoch nicht aus, dass man die „kleinen Leute“ auch versuchte klein zu halten. So hörte z. B. mein Vater, Karl Weirich, 1922-2006, in seiner Ausbildung als Dreher in den dreißiger Jahren öfter den Spruch: „Überlass das Denken den Pferden. Die haben größere Köpfe“ (mündlich überliefert). 208 Wie z. B. die Evangelische Gemeinschaft 1803 oder der Bund freier evangelischer Gemeinden 1854. 209 In anderen Ländern Europas entwickelte sich z. B. das Täufertum zeitgleich mit dem Protestantismus. 210 Machtdistanz ist ein Gradmesser für die Bereitschaft Ungleichheit zu akzeptieren (Hofstede & Hofstede 2009:51-93). In Ländern mit einer geringen Machtdistanz ist Gleichheit ein hoher Wert. Unterschiede in der Machtdistanz erlebte ich besonders eindrücklich im Februar 2010, als ich zusammen mit einer Delegation deutscher GBFE-Vertreter Unisa besuchte. Während dieses Aufenthaltes erreichte uns die Nachricht, dass die Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, nach einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss von ihren kirchlichen Ämtern zurück getreten war. Ein Polizist hatte die Alkoholfahrt zur Anzeige gebracht und damit die in Deutschland in solchen Fällen übliche Prozedur initiiert. Ein Kommentar unserer südafrikanischen Gastgeber lautete dazu: „Bei uns hätte man den Polizisten entlassen“. Zu solchen und anderen Beispielen kann es kommen, wenn Machtdistanz unterschiedlich akzeptiert ist. 109 5.1.2. Entwicklung von Leiterschaft und Mitarbeiterführung in den Mis- sionsorganisationen der AEM Da hier nicht der Raum für eine Gesamtschau zur Geschichte der christlichen Leiterschaft ist,211 werde ich mich auf die Geschichte der Leiterschaft in Missionsgesellschaften der Neu- zeit beschränken, die ca. 1850 begann. Die evangelikalen Missionen erwuchsen aus den Glaubensmissionen.212 Die Leitung der Missionen wurde im Wesentlichen durch die Konfe- renz der Missionare auf dem Missionsfeld ausgeübt. Die Heimatzentrale war zuständig für die Kontakte zu Missionsfreunden und Gemeinden und leitete deren Zuwendungen an die Missi- onare weiter. Zu Leitungsfragen oder Strategien für das Missionsfeld wurde die Heimatzent- rale höchstens beratend hinzugezogen. Die Missionare der Glaubensmissionen befanden sich nicht in einem Angestelltenverhältnis, sondern sie waren Mitglieder der Missionsgesellschaft, die aktiv alle Entscheidungen und Bewegungen der Mission steuerten – bis in den Vorstand hinein. Praktisch bedeutete das allerdings auch, dass in den Gründerjahren der Glaubensmissio- nen kein Missionar oder keine Konferenz von Missionaren etwas tat, was nicht dem Grün- derwillen entsprach. In einigen Missionen waren die Gründer selbst auf dem Missionsfeld und leiteten mit uneingeschränkter Autorität und manchmal auch mit harter Hand „ihre“ Mission von China bzw. Afrika aus (Brandl 2003:51).213 Gerade in Leitungsfragen wollten die Grün- der der Glaubensmissionen effizient sein, damit sie das Ziel der Evangelisierung der Welt schneller erreichen konnten.214 Diese Veränderung meinte man, nur durch die sogenannte „Director Rule“ erreichen zu können, die lautete: „Es wird getan, was der Gründer befiehlt“ (:52).215 Mit „Du erkennst den Willen Gottes am Willen des Komitees“ belehrte Inspektor Josenhans (1812–1884) von der Basler Mission einen Missionsschüler bei einem öffentlichen Examen als Antwort auf die Frage, woran ein Missionar den Willen Gottes erkenne (Konrad 2001:32). Dieser Absolutheitsanspruch wurde seinerzeit grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Das Komitee regierte patriarchalisch und verstand sich als „unter einer höheren Macht ste- 211 Das älteste christliche Handbuch zu Führungsfragen in einer christlichen Organisation ist „die Regel des Benedikt“ (Regula Benedicti) für das um 529 gegründete Kloster Monte Cassino (Benedikt 2006:5), das sich in der jüngeren Geschichte der Führungskultur einer neuen Beliebtheit erfreut. Benedikt beschreibt darin detailliert, wie Mitarbeiterführung und Klosterleitung auszusehen haben. Dieses Regelwerk wurde von den evangelikalen Missionswerken allerdings bisher kaum wahrgenommen. 212 Als Glaubensmissionen werden Missionswerke bezeichnet, die bei der Finanzierung weitestgehend auf Fundraising setzen und auf direkte Werbung für finanzielle Mittel verzichten. 213 So z. B. in der China-Inland-Mission mit ihrem Gründer Hudson Taylor und die WEC International mit ihrem Gründer Charles T. Studd (Brandl 2003:51). 214 Damit sollte die Kultur der „Freimissionare“ korrigiert werden, zu denen Hudson Taylor selbst einige Jahre gehört hatte (Brandl 2003:52). 215 Daher spricht Fiedler (1992:514-516) von „gründergeleiteten Missionen“. 110 hend“ und für „etwas Höheres kämpfend“. So wollte es alle Glieder in dieser Hierarchie ver- binden, „wobei die Frauen das letzte Glied in der Kette sind“ (:33). Nach dem Tod der Gründer entstanden dann meistens echte feldgeleitete Missionsstruk- turen, die in jährlichen Konferenzen der Missionare ihren Ausdruck fanden. Dabei wurden durch Wahlen die Ziele und Strategien für das jeweilige Land sowie Feld- oder Konferenzlei- ter bestimmt. Die Heimatleitung hatte dabei meist nur eine beratende Stimme. Wenn sich die Missionare auf dem Missionsfeld nicht einig werden konnten, führte das schon mal zu einer Lähmung der Arbeit.216 Starke, individualistische Persönlichkeiten mit unterschiedlichen ekk- lesiologischen Ansätzen blockierten sich gegenseitig. Wenn die Heimatleitung eingriff, wurde das von einzelnen Missionaren nicht akzeptiert. Sie pochten auf ihre Unabhängigkeit. Ab Mitte des letzten Jahrhunderts entstanden Dachverbände, die mehr leisten konnten als die einzelnen Missionsgemeinschaften.217 Die Zusammenarbeit mit ca. 60 Missionsgesell- schaften und mehr als 300 Missionaren und Missionarinnen wurde partnerschaftlich gestaltet (Schäfer 2002:1304).218 1968 rückten dann die verschiedenen Missionsgesellschaften Deutschlands näher zu- sammen und führten in Verbindung mit der Deutschen Evangelischen Allianz 1969 eine erste Tagung durch. Ein wichtiges Ergebnis war die „Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missio- nen“ (AEM),219 die inzwischen ein nach deutschem Vereinsrecht eingetragener Verein ist.220 Die heutigen Missionsgesellschaften sind also genauso unterschiedlich in ihrer Lei- tungsstruktur geprägt wie die gesamte deutsche Gesellschaft; einerseits durch die autoritäre Hand der Gründergeneration, andererseits durch die Feldstruktur. Darüber hinaus kann ange- nommen werden, dass sich die sowieso stark mit demokratischem Gedankengut durchdrunge- nen Missionen durch die zweckmäßigen, eher partnerschaftlich gestalteten Zusammenschlüs- se weiter in ihrer Leitungsstruktur veränderten. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die Veränderung der Heimatzentrale in eine Heimatleitung auf die Machtverhältnisse in Mis- 216 Wie z. B. in der Geschichte der Neukirchener Mission (Brandl 1996:52). 217 So wurde beispielsweise 1951 die Deutsche Missionsgemeinschaft (DMG) gegründet. Sie unterhält keine eigenen Arbeitsfelder, sondern sie ermöglicht deutschen Missionarinnen und Missionaren durch die Veröffentli- chung einer Bedarfsliste Mitarbeit in nationalen und internationalen Missionsgesellschaften bzw. einheimischen Kirchen (Schäfer 2002:1304). 218 Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2001 (Schäfer 2002:13.04). 219 Früher bekannt unter dem Namen „Konferenz Evangelikaler Missionen“. Spezielle Beiträge der AEM im Zusammenschluss sind die 1983 herausgegebenen „Grundsätze für den Umgang mit Spendenmitteln“ (AEM- Spendengrundsätze), denen 1985 die „Grundsätze für die Öffentlichkeitsarbeit“ folgten (Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen 2012). 220 In diesem Verein sind inzwischen „über 90 evangelische Missionsgesellschaften und Ausbildungsstätten aus dem Bereich der evangelischen Landeskirchen, Landeskirchlichen Gemeinschaften und Freikirchen“ (Hervorhe- bung im Original) zusammengeschlossen und es werden zurzeit „weltweit über 3.500 Mitarbeiter“ betreut, die auf der Glaubensgrundlage der Deutschen Evangelischen Allianz arbeiten (Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen 2012). 111 sionswerken hat. Das ist, wie im nächsten Kapitel aufgezeigt wird, noch nicht wirklich ge- klärt. 5.1.3. Das Verständnis von Leiterschaft im Missionskontext Das Begriffspaar Heimatleitung – Feldleitung setzt Distanz voraus. Die Heimat mit der Hei- matleitung ist in Deutschland, das Missionsfeld mit der Feldleitung da „draußen“ (in Asien, Afrika, Lateinamerika oder anderswo). Wenn mehr als fünf Missionare in einem bestimmten Bereich arbeiten, wird es als Notwendigkeit empfunden, neben der Heimatleitung auch eine Feldleitung zu installieren. Die daraus resultierende Spannung, die durch die Distanz verstärkt wird, muss immer wieder überbrückt werden. Gute, vertrauensvolle Beziehungen untereinan- der und eine gute Kommunikationskultur ist hier eine wichtige Basis um den Missionaren zu dienen (Brandl 2003:49). Brandl (2003:50) definiert Leitung so: „Leitung heißt, in einen dynamischen Prozeß einzutreten, der über längere Zeit geht, wobei ein oder mehrere Leiter mit von Gott gegebenen Fähigkeiten und Verantwortung die Gedanken und Aktivitäten einer Gruppe zur Erfüllung von bestimmten Zielsetzungen hin beeinflußt“. Offensichtlich wird diese Definition von vie- len Fragen begleitet.221 Gute Leiterschaft zeichne sich darin aus, dass Autorität weise dele- giert werde. Daher bleibt im spannungsvollen Verhältnis zwischen Heimatleitung und Feldlei- tung die Frage, wie viel Autorität die Heimatleitung an die Feldleitung delegiert habe. Gleich- zeitig fragt er nach dem Leitungsstil Jesu, der „Dienende Leiterschaft“ proklamierte (Matthä- us 20, 26b) und anderen die Füße wusch (Johannes 13) (auch Scheunemann 2003:32). Das sollte Vorbild für einheimische Leiter, Feld- und Missionsleiter sein und die Möglichkeit öff- nen für das Wirken des Heiligen Geistes als eine praktische und geistliche Fortbildung. Als Merkmal „dienender Leiterschaft“ beschreibt Brandl (2003:50) das Nichtanwenden von Ge- walt und Macht.222 221 So fragt Brandl (2003:50): „Welche Ziele verfolgt die Mission x in dem Land y? Sind die Ziele der Heimat- leitung mit der Feldleitung abgesprochen? Sind überhaupt Gesamtziele, Teilziele und spezifische Ziele formu- liert bzw. allen klar? Leitung hat etwas mit Planen zu tun: Planen bedeutet das Fixieren von Vorausüberlegun- gen. Es heißt, im voraus Mittel, Wege und die Zeit festzulegen, wie die Mission auf die beste Art und Weise am Ziel kommen kann“. 222 Brandls Verständnis von Macht ist einseitig negativ geprägt. Ein Machtvakuum entstehen zu lassen ist gefähr- lich. „The difficulty is that a leader does not exerxise his/her power, there will be a power vacuum – and power addicted people will try to fill this power vacuum“ (Kessler 2010:536). 112 Das führt ihn zu der Frage, ob eine solche Leitung realistisch sei.223 Das Zusammenspiel von Feldleitung und Heimatleitung sei unklar. Unterschiedliche Führungsstile (leiten im Team oder eine „einsame Spitze“, die alles alleine macht) schreibt Brandl (:50) den verschiedenen Generationen zu, aus denen die Leiter stammen.224 Dabei kann es passieren, dass Heimatlei- tung und Feldleitung verschiedene, sich widersprechende Leitungskonzepte favorisieren. Weil sich Christen in der Mission in einem geistlichen Kampf befinden, braucht es eine gut funktionierende innere Struktur in der Mission. Sie ist Voraussetzung für ein gutes Gelin- gen des Ganzen (Brandl 2003:48). „Sand im Getriebe“ (:49) sei durch den Widersacher225 initiiert, weil er so die Missionsarbeit lahm legen könne. Konsequenz sei, strukturelle Fragen mit geistlichen Mitteln zu bekämpfen226 (z. B. die in Epheser 6 empfohlene „Geistliche Waf- fenrüstung“ zu nutzen).227 In den eher traditionellen Glaubensmissionen vermutet Brandl (2003:52) eine sich im Einzelfall zwar unterscheidende, aber dennoch stark feldgeleitete Leitungsstruktur, die ihm in einer Zeit, in der schnelle, flexible und sachbezogene Lösungen gefordert sind, auch sinnvoll und als optimale Lösung erscheint und die er für zukunftsfähig hält. Eine ganz anderes Leitungsverständnis vermittelt Wagner (2004:176), wenn sie Missio- narsfrauen darauf hinweist, dass ihre Unzufriedenheit mit der Missionsleitung höchstwahr- scheinlich an ihnen selbst liegt und nicht an der Missionsleitung (auf diese Monographie wird in Kapitel 5.2.2 besonders eingegangen). Wagner richtet sich dabei allerdings im Wesentli- chen an verheiratete Missionarinnen. Welches Leitungsverständnis sie bei Missionaren in Bezug auf die Missionsleitung empfiehlt, bleibt offen. 223 Den Schlussfolgerungen Brandls (2003:50), Leiterschaft befände sich im Rahmen von Autorität, Gewalt- und Machtverzicht, ist zu widersprechen. Zuallererst steht natürlich auch ein Leiter/eine Leiterin unter dem Anspruch des Doppelgebotes der Liebe (Markus 12,29-31). Das ist der Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens leben Leiter zwischen Machtmissbrauch und Machtverzicht. Macht nicht anzunehmen bedeutet, die Verantwortung der Lei- terschaft nicht anzunehmen (Kessler 2012b). Macht zu missbrauchen heißt schuldig zu werden und führt zu frustrierten Mitarbeiter/-innen (Kessler & Kessler 2012). 224 Hier ist wohl die männliche Form passend. In der Vergangenheit war es überhaupt nicht denkbar, dass bei einer evangelikalen Missionsgemeinschaft die Feldleitung weiblich war. Das ändert sich langsam. Immerhin gibt es in Deutschland inzwischen vereinzelt Missionsleiterinnen. 225 Brandl (2003:49) definiert hier nicht, wen oder was er unter „Widersacher“ versteht. Vermutlich ist aber der Gegenspieler Gottes, Satan, gemeint, der oftmals als Verantwortlicher für missionarisches Scheitern identifiziert wird. 226 „Da existiert eben doch ein Unterschied zum Industriebetrieb, der mit Managementmethoden geführt werden kann“ (Brandl 2003:49). 227 Sicherlich ist eine Unternehmung mit einem geistlichen Ziel anders gestört (angefochten) als ein weltliches Unternehmen. Und sicherlich muss auf eine Störung in einem geistlichen Unternehmen geistlich reagiert werden. Dennoch verhindert schlechtes Management missionarische Ziele und diesem muss mit einem veränderten Ma- nagementsystem begegnet werden. Schlechtem Management alleine durch „geistliche Strategien“ begegnen zu wollen wäre fatal für alle. 113 Nach Blöcher (2003:72) erwarten Missionare heute einen eher indirekten Führungs- stil.228 Dabei spielen gegenseitiges Vertrauen, Eigenverantwortung, Mitwirkungsmöglichkei- ten, interaktive Entscheidungsfindung und die Erwartung, dass viele Entscheidungen direkt auf dem Missionsfeld getroffen werden, eine große Rolle. Es wird Hilfestellung und Führung im Einsatzland erwartet, aber gleichzeitig kann eine mangelnde Kompromissfähigkeit und Führbarkeit, bei der Individualität und Unabhängigkeit hohe Werte sind, dem erschwerend entgegenstehen. Missionare brauchen Unterstützung und Geborgenheit durch andere Teammitglieder. Gleichzeitig kann beobachtet werden, dass ein Missionar oder eine Missionarin mit hohen Erwartungen an das Team, dieses Team lahm legen kann. Die Verantwortung für einzelne Missionare durch ihre Missionsgesellschaften sind nicht endgültig zu klären, denn jeder/jede Missionar/-in ist auch für sich selbst verantwortlich, auch dafür, welche gesundheitlichen Ri- siken ertragen werden sollen oder für die fehlende Bereitschaft an Fähigkeiten, Defiziten oder Verletzungen zu arbeiten. Gleichzeitig sollten Missionare auch keine Angst davor haben müs- sen, von der Missionsleitung fallen gelassen zu werden. Offen ist, wie weit die Verantwortung der Missionsgesellschaft reicht, wenn „Missionare nicht mehr als unanfechtbare Superchristen angesehen werden und Erschöpfung oder Depression nicht mehr schamhaft versteckt werden“ können (Blöcher 2003:72). Resümee: Leiterschaft und Mitarbeiterführung in der Mission sind insgesamt komplexer und damit komplizierter geworden. Es scheint allerdings auch so, dass Leitungsfragen von einigen Missionsleitungen vor allem als „biblische Leiterschaft“ verstanden und daher nicht umfas- send reflektiert werden. Das erschwert die Mitarbeiterführung für beide Seiten. Im Sinne des Themas dieser Arbeit muss davon ausgegangen werden, dass, trotz bester Absicht von Seiten der Leiter und/oder Leiterinnen, eine einseitige „biblische Leiterschaft“ Lücken lässt und elementare Bedürfnisse von Missionaren und Missionarinnen unerkannt, unberücksichtigt bleiben, was wiederum Einfluss auf den Umgang mit erotisierten Bezie- hungsgeflechten haben kann. 5.1.4. Ergebnis Wenn also die Erwartung an (wie man meint biblische) Leiterschaft von der kulturellen Prä- gung abhängt, dann kann man das für Deutschland folgendermaßen zusammenfassen: 228 Blöchers Artikel ist von 2003. Heute, 2014, rufen, beeinflusst von US-amerikanischer Führungsliteratur, Mitarbeiter/-innen eher nach einem visionären Führungsstil. 114 a. Das Leiterschaftsverständnis ist geprägt von einem eher demokratischen Grundver- ständnis. Ungerechtigkeit, Benachteiligung und das Gefühl von Ohnmacht werden zu Widerstand führen. Machtlose können ihre Stimme zumeist schadlos erheben. Sie werden gehört und können Veränderungen einleiten. b. Das Aufwachsen in Ost- oder Westdeutschland hat mehr Einfluss auf die Erwartung an Leiterschaft als die geistliche Prägung. Entweder wird das Machtmonopol abge- lehnt oder für den christlichen Kontext befürwortet. c. Die Erwartung an Leiterschaft ist abhängig von der Epoche, in der die einzelnen Menschen aufgewachsen sind. Was für die heutige Jugend ganz normales, konstruk- tiv-kritisches Mitdenken und Nachfragen ist, kann für die Großelterngeneration un- verschämte Auflehnung sein.229 Diese Tendenz ist auch auf dem Missionsfeld zu be- obachten. Die freie Kommunikation junger Missionare wird „von älteren Vorgesetz- ten zuweilen als Respektlosigkeit mißverstanden“ (Blöcher 2003:69). d. Macht wird (auch) delegiert und zugesprochen, aber man wird auf zeitliche Begren- zungen achten.230 5.2. Missionarinnen und Missionare Nach Frankemölle (2002:1274) sind Missionare231 schlicht Gottes Mitarbeiter,232 die aufge- fordert sind, Gottes Güte und Menschenliebe zu verbreiten, weil Gott selbst „dynamisch der Welt in den Menschen zugewandt“ ist. Weil Gott missionarisch ist, sollen es die Christen auch sein. Nach Herm (2003:11) entspricht das neutestamentliche „apostolos“ (der Gesandte) am ehesten dem Begriff „Missionar“. In Johannes 17,20.21233 bezieht Jesus dieses Wort auf sich und es wird in Hebräer 3,1234 auf ihn angewandt. Christus ist ein Gesandter Gottes und Jesus weitert diesen Begriff auf seine Jünger aus (vgl. Matthäus 10; Lukas 5). Später werden 229 In Gemeinden äußert sich das häufig darin, dass die ältere Generation die Fragen der Jüngeren („Warum machen wir das so?“ „Wozu ist das sinnvoll?“ „Wer will das so?“ usw.) als „Alles müssen die hinterfragen.“ verstehen und das oft als unpassend bis frech bewerten. 230 Das zeigt sich gerade in den Freikirchen, in denen vor ca. 35 Jahren ein Wandel im Leitungsverständnis ein- trat. Bis dahin waren Gemeindeleiter, sogenannte Älteste, mit ihrer Berufung oft bis zum Lebensende im Amt. Heute bauen die meisten Gemeinden zeitliche Begrenzungen in die Amtszeit einer Ältestenschaft ein (z. B. in Cramer, Eschmann & Kuschmierz 2003:3). 231 Der Begriff wurde im 16. Jahrhundert als ein christlicher terminus technicus geprägt (Frankemölle 2002:1274). 232 1. Korinther 3,9: „Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; …“. 233 Johannes 17,20.21: „Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glau- ben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ 234 Hebräer 3,1: „Darum, ihr heiligen Brüder, die ihr teilhabt an der himmlischen Berufung, schaut auf den Apos- tel und Hohenpriester, den wir bekennen, Jesus, …“. 115 weitere Jünger darin einbezogen (vgl. 1. Korinther 9,6; Römer 16,7). Der spezielle Dienst der Apostel kann als Auftrag zur Gemeindegründung in neuen „geographischen, religiösen und kulturellen Bereichen“ (Herm 2003:11) verstanden werden. Das wiederum entspricht dem, was man bisher unter einem Missionar verstand: „Einer, der ausgesandt ist, um über geogra- phische, kulturelle, sprachliche und religiöse Grenzen hinweg Gemeindegründung zu wirken“ (:11). Demzufolge wären Missionare im gemeindegründenden Dienst die Apostel der Gegen- wart.235 Die Veränderung von „Berufung als Missionar“ in „von Beruf Missionar“236 (siehe auch 5.3.2) erforderte weitere Definitionen. Zum Beruf des Missionars führt Brandt (2003:49) aus: Ein „Missionar ist ein Botschafter Gottes, der im Namen Jesu unter der Leitung des Heiligen Geistes zur Verherrlichung Gottes lebt und arbeitet.“237 Daher sind Missionare gesandte Män- ner und Frauen, die die „Botschaft von der Versöhnung der Menschheit mit dem lebendigen Gott durch seinen Sohn“ (:19) verkündigen und zur Annahme dieser Frohen Botschaft ermu- tigen. Missionare wollen den Menschen dabei nach Leib, Seele und Geist beistehen und mit- helfen, sie in die Gemeinde Jesu einzugliedern. Diese, vor allem am Auftrag ausgerichtete, Definition bedarf einer Erdung. Denn die Person des Missionars/der Missionarin muss genauso im Blickfeld sein wie ihr soziologischer Hintergrund (Aus welchem familiären und sozialen Status kommt die Person, unter welchen ökonomischen Voraussetzungen hat sie gelebt, welcher gesellschaftlichen Schicht gehört sie an?) (Kritzinger & Saayman 2011:5). Ebenso bedarf es einer vielschichtigen Zurüstung und Begleitung. Oft genug wird die Herzenseinstellung, Hingabe und konsequente Nachfolge als Garant dafür angesehen, dass Missionare und Missionarinnen in schwierigen Zeiten alles mit Gottes Hilfe bewältigen könn- ten (das wird auch durch die Prästudie in Kapitel 6.1.2 bestätigt). Die Realität zeigt ein ande- res Bild (siehe wiederum Anlage 6). Manchmal ist die Ausreise auch eine Flucht, weil man sich wichtigen Lebensfragen verschlossen hat (Tröger 2003:58). Die Ausreise geschieht dann aus falschen Motiven (Blöcher 2003:72). Unbewusste Ziele und das Ausweichen vor unange- nehmen Lebensfragen bestimmen dann den Missionsdienst entscheidend mit (Tröger 2003:59). 235 Dazu könnte man noch vielerlei ausführen. Mir geht es hier allein um die Frage, was unter einem Missionar zu verstehen ist. 236 Was auch dazu führte, dass die Begriffe „Missionar, Missionarin“ heute säkularisiert sind und im Allgemei- nen auf Vertreter angewandt werden, die propagandistisch auftreten (Ustorf 2002:1299). 237 Diese Definition hat Brandl (2003:49) vermutlich aus dem Denkrahmen „Mission“ geschrieben. Dabei blieb unbeachtet, dass diese Definition weit gefasst ist, denn sie trifft auf alle Menschen zu, die im Namen Jesu unter der Leitung des Heiligen Geistes zur Verherrlichung Gottes leben und arbeiten, auch wenn sie nicht ausdrücklich als Missionare unterwegs sind. 116 Im Zuge der Herausbildung eines Berufsbildes „Missionar“ hat sich in der Neuzeit eine spezielle Ausbildung für Missionare entwickelt, die in Deutschland als universitäres, missi- onswissenschaftliches Studium oder Ausbildung an Bibel- und Missionsschulen sichtbar wird und die nebeneinander stehen (bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Ausbildung eher an den praktischen Erwartungen an Missionare ausgerichtet ist). Der im 20. Jahrhundert ange- strebte Paradigmenwechsel (vgl. Bosch 1991, 2011) führte zu einem ökumenisch- missionarischen, theologischen Ausbildungsziel (Ott 2002:1301).238 Die Aus- und Weiterbildung von Missionaren begann mit dem Missionar aller Zeiten, Jesus Christus und dem Völkerapostel Paulus, der ein theologisch gebildeter Missionar war (Brandt 2003:19). Bis heute ist die Ausbildung von Missionaren und Missionarinnen ein viel diskutiertes Thema. Brandt fordert eine solide biblische Bildungsgrundlage, deren Zentrum die Heilige Schrift ist und die auf die Verherrlichung Gottes abzielt. Missionare sollen sich theologischer Aus- und Weiterbildung nicht verschließen und auch akademische Ausbildung wertschätzen, wenn sie denn nötig ist (:20).239 Außerdem führt er eine ganze Reihe weiterer Themen240 auf, durch die die Ausbildung ergänzt werden sollte.241 Ganz sicher sollte diese Liste durch die von Tröger (2003:58-59) geforderte Persönlich- 238 Die Grenzen zwischen ökumenischen, missionarischen und theologischen Ausbildungszielen sind im eng- lischsprachigen Raum fließender (Ott 2002:13.01). 239 Brandl fordert: „Lassen Sie uns auf allen Ebenen, in der AEM, in der FHM und im AfeM daran arbeiten, daß wir im Bereich der Bildung alles daran setzen, damit diese Einheit erhalten bleibt. Alles zur Ehre Gottes“ (Brandt 2003:49). 240 - mehr Verständnis und Verstehen füreinander in gleicher nationaler und sprachlicher Herkunft und im Um- gang mit einheimischen Mitarbeitern. - mehr internationales Verständnis zeigen. "Die Identität des Missionars nach neutestamentlichem Vorbild muß besser eingeübt werden." (Brand 2003:22). - Umgang mit Stress unter Missionaren - ganzheitliche Mission im Umgang mit arm und reich, hoch und niedrig - Identifikation mit der eigenen Mission als deren Teilhaber - Umgang mit Spenden und Spendern - geistliche Aufarbeitung - Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in der Missionarsgemeinschaft - Umgang mit Missionskandidaten und Neuen zwischen unwürdigem Bemuttern und ungeistlicher Gleichgültig- keit - Umgang mit Zeit. "Prioritäten setzen und höflich absagen können. Rechenschaft ablegen als Folge verantwort- lichen Handelns. - Schulung in non-verbaler Kommunikation und Gemeinschaft (:19-29). 241 Brandt (2003:19) ist bewusst, dass diese Liste nicht vollständig ist. 117 keitsbildung erweitert werden.242 Dass Tröger das 1996 noch fordern muss ist erstaunlich,243 denn die Wichtigkeit von Persönlichkeitsentwicklung beschrieb Foyle bereits 1984 in „Hono- urably Wounded“ (2009). Anhand von vielen Beispielen wird die Notwendigkeit dargestellt, den Fokus bei Missionskandidaten ebenso stark auf Persönlichkeitsaspekte zu legen, wie z. B. auf medizinische Gutachten. Ob Missionseinsätze gelingen oder misslingen unterliegt oft un- mittelbar dem Einfluss der Persönlichkeit. Schwierige, unbearbeitete Erlebnisse aus der Ver- gangenheit,244 die als alter Ballast das Leben beschweren,245 sollten im Vorfeld erkannt und dafür Hilfe angeboten werden. Psychische und emotionale Altlasten sollten möglichst nicht mit aufs Missionsfeld genommen werden (Wagner 2004:29-30). Die persönliche Reife der Missionskandidaten und -kandidatinnen kann sich bereits in der Vorbereitungszeit zeigen. Wenn Menschen die Reife zur Selbsterkenntnis haben und die Fähigkeit Einsichten zu gewinnen, wenn sie sich mit ihrer Persönlichkeit,246 ihrem Charak- ter247 und ihren Problemen auseinander setzen, wenn sie gelernt haben, sich angemessen an- zupassen, die eigenen Stärken und Schwächen kennen und einschätzen können und mit der Bereitschaft ausgestattet sidn, weiterhin (demütig) zu lernen, dann ist ein guter Grundstock für eine längerfristige Missionstätigkeit gelegt (Foyle 1995:128-133; auch in Wagner 2004:28). Dennoch scheint es auch eine Frage der Generation zu sein, wie mit Erwartungen und Problemen umgegangen wird. 242 Der Ruf Trögers (2003:58-59) ist seitdem nicht ungehört verklungen. Inzwischen ist „Persönlichkeitsbildung“ als Unterrichtsfach Teil von theologischen Ausbildungsstätten. So z. B. bei der Theologischen Hochschule Ewersbach (Haubeck & Schröder 2012:150, 152, 172) oder bei der Biblisch Theologischen Akademie des Fo- rums Wiedenest (Wiedenest 2012). In beiden Ausbildungsstätten können sich Missionare theologisch ausbilden lassen. 243 Gleichzeitig aber auch verständlich, denn Tröger (2003:58-59) fordert eine strukturierte Persönlichkeitsanaly- se, die psychologische Kenntnis voraussetzt. Die bereits vorhandenen Seelsorgeangebote werden zwar wertge- schätzt, dennoch liegt Tröger mit ihrer Forderung (für die sie 1996 bei einer Konferenz für Missionare eingetre- ten ist) näher an dem, wofür auch Foyle (1995) schon eintritt, deren Buch seit 1987 als deutsche Übersetzung vorliegt. 244 Die Palette des persönlichen Ballastes ist zu groß, als daraus einzelne Themen zu benennen. Wichtig ist, dass die persönlichen Lebensthemen und deren Verarbeitungsmechanismen erkannt werden. So können in einer Le- bensstilanalyse die wirklichen Wünsche, Absichten und Ziele der Verhaltens- und Einstellungsmuster herausge- arbeitet werden. Ebenso könnten Fehlhaltungen, spezifische Abwehrmechanismen und Vermeidungsstrategien, selbst gewählte Fixierungen, die oft zu selbst errichteten Blockaden und Hindernissen führen, die uns von Gott, unserem Nächsten und unseren Möglichkeiten abschneiden, transparent gemacht werden. Darüber hinaus können persönlichen Stärken und Entwicklungsmöglichkeiten erarbeitet werden, um sie als Grundlage für persönliche Weiterentwicklung nutzen zu können. 245 Blöcher (2003:72) weist darauf hin, dass einen der alte Ballast durch schwierige Missionssituationen wieder einholen kann. 246 Hierbei können verschiedene Persönlichkeitsmerkmale nach verschiedenen Persönlichkeitstypologien be- schrieben werden. 247 Mit Charaktereigenschaften sind in dieser Arbeit die aus der Tugendethik abzuleitenden Eigenschaften ge- meint. 118 Neulich erklärte mir ein renommierter Missionsleiter, wie schwierig er die Zu- sammenarbeit mit den etwa 40 Jahre alten Missionaren finde, die er als mimosen- haft, harmoniebedürftig und verweichlicht beschrieb, ständig auf der Suche nach Selbstbestätigung, mit hohen Erwartungen an den Einsatz und mit Ansprüchen an Kollegen, die sie mit ihren Schwächen ertragen sollten. Wir werden den "wetter- festen" Missionar des alten Schlags nicht mehr zurückholen, und ob dieser auch dem heutigen Anforderungsprofil gewachsen wäre, sei dahingestellt. Es ist wahr, daß Missionare auch ein Kind ihrer Zeit sind, mit beeinflußt von den Paradigmen und Werten ihrer Zeit. Aber darin liegt auch ein Vorteil, denn sie verstehen ihre Zeitgenossen und ihre Zeit. In der Tat gab es in den letzten Jahren einen richtigen Generationswechsel unter den Missionaren. Blöcher 2003:68 Obwohl das Durchschnittsalter von Missionaren und Missionarinnen bei der Erstausrei- se heute im Allgemeinen höher ist als früher (Scheunemann 2003:30; Blöcher 2003:68248),249 sollten den Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung in der Vorbereitungszeit dennoch genug Raum gegeben werden. Das höhere Alter bei der Erstausreise führt auch dazu, dass die Missi- onare genau wissen, was sie wollen, was sie können und was nicht. Aber: „Mit der gereiften Persönlichkeit geht auch ein Verlust an Flexibilität einher“ (:69). Blöcher (:68-73) schreibt Widersprüchliches: einerseits sollen Missionare mimosenhaft, harmoniebedürftig, verweichlicht, auf der ständigen Suche nach Selbstbestätigung sein, mit hohen Erwartungen an den Einsatz und mit Ansprüchen an Kollegen, die sie mit ihren Schwä- chen ertragen sollten, andererseits sind sie um die 40 Jahre alt und gereifte Persönlichkeiten. Geht das gleichzeitig oder sind hier unterschiedliche Personen gemeint? Daher ist es umso notwendiger, die seelsorgerliche Vorbereitung und Begleitung von Missionaren und Missio- narinnen zu gewährleisten.250 Hinzu kommt, dass die heute ausgesandten Missionare in einer Überflussgesellschaft aufgewachsen sind und entsprechend geprägt sind. Sie suchen Erfüllung und Selbstbestäti- gung im Beruf, sind Ichbezogen und von eher kurzfristigen Zielen geleitet. Ethische Werte haben sich in der Gesellschaft und in Gemeinden verändert und werden daher oft preisgege- ben. Wenn Missionare selbst aus zerbrochenen Familien kommen, kann das tiefe Narben hin- terlassen haben. Das hat Einfluss auf die persönliche Belastbarkeit, Kompromiss- und Kon- fliktfähigkeit (Blöcher 2003:70). Manche Menschen sind an diesen Herausforderungen er- starkt, aber viele sind dadurch erheblich belastet. 248 Bei der DMG stieg das Durchschnittsalter bei der Erstausreise um 7,6 Jahre (Blöcher 2003:68). 249 Der zeitliche und inhaltliche Umfang der Ausbildung von Missionaren ist größer und akademischer geworden (Scheunemann 2003:30). Bei der DMG stieg der Anteil der Missionare, die über einen Doktorgrad verfügen, von 1% (1975) auf 6,2 % (1990) (Blöcher 2003:69). 250 Im Jahre 1995 besuchten 175 Teilnehmer die Fortbildungsangebote der Freien Hochschule für Mission. Im Kursprogramm waren Kurse wie „Seelsorge auf dem Missionsfeld“ und „Seelsorge unter Missionaren“ (Scheu- nemann 2003:34-35). 119 Menschen, die heute in die Mission gehen, verfügen oft über eine bessere Ausbildung und bringen häufig schon Berufspraxis mit. Sie sind sensibel und empathisch in Beziehungen, reagieren auf deren Störungen und können schlechter mit ungeklärten Beziehungen umgehen. Dennoch (oder gerade deshalb?) werden heute mehr Einsätze vorzeitig abgebrochen als es noch 1960-1969 üblich war.251 Hauptgründe sind dabei Konflikte mit Mitmissionaren und die daraus resultierenden Folgen (Blöcher 2003:70). Weitere Gründe sind Schwierigkeiten bei der Anpassung (in der Missionarsgemeinschaft und in der Gastkultur), unterschiedliche Erwar- tungen von Verantwortungsträgern und Missionaren (in Entscheidungsfragen, bei Prioritäten, Unterordnung und Finanzen) und begrenzte Belastbarkeit. Weitere Gründe sind die Schulbil- dung der Kinder, die Zufriedenheit der Ehefrau, bzw. der Wunsch nach einem Partner (:71). All das kann sich auf das Beziehungsgeflecht und dessen Erotisierung auswirken. Gera- de dann, wenn Bedürfnisse (auch überzogene) unerfüllt bleiben, kann es zur Suche nach ei- nem Ersatz kommen. 5.2.1. Neue Herausforderungen in der Mission Weltweite Strukturveränderungen erfordern strukturelle Veränderungen im Missionsdienst. Die ganze Welt ist in ihrer technischen, elektronischen und politischen Entwicklung, aber auch im Bereich der Bildung und der Generationen im Umbruch (Blöcher 2003:60-62). Die Arbeitsbedingungen für Missionare und Missionarinnen sind „viel komplexer, vielschichtiger, diffuser, dynamischer und kurzlebiger geworden“ (:68). Das fordert Missionare heraus. Die Unerreichten leben heute in den Slums oder Neubauvierteln der Großstädte mit vie- len verschiedenen Einflüssen aus den Medien. Die Menge der hiervon betroffenen Menschen wird immer größer. Gleichzeitig wächst die denominationelle Vielfalt, der sich die Missionare und Missionarinnen stellen müssen. Oft sind die heutigen Missionare einer einheimischen Leitungsstruktur unterstellt. Sie sind damit schon qua Amt nicht die „Herren“, sondern die „Diener“. Damit muss bei ihnen die Bereitschaft zur Ein- und Unterordnung einhergehen.252 „Dies erfordert vom Missionar Einfühlungsvermögen, Dienst- und Opferbereitschaft, Unterordnung und Demut. Der Missi- onsdienst gibt somit wenig Gelegenheit zur Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung“ (:65). 251 Veränderung der Einsatzabbrüche: 11% (EA-Erstausreise 1960-69), 14% (EA 1970-79) bzw. 17% (EA 1980- 85) (Blöcher 2003:70). 252 Ganz anders war es in der Zeit der Pioniere, in der die Missionare, sicherlich unter Berücksichtigung ihrer Umwelt die waren, die die Strukturen legten und bestimmten. 120 Internationale Teams stellen vor weitere Herausforderungen. Deutsche Offenheit und Wahrheitsliebe werden zuweilen als Unverschämtheit und Druck missverstanden und er- schweren die Zusammenarbeit. Ein Team mit nicht westlichen Kollegen und Kolleginnen erfordert besondere Sorgfalt in der Kommunikation. Ebenso weit, wie die gemeindlichen Hin- tergründe können Weltbild und Prioritäten auseinander liegen. Fortschreitende Spezialisierungen erfordern kontinuierliche Weiterbildung und Flexibi- lität in der Aufgabe. Nur so ist eine gleichwertige Partnerschaft zwischen Missionaren und Einheimischen zu erreichen. Die Bereitschaft Aufgaben loszulassen, die eine einheimische Person übernehmen könnte, ist dabei ebenso erforderlich, wie die kontinuierliche Suche nach neuen Aufgabenfeldern. Der „Botschafter“ zieht weiter, wenn seine „Mission“ erfüllt ist. Das bedeutet aber gleichzeitig, die eigene Rolle immer wieder zu reflektieren und eine gewisse Unsicherheit über die Erwartungen auszuhalten (:66). Das Wahrnehmen der sozialen Fragen im Einsatzland (z. B. Arbeitslosigkeit, Woh- nungsknappheit, Kriminalität und Korruption) kann ernüchtern oder gar abstoßen. Missionar/- innen können schon an der beobachtbaren Kriminalität verzweifeln, und manchmal werden sie selbst Opfer krimineller Handlungen. 253 Das kann sich traumatisierend auswirken. Missi- onare stehen heute nicht mehr automatisch unter einem Schutz, sondern durch die veränderten missionarischen Aufgabenfelder leben sie eher im Dauerstress. Zuletzt sei noch auf eine veränderte Erwartung aus der Heimat hingewiesen. Als die Post zwischen Heimat und Missionsfeld noch Wochen, Monate oder gar Jahre (Tucker 1996:94) unterwegs war, unterschied sich die Erwartung der Heimat deutlich von deren Er- wartung heute. E-Mail, Fax, SMS und Satellitentelefon erleichtern die Kommunikation – und steigern die Erwartung. Missionare erwarten von ihren Unterstützern Gebet und Geld – die Unterstützer erwarten zeitnahe Informationen und persönliche Nachrichten (Blöcher 2003:66). Informationen aus dem Gastland sind für die Heimatgemeinde in kürzester Zeit zugänglich. Dabei sind, gerade in Krisenzeiten, gute und verfälschende Quellen für die Hei- matgemeinde oft nicht so leicht zu unterscheiden. Das stellt Missionare vor die Herausforde- rung, ihre Informationen sehr sorgfältig zusammenstellen zu müssen und ebenso sorgfältig zu kommunizieren. Denn kritische Äußerungen über das Gastland können auch zu einer Verwei- 253 So erzählten mir Missionare von Vergewaltigungen durch Einheimische beim Sonntagsausflug. Die Missio- narinnen wurden im Beisein ihrer Männer vergewaltigt, diese wiederum mit Schusswaffen bedroht (Anlage 15). Mehrfach habe ich von notwendigen Flucht- und Ausreisemaßnahmen gehört, weil es im Einsatzland zu einem Bürgerkrieg gekommen war. Die Angst vor kriminellen Handlungen jeder Art stieg dann deutlich (Anlage 15 und Anlage 16). 121 gerung eines Visums führen. So sind Missionar/-innen gerade dann in einer Zwickmühle, wenn sie eigentlich über die tatsächlichen Umstände im Gastland berichten wollen (:67).254 5.2.2. Missionarinnen Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen Singlefrauen in den Missionsdienst zu strömen, und die Verheirateten nahmen eine aktivere Rolle ein (Tucker 1996:244). Zuvor, 1839, erließ die Baseler Mission einen gezielten Aufruf für die Frauenarbeit. „Alle Medien wurden ge- nutzt, um Singlefrauen zum weltweiten interkulturellen Einsatz zu ermutigen (Füßer 2012:70). Im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert änderte sich dann die Rolle der Frau in der Mission. Waren zuvor Missionare stets Männer gewesen, meldeten sich jetzt die Frauen in Scharen, auch als Folge des ersten Weltkrieges, zum Missionsdienst. Zu dieser Zeit waren viele Missionare mit treu an ihrer Seite stehenden und dienenden Frauen verheiratet. Da es in dieser Arbeit um das gemeinsame Leben und Arbeiten von Missionaren und Missionarinnen in der heutigen Missionssituation geht, soll die spezielle Situation von Frauen heute, in ihrer aktiveren Rolle untersucht werden. „Im deutschen, evangelikalen Bereich setzt man sich in der Öffentlichkeit viel weniger mit dem Thema `Frau und Mission´ auseinander“ (Conrad 1998:98) und deshalb auch nicht mit der Stellung von Singlemissionarinnen, schreibt Conrad (:99) in ihrem zur ledigen Frau in der Mission verfassten Buch. Sie selbst war als Sin- glemissionarin im Missionsdienst und hat 37 ledige Missionarinnen für ihre Studien befragt. Ein erstes, deutschsprachiges Buch für Missionarsfrauen schrieb Elisabeth Wagner (2004). Um es ein „ertragreiches Handbuch“ (:9) für Ehefrauen in der Mission werden zu las- sen, befragte sie alle ehemaligen und aktuellen Missionarsfrauen durch einen mehrseitigen Fragebogen.255 Alle Missionarinnen waren durch die Deutsche Missionsgemeinschaft (DMG) ausgesandt.256 Nach meinen Recherchen sind diese beiden Bücher die einzige, speziell auf die Situation von Ehefrauen bzw. weibliche Singles in der Mission zugeschnittene, deutschspra- chige Literatur.257 Conrad (1998) ging es darum Den Dienst der ledigen Frau in deutschen Glaubensmissionen anhand ihrer Geschichte und deren Beurteilung aufzuarbeiten. Das in 254 Wie z. B. politische Vorgänge, Umgang mit Menschenrechten, Behandlung von Minderheiten etc. (Blöcher 2003:67). 255 Leider liegen keine konkreten Ergebnisse über die Anzahl der befragten Frauen vor. Der mehrseitige Frage- bogen ist nicht veröffentlicht. 256 Dem Buch von 1995 liegt insgesamt ein kulturkonservatives Frauenbild zu Grunde (siehe auch Anlage 21). 257 Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe Literatur aus dem angelsächsischen Raum, die sich mit Frauen in Missionssituationen auseinander setzt. Einiges davon ist dazu in diese Untersuchung eingeflossen. Bücher älte- ren Datums vertreten häufig ein Frauen- und Familienbild, das der Tätigkeit im heutigen Missionskontext so nicht mehr gerecht wird (z. B. Collins 1978, Kane 1980). In der älteren Literatur sind auch keine Hilfen zum Umgang mit Sexualität, Versuchung und Versuchlichkeit zu finden. Wenn auch die Singlemissionarin den einen oder anderen Hinweis erhält, wie sie mit ihrem Nicht-verheiratet-sein umgehen kann, so wird das Thema für die verheiratete Frau überhaupt nicht berührt. 122 deutsch vorliegende Buch „Gestresst, verletzt und ausgebrannt. Risiken und Nebenwirkungen des vollzeitlichen Dienstes“258 (Foyle 1995) beinhaltet je ein Kapitel zur Missionarsehe (:56- 71) und dem Singlesein (:35-54). Für Wagner (2004) war Foyles englische Erstausgabe eine wichtige Ausgangsbasis. Während meiner Prästudie (Kapitel 6.1.2) wurde ich zwei Mal auf den Artikel „The Emotional Needs of Women on the Mission Field“ aufmerksam gemacht (Graybill 2003). Den Ausführungen von Garybill (:123) liegt die Befragung von 70 Frauen auf dem Missions- feld zu Grunde. Deren Ergebnisse werden als Emotional Needs of Missionary Women (:125- 133), Emotional Needs unique to Single Women on the Mission Field (:142-153) und Emo- tional Needs unique to Married Women of the Mission Field (:153-158), jeweils ohne Bewer- tung, analysiert und mit konkreten Hilfen für Frauen versehen. Weiter erarbeitete Graybill (:158-159) Hilfen, um mit ungestillten emotionalen Bedürfnissen umgehen zu können. Dafür zeigte sie allgemeine Wege für Frauen auf, aber auch spezifische für Verheiratete und Singles. Ebenso wird beschrieben, was passiert, wenn emotionale Bedürfnisse nicht befriedigt werden und welche praktischen Schlüsse für Ehemänner, Missionsleitungen und sendende Gemein- den aus dieser Analyse wichtig sein können (:159-160). Nach Graybill (2003:123-124) unterscheiden sich die Bedürfnisse einer Missionarin von denen anderer Frauen nur wenig. Allerdings wird das Auftreten emotionaler Bedürfnisse här- ter erlebt, da die Frauen in einer Missionssituation typischerweise isoliert und in ihren Mög- lichkeiten, Freundschaften zu entwickeln begrenzt sind. Außerdem sind die Herausforderun- gen durch die missionarische Lebensweise größer und anspruchsvoller und mit einer Vielzahl von multikulturellem Stress und Ansprüchen gepaart. Zuverlässige Postsysteme, funktionie- rende Telefone, zuverlässige Beförderungsmittel oder heißes Wasser und Elektrizität sind häufig nicht verfügbar. Wenn diese einfachen Annehmlichkeiten des Lebens schon fehlen, wie viel schwerer sind Luxusgegenstände von Zuhause dann zu erreichen? Gleichzeitig ist den Frauen bewusst, dass die zurückgebliebenen Familienmitglieder eine Fülle von realisier- baren Freundschaften, gesunde Kirchen mit Lehrqualität und Lobpreis, christliche Buchläden, christliche Radio- und Fernsehprogramme, professionelle Beratung oder hilfreiche Gruppen in der Nähe zur Verfügung haben. Die Abwesenheit von familiären Ressourcen und Syste- men, in denen man sich wohl fühlt, führen dazu, dass sich die Bedürfnisse und die als 258 Der englische Titel des mehrfach verlegten Buches lautet „Honourably Wounded. Stress Among Christian Workers“ (Foyle 2009). 123 Schwachstelle erlebte Situation vergrößern und manifestieren. Das bietet dem Feind259 eine Plattform, Missionarinnen mit ihren emotionalen Bedürfnissen zu attackieren. Wenn also die Bedürfnisse von Missionarinnen nicht anerkannt und auf gesunden We- gen erfüllt werden, ist die Tür für Entmutigung, Depression, Verzweiflung und Verletzung offen. Das führt dazu, dass viele Missionarsfrauen „geopfert“ werden – was dann wiederum Auswirkungen auf die weltweite Mission hat, denn ein Grund für eine vorzeitige Beendigung der Missionstätigkeit ist heute auch die mangelnde Erfüllung von Ehefrauen (Blöcher 2003:71).260 Dennoch ist es richtig festzuhalten, dass die meisten Frauen Sicherheit und Geborgen- heit erleben. Allerdings wechseln die emotionalen Bedürfnisse einer Frau nicht plötzlich, weil sie von Gott in die Mission berufen wurde. Außerdem kann beobachtet werden, dass in dem Maß, wie die Bedürfnisse identifiziert und angemessen kommuniziert werden können, die Leistungsfähigkeit von Frauen signifikant ansteigt.261 Die am meisten identifizierten emotionalen Bedürfnisse von Missionarinnen sind:  Intimacy and close friendship  Validation and affirmation  Healthy relationship in the missionary community  Spiritual nourishment and support  Time alone  Maintaining close contact with separated family members  Being understood by people back home Graybill 2003:125 Vermutlich erleben viele Frauen, weil andere Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, sexuelle Ver- suchlichkeit und Niederlagen, mit denen sie umzugehen lernen müssen (Kessler 2008:124). 5.2.2.1. Die Situation von weiblichen Singles Insgesamt ist die Literaturlage zu Singlemissionarinnen in Bezug auf eine mögliche Erotisie- rung im Arbeits- und Beziehungsgeflecht innerhalb einer Missionarsgemeinschaft besser, als die zu verheirateten Missionarinnen, wenn auch die meisten Veröffentlichungen keinen An- spruch auf Wissenschaftlichkeit erheben.262 Basis für meine Untersuchungen wird Graybill (2003) sein. Außerdem werde ich, neben einigen anderen Veröffentlichungen, die Herausfor- 259 Hier meint Graybill (2003:124) vermutlich Anfechtungen durch den Teufel, der Schwachstellen nutzt, um zu Fall zu bringen, bzw. den Bau des Reiches Gottes zu gefährden. (In diesem Zusammenhang ist Matthäus 4,1-11 interessant. Dort ist nachzulesen, wie der Teufel die vermeintlichen Schwachstellen Jesu gegen diesen nutzen wollte.) 260 Da gleichzeitig die Anzahl der bei der Erstausreise mitreisenden Kinder von 1,7 auf 2,1 gestiegen ist (Blöcher 2003:69), kann es nicht an einem mangelnden Betätigungsfeld für Mütter liegen. 261 Leider geht aus dem Artikel nicht hervor, wie die Signifikanz gemessen und belegt wird. 262 Die allgemeine Lage der Singlemissionarinnen soll in diesem Abschnitt nicht beschrieben werden (das ist ausführlich geschehen in Kessler 2008). 124 derungen der Singlemissionarinnen im Umgang mit der Erotisierung aus meiner Masterarbeit von 2008 nutzen.263 Vorangestellt sei, dass nur kranke Menschen keine sexuellen Regungen empfinden (Fü- ßer 2012:77 aus Folye 1995). Singles sollen sich an ihrer Sexualität freuen, statt sie zu vernei- nen, aber auch ganz bewusst im Zusammenhang mit ihrem Glauben leben (Eichler 2010a:52- 62). Der Verzicht auf genitale Sexualität als Teil der Ganzheitlichkeit ist für Singles dennoch ein echter, manchmal schwerer und schmerzhafter Verzicht (Füßer 2012:77, Eichler 2010a:60-62). Wenn Singles dann eine Beziehung zu Männern aufrechterhalten, müssen sie damit rechnen, dass ihnen unterstellt wird, eine erotische Beziehung eingegangen zu sein (Tournier 1965:166). Neben den in Kapitel 5.2.2 genannten Bedürfnissen, die alle Missionarinnen, gleich welchen Familienstandes, betreffen, beschreibt Graybill (2003:133-139) die besonderen Be- dürfnisse von Singlefrauen in der Mission als:  „Learning to go it alone and coming to terms with remaining single.” Darin ist auch enthalten, dass weibliche Singles sich damit arrangieren oder auseinandersetzen sollten, niemals zu heiraten (:134-136).  „Finding acceptance in cultures where singleness is an anomaly” (:136).  „Finding acceptance in the missionary subculture where singleness is not the norm” (:136-137).264  „Developing healthy relationships with men” (:137; auch in Kessler 2008:117).  „Dealing with the issues of sexuality in a healthy way” (Graybill 2003:137-138). Dazu ist es notwendig, dass alle Menschen die ihnen von Gott geschenkte Sexualität nicht als Feind betrachten oder gar bekämpfen,265 sondern als einen Raum der Gottesbegegnung aktiv gestalten (Eichler 2010a:55-56).  „Giving and receiving physical touch” (Graybill 2003:138-139).  „Good living arrangements“ (:139). Dazu gehören Beziehungsausgleich durch Freun- dinnen, Bekanntschaften, aktive Kontakte in der eigenen oder in einer befreundeten 263 Dazu habe ich 2007 mit fünf Singlefrauen, zwischen 30 und 46 Jahren alt, die in deutschen Missionsgesell- schaften arbeiten, leitfadengestützte Interviews geführt und ausgewertet (Kessler 2008). 264 Die Hälfte aller Singles fühlen sich im ersten Term alleingelassen, wenn sie sich sexuell belästigt fühlen (in Füßer 2012:76 nach O´Donnell 1997:293). 265 Wenn ein leidender Mensch gegen sein Problem ankämpft und es so zu überwinden versucht, zeigt er seinen guten Willen. Man kann ihm nicht mehr unterstellen, moralisch nicht integer zu sein. Dabei führt diese Methode aber zu einer Entmutigung, die oft in einem öffentlichen und einem persönlichen Lebensstil mündet (Titze 1990:249). Der Mensch wird nicht frei von seinem Problem, sondern es wird kultiviert. Genauso führt die Alter- native, Sexualität unterdrücken zu wollen dazu, dass man sich umso mehr darauf konzentriert und Lebensenergie verschwendet (Eichler 2010a:60). 125 Familie, aber auch berufliche Zufriedenheit und Erfolg. Das ermöglicht psychische Sta- bilität und Sicherheit und es verhindert bzw. kompensiert sexuelle Versuchlichkeit, da Befriedigung auf anderen Ebenen erlebt wird (Kessler 2008:124). Singlemissionarinnen im Umgang mit sich selbst: Akzeptanz des aktuellen Status als Single und der damit verbunden häufigeren Einsamkeit (Eichler 2010b:18; Kane 1980:155-156) fördert die innere Zufriedenheit (Kessler 2008:118),266 innere Konflikte die sexuelle Versuchlichkeit (:123). Die eigenen Bedürfnisse sollten grundsätzlich wahr- und ernstgenommen werden. Nur dann ist es möglich, sich damit auseinanderzusetzen, und nur dann kann entschieden werden, ob die Sehnsüchte angemessen sind und ob sie jetzt erfüllt bzw. ausgelebt werden können. Mit unerfüllten Wünschen und Sehnsüchten sollte ein angemessener Umgang gesucht und gefunden werden. Dies bedarf einer aktiven Planung und Gestaltung. Die meisten Frauen erleben sich auch ohne Sexualleben als vollwertige Frauen. Manche teilen ihre Wahrnehmung zwischen Kopf und Herz. Der Kopf signalisiere Vollwertigkeit und im Herzen sei Vollwertigkeit als Frau mit Sexualleben verknüpft. Andere wiederum machen deutliche Abstriche bei der „Vollkommenheit“ als Frau, weil sie nicht in einer Partnerschaft leben.267 Obwohl das kompensiert werden könne und damit das Leben relativ stabil sei, fehle dennoch ein Teil (:120). Hormonelle Schwankungen werden von Frauen unterschiedlich in Beziehung zu ihrer sexuelle Versuchlichkeit gesetzt (:121). Während manche den Zyklus bewusst erleben, erken- nen andere keinen Zusammenhang zu sexuellen Bedürfnissen. Manche Singles empfinden sich den Männern gegenüber in der Zeit vor der Regelblutung geschwächt, andere erleben die Zeit um den Eisprung herum als herausfordernd. Dann steige die Sehnsucht nach einem Mann besonders stark an. Den Frauen ist bewusst, dass sexuelle Versuchlichkeit im Kopf beginnt. Singles reifen durch Verzicht und Kontrolle ihres sexuellen Verlangens (Füßer 2012:77). Sie kann sichtbar werden, wenn ein männlicher, attraktiver Körper, männliche Stärke oder angenehme Charak- tereigenschaften als anziehend empfunden werden (Kessler 2008:121-122). Genauso können die Größe eines Mannes, seine Augen, Nettigkeit oder die gemeinsame Glaubensgrundlage anziehend erlebt werden (:123). Die Idealisierung von Ehe als (Lebens-)Ziel kann als ebenso sexuell versuchlich wirken wie eine unerwartete Begegnung oder ein zur Ruhe kommen. 266 Da ich dies in meiner Masterarbeit untersucht habe, verweise ich auf die dortigen Resultate (Kessler 2008). 267 Interessant ist in dem Zusammenhang die Veränderung des Wortes `Vollwertigkeit´ in `Vollkommenheit´. 126 Sexuelle Versuchlichkeit wird dabei als etwas, was nicht sein darf oder die Grenzen der Realität oder Angemessenheit überschreitend, definiert (:122). Dazu gehören Tagträume oder Phantasien, in welche die entsprechenden Männer eingebaut werden. Weitere Quellen sexuel- ler Versuchlichkeit können Ähnlichkeiten bei Grundüberzeugungen, Seelenverwandtschaft und Leidenschaften für die gleiche Sache oder ein „Familientyp“ sein. Bereits ausgelebte Nä- he, gemeinsam verbrachte Zeit oder Freundschaften, in denen man sich besser kennenlernte und Verlässlichkeit und Sozialkompetenz erkannte, wirken genauso sexuell anregend wie das Gefühl so sein zu dürfen, wie man ist. Sexuelle Versuchlichkeit entsteht auch bei der Suche nach körperlicher Befriedigung. Steigernd wirken dabei Einsamkeit (vgl. auch Tucker 1996:249, vgl. Mench 2012:64; Füßer 2012:77), psychische Unausgeglichenheit, Müdigkeit oder eine depressive Grundstimmung. Gerade dann fallen Sexszenen in Liebesfilmen, in Büchern oder in der Werbung auf beson- ders fruchtbaren Boden und regen die Phantasie an. Natürlich wirken auch andere Bilder, durch die das eigene Frausein als unvollkommen empfunden werden kann. Auch erste Beziehung- und sexuelle Erfahrungen in früheren Beziehungen wirken sexu- ell anregend, denn die Sehnsucht im Hier und Jetzt ist dadurch größer. Andere Frauen nehmen gerade das als Herausforderungen, die es zu gestalten gilt. Auch wenn Frauen die Botschaft bekommen, nicht erotisch zu sein, kann das langfristige Folgen haben. Diese Frauen erleben sich nicht als anziehend – und können von anderen Männern dennoch so erlebt werden. Konkrete sexuelle Versuchungen können während des Alleinseins oder durch das Ge- fühl von extremer Einsamkeit ausgelöst werden. Dann ist die Versuchung visuelle oder Printmedien mit einzubeziehen besonders groß. All das vergrößert den Schmerz und der wird wiederum zum Einfallstor für sexuelle Versuchlichkeit. Manche Frauen sehnen sich danach, Sexualität einmal erleben zu wollen. Sie wollen Sex, um Sex gehabt zu haben (Kessler 2008:122). Ebenso kann Selbstmitleid, der Wunsch nach einem festen Partner, die Sehnsucht, Selbstwert durch einen Mann oder männliche Liebe zu bekommen, sexuell versuchlich wir- ken. Manche der sexuellen Versuchlichkeit erlegenen Singlemissionarinnen fühlen sich in- kongruent268 und schämen sich vor sich selbst. Das beeinflusst ihre Dienstfähigkeit massiv, da sie die Beziehung zu Gott und ihre geistliche Vollmacht als blockiert erleben, aber auch Ehr- lichkeit und Echtheit beeinträchtigt sind. Dies wird als Sünde beurteilt, egal ob die Versuch- lichkeit in der Phantasie oder in Taten ausgelebt wurde. Der daraus resultierende psychische Druck raubt Energie und Kraft. Unsicherheit und Unausgewogenheit schränken die Leistungs- 268 Kongruenz bedeutet Übereinstimmung und Deckungsgleichheit (Duden 1994:755). Wer inkongruent ist, ist nicht übereinstimmend, nicht passend, nicht deckungsgleich (:634). 127 fähigkeit ein, die mit Konzentrationsstörungen, Einbuße der Effektivität und des Durchset- zungsvermögens einhergeht (:124-125). Das Um-sich-selbst-drehen verstärkt sich und hat Einfluss auf die Beziehungen zu anderen, da eine tiefe Gemeinschaft vermieden wird. Andere Singlemissionarinnen bewerten sexuelle Versuchlichkeit und die dazugehörigen Niederlagen als eine Chance, nach einer Reflexion anderen ein echtes Gegenüber sein zu können. „Man ist echt, solange man kämpft“ (:125), denn Echtheit (wenn man von den wirklichen Kämpfen des Leben weiß) und Dienstfähigkeit hängen nicht davon ab, ob im Leben alles gut geordnet läuft (vgl. Eichler 2010a:58-62). Wenn es der Frau dann auch noch schwer fällt Nein zu sagen, dann wird die Wahr- scheinlichkeit einer sexuellen Versuchung zu erliegen immer größer. Es kann Angst auslösen, wenn der Liebestank dauerhaft nicht gefüllt ist. Der Wunsch in den Arm genommen zu wer- den und in schwierigen Zeiten getröstet zu werden, begünstigt sexuelle Versuchlichkeit eben- so, wie der Wunsch nach einem Kuss. Die Wahrscheinlichkeit einen sexuellen Akt anzustre- ben steigt dann deutlich. Wenn körperliche Schwächungen hinzukommen, erschwert das den Umgang mit den Gedanken und Gefühlen und damit auch den Umgang mit sexueller Ver- suchlichkeit. Natürlich kann das Männerbild auch durch das Vaterbild geprägt sein. Durch besonders autoritäre oder andere negative Erlebnisse mit dem Vater bleiben manche Frauen von sich aus schon unbewusst auf Abstand zu Männern (Kessler 2008:122). Singlemissionarinnen im Beruf: Frauen, die sich in ihrem Arbeitsumfeld als ganze Menschen umfassend angenommen wissen und sich mit ihren Gaben einbringen können, erleben ihre Bedürfnisse eher als abgedeckt (:125). Wenn Singles vom Defizit her definiert werden („Es fehlt bei mir etwas!“ „Singles sind nicht komplett.“), verstärkt es die Einsamkeit. Flapsige, dumme oder spitze Bemerkungen bezüglich des Singleseins verletzen. Singlesein könne auch wahrgenommen werden als „Okay, die hat ja Zeit, die hat keine Familie!“ (:125). Manche Leute gingen davon aus, dass Singles sowieso nicht wissen, was sie in der Freizeit machen sollen und dann sei es gut, wenn sie arbeiteten. Das Sich-unverstanden- oder Nicht-ernst-genommen-Erleben verstärkt die Ein- samkeit und damit sexuelle Versuchlichkeit. Wer sich keine Zeit für Hobbys nimmt, kann ebenso in sexuelle Versuchlichkeit fallen, denn „Wenn ich so schon keine Befriedigung be- komme, will ich sie wenigstens woanders her“ (:122). 128 Die Kombination von Singlesein, Sexualität und sexueller Versuchlichkeit ist häufig ein Tabuthema. Männliche Leiter wissen häufig nichts von den spezifischen Bedürfnissen der Singlefrauen. Singlemissionarinnen wünschen sich ein Lernen auf beiden Seiten (sie selbst und ihre Leiter), das mehr Feinfühligkeit hervorbringt. Fraglich ist, ob ein offenes Ansprechen (von Seiten der Singlefrau oder der Leitung) hilfreich ist. Singlesein sollte im beruflichen Kontext keine große Rolle spielen, genauso wie auch Verheiratetsein keine große Rolle spie- len sollte. Dass sexuelle Versuchlichkeit im Beruf nicht thematisiert wird, empfinden die Sin- glemissionarinnen nicht als Defizit (:126).269 Sexuelle Versuchlichkeit kann entstehen, wenn die beruflichen Möglichkeiten und Fä- higkeiten nicht ausgeschöpft sind, wegbrechen oder durch Frustration und Perspektivlosigkeit (:123). Ein anderer Nährboden ist beruflicher Erfolg (:122), denn der steigende Adrenalin- spiegel durch positive Einflüsse, egal ob beruflich oder privat, kann empfänglicher machen (:123). Während bei einem Hochgefühl ein sexueller Kontakt wie ein „oben drauf zum Glück“ wäre, würde er in einer Tiefphase mehr als ein Getröstetwerden interpretiert. Hilfreich im Umgang mit unerfüllter Sexualität erleben die Singlemissionarinnen, wenn ihre weiblichen Bedürfnisse akzeptiert und abgedeckt sind. Dazu ist es hilfreich, wenn Män- ner die Arbeit der Frauen schätzen und das auch verbalisieren. Vorgesetzte sollten die speziel- len Bedürfnisse von Singlemissionarinnen in Leitungsämtern wahrnehmen und thematisieren, aber die Tatsache, dass die Leiterin eine Frau ist sollte dabei nicht ständig im Vordergrund stehen. Wichtig sei, dass die Frau ihre Leitungsaufgabe als Frau ausführen könne (:126). Außerdem wollen sie als ganze Menschen gefordert, integriert, angenommen und bestä- tigt sein. Darum sollten gerade Missionsgesellschaften die Planung der Zusammensetzung der Teams sich von Singles lenken lassen (:126). Manche Frauen werden wegen ihrer Macht als erotisch erlebt. Es kann sein, dass dann Männer Nähe zu den weiblichen, starken, attraktiven, Sicherheit ausstrahlenden, gleichrangi- gen Frauen, die ihre Position ausfüllen, suchen. Wenn Männer von Singlemissionarinnen mit Leitungsverantwortung als schwach erlebt werden, ist die sexuelle Versuchlichkeit der Frau so gut wie ausgeschlossen. Aber auch, wenn diese Frauen die Anziehungskraft bemerken, die sie auf Grund ihrer Macht auf einen Mann haben, hat das nicht unbedingt Auswirkungen auf ihre sexuelle Versuchlichkeit, denn die Frauen wollen wegen ihres Frauseins wahrgenommen werden und nicht als attraktiv gelten, weil sie eine Führungsposition inne haben (:123-124). Andere Frauen erleben, dass sie, gerade im christlichen Kontext, als starke Frau und Leiterin 269 Die Singlefrauen erwarten hierzu eine größere Offenheit im Schutzraum der Gemeinden (Kessler 2008:126). 129 von Männern als mögliche Partnerin abgelehnt werden. Die für Leiterinnen größer gewordene Einsamkeit kann sich verstärkend auf sexuelle Versuchlichkeit auswirken (:124). Singlemissionarinnen im Umgang mit anderen: Singlemissionarinnen erleben sich oft von anderen als in ihrer Geschlechtlichkeit wahrge- nommen. Das gilt besonders dann, wenn Männer ihnen, ganz ohne erotische Spannung, als Männer begegnen, aber auch, wenn Männer trösten (Kessler 2008:117). Die daraus resultie- renden positiven Gefühle vermitteln ihnen Wertschätzung und Annahme. Ebenso nehmen sie sich als Frauen wahr, wenn sie im beruflichen Kontext Beziehungsaspekte, wie z. B. Team- orientierung, ausleben können oder wegen ihres Geschlechts um Rat gefragt werden. Frausein wird von Frauen meist dann erfüllend erlebt, wenn sie in intakten, breiten und gesunden Beziehungsfeldern mit anderen „auf dem Weg“ sind. Dazu gehören Männer und Frauen, Eheleute, Freundeskreise, Bekanntschaften, Freizeitbeziehungen und Familienleben. So können offene Sehnsüchte und Wünsche kompensiert werden. Genauso wollen sich die meisten Singlemissionarinnen in Menschen investieren und Raum für Menschen- und Sachthemen haben. Die meisten der interviewten Frauen lehnten intime Gespräche (also Ge- spräche über sehr persönliche Themen) mit verheirateten Männern ab und vermeiden sie des- halb (:118). Als schwierig erleben manche die offenen Wünsche und Sehnsüchte nach einer festen Partnerschaft, einem Zuhause und nach wertvollen, langfristigen Beziehungen. Problematisch ist auch der Umgang mit den Erwartungen anderer, da sie erfülltes Frausein einengen können. Keine Kinder zu haben wird von manchen als defizitär erlebt (:118). Mancherorts sei der Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Eheleuten in Gemeinden gang und gäbe. Das verstärke das Einsamkeitsgefühl von Singles. Der Umgang mit dem Sin- glesein kann von anderen Menschen nicht leichter gemacht werden, aber durchaus schwerer (:126). Manche Singlemissionarinnen sind unsicher, ob und wie sie ihre spezielle Thematik als Singlefrau im Umgang mit sexueller Versuchlichkeit selbst ansprechen können (:126). Dann entstehe die Erwartung, dass andere das tun sollten. Das geschehe aber nicht. Wenn in Ge- meinden das Miteinander von Familien, Eheleuten und Singles gestärkt werde, könnten realis- tische Erwartungen wachsen. Bisher nehmen sich Singles im Singlesein, aber auch im Um- gang mit den Gedanken und Fragen zu Sexualität eher als alleingelassen wahr. Bisher seien speziell Singlefrauen und sexuelle Versuchlichkeit ein Tabuthema. Ehrliche Gespräche im 130 Kontext einer Gemeinde könnten helfen, Sexualität nicht auf einen Sockel zu stellen. Sachli- che Informationen mit Offenheit, Ehrlichkeit und Gleichwertigkeit wären hilfreich. Spannungsfelder ergeben sich, wenn Singlemissionarinnen auf dem Missionsfeld mit einem Frauenbild konfrontiert werden, dass ihnen kuschen oder klar abgesteckte Dienste, die möglicherweise nicht ihren Gaben entsprechen, nahelegt. Manche ertragen dieses Gefängnis mit Demut, andere Heiraten bei nächster Gelegenheit, wieder andere wechseln die Missions- organisation. Einige werden kämpfen. Von den Kämpferinnen werden manche verbittert durchhalten, andere als „Haudegen“ die Flucht nach vorne ergreifen und ihrerseits die Männer in Schach halten (Müller 2012:101). Das wiederum hat fatale Folgen im Beziehungsgeflecht. 5.2.2.2. Missionarsfrau oder Missionarin? Schon Hudson Taylor (1832-1905) forderte, die Frauen von Missionaren als Missionarinnen mit eigenem Wert anzusehen (in Tucker 1996:189). Interessierten Missionskandidaten schrieb er: „Wenn Sie nicht bereit sind, Ihre Frau ebenfalls als vollwertige Missionarin zu betrachten, sondern nur als Ehefrau, Hausfrau und Freundin, dann schließen Sie sich uns nicht an“ (Tay- lor in Tucker 1996:189). Allerdings lehrte Adolf Vielhauer 1923, dass Missionarsfrauen „Demut zeigen“ und „nicht ehrsüchtig“ sein sollen (in Konrad 2001:54). 270 Frauen wurde so offiziell für ihre umfangreichen, vielfältigen Aufgaben die Anerkennung verweigert. Gleich- zeitig hatten Missionarsfrauen keine ähnlich umfassende Ausbildung erhalten wie ihre Män- ner. „Es war `Dienst der Geringsten´ mit den höchsten Anforderungen“ (:54)‘. Trotz Taylors Forderung ist die Position der Ehefrauen von Missionaren nicht eindeutig geregelt, und sie werden vielfach bis heute als „Missionarsfrauen“ bezeichnet. Das ist be- grenzt nachvollziehbar. Erstens haben die Ehefrauen von Missionaren in vielen Missionsor- ganisationen Deutschlands keinen Status außer dem, die Ehefrau eines Missionars zu sein. Zweitens steigen die Lohnnebenkosten deutlich, wenn beide Ehepartner Angestellte der Mis- sionsorganisation sind. Das ist selbst dann so, wenn sich die Eheleute ein Gehalt teilen. Drit- tens ist es in vielen Ländern dieser Erde nicht möglich, dass beide Eheleute eine Arbeitser- laubnis erhalten. Vor diesen Hintergründen ist es tatsächlich sinnvoll, die mitausreisende, mitarbeitende und mittragende Ehefrau als „Missionarsfrau“ zu bezeichnen. Gleichzeitig hat das (oft negative) Auswirkungen auf die Dynamik in der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auf dem Missionsfeld. 270 Ehrsüchtig stand synonym für „Sich-in-den-Vordergrund-drängen und Lorbeeren-einheimsen-wollen“ (Kon- rad 2001:54). Obwohl auch der Mann nicht für Lob und Ehre arbeiten sollte, sondern für Gott, gestand man ihm doch zu, die Lorbeeren seiner Arbeit genießen zu dürfen. 131 Die schwierige Seite dieses Begriffes „Missionarsfrau“ ist, dass die Ehefrauen von Mis- sionaren zwar (häufig intensiv) mitarbeiten (oft sogar in einem eigenständigen Arbeitszweig) und von vielen Entscheidungen existenziell betroffen sind, aber innerhalb der Missionsgesell- schaft oft keinen offiziellen Status haben. Diese Ungleichheit führt zu einem Gefühl der Ohnmacht im eigenen Leben, was durch den Begriff „Missionarsfrau“ unterstrichen wird. Die meisten „Missionarsfrauen“ arbeiten als Missionarinnen. Daher sind Ehefrauen von Missionaren für mich verheiratete Missionarinnen und werden in dieser Arbeit auch als sol- che bezeichnet. Zum Vergleich: Von einer „Managerfrau“ spricht man dann, wenn der Mann Manager ist und seine Frau mit der Berufstätigkeit ihres Ehemannes nichts zu tun hat. Würde sie als Managerin arbeiten, würde sie auch als Managerin bezeichnet (sicherlich hätte sie dann auch einen offiziellen Status mit Anstellungsverhältnis). Allerding kann man im Deutschen umgangssprachlich auch Berufsbezeichnungen wie Bäckersfrau, Metzgersfrau oder Marktfrau finden. Früher wurden so die Ehefrauen von Bäckern, Metzgern oder Bauern genannt, die vorwiegend die im eigenen Betrieb hergestellte Ware veräußerten. Berufsbezeichnungen als Schreinersfrau, Beamtenfrau oder Ingenieursfrau sind nicht zu finden. Wenn verheiratete Frauen Schreiner, Beamte oder Ingenieure von Beruf sind, werden sie als Schreinerin, Beam- tin oder Ingenieurin bezeichnet. Auch Wagner (2004), die sich ja ausdrücklich der verheirateten Missionarin annimmt, bezeichnet diese als „Missionarsfrau“. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass sie eine Menge der Lasten mittragen muss (:17). 5.2.2.3. Die Situation der verheirateten Frau Die Literaturlage zu sexueller Versuchlichkeit und Erotisierung in einer missionarischen Ar- beits- und Lebensgemeinschaft ist in Bezug auf die verheiratete Frau dünn. Daher wird in diesem Kapitel die Situation der verheirateten Frau im Allgemeinen etwas ausführlicher be- leuchtet, in der Hoffnung, hierdurch Erkenntnisse im Sinne des Themas dieser Arbeit zu ge- winnen. Nach der Berufung zu Missionsdienst (siehe 5.3.3) beginnen viele Frauen damit, sich dafür ganz gezielt vorzubereiten.271 Schon die Berufsausbildung wird oft im Blick auf den Missionsdienst gewählt (Wagner 2004:19). Daher beantworten fast die Hälfte der von Wagner befragen Frauen die Frage nach der Brauchbarkeit ihres Berufes damit, dass sie wegen des Plans in die Mission zu gehen, einen medizinisch-pflegerischen Beruf erlernt hätten (:20). Das 271 Ein ganz anderes Vorgehen erlebten die Pietistinnen des 19. Jahrhunderts (in der Baseler Mission) (Konrad 2001). In dieser Arbeit soll jedoch der Vorbereitungsweg und Missionskontext der heutigen Missionarinnen beschrieben werden. 132 erweist sich gerade in unerreichten Gebieten als besonders sinnvoll. Häufig übernehmen die Frauen von Missionaren alle mit der Missionstätigkeit zusammenhängenden schriftlichen Ar- beiten (:21). Diese Aussage wird kommentiert mit den Worten: „Glücklich ist der Mann, der eine so kompetente Frau hat“ (:21). Spätestens hier wird deutlich, dass die Autorin in der Ehe- frau von Missionaren eben die „Missionarsfrau“ und nicht zuerst als (verheiratete) Missiona- rin sieht. Aus Gesprächen mit manchen verheirateten Missionarinnen weiß ich,272 dass manche sehr darunter leiden, keinen offiziellen Status zu haben. Sie sind als Ehefrauen von allen grö- ßeren Entscheidungen der Missionsgesellschaft (seien diese in der Heimatleitung oder auf dem Missionsfeld getroffen) häufig betroffen, nicht selten existenziell, haben aber oft kein Mitspracherecht und erst recht kein Stimmrecht. Darüber hinaus hat die Nichtanstellung der Frau wirtschaftliche Konsequenzen, wenn die Frau (im Alter)273 verwitwet.274 Diese Tatsache stand aber meistens gar nicht im Vordergrund oder wurde noch weggeschoben („Da wird der Herr schon für mich sorgen“).275 In der aktuellen Missionssituation „drückte“ das Nicht- mitreden und Nicht-mitstimmen können, obwohl man viele Lasten mitträgt, viel mehr. Häufig gehören zu den Tätigkeiten von verheirateten Missionarinnen auch Verwal- tungsarbeiten, wie der Umgang mit Visaanträgen, Reisegenehmigungen, Arbeitserlaubnissen, Einfuhrgenehmigungen oder Geldwechselangelegenheiten. Daher ist es gut, wenn sie sowohl mit den deutschen Gesetzen als auch mit den entsprechenden Gesetzen des Gastlandes ver- traut sind (:21). Weitere Vorbereitungen geschehen vielseitig, aber oft informell (:21-24).276 Mit zur Ausbildung gehören theologische Bildung (:24-26), die Kandidatenzeit (:26-30) und der 272 In den Gesprächen wurde dreierlei deutlich. Erstens wollten die Frauen in der Missionsarbeit mitarbeiten, zweitens wird es auch von ihnen erwartet, aber sie haben drittens oft kein Mitspracherecht, was dann auch mit dem Status als „nur“ mitausgereiste Ehefrau zu sein, begründet wurde. Es sei noch hinzugefügt, dass diese The- men längst nicht bei jedem Gespräch mit einer Missionarsfrau Gegenstand waren! 273 Verheiratete Missionarinnen die jung verwitwen, sortieren oft ihr Leben neu. Manche bleiben als Missionarin im Gastland, andere bauen sich ein Leben in der Heimat auf. 274 Da in manchen Missionsgesellschaften die Missionare so viel Gehalt bekommen, wie ihre Unterstützer bereit sind zu spenden (unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten u.a.), sind die Bezüge oft knapp bemessen. Daher sind auch die Rentenansprüche gering. Vom erwirtschafteten Rentenanspruch des Mannes bekommt seine Witwe 60%. Das bedeutet dann bei einem Lebensabend in der Heimat oft, dass die Frauen, die ihr ganzes Missi- onarsleben lang als Missionarin mitgearbeitet haben, verarmen, wenn keine weitere private Altersvorsorge ge- troffen wurde (was bei einem schmalen Einkommen wiederum gar nicht so einfach gewesen wäre). 275 Dieser Aussage folgte nicht selten der Satz: „Das werde ich dann noch lernen.“ Für andere Missionarinnen war das Versorgt-werden von Gott eine bereits vertraute Glaubenserfahrung. 276 Besonders hilfreich beschreiben Frauen die informellen Kontaktaufnahmen mit verheirateten Missionarinnen, die bereits auf dem Missionsfeld sind (Wagner 2004:22). 133 Reisedienst (:30).277 Warnend fügt Wagner (:22) ein, dass das in Gemeinden als „biblisches Frauenbild“ gelobte und vermittelte Bild eher der Zeit und Kultur entspräche, als dem breiten Spektrum der Tätigkeiten und Aufgaben für Frauen auf dem Missionsfeld (:22).278 Die Aus- bildungszeit auf Bibelschulen (:25), der vorbereitende Reisedienst (:30) und die Möglichkeit eine Sprachschule zu besuchen (:38)279 kann die junge Missionarsehe sehr belasten. Dann nämlich, wenn sich die Ehefrau zurückgesetzt fühlt und anfängt ihren Ehemann für seine Möglichkeiten der Ausbildung zu beneiden. Wenn sie beim Reisedienst „außen vor“ bleibt, weil sie durch der Versorgung des Nachwuchses alles „Gute“ verpasst.280 Schon in der Kandidatenzeit ist es nötig, mit dem Gefühl des skeptisch, kritischen Beo- bachtet-werdens fertig zu werden (:26). Hinzu kommt, dass viele Frauen von ihren Gefühlen abhängiger sind als Männer (:27).281 Oft genug werden verheiratete Missionarinnen in den aktiven Missionarsdienst hinein- gedrängt, bevor sie genügend Sprachkenntnisse haben, bzw. bevor sie in der Landessprache schriftlich kommunizieren können. „Auch der Missionarsfrau werden auf dem Feld Erwar- tungen entgegengebracht. Ihr werden oft Dienste ganz selbstverständlich aufgetragen, ohne daß sie gefragt wird“ (Wagner 2004:41). Defizite können durch eine tiefe Einsamkeit entstehen, obwohl (oder gerade weil?) Mis- sionarsfamilien auf dem Präsentierteller leben (:43), denn die Familienangehörigen und Freunde sind weit weg. Manchmal entstehen neue Freundschaften mit anderen Missionarin- 277 Wagner (2004:21) schreibt dazu, dass es ein Vorrecht für Frauen sei, von Gott mit der angeborenen Fähigkeit zur Vielseitigkeit ausgestattet zu sein. Dazu ist dreierlei zu bemerken: Erstens, Frauen haben einen Blick für ein Gesamtpanorama (Details werden häufig erst im zweiten Schritt wichtig) (Höhler 2002:26, 52, 87; Enkelmann 2001:56; Ehrhardt 2000:63-65). Zweitens, ob Vielseitigkeit in den Schöpfungsakt Gottes für Frauen einbezogen war, ist biblisch-theologisch nicht nachzuweisen. Drittens wird heute eher davor gewarnt zu viel auf einmal machen zu wollen (Klingberg 2008; Crenshaw 2009; Schneider 2009). 278 Wagner (2004:22) warnt auch davor, unreflektiert dem Mainstream der Massenmedien zu folgen. 279 Viele junge Mütter lernen die Sprache des Gastlandes eher informell, statt systematisch in einer Sprachschule (Wagner 2004:38). 280 Was Wagner (2004:25-26) hier auf der Ebene der Ausbildung beobachtet, ist sicherlich noch weiter zu fassen. Denn was geschieht wohl in einer Missionarsgemeinschaft, wenn die Ehefrau nicht mit ihrem Defizit umgehen lernt und ihren Neid auf dem Missionsfeld auf andere Frauen, besonders Singlemissionarinnen, die ausgebildet sein können wie der Ehemann, überträgt? 281 In meiner über 10-jährige Erfahrung als psychologische Beraterin und Dozentin für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Männer genauso abhängig von ihren Ge- fühlen sind wie Frauen. Allerdings gibt es im Umgang mit Gefühlen zwei Unterschiede: Erstens nehmen Männer ihre Gefühle häufig erst gar nicht wahr („Ich fühle da nichts, das ist einfach so!“) oder nicht ernst. Frauen kön- nen sie oft benennen und daraus Handlungsoptionen ableiten (wenngleich diese nicht immer klug und hilfreich sind); zweitens handeln Männer oft auf Grund ihrer nicht bewussten Gefühle. Dabei gelingt es ihnen, ihre Ar- gumente versachlicht zu übermitteln. Das wirkt auf den ersten Blick hilfreich – weil sachlich. Im nächsten Schritt kann man oft feststellen, dass dadurch manchmal Meinungsunterschiede unüberbrückbar werden. Denn nicht bewusst wahrgenommene Gefühle müssen oft noch stärker verteidigt werden, da die eigene Haltung als „objektiv“ empfunden wird. Das Bewusstsein für die Subjektivität der eigenen Gefühle hat hilfreichen Einfluss auf Diskussionen und Prozesse. 134 nen der gleichen Kultur.282 Defizite durch einen Mangel an geistlicher Gemeinschaft sind noch schwerer auszugleichen. Weitere Probleme entstehen dadurch, dass es schwierig ist, an zwei Plätzen gleichzeitig sein zu wollen – im Gastland und in der Heimat (:44). Herausfordernd sind auch die anderen Kochgewohnheiten und Kleidungsstile im Gast- land (:45). Die zur deutschen Küche gehörenden brotlastigen Mahlzeiten werden in anderen Kulturen eher als Imbiss oder als „arme Mahlzeit“ bewertet. Das kann eine Hausfrau auf dem Missionsfeld sehr unter Druck setzten. In vielen Kulturen legt man mehr Wert auf die Klei- dung als auf eine schöne Wohnung. Daher kann eine verheiratete Missionarin ebenso wegen Modefragen unter Druck kommen. Fraglich ist, wie dieser Druck die Missionarsgemeinschaft, besonders die Frauen untereinander, beeinflusst und welche Auswirklungen diese Aspekte auf die Missionarsehe haben. Wagner (2004:57-61) warnt davor, den Selbstwert auf „menschlichen Wegen“ füllen zu wollen, statt den Maßstab Gottes anzulegen. 283 Menschliche Antriebsfedern könnten die Be- stätigung durch Äußeres, Bestätigung durch Leistung und Bestätigung durch Status sein. Inne- res Gleichgewicht werde hergestellt durch das Studium des Wortes Gottes (:61-70) und durch Gebet (:71). Neben den Gesprächen mit dem Ehemann284 und anderen bleiben praktische Bedürfnis- se offen, die z. B. durch primitive Lebensumstände (:71) entstehen können. Daraus entstehen Einsamkeit (:72-73), Eintönigkeit (:73-74), Erschöpfung (:74) und der Wunsch nach gelegent- licher Abwechslung (:74-75). Diese unbefriedigten Bedürfnisse seien am besten dadurch ab- zudecken, indem man sich bewusst mache, dass allein Gottes Gnade genüge – so Wagner (:75). Nach Graybill (2003:140-142) sind die emotionalen Bedürfnisse von verheirateten Frauen:  Maintaining emotional equilibrium in multiple roles  Talking care of herself in the midst of meeting for her family´s needs  Contributing directly to the mission endeavor (:140) 282 Natürlich können auch Freundschaften in internationalen Beziehungen entstehen (Wagner 2004:43). 283 Den Maßstab Gottes anzulegen könnte bedeuten zu fragen: „Was denkt Gott jetzt über mich? Was sagt er in seinem Wort?“ (Wagner 2004:57). 284 Graybill (2003:155-156) warnt ausdrücklich davor, vom Ehemann die Erfüllung aller emotionalen Bedürfnis- se zu erwarten. 135 Fraglich ist nun, ob diese Unzufriedenheiten in einer Missionarsgemeinschaft erotische Beziehungsgeflechte fördern oder ob sie keinen Einfluss darauf haben.285 5.2.3. Die Missionarsehe Auch die Missionarsehe wird in dieser Arbeit unter dem besonderen Blickwinkel des Themas „erotisches Beziehungsgeflecht“ betrachtet. Dabei wird hauptsächlich auf Wagner (2004) und Graybill (2003) eingegangen, da es in beiden Werken konkret um die Situation verheirateter Frauen geht. Der Wandel der Gesellschaft und damit auch des Ehelebens ist auch in Missio- narsehen Realität. Dem soll mit der Literarturauswahl aus neuerer Zeit Rechnung getragen werden, da das in älterer Literatur vorausgesetzte Frauen-, Ehe- und Familienbild dem aktuel- len Frauenbild nicht mehr entspricht. In dieser Arbeit geht es auch nicht um eine Diskussion über die Veränderungen des Frauenbildes in der Mission oder ob das aktuelle (evangelikale) Frauenbild gut oder schlecht ist. Beides wäre für die Fokussierung auf das Thema der Arbeit zu ausladend. Erfreulich ist, dass der Zustand von Missionarsehen allgemein als beeindruckend be- zeichnet werden kann (Foyle 1995:6)286 und diese durch ein hohes Maß an Verständnis und gegenseitige Annahme geprägt sind. Foyle warnt zugleich davor, eine überhöhte Erwartung an sich selbst als Christ und Missionar zu haben. Wenn Eheleute mit dem Gefühl leben, als christliches Vorbild versagt zu haben, weil ihre Ehe in eine Krise gekommen ist, kommen zu den Beziehungsproblemen noch Schuldgefühle hinzu. Heute erwarten Eheleute in einem hohen Maß persönliche Erfüllung, Entwicklung, Le- bensglück und geistliche Bereicherung voneinander (:57). Wenn es nicht „automatisch“ funk- tioniert, weil doch die Ehe „Teil von Gottes Plan für ihr Leben“ ist, erleben die Missionar/- innen eine Verunsicherung und fürchten, Gottes Plan nicht gerecht zu werden. Eine rollenbe- zogene Form von Stress entsteht, weil der Ehemann mit seinen Aufgaben häufig im Vorder- grund steht. Oft ist die Rolle der Ehefrau zuerst nebulös (:59-60). Das gilt besonders für die Länder, in denen die Rolle der Frau ein besonders heikles und spannungsgeladenes Thema ist. Wenn Missionarinnen vermehrt als Ehefrau, Hausfrau, Mutter und Lehrerin der Kinder leben, können Spannungen auftreten, wenn sie den ganzen Tag auf der Ebene von Kleinkindern denken und reden (:62). 285 Nach den Beobachtungen eines katholischen Priesters, ist die Bereitschaft bei deutsche Frauen, die auf Grund der Berufstätigkeit ihrer Männer im Ausland leben und die mit ihren aktuellen Lebensumständen unzufrieden sind, für erotische Beziehungen deutlich erhöht (Anlage 22). 286 Die verschiedenen Berater/-innen und Seelsorger/-innen, mit denen ich über Missionarsehen gesprochen habe, zeichnen hier ein anderes Bild. Aber vermutlich entsteht bei den Seelsorger/-innen und Berater/-innen diese Wahrnehmung durch die hohe Konzentration schwieriger und festgefahrener Ehesituationen in der Bera- tungssituation (siehe auch Tröger 2003:54-59). 136 Nicht zu unterschätzen ist der Stressfaktor auf sexuellem Gebiet. Wenn Missionare end- lich das Flugzeug zum Einsatzland besteigen, dann sind sie von den vielen Vorbereitungen erschöpft. Sie kommen dann innerhalb von wenigen Stunden im Bestimmungsort an, und es gibt wiederum unendlich viel zu tun. Das kann auch Einfluss auf das sexuelle Verhaltensmus- ter haben. Wenn gleichzeitig die Erwartung von sexueller Erfüllung an die Ehe besteht, ist der daraus resultierende Stress voraussehbar (:65). Häufig fehlt es dazu an Privatsphäre und den kleinen zärtlichen Gesten des Ehealltags, die gerade bei sexuellem Stress wichtig sind. „Die sexuellen Versuchungen sollten nie unterschätzt werden“ (:67). Wenn Paare häufig getrennt sind, steigt die sexuelle Frustration und die Verwundbarkeit. Hinzukommende allgemeine Überbelastung – gerade in Zeiten der Trennung – kann das sexuelle Verlangen so steigern, dass es zur Untreue führt (:67-68). Neid – der sich auf vielerlei Weise tarnt – auf das Zusammensein des Ehemanns mit ei- ner Singlefrau kann eine unerotische Beziehung erotisieren (Wagner 2004:97). Als schwierig erweist sich auch, wenn eine von zwei Singlefrauen einen gemeinsam bekannten Mann heira- tet. Das kann wiederum dazu führen, dass die nun verheiratete Missionarin Vorbehalte bei Begegnungen zwischen ihrem Ehemann mit der Singlemissionarin hat (:99). Wenn stressbedingte, außereheliche Beziehungen zum anderen Geschlecht, auch als re- gelmäßige Verhaltensmuster vorhanden sind, werden diese unter dem Druck einer Missionssi- tuation voraussichtlich vermehrt auftreten (Foyle 1995:135). Wenn Ehemänner die Unterlegenheit ihrer Frauen mit dem Bibelwort „Ihr Frauen, ord- net euch euren Männern unter, wie sich's gebührt in dem Herrn“ (Kolosser 3,18; auch Epheser 5,24) begründen,287 fühlen sich Frauen weniger wert.288 Das kann leicht zu einer Trotzreakti- onen und einem verstärkten Verlangen, sich bewiesen zu müssen, führen. Oder es kann zu einer inneren Unsicherheit oder einem versteckten Minderwertigkeitsgefühl werden (Wagner 2004:57).289 Für Wagner (2004:65, 78) ist der Dienst der Missionarsfrau damit verbunden, dem Mann Gehilfin zu sein. Daher müsse ihre Mitarbeit auf dem Missionsfeld auf der Priori- tätenliste weiter oben stehen (:65). 287 Noch 1978 beschrieb Collins (:91-101) es als Befehle Gottes für Ehefrauen in der Mission, dass sie vom Mann abhängig, ihm unterworfen, ihn als ihr Haupt akzeptierend, schweigend und seiner Autorität gehorchend leben müssen, wenngleich es ihnen möglich sei, viele Dinge umzusetzen. 288 Das ist auf dem Missionsfeld genauso wie in der Heimat. 289 Im Rahmen dieser Arbeit wird keine Diskussion zu einem biblischen Umgang von Mann und Frau in der Ehe ausgeführt. Für diese Arbeit ist die Beobachtung von Wagner (2004:57) dennoch wichtig, weil die Haltung von Männern zu ihren Ehefrauen Einfluss auf die Dynamik in der Ehe und damit auf die Missionarsgemeinschaft hat. Denn „Jeder Konflikt hat eine Vorgeschichte, die ihren Ausgang in fehlender Wertschätzung nimmt“ (Weisbach 2003:259). 137 Graybill (2003:155-158) sieht in der Herausforderung, das emotionale Gleichgewicht in den Rollen als Ehefrau, Mutter und Hausfrau zu erhalten ein besonderes Problem für verheira- tete Missionarinnen. Zum Schutz der Ehe schlägt sie vor, sich zu verpflichten eine starke Ehe führen zu wol- len und dabei vom Ehemann nicht die Erfüllung aller Bedürfnisse zu erwarten. Ebenso sollte sie sich nicht von anderen Frauen isolieren, weil die Ansprüche ihrer Familie hoch sind. Dar- über hinaus sollen die Frauen darauf achten, sich selbst weiter zu entwickeln und die Leiter der Missionen bitten, ihre Erwartungen an Ehefrauen zu formulieren. Das gibt den verheirate- ten Missionarinnen die Gelegenheit bei größeren Anliegen der Mission mit ihren speziellen Gaben und Fähigkeiten beizutragen (:155-158). Alle diese Maßnahmen können zu einer grö- ßeren Zufriedenheit und zu einem guten Selbstwertgefühl beitragen. Das wiederum kann die Missionarsehe schützen. 5.2.4. Missionare Zum Mannsein in Missionssituationen gibt es so gut wie keine missiologische Literatur. Si- cherlich gibt es Bücher und Artikel wie „Die Person des Missionars. Berufung, Sendung, Dienst“ (Müller 2003b) oder „Der Missionar aus der Sicht der einheimischen Gemeinde“ (Buya 1998). Aber die Ausführungen zu „der Missionar“ sind immer allgemeingültige Aus- führungen zu Menschen in Missionssituationen, auch wenn die grammatikalische Form singu- lar und maskulin ist. Die Relektüre290 dieser Ausführungen würde das Ziel dieser Arbeit sprengen, da es hier nicht darum geht, die missiologische Literatur bezüglich allgemeingülti- ger und verallgemeinernder Aussagen bzgl. des Missionarssein zu analysieren, sondern Männlichkeit soll unter dem besonderen Blickwinkel der Missionssituation verstanden wer- den. Dazu bedarf es klarer Aussagen zum Mannsein in der Mission. Daher wird für die fol- gende Darstellung auf die seelsorgerliche Literatur zurückgegriffen, die hierfür nützlich zu sein scheint. Die Situation von verheirateten Missionaren: Grün (2003:143-152) leitet den männlichen Archetyp „Missionar“ von Paulus ab. Diese Verwebung wird in der folgenden Ausführung dargestellt. Paulus verkörpert die Selbstwerdung des Mannes, indem er, von großem Sen- dungsbewusstsein getrieben und mit intensiv entwickelter Überzeugungskraft, in die Welt hinein geht und diese durchstreift. Bei seinen vielen Reisen passiert er viele Grenzen. Er stellt 290 Eine Relektüre vorzunehmen würde eine Aufarbeitung dahingehend bedeuten, dass wenn von „dem Missio- nar“ die Rede ist, überprüft werden müsste, ob die Aussagen tatsächlich Menschen beiderlei Geschlechts betref- fen oder ob zwar Mensch/Missionar geschrieben wurde, aber Mann gemeint ist. 138 sich der Öffentlichkeit, kämpft für die Freiheit in Christus (:152) und sucht die Auseinander- setzung. Er lebt ein unruhiges Leben in der ständigen Gefahr, dass der Einsatz für seine Über- zeugungen tödlich sein kann. Dem stellt er sich mannhaft. „Paulus hat Kampf und Kontemp- lation, Mystik und Politik miteinander verbunden“ (:147) und sich immer wieder auf Christus ausgerichtet. Er scheint eine unendliche Kraftquelle zu haben und erweist sich als zäh (:147- 148). Dabei nahm Paulus sich an, wie er war und rannte nicht einem Ideal hinterher (:150). Männer brauchen Sendung. Sie wollen sich nicht wohlfühlen und ständig ihre Gefühle beobachten um zu wissen, ob auch alles stimmt oder ob sie achtsam mit sich umgegangen sind. Im Gegensatz zu narzisstischen Wegen (wie sie heute oft üblich sind) zeigen Missionare „Du hast mit deinem Leben eine Sendung“ (:149) und das auszuleben macht das Leben le- bendig und fruchtbar. Es fließt und strömt und deshalb ist das Leben zu spüren und wird zur Quelle des Segens für andere. Die Gefahr dieses Archetyps liegt darin, dass er dazu neigt, Menschen zu bedrängen. Das passiert dann im Besonderen, wenn dieser Archetyp sich durch seine missionarische Sen- dung definiert. Sein ständiges Unruhigsein kann auch ein Ausdruck davon sein, dass er nicht in sich selbst ruht. Er ist getrieben von der Angst, sein Glaube könne eine Fata Morgana sein, daher muss er so viele Menschen wie möglich, wie zur Bestätigung der Wahrheit des eigenen Glaubens, von seinem Glauben überzeugen. Typische Missionare neigen mit aller Überzeu- gungskraft dazu, die Meinung anderer nicht stehen zu lassen. Diese negative Facette dieses Archetyps löst im Gegenüber oft ein schlechtes Gewissen aus und es ist mühsam, sich ihm gegenüber abzugrenzen (:148-149). Missionarsein hat viel damit zu tun, sich bewusst auf ein Abenteuer einzulassen. Auch dazu braucht es Hingabe und den Wunsch, sich in die schöpferische Arbeit hineinzustürzen. Es macht Männer glücklich, wenn in allen Facetten ihres Lebens das Abenteuer einzieht (El- dredge 2003:252-253), sie ungewisses Land betreten (:165), bebauen, erobern und sich küm- mern können (:161). Sicherheit ist dabei ein zu vernachlässigender Faktor, wenngleich das Bedürfnis da sein kann, die Situation kontrollieren zu wollen (:258). Wie der Held im Mär- chen, will der Mann während seiner Reifung vom Liebhaber zum Weisen immer wieder Abenteuer bestehen (Leimbach 2011:170).291 Dabei nutzt der Mann sein Aggressionspotenti- al, denn ohne Aggression wären z. B. Veränderungswille, Unabhängigkeit, Freiheit und Männlichkeit nicht möglich (:70). Das alles führt zum Lebensgefühl: Lebendig! (Eldridge 2003:262). 291 Leimbach (2011:146-173) beschreibt fünf Archetypen: der Liebhaber, der Krieger, der König, der Magier, die Heldenreise. 139 Zur Situation von Singlemissionaren: Im evangelikalen Kontext gibt es, anders als im ka- tholischen Raum, überaus wenige Singlemissionare. Daher wird die Situation von männlichen Singlemissionaren hier nicht weiter beleuchtet. 5.2.5. Ergebnisse Die Bedürfnisse von Frauen in Missionssituationen unterscheiden sich kaum von denen ande- rer Frauen. Dennoch werden die Bedürfnisse durch Isolation, härtere Lebensbedingungen,292 und multikulturellen Stress härter erlebt. Missionarinnen sollten deshalb darauf achten, dass ihre frauentypischen, emotionalen (und äußerlichen) Bedürfnisse anerkannt und erfüllt wer- den, selbst dazu beitragen und deren Erfüllung gegebenenfalls einfordern. Die Erfüllung emo- tionaler Bedürfnisse ist ein wesentlicher Faktor, um sexuelle Versuchlichkeit und die damit einhergehende Erotisierung außerehelicher Anlaufpunkte zu vermeiden. Zum Mannsein in der Missionssituation können nur erste, vorsichtige und vorläufige Ergebnisse abgebildet werden, da das Forschungsfeld bisher fast nicht bearbeitet ist. Die Singlemissionarin: In vielen Fällen müssen Singles sich in der konkreten Missionssitua- tion damit auseinandersetzen, dass ihr Singlesein als anormal gilt. Damit leben sie in der stän- digen Herausforderung, ihr Selbstbewusstsein nicht untergraben zu lassen. Das hat durchaus Folgen auf die Bereitschaft zu genitalem Sex, denn „Wenn alle denken, man hättet eh Sex, dann …“. Singlemissionarinnen können im missionarischen Beziehungsgeflecht Erotisierung erle- ben, wenn sie mit der Erwartung ausreisen, dass ihre Sexualität sie auf dem Missionsfeld nicht beeinflusst. Auch Singles sollten ihre Sexualgeschichte kennen. Dazu gehört auch die Reflexion, ob Singlesein (vielleicht unbewusst) ein Schutz vor der Ehe ist, obwohl die Sin- glemissionarin im Bewussten eher leidet. Je weniger das aktuelle Singlesein akzeptiert ist und je größer der Wunsch nach einem Partner ist, umso leichter geschieht Erotisierung. Zu unerfüllten Wünschen und Sehnsüchten sollte immer wieder ein Ja gefunden werden im Bewusstsein, dass auch Eheleute mit unerfüll- ten Wünschen und Sehnsüchten umgehen lernen müssen. Gleichzeitig sollten die inneren Selbstgespräche in Bezug auf Eheleben und Singlesein beobachtet werden, damit die Single- missionarin erkennen kann, ob sie ihr Lebenskonzept gleichwertig zu Verheirateten sieht oder ob sie (unbewusst) mit dem Gefühl lebt, als Singlefrau keine vollwertige Frau zu sein. 292 Zumindest gilt das für die Missionarin aus einem westlichen Hintergrund. 140 Singlemissionarinnen sollten ihr Alleinsein gestalten, die eigene Zufriedenheit fördern und die Bedürfnisse (besonders die nach körperlicher Nähe), den Erschöpfungsgrad und den Gesundheitszustand beachten. Es ist auch gut, den Umgang mit Männern bewusst zu gestal- ten. Wann könnten diese zur Anfechtung werden? Wann baucht eine Singlefrau ein männli- ches Gegenüber (in einer unerotischen Beziehung), um sich bewusst als Frau erleben zu kön- nen und um vor einer Erotisierung geschützt zu sein? Sollten Singlemissionarinnen sich in Richtung erotisierte Beziehungsgeflechte/sexuelle Versuchung bewegen, sollten sie sich bewusst machen, dass es immer wieder möglich ist um- zukehren und eine Wiederherstellung das Ziel sein kann. Das Verharren im Gefühl des Ver- sagens und möglicherweise schuldig geworden zu sein blockiert einerseits und führt anderer- seits dazu, immer mit dem eigenen Versagen – also immerzu mit Erotik und/oder Sexualität – beschäftigt zu sein. Das steigert die Wahrscheinlichkeit auf eine Erotisierung von Beziehun- gen einzugehen oder darauf hinzuwirken. Sollte von einem Mann, der dafür nicht frei ist, eine Erotisierung an die Singlemissiona- rin herangetragen werden, sollte sie gelernt haben nein zu sagen. Ebenso schützt ein gesundes und breites Beziehungsnetz vor Versuchlichkeit und unguter Erotisierung. Anderen kann die Singlemissionarin helfen, indem sie ihre (sexuellen) Bedürfnisse an- spricht und das Tabu bricht, indem sie selbst die Themen Erotisierung, Versuchlichkeit, Ver- suchung nicht umgeht. Die verheiratete Missionarin: Verheiratete Missionarinnen sollten darauf achten, sich bei den viele Anforderungen (schon in der Vorbereitung für den Missionseinsatz) nicht zu über- fordern. Sie sollten sich der strukturell nicht immer möglichen Gleichstellung des Ehepaares im Angestelltenverhältnis bewusst stellen und überprüfen, welche Auswirkungen das dauer- haft für sie haben könnte. Welche Tatsachen sind okay und welche nicht? Ebenso sollten sie so früh wie möglich erfahren und reflektieren können, was es für sie bedeutet, als verheiratete Frau aufs Missionsfeld zu gehen. Das ist besonders wichtig, wenn das Ehepaar Kinder hat bzw. sich Kinder wünscht. Welche Erwartungen werden auf dem Missionsfeld an sie herangetragen werden? Welche Optionen hat eine verheiratete Missiona- rin (im missionarischen und kulturellen Umfeld)? Ganz konkret sollte über die Reduzierung der vertrauten Beziehungen und über Ein- samkeit, aber auch über die umfassend veränderten Lebensbedingungen und deren Auswir- kungen auf die verheiratete Missionarin nachgedacht werden. Alle diese Themen können auf 141 die Dauer zur Belastung werden und durch den Ausweg einer außerehelich-erotisierten Be- ziehungen überdeckt werden. Der verheiratete Missionar: Mann und Missionar sein heißt in Berührung mit seiner eigenen Sendung zu kommen und nicht irgendein männliches Ideal verwirklichen zu wollen, sondern sich so anzunehmen, wie Gott es gegeben hat. Mannsein in der Mission bedeutet auch, sich dem Ruf zu stellen, bis an die persönlichen Grenzen zu gehen und sich nicht vom Sicherheits- denken (oder von Landesgrenzen) abhalten zu lassen. Wird unbekanntes Land betreten und dieses Feld bearbeitet, wirkt sich das positiv auf das Lebensgefühl „Lebendigkeit“ aus. Sicherlich kann das vorhandene oder nicht vorhandene Gefühl von Lebendigkeit mit ausschlaggebend für die Erotisierung von außerehelichen Beziehungen sein, genauso wie die Wahrscheinlichkeit, dass Männer in einem Hochgefühl oder in einem Gefühl von Nicht- richtig-Mann-sein auch außereheliche Bestätigung suchen. Da es der Missionar gewohnt ist, über Grenzen zu gehen, bedarf es vielleicht einer besonderen Disziplin, diese Gewohnheit nicht auf alle Lebensfelder zu übertragen. Die Missionarsehe: Ebenso sollte die Missionarsehe unter die Lupe genommen werden. Zur Analyse könnten z. B. folgende Fragen293 gestellt werden:  Wie stehen die Eheleute zueinander?  Wie attraktiv finden sich die Eheleute gegenseitig?  Wie hoch ist ihre Beziehungssicherheit?  Wie gehen sie miteinander um? Gehen die Eheleute gleichwertig miteinander um oder gibt es eine „schiefe Ebene“?  Welche Erwartungen haben sie (auch in der besonderen Missionssituation) aneinan- der?  Welches Rollenverständnis und welche Rollenerwartung prägt sie? Welche Folgen hat das im Missionsland?  Gibt es evtl. eine sexuell-ehegefährdende Vorgeschichte?  Welche Stressverarbeitungsmechanismen sind vorhanden, und wie wirken sich diese auf die Ehe aus?  Gibt es Erfahrungen mit Trennungszeiten und wie haben die Eheleute diese erlebt? 293 Es gibt bereits gute Möglichkeiten, die Qualität einer Beziehung zu analysieren, wie z B. Prepare/Enrich (Prepare-enrich 2013). Meines Wissens werden diese aber in den Missionsgesellschaften nicht genutzt. 142 Alle diese Fragen sollten zumindest in einem Ehepaargespräch oder in einem vertrau- lich-seelsorgerlichen Gespräch, beantwortet werden,294 um die Stärke der Ehebeziehung er- kennen zu können. Eine starke Ehe ist besser geschützt vor außerehelicher Erotik. 5.3. Berufung An die Berufung zur Missionstätigkeit werden, im Sinne unseres Themas, Erwartungen und Vorstellungen von Missionsgesellschaften an Missionare und Missionarinnen gebunden.295 Daher ist der Aspekt der „Berufung“ stärker zu beleuchten. Menschliche, erotische oder sexuelle Wünsche verschwinden nicht mit der Berufung in die Mission (vgl. z. B. Foyle 1995:94). Dass dies in einem Buch für Missionar/-innen so aus- drücklich betont wird, legt nahe, dass die (Eigen-)Erwartung an sexuelle Reinheit und Treue bei einer klar verstandenen Berufung, irgendwie auch als automatisch abgespalten oder ganz weg interpretiert werden kann.296 Auf den Fokus dieser Arbeit zugespitzt, geht es vor allem um die Auswirkungen der Be- rufung in Bezug auf das Miteinander von Single- und verheirateten Missionarinnen.297 Aus vielen Begegnungen weiß ich, dass Singlefrauen, die in die Mission gehen, sich normaler- 294 Wenn die Ehestabilität von einem Missionskandidatenpaar nicht die Stärke aufweist, die eine Missionarsehe braucht, dann müsste eigentlich von einem Einsatz in der Mission abgeraten werden. Allerdings kann es auch sein (wenngleich das nicht der typische Fall ist), dass die Ehe in der Herausforderung wächst. Auf jeden Fall müsste genau bedacht werden, welche Schlussfolgerungen aus der Erarbeitung der Ehestabilität gezogen werden und welche Informationen der Missionsgesellschaft zugänglich sein sollten. Denn die Vermi- schung von Arbeitgeber mit Seelsorge/Beratung kann zu einer Ausgangsbasis von Missbrauch werden. 295 So wird in Bezug auf unerwünschte erotisierte Beziehungsgeflechte und sexuelle Versuchlichkeit erwartet, dass  „so etwas“ nicht geschieht.  sich an biblische Maßstäbe gehalten wird.  die unterschriebene Selbstverpflichtung zur Treue eingehalten wird.  Missionar/-innen in der Nachfolge Jesu mit einem guten Lebenswandel Zeugnis für die Menschen sein wollen.  dass bewährte Mitarbeiter sich weiterhin bewähren.  eine gute Ehe oder ein stabiles Singlesein vor der Ausreise auch während der Missionstätigkeit durch- trägt.  das Vertrauen in die Mitarbeiter/-innen, dass sie mit der „göttlichen Gabe der Sexualität“ verantwor- tungsvoll umgehen, nicht enttäuscht wird (siehe auch 6.1 Prästudie). 296 Im Zusammenhang mit den Skandalen des sexuellen Missbrauchs durch Priester wurde bekannt, dass manche Priester auch deshalb in diesen Dienst gehen, weil sie meinen, damit vor ihren sexuellen Neigungen bewahrt zu bleiben. „Es hat … gerade in der Vergangenheit immer wieder Situationen gegeben, wo Menschen sich für den priesterlichen Dienst interessiert haben … für die vielleicht auch irgendwie die Vermutung so im Raum stand: Ich finde da einen Raum, wo ich mich mit meiner Sexualität nicht auseinandersetzen muss, der irgendwie asexu- ell ist. Heute wissen wir, dass das völliger Quatsch ist“ (Hanselmann 2012). Ebenso können traumatische sexuel- le Erfahrungen eine unbewusste Motivation zum geistlichen Dienst (oder kommunitären Leben) sein (Roth in Füßer 2012:77). 297 Zur Berufung von Männern in die Mission gibt es keine geschlechtstypischen Literaturhinweise. Hier muss davon ausgegangen werden, dass alles, was zum Berufungsgeschehen veröffentlicht wurde, zumeist für Männer und Frauen geschrieben wurde und dass die speziellen Aussagen zu Berufungen von Frauen Erweiterungen sind. 143 weise ihrer Berufung bewusst und sicher sind.298 Ist das bei verheirateten Frauen auch so und reisen sie mit einem Bewusstsein einer eigenen Berufung aus? Kann es sein, dass die Beru- fung des Ehemannes stärker im Vordergrund ist und wenn er berufen ist, gehen sie davon aus, dass sie darin eingeschlossen sind?299 Wieder andere wollen evtl. einen bestimmten Mann und wenn der nur zu bekommen ist, wenn man mit ihm ins Ausland geht, dann geht man halt mit.300 Daraus ergeben sich folgende Fragen: Gibt es einen Unterschied in der Berufung bei Single- und verheirateten Missionarinnen? Welchen Einfluss hat nun ein Berufungserlebnis auf das Beziehungsgeflecht im Missionarsteam? Welche Mindestanforderung muss an Beru- fung gestellt werden? Da es in dieser Arbeit um die Berufung von Missionar/-innen zum Missionsdienst in- nerhalb evangelikaler Missionswerke geht, wird das Verständnis von Berufung innerhalb die- ses Kontextes dargestellt. In der Ausarbeitung beziehe ich mich vorwiegend auf die Literatur der edition afem, da letztere innerhalb der evangelikalen Missionsorganisationen eine große Akzeptanz findet und dort verbreitet ist. Weiter ziehe ich theologische Wörterbücher heran. Danach werde ich der Frage nachgehen, wie heute Berufung geschieht und ob es dabei einen Unterschied zwischen Single- und verheirateten Missionarinnen gibt. Wer beruft wen, wie, wohin und wozu? 5.3.1. Berufung: Eine Definition im Kontext evangelikaler Missionen „Als B. bezeichnet man das Erlebnis eines Menschen, von einer göttlichen oder anderen übermenschlichen Macht ergriffen und in deren Dienst genommen zu werden“ (Hjelde 298 Ich habe allerdings auch erlebt, dass die Berufungsfrage bei einer Singlemissionarin von ihren Kolleg/-innen auf dem Missionsfeld in Frage gestellt wurde. Diese hatten im Laufe der Jahre den Eindruck bekommen, dass die Singlemissionarin, die unter den Umständen im Gastland litt, deshalb im Missionsland bliebe, weil es in der Heimat keine beruflichen Perspektiven gab (Anlage 17). 299 In diesem Zusammenhang tut sich ein weiteres Problem auf. Was ist, wenn ein Ehepartner von einer Beru- fung fest überzeugt ist, der andere Ehepartner nicht? Diese Fragestellung wird hier aber nicht weiter erörtert. 300 Zu dieser Facette kannte ich lange kein konkretes Beispiel. Wenn ich diesen vermuteten Aspekt jedoch bei Missionar/-innen erwähne, erhielten ich häufig zustimmendes Nicken oder ein „Oh ja!“ aus tiefstem Herzen. Bei einem geselligen Beisammensein (am 28.08.12) erzählte ich von meiner Vermutung. Eine anwesende Missiona- rin reagierte mit: „Ich habe von einer ganzen Reihe von Frauen gehört die sagten: `Ich bin nur hier, damit mein Mann das machen kann, was er mag. Ich sitze hier meine Zeit ab und warte bis die Kinder so groß sind, dass wir wieder nach Hause gehen können´“ (konkrete Beispiele dazu sind als Anlage 23 beigefügt). 144 1998:1347).301 Nach Herm (2003:9) ist Berufung eine Anrede durch den Dreieinigen Gott an den Menschen, durch die der Mensch in eine besondere Beziehung zu Gott gebracht wird und/oder darin mit einem besonderen Dienst beauftragt werden soll. Die Ursache ist nicht menschliches Wollen oder eine besondere Qualifikation, sondern der souveräne Wille Gottes, in dem der Heilige Geist den Menschen öffnet und dessen Herz so öffnet, dass die Stimme Gottes wahrgenommen werden kann. Das Ziel der Berufung ist die Beteiligung Einzelner oder einer „Gemeinschaft am Werk und Wirken Gottes in dieser Welt“ und deren Aus- und Zurüstung (Herm 1985:41–42; 1996:9), in der die Berufenen immer unter dem Willen des Berufenden stehen (Vicedom 2002:57). Alttestamentlich kommen nach Waschke (1998:1347) meistens fünf Elemente zusam- men, die als Motiv oder Formmerkmale gelten: „1. Andeutung einer Notsituation bzw. biogr. Einleitung, 2. Beauftragung, 3. Einwand, 4. Beistandszusagen und 5. Zeichen, dass den Be- auftragten bzw. die Beauftragung beglaubigt“. Herm (1985:41–42; 1996:10) sieht eher Wie- derholungen im Berufungsablauf, aus denen jedoch kein alttestamentarisches Berufungs- schema oder –modell geschlossen werden kann. Diese sieht er in: 1. Gottes Offenbarung, sowohl erstmals als auch wiederkehrend, z. B. Gen. 15 und 17; Ex. 3,6; Ex. 19; Jes.6; Hes 1,1; Kö. 19. 2. Demütigende, oft erschütternde Selbsterkenntnis (Ex. 3.6-11; Ex. 33.1; 1; Jes.6; Jer. l,6; Hes. l,28). 3. Auftrag und Dienst sind unterschiedlich, jedoch im und am eigenen Volk (Ausnahme: Jona). Der Dienst erfolgt durch das Wort, durch zeichenhaftes Handeln und durch Wunder und ruft zur Umkehr und zum Vertrauen in Gott; d.h. Gericht und Gnade. Herm 2003:10 Wichtiger als die Form der Berufung sei ihr Inhalt (Herm 1985:41-42; 2003:10). Berufene werden aus ihrem Alltag herausgenommen und von Gott für eine begrenzte oder lebenslange Zeit in den Dienst genommen, um eine ihnen übertragene Aufgabe zu erfüllen (Long 1980:679, 681; Waschke 1998:1348). Dabei bleibt den Berufenen zumeist die unsichtbare Welt verborgen (Herm 2003:10). Sie302 empfingen Gottes Wort und ihren Auftrag hörbar, 301 Dieser Schluss geht auf die bei Paulus vereinzelt im Sinne eines persönlichen Auftrags dargestellte klætos zurück. Im Allgemeinen werden Menschen in die Nachfolge Jesu und zur Mitarbeit im Reich Gottes berufen (Coenen 1990:86-92). Nach Guinness (2000:42) ist Berufung „die Gewissheit, dass Gott uns so bestimmt zu sich ruft, dass alles, was wir sind, alles, was wir tun, und alles, was wir haben, besonders hingebungsvoll und dyna- misch als unsere Antwort auf seinen Aufruf und Dienst gelebt wird“. Dabei ist die Bedeutung von Berufung erstens ein Rufen von Menschen zu Gott, zweitens namentlich ins Sein gerufen zu werden, drittens in die Nach- folge Jesu gerufen werden, die den Ruf zur Errettung beinhaltet und viertens ruft Gott Menschen zu sich, so wie Jesus die Jünger zu sich gerufen hat. Dazu gehören Dinge und Aufgaben, wie z. B. zum Frieden, zur Gemein- schaft, zum ewigen Leben, zum Leiden und zum Dienst berufen zu sein. Jünger Jesu sind Berufene, um Nach- folger zu sein (:42-44). 302 Das können Einzelpersonen, aber auch das ganze Volk sein (Herm 2003:10). 145 aber auch durch eine innere Stimme, entweder unmittelbar von Gott (vgl. Eli: 1. Könige 19,9- 18) oder mittelbar von Menschen (vgl. Saul: 1. Samuel 9,17; David: 1. Samuel 16,13) oder Engeln (vgl. Abraham: Genesis 12,1-3; Mose: Exodus 2,1-7) (vgl. auch Waschke 1998:1348). Der Heilige Geist kam bestätigend hinzu und dadurch unterschied sich der Berufene von der Masse des Volkes und wurde zum Mittler zwischen Gott und den Menschen. Was er von Gott hörte, gab er an das Volk weiter (Herm 1985:41-42; 2003:10). Häufig bestand der Auftrag in Rettung und Führung des Volkes beziehungsweise in der Verkündigung einer göttlichen Bot- schaft und in der Übermittlung von Gericht und Gnade (:17; Waschke 1998:1348). Dabei wurde menschliches Vermögen nur allzu oft überfordert, aber damit auch verdeutlicht, dass die Berufenen nicht in eigenem Auftrag handelten (Waschke 1998:1348). Nach Herm (2003:14) beinhaltet die Berufung zum Missionsdienst bei Jesus, „bei ihm“ (Markus 3,14) in einer tiefen persönlichen Beziehung zu sein, alles zu verlassen und ihm nachzufolgen (Matthäus 4,18-22; Lukas 5,11) und die Sendung in den Dienst, der vom Ver- zicht auf Sicherheit begleitet ist (Matthäus 10,1-42; Lukas 10,1-12). Für die Aufgabe gibt Jesus Vollmacht (Matthäus 10,6-7), kündigt Verfolgung und Leiden an (Matthäus 10,16- 22,30) und knüpft eine Verheißung (Matthäus 4,19) daran. Jesus beruft zur Nachfolge, in die Jüngerschaft und dazu, Menschen für Jesus zu gewinnen. In der Berufung durch Jesus geht es darum, wozu ein Mensch berufen ist. Die Berufung der Jünger erfolgt unmittelbar durch den Mensch gewordenen Christus (Horn 1998:1350, Herm 2003:12). Ziel ist es, Menschen zu Menschenfischern zu machen (Matthäus 4,19; Markus 1,17). Diese direkte Art der Berufung ist eng an die irdische Wirk- samkeit Jesu gebunden und daher ist es fraglich, ob dies als Modell für die Gegenwart taug- lich ist (Herm 2003:13). Für Wagner (1980:686) ist das Wort „Berufung“ bei Paulus und seinen Schülern ein terminus technicus für die Vermittlung und den Empfang des in Jesus Christus manifest ge- wordenen Heils, wobei fast ausschließlich Gott beruft. Juden und Heiden sind von Gott bzw. Jesus Christus durch das Evangelium berufen, um Christus zu gehören. Allein dadurch prä- sentieren die Christen die „berufenen Heiligen“ (Römer 1,7; 1. Korinter 1,2) (auch Herm 2003:10). „Die Gemeinschaft der Berufenen ist die `ekklesia´. Paulus gebraucht Berufung im Sinne einer persönlichen Beauftragung zum Dienst nur im Blick auf sich selbst (z. B. Röm. 1,1; 1. Kor. 1,1)“ (:11). Saulus, der auch Paulus genannt wird, berichtet von seiner besonders auffälligen und dramatischen Berufung, die mit seiner Errettung zusammenfällt (Apostelgeschichte 9) (Horn 1998:1350). Während einer Missionsreise hat Paulus eine Erscheinung von einem Mann aus 146 Mazedonien, der um Hilfe bittet. Daraufhin beschließt die Reisegruppe nach Mazedonien zu reisen. Sie waren überzeugt, dass Gott sie dorthin berufen hatte (Apostelgeschichte 16,9). Herm (2003:12) interpretiert dies als besondere Wegführung innerhalb der Gesamtberufung. Insgesamt liegt der Schwerpunkt von Berufung bei Paulus auf der Christusbeziehung (Apos- telgeschichte 9,5.11; Philipper 1,21; 3,7-14), der Sendung und dem Auftrag (Apostelgeschich- te 20,24; 22,21), in dem Leiden um Jesu Willen (Apostelgeschichte 9,15; 1. Korinther 4,10- 13; 2. Korinther 4,7-11; 6,3-10) und darin, Diener und Sklave zu sein (Apostelgeschichte 20,17-25; 2. Korinther 4,5; Römer 1,1; Philipper 1,11) (Herm 1985:41-42; 2003:14). Die besondere Beauftragung von Barnabas und Paulus aus dem Kreis der Propheten und Lehrer (Apostelgeschichte 13,1-3) bewertet Herm (1985:45–46) als eine Bestätigung und Konkretisierung der Berufung, bei der der Heilige Geist die Gemeinde anspricht und nicht direkt zu Barnabas und Paulus redet. Die Missionstätigkeit von Timotheus beginnt, als Paulus ihn mit auf Reisen nimmt. Es ist nicht überliefert, ob Timotheus selbst eine Berufungserfahrung hatte. In den Timotheus- briefen wird berichtet, dass Timotheus zwei Mal „die Hand aufgelegt“ wurde (1. Timotheus 4,14; 2. Timotheus 1,6) und dass er dabei beide Male an die Gaben, die ihm anvertraut wur- den, erinnert wurde. Obwohl von keiner konkreten Berufungserfahrung berichtet wird, ist, nach Herm (2003:13), in der Gemeinde in Ephesus weder an seiner Berufung noch an seiner geistlichen Autorität gezweifelt worden. Berufung im Neuen Testament ist also in erster Linie Berufung zum Heil in Jesus Chris- tus und in die Gemeinschaft der Christenheit. Dies ist gleichzeitig die Berufung zur Mitarbei- terschaft und zum Dienst. Darüber hinaus gibt es besondere Beauftragungen, die auf Grund konkreter Begabungen innerhalb eines Auftrages oder als deren Weiterführung geschehen. Wenn Berufung vom Dienst her (Wozu?) verstanden wird, ist eine Korrektur in der Wegfüh- rung (Wohin?), z. B. wenn man nicht wie geplant in die Provinz Asien kommt, sondern nach Mazedonien gehen soll, kein Grund für das Hinterfragen der Gesamtberufung. Besondere Nöte und Personalmangel können die Führung Gottes verdichten, aber sie alleine sind nicht die eigentliche Begründung für Berufung (Herm 2003:14). 5.3.2. Berufung: kirchengeschichtliche Entwicklung und heute In der Praktischen Theologie unterscheidet man Berufung im weiteren Sinne – eine Berufung in die Christusnachfolge und Berufung im engeren Sinne – eine Berufung in ein kirchliches 147 oder geistliches Amt.303 Die Berufung in die Christusnachfolge ist innerlich als eine seelsor- gerliche Frage nach der Heilsgewissheit zu verstehen und äußerlich als eine Frage der Homi- letik und der Liturgie (Müller 1998:1352). Die Berufung in ein kirchliches oder geistliches Amt ist als eine äußerliche Berufung zu verstehen, in der im Namen Gottes, geleitet durch den Heiligen Geist, von der christlichen Gemeinde eine Beauftragung geschieht. Sie ist nicht an ein innerpsychisches Erlebnis gebunden, geschieht aber mit der Einweisung in einen besonde- ren Dienst. Von den Berufenden sollten die theologische Kompetenz und die praktische Befä- higung für das Amt überprüft werden und der Lebenswandel als angemessen für das Amt be- urteilt werden. Dabei soll auch die uneingeschränkte Bereitschaft zum Dienst beachtet werden (:1353). Herm (1985:41-42) bemängelt, dass heute der Blick bei Berufungen häufig auf das „wohin“ ausgerichtet ist. Das „wozu“ ein Mensch berufen sei, wäre viel wichtiger: „nämlich zur Nachfolge und Jüngerschaft“ und dem Ziel „Menschenfischer“ zu sein, also Menschen für Jesus zu gewinnen. Eine Ursache für die Veränderung des Berufungsbegriffs ist entwicklungsgeschichtlich – von der Berufung zum Beruf – bedingt (1996:15-17). Die im 3. Jahrhundert beginnende Einengung des Begriffs „Berufung“ auf Einsiedler, dann auf Mönche und ihre Orden, ver- stärkt sich durch die „Konstantinische Wende“ weiter. Der allgemeine Ruf zum Heil der Menschen beizutragen wird zur Berufung in den „geistlichen Stand“, andere sind nun Laien, denn die Mönche sind die Träger der Mission geworden. Luthers Aufruf, alle Christen seien berufen und lebten in Gottes geistlichem Regiment (Ulrich 1998:1339), um damit das Zwei- klassenchristentum zu überwinden, führt zu einer neuen Definition von Berufung. Aus der Berufung wird der Beruf,304 in dem die Christen innerhalb der göttlichen Ordnung handeln sollen.305 Im deutschen Pietismus fand eine andere Entwicklung statt (Herm 2003:15-17). Darin ging es nicht nur um den persönlichen Glauben, sondern auch um dessen Auswirkungen auf Diakonie und Mission. So wurde der Pietismus zum Initiator der deutschen evangelischen 303 Müller (1998:1352-1353) bleibt in seinen Ausführungen immer im Denkrahmen eines kirchlichen Amtes. Da viele Missionsgesellschaften nicht innerhalb der kirchlichen Ämter besetzt werden, sondern freie Werke sind, wurde der Begriff „geistliches Amt“ hinzugefügt. 304 Als mein Mann, Volker Kessler, geb. 1962, 1981 mit der Frage an die Bibel herantrat, ob er nun, als neu entschiedener Christ, weiterhin Mathematik studieren und dann als Mathematiker arbeiten oder besser in einen vollzeitlichen, geistlichen Beruf wechseln sollte, fand er in der Luther-Übersetzung folgende Antwort: „Jeder bleibe in dem Beruf, in den er berufen wurde“ (1. Korinther 7,20). So wurde diese falsche Übersetzung für ihn Wegweiser für die nächsten Berufsjahre. 305 „So kann Erdmann Neumeister, Hauptpastor an St. Jakobi in Hamburg und Gegner des Pietismus anfang des 18. Jahrhunderts folgenden Liedvers dichten: `Vor Zeiten hieß es wohl: Geht hin in alle Welt. Jetzt aber: Bleib, wohin dich Gott gestellt´“ (Herm 2003:15). 148 Mission, und der Begriff Berufung erhielt wieder seine ursprüngliche Bedeutung. Allerdings wird zusätzlich von jedem Missionar/jeder Missionarin eine besondere Berufung für die Au- ßenmission erwartet.306 Etwa 100 Jahre später wurde die Gesamtverantwortung für die Mission zum ersten Mal an eine Missionsgesellschaft delegiert und diese Praxis setzte sich durch.307 In der Folgezeit entstanden immer mehr Missionsgesellschaften in der Rechtsform von Vereinen. Mit dieser Veränderung wurde die Verantwortung für die Berufung und Sendung auf die Missionskandi- daten gelegt und eine Berufungserfahrung oder individuelle Berufung von ihnen erwartet. Damit entsprach die Praxis der Missionarsfindung der kulturellen und gesellschaftlichen Situ- ation, in der Einzelpersönlichkeiten als wertvolles Gut betrachtet wurden. Die Entwicklung verstärkte sich, als die Missionare oder die Missionsgemeinschaften zunehmend auch selbst für ihre finanzielle Versorgung eintreten mussten. Das „Freiwilligkeitsprinzip“ wird auch heute weiterhin praktiziert und wird verstärkt durch Aussagen wie: „Ein Ruf ist eine feste, persönliche innere Überzeugung, die bei einer Entscheidung, dem Herrn vollzeitlich in der Mission zu dienen, vorhanden sein muss“ (Johns- ton 1988:19). Daher ist es Praxis, dass sich einzelne Personen aufgrund einer Berufung bei Missionsgesellschaften melden, die nach einer Ausbildung und/oder Kandidatenzeit die Ver- antwortung für die Eignung und Berufung der Kandidat/-innen übernimmt. Vorher muss die „Frage nach dem Ruf … in aller Stille mit dem Herrn abgemacht werden“ (Wagner 2004:55), bei der Gott Spielraum gibt, „innerhalb unserer Beziehung zu ihm auch eigene Pläne zu ma- chen“ (Holzhausen 2013:29). Allerdings ist seit ca. drei Jahrzehnten allgemein wieder ein verstärktes Einbeziehen der Gemeinden zu beobachten. Dabei wirft die Praxis der Kurzzeiteinsätze neue Fragen bezüglich der Berufung auf; z. B.: Für welchen Zeitraum gilt die Berufung im Kurzzeitdienst (Herm 2003:15–17)? Herm (1985:43–44) tritt deutlich dafür ein, die Stimme der Gemeinde wieder stärker zu erfragen und zu hören. Von ihr soll die Berufung ausgehen und durch Gebet und Los getroffen werden (Apostelgeschichte 1,21-26). Ausgewählt werden sollen treue, bestän- dige Jünger Jesu. Die Menschen sollen einen „guten Ruf haben“, „mit dem Heiligen Geist erfüllt“ sein und von „Gott Weisheit und Einsicht bekommen haben“ (Apostelgeschichte 6,3). Herm (:45-46) betont diesen Aspekt so stark, weil er sich gegen die Überbetonung der indivi- duellen Berufung ausspricht. Dabei sieht er durchaus das Reden des Heiligen Geistes zu ein- 306 Aber auch innerhalb einiger deutscher Gemeinden wird das Thema der Berufung intensiv bei einer Stellenbe- setzung – sei sie haupt- oder ehrenamtlich – gefordert (Anlage 18). 307 Das geschah mit der Gründung der „Baptist Missionary Society“ 1892 (Herm 2003:16). 149 zelnen Menschen. Persönliche Berufung sollte immer von den Ältesten der Gemeinde oder verantwortungsbereiten, erfahrenen Christen wahrgenommen werden, die als „Instrument des Heiligen Geistes“ Berufung und Führung bestätigen (Herm 2003:14). Damit Gemeinden berufende Gemeinden werden, bedarf es auf Gott hörende, aktive, verantwortungs- und sendungswillige Gemeinden, die den Mut haben, tüchtige und bewährte Mitarbeiter/-innen, die man gut auch zuhause brauchen könnte, zu dem Dienst zu senden, den Gott für sie hat.308 Die Aufgabe einzelner Menschen ist demnach, ihre Grundberufung in einer konsequenten und bedingunslosen Nachfolge Jesu anzunehmen, denn dazu ist jeder Christ berufen (Herm 1985:45–46). Nach Herm (1985:45) endet jede Berufungsgeschichte mit der „unbedingte[n] Gewißheit, Gott hat mich berufen, ich muß gehen, um das zu tun, was er mir aufgetragen hat“. Wenn der biblische Weg zur Berufung in den geistlichen Dienst (unter Einbeziehung der Gemeinde) und die Praxiswirklichkeit von Missionsgesellschaften (Missionar/-innen wer- den Menschen, die eine persönliche Berufung bezeugen und die das Missionswerk für geeig- net hält) auseinanderklaffen, stellt uns das vor ein Dilemma. Gerade in Krisensituationen kann sich das fatal auswirken. Es kann z. B. passieren, dass Menschen in die Außenmission gesandt werden, weil sie in die Mission drängen, ohne dass die Sicht der Gemeinde zu Berufung ge- hört wird. Manchmal wollen Gemeinden einem Menschen beim Ausleben „seiner Berufung“ nicht im Wege stehen und bejahen eine Berufung, obwohl sie innerlich daran zweifeln. Manchmal werden auch Menschen ausgesandt, die in Deutschland als problematisch gelten, man aber meint, er oder sie sei in der Mission gut aufgehoben.309 Meyerhöfer (2009:69-77) kommt zu dem Schluss, dass aus biblischer Sicht eine „Füh- rung in einen konkreten Dienst keine Voraussetzung für den Dienst“ (:76) ist. Deshalb müsse der Begriff Berufung entmystifiziert werden. Er entspringe mehr einem menschlichen Be- dürfnis nach Sicherheit und der Sehnsucht nach (göttlicher) Bestätigung, als das er erforder- lich oder eine Voraussetzung für den Dienst in der Außenmission sei. Gleichzeitig zeigten Praxisberichte, dass es bei Schwierigkeiten und Problemen hilfreich sei, darauf zurückgreifen zu können. Dennoch dürfe das göttliche Zugeständnis nicht zur Voraussetzung erhoben wer- den. Nach Donders (2003) gibt es vier Mandate, die bei einer Beauftragung für einen beson- deren Dienst abgeklärt werden sollten und die zusammen gehören: 308 Hier entsteht ein Spannungsfeld, in dem die Warnung Herms (2003:45), den eigenen Glauben nicht höher zu bewerten als den der Mitglaubenden, unbedingt berücksichtigt werden sollte. Vielleicht könnten Gemeinden ein neues Selbstbewusstsein entwickeln und die Fragen nach Berufung und Führung auf eine breite Basis stellen. 309 Hierzu sind mir mindestens zwei Bespiele bekannt. 150 1. Das Mandat von Gott. 2. Das Mandat von sich selbst. 3. Das Mandat vom Partner. 4. Das Mandat von anderen Menschen. Zu 1. Das Mandat von Gott: Für viele Christen ist Gott der Auftraggeber.310 Diese Beauftra- gung ist im speziellen Auftrag nicht immer leicht zu erkennen. Sie ist allerdings nicht schon deshalb vorhanden, weil eine Sache an sich gut ist oder weil andere es von einem wollen. Zu 2. Ein Mandat von sich selber wird geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausgelebt. Män- ner gehen eher selbstbewusst und frei damit um. Sie sind sich häufig im Klaren darüber, was sie wollen. Das besprechen sie mit ihrer Partnerin und treffen dann eine Entschei- dung.311 Bei Frauen ist der Gedanke sich selbst ein Mandat zu geben eher unterentwi- ckelt. Sie sind unsicher in Bezug auf die eigene Kompetenz und haben nicht immer den Mut zu dem zu stehen was sie wollen. Oft genug machen sie sich keine expliziten Ge- danken über dieses Mandat und fragen sich selten, ob sie selbst die betreffende Aufgabe überhaupt wollen (Enkelmann 2001:39; Asgodom 1999:59). Zu 3. Das Mandat vom Partner: Die in einer gleichwertigen Partnerschaft lebenden Eheleute werden wesentliche Lebensentscheidungen miteinander verhandeln und einen Konsens suchen. Zu 4. Eine Beauftragung, ein Mandat von „Anderen“: „Andere“ meint z. B. Gemeinden, Vor- gesetzte, Mitarbeiter, Kunden, Mentoren, Eltern, Kinder usw. Dieses Mandat ist uner- lässlich, wenn es um den Einsatz in einem Missionsland geht,312 und dieses Mandat darf nicht gegen eins der anderen ausgetauscht werden. 310 Hier werden die durch die Bibel vermittelten Grundaufträge Gottes zu Grunde gelegt. Genesis 1,26 vermittelt uns einen Kulturauftrag und in Matthäus 28,18 erhalten wir den Missionsauftrag. Alle weiteren Aufträge leiten sich von diesen biblischen Grundaufträgen ab (Schirrmacher 2002a). 311 Natürlich ist das auch abhängig von der Persönlichkeitsstruktur (siehe auch Riemann 1993; Gay 2004). 312 Für die freie Wirtschaft wird es als zusätzliches Kann-Mandat aufgeführt (nach Donders 2003). 151 Ja? Ja? Ja? Partner Ja? Abbildung 6: Mandate (Kessler & Marsch 2007:160) Frauen neigen dazu, die Anfragen von anderen und das persönliche Mandat des Ehe- partners für einen bestimmten Dienst vorschnell zum Mandat Gottes zu erheben. Daher ist es nötig, die Berufung von verheirateten Missionarinnen und Singlemissionarinnen näher zu beleuchten. 5.3.3. Als Missionarin berufen Im folgenden Teil soll den Fragen zur Berufung von Singlemissionarinnen und verheirateten Missionarinnen differenziert nachgegangen werden. Dabei soll herausgearbeitet werden, ob sich die Art der Berufung unterscheidet und ob eine mögliche Unterschiedlichkeit Konse- quenzen für das Zusammenleben und -arbeiten auf dem Missionsfeld hat. Wer dem nachgehen will, wie Frauen in die Mission berufen werden, muss sich mit ei- ner dünnen literarischen Ausgangslage zufrieden geben, die teilweise aus Biographien beste- hen. Hier weiter zu forschen wäre eine eigenständige akademische Arbeit wert. In diesem Kapitel werde ich mich mit der vorhandenen Literatur auseinander setzen und diese im Sinne unseres Themas auswerten. 5.3.3.1. Berufen: Frau und Single Der Anteil der Frauen in der Mission liegt bei ca. 60% und davon sind die Hälfte Singlemissi- onarinnen (Conrad 1998:100). Ein Grund dafür könnte sein, dass mehr Frauen benötigt wer- den (Mabel in Conrad :100).313 Für Graybill (2003:124) ist es selbstverständlich, dass Gott Frauen in die Missionsarbeit beruft. 313 Und es nicht daran liegt, wie immer wieder rezitiert wird, dass sich Männer nicht in den Missionsdienst rufen lassen (Conrad 1998:99-100). Andere Gott Frau 152 Als Voraussetzung für den Missionsdienst gelten im Allgemeinen: bekehrt, bewährt, be- rufen (Conrad 1998:99). Die von Conrad befragten Missionarinnen berichteten von einem Wort Gottes an sie, das mit einer persönlichen Berufungsgewissheit verbunden war, welches die entscheidende Grundlage dafür wurde, auch in schwierigen Zeiten der Berufung treu zu bleiben (:100). Nach dieser kurzen Aussage zur Berufung von Singlemissionarinnen an sich mutmaßt Conrad über weitere Gründe, weshalb Frauen in die Mission gehen.314 Manchmal führt der Gehorsam gegenüber dem Ruf Gottes später auch zu Fragen, be- sonders dann, wenn die „biologische Uhr tickt“ und die Zeit der Gebärfähigkeit zu Ende geht (Gabyill 2003:135). 5.3.3.2. Berufen: als Ehefrau in die Mission Foyle (1995:58-59) beantwortet die Frage, ob eine Ehefrau eine eigenständige Berufung für ihre Arbeit auf dem Missionsfeld haben muss mit meinem klaren „Ja“. Frauen, die als Ehe- frauen in die Mission gehen, sollten nicht den kleinsten Zweifel an ihrer persönlichen Beru- fung zum Missionsdienst haben (Graybill 2002:144). Als eine ältere, noch im aktiven Dienst stehende Missionarsfrau gefragt wurde, was sie immer noch aushalten lasse, antwortete sie: „Die Tatsache, daß sowohl mein Mann, als auch ich uns ganz klar von Gott hierher gerufen wissen“ (Wagner 2004:17). Viele Ehefrauen berichten, dass sie den Ruf Gottes an ihre Ehemänner auch als einen Ruf Gottes an sich persönlich wahrnehmen (Wagner 2004:17). Wagner stellt das nicht in Fra- ge. Denn diese Frauen füllten ihre Rollen im Missionsdienst aus. Auf andere könnte sich das später nachteilig auswirken. Sie könnten dann, wenn sich der Kampf verstärkt, vorschnell aufgeben, weil sie sich immer fragen, weshalb sie motiviert waren und der Missionsarbeit zugestimmt haben (Graybill 2002:129-130). Andere Frauen berichten, dass zuerst der Mann, dann sie als Frau einen Ruf erhalten hätten (Wagner 2004:17). Wenn Ehepaare sich nicht einig sind in der Berufungsfrage,315 be- darf es des Aufgebens eigner Pläne (:18).316 Foyle (1995:58-59) bemängelt, dass Missionsge- sellschaften die Tatsache, ob eine Ehefrau einen persönlichen Ruf in die Mission mitbringt, zu wenig beachten. 314 Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Dienstmöglichkeiten für Frauen in der Mission besser sind als in den sendenden Gemeinden oder auch darin begründet liegen, dass Singlefrauen insgesamt länger im Missionsdienst bleiben, als Familien (Conrad (1998:100). 315 In allen angeführten Beispielen hatte der Ehemann eine Berufung und die Frau war nicht offen dafür (Wagner 2004:17-18). 316 Offen bleibt bei Wagner (2004), welche Auswirkungen es auf die Missionsarbeit hat, wenn die Frau zuerst einen Ruf von Gott bekommen hat, ob solche Paare auf dem Missionsfeld zu finden sind. Mir persönlich ist ein Ehepaar mit dieser Berufungskonstellation bekannt, das aber weder im geistlichen Dienst noch im Ausland im Missionsdienst arbeitet. 153 Der Lebensbericht einer ledigen, jungen Frau, Elisabeth Peters (1903–1936), beschreibt ein Berufungserlebnis ganz besonderer Art (Grabe 2007:24-25). Peters erlebte 1919 eine gött- liche Berufung zu „den Heiden“. In den Folgejahren sagte eine innere Stimme zu allen konk- ret angedachten Missionsplänen „Nein“. 1928 bekam sie einen Brief von einem ihr bekann- ten, bereits ausgereisten Missionar der Herrmansburger Mission mit einem Heiratsantrag. „Da war ein großes `Ja´ in mir“ (:25). So wird in diesem Bericht eine persönliche Berufung zum Missionsdienst mit der Heirat eines Missionars verwoben. 5.3.3.3. Ergebnis Gott beruft auf vielen, verschiedenen Wegen. Allen Christen gilt die gemeinsame Basis, dass sie in die Christusnachfolge, in die Gemeinschaft mit anderen Christen und zum Dienst für Gott berufen sind. Darüber hinaus können individuelle Beauftragungen stattfinden, die kon- krete Wegführung beinhalten. Beachtet werden sollte dabei, dass individuelle Berufungen durch eine Gemeinde bestätigt werden sollten. Sicherlich kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass Berufung in einen vollzeitlich geistlichen Dienst, wie den Missionsdienst stattfindet, weil Gott jeweils diese konkreten Men- schen in seinen Dienst stellen will. Der besonderen Situation, dass zwei Personen berufen werden müssten, wenn ein Ehepaar gemeint ist, ist bisher in der Literatur insgesamt nur wenig Rechnung getragen worden. Diese Fragen zu Berufung könnten in eine eigenständige, wissen- schaftliche Arbeit aufgenommen werden. Insgesamt gibt es etwas mehr spezielle Ausführungen zu Berufungsfragen von verheira- teten Missionarinnen. Das kann erstens daran liegen, dass Singlemissionarinnen im Beru- fungsverfahren genauso betrachtet werden wie Missionare und zweitens damit zu tun haben, dass tatsächlich verheiratete Missionarinnen nicht grundsätzlich immer so sicher in ihrer Be- rufung sind, wie Missionsgesellschaften sich das wünschen oder, dass drittens später deshalb Probleme entstehen, auf die reagiert werden soll. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Thema bei der empirischen Forschung dieser Arbeit eine Rolle spielt und es in den narrativen Interviews von Probanden aufgegriffen wird. Nach der Literaturstudie wird diese Arbeit nun mit einer empirischen Forschung weitergeführt damit nachfolgend die aktuelle Situation der Missionar/-innen wissenschaftlich abgebildet werden kann. Dazu wird zuerst in einer Prästudie der aktuelle Umgang mit Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht in Missionswerken und -organisationen erforscht um die Ausgangsbasis der ausgesandten Missionar/-innen verstehen zu können. Nachfolgend wird 154 die wissenschaftliche Basis im Umgang mit dem Datenmaterial der empirischen Studie erläu- tert. 155 6. Die Theorie zur empirischen Forschung Im folgenden Kapitel wird der theoretische Rahmen der Forschungsplanung zur Prästudie und zur empirischen Forschung von Missionarinnen in heterosexuell erotisierten Beziehungsge- flechten inkl. der Theorie zu den Interviews, die Auswahl der Interviewpartner/-innen, die Theorie zur Datenerhebung und deren praktische Umsetzung und der Weg zur Datenauswer- tung skizziert. Bei der Suche nach einem geeigneten theoretischen Rahmen bin ich zunächst von den Erfahrungen meiner bisherigen empirischen Forschung ausgegangen. Bei der Prästudie erwie- sen sich methodisch leitfadengestützte Interviews mit qualitativer Inhaltsanalyse nach May- ring (1999) als hilfreich (Kessler 2008). Dabei wurde auch deutlich, dass die gleichen Methoden für das Forschungsfeld der em- pirischen Studie bei den Missionar/-innen ungeeignet sein würden, da zu detailliert vorgefer- tigte Fragen durch einen Interviewleitfaden das freie Erzählen der Proband/-innen zu sehr einengen würde. In der Folgezeit habe ich daher immer wieder das kollegiale Gespräch ge- sucht. Dabei kristallisierte sich heraus, dass eine narrative Frageform nach Kaufmann (1999) mit einer anschließenden induktiven Theorienbildung mittels Grounded Theory (Strauss & Corbin 1996; auch Faix 2007) sinnvolle Methoden sein könnten. Beim Fragestil und der Fra- geatmosphäre folgte ich im Wesentlichen dem Ansatz von Kaufmann (1999). Die Grounded Theory zur Auswertung der Daten bot eine Reihe ineinandergreifender Verfahren und eine hohe Flexibilität. Bei der Auswertung der Interviews nach der Grounded Theory (Strauss & Corbin 1996) nutzte ich zusätzlich die computergestützte Datenanalyse mit MAXQDA (MAXQDA 2013). 6.1. Prästudie Da es fast keine spezielle Literatur zum Thema der vorliegenden Arbeit gibt, verschaffte ich mir zu Beginn der Studie einen Überblick zu Präventionsmaßnahmen bezüglich erotisierter Beziehungsgeflechte in der aktuellen Missionspraxis. Um das zu erreichen schrieb ich zwi- schen Juni und August 2011 per E-Mail 63 deutsche, evangelikale Missionsgesellschaften an (Anlage 26).317 Ich wollte herausfinden, wie Missionarinnen und Missionare in Bezug auf die Erotisierung von Beziehungsgeflechten in der Mission vorbereitet und weiter begleitet wer- den. 317 Manche Missionsorganisationen antworteten direkt, andere erst nach einer Erinnerungsmail. Wenn ich nach dem zweiten Anschreiben keine Antwort erhielt, habe ich diese Missionsorganisation mit „keine Antwort“ in die Auswertung (siehe Anlage 8) aufgenommen. 156 Diese hierbei genutzte narrative Interviewform lässt den Befragten möglichst viel Frei- raum. Daher kann sie auch gut bei E-Mailbefragungen eingesetzt werden. Die Probanden werden aufgefordert, frei zu erzählen und die Inhalte zu entwickeln (Hopf 2004:355). Bei einer solch ungezwungen Form der Datenerhebung können die bisherigen Maßnahmen und/oder Selbstinterpretationen differenziert und offen, so wie es die Probanden wünschen, erhoben werden (:350). Neben der inhaltlich-theoretischen Kompetenz stellt diese Methode wenig technische Ansprüche an die Interviewer (:358). Interviewer sollen den Interviewten die Plattform bieten, aufrichtig ihre Selbstdarstellungsaspekte zu inszenieren (Hermanns 2004:364). Die Ergebnisse wurden in einer strukturiert qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 1999:91; siehe auch Schmidt 2004:448-456) systematisch zusammengeführt und analysiert (und als Anlage 8 dieser Arbeit beigefügt). Die Kategorien werden von den Leitfragen her deduktiv vorgegeben (Faix 2007:97). Das Datenmaterial wird dabei nach vorher festgelegten Analyseaspekten reduziert. Das Ziel der theoriegeleiteten Analyse besteht darin, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern und auf Grund der ebenso vorher festgelegten Ord- nungskriterien einzuschätzen (Mayring 1999:92). Bei der qualitativen Inhaltsanalyse erfolgt eine Strukturierung inhaltlicher Aspekte (:94) mit einer genauen Definition der Kategorien. Nach Mayring (:91-92) ist die Strukturierung innerhalb der qualitativen Inhaltsanalyse eine der Grundformen qualitativer Inhaltsanalysen. Bei ihr wird ausdrücklich definiert, welche Textbestandteile unter eine Kategorie fallen (:95). Wenn Abgrenzungsprobleme zwischen den Kategorien bestehen, werden Regeln formuliert, die eine Zuordnung ermöglichen (:96). Schmidt (2004:453) empfiehlt, die dominantere Regel zu wählen. In einem zweiten Schritt wird das Material herausgefiltert, zusammengefasst und aufgearbeitet. Die Interviews wurden in der hier beschriebenen Art und Weise erarbeitet und strukturiert. Die Inhalte der einzelnen Interviews werden im Folgenden thematisch zusammengefasst und den jeweiligen Thesen zugeordnet. In der hier aufgezeichneten Inhaltswiedergabe werden prototypische Ankerbei- spiele für die jeweilige Kategorie angeführt (Mayring 1999:95) und in der facettenreichen Sprache der Interviewten wiedergegeben. 157 6.1.1. Auswahlkriterien und Verlauf Die Auswahl der Missionsgesellschaften orientierte sich an der Mitgliederliste der AEM.318 Zu diesem Zusammenschluss gehören unterschiedlich große Missionsgesellschaften. Bei der Befragung wurden solche Missionsgesellschaften ausgeschlossen, die vor allem missionarisch in Deutschland tätig sind (z. B. die Kinderevangelisationsbewegung) und Ausbildungsstätten, die eher allgemein theologische Weiterbildung anbieten (z. B. Adelshofen). Aus den Antwor- ten mancher Missionsgesellschaften ging hervor, dass von ihnen keine eigenen Missionare ausgesandt werden und dass sie vor allem Einheimische unterstützen. Da dies bei der Selbst- darstellung der Missionsgesellschaften über die AEM nicht zu erkennen war, sind diese Mis- sionen in der Auflistung und Analyse enthalten. Darüber hinaus schrieb ich Frau Beate Fü- ßer319 und folgende missionsaktive Organisationen320 an: 321  afem (Arbeitskreis für evangelikale Missiologie),  Akademie für Weltmission (AWM), Stuttgart,322  deutscher Zweig von Member care,  psychiatrische Fachklinik Hohe Mark des Deutschen Gemeinschafts- Diakonieverbandes GmbH Marburg, Oberursel,  De´ignis-Fachklinik,  Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG),  Neue Hoffnung, Marburg,  Tumaini Counselling Centre, Nairobi,323  Weisses Kreuz, Kassel,  Seelsorgeabteilung von Wycliff Deutschland, Burbach-Holzhausen. 318 Die AEM (Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen) ist seit 1974 ein eingetragener Verein und ein „Zu- sammenschluss von über 90 Missionsgesellschaften und Ausbildungsstätten aus dem Bereich der evangelischen Landeskirchen, Landeskirchlichen Gemeinschaften und Freikirchen. Sie betreut zurzeit weltweit über 3.500 Mitarbeiter und arbeitet auf der Glaubensgrundlage der Deutschen Evangelischen Allianz“ (Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen 2012). 319 Frau Füßer wurde mir von Prof. Dr. Klaus W. Müller empfohlen (siehe Anlage 1). Füßer ist Single, war von 1991-1999 Missionarin in Ostafrika und arbeitet jetzt im Bereich Migration und interkulturelle Beratung und engagiert sich bei EmwAg (Eichler 2011). 320 Unter missionsaktiven Organisationen sind alle Organisationen zusammengefasst, die promissionarisch für Missionare und Missionarinnen oder Missionsgesellschaften arbeiten, aber selbst keine Missionare aussenden. 321 Auch diese Anfragen wurden von manchen Personen direkt beantwortet, andere antworteten nach einer Erin- nerungsmail, wenige antworteten gar nicht. 322 Externer Studiencenter der Columbia University. 323 In einem E-Mailaustausch (siehe Anlage 25) wurde ich auf das Tumaini Counsellin Centre in Nairobi hinge- wiesen. Dort arbeiten zwei deutsche Frauen in Christian Psychology und Psychotherapy, die häufig mit den vor Ort lebenden Missionar/-innen zu tun haben. 158 Ich stellte mich in den jeweiligen Anfragen kurz vor und nannte den Titel und Untertitel der hier vorliegenden Arbeit und die Forschungsfrage. Die Interviews stützten sich dann auf folgende Leitfragen:  Was gibt die (Missionsgesellschaft) Missionar/-innen im Zusammenhang mit dem Thema der Arbeit mit auf den Weg?  Empfehlen Sie dazu irgendwelche Literatur, gibt es selbst Verfasstes und wenn ja, könnte ich das zur Verfügung gestellt bekommen? 6.1.2. Ergebnisse der Prästudie Die Antworten der Missionsleiterinnen oder Missionsleiter werden im Folgenden überblickar- tig und anonym dargestellt.324 47 von 63 angeschriebenen Missionsgesellschaften antworteten bis Dezember 2011. Von diesen senden 32 Missionar/-innen ins Ausland. Sechs Missions- werke haben interne Papiere, teilweise mit Selbstverpflichtungserklärung, für ihre Missionar/- innen. Fünf Missionswerke stellten mir ihre sehr unterschiedlichen Papiere zu Verfügung, teilweise mit der Bitte diese vertraulich zu behandeln.325 Bei der Bewerbung von Missionskandidat/-innen und während der Vorbereitungszeit werden die ethisch-moralischen Aspekte rund um Erotik und Sexualität von 18 Missionswer- ken angesprochen.326 Je nach Missionsgesellschaft geschieht das in persönlichen Gesprächen mit den Kandidat/-innen durch die Missionsleitung oder externe Fachpersonen. Es kann auch sein, dass die Haltung und der Umgang mit Sexualität bei Referenzpersonen erfragt wird oder dass diese Themen bei missionsvorbereitenden Seminaren besprochen werden. In einem der Missionswerke wird durch die interne Struktur ein längerer Vorlauf und damit ein besseres Kennenlernen der Kandidat/-innen möglich. Innerhalb einer intensiven persönlichen Begleitung werden vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr, Reinheit, sexu- elle Enthaltsamkeit etc. thematisiert. In den Kandidatenkursen werden dann weiterführende Themen wie „Wie komme ich mit meiner Sexualität zurecht", „Umgang mit Versuchungen“ (Internet, häufige Trennungszeiten etc.) aufgegriffen. Die Kurse werden wiederum begleitet durch Einzelgespräche, in denen auch die ungestillte Sehnsucht nach einer Partnerschaft the- 324 Als Anlage 8 sind die Ergebnisse der Prästudie in einer tabellarischen Übersicht strukturiert zusammenge- stellt. Zur Wahrung der Vertraulichkeit ist der E-Mailaustausch nicht in den Anlagen, aber im „Privatarchiv“ einzusehen. 325 Diese Bitte zeigte erneut die Sensibilität der Themen rund um Sexualität und Erotik in Missionsgesellschaften auf. 326 Hier geht es oft um außerehelichen Geschlechtsverkehr, Pornographie bzw. homosexuelle Handlungen. Es geht also eher um die konkreter wahrnehmbaren und zu erfassenden Aspekte sexuellen Verhaltens. 159 matisiert wird.327 Ebenso werden Themen angesprochen, die während des Missionsaufenthalts Einsamkeit und damit einhergehende mögliche sexuelle Versuchlichkeit auslösen können, z. B. als Ausländer in einer fremden Kultur leben, als Single unter verheirateten Teammitglie- dern leben und arbeiten, als Single in einer Kultur leben, die diesen Stand traditionell nicht kennt etc. Zwei Missionswerke nutzen die ethisch-moralischen Richtlinien einer internationalen Partnerorganisation. Eines der Missionswerke hat zusätzlich eigene Richtlinien erarbeitet, die von jedem Mitarbeiter/jeder Mitarbeiterin, nach gemeinsamen Gesprächen, unterzeichnet werden müssen. Die im Ausland mit der Partnerorganisation zusammen arbeitenden Missio- nar/-innen müssen deren mehrseitige Ausführungen und Richtlinien328 ebenfalls unterzeich- nen. In manchen Missionswerken werden nur verwandte Themen wie Arbeit im Team, Ehe- paare im Missionsdienst und Probleme bei erotischen Verführungssituationen im Missions- dienst angesprochen. Eine Missionsgesellschaft stellt die Fragen nach Treue und dem Um- gang mit Sexualität bewusst innerhalb der medizinischen Bewerbungsunterlagen, damit die Beantwortung der Fragen der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt. Von fast allen Missionsgesellschaften wird bei der Vorbereitung für den Auslandsauf- enthalt über die Herausforderungen im Umgang mit Erotik und Sexualität in der jeweiligen Zielkultur gesprochen. Zur Prävention hierzu wird von den Missionar/-innen kulturangepass- tes Verhalten erwartet, welches deshalb erläutert und gemeinsam besprochen wird. In der weiteren Begleitung von Missionaren durch die sendende Organisation spielt die spezielle Begleitung beim Umgang mit Erotik dann keine Rolle mehr. Man erwartet, dass „so etwas“329 bei Christen nicht geschieht und dass sich die Mitarbeiter an biblische Maßstäbe halten. Die Selbstverpflichtung zur Treue wurde bereits durch das Unterzeichnen der Ver- pflichtungserklärung bestätigt. Das ist in manchen Missionsorganisationen eine Vorausset- zung für die Entsendung. In der Nachfolge Jesu sollen Missionar/-innen mit einem guten Le- benswandel ein Zeugnis für die Menschen in ihrer Umgebung sein. Man vertraut darauf, wenn Mitarbeiter sich bereits in der Vergangenheit bewährt haben. Deshalb sind eine gute Ehe oder ein stabiles Singlesein für eine Ausreise wichtig. In die Mitarbeiter/-innen wird das Vertrauen 327 In vertraulichen Einzelgesprächen wird auch der mögliche Umgang mit homoerotischen Empfindungen be- sprochen. 328 Die Ausführungen sind in verschiedene Themengruppen unterteilt (z. B. pre-marital sexual activity, extra- marital affairs, pornography etc.) und geben jeweils Basisinformationen zum Thema, Leitlinien, biblisch- theologische Begründungen, Hintergrundinformationen für Personalvorgesetzte und weisen auf weiterführende Literatur hin. 329 „So etwas“ wurde vermutlich in Bezug auf die Informationen zur Arbeit (Titel und Forschungsfrage) formu- liert. 160 gesetzt, dass sie mit der „göttlichen Gabe der Sexualität verantwortungsvoll“ umgehen (Privatarchiv 2011). In einer Missionsgesellschaft werden bei Schulungen während der Heimataufenthalte Zusammenhänge zwischen vernachlässigtem geistlichen Leben (durch Stress, Müdigkeit, Ein- samkeit, Erschöpfung, zwischenmenschliche Probleme, Überarbeitung etc.) und der Entste- hungsgeschichte von Eheproblemen, Ehebruch oder Missbrauch thematisiert. Eine andere bietet in der Zusammenarbeit mit anderen Missionsorganisationen Seelsorge-, Coaching- und Beratungsangebote an.330 Manche Missionsgesellschaften beschrieben das eigene Verhalten als blauäugig und na- iv. Das sei besonders dann so, wenn die Kandidat/-innen von einer theologischen Ausbil- dungsstätte kommen würden. Die Erwartung, dass bei den Kandidaten dann „alles klar“ sei, bestätige sich jedoch nicht. Das Thema „Erotische Beziehungsgeflechte in Missionen“ sei aktuell, aber zu wenig innerhalb des Missionswerkes bearbeitet. In einer weiteren Missionsgesellschaft wird die Vorbereitung in einer theologischen Ausbildung (mit Themen wie „Das Rollenverständnis von Mann und Frau", „Beziehung zwi- schen den Geschlechtern“) im Zusammenhang mit einem Praktikum im Ausland als hilfreich bewertet.331 Hilfreich sei auch, dass die Missionskandidat/-innen durch die theologische Aus- bildungsstätte vor Ort schon länger bekannt seien. In manchen Missionsgesellschaften ist der Umgang mit Sexualität besonders bei Män- nern im Blick. Gerade mit ihnen sei es wichtig, das Thema Sexualität offen anzusprechen. Wenn „eine Andere“ zunehmend wichtig werden sollte, wenn sich die „Lust“ dem Nullpunkt nähere, wenn gemeinsame Zeiten nicht mehr stattfänden, könne ein Lösungsversuch bei Män- nern darin bestehen, in die Arbeit zu fliehen. Ein Missionsleiter beobachtet besondere Gefah- ren für ältere Singlemissionarinnen ab 45 Jahren, die sich nach Geborgenheit sehnten und nicht mehr alleine sein wollten. Bei einer Missionsgesellschaft sind Frauen und ihre emotionalen Bedürfnisse auf dem Missionsfeld besonders im Fokus. Dort wird ein 28seitiges Paper weitergegeben, in dem die emotionalen Bedürfnisse von Singlemissionarinnen und verheirateten Missionarinnen be- schrieben werden. Weibliche sexuelle Bedürfnisse werden dabei offen thematisiert. Die Auto- rin verfasste dieses Paper erstens, weil sie selbst Missionarin gewesen war und zweitens, weil sie die emotionalen Bedürfnisse von Frauen in der Mission bei über 70 Singlemissionarinnen 330 Um welche „anderen Missionsorganisationen“ es sich handelt wurde nicht genannt. 331 Hierbei wurde nicht näher ausgeführt, weshalb das hilfreich ist. Man kann allerdings vermuten, dass diese Aussage im Sinne der Prävention von Erotisierungen verstanden werden kann. 161 und verheirateten Missionarinnen erfragt hatte. Der Analyse folgen Ratschläge zum Umgang mit unerfüllten Emotionen und weiterführende Literaturangaben.332 Insgesamt empfehlen sieben Missionsgesellschaften seelsorgerliche Literatur zur Prä- vention vor sexueller Versuchlichkeit oder eheunterstützende Literatur. Das Buch Jedermann und die Versuchung (Arterburn & Stoeker 2010) wird von drei Missionsgesellschaften emp- fohlen, die sieben weiteren Bücher unterscheiden sich in ihrer Basisausrichtung und sind ins- gesamt stärker auf eine gelingende Ehebeziehung ausgerichtet, als das sie Hilfen für Singles anbieten. Die Missionsleitung einer bestimmten Missionsgesellschaft befürchtet, dass bei der Vorbereitung von Missionaren hauptsächlich die vorerotische Lebensphase im Blick sei und dabei die Entwicklung der Sexualität ausgeblendet werde. Es werde erst dann wieder aufge- griffen wenn „das Kind in den Brunnen gefallen sei“. Man ginge nach der Devise damit um: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Dieser Tenor steckt auch in Aussagen wie: „Wir spre- chen da, wo es nötig ist.“ Das wird auch von einem Missionswerk vertreten, bei dem keine Präventionsmaßnahmen angeboten werden. Dabei wird individuell auf Problemfälle (eheähn- liche Gemeinschaften, Ehebruch) reagiert. Bei einer Missionsgesellschaft obliegt die Thema- tisierung bei dem Leiter im Einsatzland. Werden Problemfälle bekannt, werden persönliche Gespräche gesucht und gegebenen- falls oder umgehend eine Kündigung ausgesprochen. In einer Missionsgesellschaft ist eine vollzogene Ehescheidung bisher eher ein Ausschlusskriterium für die Entsendung in den Mis- sionsdienst. Dabei wird aber auch berücksichtigt, wie diese Erfahrung inzwischen geistlich und psychologisch aufgearbeitet wurde. Im Einzelfall kann dann eine Entsendung erfolgen. Ehebruch oder Unzucht blieben jedoch häufig unberücksichtigt, weil dies oft gar nicht be- kannt würde, resümiert ein Missionsleiter. Singlemissionar/-innen sollen nicht vom Wunsch nach einer Partnerschaft beherrscht sein. Den Missionar/-innen wird empfohlen, sexuelle Nöte und Anfechtungen nicht zu übergehen, sondern sie in seelsorgerlicher Begleitung und im Glauben an Vergebung und innere Heilung zu klären. Kurzzeitmitarbeiter/-innen werden da- rauf hingewiesen, dass die „feurige schöne Gabe Gottes“ in den geschützten Rahmen einer Ehe gehört. Ein Missionsleiter resümiert: „Trotz all dem oben Genannten muss ich sagen, dass die- ser Themenbereich noch in den Kinderschuhen steckt. Wir haben noch einen relativ hohen 332 Inzwischen ist der Artikel von 2001 veröffentlicht – Graybill 2003 – und hat Einfluss auf Kapitel 5.2.2. 162 Anteil an Missionaren der mittleren und älteren Generation, die mit diesen Themen nicht so offen umgehen, wie viele der Jüngeren“ (Privatarchiv 2011). Angebote zu Präventionsmaßnahmen, die Erotisierungen von Beziehungen verhindern, aufdecken oder zu einem guten Umgang damit anleiten, gibt es für die ausgesandten Missio- nar/-innen relativ wenige. In einem Missionswerk erhalten die Missionar/-innen die Anwei- sung, dass Männer nur mit Männern und Frauen nur mit Frauen reden sollen (vermutlich sind hier vertrauliche und/oder seelsorgerliche Gespräche gemeint). In einer anderen Organisation wird „unzweideutiges Verhalten“333 gerade in Bezug auf Personen des anderen Geschlechts erwartet. Denn Missionar/-innen verschiedener Geschlechtszugehörigkeit dürfen nicht alleine sein und nicht ohne miteinander verheiratet zu sein als Mann und Frau zu zweit allein, auf Reisen gehen. Es wird erwartet, dass in der Phase des Kennenlernens immer eine weitere Per- son in der Nähe ist. Ebenso soll auf kulturangepasste, „anständige“ Kleidung und angemesse- nes Verhalten bei der Begrüßung oder bei Unterhaltungen geachtet werden. Regeln für das Verhalten in der fremden Kultur werden auch als hilfreich für das Miteinander im Missionars- team erlebt. Drei Missionsgesellschaften schreiben ausführlich darüber, dass sie keine Präventiv- maßnahmen haben. Allerdings beschreiben sie auch, dass der Umgang mit Sexualität in den Vorbereitungsseminaren bzw. in persönlichen Gesprächen thematisiert wird. Bei drei Missionswerken führte meine Bitte um eine Stellungnahme zu konkreten Ände- rungen im Umgang mit Erotik innerhalb des Missionswerks. Ethische Richtlinien zu mögli- chen erotisierten Beziehungsgeflechten wurden in ihrer Relevanz überdacht, verändert bzw. verschriftlicht. 6.1.3. Missionsaktive Institutionen und Einzelpersonen Die des Weiteren befragten missionsaktiven Institutionen und Einzelpersonen wurden inter- viewt, erstens, weil sie Dachverbände für Missionar/-innen oder Missionswerke bilden und zweitens als Einzelpersonen eine besondere Nähe zur Mission und zu Missionar/-innen haben. Insgesamt brachte diese Befragung wenig Neues hervor. Vereinzelt werden den Missionar/- innen Bücher empfohlen und es wurde auf einen Artikel von Graybill (2003) hingewiesen. Auch auf MemberCare wurde immer wieder verwiesen. Deren Hilfsmaßnahmen unterschei- den sich jedoch nicht von denen anderer. Sie bieten persönliche, seelsorgerliche Gespräche an oder verweisen ihrerseits auf andere Institutionen bzw. die Missionswerke. 333 Vermutlich ist hier unzweideutiges, unerotisches Verhalten gemeint. 163 6.1.4. Fazit Die Missionswerke haben den Umgang mit Erotik und Sexualität vor allem vor der Ausreise im Blick. Während eines Auslandaufenthaltes sind die Missionar/-innen stärker auf ihre Ei- geninitiative angewiesen. Dazu können sie sich vertrauenswürdige Gesprächspartner suchen oder bei einigen Missionswerken die aufkommenden Probleme in Seminaren thematisieren. Wenn man dazu die Aussage von Richter (Anlage 6) berücksichtigt, dass es „im Rahmen der semistrukturierten Interviews“ schwierig ist, das Thema abzugreifen, weil auch der Scham Rechnung getragen werden soll, dann kann man sich leicht vorstellen, dass dabei nicht alles erzählt wird, was die Missionare tatsächlich beschäftigt. Wenn Sexualität bei Missionsgesell- schaften eine hohe Tabuisierung erlebt und gleichzeitig die soziale Kontrolle innerhalb der Missionssubkultur hoch ist, dann ist es nicht verwunderlich, dass nicht offen und hilfreich mit beginnender Erotisierung im Missionsbeziehungsgeflecht umgegangen werden kann. Wenn nicht sein darf, was es dennoch gibt, dann besteht die Gefahr, dass gerade dies eine hohe Macht im Leben von Menschen bekommt und das dann oft verdeckt ausgelebt wird. Manche Missionswerke gehen offensiv mit der Thematik um und haben erfreulicher- weise bereits Papers zum Umgang mit Sexualität und Erotik, in denen sich die Anweisungen und Ausführungen in Inhalt und Umfang deutlich unterscheiden. In den Zielen unterscheiden sich die verschiedenen Papers jedoch nicht (Privatarchiv). Alle Missionsgesellschaften wollen die Mitarbeiter/-innen zu sexueller Reinheit und ehelicher Treue und zu einem biblisch- theologischen Lebensstil animieren. 6.2. Empirische Studie Im folgenden Kapitelteil werden die Theorie und Vorgehensweise zur empirischen Studie beschrieben, und zwar zu den Interviews, der Auswahl der Interviewpartner/-innen, der Da- tenerhebung und ihrer praktischen Umsetzung sowie die Theorie zur Auswertung der Daten. 6.2.1. Die Auswahl der Interviewpartner/-innen Um Interviewpartner/-innen zu erhalten, habe ich verschiede Wege beschritten. Im Dezember 2012 veröffentlichte ich in der Zeitschrift em (evangelikale mission 2012:198)334 folgenden Aufruf: Für eine empirische Forschung innerhalb einer Doktorarbeit im Fachbereich Missiologie, werden aktive oder ehemalige deutsche, männliche und weibliche, verheiratete und ledige Missionare für ein Interview gesucht. In der Arbeit wird 334 Die Zeitschrift erscheint vier Mal im Jahr in einer Auflage von 1000 Stück. em kann abonniert werden oder ist im Mitgliedsbeitrag der AfeM-Mitglieder enthalten (inkl. Luftpostversand). Die Zeitschrift hat 600 Abonnen- ten wobei manche Institute mehrere Exemplare erhalten (Anlage 24 und em 2013:168). 164 eine Facette des heterosexuellen Beziehungsgeflechts in deutschen Missionsteams untersucht. Bitte melden Sie sich bei: Martina.Kessler@t-online.de, oder telefo- nisch unter +49 –(0)2261 807225 oder per Fax +49 –(0)2261 807228 für weitere Informationen. In dieser öffentlich-schriftlichen und damit eher anonymen Bitte, habe ich bewusst auf einen konkreteren Hinweis auf das Thema „erotisierte Beziehungsgeflechte“ verzichtet. Meine Be- fürchtung auf Grund der bereits geschilderten Erfahrung war, dass die Missionare oder Missi- onarinnen durch das Wort „erotisiert“ abgeschreckt werden könnten oder ihre Denkrichtung nicht zum Ziel dieser Dissertation passten. Dazu erhielt ich eine Rückmeldung, die zu einem Interview führte. Am 06. März 2013 hatte ich die Möglichkeit, einen Workshop335 bei der Jahrestagung336 der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM) in Rehe, Rheinland Pfalz, zu halten. Dies gab mir Gelegenheit mit Missionsleiter/-innen und Missionar/-innen von unterschiedli- chen Missionsgesellschaften zusammenzutreffen und gleichzeitig war es ihnen möglich, mich persönlich kennenzulernen. Die bei der Jahrestagung zusammentreffenden Missionsgesell- schaften sind Mitglieder der AEM, also die Missionsgesellschaften, die in Kapitel 1 im Rah- men der Prästudie bereits als solche vorgestellt worden sind. Zu Beginn des Tages konnte ich im Plenum zum Interview einladen. Das tat ich mit fol- gendem Wortlaut: Für meine Doktorarbeit suche ich Single- und verheiratete Missionare die aktuell oder ehemals im Ausland tätig waren, für Interviews. In der DTh soll die Bezie- hungsdynamik im Miteinander untersucht werden. Auf die Beziehungsdynamik hat auch Einfluss, dass Männer und Frauen zusammentreffen, die eben Singles oder verheiratet sind. Ich freue mich, wenn Anwesende für ein Interview im Laufe des Tages auf mich zukommen. Ohne zusätzliche Informationen und ohne den Gebrauch des Wortes „erotisierte Bezie- hungsgeflechte“ hatten manche Teilnehmer/-innen mein inhaltliches Forschungsanliegen er- kannt, andere nicht. Das stellte sich sowohl bei den Interviews, als auch bei den Gesprächen zwischen Tür und Angel heraus. Vier Interviewpartner hatten genau verstanden, dass ich die Facette der Erotisierung untersuche, drei hatten die Ankündigung eher allgemein auf Bezie- hungsgeflechte bezogen. Dennoch erzählten alle Interviewpartner von Erotisierungen im Be- ziehungsgeflecht. 335 Das Workshopthema innerhalb der Jahrestagung „Glühende Retterliebe 2.0. Wie können Gemeinden neu für Mission motiviert werden?“ lautete „Glühen ohne Burnout“. 336 Die Jahrestagung dauerte insgesamt vom 05.-07.03.2013. 165 Unter den anwesenden Missionsleiter/-innen, von denen viele selbst als Missionare und Missionarinnen im Ausland gelebt und gearbeitet hatten, und bei den anwesenden aktiven bzw. ehemaligen Missionar/-innen (insgesamt waren es zwischen 80 und 90 Personen), erleb- te ich insgesamt eine große Offenheit. Am Ende des Tages hatte ich bereits vier Interviews aufnehmen können und für vier weitere Interviews Zusagen bekommen. Um die Anonymität der auf der Tagung anwesenden Personen zu erhalten, werde ich künftig nicht mehr zwischen Missionsleiter/-innen und Missionar/-innen differenzieren und ausschließlich von Missionar oder Missionarin schreiben. Alle Interviewpartner dieser Interviewphase erzählten Erlebnisse, die eine Erotisierung im Missionarsgeflecht verdeutlichte. Dennoch hätte der Titel der Arbeit „Erotisierte Bezie- hungsgeflechte in der Mission“ vorher genannt werden müssen, da manche Missionare nach- her sagten: „Hätte ich das gewusst, hätte ich noch ganz andere Geschichten erzählt.“337 Vor dem Interview habe ich darauf hingewiesen, dass ich an ihren Geschichten, ihrem Ergehen im Miteinander von Frauen und Männern, Singles und Verheirateten interessiert bin, aber auch daran, welchen Einfluss dieses Erleben auf die Missionsarbeit hatte und was sie sich in der Situation gewünscht hätten. Ein Missionar schlug nach dem Ende des Interviews ein Inter- view mit seiner Ehefrau vor, da diese „viel mehr betroffen war und es stärker empfunden ha- be“ (3M338). Obwohl er den Ort für das Interview selbst gewählt hatte, fühlte sich ein Missionar dann doch nicht frei. Seine Sorge war, dass ihn ehemalige Mitmissionare beim Interview sehen könnten und diese dann ahnen könnten, worüber er spricht. Es war zu erkennen, dass er sich eingeengt fühlte, sich aber davon befreien wollte. Wirklich zuhören konnte uns niemand, aber allein zu wissen, dass man uns beobachten könnte, hemmte diesen Missionar. Ein Teilnehmer der Tagung verband seine eigene Interviewfreudigkeit mit der Bitte um ein gemeinsames In- terview mit seiner Ehefrau und empfahl weitere Probanden. In der Folgezeit bekam ich weitere Empfehlungen zu Interviews. Diese Missionare habe ich nach einer Terminabsprache aufgesucht. In einem Vorgespräch direkt vor der Aufzeich- nung wurde jetzt das konkrete Thema der Arbeit genannt. Die meisten, aber nicht alle, Missi- onare konnten dazu thematisch etwas beitragen. 337 Mündlich von Interviewpartnerin Fs1, bei einem dem Interview folgenden Telefonat zur Freigabe des Inter- views am 22.03.13. 338 Die Quellenangabe für die Interviews wird im Folgenden jeweils mit dem Geschlecht (F oder M), und bei den Frauen mit dem jeweiligen Familienstand (s oder v) und einer fortlaufenden Nummerierung vorgenommen: z. B. Fs1, M2, FvM5 oder Fv21 usw.) vorgenommen. Zur konkreten Quellenangabe werden die Abschnitte aus den Interviews wie folgt dargestellt: z. B. M1:13, Fv11:311, usw. Dabei kann die Verschlüsselungen bei Ehepaaren (FvM) auch in Fv oder M aufgelöst werden. Wenn Proband/-innen ein Thema erneut aufgreifen und damit des- sen Wichtigkeit unterstreichen, wird folgende Darstellung gewählt Fv11:60-67, :192. 166 6.2.2. Die Datenerhebung und praktische Umsetzung Die Interviews wurden zwischen dem 06.03.2013 und 17.07.2013 geführt. Alle Inter- viewpartner/-innen waren Singlemissionarinnen und verheiratete Missionarinnen oder verhei- ratete Missionare, die aktuell im aktiven Missionsdienst standen oder bereits berentet waren. Zum Zeitpunkt der Befragung waren die Probanden zwischen 33 und 68 Jahren alt. Während der Missionstätigkeit bzw. der Zeit, aus der ihre Erlebnisse stammen waren 10 Missionarin- nen Singles, alle anderen (16 Personen) verheiratet. Bei drei Probanden hat sich der Familien- stand inzwischen geändert – zwei hatten inzwischen geheiratet, eine Probandin war geschie- den worden. Von den zurzeit des Missionsdienstes verheirateten waren acht Probandinnen Ehefrauen und acht Probanden Ehemänner. Vier Ehepaare wurden gemeinsam interviewt. Ein Ehepaar wurde getrennt interviewt. Drei Missionare und drei verheiratete Missionarinnen wurden ohne die Beteiligung ihrer Ehepartner interviewt. Die Interviewdauer betrug zwischen 9:43 und 81:52 Minuten. Die Interviewzeiten wa- ren damit teilweise recht lang. Es war aber sinnvoll, weil es sich insgesamt um ein intimes und damit heikles Interviewthema handelte. Manche Interviewpartner/-innen hatten Situatio- nen erlebt, die von ihnen nicht in wenigen Sätzen zusammengefasst werden konnten. Manch- mal hatte ich auch den Eindruck, dass die Proband/-innen froh waren, die Geschichte endlich einmal jemand erzählen zu können, der zuhören will bzw. es tat ihnen gut, dass ihre schwieri- gen Erlebnisse einen wissenschaftlichen Nutzen haben könnten. Außerdem wollten manche Interviewpartner/-innen gleich mehrere erotisierte Erlebnisberichte erzählen. Eine Inter- viewpartnerin hatte z. B. drei verschiedene Erotisierungserlebnisse vorbereitet. Andere fügten, meist spontan und oft bereits vergessene, weitere Geschichten ein. Gerade wenn Proband/-innen von beobachteten Geschichten berichteten, wollte ich her- ausfinden, ob tatsächliche Erotisierung vorlag oder ob die Erotisierung alleine im Kopf des Interviewpartners/der Interviewpartnerin vorhanden war – was ja auch eine Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht gewesen wäre. Auch das brauchte Zeit. Viele der Inter- views bekamen deshalb eine tiefenpsychologische Dimension, die bei der Auswertung nütz- lich wurde, die aber die Interviews selbst verlängerte. Außerdem brauchten die Probanden/- innen einfach Zeit, Vertrauen zu mir aufzubauen und zum Nachdenken. Manche Interviewpartner/-innen waren mir bereits persönlich bekannt. Aber auch de- nen, die mich vorher nicht kannten, gelang es sich in den Interviews zu öffnen. Häufig war zu beobachten, dass die Interviewpartner/-innen während des Interviews freier wurden und ver- gaßen, dass das Interview aufgezeichnet wurde. Zuerst wurde meist noch intensiv darauf ge- achtet keine Namen zu nennen. Im Laufe des Interviews wurde das unwichtig. Manche Inter- 167 viewpartner/-innen signalisierten, dass sie erst durch die Interviewfragen verstanden hätten, was sie wirklich denken bzw. jetzt Worte für etwas hätten, was vorher nur Gefühl gewesen sei (Fs8 und Fv11). Das unterstreicht die tiefenpsychologische Dimension mancher Interviews. Außerdem habe ich immer wieder zusammengefasst, was ich glaubte verstanden zu haben, damit die Probanden erstens überprüfen konnten, ob ich sie richtig verstanden hatte, mich zweitens korrigieren konnten – was auch immer wieder mal geschah – und drittens Fehlendes ergänzen konnten. Wer beim Thema der Interviews seine Bereitschaft zum Interview formulierte, war auch bereit, sich zu öffnen. Daher erzählten die meisten Interviewpartner eher schonungslos und bereitwillig von ihren unangenehmen Erlebnissen und Fehlern (vgl. Kaufmann 1999:102- 103). Manchmal geschah es allerding eher „zufällig“, dass nicht geplante, aber dennoch ein- gefügte, persönliche Zusatzgeschichten erzählt wurden, obwohl der Anlass für das Interview ein Erlebnis war, welches die Probanden bei anderen miterlebt bzw. beobachtet hatten. Die meisten Interviews wurden in privaten Settings bzw. ungestörten Büro- oder Ge- meinderäumen aufgenommen. Bei vier Interviews war der Rahmen eher öffentlich (belebte Vorhalle, Eingangsbereich, Restaurant). Die Interviewpartner arbeiten bzw. arbeiteten in acht verschiedenen, evangelikalen, deutschen Missionsgesellschaften, die im Dachverband der AEM zusammengeschlossen sind. Die Interviews wurden mit einem Digital Voice Recorder oder einem i-Phone aufge- nommen und später von mir (zwölf Interviews) und einem professionellen Transkriptions- dienst (neun Interviews) (Transkripto 2013), nach erweiterten, einfachen Regeln, kommen- tiert, transkribiert (Mayring 1999:70-73). Gesprochene Dialekte wurden ins Hochdeutsche übertragen (:70), nicht sprachliche Signale wie lachen, stottern und husten wurden notiert (:71). Nicht verständliche Sätze oder Satzteile wurden mit (…) gekennzeichnet. Alle, zumeist vollständig, transkribierten Interviews sind im Anhang eingefügt und liegen in der Zeit der Überprüfung und Bewertung dieser Arbeit vor. Nach Abschluss des Projektes werden sie ge- mäß den ethischen Anforderungen von Unisa vernichtet. Ein Interview wurde nicht transkribiert, da es keinen Erkenntnisgewinn im Sinne des Themas erbrachte. Zur Überprüfung dieser Entscheidung wurde die digitale Aufzeichnung nochmals angehört und mit der gleichen Entscheidung abgeschlossen. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon, so wie nachher in Phase drei, ein vorbereitendes Telefonat mit der Probandin geführt, wäre es mit dieser Interviewpartnerin sicherlich zu keinem Interview gekommen. Es kann vermutet werden, dass es deshalb zu keinem Ergebnis im Sinne dieser Arbeit kam, weil erstens die Zeit der Interviewpartnerin auf dem Missionsfeld sehr kurz war (vier Jahre) und 168 sie zweitens in ihrer aktiven Missionarinnenzeit noch recht jung war. Nicht in jeder Missions- situation war Erotisierung zu beobachten und vermutlich hatte auch nicht jeder Missionar/jede Missionarin tatsächliche Erotisierungen wahrgenommen. Die von mir transkribierten Interviews wurden von je einer weiteren Person339 auf Rechtschreib- und Tippfehler hin gegengelesen, die von Transkripto transkribierten Inter- views wurden von mir gegengelesen und den Probanden zur Freigabe vorgelegt. Dabei kam es bei zwei Interviews zur Streichung von einem Satz bzw. einer Personenbeschreibung. Die Interviewpartnerinnen hatten im Nachhinein Angst davor, dadurch erkannt zu werden. Im Sinne des Themas entstand durch die Streichungen kein Datenverlust. Bei einem Interview wurde ein Exkurs in eine Erkrankungsphase nicht transkribiert, da diese Erzählung keinen Ertrag zu meiner Forschungsfrage lieferte. Alle Interviewpartner wurden mündlich und schriftlich mit einem Interviewvertrag (als Anlage 9 beigefügt) auf ihre Rechte und auf den geplanten Umgang mit den Interviewdaten hingewiesen. Sie wurden darüber informiert, dass sie bis 14 Tage nach dem Interview das ganze Interview oder Teile daraus zurücknehmen können. Die Interviewpartner wurden auch darüber informiert, dass sie das Interview nach der Transkription erhalten und wiederum die Möglichkeit haben, das ganze Interview oder Teile daraus zurücknehmen können. Auch dann hat kein/e Proband/-in das Interview oder Teile daraus annulliert. Über die Schweigepflicht aller am Prozess Beteiligten wurde ebenfalls informiert. Bei der Transkription wurden alle Namen (auch Projektnamen), Länder, Städtenamen, Namen von Missionsgesellschaften und Jahreszahlen anonymisiert. Ebenso wurden konkrete, im christlichen Kontext erkennbare Berufsbezeichnungen oder Bezeichnungen von Gremien verallgemeinert. Dieser Vorgang fand in Absprache mit den Interviewpartner/-innen statt und wurde an ähnliche Positionen aus der Wirtschaft angelehnt. Bei der Überschaubarkeit deut- scher Missionsorganisationen könnten durch konkrete Berufsbezeichnungen Rückschlüsse auf die interviewten Personen möglich sein. Das sollte vermieden werden. Die Frauen und Män- ner legten großen Wert auf diese Anonymisierung, denn die Angst, dass z. B. durch die Be- rufsbezeichnung Rückschlüsse auf die Person und damit auf die Organisation möglich sein könnten, war bei vielen vorhanden. Ich bat alle Interviewten zu Beginn ihr Alter und ihre Zeit auf dem Missionsfeld zu nennen. Ob es sich bei den Interviewten um Männer oder Frauen handelt, war an der Stimme zu erkennen und wurde ins Transkript mit aufgenommen. Da diese Angaben relativ kurz sind, 339 In Einzelfällen machten das die Proband/-innen selbst. Die meisten Interviews wurden jedoch von einer Mit- arbeiterin dieses Projektes gegengelesen. 169 blähen sie das Interview nicht wesentlich auf (siehe Kaufmann 1999:74). Gleichzeitig wurden die Interviewten so zu ihrer Zeit und Tätigkeit als Missionare gelenkt und fanden einen natür- lichen Start in ihre Erzählungen. Nach der zweiten Interviewserie mit insgesamt elf Interviews war deutlich, dass noch keine thematische Sättigung erreicht worden war. In den vielen verschiedenen Gesprächen zu Beginn meiner Forschungsarbeit hatte ich viele verschiedene Geschichten von unterschiedli- chen Missionar/-innen gehört, die sich in den bereits aufgezeichneten Interviews so nicht wi- derspiegelten. Allerdings kann nur eine annähernde thematische Sättigung angestrebt werden, denn man muss die Interviewphase zeitlich begrenzen (:41). In der dritten Interviewserie nutzte ich eine im Idea Spektrum Magazin (2013b:8) aufge- führten Liste der zehn größten Missionswerke Deutschlands, die dort in einem Ranking nach der Zahl der Mitarbeiter aufgeführt waren, um weitere Probanden zu finden. Von dieser Auf- listung ausgehend, schrieb ich weitere Missionswerke an. Dabei wählte ich die aus, von denen ich bisher keine Missionar/-innen interviewt hatte. Ein Missionswerk schrieb mir, dass aus Datenschutzgründen keine Verbindung zu Missionaren hergestellt werden könnte (als Anlage 10 beigefügt). Ein anderes Missionswerk wollte Kontakt zu Missionaren herstellen, aber in der Folgezeit meldete sich kein Missionar dieser Missionsgesellschaft bei mir. Bei den ande- ren Missionsgesellschaften traf ich eine unterschiedlich intensive Bereitschaft an. Zwei Mis- sionswerke gaben meine Suche nach Interviewpartnern nur vereinzelt weiter, drei andere rea- gierten mit hohem Einsatz und eröffneten mir unterschiedliche Zugangswege zu ihren Missi- onar/-innen. In der dritten Interviewphase änderte ich die Strategie im Vorfeld des Interviews deut- lich. Vorab wurden alle Missionar/-innen per Mail von ihren Missionsleitern oder mir darüber informiert, dass ich über Beziehungsgeflechte in der Mission schreibe und dabei eine Facette der Beziehungsdynamik zwischen männlichen und weiblichen, Singlemissionarinnen und verheirateten Missionaren untersuche. Aus der Erfahrung heraus, dass nicht alle Missionare erotisierte Beziehungen erlebt oder wahrgenommen haben, habe ich ab diesem Zeitpunkt ein telefonisches Vorgespräch mit den Missionar/-innen geführt, wenn sich Missionar/-innen grundsätzlich erst einmal zu einem Interview bereit erklärten. In dieser Phase meldeten sich auf meine E-Mail auch zwei männliche Singlemissionare. Beide hatten sich auf dem Missi- onsfeld verliebt, aber in beiden Fällen verliefen die sich anbahnenden Beziehungen im Sinne des Themas dieser Arbeit unproblematisch, weil ein Singlemann auf eine Singlefrau traf. Da- mit kamen sie für Interviews nicht in Frage, da ich speziell dort Erotisierungen suchte, wo sie nicht sein sollte. Im telefonischen Vorgespräch wurde das Thema der Arbeit genannt und 170 nach möglichen Erlebnissen gefragt. Dabei wurden, bei Rückfragen, beispielhaft Szenen auf- gezeigt, in denen Erotisierung stattfinden könnte. Bei ca. der Hälfe der telefonischen Vorge- spräche wurde dann ein konkreter Interviewtermin vereinbart. Alle anderen potentiellen Pro- banden erklärten, keine Erlebnisse zur Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht zu haben oder wollten kein Interview geben, weil ihre Informationen aus seelsorgerlichen Gesprächen stammten (zwei Personen). Eine Person lehnte ein Interview ab, weil ihr das Thema jetzt zu nahe gehe. Zu einem anderen Zeitpunkt wäre ein Interview aber vielleicht möglich. Neben den äußerlichen Veränderungen (die Einführung von telefonischen Vorgesprä- chen, der veränderte Umgang mit dem Wort „erotisiert“), gab es auch inhaltliche Verände- rungen im Fragestil. Bei den ersten Interviews war ich noch sehr eingeengt von der Angst, etwas falsch zu machen und davon, die Gespräche eventuell zu sehr zu lenken. Den Fragestil aus meinem Berufsalltag als seelsorgerlich-psychologische Beraterin mit in eine wissenschaft- liche Arbeit zu nehmen, gelang daher zuerst nur zaghaft. Allerdings konnte ich mich davon zunehmend befreien und meine individuellen Fragen wurden spezieller, bohrender und ziel- führender. Das galt besonders für die Interviewteile, in denen es um die persönlichen Gefühle ging. Es geschah auch immer wieder, dass Interviewpartner weitere Beispiele von sich selbst und anderen für Erotisierung schilderten und auch, dass sie sich selbst während des Interviews besser verstehen lernten. All diese Veränderungen zeigen den Einfluss des Forschens auf die Forschung an sich. Aber sie zeigen auch, dass die Probanden wirklich ins Nachdenken ge- kommen sind und die Interviews Inhalte entlockten, die nicht sogleich auf der Hand lagen. Vier Interviews wurde auf Wunsch der Eheleute hin mit beiden Partnern zugleich ge- führt. Beim ersten zeitgleich interviewten Ehepaar stellte sich am Ende die Frage, ob die Ehe- frau von manchen Aussagen ihres Mannes überrascht war, und sie formulierte, sie habe nun Gesprächsbedarf mit ihrem Ehemann. Eigentlich beschloss ich dann, Eheleute nicht mehr gemeinsam zu interviewen. Beim nächsten Besuch eines Ehepaars wurde dann aber sehr bald deutlich, dass beide Ehepartner zwar zu getrennten Gesprächen bereit wären, aber das unna- türlich und überhaupt nicht nötig fanden. So ließ ich mich wieder auf ein gemeinsames Ge- spräch mit den Eheleuten ein. Aus der Rückschau betrachtet wurde dadurch die Dynamik in der Ehe aus dem erotisierten Beziehungsgeflecht viel klarer. Gleichzeitig konnten Mutma- ßungen, was jeweils bei dem anderen Partner abgelaufen ist, direkt überprüft werden. Das steigerte wiederum die Qualität. Allerdings habe ich den Eheleuten vorher gesagt, dass meine Rolle jetzt die einer Wissenschaftlerin sei und nicht die einer seelsorgerlich-psychologischen Beraterin. Wenn sich also im Interview Baustellen aus der Ehebeziehung aufzeigen würden, 171 dann würde ich diese nicht mit ihnen bearbeiten. Bei drei Interviews hatten die Eheleute die Situationen vorher schon ausführlich gemeinsam reflektiert und bearbeitet. Das führte insge- samt zu einer großen Offenheit. Diese Offenheit konnte ich auch bei Singles feststellen. Besonders dann, wenn sie ihre eigene Situation reflektiert hatten. Für die Offenheit war es unabhängig, ob die Probanden mit mir bekannt waren oder nicht. Ganz persönliche Geschichten und Offenheit begegnete mir da, wo das Erlebte bearbeitet und reflektiert war. Nach Abschluss des Interviews bedankte ich mich bei allen Interviewpartnern (das ist nicht immer aufgezeichnet) und besprach das weitere Vorgehen (Umgang mit dem Transkript) erneut mit ihnen. 6.2.3. Das Interview Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, die Facetten und die Dynamik durch unerwünschte, hete- rosexuelle (subtile oder offensichtliche) Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht zu verstehen und aufzuzeigen, welche Präventionsmaßnahmen die Missionar/-innen als hilf- reich betrachten. Die Interviewpartner/-innen hatten in den unterschiedlichen Interviewphasen unter- schiedliche Vorinformationen zum Thema der Arbeit (siehe 6.2.1), weil sich das Wort „eroti- siert“ als schwierig herausstellte. Um die Interviews zielgerecht führen zu können, muss be- sonders darauf geachtet werden, dass das Wort „erotisiert“ im Sinne des zu untersuchenden Themas von den Proband/-innen gefüllt wurde.340 Zum Einstieg wurden der Familienstand, die Anzahl der Jahre auf dem Missionsfeld sowie das Alter der interviewten Person erfragt. Um von Missionar/-innen aus der Praxis praktische Hilfestellung für die Praxis zu erhalten, wird im Interview auch Folgendes themati- siert werden: Erstens, welchen Einfluss hatte das Erlebnis auf die Missionsarbeit und zwei- tens, was hätte geholfen oder drittens was hätte positiven Einfluss gehabt? Die ursprünglich angedachte Menge an Interviewpartnern (fünf weibliche Singles, fünf verheiratete Frauen und fünf Ehemänner) habe ich nach der Beschäftigung mit der Theorie zu verstehenden Interviews verworfen (nach Kaufmann 1999:42),341 da diese Festlegung viel zu einengend war. Bei der empirischen Forschung sollte ein gewisser Sättigungsgrad erreicht werden, so, dass nichts oder kaum mehr Neues aus den Interviews herausgeholt werden kann. 340 Worte, die den Wortstamm „Erotik“ enthalten, lösen leicht Phantasien aus. Hierzu habe ich in der Vergan- genheit vielfältige Erfahrungen gemacht. Sehr schnell wurde über den Umgang mit Pornographie, sexuelle Grenzüberschreitung oder Ausschweifungen, Inzest, Homosexualität u.a. nachgedacht. 341 So wurde es als Forschungsplan in meinen Proposal dargestellt. 172 Daher durfte die Anzahl der Proband/-innen nicht im Voraus festgelegt sein. Das macht die Ergebnisse intern valide. Dabei soll im Blick bleiben, dass die Aufgabe der qualitativen Me- thoden eher darin besteht zu verstehen, als systematisch zu beschreiben oder zu messen (:43). Bei den Interviews von Missionaren und Missionarinnen wurde eine passiv-narrative Frageform angewandt, damit die Befragten möglichst viel Freiraum hatten. Die Probanden werden aufgefordert, frei zu erzählen, die Inhalte im Gespräch zu entwickeln (Hopf 2004:355) und sollen dabei möglichst wenig gelenkt werden. Passiv-narrativ bedeutet, dass die Inter- views für diese Arbeit ohne detaillierten Leitfaden stattfinden. Die narrative Frageform wird auch für leitfadengestützte Interviews angewandt. Basisfragen waren:  Was für Erotisierungen haben Sie/hast du in Ihre/deiner aktiven Missionar/-innenzeit erlebt?  Welche Folgen hatte die Erotisierung für die Mission?  Was wäre in der Situation hilfreich gewesen? Im Interviewbericht soll den Missionar/-innen zunächst passiv zugehört werden. Gleichzeitig muss sich der Interviewer aktiv auf das Interview einlassen, damit die Interview- ten sich auf das Interview einlassen (Kaufmann 1999:25). Dabei werden nicht Theorien über- prüft, sondern zu einem Thema Geschichten erzählt, Meinungen formuliert und/oder Theorien der Interviewten angehört. Nicht Ideologien oder Rationalisierungen werden erfragt, sondern es sollen Gedanken und Erinnerungen preisgegeben werden können, die auf direkte Fragen so nicht geäußert würden, unbewusst oder gar bewusst unterdrückt würden (Hopf 2004:357). Bei einer solch ungezwungen Form der Datenerhebung können Alltagstheorien und Selbstinter- pretationen differenziert und offen erhoben werden (:350). In der Eingangsphase sollen die Haltungen von Neugier, Erwartung, Offenheit bis hin zu einer angemessenen Passivität rei- chen (Kaufmann 1999:32). Die Kunst einer solchen Befragung besteht darin, die Befragung einerseits klar zu leiten, und sich andererseits von den zu Interviewenden leiten zu lassen (:72-73). Eine klare Leitung gibt den Befragten Sicherheit: Hier weiß jemand, was er tut, da ist ein klares Ziel, auf das alles zusteuert. Sich von den Befragten leiten zu lassen ist dann notwendig, wenn die Befrag- ten Exkurse machen, manchmal, weil sie damit einen Punkt verdeutlichen wollen, manchmal, weil sie dabei selbst Schwung für das Thema aufnehmen und manchmal einfach deshalb, weil jemand dazu neigt, ausufernd zu erzählen. Es kann sein, dass ein Umweg, der für die Inter- 173 viewer augenscheinlich keinen Ertrag bringen könnte, ein ganz wesentlicher Baustein wird, der das Interview vertieft. Aus der Beratungssituation ist mir bekannt, dass gerade zu Beginn einer Begegnung oft „seichte“ Geschichten erzählt werden. Damit können Befragte gut her- ausfinden, ob die Interviewer tatsächlich Interesse an der Person haben. Die Form des passiv-narrativen Interviews liegt mir nahe, weil ich als psychologische Beraterin und Seelsorgerin arbeite. In meiner seelsorgerlichen Arbeit geht es darum, dem An- deren genau zuzuhören, seine Geschichte zu erfassen und so wiedergeben zu können, dass der andere sich wirklich verstanden weiß. Diese bereits vorhandene Fertigkeit, die von Kaufmann (1999) gefordert wird, kann ich bei den Interviews hilfreich einsetzen. Bei den Interviews werden die Kompetenzen im aufnehmenden Zuhören mit echtem Schweigen, aktiven und umschreibenden Zuhören eingesetzt (Weisbach 2008:38-58). Auf- nehmendes Zuhören mit echtem Schweigen geschieht, wenn die ganze Aufmerksamkeit des Interviewers, die sich auch körpersprachlich ausdrückt, beim Interviewten ist. Dabei können kleine, zum weitersprechen ermutigende Kommentare wie „Aha“, „Verstehe“, „So?“, „Oh“, „Ach“, usw. eingesetzt werden. Beim umschreibenden Zuhören wird die Interviewerin das Gehörte mit eigenen Worten widergeben. Es ist „die einfachste und sicherste Möglichkeit, Missverständnisse von Anfang an zu vermeiden“ (:44). Die Interviewten werden es als wohl- tuend empfinden. Damit wird das Gespräch aktiv gefördert. Die Interviewten verstehen, dass ihnen nicht nur zugehört wird, sondern auch, dass das Wesentliche ihrer Aussage erfasst wur- de. Das legt ihnen nahe, dass die Interviewerin weiterhin am begonnenen Thema interessiert ist. Satzanfänge wie „Verstehe ich richtig …“, „Ich habe jetzt verstanden …“, „Wenn ich das richtig erfasst habe“ etc. sind hierzu geeignet. Dabei soll die eigene Meinung, Ansicht, Be- wertung oder der Wunsch, eine Frage zu stellen, möglichst außen vor bleiben. Beim aktiven Zuhören wird neben dem, was eine Person sagt, auch einbezogen, wie sie es sagt. Bei der Wiedergabe des Gehörten geht es auch darum, das in Worte zu fassen, was gefühlsmäßig beim anderen mitschwingt. Diese Form des Zuhörens „schafft ein Klima der Verbundenheit und des Vertrauens“ (:49). Aktiv Zuhören kann, wer sich dem Anderen unein- geschränkt zuwendet.342 Ob das umschreibende oder aktive Zuhören gelungen ist, zeigt sich jeweils daran, ob die Probanden das mit den Worten des Interviewers Wiedergegebene bestä- tigen, ergänzen oder ablehnen. So wird es noch während der Interviews für die Probanden möglich sein überprüfen zu können, ob die Interviewerin sie richtig verstanden hat. Das wie- 342 Daher ist aktives Zuhören bei Weissbach (2008:58) auch nicht als Gesprächstechnik beschrieben, sondern als Ausdruck einer aus Respekt und Achtung resultierende Haltung. Gleichwohl ist diese Art des Zuhörens bei den Interviews auch als Gesprächstechnik zu verstehen. 174 derum stärkt das Vertrauen und die Bereitschaft sich zu öffnen. Für Kaufmann (1999:75-77) zeigt sich darin die Empathie der Interviewer, unter der er all die vorher genannten Aspekte zusammenfasst. Außerdem wird Empathie den Interviewer leiten, die richtigen Fragen zu stellen. Denn richtige, sinnvolle und vertiefende Fragen sind ein Resultat aufmerksamen und intensiven Zuhörens (:73). Ebenso geeignet sind Nachhaken (Blenchet & Gotman in Kaufmann 1999:73), eine auch mal längere Pause zuzulassen oder eine Unterbrechung des Interviews, um sich neu zu sammeln (:74). Neben der inhaltlich-theoretischen Kompetenz stellt diese Methode wenig technische Ansprüche an die Interviewer (Hopf 2004:358). Befrager sollten die Interviews autonom durchführen können und in der Lage sein, einzuschätzen, wann was inhaltlich angemessen ist. Die von Kaufmann (:65) bevorzugte Methode mit präzisen und konkreten Fragen an die Pro- band/-innen heranzutreten (und diesen dann in der konkreten Interviewsituation doch mög- lichst nicht zu nutzen) folge ich nicht, da die Erlebnisse und Geschichten der Inter- viewpartner/-innen zu unterschiedlich sein werden, um sie mit einem Interviewleitfaden erfas- sen zu können. Deshalb muss die Bedeutung von unspezifischen Fragen und das Einräumen breiter Artikulationschancen unbedingt erkannt werden (:357). Interviewer sollen den Inter- viewten die Plattform bieten, aufrichtig ihre Selbstdarstellungsaspekte zu inszenieren (Her- manns 2004:364). Die Herausforderung im Interview besteht darin, eine Doppelrolle zu über- nehmen, in der gleichzeitig Empathie und Fremdheit bis hin zu einer absichtlichen Naivität zum Ausdruck zu bringen ist. Interviewer sollen die Interviewten verstehen und sich nicht verleiten lassen zu meinen, die vom Interviewten benutzen Begriffe selbstverständlich zu ver- stehen. „Die Aufgabe von qualitativen Methoden besteht eher darin zu verstehen, als systema- tisch zu beschreiben und zu messen“ (Kaufmann 1999:43). 6.2.4. Die Auswertung der Daten Während die Interviewform stark durch Kaufmann (1999) geprägt war, wurde die Theorien- bildung des Datenmaterials nach der Grounded Theory343 vorgenommen. Die Grounded The- ory ist ein Ansatz aus den Sozialwissenschaften zur systematischen Auswertung von qualita- tiven Interviews (oder Protokollen). Kaufmann (1999) und Strauss & Corbin (1996) unter- scheiden sich in der Verarbeitung des Datenmaterials nur unwesentlich. So bezieht sich Kaufmann (1999:117) z. B. auf Strauss & Corbin (1996) wenn es um die konkreten Hand- 343 Im Deutschen auch als gegenstands- oder datenverankerte Theorienbildung übersetzt (Strauss & Corbin 1995:IX). Man könnte auch sagen, der Forschungsstil dient der Erarbeitung empirischer Daten mittels Theorien- gründung. 175 lungsschritte bei der Datenanalyse geht. Dagegen rät Kaufmann (1999:50-51) ungeübten For- scher/-innen, zuerst ein Konstrukt eines theoretischen Gerüsts zu haben, um in der Material- fülle nicht unterzugehen, statt einfach mit der empirischen Forschung zu starten. In der Grounded Theory besteht der Anspruch, Theorien möglichst induktiv entwickeln zu wollen (Strauss & Corbin 1996:39). Das geschieht im Bewusstsein, dass jeder Wissen, Verzerrungen, Vorannahmen und Denkmuster mitbringt, die dann aber mit der Datenanalyse- technik der Grounded Theory aufgebrochen werden können (:73). Schon der Versuch, sich den Daten möglichst ohne theoretische Vorannahmen zu nähern kann zu allergrößten Schwie- rigkeiten führen. Der Forscher/die Forscherin bedarf einer theoretischen Sensibilität, um rele- vante Daten und signifikante Theorien zu sehen (Kelle & Kluge 1999:17-19). Der direkte Zugriff der Interviewer auf die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklich- keit (:89) soll durch ein geeignetes Auswertungsverfahren abgebildet werden. Daher wurde die Auswertung der Interviews nach der Grounded Theory mit dem Ziel, realitätsnahe Theo- rien entwickeln zu können, vorgenommen, um zu in der Praxis anwendbaren Ergebnissen zu kommen und so die Gefahr durch den „Elfenbeinturm“ (Kritzinger 2001:251) zu minimieren. Dabei geht es eben nicht darum subjektive Sichtweisen zu rekonstruieren, sondern es sollen grundlegende (soziale) Phänomene sichtbar werden. Da die problematischen erotisierten Be- ziehungsgeflechte in der Mission bisher nicht untersucht wurden, erscheint die Theorienbil- dung nach der Grounded Theory geeignet zu sein, diese Facette der Wirklichkeit aus der Mis- sionssituation abzubilden. 6.2.4.1. Die Datenanalyse mit MAXQDA MAXQDA ermöglicht mit professioneller QDA-Software die qualitative Datenanalyse von Texten, Videos, Bildern oder Tabellen, um sie zu codieren und auswerten zu können. MAXQDA begann vor mehr als 20 Jahren das Feld der computergestützten Datenanalyse zu revolutionieren. Die Vier-Fenster-Darstellung des Programms bietet eine gute, an den For- schungsprozess angepasste, Arbeitsoberfläche. So wird intuitives und effektives Arbeiten möglich. Zur Visualisierung folgender Screenshot: 176 Abbildung 7: Screenshot zum Überblick über die Darstellungsoberfläche und -optionen von MAXQDA In der „Liste der Dokumente“ befinden sich alle auszuwertenden Interviews. Im „Do- kument-Browser ist Interview „Frau N“344 geöffnet und kann codiert werden. In der rechten Spalte „Liste der Coadings“ können alle Coadings zu einer Kategorie, hier „Analyse: Eroti- sierte – Singles brauchen Beziehung zu …“, dargestellt werden. Eine Einführung in den Umgang mit MAXQDA fand am 20.03.2013 online statt und wurde bei einem Webinaren (Onlineseminare) am 29.08.2013 weiter aufgebaut. Auf Grund der klaren Struktur von MAXQDA ist die weitere Einarbeitung gut autodidaktisch möglich. Die Bearbeitung der Interviewdaten fand ausschließlich mit der Unterstützung der MAXQDA-Software statt. 344 Zunächst hatte ich die Interviews mit Frau oder Mann und gemäß der Buchstabenreihenfolge des ABC be- nannt. Das erwies sich zunehmend als kompliziert. Die Interviews wurden später, wie bereits in Fußnote 319 erläutert, umbenannt. 177 6.2.4.2. Die Theorienbildung Im Fokus dieser Arbeit sollen die Daten die Phasen der Grounded Theory durchlaufen, um zu einer wirklichkeitsnahen Abbildung der Missionssituation zu kommen. Dabei geht es darum, unerwünschte Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht überhaupt erst einmal wahrzunehmen und zu beschreiben, was Missionar/-innen im Missionskontext erleben, wel- che Folgen das hat und was die Missionar/-innen denken, was ihnen in solchen Situationen nützlich gewesen wäre. Zu Datenverarbeitung wurden zuerst alle auszuwertenden Interviews345 in MAXQDA transportiert. In einem weiteren Arbeitsschritt wurde eine Grobkategorisierung mittels deduk- tiver und induktiver Überschriften angelegt, unter der die nachfolgenden offenen Codierungen thematisch, im Sinne der Interviewthemenblöcke, zuerst nur grobsortiert angesammelt werden konnten. Folgende Grobsortierungen wurden angelegt: 1. Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht: Unter dieser Überschrift wurden die verschiedenen erotisierenden Aspekte aus den Berichten gesammelt und mit passenden Codes versehen. 2. Folgen der Erotisierung: Unter dieser Überschrift wurden die Folgen der Erotisie- rung für Missionare und Missionsfeld codiert. 3. Präventionen: Die Missionar/-innen waren danach befragt worden, was ihnen in der Situation geholfen hätte oder was sie vielleicht vorher hätten wissen sollen. Die Antworten dazu wurden unter dieser Überschrift codiert. Dabei fiel auf, dass die Themenblöcke während der Interviews dicht beieinander formu- liert wurden. Zum eigentlichen Erlebnis befragt, wurden durchaus schon Vorbeugemaßnah- men bzw. Folgen für die Mission genannt. Oft wurden die Themen innerhalb eines Abschnit- tes oder Satzes miteinander verwoben. Beispiele:  M5 (:218-220)346: Die Anfälligkeit würde ich bei mir so analysieren: Wenn ich viel Druck habe, wo ich mir auch mehr Gedanken darüber mache. Und da muss ich mei- ner Frau aber auch meine Bedürfnisse sagen. Der Interviewte formuliert einen möglichen Einstieg zur Erotisierung, nämlich, eine ho- he Arbeitsbelastung oder emotionaler Druck, die sexuellen Druck entstehen lassen. Im nächs- ten Satz formuliert er, welchen präventiven Ausweg er für sich erkannt hat. 345 Alle transkribierten und ausgewerteten Interviews sind als Anlage 20 dieser Arbeit beigefügt. 346 Alle Zitate aus Interviews werden unverändert wiedergegeben, es sei denn, es kommen Füllwörter wie äh, ahm etc. vor. 178  Es zieht mir eigentlich Lebenskraft ab. Obwohl es so stimulierend ist. Keine echte Kraft. Ne? (Fs12:243) In diesem Absatz wird sowohl die Folge der Erotisierung formuliert („Es zieht mir ei- gentlich Lebenskraft ab. … Keine echte Kraft.“) als auch ihre Offenheit für die Erotisierung („Obwohl es so stimulierend ist.“). Auffällig war auch, dass dann, wenn es thematisch um Präventivmaßnahmen gehen sollte, immer wieder neue Geschichten zu Tage kamen, die die Proband/-innen zuerst gar nicht im Fokus hatten und teilweise auch schon vergessen hatten. Beispiel eines spontan eingefügten Berichtes:  Fs12: Mmh. Und mit ihr konnte ich gewisse Dinge dann sehr, sehr gut bespre- chen. Sie hatte z. B. einen Einheimischen, der ihr richtig nachgestellt ist und noch jünger war und was nicht alles. Aber sie war da auch total, ich sage mal, erotisiert. Und sie sagte: „Ich brauch irgend eine Hilfe.“ (Fs12:393-395). Diese Erinnerung wurde gegen Ende des Interviews erzählt, mitten in der Schilderung, wie die Interviewpartnerin später selbst mit erotisierendem Verhalten umging („Und mit ihr konnte ich gewisse Dinge dann sehr, sehr gut besprechen.“). Sie erzählte die Geschichte ihrer späteren Coachingpartnerin („Sie hatte z. B. einen Einheimischen, der ihr richtig nachgestellt ist und noch jünger war und was nicht alles. Aber sie war da auch total, ich sage mal, eroti- siert.“) und deren Lösungsansatz: „Ich brauch irgend eine Hilfe.“  MK: Manchmal knistert es dann zwischen den Frauen, weil es um einen Mann geht oder so. Gibt es da irgendwelche Sachen? Fs4: Da kann ich mich jetzt an nichts erinnern. Aber ich kann mich aber an ei- ne Situation erinnern: Ich hatte einen sehr netten Personalkollegen. … Aber ir- gendwann war mal so eine Situation, wo er irgendwie so eine Bemerkung machte: „Ach ja, da können wir ja nach der Arbeit …“ oder irgendwie so eine Bemerkung … da kann ich mich an keine einzige Situation erinnern. MK: Mh. Auch Ehefrauen die Fs4: Na, eine da, stimmt jetzt grad, nein, nicht knistern. Ich hatte einen Chef. Da ging es drum, … (:17-18 und 22-24) Aus diesem Interviewteil geht hervor, dass Probanden sehr überzeugt davon sein kön- nen, dass sie zum Thema keinen Beitrag zu haben („Da kann ich mich jetzt an nichts erinnern 179 … da kann ich mich an keine einzige Situation erinnern“) – obwohl sie sich ja zu einem Inter- view bereit erklärt haben –, ihnen dann aber dennoch erotisierende Situationen einfallen. Zu Beginn der Sortierung wurde eine vierte Grobkategorie eingeführt: Oberflächliche Sortierung. In dieser Kategorie wurde nach Geschlecht und Familienstand und nach Wer ero- tisiert wen? unterteilt. Unter der Kategorie Wer erotisiert wen? wurde sortiert, von wem die Erotisierung jeweils ausging und wer der/die Adressat/-in war. Letzteres war nicht immer, aber doch häufig, festzustellen. Da Erotisierung durchaus auch kulturelle Wurzeln haben kann, wurde diese Grobkategorie später aufgelöst und unter der Überschrift Erotisierungen durch Kultur nach Kontinenten sortiert und in Grobkategorie 1 mit aufgeführt. Diese Vorsortierung nach Überschriften entsprach der Interviewstruktur, wo nach drei Themenbereichen gefragt wurde: Die Erlebnisse und Geschichten der Missionar/-innen, deren Konsequenzen für die Missionsarbeit und mögliche Präventionsmaßnahmen. Die vierte Kate- gorie in der Grobsortierung diente einem strukturellen Überblick. Im ersten grundlegenden analytischen Schritt wurden die Phänomene benannt und kate- gorisiert. Die Daten werden zunächst mittels „offenem Codieren“ aufbereitet. Die Daten wer- den „in einzelne Teile aufgebrochen, gründlich untersucht, auf Ähnlichkeiten und Unterschie- de hin verglichen, und es werden Fragen und Phänomene gestellt, wie sie sich in den Daten widerspiegeln“ (Strauss & Corbin 1996:44) und in sinnvolle Analyseeinheiten zerlegt (:44-53; Kaufmann 1999:117). Gleichzeitig ist zu beachten, dass die verschiedenen Prozeduren des Codierens („offenes Codieren“, „axiales Codieren“ und „selektives Codieren“) weder klar voneinander getrennt noch zeitlich in getrennten Phasen ablaufen. Vielmehr wird mit diesen Codierformen der un- terschiedliche Umgang mit dem Textmaterial bezeichnet, das von Forscher/-innen zeitgleich verwendet wird, wenngleich der Codiervorgang seinen Anfang beim „offenen Codieren“ nimmt und beim „selektiven Codieren“ enden wird (Flick 2010:387-388). Danach werden die Einheiten Zeile für Zeile durchgegangen und mit den sogenannten W-Fragen angeschaut: Was passiert? Wer sind die Akteure? Welche Rolle spielen sie? Wie interagieren sie? Welche Phänomene werden angesprochen? Wie lange dauert die Situation? Wo findet das Erlebnis statt? Welche Zeitangaben oder Ortsangaben werden gemacht? Wel- che Absichten und Ziele können erkannt werden? Welche Mittel, Wege oder Strategien wer- den dafür genutzt? Dabei ist der Sinn der jeweiligen Frage natürlich vom Phänomen abhän- gig. Dabei werden den Daten so viele Codes wie möglich zugewiesen und entweder konzepti- onelle Kategorien („conceptual codes“), die auf den theoretischen Konzepten basieren oder sog. „In-vivo-Codes“ angelegt. Darunter verstehen Strauss & Corbin (1999:50) das Verwen- 180 den von Begrifflichkeiten, die die Interviewpartner selbst verwendet haben. Diese Codeform ermöglicht einen durch Theorie unverstellten Zugang zu den Sichtweisen der Probanden. Wird mit einer Software wie MAXQDA gearbeitet, entsteht dabei automatisch eine Codeliste, die es auch ermöglicht, in gesonderten Memos Bemerkungen zu den einzelnen Codes festzu- halten; z. B. bei den Coadings zu sorgloser Umgang mit dem anderen Geschlecht das Memo: Weil die Kollegen reagieren und nicht die Menschen in der Kultur. Allerdings muss bei der zur Beantwortung der Fragen der Kontext und das Hinter- grundwissen des Auswerters mit berücksichtigt werden. Die Codierungen werden immer wie- der durch methodische und theoretische Überlegungen und Einfälle zu den Texten ergänzt. Diese werden in Memos festgehalten und am Textrand platziert. Ebenso werden die Phänomene dimensionalisiert (:52) und ein mögliches Feststecken im deskriptives Denken mit der „Flip-Flop-Technik“ (:64-66) überwunden. Dabei können die einzelnen Arbeitsschritte parallel laufen und werden nicht nacheinander abgearbeitet. Vermut- lich wird es auch wichtig sein, immer mal wieder die „rote Fahne zu schwenken“ (:70-71), um Festlegungen und absolut formulierte Meinungsäußerungen hinterfragen zu können, damit diese nicht zur Selbstverständlichkeit werden und auf die wirklichen Tatsachen hin untersucht werden können. Durch diesen Prozess wird es möglich, sich von eigenen oder fremden Vorannahmen zu distanzieren oder sie in Frage zu stellen. So wird es möglich, zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Auf Grund meiner psychologischen Ausbildung habe ich eine gewisse Übung darin, Erzählungen und Aussagen zu hinterfragen. Wenn mir jemand von einer Beobachtung einer erotischen Beziehung berichtete, war z. B. wichtig herauszuarbeiten, ob tatsächlich eine eroti- sierte Beziehung vorlag oder ob die Erotisierung im Kopf meines Interviewpartners/meiner Interviewpartnerin stattgefunden hatte. Ebenso habe ich bei den Interviews immer wieder nach erhärtenden Faktoren gefragt. Dennoch sollen einerseits die Daten die Phasen der Grounded Theory durchlaufen, um zu einer wirklichkeitsnahen Abbildung der Missionsreali- tät zu kommen. Dabei bleibt zu beachten, dass es in dieser Arbeit in erster Linie darum geht, unerwünschte Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht überhaupt erst einmal wahrzunehmen und zu beschreiben, was Missionar/-innen im Missionskontext erleben. Bei der ersten Codierung wurden die Interviews unter zur Hilfenahme der akustischen Aufzeichnungen und der Skripte offen codiert. Dazu wurden alle Interviews angehört und gleichzeitig mitgelesen, da bei der akustischen Wahrnehmung die Emotionen leichter wahr- genommen werden können. Missverständnisse können leichter vermieden werden, da manche Worte, wie z. B. nicht oder ein mündlich angepasster Satz, der nicht der deutschen Gramma- 181 tik entspricht, beim Lesen missverstanden werden könnte. Außerdem wirkt das gesprochene Wort lebendiger (Kaufmann 1999:118). In dieser Phase wurden alle Beobachtungen und Ideen erst einmal festgehalten (:117; Strauss & Corbin 1996:54). Im nächsten Schritt wurden die „Untersuchungseinheiten miteinander verglichen, die ein oder mehrere interessante Kategorien gemeinsam haben“ (Faix 2007:83). Beim theoretical sampling entstanden aus theoretisch bedeutsamen Merkmalen und Ähnlichkeiten sowie rele- vanten Unterschieden neue Kategorien. Kategorienbildung aus theoretischem Vorwissen (selektiv-theoretisches Codieren) z. B. - Männer denken häufig an Sex - Frauen wollen Beziehung - In der Mission gibt es all das, was es sonst auch gibt Entstehung von neuen Kategorien und Subkategorie Kategorienbildung aus z. B. empirischen Daten - direkte Erotisierung (offenes und axiales Codieren) - indirekte Erotisierung - positive Auswirkungen z. B. - persönliche Maßnahmen - Trophäensammler - Autoerotisierung - Spiel mit Erotik Abbildung 8: Bildung von Konzepten und Kategorien beim theoretical sampling; Aufbau der Grafik nach Faix (2007:83) Auch wenn „offenes und axiales Codieren getrennte analytischen Vorgehensweise sind“, (:77) wird zwischen ihnen in der Forschungstätigkeit immer wieder hin und her ge- wechselt. Das „paradigmatische Modell“ (:78-85) ist gewinnbringend, um beim axialen Co- dieren die Codes zu verdichten und zu reduzieren und eher abstrakte Kernkategorien zu fin- den. Gleichzeitig rücken die Beziehungen zwischen den Konzepten in den Mittelpunkt und „mit Hilfe dieser Suchheuristik werden die Kategorien daraufhin untersucht“ (Wenzler- Cremer 2008), ob es sich dabei um auf das Handeln ausgerichtete Phänomene, kausale Be- dingungen für das Phänomen, Kontext und intervenierende Bedingungen, Handlungsstrate- gien oder um Konsequenzen handelt. Im Folgenden wird das Codierparadigma ausgehend von der Forschungsfrage dieser Arbeit in der Theorie dargestellt. 182 Forschungsfrage: Welchen Einfluss hat das Singlesein oder Verheiratetsein von Frauen und Män- nern auf die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Missionaren?  Wie und woran könnte man eine heterosexuelle (auch subtile) Erotisierung im Beziehungs- geflecht erkennen?  Welche Spannungsfelder ergeben sich daraus? Datenmaterial: qualitative Interviews Kontext und - Regelwerk in Missionsgesellschaften intervenierende - Kultursensibilität Bedingungen - geistliche Gemeinschaft im Team Kausale PHÄNOMEN Konsequenzen Bedingungen unerwünschte erotisierte - Gestörte Beziehungen - Singles und verheiratete Beziehungsgeflechte - Eifersucht, Misstrauen Männer und Frauen - Verlassen des leben in Lebens- und Missionsfeldes Arbeitsgemeinschaften - Reifung an eigenem - persönlich unbewusste Fehlverhalten unbearbeitete Themen - Geheimnisse - Strategien zum Umgang Handlungsstrategien - „Schmuddelecken“ mit erotisierten Beziehungs- - Behinderung der Mis- geflechten sind unbekannt - Regeln sionstätigkeit - Tabuthema - Kollegiale Kontrolle - Geistliche Strategien - erotisierte Kultur - Forderung: geistliches Leben - Gescheiterte oder - mit falscher Motivation - sich „am Riemen reißen“ gestärkte Menschen in der Mission - Zerbrochene oder ge - hohe Eigen- und Fremd- stärkte Ehen erwartung Abbildung 9: Codierparadigma mit Übertrag auf die Forschungsarbeit. Inhaltlich: Strauss & Corbin (1996:78-93; Faix 2007:87-93); Grafik: Wenzler-Cremer (2008) „Axiales Kodieren ist ein Prozess des In-Beziehung-Setzens der Subkategorien zu einer Kategorie“ (:92). Dieser komplexe Prozess mit deduktivem und induktivem Denken besteht aus mehreren Schritten. Dabei liegen das Entwickeln und In-Beziehung-Setzen von Katego- rien im Fokus. Das bedeutet, dass jede Kategorie, auch als Phänomen bezeichnet, auf ihre ursächliche Bedingung in Bezug zu den Handlungsstrategien, den Kontext und die intervenie- renden Bedingungen und die Konsequenzen untersucht wird. Die verschiedenen ineinandergreifenden Codierungsprozesse endeten mit 1501 Kodie- rungen, die den vier schon genannten Grobkategorien (Analyse: erotische Beziehungsgeflech- te, Folgen der Erotisierung, Prävention und oberflächliche Sortierung) zugewiesen worden waren. Hinzugekommen waren „weitere unerwünschte Erotisierungen“, die in den Erzählun- 183 gen der Missionar/-innen vorkamen, aber nicht im Fokus dieser Arbeit lagen (z. B. erotische Beziehungen von Einheimischen untereinander in Fs4, FvM5, M10, Fs19). Der gesamte Pro- zess wurde wiederholt und dabei verändert, erweitert, ergänzt und neu zusammengesetzt. Der Codierungsprozess endete mit 1628 Codes. Grobkategorie 1: Die Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht wurden zu- erst in drei Hauptkategorien, mit jeweils weiteren Unterkategorien, zusammengefasst: Allgemeine Aussagen In der Mission ist alles möglich Geistliche Argumente Tabu Befürchtungen und Beobachtungen Direkte Erotisierung Erotisierung ohne Erotik Erotisierende Bemerkungen, Verkupplungsversuche und aktive Erotisierungen Spiel mit dem Feuer Erotisierende Kultur Seitensprung Trophäensammler mit mehreren Frauen im Fokus Indirekte Erotisierung Erotisierung durch Vorbeugung In einer Gastkultur leben Leiter und Erotisierung Anzeichen und Interpretationen Eifersucht Kommunikationshürden Persönlichkeit Singles Herausforderungen und Folge für Ehe und Familie Grobkategorie 2: Die Folgen der Erotisierung konnten in drei Hauptkategorien mit fünf Unterkategorien zusammengeführt werden: Folgen für die Missionssituation Nach außen 184 Missionsgesellschaft Missionarsgemeinschaft Persönlich Auswirkungen positive Auswirkungen negative Auswirkungen Grobkategorie 3: Bei den Präventionen wurden sechs Hauptkategorien herausgebildet: Geistlich Präventiv Besinnung auf christliche Grundwerte Gottesbeziehung pflegen Klarer Ruf Erwartungen an Missionsleitungen Missionsgesellschaft Leiter auf dem Missionsfeld Vorbereitung Ideen für Lernfelder Struktur Einfluss des Beziehungsgeflechtes Hilfen durchs Team Persönliche Maßnahmen Ehesystem Beziehungen Grobkategorie 4, die später in Grobkategorie 1 einfloss: Bei der oberflächlichen Sortierung ist die Sortierung nach Missionaren, verheirateten Missionarinnen und Singlemissionarinnen bereits beschrieben. Die Einteilung „Wer erotisiert wen?“ wurde unterteilt in: Verheiratete Missionarin Ausgang und Ziel Singlemissionarin Ausgang und Ziel Missionar Ausgang und Ziel 185 Im nächsten Schritt wurde diese grobe Einteilung nach den Eigenschaften und der je- weiligen Dimension zu Kernkategorien verbunden (Strauss & Corbin 1996:109), welche im folgenden Kapitelteil in einer veränderten logischen Gliederung mit den wichtigsten analyti- schen Botschaften präsentiert werden (:198, 200) und getragen wurden von der Lust, Neues zu entdecken (Kaufmann 1999:114). Nach der Darlegung der theoretischen Grundlagen zur Empirie folgt nun die Präsentation der Ergebnisse. 186 7. Ergebnisse der empirischen Forschung Im diesem Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Studie dargestellt. Dabei wurde die Struktur der ersten Sortierung der Codings weiter verändert und neu in sinnvollen Themen- blöcken zusammengefasst. Grundsätzlich muss vorab bemerkt werden, dass die Codings in drei Grobkategorien präsentiert werden: 1. Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht 2. Folgen der Erotisierungen 3. Präventionen Darüber hinaus wurden die Codings den Themenkomplexen zu geordnet, die von den Proband/-innen thematisiert worden waren. Daher kommt es immer wieder zu Doppelungen, durch die deutlich wird, dass die Interviews facettenreich waren. Außerdem wurde in den meisten Interviews von mehreren unerwünschten Erotisierungserlebnissen berichtet. 7.1. Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht Zu Beginn der Ergebnisdarstellung sollen die unterschiedlichen Felder der Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht aufgezeigt werden. Wesentliche Blöcke sind dabei: Ero- tisierungen die in Vorannahmen und Verallgemeinerungen lagen, Erotisierung zwischen Mis- sionar/-innen und Einheimischen, Erotisierung im kollegialen Beziehungsgeflecht, Erotisie- rungen, Familienstand und Lebensumstände, Erotisierungsfaktoren und zuletzt weitere Eroti- sierungen aus dem Missionar/-innenumfeld. Der Kapitelteil schließt mit einer Ergebniszu- sammenfassung und Interpretation ab. 7.1.1. Erotisierung durch Vorannahmen und Verallgemeinerungen Manche Missionar/-innen formulierten, mit Vorannahmen und Verallgemeinerungen bezüg- lich Erotisierungen ins Missionsland ausgereist zu sein. Für manche war verirrte Sexualität ein „Ding“, was der Teufel liebend gern benutzte, um etwas zu zerstören (Fv15:116, :129, M16:21). Daher würden gerade Missionare Anfechtungen erleben, die dann verstärkt auftra- ten, wenn sie alleine unterwegs waren (:41-44, :376, Fv9:22). Deshalb bedürfe die Erotisie- rung in jeder Kultur einer erhöhten Aufmerksamkeit (Fv15:116), und es sei „eigentlich fast nicht möglich, einen jungen Singlemann auszusenden“ (M16:446). Mehrere Missionar/-innen formulierten, dass im missionarischen Beziehungsgeflecht bezüglich Erotisierungen ebenso alles möglich sei, wie im heimatlichen Kontext (M10:13, Fv11:60-67, :192, Fs19:247), auch wenn sie das vorher nicht geglaubt hätten (Fv11:65-67). 187 Vieles geschehe allerdings im Verborgenen (FvM5:287, M10:29, Fs12:69) und würde bisher höchstens von vertrauenswürdigen Debriefern und Seelsorgern thematisiert (M10:34). Unerwünschte Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht würden unnatür- lich stark tabuisiert (Fv5:287, Fv6:165-173, Fs8:302, M10:27, Fv12:62-86). Die Beobach- tung, dass sich beim Leben einer anderen Kultur die eigenen Stärken und Schwächen eher vergrößern, gelte auch für Erotisierungsanfälligkeit (Fs18:69). Diese Aussagen implizieren, dass die Voraussetzungen für Erotisierungen im Missionskontext in den Missionar/-innen bereits angelegt sein können, bevor diese aufs Missionsfeld gehen und dann im missionari- schen Beziehungsgeflecht deutlicher hervortreten. Dabei konnte es vorkommen, dass Single- missionarinnen tabuisierend mit Erotisierungsaspekten umgingen und diese nicht ansprachen, weil sie meinten, so etwas solle es nicht geben (Fs12:327-332). Beim Umgang mit Kolleg/- innen aus verschiedenen Ländern konnte es vorkommen, dass diese einer noch viel stärkeren Tabuisierung durch ihre Kultur unterlagen (:89-90). Wenn es zu Erotisierungen kam, war es nicht in allen Missionswerken möglich, diese in Supervisionsgesprächen zu klären, weil Su- pervisionen an sich schon tabuisiert war (Fs19:239). Tabellarische Zusammenfassung: Geistliche Anfechtungen Fv9, Fv15, M16 In der Mission ist alles möglich FvM5, M10, Fv11, Fs12, Fs19 Erotisierungen in der Mission sind tabuisiert Fv5, Fv6, Fs8, M10, Fv12, Fs18, Fs19 Tabelle 1: Vorannahmen und Verallgemeinerungen 7.1.2. Erotisierungen zwischen Missionar/-innen und Einheimischen In der Gastkultur können Missionar/-innen sowohl das Objekt als auch der Ausgangspunkt von Erotisierungen sein. Viele Missionar/-innen berichteten von Erotisierungen durch die Gastkultur bzw. durch Einheimische. Manche Missionar/-innen erotisierten Einheimische bzw. die Gastkultur. In den folgenden Unterkapiteln werden beide Richtungen dargestellt. 7.1.2.1. Die Erotisierung von Missionar/-innen durch die Gastkultur bzw. durch Einheimische Fast alle Interviewpartner/-innen berichteten unabhängig von Geschlecht und Familienstand von einer Erotisierung durch die jeweilige Gastkultur. Dabei hatte die Erotisierung nicht in jedem Fall direkten Einfluss auf die jeweiligen Missionar/-innen. Manche Missionar/-innen 188 mussten sich jedoch intensiv mit personalen Erotisierungen347 durch die Gastkultur auseinan- dersetzen. Die Verteilung der Erotisierungen im Gastland werden im Folgenden nach Konti- nenten aufgeschlüsselt:  Afrika: Fs4, Fv11, Fs14, Fs19, M20, Fv21.  Islamisch-afrikanischer Kontext: Fs7, Fs19.  Asien: Fv8, Fv9, M10, FvM16.  Europa: FvM13, FvM15.  Lateinamerika: FvM5, Fs12, Fs17, Fs18.  Ungenanntes Missionsland: M2, Fv6. Die Missionar/-innen kamen ins Gastland und erlebten eine bis dahin nicht gekannte, starke Erotisierung (Fs12:11-24, M16:8, Fs17:87, Fs18:16). Das war dann eine besondere Herausforderung, wenn die eheliche sexuelle Beziehung Besonderheiten unterlag (:35-36, 101-108, Fv21:10) oder wenn Singles ausreisten (Fs12:11, Fs18:110). Auch wenn Singlefrau- en in männerdominierten Kulturen oft weniger attraktiv wirken als „anders“ und fast als ase- xuell gelten (Müller 2013:140), erleben sie neben personalen Erotisierungen auch die Eroti- sierung durch die Gastkultur, mit der sie irgendwie umgehen und fertig werden müssen. Gleichzeitig war es schwierig, die erotisierenden Indikatoren und Hinweise der fremden Kul- tur zu erfassen. „Meinen die das jetzt ernst? Oder ist das nicht ernst?“ (Fs12:131, so ähnlich auch bei Fs7:38, M16:231). Obwohl man sich gegen eine Erotisierung zu schützen versuchte, war die erotisierte Atmosphäre mit ihrem Einfluss allgegenwärtig (Fs4:32, Fs7:50, Fs17:67, Fs18:111, M20:48-56, :95-99). Ebenso setzten sich die Missionar/-innen auch immer wieder mit den (teilweise befremdlichen) sexuellen Praktiken der Gastkultur auseinander und thema- tisierten diese inhaltlich (M2:28-46, M20:22, :116). In den Interviews Fs1 und M3 wurde kei- ne direkte Erotisierung durch die Gastkultur angesprochen. Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierung ist eine Herausforderung Fs12, M16, Fs17, Fs18, Fv21 Kulturelle Erotisierung ist schwer zu verstehen Fs7, Fs12, M16 Einfluss der Erotisierung ist allgegenwärtig Fs4, Fs7, Fs17, Fs18, M20 Auseinandersetzung mit fremden Sexualpraktiken M2, M20 Tabelle 2: Verallgemeinernde Aussagen zur Erotisierung durch die Gastkultur 347 Unter personaler Erotisierung ist die direkte Erotisierung durch eine Person zu verstehen, in Abgrenzung einer atmosphärischen Erotisierung durch die Gastkultur. 189 Allgemein trugen die geschlechtsspezifischen Umgangsregeln der Gastkultur zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit Erotisierung bei (M10:61-62). Diese Regeln sollten Eroti- sierungen verhindern, und sie wurden mit der Zeit von den Missionar/-innen so internalisiert, dass diese nicht mehr bewusst darüber nachdachten (:123). Jedes Mann-Frau-Zusammensein ohne Begleitperson würde von der Gastkultur erotisiert und mit einer sexuellen Handlung gleichgesetzt (Fs4:26, 32, M5:17, :187, Fs8:75, M10:49, :61-72, Fs14:10, Fs18:16-18, M20:22, :50-58, Fv21:114-119). Daher galt es, solche Situationen zu vermeiden (Fs8:75, M10:65-66). Dabei stellte sich der Umgang mit Hausangestellten als eine besondere Heraus- forderung dar, da hier die Umgangsregeln nicht immer eingehalten werden konnten (Fv21:114). Dennoch musste darauf geachtet werden, dass sich ein Mann und eine Frau nie alleine in einem geschlossenen Raum trafen, nicht alleine mit dem Auto unterwegs waren oder etwas gemeinsam, ohne eine dritte Person, unternahmen. Immer wieder wurde das Prinzip der „of- fenen Türe“ genannt (Fs4:24, M5:175, :187-195, Fs8:180, FvM13:328-332, Fs18:16),348 wenn eine Frau sich mit einem oder mehreren Männern in einem Raum traf.349 Auch dieses Verhalten wurde von den Missionar/-innen im Laufe der Zeit automatisiert und dann als nor- mal betrachtet (M10:123). Der Einfluss von Erotisierung wirkt auf Singlemissionarinnen besonders markant, weil sie sich nicht frei bewegen können (Fs7:20) und mehr Schutz brauchen (Fs19:36, :156). Das schränkt ihre logistischen Möglichkeiten, und auch die von Singlemännern, besonders ein (Fs7:20, :64, M10:159, Fs18:14, Fs19:156). Der Wunsch zu zeigen, dass westliche Christen nicht unmoralisch sind, führt zu einer kontinuierlichen Beschäftigung mit Erotik (Fs7:50). Auch hier sollte jede weitere Person, auch die Anwesenheit eines Kindes, vor Erotisierungen von außen schützen (Fs4:28, M5:13, M15:17, M20:58), nicht aber vor der Erotisierung, die durch die kulturellen Regeln im Missi- onarsbeziehungsgeflecht stattfand. Manche Missionare formulieren im Nachhinein, dass sie im Umgang mit dem anderen Geschlecht in der Gastkultur wohl zu sorglos gewesen seien und dass es zu Erotisierungen gekommen sei, obwohl sich hinter ihrem Verhalten keine Absicht verborgen hätte (M13:45, 348 Die Missionar/-innen, die dieses Prinzip thematisierten, arbeiteten in Afrika, Asien, Europa und Lateinameri- ka. 349 Fs14 berichtet, dass sie häufig alleine mit zwei Männern unterwegs war. Dies wurde, obwohl ihre nordameri- kanischen Mentoren dieses Reiseverhalten überaus unpassend fanden, von einem ihr weisungsbefugten Komitee als sittlich unbedenkliches Verhalten innerhalb der Kultur bewertet. Es war besser für die Missionarin, mit zwei Männern zureisen, als wenn zwei Frauen alleine unterwegs gewesen wären, denen man unterstellen würde, sie seien auf Männersuche (:10). 190 Fv15:52, :92, :176, M15:107-111). Betroffen waren beziehungsorientierte und einsame Mis- sionar/-innen (Fv13:313, M15:98-105). Allerdings wurden solche Begebenheiten nicht nur von der Gastkultur erotisiert, sondern auch von Mitmissionaren (:112-115) – worauf im nächsten Kapitelteil näher eingegangen wird. Singlemissionarinnen, die ausdrücklich formulierten, dass sie enthaltsam leben wollten, waren in ständiger Auseinandersetzung mit Erotisierungen, weil sich die Menschen in der Gastkultur nicht vorstellen konnten, dass Singles „sexuell rein“ sein (F8:72) und gut allein leben können. Nach Müller (2013:138) suchen manche Singlemissionarinnen einen Ausweg darin, zu behaupten, sie hätten Ehemänner und Kinder, die jenseits der Grenzen wohnten. Allerdings müssen sie dann zum einen damit zurechtkommen, dass sie, um sich vor sexuellen oder erotisierenden Übergriffen zu schützen, die Unwahrheit sagen und zum anderen spielen sie eine Erotik vor, die sie nicht ausleben. Sie schützen sich vor sexuellen oder erotisierenden Übergriffen, indem sie so tun, als würden sie in einer sexuellen und erotischen Beziehung leben. Die Schutzmaßnahmen nach außen können so eine stärkere persönliche Auseinander- setzung mit Erotik notwendig werden lassen. „Was erotisiert wird, hängt sehr stark davon ab, was kulturell als Erotisierung oder als erotisch betrachtet wird“ (M10:106). Im asiatischen Kontext war die Zone zwischen den Beinen die erotische Zone. Deshalb, wenn jemand in Ho- sen, eine Frau in Hosen gesehen wird, dann wird sie als aufreizend wahrgenom- men. … Oder wenn, wenn das Kleid oder der Rock so durchsichtig sind, das man den Zwischenraum sieht, das ist, das ist aufreizend. … Da spielt jetzt z. B. die Sei- te, also das, das typische Beispiel ist der Grasrock in dieser Kultur. Der deckt vor- ne und hinten ab. An der Seite ist es frei. Das spielt aber in dem Sinne keine Rol- le. (M10:97-103). Im afrikanisch-muslimischen Kontext führte gerade das, was verdeckt wurde zu einer unterschwelligen Erotisierung (Fs7:70). In Afrika sollte nicht ein knielanger Rock getragen, sondern das ging schon in der Regel knöchel- lang, also mindestens bis zur Wade. Ist jetzt erst mal die Brust der Frau jetzt aus- schließlich von ihrer Mütterlichkeit, also vom Aspekt des Mutterseins und des Er- nährens gesehen. Also es ist gar kein Problem, ein Kind in der Öffentlichkeit zu 191 stillen oder auch im Hof oben ohne rum zu laufen. (Fv21:24).350 Das Kleidungsverhalten der einheimischen Frauen wurde als „sehr offenherzig“ (Fs17:83, Fv21:196) beschrieben, aber auch als ein Stil mit dem die einheimischen Frauen zeigen, dass sie Wert auf ihr Äußeres legen und sie „was aus sich machen“ (:158) und Män- nern gefallen wollen (Fv5:113). Das wirkte besonders, wenn die eigene Ehefrau vor allem zweckmäßiges, „weites, schlabberiges Zeug“ (Fv21:152) trug und sich in der Kleidung durch Zweckmäßigkeit bestimmen ließ (Fv21:156-168). Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierung durch: Geschlechtsspezifische Umgangsregeln M10 Alleinsein von Frau und Mann Fs4, FvM5, Fs8, M10, Fs14, FvM15, Fs18, M20, Fv21 Situation: Hausangestellte FvM15, Fv21 Prinzip: Offene Türe Fs4, M5, Fs8, M10, FvM13, Fs18 Unfreiheit von Singlemissionarinnen Fs7, M10, Fs18, Fs19 westliche, christliche Moral zeigen Fs4, M5, Fs7, M15, M20 Sorglosigkeit in der Gastkultur M13, FvM15 Singlesein Fs8 erogene Zonen Fs7, M10, Fv21 Kleidungsverhalten einheimischer Frauen Fv5, Fs17, Fv21 Tabelle 3: Erotisierungen durch Spezifika der Gastkultur Teilweise wurde von Erotisierungen in einem speziellen kulturellen Kontext berichtet. Das heißt nicht, dass diese Erotisierungen nur in der jeweiligen Kultur stattfinden können. Aber diese Erotisierungen konnten auch nicht ohne Weiteres verallgemeinert oder mit in ei- 350 Dem sei eine soziologische Studie zu erotischen Zonen aus Frankreich gegenübergestellt. In Frankreich (und auch in Deutschland) können Frauen, ohne Erotisierung auszulösen, Hosen tragen. Die Barbusigkeit einer Frau braucht normalerweise eher einen geschlossenen Rahmen. In Deutschland gibt es FKK (Freie Körperkultur) -Strände und -Campingplätze. Diese werden manchmal geduldet, extra ausgewiesen oder sind von blickdichten Zäunen oder Mauern umgeben. Manchmal treten Frauen Oben-ohne in Protestaktionen auf, wie z. B. bei der Gegenreaktion zum „Marsch für das Leben“ was dann auf der einen Seite als mutig, auf der anderen Seite als schamlos bewertet wird (Idea Spektrum Magazin 2013a:9; dpa/sh 2013). Die französische, soziologische Studie des Oben-ohne zeigt widersprüchliche Wünsche und Verhaltensweisen auf (Kaufmann 2006a:52-53). Während die einen diese Form des Sonnenbadens im Kommen sehen, und „Natürlichkeit“ anstreben, nehmen andere an, dass es rückläufig sei, weil sich Frauen damit keinen guten Dienst täten. Insgesamt zeigt die Studie, dass diese Art des Sonnenbadens und damit auch die Art der Nacktheit, keineswegs der natürlichen, französischen Kultur entsprechen. Das zeigen auch die Orte auf, an denen die Befragungen durchgeführt wurden. Das geschah im Wesentlichen an französischen Stränden (:315). Außerdem dreht sich die Studie ausschließlich um das Verhalten beim Sonnenbaden – also den Umgang mit einer Teilnacktheit beim Freizeitverhalten. 192 nen anderen Kontext hineingenommen werden, wenn sie ausschließlich im Zusammenhang mit einem Missionsaufenthalt in einem Kontinent erzählt wurden und sonst in keinem anderen Interview genannt worden waren. Daher werden im Folgenden einige Erotisierungen im Blickwinkel des jeweiligen Kontinents aufgezeigt. Im afrikanischen Kontext erzählten ältere Missionar/-innen, dass Einheimische davon ausgingen, dass alle Singlefrauen zum Leiter gehören und er eine sexuelle Beziehung mit ihnen pflege. Diese Berichte wurden an neue Missionar/-innen weitergegeben, ohne dass sie direkt durch Einheimische bestätigt waren. Daher war nicht nachzuvollziehen, ob die Einhei- mischen das tatsächlich dachten. Auf jeden Fall geschah aber innerhalb des Missionarsteams eine Erotisierung, weil die Teammitglieder dachten, sie würden von den Einheimischen eroti- siert (Fs19:109, M20:107-120). Das hatte Auswirkungen auf zwanglose Treffen von einer Frau und einem Mann, sei es ein gesellschaftlicher Anlass oder auch ein Vorbereitungstreffen (Fs4:30-32). Auch die Tatsache, dass Afrikaner in bestimmten Missionskontexten mehrere Frauen hatten, hatte Einfluss auf die Missionsteams (Fv11:152). Außerdem konnte es erotisie- rend auf Missionare wirken, dass die afrikanischen Frauen in ihrem eigenen Kontext stark, arbeitsfähig und in sich ruhend wirkten. Das habe eine erotisierende Wirkung auf Missionare, denn gleichzeitig stünde die Ehefrau auf dem Missionsfeld häufig im Kampf mit dem heißen Klima, ihrer Gesundheit, dem Fernunterricht der Kinder und anderen, neuen Lebensumstän- den. Das habe die Attraktivität der einheimischen Frauen verstärkt. Die aus den Lebensum- ständen resultierende sexuelle Unlust bei der Ehefrau, habe gelegentlich zu einer Zuspitzung des Problems geführt (Fv21:24). Die Erotisierungen von Missionar/-innen in afrikanisch-islamischen Kulturen zeigte sich darin, dass eine einheimische Frau nie allein unterwegs war, sondern in der Gesellschaft immer mindestens von einer weiteren Frau oder wenigstens von einem Kind begleitet wurde (Fs19:36). Begegnungen zwischen Mann und Frau wurden schnell erotisch oder sexuell aus- gewertet (:18). Eine darüber hinaus gehende Erotisierung erlebte ein Singlemissionar, den eine einhei- mische Prostituierte verführen wollte, indem sie sich gegen seinen Willen Zugang zu seinem Zimmer auf dem Missionsareal verschaffte (:107). Diese Beobachtung kann nur als weitere Erotisierung registriert werden. Sie war der Interviewpartnerin nicht so bekannt, dass daraus weitere Erkenntnisse hätten gewonnen werden können. Die strikte Trennung von Frauen und Männern oder die starke Bedeckung der Frauen führte zu unterschwelligen Erotisierungen (Fs7:70). Das wird bestätigt durch die Muslima Arteș (2009:48) die die muslimische Welt als hoch sexualisiert beschreibt, da das Sexuelle im 193 „Hintergrund zwar stets präsent“ sei, aber es nichts mit positiver Sinnlichkeit zu tun habe. Die Verhüllung und der Ausschluss vom öffentlichen Leben solle die Wirkung der Frauen auf Männer eindämmen, würde aber in Wirklichkeit einen gegenteiligen Effekt haben. Denn wenn sich in diesem Kontext Männer und Frauen begegnen würden, sei die Atmosphäre ext- rem sexuell aufgeladen – eben erotisiert. In Lateinamerika wurde von den Missionarinnen erwartet, dass sie sich dem Spiel mit der Erotik öffnen, denn „wenn man sich völlig verschließt ist man in der Kultur total daneben. Man muss also auch lernen, ein bisschen die Hüfte zu schwingen und zu sagen: `Ah, danke schön!´ Ja? Aber mit mir hat das was gemacht“ (Fs12:24). In einem Land des asiatischen Kulturraums erlebe jeder Mann die erotisierte und eroti- sierende Kultur als besondere Herausforderung (M16:421-425). Diese verallgemeinernde Hervorhebung unterschied sich in der Intensität deutlich von den Berichten anderer Kontinen- te. In zwei Interviews wurde berichtet, dass Frauen mit der Bitte um einen sexuellen Akt bis zum Hotelzimmer vorgedrungen seien (Fv9:22, M16:41-45). Von Missionar/-innen aus europäischen Missionsländern wurde formuliert, dass Männer eines Missionslandes dazu tendieren, eheliche Treue bei sich selbst und anderen nicht so ernst zu nehmen und sie deshalb vor der Ehebeziehung einer Missionarin auch keinen Halt machten (FvM13:52).351 Die Missionarin berichtete davon, dass sie zwar bemerkt habe, dass der ver- heiratete Einheimische mehr von ihr wolle und sie sich dabei unwohl fühlte, dennoch folgte sie seinen Einladungen z. B. zu einer Autotour (:24-25). Eines Tage habe ihr der Einheimi- sche „sozusagen auf der Treppe einen Kuss ge-klaut, sagen wir es mal, oder mir einen gege- ben“ (:27).352 351 Ein Missionar, der im afrikanischen Kontext arbeitete, berichtete: „Verheiratet, das ist schon eine Grenze. Das ist schon ein Schutz“ (M20:106). Aus den Interviews können keine Rückschlüsse gezogen werden, in wie weit diese Aussage verallgemeinert werden kann. 352 Das Wort „ge-klaut“ wird so wiedergegen, weil die Interviewpartnerin bei diesem Wort „stolperte“. 194 Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierung in durch Afrika Islamisches Afrika  Denken, was die Afrikaner über die Sexual- praktiken der Missionar/-innen denken  Polygamie  starke afrikanische Frauen  Bewegungseinschränkung von Frauen in der Öffentlichkeit  Prostitution  Kleidervorschriften (inkl. strikter Trennung der Geschlechter) Fs4, Fs19, M20 Fs11 Fv21 Fs19 Fs19 Fs7 Lateinamerika Spiel mit der Erotik Fs12 Asien  erotisierte und erotisierende Atmosphäre  sexuelle Angebote FvM16 Fv9, FvM16 Europa Grenzüberschreitungen FvM13 Tabelle 4: Erotisierungen im Zusammenhang mit bestimmten Kontinenten In 15 von 21 Interviews berichteten Missionar/-innen von personalen Erotisierungser- lebnissen bei sich selbst oder bei anderen. Männer oder Frauen der Gastkultur versuchten ak- tiv zu erobern (Fv5:113, Fv9:22, M10:57-58, Fs12:393, Fv13:123, FvM15:44-46, FvM16:222-226, Fs18:16-18, Fs19:107, M20:122, Fv21:196). Die Missionar/-innen interpre- tierten, dass für Einheimische eine Beziehung oder Partnerschaft mit Ausländern durchaus als attraktiv (Fs7:40, 44, M10:49, M15:124-126, Fs19:132, Fv21:12, :128-130), Halt gebend (M15:117) oder als exotisch betrachtet würde, z. B. weil äußerliche oder sprachliche Unter- schiede spannend wirken würden (:44, Fv13:123, Fs17:79-80). Das sei manchmal mit dem Wunsch nach einem weißen Mann verknüpft, mit dem dann auch ein hellhäutiges Baby mög- lich wäre (:81). Daher könnten Missionare bei einheimischen Frauen und Mädchen auslösen, dass sie gemocht würden und eine Heirat als Option betrachtet würde (FvM15:170). Verein- zelt wurden für Erotisierungen durch die Gastkultur keine kulturellen Gründe gefunden (Fv6). 195 Tabellarische Gegenüberstellung: Erotisierung durch die kulturelle Atmosphäre Personale Erotisierung durch Einheimische Afrika: Islamisch-afrikanischer Kontext: Lateinamerika: Asien: Europa: Ungenanntes Missionsland: Fs4, Fv11, Fs14, Fs19, M20, Fv21 Fs7, Fs19 FvM5, Fs12, Fs17, Fs18 Fv8, Fv9, M10, FvM16 FvM13, FvM15 M2 M20, Fv21 Fs7, Fs19 Fv5, Fs12, Fs17, Fs18 Fs8, Fv9, M10, FvM16 FvM13, FvM15 Fv6 Tabelle 5: Kulturelle und personale Erotisierung innerhalb der Gastkultur Erotisierungen von  Singlemissionarinnen durch Einheimische wurden in Fs7 (:38), Fs8 (:20, :130-149), Fs12 (:393-395), Fs17 (:69), Fs18 (:18) und M20 (:102-104) berichtet,  von einem Singlemissionar in Fs19 (:107-109),  von Missionaren in den Interviews Fv6 (:122), Fv9 (:22-26), M10 (:57), FvM15 (:107-111), FvM16 (:45) und Fv21 (:128-130, :196-197) und  von einer verheirateten Missionarin in Fv13 (:18). Von drei Proband/-innen wurde die Erotisierung im Gastland als intensiver als in Deutschland, auch durch stärkere Medienpräsenz, beschrieben (Fs12:8, M16:8, Fs17:87), ein Proband beschrieb die Herausforderung in Deutschland als höher, denn im Gastland wusste man „was geht und was geht nicht“ (M10:185). Wie stark die Erotisierung wirklich war, wur- de manchen Missionar/-innen erst nach ihrer Rückkehr so richtig bewusst. Sie merkten es daran, dass eine Erotisierung in Deutschland kein so intensives Thema mehr war (Fs12:155,353 M15:69, Fs18:20). 7.1.2.2. Die Erotisierung Einheimischer durch Missionar/-innen Manchmal geschah es, dass Missionar/-innen die Gastkultur oder Einheimische erotisierten. Eine Erotisierung der Gastkultur lag zum Beispiel vor, wenn Missionar/-innen immerzu über- legten, ob ein Verhalten auf die Gastkultur erotisierend wirken könnte oder nicht. Das Ziel war, eine Erotisierung durch die Gastkultur zu vermeiden. Der Preis dafür war, dass damit die Gastkultur und das missionarische Beziehungsgeflecht gleich mit erotisiert wurden (M20:23- 25). 353 Wobei Fs12 (:155) durchaus bewusst ist, dass sie inzwischen älter geworden war. 196 Die Fremdheit der Gastkultur trug auch von Seiten der Missionar/-innen zu einer stärke- ren Anziehungskraft oder Erotisierung bei (M10:49-50, M15:124-126, Fs17:81, Fv21:12, :46). Erotisiert wurden Menschen der Gastkultur, die durch den unterschiedlichen ethnischen Hintergrund anders im Aussehen und Verhalten waren, als die Menschen der eigenen Kultur (Fv21:12). Erotisierungen durch Missionar/-innen in der Gastkultur geschahen durch:  die Vormachtstellung, die den (häufiger männlichen) Missionaren eine höhere Posi- tion verlieh, auf die sie aber wiederum nicht pochten,  die andere Hautfarbe und  die Leitungsfunktionen an sich, die den Missionaren eine anerkannte Rolle gab.  Außerdem wurde vermutet, dass die männlichen Missionare von einheimischen Frauen als zugewandt, sensibel und emphatisch erlebt wurden (:36-39). Manchmal wurden Einheimische erotisiert, wenn sie, in einer stark erotisierten Gastkul- tur lebend, die eigene Kultur durchbrachen. „Das fand ich irgendwo anziehend und faszinie- rend. Weil sie ein Stück anders war, ne?“ (M16:247). Ebenso konnte die Inkulturation erotisierenden Charakter annehmen. Das war passiv der Fall, wenn Missionar/-innen das Verhalten in der eigenen Kultur mit der Zeit als unschicklich empfanden (M10:113) oder aktiv, wenn bei dem Wunsch nach Inkulturation die Distanz ver- loren ging: „sie hat sich so sehr auf die Kultur einlassen wollen, in einem ganz, eigentlich, ja sie hat es gut gemeint, aber hat dann auch den Kontakt zu Afrikanern so eng gesucht, dass sie nachher auch eine Beziehung zu einem Mann, zu einem Single, Mitarbeiter hatte. Die dann so eng war, so, so kulturnah (lachen) war, dass die beiden dann eine Beziehung angefangen ha- ben. Und dann auch eine intime Beziehung“ (F11:146, :154-156). Eine Beziehung zwischen einem Missionar und einer einheimischen Hausangestellten (Fv21:8) könnte begünstigt werden, weil es manche afrikanischen Frauen gewohnt seien, dass mit ihnen etwas geschehe (:18). Der weiße Missionar habe auf Grund seiner leitenden Funkti- on ein starkes Ansehen und war außerdem der Arbeitgeber (:12-14). Welchen Einfluss dieses Machtgefälle auf die konkret betroffene Frau hatte, entzog sich der Kenntnis der Probandin. Allerdings war sie sicher, dass die Schamkultur354 den sexuellen Kontakt begünstigt, denn „Wenn es keiner mitkriegt, dann ist es auch nicht schlimm. … Das … arbeitet der Heimlich- keit noch mal zu“ (:16-18). Während ein Ehepaar berichtete, dass der Mann nie mit der Haus- angestellten alleine im Haus gewesen sei (mindestens eins der Kinder musste im Haus sein) 354 Die Schamkultur ist ein komplexes, facettenreiches Gebilde und muss in seinem kulturellen und religiösen Kontext verstanden werden (Müller 2009). 197 (FvM15:7-18), wurde das nicht in jeder Situation als lebbar bezeichnet (Fv21:20). Denn gera- de, wenn die verheiratete Missionarin längere Zeit unterwegs war, sollte der Haushalt von der Angestellten weitergeführt werden (:122). Die Probandin berichtete von zwei verschiedenen Situationen, in denen es zu sexuellen Kontakt zwischen weiblichen Hausangestellten und ei- nem verheirateten Missionar gekommen war (:8, :196). In einer Situation wurde die Hausan- gestellte als passiv, in der anderen als aktiv erotisierend dargestellt. Gleichzeitig hätten die Menschen im Missionsland viel mehr Verständnis für eine au- ßereheliche erotische Beziehung als die Deutschen. Wären einheimische Männer untreu, wür- de das häufig mit: „Das sind ja Männer!“ (:88) abgetan. Man würde von ihnen keine Absti- nenz erwarten, besonders dann nicht, wenn sie lange alleine unterwegs wären. Diese höhere Bereitschaft außerehelichen Sexualverkehr zu tolerieren, wurde zum Teil auch auf Missionare übertragen (:86-94). Eine andere Missionarin, im gleichen Kontinent tätig, formulierte dage- gen, dass eine außereheliche Beziehung eine Unsitte und ein Tabubruch sei, besonders bei dem Vorbildcharakter von Missionaren (Fv11:174-177). Offen blieb, welche Bedeutung das Geschlecht der ehebrechenden Missionar/-innen hatte, denn in Fv21 ging ein Missionar eine sexuelle Beziehung zu einer Hausangestellten ein (:8), in Fv11 nahm eine verheiratete Missi- onarin eine sexuelle Beziehung zu einem einheimischen Mitarbeiter auf (:146). Gelegentlich wurden eigene emotionale Missstimmungen mit der aktiven (Fv6:54) oder passiven (Fv16:155-157) Erotisierung von Einheimischen ausgeglichen. Eine Singlemissionarin hatte mit einer Beziehung zu einem einheimischen Single Ta- bus gebrochen und damit die Regeln und Normen der Kultur verletzt (Fs7:42). Problematisch war dabei, dass die strengen Regeln des Zusammenlebens der Einheimischen nicht verbali- siert worden und daher vermutlich stärker präsent waren, als im deutschen Kontext (:72). Al- lein die hypothetische Annahme, dass ein Missionar eine Einheimische zu deren Sicherheit nach Hause begleite (z. B. nach einer Veranstaltung), interpretierte ein Missionar als kulturel- len Tabubruch (M10:69). 198 Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierung Einheimischer durch: Ausgangsannahme M20 Fremdheit M10, M15, Fs17, Fv21 durchbrochene Gastkultur M16 Inkulturation passiv: M10 aktiv: Fv11 Tabu Fs7, M10 eigene Befindlichkeit Fv6, Fv16 Anstellungsverhältnis M15, Fv21 Tabelle 6: Erotisierungen in der Gastkultur durch Missionar/-innen Erotisierungen, die von Missionaren ausgingen, konnten in Fv6 (:56), FvM15 (18, :187-193), M16 (:241) und Fv21 (:8, :196), von verheirateten Missionarinnen ausgehend in Fv11 (:146, :171) und Fv16 (:155-157) und von Singlemissionarinnen ausgehend in Fs7 (:40- 42) und Fs17 (:45-47) beobachtet werden. Tabellarische Zusammenfassung: Ausgang Missionar Verheiratete Missionarin Singlemissionarin Zielper- son verheira- tete Frau Fv6 Single FvM15, M16 Hausan- gestellte FvM15 Fv21 aktiv Fv21 passiv Single- mann Fv11 Männer allgemein Fv16 Single- mann Fs7, Fs17 Tabelle 7: Ausgang und Ziel von aktiven Erotisierungen durch Missionar/-innen 7.1.3. Erotisierungen im kollegialen Beziehungsgeflecht In diesem Kapitelteil werden die Erotisierungen im kollegialen Beziehungsgeflecht beschrie- ben. Diese Erotisierungen kamen in den Interviews relativ häufig vor und belasteten die Mis- sionar/-innen, weil sie nicht damit umzugehen wussten. Im ersten Teil werden Erotisierungen durch Kolleg/-innen beschrieben. Im zweiten Teil die Erotisierung durch Vorbeugung, das Spiel mit der Erotisierung und Erotisierungen ohne Erotik. Um den Facettenreichtum der Ero- tisierungsvielfalt gerecht zu werden, kommt es auch hier immer wieder zu Doppelungen. Erotisierung durch Kolleg/-innen: Es ist in der Natur der Interviewgestaltung verankert, dass alle Proband/-innen eine, wie auch immer geartete Erotisierung erlebten. Viele Missio- 199 nar/-innen berichteten dabei von Erotisierungen innerhalb des Kollegenkreises (Ausnahmen: Fv6, FvM13, Fv21), die von deutschen, nordamerikanischen, afrikanischen oder einheimi- schen Missionarskolleg/-innen und von Leitern in der deutschen Missionsgesellschaft aus- ging. Einige Proband/-innen erzählten gleich mehrere unterschiedliche Geschichten von ver- schiedenen Personen, die erotisiert hatten oder erotisiert worden waren (z. B. Fs8, Fv11). Die- se Art der Erotisierungen betraf Singlemissionarinnen und Missionare. In folgenden Inter- views berichteten die Probanden von Erotisierungen: Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierung durch deutsche Kolleg/-innen Fs1, M2, M3, FvM5, Fv9, M10, Fv11, FvM16, Fs19, M20 deutsche Missionsgesellschaft Fs17, Fs19 nordamerikanische Kolleg/-innen Fs4, FvM5, Fs7, Fs8, Fs12, FvM15, Fs17, Fs18, Fs19 afrikanische Kolleg/-innen Fs14, Fs19 asiatische Kolleg/-innen Fs8 einheimische Kolleg/-innen ungenannter Kultur M2 Tabelle 8: Kollegiale Erotisierungen Die Probanden berichteten von passiven und aktiven Erotisierungen. Unter einer aktiven Erotisierung wird das aktiv-erotisierende Eingreifen eines Kollegen/einer Kollegin in das Le- ben von Mitmissionaren verstanden. Wenn die Erotisierung vor allem im Kopf des Missionars/der Missionarin oder subtil stattfand, kann von passiven Erotisierungen gesprochen werden. Dann werden Verhaltenswei- sen mit Erotik verbunden, die man auch anders hätte interpretieren können, z. B.: „Da ist ein Funke übergesprungen“ (M5:185), „Sie wollte, dass der (Ehemann) bei ihr ans Bett kommt“ (Fv11:8) oder dass „man den Eindruck hatte, die brauchen jetzt einfach mal auch den An- sprechpartner als Mann jetzt, nicht nur als Chef, sondern ein Mann. Das tut ihnen gut, wenn sie da jetzt eben auch eine Beziehung pflegen können“ (Fv9:15). In folgenden Interviews wurde von passiver und/oder aktiver Erotisierung berichtet:  Passive Erotisierung: Fs1, M2, M3, FvM5, Fs7, Fs8, Fv9, M10, Fv11, FvM16, Fs19  Aktive Erotisierung: M2, Fs4, FvM5, Fs12, Fs14, FvM15, Fs17, Fs18, Fs19, M20 Erotisierungen durch deutsche Mitmissionar/-innen waren mehrheitlich, aber nicht aus- schließlich (Ausnahmen: M20:8) passiv. Die einzige gefundene aktive Erotisierung fand unter Singlemissionarinnen statt, bei der eine Singlemissionarin einer anderen eine Beziehung un- 200 terstellte und mit Kolleg/-innen über ihre Vermutung sprach (:10). D. h. die einzig beobacht- bare aktive Erotisierung war eine Erotisierung ohne Erotik, in der M20 einen falschen Be- schützerinstinkt sah (:14). In zwei Interviews wurde eine Erotisierung durch die Missionsge- sellschaft thematisiert. Eine Probandin berichtete, dass in einem Gebetskreis dafür gebetet werden sollte, dass sie einen Mann finden sollte (Fs17:43). Sie selbst hatte kein solches An- liegen, wurde aber aktiv mit diesem Gebetsanliegen erotisiert. Eine andere Singlemissionarin musste sich im Rahmen einer Personalentscheidung mit einer passiven Erotisierung auseinan- dersetzen, weil sie nicht an dem von ihr gewünschten Einsatzort arbeiten durfte. Sie vermute- te, dass eine verheiratete Missionarin interveniert hatte und in der Missionsleitung beschlos- sen worden war, die Zusammenarbeit des Missionarsehepaares mit der Singlemissionarin sei der verheirateten Missionarin nicht zuzumuten (Fs19:38-42). Erotisierungen durch die nordamerikanischen Kolleg/-innen waren mehrheitlich, aber nicht ausschließlich, aktiv und manchmal sehr direkt. Zum Beispiel: Für mich war das in dem Moment wirklich Erotik pur … Mir war irgendwie klar, hier, hier geht irgendwas ab. Ja? An Blicken, an Gesten und dann mussten wir noch in so einem ganz engen Taxi zusammen fahren und das war schon ... boha. Das gibt es überhaupt nicht. Das hat mich völlig überrascht. … Wir sind dann noch was Trinken gegangen. Und die Bedienung sagte: „Na, wie lange sind Sie denn schon verheiratet?“ Wir guckten uns an. „Wir sind gar nicht verheiratet.“ „Das würde man nicht denken!“ sagte sie, „Sie passen so gut zusammen. Sie ma- chen den Eindruck als wären Sie schon immer zusammen. … Und das Verrückte war, ihm ging es genauso. Und er hat dann immer wieder zugesehen, dass er mich sehen konnte. Und das war nicht einfach. (Fs12:29-47) Zur Erotisierung durch nordamerikanische Kolleg/-innen im Folgenden Auszüge aus verschiedenen Interviews, um die Facetten der unterschiedlichen Erotisierungsarten zu ver- deutlichen:  „Dann kam dann ein (Nordamerikaner) auf mich zu und hat gefragt, ob ich ein Ver- hältnis mit oder mit einer jungen Dame hätte? Kein Verhältnis, sondern ob ich ver- liebt wäre und ähm, weil ich immer, scheint für ihn, ja immer um sie, mit ihr rum flirte“ (M15:11). Der Missionar selbst war sich keiner Schuld bewusst. Und auch seine, beim Interview anwesende Frau, sah keine Anzeichen für eine Erotisierung (Fv15:21). Beiden wurde durch dieses Feedback aber bewusst, dass das zwischen- menschliche Nähe- und Distanzverhalten in der Gastkultur sich deutlich vom deut- schen, wie auch nordamerikanischen Kontext, unterschied. Die in der Gastkultur üb- lichere, intensivere Nähe zwischen Menschen, auch zwischen Mann und Frau, war von FvM15 bisher nicht reflektiert, sondern einfach so übernommen worden. Erst 201 durch das Intervenieren des nordamerikanischen Kollegen kam es zu einer Bewusst- machung und Reflexion und dann zu einer Verhaltensänderung. M15 hielt danach insgesamt eine höhere Distanz zu den Frauen der Gastkultur und speziell auch zu der Freundin der Familie (:11), an deren Umgang die vermutete Erotisierung fest ge- macht worden war.  Eheleute (FvM5:101) berichteten von einer Situation, in der ein verheirateter „(nord- amerikanischer) Missionar dann auch bei uns, das war auch während der Arbeit, auch verheiratet, mit einer (lateinamerikanischen) Lehrerin, Singlelehrerin angebän- delt hat.“ Ursächlich wird hier die schwierige Ehesituation des nordamerikanischen Missionars aufgezeigt und dabei suggeriert, dass die Ehefrau mit dieser Veränderung wohl nicht allzu unzufrieden und die Singlefrau in einem „problematischen Alter“ war. Auf die Eheleute FvM5 hatte dieses Erleben insofern Einfluss, als dass sie als Leiter einer Einrichtung die Gesamtverantwortung trugen und einen für alle hilfrei- chen Umgang damit finden mussten.  Fs17 musste aktiv einer Erotisierung ausweichen. Ein verheirateter Mitmissionar hat- te ihr den Weg versperrt und sie habe sich „dann natürlich auch gebückt, nur damit ich draußen war. Ja? Damit da nichts entstehen konnte“ (:27).  In Fs18 berichtet die Missionarin von einer sich über längere Zeit hinziehenden Ero- tisierung durch eine nordamerikanische verheiratete Mitmissionarin. Zu Beginn der Missionstätigkeit wurde Fs18 von dem Ehemann der Mitmissionarin supervidiert. Die Ehefrau wurde darin häufig involviert, obwohl sie keinen formalen Auftrag dazu hatte. Nach einer schwierigen Ehesituation in der Familie des nordamerikanischen Ehepaares sei es dann zu einem veränderten Verhalten der Ehefrau und Mitmissiona- rin gekommen. Der Supervisor erklärte dann der Singlemissionarin, dass seine Frau aus dieser Situation geschlossen habe, „auch eine christliche Ehe ist nicht so sicher und theoretisch könnte ihr das auch noch passieren und da kam auf einmal eine ganz, ganz große Unsicherheit und, und sehr viel Eifersucht“ (:22).  Eine Singlemissionarin berichtete von einer Bemerkung eines nordamerikanischen Kollegen, die sie unpassend fand und sich deshalb sogleich distanzierte. Nach einer kurzen Phase der Irritation bei dem Missionar habe dieser ihre Abgrenzung positiv aufgegriffen (Fs4:18-20). In vier von sechs aktiven Erotisierungen durch nordamerikanischen Kolleg/-innen wur- de eine Singlemissionarin von einem Missionar erotisiert (Fs4, FvM5, Fs12, Fs17). In den 202 zwei anderen Erotisierungserlebnissen vermuteten nordamerikanische Missionar/-innen Eroti- sierungen und sprachen ihre deutschen Kolleg/-innen darauf an (FvM15, Fs18). Die passiven Erotisierungen (Fs7, Fs8. Fs18, Fs19) fanden, ähnlich wie die passiven Erotisierungen innerhalb deutscher Kolleg/-innen, vorwiegend im Kopf der Erotisierer statt und wurden eher vermutet und nicht angesprochen. Zwei Singlemissionarinnen (Fs14, Fs19) berichteten von aktiven Erotisierungen durch südafrikanische Kolleg/-innen. Eine Singlemissionarin konnte die für sie unpassende Nähe des verheirateten Missionars nicht einschätzen und beugte einer weiteren Erotisierung durch eine Distanzierung vor (Fs19:247). Der anderen Singlemissionarin wurde gesagt, sie verhalte sich ungehörig, kleide sich unangemessen, reise alleine mit Missionarskollegen durchs Land etc. Dieser Missionarin wurden fortwährend Gespräche und Seelsorge nahe gelegt, weil sie durch ihr Verhalten erotisiere. Auf alle auferlegten Gespräche und Seelsorge ging sie immer wieder ein. Jedes der Gespräche endete damit, dass die Singlemissionarin das Feedback be- kam, sie mache das schon richtig und brauche nichts zu ändern. Dennoch veränderten die ver- heirateten Kollegen ihr Verhalten nicht. Ursächlich sah Fs14 (:6) ihre Eloquenz in der Lan- dessprache, die dem Kollegenehepaar fehlte. In zwei weiteren Interviews berichten die Proband/-innen von einer Erotisierung durch einheimische Missionare (M2, Fs8). Die an M2 herangetragenen hohen Erwartungen an ihn als Leiter durch einheimische Singles, wurden von ihm mit seinem Mannsein verknüpft. Die Singlemissionarinnen brauchten das, weil sie ja keinen Partner hätten (:24). Diese Erotisie- rung ist als aktiv zu bewerten. Fs8 (:106) berichtete von einem Ehepaar, wlches zu ihr Distanz hielt, weil sie eine Singlemissionarin war – eine passive Erotisierung. Folgende Zusammenfassung zeigt passive und aktive kollegiale Erotisierung nach Ländern: Erotisierung durch passiv aktiv deutsche Kolleg/-innen Fs1, M2, M3, FvM5, Fv9, M10, Fv11, FvM16, Fs19 M20 deutsche Missionsgesellschaft Fs19 Fs17 nordamerikanische Kolleg/- innen Fs7, Fs8, Fs18, Fs19 Fs4, FvM5, Fs12, FvM15, Fs17, Fs18 südafrikanische Kolleg/-innen Fs14, Fs19 einheimische Kolleg/-innen Fs8 M2 Tabelle 9: Kultur der erotisierenden Kolleg/-innen und deren passive oder aktive Erotisierung Erotisierung durch Vorbeugen: Um personale Erotisierungen zu verhindern, war es den Missionar/-innen wichtig vorzubeugen. Ziel dabei war, es erst gar nicht zu Erotisierungen 203 kommen zu lassen. Allerdings wurde das Verhindern von Erotisierungen zur latenten Erotisie- rung, da Beziehungen nicht mehr unbefangen und frei ablaufen konnten und sich die Gedan- ken häufig um Erotisierungsverhinderung und damit um Erotisierung, drehten (Fs18:111). So konnte der Umgang von Frauen und Männern im Miteinander der Missionsarbeit durch „Korrektheit“ erotisiert werden (Fv9:21) oder dadurch, dass Interaktionen mit Männern nur in Gruppen oder in der Anwesenheit eines Kindes stattfinden konnten (Fs4:13). Auch wurden kleine Hilfeleistungen im Alltag oder gemeindliche Aktionen wie private Vorberei- tungstreffen erotisiert (:26, :30). Im Umgang mit dem anderen Geschlecht solle man sich sehr vorsichtig verhalten, mahnte eine Singlemissionarin, die gleichzeitig darauf hinwies, dass ihre große Vorsicht (und damit auch Erotisierung) bei Mitmissionarinnen auf Unverständnis stieß (:28). Dabei spielte bei der Singlemissionarin die Angst vor Vorwürfen durch verheiratete Missionarinnen eine nicht geringe Rolle (:36).355 Eine andere Missionarin hatte einen Brief an eine ihr fremde Missionarin geschrieben, mit deren Ehemann sie öfter dienstlichen Umgang hatte, um einer konkreten Erotisierung vorzubeugen, da sie sich „da nicht in irgendetwas ver- renne(n)“ (Fs7:24) wollte. Für die verheiratete Missionarin sei dieser Brief auch wichtig ge- wesen (:24) – was darauf hindeutet, dass auch von der Ehefrau aus erste Erotisierungen statt- gefunden hatten. Singlemissionarinnen achteten darauf mit den Ehefrauen der Missionare eine guten Kontakt zu haben, um Missverständnisse, falsche Vermutungen und Eifersucht zu ver- meiden (Fs4:11, Fs7:13, Fs8:12). Verheiratete Missionarinnen und Missionare ermahnten zum Aufpassen (M5:153, Fv11:54, :188) und nahmen damit Erotisierungen in Kauf. Es konnte sogar sein, dass wegen der Kolleg/-innen aufgepasst wurde, damit bei diesen keine falschen Vermutungen aufkeim- ten (M15:127). So wurde, um einer aktiven Erotisierung durch Kolleg/-innen vorzubeugen, die Frau-Mann-Beziehung passiv, aber generalisiert erotisiert. Manche Missionar/-innen setzten auf das Einhalten von Regeln, um Erotisierungen vor- zubeugen. Häufig war den Missionar/-innen dabei nicht bewusst, dass sie damit schon eroti- sierten. In das Regelwerk, inkl. einer Sensibilität für die Wirkung des eigenen Verhaltens, sollten vor allem „Neulinge“ (M10:65) möglichst schnell „eingenordet“356 (Fs4:32) werden, denn „Jeder weiß, wenn ein Mann und eine Frau zusammen alleine sind, dann passiert ir- gendwas und da musste man die neueren Mitarbeiter doch noch mal ein bisschen `einnorden´ 355 Dieses Interview wurde von der Person, die die Interviews auf Tipp- und Rechtschreibfehler gegenlas wie folgt kommentiert: „In diesem Interview betont diese Frau immer wieder, sie hätte mit Erotisierung ja keinerlei Erfahrung. Sie grenzt sich intensiv davon ab – um dann aber wieder davon anzufangen und wieder darüber zu reden. Vordergründig hatte sie nichts zu dem Thema beizutragen – hintergründig waren dann aber doch einige Erlebnisse und Emotionen zum Thema Erotisierung da“ (Anlage 11). 356 Wenn zwei Objekte in gleicher Weise ausgerichtet werden sollen, spricht man von eingenorden. 204 sozusagen“ (Fs4:32). Hierbei wurden neue Missionar/-innen sogleich mit dem Thema „Eroti- sierung“ in Kontakt gebracht. Bei manchen Missionsgesellschaften gab es mündliche Regeln, bei anderen ein Handbuch, in welchem auch das Miteinander der Geschlechter geregelt wurde (Fs18:118, Fs19:112-122). Eine Regel war z. B., dass weibliche Missionarinnen nie (weder am Tag und erst recht nicht in der Nacht) mit einem Mann allein in der Wohnung sein bzw. keine Dienstreise mitei- nander machen konnten (Fs4:24-26, Fs18:22, M20:48, :129, Fv21:114). Regelbewusstes Ver- halten bedeutete aber auch, Kolleginnen und Kollegen zu kontrollieren, denn „was mir nicht zugestanden werden kann, das sollen auch andere nicht haben“ (M10:165, M20:14). D. h. Beziehungen wurden von außen erotisiert, um eine Erotisierung der Betroffenen miteinander zu verhindern. Manche nordamerikanischen Missionare waren erstaunt, dass es in Deutsch- land im Normalfall keine Regelungen für das Miteinander zwischen Männern und Frauen gibt (Fs19:26-29). Es gibt also einen deutlichen Unterschied im Bereich der vorbeugenden Eroti- sierung zwischen nordamerikanischen Missionar/-innen und deutschen Missionar/-innen. Missionare wurden darauf hingewiesen, dass Körperkontakt, und sei es ein Schulter- klopfen, bei einer Singlemissionarin Erotisierungen auslösen könnte (Fs17:65). Hiermit wurde Spontanität eingeschränkt und natürliches Verhalten erotisiert. Sicherlich leben Missionar/-innen in einem Beruf, in dem die kulturellen Faktoren einer Erotisierung beachtet werden (Fs4:32) und sie sollten dem christlichen Zeugnis durch Eroti- sierung nicht im Weg stehen (Fs18:22). Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierung mit Vorbeugen durch Korrektheit Fs4, Fs7, Fs8, Fv9 Kontakt zur Ehefrau Fs4. Fs7, Fs8, Fs9 Aufpassen M5, Fv11, M15 Regeln Fs4, M10, Fs18, Fs19, M20, Fv21 Körperkontakt vermeiden Fs17 dem christlichen Zeugnis nicht schaden wollen Fs4, Fs18 Tabelle 10: Erotisierungen durch Vorbeugen Das Spiel mit der Erotisierung: Erotisierungen setzen häufig aktives Handeln voraus. Das kann auch als ein Spiel gestaltet werden. Wer mit der Erotisierung spielt, meint es nicht wirk- lich ernst, fordert aber leichtsinnig eine Gefahr heraus, indem ein riskantes Unterfangen ein- geleitet wird (Udem 2013). In diesem Abschnitt wurden die Erotisierungen zusammengestellt, 205 bei denen schon im Voraus klar war, dass sie nicht in eine Beziehung münden sollten oder die erotisierten Personen hatten sich bezüglich einer Beziehung eindeutig negativ positioniert. Obwohl die Missionar/-innen keine Beziehung eingehen wollten, merkten sie, dass es ihnen schmeichelte, wenn jemand an ihnen Interesse signalisierte (Fv11:272, Fv13:21), ihnen Komplimente machte (Fv11:293, Fv13:26) und sie als begehrenswert betrachtet wurden (Fs12:195, M16:45). Ein Spiel mit der Erotisierung konnte gute Gefühle bei den Betroffenen (Fv11:328, Fs12:37-39) mit dem Selbstbild von „Ich bin schön, weil ich verliebt bin“ (:58) auslösen, und wurde teilweise von Fremden als tatsächliche Zusammengehörigkeit interpretiert (:37-38). Das gab der Erotisierung weiteren Auftrieb. Aber Erotisierungen konnten auch verwirren, da es z. B. nicht immer klar war, welches Ziel die Erotisierung verfolgte. In einem Fall wurde vermutet, dass eine verheiratete Missionarin erotisiert wurde, um ihren Ehemann zu demüti- gen (Fv11:10, 18-20). Negative Gefühle konnten bei der erotisierten Person und/oder deren Ehepartnern ausgelöst werden, wenn eine Erotisierung als vereinnahmend erlebt wurde (M2:92, M5:15-18, Fv5:35, Fv6:16). Manchmal erlebten Missionarinnen, egal ob verheiratet oder single, „Trophäensamm- ler“, die ihre Erotisierungsobjekte beharrlich und mit Geschick verfolgen (Fv11:272, Fs12:167, :444-45).357 Das Spiel mit der Erotisierung konnte durch Heimlichkeiten zusätzlich angefacht wer- den. Das geschah manchmal, um den Partner zu schützen (Fv13:28), aber sicherlich auch, weil das Spiel mit der Heimlichkeit die Erotisierung noch spannender machte (Fs12:67-73), denn „das Geheime hat noch etwas dazu beigetragen, dass es so prickelnd war. Das war ganz klar, wenn ich ehrlich bin“ (:205). Manchmal wurde eine „öffentliche Heimlichkeit“ benutzt, um die Erotisierung weiter zu entfachen, z. B. indem Symbole an einem für jedermann zu- gänglichen Ort hinterlegt wurden, die aber nur „die eine“ Person „lesen“ konnte, denn „der hat immer dafür gesorgt, dass ich an ihn denke“ (:461). Zu Erotisierungen wurden auch Überraschungsmomente genutzt, wenn z. B. Erotisie- rende unterwartet in wichtigen, persönlichen Situationen auftauchten (Fv11:272, Fs12:47) und sich dadurch diese Momentaufnahme vom üblichen Alltag unterschied (:141). Körperliche Berührungen konnten wie ein Erotikum wirken (:73, :87) und die mediale Fortführung (per E- Mail oder SMS) verfehlten ihre Wirkung, sei sie positiv oder negativ, nicht (:67, Fv13:18). 357 Die Eigenschaft Menschen wie Trophäen zu sammeln, ist sicherlich nicht auf Männer beschränkt. Im Rahmen der Interviews bin ich aber nur auf Männer gestoßen, denen diese Eigenschaft nachgesagt wurde. 206 Tabellarische Zusammenfassung: Spiel mit der Erotik positiv negativ Begehrt werden Fv11, Fs12, Fv13, M16 Auswirkung auf Gefühle Fv11, Fs12 M2, M5, Fv5, Fv6 Trophäensammler Fv11, Fs12 Heimlichkeiten Fv12 Fv13 Überraschungsmomente Fv11, Fs12 Mediale Wege Fs12 Fv13 Tabelle 11: Spiel mit der Erotik Erotisierung ohne Erotik: In verschiedenen Interviews berichteten die Proband/-innen von Erotisierungen ohne Erotik. Dies lag dann vor, wenn Personen oder Situationen von außen eine erotisierte Beziehung oder erotisierte Situation unterstellt wurden, obwohl keine tatsäch- liche Erotisierung vorlag. Manchmal wurden alle Mann-Frau-Beziehungen schon im Vorfeld generell erotisiert (Fs4:32, M10:75-78). Darüber hinaus wurde kollegial erotisiert, obwohl keine tatsächliche Erotik vorlag. Das zeigt, dass das (Lebens-)Problem auf der Seite der Eroti- sierenden lag und in der Regel nicht auf der Seite derer, die erotisiert wurden (M20:36). Die Ursachen für Erotisierungen ohne Erotik waren unterschiedlich und konnten nicht immer benannt werden (:8). Benannte Ursachen lagen im kulturellen Hintergrund der Kolle- gen (FvM15), in Prioritätenverschiebungen des Missionars von der Ehefrau hin zur Single- missionarin (Fv9:19, :53, M16:118) oder in grundloser Eifersucht (Fs18:26, :112). Da Eifersucht im Zusammenhang mit Erotisierung ohne Erotik relativ häufig benannt wurde, sollen die Facetten dazu im Folgenden näher beleuchtet werden.  Verheiratete Missionarinnen waren eifersüchtig auf eine Singlemissionarin (Fv9:47, Fs18:22). Eine Singlemissionarin wusste dann nicht, wie sie damit umgehen sollte, denn „sie hat dann sich ziemlich schrecklich benommen“ (:22, :26). Die Singlemissionarin vermutete, dass die verheiratete Missionarin folgendes denkt: Singlemissionarinnen wollen gerne heiraten, sie sind so verletzt durch ihren Sing- lestatus, „dass sie sich auch gleich mit einem verheirateten Mann einlassen würden, obwohl sie alle Christen sind“ (:102).  Weil die Spannung in der Ehe zunehmend das Sexualleben beeinträchtigte, reagierte eine verheiratete Missionarin mit Eifersucht, als eine Frau auftauchte, die vom Typ her Ähnlichkeiten mit der Ehefrau hatte (Fv16:208, :235-240, :282-287). Die unter- schwellige Angst, den Ehemann zu verlieren, wurde ausgelöst von Selbstzweifeln, ob 207 sie denn gut genug für ihren Ehemann sei, beziehungsweise ob sie selbst genug gebe (:254).  Eine Singlemissionarin hatte das Gefühl, eine verheiratete Kollegin sei eifersüchtig (Fs8:12), weil die Singlemissionarin mehr in den Dienst eingebunden war als die verheiratete Missionarin (:251, Fs1:38) (siehe dazu auch 0).  Eine verheiratete Missionarin reagierte mit Eifersucht, weil die Singlemissionarin zu ihrer Sicherheit nach Veranstaltungen noch nach Hause begleitet werden musste. Sie bekam damit mehr Aufmerksamkeit von dem verheirateten Kollegen als es vermut- lich im deutschen Umfeld geschehen wäre (Fs7:20). Manchmal nahmen Singlemissi- onarinnen die Zeit der Ehemänner (und Leiter) mehr in Anspruch als es deren Frauen recht war (Fs1:73, M3:11, :36, Fv9:19).  Singlemissionarinnen waren eifersüchtig auf andere Singlemissionarinnen, weil sie vermuteten, diese hätten eine Beziehung zu einem Kollegen, die ihnen selbst nicht möglich oder verwehrt war (M20:14). Für eine Singlemissionarin „gab es da auch nie irgendwelche Probleme mit irgendwel- chen Ehefrauen, die unzufrieden waren, weil da vielleicht was gewesen wäre“ (Fs4:36). Durch ihre intensive Vorsichtsmaßnahme war die Erotisierung dennoch kontinuierlich prä- sent. Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierungsobjekt: Erotisierung durch: Singlemissionarin Verheiratete Missionarin Missionar Singlemissionarin M20 Fs4, Fs8 Verheiratete Missionarin Fs1, M3, Fs7, Fv9, Fv16, Fs18 Fv9 Missionar M16 FvM15 Tabelle 12: Kollegiale Erotisierungen ohne zugrundeliegende Erotik Auf den erotisierenden, kulturellen Einfluss auf das missionarische Beziehungsgeflecht wurde bereits in Kapitel 7.1.2 eingegangen. Besonders deutlich wurde der Einfluss allerdings, wenn die Missionar/-innen miteinander über erotisierende Themen reden mussten, die inner- halb des deutschen Kontextes kein Gesprächsinhalt geworden wären. So wurde z. B. im Rah- men kulturangepasster Kleidung thematisiert, dass Missionarinnen einen Unterrock tragen müssten (M10:115). Darauf angesprochen, ob das für die betroffene Missionarin nicht unan- genehm gewesen sei, antwortete der Missionar: „In dem Fall war es so, dass das auf sehr 208 (Missionsland) Weise formuliert wurde. D. h. man redet um den konkreten Bereich, wie um den heißen Brei herum. Und jeder weiß, um was es geht, ohne, dass es konkret gesagt wur- de.“358 (:143). Fraglich ist, was das bei den Missionar/-innen auslöste, die dieser Besprechung beiwohnten. Es wurde, um ein persönliches Gespräch zu vermeiden – und damit evtl. einer Erotisierung face-to-face –, ein Verhalten im gesamten Kolleg/-innenkreis angesprochen – und damit eine mögliche Erotisierung erstens öffentlich gemacht und zweitens möglicher- weise bei nicht direkt Beteiligten eine Erotisierung ausgelöst – denn alle dachten über Eroti- sierungsvermeidung nach, wussten worum und vermutlich auch, um wen es geht. Zusammenfassende Tabelle für Erotisierungen ohne Erotik: kultureller Hintergrund FvM15 Prioritätenverschiebung Fv9, M16 Eifersucht Fs1, M3, Fs4, Fs7, Fs8, Fv9, Fv16, Fs18, M20 Themenwahl M10 Tabelle 13: Erotisierungsgründe ohne erotische Basis 7.1.4. Erotisierung, Familienstand und Lebensumstände Immer wieder wurden Erotisierungen und deren Ursachen in den Lebensumständen von Mis- sionar/-innen gesucht. Verschärfend wirkte es, wenn die innereheliche und die Kommunikati- on nach außen gestört waren und nie ausgesprochen wurde was nervte (Fv13:21) oder eine Unfähigkeit zu reden vorlag (M16:68). Es konnte sein, dass die Worte dazu fehlten oder das Thema vermieden werden sollte (:109), entweder, weil es keine anderen Gesprächspartner außerhalb gab oder weil die Missionar/-innen weit weg von ihren Beziehungen aus der Hei- mat lebten und unklar war, ob das Missionarsteam die Situation mittragen konnte (:68). Im Folgenden werden die Familien- und Lebensumstände und deren Einfluss auf die Erotisie- rungsoptionen der Missionar/-innen näher beleuchtet. Die Erotisierungen durch Familienstand und Lebensumstände wurden zur besseren Klarheit in das Erleben von Singlemissionarinnen und Missionarsehepaare unterteilt. Dabei fließt die Meinung der Missionar/-innen aus anderen Familienständen jeweils mit ein. Die Singlemissionarin: In diesem Abschnitt werden die Erotisierungen von Singlemissiona- rinnen von Seiten der erotisierten und erotisiernden Personen näher beleuchtet. Singlesein 358 Um die Anonymität zu wahren, wurde der Name des Missionslandes als „(Missionsland“) übertragen (siehe auch 6.2.2) 209 wurde in auffallend vielen Interviews thematisiert, egal zu welchem Familienstand die Pro- banden selbst gehörten. Singlemissionarinnen erlebten Erotisierungen durch verheiratete Missionarinnen, weil diese den Singlemissionarinnen ihrerseits Erotisierungen unterstellten (Fs14:8) oder grundlos Eifersucht zeigten (Fs1:40, Fs18:114), sie bedrängten zu heiraten (Fs19:142), da sie davon auszugehen schienen, dass alle Singlemissionarinnen selbstverständlich heiraten wollten (:102-106). Verheiratete Missionarinnen beschrieben Singlemissionarinnen als Frauen mit dem Wunsch nach Sicherheit, welcher von einem Ehemann abgedeckt hätte werden sollen und dem Wunsch sich anlehnen zu können (Fv5:50). Singlemissionarinnen mache Kinderlo- sigkeit und Einsamkeit Mühe (:55). Vereinzelt wurden Singlemissionarinnen als emotional defizitär beschrieben (Fv11:408). Manche Singles seien neidisch auf die verheiratete Missio- narin gewesen (Fv5:21-25) und sie hätten sich gewünscht, in den Augen eines Mannes etwas Besonderes zu sein (Fv11:313). Verheiratete Missionarinnen erleben die Erwartungen und das Verhalten von Singlemissionarinnen in Bezug auf verheiratete Missionare manchmal als un- angemessen (M2:13, Fv11:8) oder auch wie eine Verehrung des Ehemanns (:22). Gleichzeitig waren die verheirateten Missionarinnen sich bewusst, dass weibliche Singles manchmal einen Mann als Gegenüber brauchen (Fv9:15). Das erzeugte natürlich eine gewisse Spannung, die die verheirateten Missionarinnen oftmals nicht für sich auflösen konnten. Wenn die Single- missionarinnen dann zusätzlich ein Unzufriedensein mit ihrem Stand signalisierten (Fv5:21) oder ihr Bedürfnis nach einer Partnerschaft thematisierten (M5:125), konnte sich die Erotisie- rungstendenz durch die verheirateten Missionarinnen verstärken, denn die Ehefrauen waren irritiert und erlebten die bereits eingeführte klare Abgrenzung von Gemeinschafts- und Ehe- zeiten umso deutlicher (Fv5:128). Je nach Ausgangslage der verheirateten Missionarinnen wurden Singlemissionarinnen als Konkurrentinnen (Fv9:47) und als Bedrohung bewertet (Fs18:106). Ebenso wurde erotisiert, wenn verheiratete Missionarinnen dazu neigten, ihre Männer vor Singlemissionarinnen abzugrenzen oder wenn sie bei Gesprächen möglichst dabei sein wollten (Fs1:38, Fs8:14, :137-142, Fs19:168) oder spitze Bemerkungen machten (Fs8:54). Das führte dazu, dass die Singlemissionarinnen sich äußerst vorsichtig gegenüber verheirateten Missionaren verhielten (Fs18:66-68) und, oft präventiv, Freundschaften zu den Ehefrauen suchten (:63-64, Fs4:11, Fs7:23, Fs18:20-22, :108). Diese vorbeugenden Maßnah- men zeigten eine subtile Erotisierung, die die Singlefrau-Mann-Beziehung von vornherein erotisierte. Schon in der Vorbereitung zur Missionstätigkeit bekamen Singlemissionarinnen den Rat, gute Kontakte zu Ehefrauen zu pflegen (Fs8:12). Damit wurden die Beziehungen schon vor der persönlichen Begegnung in erotisierende Bahnen gelenkt. Erotisierungen inner- 210 halb der Missionarsgemeinschaft geschahen auch dadurch, dass Singlemissionarinnen in der Gastkultur vorbeugende Maßnahmen treffen mussten, weil sie in dem kulturellen Umfeld nicht alleine reisen durften oder nach Besprechungen häufig nicht alleine nach Hause gehen konnten (Fs7:21-22). Verheiratete Missionare, die den Singlemissionarinnen gegenüber häufig zusätzlich noch in Leitungsfunktionen waren, drücken ihre Achtung für Singlemissionarinnen aus, weil diese bereit waren in die Mission zu gehen, wo sie dann vermutlich keinen Partner finden würden, obwohl sie gerne einen gehabt hätten. Diese Pauschalisierung führt zu einer Erotisie- rung aller Singlemissionarinnen. Manche Männer versuchten das vermutete Defizit zu kom- pensieren und erotisierten so erneut (M3:11, :19). Es konnte passieren, dass die Missionare mit Forderungen konfrontiert wurden, die sie nicht mehr erfüllen wollten (M2:11-13, M5:17, Fv5:30-35, Fv11:88). Manche Missionare nahmen die Verehrung durch Singlemissionarinnen wahr (M5:44-48, Fv11:22) und grenzten sich ab, („Aber es wäre auch nicht gut gewesen, wir beide alleine, habe ich dann zu ihr gesagt“), obwohl die Erotisierung durch die Singlemissio- narin nicht bestätigt war (M5:42). Vereinzelt erlebten Singlemissionarinnen eine Ablehnung wegen ihres Familienstandes von verheirateten Missionarinnen bzw. durch Ehemänner (Fs19:38-46). Wenn Singlemissionarinnen eine Erotisierung durch einen Kollegen erlebten, konnte es sein, dass sie sich selbst sogleich abgrenzten (Fs4:20, Fs17:9-13). Doch es konnte auch ge- schehen, dass die Erotisierung auf fruchtbaren Boden fiel und genossen wurde (Fs12:31, :73). Das Alter von ca. 40 Jahren wurde als problematische Altersphase benannt, weil dann „Ehe“ noch ein Thema sei (M3:7). Singles seien dann noch einmal besonders auf der Suche nach einer Partnerschaft und setzten sich erneut mit ihrem Singlestatus auseinander. Das führe zu einer starken Suche nach einem Partner, vermutlich, weil sie eine „letzte Chance“ nutzen wollten (M5:53, :63, FvM5:102-104, Fs12:155-160). Manchmal erotisierten Leiter Single- frauen auf dem Missionsfeld, in dem sie deren Kleidungsverhalten thematisierten. Aus der Sicht der Leiter reagierten sie damit auf ein Kleidungsverhalten, das in der Gastkultur als un- passend oder unangemessen galt (M10:103, :115). Ein Missionar beschrieb, dass er das als Mann noch viel mehr spüre und sich dadurch auch erotisiert fühlte (M5:36). Er grenzte sich damit von seiner Frau ab, die keine Erotisierung durch dieses Phänomen sah. Vereinzelt konnte nicht eindeutig entschieden werden, von wem die Erotisierung ausge- gangen war (M12:54). Singlemissionarinnen beschrieben einen Wunsch nach einer Partner- schaft, den sie bei sich selbst oder anderen Singlemissionarinnen wahrgenommen hatten (Fs7:15-17, :38, Fs8:262, Fs19:142). Das konnte dazu führen, dass sich Singles gegenseitig 211 erotisieren,359 indem sie ihre Beziehungen zu Mitmissionaren gegen andere Singles abschotte- ten (M10:165, Fs19:37, :85-92) oder sich gegenseitig auf Erotisierungen festlegten (M20:14). So konnte der Wunsch nach einer verlässlichen Beziehung, nach Aufmerksamkeit, einem Für- sprecher oder nach Sicherheit einer Erotisierung Vorschub leisten (Fs7:17-20, Fs8:252). Manchmal weckte der erotisierte Kontext erst Bedürfnisse, die vorher gar nicht wahrgenom- men worden waren (Fs12:131, :443). Außerdem standen die Singles in „den besten Jahren“ in der Auseinandersetzung mit ihrer Fruchtbarkeit (Fs19:190). Wenn es zu konkreten Erotisie- rungen gekommen war, wurde das genossen und intensiv erlebt: „Einerseits habe ich das ge- nossen. Ich fühlte mich begehrt“ (Fs12:195), „Weil ich mich ja begehrt fühlte. Und dadurch schön und toll Begehrt-sein als Frau“ (:227), „Dein Körper, deine ganze Art. Das ist begehrt. Wirklich begehrt“ (:443). Und es wurde wie eine Tür zum Leben empfunden, denn „wer ver- liebt ist, kommt zum Leben“ (:443). Die Singlemissionarinnen wollten sich als Frau fühlen, Komplimente hören und nicht nur auf ihr Funktionieren festgelegt werden (:433-435). Man- che Singlemissionarinnen waren tatsächlich auf der Suche nach einem Partner (Fs17:93, :101), andere grenzten sich deutlich davon ab und ärgerten sich, wenn andere sie darauf fest- legten (Fs18:102) und sie als Konkurrentin wahrnahmen (Fs8:20-22). Es war durchaus mög- lich, dass sich Singlemissionarinnen in jemand verliebten, der sie im heimischen Kontext gar nicht oder nicht besonders interessiert hätte (Fs7:18). Aber Verliebtsein konnte auch unab- hängig vom kulturellen Hintergrund entstehen (Fs12:150-152). Daher wurde das Zusammen- sein von Singles und verheirateten Männern vereinzelt als potentielle Gefahr für Erotisierun- gen betrachtet (Fs7:62). Singlemissionarinnen berichteten von verletzenden Bemerkungen durch Verheiratete, die sie auf männliche Singles hinwiesen oder mit diesen verkuppeln woll- ten (Fs8:196, :222). Manche dieser Bemerkungen wurden vom Absender – so interpretierte es die Interviewpartnerin – als witzige Bemerkung verstanden, aber signalisierten der Singlemis- sionarin „verheiratet sein ist normal, alles andere nicht“ (:91, Fs19:54). Interessant war außer- dem, dass die Erotisierungen manchmal recht schnell vergessen worden waren. Das führte zu widersprüchlichen Formulierungen wie: „Da kann ich mich jetzt an nichts erinnern. Aber ich kann mich aber an eine Situation erinnern …“ (Fs4:18). 359 Sie erotisieren sich gegenseitig, weil sie jeweils dem anderen erotische Beziehungen oder Situationen unter- stellten oder sie unterstellen, dass der andere verliebt in eine dritte Person sei (siehe auch die Definition unter 2.1.3). 212 Tabellarische Zusammenfassung: Singlemissionarinnen eroti- siert durch: Missionar M2, M3, Fs4, Fv5, M5, Fv11, Fs12, Fs17, Fs19 Verheiratete Missionarin Fs1, M2, Fv5, Fs7, Fs8, Fv9, Fv11, Fs14, Fs18, Fs19, Singlemissionarin M5, Fs7, Fs8, M10, Fs17, Fs18, Fs19, M20 Erotischer Kontext Fs12 Tabelle 14: Ausgangsperson von Erotisierungen bei Singlemissionarinnen Ein wesentlicher Faktor der Erotisierung bei Singlemissionarinnen durch die Lebens- umstände waren die Einschränkungen im Missionsland durch das Singlesein. Wenn man als Single (das wurde auch auf Singlemänner bezogen) ausreiste, gerate man ganz anders ins Schussfeld (M10:159). Man werde als Frau angemacht (M20:122). Singlemissionarinnen konnten zumeist nicht alleine mit einem Mann unterwegs sein (F4:24, M10:61, Fs14:10, M15:17, Fs19:2) oder sich nicht allein mit einem Mann in einem geschlossenen Raum treffen (Fs4:26, M5:270, M10:77, M15:17, Fs18:22, Fs19:142, 169, M20:48, :58). Sie konnten keine Besuche von einem Mann empfangen, wenn sie oder der Mann alleine waren (Fs4:30, M10:159, M20:129) und konnten sich innerhalb der Gastkultur manchmal nicht frei und allei- ne bewegen (Fs7:20, Fs19:36). Einschränkungen geschahen durch die Regeln der Gastkultur, aber auch durch kollegiale Regeln. Singlemissionarinnen brauchten den Schutz von Männern, die auf dem Missionsfeld mehrheitlich verheiratet waren (Fs7:20, :62), damit man ihnen von außen keine Erotisierung „anhängen“ konnte (Fs8:86-72). Allerdings erotisierte die Schutzmaßnahme dann innerhalb des missionarischen Beziehungsgeflechts. Problematisch war es für Singlemissionarinnen häufig, dass ihre beruflichen Schnittstel- len mit verheirateten Missionaren größer waren als ihre Schnittstellen mit verheirateten Mis- sionarinnen oder mit den Ehefrauen der Missionare (Fs8:72, Fs18:56, Fs19:219). Das löste gelegentlich Eifersucht auf die Singlemissionarinnen aus (Fs8:250) und war problematisch, wenn sich z. B. Singlemissionarinnen und verheiratete Missionare sich regelmäßig bei Konfe- renzen trafen (Fs7:26). Singlemissionarinnen interpretierten eher traditionelle eheinterne Rol- lenverteilungen und mutmaßten deshalb, dass dies zu Minderwertigkeitsgefühlen bei verheira- teten Missionarinnen führe, weil sie nicht genauso in die Projekte involviert seien wie der Ehemann und die Singlemissionarin (Fs8:250, Fs18:56, :62-64). Manchmal wurden Singles vom Privatleben der Missionarsehepaare bewusst ausgeschlossen, weil sie als störend erlebt wurden (Fs1:51-52, :67). Daher fühlten sich Singles familiär einsam (Fs8:254). 213 Leiterschaft in der Mission war ein wiederkehrendes Thema, in dem die Lebensumstän- de innerhalb des Beziehungsgeflechts aufgegriffen wurden. Mancher Missionar wurde von Singlefrauen in besonderer, aber unangenehmer Weise „hochgehoben“, weil er Leiter war (M5:44-46, Fv11:16-22). Außerdem könnte im Schatten eines Leiters das Sicherheitsbedürf- nis der Singlemissionarin erfüllt werden (M5:51). Diese Facette wurde durch ein Interview mit einer Singlemissionarin bestätigt. Denn dass ich so angesprungen bin, sag ich mal, auf diesen Mann, hatte damit zu tun, dass er eine sehr hohe Position innehatte. Und dass sich so jemand in einer so ho- hen Position für mich kleinen Mitarbeiter, für mich kleine Mitarbeiterin interessie- ren würde. Ich glaube, das hat schon auch eine Rolle gespielt. Wenn das jetzt ir- gendein anderer gewesen wäre, ich wäre vielleicht nicht ganz so interessiert ge- wesen. (Fs12:469) Die Singlemissionarin fühlte sich aufgewertet, weil sie von einem wichtigen Mann ge- sehen wurde (:471-481). Gleichzeitig nutzte der Leiter die Möglichkeiten seiner Position, um die Singlemissionarin an vielen Orten zu treffen (:47, :57). Ebenso konnte eine Erotisierung ein Ventil sein, wenn die Arbeit über die Kräfte des Leiters ging (FvM15:187-189) oder Aus- druck von unangemessener, situativer Lebensfreude (M15:107, Fs19:247). Manchmal ließen Missionsleiter eine Erotisierung z. B. durch Kosenamen zu (:239). Ein Leiter in einer Missi- onssituation erzählte seiner Frau von den Gaben und Fähigkeiten der Singlemitarbeiterin. Das löste eine Erotisierung der Singlemissionarin durch die Ehefrau aus, die in einer Mobbingsitu- ation mündete (:219). Eine langjährige Ehe, überzeugtes Christsein oder eine Leitungsfunkti- on schützen nicht vor Erotisierungen (Fv9:32), dennoch waren die Leitungsfunktion und die damit verbunden Aufgaben für die Ehefrauen der Leiter nicht immer angenehm, weil sich Ehefrauen gelegentlich als eher bedienend und inhaltlich ausgeschlossen erleben (:13). Genau das konnte dann dazu führen, dass Ehefrauen von Leitern die Beziehung zwischen Leiter und Singlemissionarin erotisierten (Fs14:49). Eine Singlemissionarin erlebte, dass ein junger Singlemitmissionar nachts von einer Prostituierten überrascht und nicht von den Kolleg/-innen auf dem Missionsareal geschützt wurde. In ihr löste das Angst aus, bei sexuellen Übergriffen ebenfalls alleine gelassen zu wer- den (Fs19:109). Hier fand eine Erotisierung durch das Gefühl statt, ausgeliefert zu sein. Eine Erotisierungssteigerung erlebte eine Singlemissionarin, weil ihr während dieser Zeit immer klar war, dass diese Beziehung nicht in eine Ehe münden würde. Das erhöhte den Reiz, mit dem Feuer spielen zu wollen. Sie konnte Erotisierung erleben, ohne sich der „Ge- fahr“ aussetzen zu müssen, tatsächlich zu heiraten (Fs12:203-205). 214 Tabellarische Zusammenfassung: Einfluss der Lebensumstände Alleinsein als Einschränkung F4, M5, Fs7, M10, Fs14, M15, Fs18, Fs19, M20 Schutz durch Missionare Fs7, Fs8 Berufliche Schnittstelle: Singlemissionarin-Missionar Fs1, Fs7, Fs8, Fs18, Fs19 Leiterschaft und Singlesein M5, Fv9, Fv11, Fs12, Fs14, FvM15, Fs19 Angst allein gelassen zu werden Fs19 Familienstand schließt eine Ehe aus. Fs12 Tabelle 15: Einfluss der Lebensumstände auf Erotisierungen Die Missionarsehepaare: Missionarsehen standen unter der besonderen Herausforderung, dass junge, verheiratete Missionare einerseits häufig mit dem Aufbau ihrer Familie und ande- rerseits zeitgleich mit dem Sich-zurecht-finden-müssen in einer neuen Kultur beschäftigt wa- ren. Dazu gehörten auch der Abschied von der bekannten Umgebung zu Hause und die räum- liche Trennung von vertrauten Beziehungen. Missionarsfamilien mit älteren Kindern suchen gute Lebensumstände für alle Familienmitglieder und da (in den meisten Fällen) der Mann mit der Missionsarbeit beschäftigt war, fielen diese familiären Aufgaben der verheirateten Missionarin zu. Die damit einhergehenden Erotisierungen werden im Folgenden aufgeschlüs- selt und beschrieben. Das Kima im Missionsland zehrte an den körperlichen Ressourcen von Missionarinnen. Die physischen Ursachen gingen mit einem Sinken der Frustrationsgrenze einher (Fv21:10- 12, :100), aus der oft ein Kampf mit sich selbst, der Natur und den Gegebenheiten wurde (:128). Eine Folge war ein höheres Schlafbedürfnis, was mit dem Wunsch nach Ruhe und dem Ausweichen vor ehelicher Sexualität einherging (Fv9:42, Fv21:56). Damit wuchs die Offenheit für erotisierende Befürchtungen. Manchmal gelang es jedoch, die Müdigkeit zu „überspringen … und dann wird es auch gut“ (Fv9:36). Die Missionarinnen waren darum bemüht, ihren Status und Stil in der Gastkultur zu fin- den. In manchen Gastkulturen kommen die Menschen „von unten und sind um alles froh, wo sie nach oben gehen und wir kommen von oben und wollen, manchmal ja auch krampfhaft dann erst, also nach unten. Also möglichst einfach.“ (Fv21:166). Häufig bestand eine hohe Unsicherheit in Geschmacksfragen und in möglichen Kleiderstilen (:169) mit der Folge, dass die Missionarinnen sich selbst weniger attraktiv fanden (.142). Die Frage nach der richtigen Kleidung wurde pragmatisch-„outdoormäßig“, kulturangemessen, hitzeangepasst getroffen. Die Kleidung war schlicht und „es war immer so ein weites, schlabberiges Zeug und so ein- 215 fach“, mit Gummischlappen an den Füßen360 (:152), was der Ehemann aber nicht so schön fand. Gleichzeitig wurden die Frauen im Missionsland als Frauen beschrieben, die Wert auf Äußeres legten und die, auch bei engen finanziellen Verhältnissen, Wert auf Werte im Klei- derschrank legten (:156). Auch diese Facette im Alltag von Missionarinnen erhöhte die Be- reitschaft zu erotisieren. In der Zeit nach einer Geburt wurden jüngere und/oder charmant-freundliche und/oder schlanke Singlemissionarinnen als bedrohlich erlebt, weil sie den Ehemann ja um den Finger wickeln könnten. Das war besonders intensiv, weil das Selbstbild zu diesem Zeitpunkt mit alt, dick und hässlich umschrieben wurde (Fv9:17-19, :53). Manchmal waren verheiratete Missionarinnen auf der Suche nach emotionaler Erfüllung und sie saugten dann auf, was ihnen an erotisierter Aufmerksamkeit und Wertschätzung ent- gegengebracht wurde (Fv11:328, :408), denn auf dem Missionsfeld fehlte es an Möglichkei- ten, emotionale Defizite kompensieren zu können (Fv21:56). Auch Missionare konnten auf Grund ihrer Lebensumstände Mangel nicht ohne weiteres kompensieren (Fv21:56). Dennoch gingen sie auf dem Missionsfeld auf (:126), erweiterten ihren Radius, hatten Kontakt zu vielen verschieden Menschen, konnten Outdoor Erfüllung finden und wurden in ihrer Männlichkeit gestärkt (:134). Für manchen Missionar war diese Männerrolle belebend, unangefochten und frei, gepaart mit einem hohen Stressfaktor (:100). Das konnte zu einer Autoerotisierung führen (:140), bei welcher der Missionar allein auf Grund seiner Tätigkeit durch sich selbst erotisiert wurde – und dann je nach Situation, einen Weg suchte, mit dieser Erotisierung umzugehen. Die erfüllende Seiten des Berufs „Missio- nar“ könnten ein Grund dafür sein, dass Missionare, die eine außereheliche Beziehung hatten, in der Situation verharrten, damit alles so bleiben konnte wie es war (:96). Der erotisierende Reiz durch die Andersartigkeit der Frauen der Gastkultur wurde damit erklärt, dass anderes häufig als reizvoll und attraktiv empfunden werde, besonders dann, wenn die eigene Ehefrau nicht so erlebt wurde und sie das von ihrem kulturellen Ursprung her oft auch gar nicht haben konnte (:12), denn sie hatte den gleichen kulturellen Hintergrund wie ihr Mann. Immer wieder gab es Situationen, in denen Missionare beruflich bedingt mit Singlemis- sionarinnen alleine unterwegs waren. Allein das viele Nachdenken darüber was möglich ist und was nicht, war eine Erotisierung (M5:151-157, :197). Bei einzelnen Missionaren stieg die 360 Die heute modernen Flip-Flops waren zur Zeit der Ausreise der Missionarin noch unattraktive Gummischlap- pen (Fv21:156). 216 Wachsamkeit vor einer Erotisierung durch eine Singlemissionarin mit zunehmendem Alter, denn sie trugen Sorge darum, dass „andere mich nicht in irgendwas reinbringen, wo ich dann nicht mehr rauskomme“ (:153). Manchmal konnte nicht auseinander gehalten werden, ob die Erotisierung dem verheira- teten Missionar oder dem männlichen Leiter galt (M5:46, Fv11:16). Manche Leiter empfan- den die Erwartungshaltung der Singlemissionarinnen als belastend und erotisierend (M2:13, M5:268), wenn sie „alles“ für diese sein sollten – eben auch den fehlenden Ehemann erset- zen.361 Allerdings gehörte es zu den Aufgaben von Missionaren in Leitungsfunktionen, dass sie für viele Dinge Ansprechpartner waren und Mitarbeitergespräche mit allen, auch Single- mitarbeiterinnen führen mussten (M5:159, Fv11:56, :140). Je nach Art der Leitungsfunktion gehörte Reisen zu den Aufgaben des Leiters. Auch hieraus resultierten besondere Herausforderungen im Bereich der Erotisierung (Fv9:22, M16:41-45), denn Männer mussten damit rechnen, wenn sie allein auf Reisen waren, eindeu- tige sexuelle Angebote zu erhalten. Ehen von Missionaren beinhalten, wie jede andere Ehe, gute und schwierige Phasen. In schwierigen Ehephasen stieg die Möglichkeit einer Erotisierung (M16:23), die einerseits von der Person des Missionars/der Missionarin ausgelöst werden konnte, die aber andererseits genauso an die Eheleute herangetragen werden konnte, weil Außenstehende spürten, dass eine Erotisierung möglich war. Erotisierungen konnten dann Wurzeln schlagen, wenn beide As- pekte zusammenkamen. Wenn ungünstige Lebensumstände und eine intrinsische Erotisie- rungsbereitschaft zusammentrafen, steigerte das das Erotisierungspotential deutlich. Proble- matische Ehebeziehungen mit unzufriedenen Missionaren wurden durch Erotisierung Außen- stehender ausgeglichen (FvM5:101-104). Die Anteile der Ehefrau lagen in zwei Situationen darin, dass sie „nur an ihren Dienst gedacht hat, und die Beziehung eigentlich auch vernach- lässigt hat“ (M5:105, Fv21:196). Weil der Wunsch des Missionars nach Sexualität bei seiner Frau auf eine zunehmende, unbestimmte Angst vor Sexualität, bis hin zu: „Ich hasse Sex.“ (Fv16:114) traf (:23-30, :58), wurden die Reize durch die Kultur für den Missionar immer markanter (M16:35). Da der Missionar seiner Frau dennoch treu, und damit auch authentisch (M16:75), bleiben wollte, stieg der sexuelle Druck in dem Missionar, den er wiederum an seine Frau weitergab 361 Auch wenn es sich hierbei um alltägliche Hilfeleistungen drehte oder um eine Verminderung von Einsamkeit, so schließt dieses „alles“ doch auch eine erotische Komponente mit ein, denn die Singlefrauen signalisierten auch, dass es ihnen schlecht ginge, weil sie keine Partner hätten (M2:34). 217 (Fv16:112, :256).362 Diese hätte gerne ganz auf Sexualität verzichtet (:115) und sie signali- sierte ihrem Ehemann Verständnis, wenn er sich eine andere Frau suchen würde (:117). Sexu- alität war so zu einem existenziellen Thema für die Eheleute geworden (:124). Gleichzeitig dachte die Missionarin paradoxerweise gelegentlich über einen Seitensprung nach (:449, :455). Die Sexmüdigkeit von Missionarinnen wurde in zwei Interviews thematisiert. Erklärt wurde sie mit den physischen und psychischen Belastungen durch die Umstellung auf den Missionskontext (Fv21:10-12) und damit, dass die Ehefrauen das Leben der Familie aufrecht erhalten und dann die Ehebeziehung hintenanstellten (:54). Während eine Missionarin sich zurückzog, obwohl ihr Mann das nicht toll fand (:54-56), übernahm eine andere die Verant- wortung für das „Treueproblem“ ihres Mannes (Fv9:34). Es sei manchmal nicht verwunder- lich gewesen, wenn Ehen auseinandergegangen wären, weil die Frau kalt wie ein Frosch ge- wesen sei (:44). Innerhalb der Ehe gab es also auch unerwünschte Erotisierungen, wenngleich sich manche Ehefrauen „zusammenrissen“ und auf die Bedürfnisse ihres Mannes eingingen. Eine schleichende Offenheit für eine Erotisierung konnte auch durch ein Nicht- verstanden-werden durch den Partner entstehen (Fv11:416-415, FvM13), wenn dieser zeigte, dass er die Vorlieben seiner Ehefrau ablehnte (:100). Weil die Vorlieben dann mit einem ande- ren Mann geteilt wurden (:95), konnten dessen Erotisierungsbemühungen Früchte tragen (:25). Hinzu kam, dass die Missionarin zunächst ihre Defizite nicht bewusst wahrnahm (:92), obwohl sie das Gefühl hatte, nur für andere leben zu müssen (:73). Sie traute sich nicht, für sich selbst einen Freiraum von der Missionsarbeit zu schaffen. Stattdessen floh sie in ein Hobby, erlebte darin Entspannung (:77) und tiefe Emotionalität (:82) – und landete bei den Erotisierungsversuchen ihres Lehrers. Die Verbindung von einer in ihr neu zum Schwingen gebrachten Seite mit einem anderen Mann stufte sie selbst als gefährlich ein (:21). Als selbst- unsichere Persönlichkeit hatte sie zunächst ihre Bedürfnisse unterdrückt und in der Erotisie- rungssituation immer darauf gewartet, dass ihr Mann, der zuerst über alle Vorgänge informiert war und diese als harmlos einstufte, die Verantwortung übernahm und sie darin bestätigte, dass es besser sei, den Kontakt abzubrechen (:129-135), was er zunächst nicht tat. Problematisch wurde es, wenn die Frau mit den neuen Gegebenheiten auf dem Missi- onsfeld kämpfte und der Mann darin aufging. Gerade in den ersten Jahren erging es ihnen sehr unterschiedlich, weil Frau und Kinder zusammen gehörten und der Mann in seiner Welt 362 Das hat häufig schwerwiegende Folgen für den weiteren Verlauf einer Ehe. Wenn Männer drängeln, schmol- len, strafen oder ignorieren und im Extremfall ihren Willen mit seelischer oder körperlicher Gewalt durchsetzen, damit sie „endlich“ wieder Sex haben, dann löst das in der Frau Verachtung für ihn aus, weil er „immer nur das eine will“. Der männliche Wunsch nach Sexualität wird dann nicht als Zeichen seiner Biologie gewertet, sondern als Egoismus. Dadurch wird die Beziehung immer angespannter und unglücklicher (Malessa & Giesekus 2011:61). 218 lebte (Fv21:8-10, :128). Wenn dann die Zeit füreinander fehlte oder die Prioritäten falsch ge- setzt wurden (M3:11-17, :33, Fv9:12, Fv13:21, :194, M16:218), wenn sie sich dann auseinan- derlebten (Fv21:10), beruflich unterschiedliche Aufgaben wahrnahmen (:196) oder wenn der Eindruck da war, dass Leitung gefordert war und keine Kinder da waren, die eine Grenzset- zung möglich gemacht hätten (Fv13:79-82). Ein wichtiger Faktor für das Gefühl, die Ehe würde von Singles bedroht, lag in der un- terschiedlichen Rollenverteilung für Ehepartner. Manchmal war es die Reisetätigkeit (Fv5:147, Fv9:22, M16:41-44) oder ein hohes Arbeitspensum des Mannes, das eine gesunde Ehepflege erschwerte (Fv5:147). Der Radius des Mannes hatte eine deutlich größere Reich- weite, hatte eine herausfordernde Arbeit, die mit viel Neuem und kulturell Reizvollem ver- knüpft war, während die Frau intern kämpfte (Fv21:10, 134). Diese Spannung wurde auch von Singles wahrgenommen (Fs7:23-24, Fs8:250, Fs18:56). Familien mit Kindern standen unter einer besonderen Herausforderung, weil Kinder die Mütter ans Zuhause banden (Fv5:141, Fs7:23, Fs8:52, Fv9:22, Fv11:158, Fs18:56, M15:270, Fv21:8-10). Das war umso mehr der Fall, je mehr Kinder eine Familie hatte (Fs8:106). So brauchten die Kinder z. B. Fernunterricht, den die Mütter organisieren mussten (Fs8:44, Fv21:10, :24). Manchmal waren die Mütter längere Zeit mit ihnen im Internat (Fv21:122). Kinder waren der Grund, weshalb Mütter die Landes- oder Stammessprache nicht so gut be- herrschten (Fs19:54) und sie bestimmten die Gedanken, Fürsorge und das Kraftpotential ihrer Mütter mit (Fv5:147, Fs19:164, Fv21:54, 174). Kinder waren auch der Anlass für Kurzzeitle- rinnen (Fv9:47); verhinderten die direkte Mitarbeit der verheirateten Missionarin in der Mis- sionsarbeit (Fs8:12, 52, Fv9:17-18, Fs19:219); schnitten ihre Mütter durch die Familiensitua- tion von Kontakten ab (Fv5:141); konnten stressauslösend unter den verheirateten Missiona- rinnen werden, weil diese die Kinder, deren Verhalten, deren Schulfragen und andere Situati- onen miteinander verglichen, bewerteten und abwerteten (Fv21:74). Den Kindern voll zuge- wandt, schienen die Missionarinnen zu erwarten, dass ihre Männer zuerst einmal für sich selbst sorgen können (:54). Diese Aussage war erste einmal nicht direkt an Sexualität ge- knüpft, wenngleich Sexualität inbegriffen zu sein scheint. Die Frauen brauchten ihre Energie für sich selbst und ihre Kinder. Deshalb wünschten sie sich, dass ihre Männer keine Erwar- tungen an sie haben – weder allgemein, noch sexuell. Gleichzeitig hatten die Frauen Angst vor Erotisierungen von außen (Fv5:141) und neigten dazu, damit ihrerseits zu erotisieren. 219 Tabellarische Zusammenfassung: Herausforderungen oder Probleme Missionarin  Klimawechsel  Sexuelle Unlust  Unsicherheit in der Gastkultur  Selbstbild nach Geburten  emotionales Unausgefülltsein Fv9, Fv21 Fv9, Fv21 Fv21 Fv9 Fv11, Fv21 Missionar  emotionales Unausgefülltsein  Autoerotisierung  erotisierende Reize der fremdarti- gen Frau  Reisen mit Singlemissionarinnen  Verheirateter Missionar und männ- licher Leiter - Dienstreisen - Mitarbeitergespräche Fv21 Fv21 Fv21 M5 M2, M5, Fv11 Fv9, M16 M5, Fv11 Missionarsehe  Schwierige Ehephasen  Schwierige Sexualität  Bedürfnisse nicht verstehen  Unterschiedliche Aufgaben - Getrennte Weiterentwicklung - Bedrohung durch Singles  Herausforderung durch Kinder FvM5, M16, Fv21 Fv9, FvM16, Fv21 Fv11, Fv13 M3, Fv9, Fv13 M16, Fv21 Fv5, Fs7, Fs8, Fv9, M16, Fs18, Fv21 Fv5, Fs7, Fs8, Fv9, Fv11, M15, Fs18, Fs19, Fv21 Tabelle 16: Herausforderungen für Missionarseheleute, die Erotisierungen begünstigen 7.1.5. Erotisierungsfaktoren Weitere Ursachen für Erotisierungen im missionarischen Beziehungsnetz lagen in der Person des Missionars/der Missionarin selbst, in den sogenannten „intrinsischen Faktoren“. Diese werden im Folgenden näher ausgeführt und dabei unterteilt in 1. intrinsische Persönlichkeitsaspekte, die Erotisierungen begünstigen, 2. extrinsische Erotisierung begünstigende intrinsische Faktoren, 3. Eifersucht, 4. Anzeichen und Fehlinterpretationen bei tatsächlicher Erotisierung und 5. Erotisierungen, die in Seitensprüngen münden. 220 7.1.5.1. Intrinsische Persönlichkeitsaspekte, die aktive Erotisierung be- günstigen Einige Aspekte von Erotisierungen wurden in Zusammenhang mit Aspekten der Persönlich- keit der Erotisierenden zusammengebracht. Diese wurden in diesem Kapitelteil zusammenge- tragen und es wurde unterschieden, ob diese Aspekte der Persönlichkeit dazu führen, dass jemand erotisierte oder dass jemand zu erotisieren war. Außerdem wurde, wenn möglich, je- weils das Ziel der Erotisierung aufgeführt. Interessant war, dass die Erotisierungsmöglichkeiten von einem Missionarsehepaar sehr unterschiedlich eingeschätzt wurden. Während der Ehemann mit zunehmendem Alter die Ge- fahr einer Erotisierung bei sich stärker als früher sah (M5:200), verlief die Erwartung bei der Frau genau umgekehrt (Fv5:162), weil das „Erotische nimmt ja bei der Frau eher ab mit zu- nehmendem Alter“ (:164). Vermutlich meint die Frau hier ihre (äußerliche) Attraktivität als alternde Frau. Denn die Entwicklung des Sexualtriebs über die Lebenszeit von Männern und Frauen hinweg zeigt einen gegenläufigen Verlauf von dem, was sowohl der Mann als auch die Frau von sich selbst berichten (Malessa & Giesekus 2011:60). Abbildung 10: Entwicklung des weiblichen und männlichen Sexualtriebs über die Lebenszeit (Malessa & Giesekus (2011:60) Da diese Missionarin (Fv5) sich durch Erotisierungsversuche anderer Frauen herausge- fordert fühlt, die eigene Ehe besonders gut zu gestalten und auf die Bedürfnisse des Eheman- 221 nes einzugehen (Fv5:41), ist nicht davon auszugehen, dass diese Missionarin zur Gruppe der Frauen gehört, die sexuelle Aktivitäten eingestellt haben, weil sie in der Ehe unglücklich sind. Ein Missionar empfand es als Ungleichheit, dass die Ehefrau auf hübsche, junge Män- ner hinweisen konnte, es aber vermutlich befremdlich und erotisierend wirken würde, wenn er auf Frauen hinweisen würde, die für ihn attraktiv wären (M15:256). Aktive Erotisierungen: Manche Missionar/-innen brachten Erotisierungsanfälligkeit mit Fa- cetten der Persönlichkeit zusammen. So könne aus der Beobachtung von scheiternden Ehen im Umfeld plötzlich eine Unsicherheit aufkeimen und die Frage gestellt werden, ob die eigene Ehe halte (Fs18:22, :56). Oder man sei verunsichert darüber, ob die eigene Person mit den Erwartungen des Partners übereinstimme (Fv16:272). Jung verheiratete Missionarinnen beo- bachteten ihre Männer im Zusammensein mit anderen Frauen stärker, weil sie nicht sicher waren, wie sich der Ehemann anderen Frauen gegenüber verhielt (Fv5:135). Selbstzweifel an und in der eigenen Ehe führten zu Verunsicherungen, ob „man“ denn überhaupt der richtige Partner sei oder ob die Partnerin die richtige Partnerin ist (M16:66). Aber auch die Auseinan- dersetzung mit dem eigenen Alter, dem alternden Körper oder einer körperlichen Verände- rung (z. B. durch eine Schwangerschaft) löste Verunsicherung aus. Das wurde besonders markant, wenn der Ehemann „das Adrette, das Junge, das Makellose“ (Fv9:53) offensichtlich registrierte, „freundlich redet und so beide ihren Charme spielen lassen“ (:51). Besonders hart wurde es, wenn die Missionarin sich im Gegensatz dazu als „hässliches Entlein“ (:51) „mit meinem dicken Bauch“ (:47) sah. Es war für verheiratete Missionarinnen nicht immer ein- schätzbar, wie sich die Beziehung zwischen ihrem Ehemann und einer Singlemissionarin entwickelte, wenn dieser die Singlemissionarin häufig abends nach Hause begleitete (Fs7:20). Manchmal reagierten Missionarinnen damit, dass sie in einer starken äußeren Bindung zu ihrem Mann lebten. Dabei war nicht klar, ob es darum ging, den Ehemann unter Kontrolle zu haben oder ob der eigene Selbstwert stabilisiert wurde, weil die Missionarin in der Anwe- senheit des Mannes meinte eher gesehen zu werden (Fs14:61-68). Den Umgang mit dem Stressfaktor Einsamkeit thematisierten Missionare und Single- missionarinnen. „Einsamkeit ist immer auch eine, ein Stressfaktor, der, der sich auch im Blick auf Sexualität auswirkt“ (M10:191), aber auch dessen Gegenteil, das häufig enge Zusammen- leben der Missionar/-innen kann Einfluss haben (:193). Manchmal führte die Abwesenheit oder das Engagement der Ehefrau zu einer Einsamkeit, die durch Erotisierung kompensiert wurde (M5:107, Fv21:196). Als gefährlich wurde es auch eingestuft, wenn nicht reflektiert wurde, dass Männer als „einsame Wölfe … durch die Gegend laufen“ (M5:283). Das sollte 222 besonders im Blick sein, wenn Leitungsfunktionen übernommen würden, denn es würde „ja nach oben immer dünner“ (:299). Bei Singles kann die Einsamkeit eine stärkere Attraktivität zu anderen Lebenskonzepten hin auslösen (Fs8:252). Manchmal wird Erotisierung auch benutzt, um Anerkennung zu kompensieren (Fv11:311-315, : 359-363) oder um dem eigenen Narzissmus zu frönen (Fs12:253-257). Ihre Offenheit für Erotisierung beschrieb ein Missionarsehepaar, sowohl der Mann als auch die Frau, als eine Mischung aus erotisierender Kultur, Eheschwierigkeiten und unreflek- tierter eigener Biographie (FvM16:125). Wenn Missionare durch Sexualität ihre (unbekannte, frühkindlich defizitäre) Sehnsucht nach körperlicher Nähe füllen wollten, hatte das Einfluss auf den Wunsch auf die Häufigkeit, mit der sie sich einen ehelichen Sexualakt wünschten (M16:133-135, 212). Hinter der Sehnsucht nach Sexualität verbarg sich eine andere Sehn- sucht (:142). Weil sich die Ehefrau aber gleichzeitig zurückzog (zu diesem Zeitpunkt noch aus unbekannten Gründen) (FvM16:115-124), konnte die Erotisierung durch die Gastkultur in besonderer Weise angreifen. Nach der Beobachtung von FvM16 seien auffallend häufig Missionar/-innen auf dem Missionsfeld, die sexuellen Missbrauch erlebt hätten (:88). „Uns ist zum Beispiel erschre- ckend aufgefallen, dass bei uns im Team es kaum eine Frau gegeben hat, Missionarin, die nicht Missbrauchsopfer war“ (Fv16:157). Dieser kann auch auf dem Missionsfeld stattfinden kann (Fs19:239). Weitere Ursachen für Erotisierungen können mangelnde Offenheit in der Partnerschaft (M16:23, Fv16:379), Selbstüberschätzung (Fv11:250-257, Fv13:222) und ungute Bindungen an Erotisierer (Fs12:113, 466) sein. Stieg der berufliche Druck, stieg auch der sexuelle Druck (M5:218-221). Manche Mis- sionar/-innen formulierten „bei Männern“ ein grundsätzliches Treueproblem (Fv9:19, :32) und sie seien häufig auf Sex ausgerichtet (M5:193-195). Durch den daraus folgenden kontinu- ierlichen Selbstschutz könnten schnell Erotisierungen erwachsen (:200). In einem Interview wurde ein eher diffuses Defizit bei einer Singlemissionarin be- schrieben, das ein Missionar als erotisierend erlebte (M5:37-40). 223 Tabellarische Zusammenfassung aktiver Erotisierungen und Persönlichkeitsfacetten: Ausgelöst in: Phänomene: Verheiratete Missionarin Missionar Single- missionarin Unsicherheit:  in der Ehe  jung Verheirateter  Selbstzweifel  Anwesenheit von Singlemissionarin Fv16, Fs18 Fv5 Fv9, Fv16 Fs7 M16 Kontrolle und/oder Selbstwert Fs14 Einsamkeit Enges Zusammenleben M5, M10, Fv21 M10 Fs8 Anerkennung und Narzismus Fv11 Fv11, Fs12 Mischung aus Kultur, Ehe, Biographie Fv16 M16 Sexueller Missbrauch der Missionarin Fv16 Fs19 Mangelnde Offenheit in der Partner- schaft Fv16 M16 Selbstüberschätzung Fv11, Fv13 Bindung an Erotisierer Fs12 Beruflicher Druck M5 Mannsein M5, Fv9 Diffuses Defizit M5 Tabelle 17: Intrinsische Erotisierungsoffenheit 7.1.5.2. Extrinsische Erotisierung begünstigende intrinsische Faktoren Es konnte auch vorkommen, dass Erotisierungen von außen auf fruchtbaren Boden fielen, weil die Erotisierer einen Persönlichkeitsanteil ausgemacht hatten, mit dem auf Erotisierung reagiert wurde. So bezeichneten sich einige Missionar/-innen als naiv in erotischen Dingen. Sie gaben sich ohne Vorbehalte und Vorkenntnisse in eine Situation (Fv13:18, M13:54, :118) oder hatten früher schon nicht bemerkt, wenn sie erotisiert wurden (Fs14:79-81). War die Na- ivität mit Offenheit, Schönheit und Ehrlichkeit gepaart („Ein Mensch, den man gerne hat“), dann wurde das zu einer einladenden Mischung für Erotisierer (M13:11). Eine Missionarin bezeichnete sich im Umgang mit Frauen aus der Altersgruppe Mitte 20 in Bezug auf ihren Mann als naiv, allerdings hatte sie keine negativ erotisierenden Erfahrungen mit dieser Al- tersgruppe gemacht (Fv15:173). Ein Missionar hatte den Eindruck, er „als Mann spüre das noch viel mehr. Ich spüre das viel mehr, wenn ich Frauen in dem Alter dann … (M5:63). Gemeint waren die gefühlten Er- 224 wartungen und die Unruhe von Singlefrauen von ungefähr 40 Jahren, die in diesem Zeitraum ein weiteres Mal ihren Singlestatus auffallend reflektieren. Ebenso konnten Grenzverschiebungen das Erotisierungsansinnen steigern (Fs12:463- 465). Durch die Beharrlichkeit eines erotisierenden Einheimischen konnten Widerstände der Missionarin zurückgewiesen werden und Erotisierung erfolgen (Fv13:26-28). Eine Missionarin erlebte, dass ihr Mann mehr Zeit am PC verbrachte als mit ihr (FvM13:21, :29). Sie fühlte sich in ihren Bedürfnissen nicht wahr- bzw. ernstgenommen (:99). Daher konnte die Erotisierung eines Einheimischen, der Zeit für sie hatte, Früchte tra- gen. Die allgemein verunsicherte Persönlichkeit einer Missionarin konnte dazu führen, dass die Erotisierung durch einen Einheimischen Früchte trug und er war ermutigt, seine Verfüh- rungsversuche fortzusetzen (Fv13:121, :135). Aber auch eine verunsichernde Mischung aus Stolz, Hilflosigkeit, mangelndem Selbstvertrauen und die Angst von anderen bewertet zu werden, konnte dazu beitragen, dass Erotisierungen zugelassen wurden (Fs18:91). Genauso konnten Singlemissionarinnen und verheiratete Missionarinnen für Erotisie- rungen offen sein, „die auf der Suche sind oder die, die nicht eine ganze Erfüllung haben“ (Fv11:328) und denen Anerkennung und Wert mit der Erotisierung vermittelt wurde (:305). Eine so erotisierte Missionarin benutzte die Erotisierung gegen ihren Mann, da sie von diesem nicht bekam, „was sie sich von ihrem Mann wünscht(e)“ (:424). Eine Ursache für Erotisierungen durch Ehefrauen konnte sein, dass diese keinen „ehrli- chen Austausch“ (Fs18:70) miteinander pflegten und folglich alleine mit ihren Gedanken blieben und diese vielleicht auch nicht zugeben wollten. Diese Vermutung wurde insofern bestätigt, da Fv21 sich nicht erinnern konnte, dass jemals über Erotisierungen im Missionars- geflecht gesprochen wurde – auch nicht die möglicherweise sexuelle Unzufriedenheit in Mis- sionarsehen (auf die besonderen Herausforderungen für Missionarsehen und deren Erotisie- rungen und sexuelle Konsequenzen wurde bereits in 7.1.4 eingegangen). Das sei „interessant, weil man sich ja über Vieles ausgetauscht hat.“ (:70). 225 Tabellarische Zusammenfassung der Erotisierung durch andere: Ausgelöst bei: Phänomene: Verheiratete Missionarin Missionar Single- missionarin Naivität Fv13, Fv15 M13 Fs14 Mannsein M5 Grenzverschiebung Fv13 Fs12 Fs12 Prioritätenverschiebung Fv13 Unsicherheit  Fremdbestimmung  Stolz, Hilflosigkeit, mangelndes Selbstvertrauen Fv13 Fs18 Anerkennung suchend Fv11 Fs12 Fv11 Kein ehrlicher Austausch Fs18 Tabelle 18: Extrinsische Erotisierung begünstigende Faktoren 7.1.5.3. Eifersucht Eifersucht war eine häufiger genannte Gefühlsregung im Zusammenhang mit Erotisierun- gen,363 die manchmal berechtigt und manchmal unberechtigt war; die manchmal provoziert wurde und manchmal verhindert werden sollte. Berechtigt eifersüchtig sah sich ein verheirateter Mann, weil ein Einheimischer sich er- laubte „meine Frau anzubaggern“ (M13:63-65). Ein Missionar sah die Eifersucht seiner Frau als berechtigt an (M16:218), die Verlassenheitsängste zeigte (Fv16:254). Weil sie „ihm jetzt das Leben nicht noch schwerer“ machen wollte, „wo es ihm doch gerade schon nicht gut geht“ (Fv6:20), verzichtete die Missionarin bewusst auf Eifersucht und gab sich trotz erfolgter, aber ihr noch unbekannter, Erotisierung mit der Diagnose Burn-out zufrieden. Eine andere verheiratete Missionarin bemerkte zu den Eskapaden ihres Mannes: „Ich bin nicht eifersüchtig. Oder ich denke auch nicht, dass du mit ihr jetzt ein Verhältnis hast“ (Fs12:77). Unberechtigte Eifersucht wurde manchmal erst im Nachhinein so bewertet. In einer Si- tuation veränderte Eifersucht die Beziehungen, denn „das hat schon was mit mir gemacht; dass ich auf das Mädchen eigentlich eifersüchtig war“ (Fv9:47). In einer anderen Situation nahm die Eifersucht auf die Singlefrau ihren Ausgang im Supervisorauftrag des Mannes (Fs18:22). In der dritten Situation, in der von unberechtigter, erotisierter Eifersucht berichtet 363 Ebenso kamen Eifersüchteleien aus anderen Gründen zutage (Fs8:12, Fs14:39). 226 wurde, war die Ursache eine Eifersucht auf „eine (Paar-)Beziehung, die sie selber nicht hat- ten“ (M20:14). Mit der Erotisierung durch einen andern Mann versuchte eine Missionarin ihren Mann eifersüchtig zu machen, um eheinterne Veränderung anzuregen (Fv11:432). Eine Missionarin versuchte, der Eifersucht vorzubeugen, damit „Eifersucht nicht erst entstehen kann. Oder dem gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen“ (Fs8:28). Tabellarische Zusammenfassung: Berechtigte Eifersucht M13, M16, FvM16 Berechtigte, aber nicht gelebte Eifersucht Fv6, Fs12 Unberechtigte Eifersucht Fv9, Fs18, M20 Provozierte Eifersucht Fv11 Eifersucht vorgebeugt Fs8 Tabelle 19: Eifersucht 7.1.5.4. Anzeichen und Fehlinterpretationen bei tatsächlicher Erotisierung Erste Anzeichen für eine mögliche Erotisierung wurden nicht immer als solche interpretiert. Anzeichen waren die Ähnlichkeit der Beteiligten (Fv6:26, Fs12:251), gemeinsame Begeiste- rung für ein gemeinsam ausgeübtes Hobby (Fv13:77), die Faszination durch eine besondere Gabe des Anderen (Fs12:67, :143), die Art, wie romantische Gefühle belebt, aber auch gestillt wurden (:53, :147-149) oder Komplimente (:53). Es kam häufiger vor, dass Erotisierungen bei sich selbst, aber auch bei anderen, fehlin- terpretiert wurden. Im Folgenden werden dazu einige Beispiele aufgeführt, die häufig sowohl die Seite der Fehlinterpretation bei sich selbst als auch die Seite der Fehlinterpretation von anderen zeigen. Fehleinschätzungen bei sich selbst:  Mit „wenn deine Frau sich ändert, wenn deine Frau Heilung erlebt, dann wird alles gut." (M16:77). So wollte ein Missionar seine Erotisierung kompensieren. Dann hät- te er nichts bei sich ändern müssen und er hätte die Erotisierungen die er durch die Kultur erlebte, mit seiner Frau durch Erotik in der Ehe ausleben können. Ihm wäre allerdings verborgen geblieben, dass seine Erotisierung mehr mit seinen Verletzun- gen aus der Vergangenheit zu tun hatten als mit der Ehebeziehung (:129). 227  Eine verheiratete Missionarin nahm ihre inneren Warnzeichen nicht ernst und dachte, sie würde fehlinterpretieren (Fv13:127). Damit ermutigte sie den einheimischen Mann, seine Erotisierungsversuche fortzusetzen (:25).  Der Wunsch bessere Missionare zu sein, wurde zu einer Basis für die Erotisierung einer verheirateten Missionarin (Fv11:240-248). Ihr Wunsch nach einer starken In- kulturation führte letztlich zu einer sexuellen Beziehung zu einem Einheimischen (:146).  Die eigene Ehe wurde stabiler eingestuft als sie war. „Ein Glück haben wir eine so gute Ehe“ denn „keiner ist so glücklich verheiratet wie wir!“ (Fv6:96-98) dachte die Missionarin und bemerkte die Erotisierung des Ehemannes nicht. Im Nachhinein äu- ßert sie, sich von Anfang an elementar etwas vorgemacht (:39-49) und die Warnun- gen in ihrem Inneren nicht ernst genug genommen zu haben (:230).  Die Fehleinschätzung der eigenen Kapazität gepaart mit der Diagnose Burn-out wur- de kompensiert mit einer erotisierten Beziehung (FvM15:186-193).  Das eigene Verhalten, das eine Erotisierung förderte, wurde heruntergespielt (Fs12:62-65). Die Affinität des erotisierenden Erlebnisses zur eigenen Biographie war zunächst unbekannt und damit auch, dass die von einem verheirateten Missionar ausgehende Erotisierung zu biographischen Erlebnissen aus der Ursprungsfamilie passte (:169). Die aus der Erotisierung hervorgehende „falsche Energie, die kein Ziel hat“ (:269) wurde nicht als solche wahrgenommen (:225-229, :268-281), sondern zu- nächst als stimulierend erlebt. In der Rückschau zeigt sich die Ambivalenz der Be- ziehung, die Energie entzog und gleichzeitig gab es „eine künstliche Energie. Und da habe ich gemerkt: Es zieht mir eigentlich Lebenskraft ab. Obwohl es so stimulierend ist. Keine echte Kraft“ (:243). Fehleinschätzungen von anderen:  Eine als sensibel beschriebene Missionarin nahm wahr, dass „irgendwas nicht stimmt“. Sie unterlag dann aber einer Fehlinterpretation und bemerkte deshalb nicht, dass ihr Mann eine erotische Beziehung zu einer Einheimischen eingegangen war (Fv21:20).  Eine Einladung zum Kaffeetrinken (in der Öffentlichkeit) wurde von einer Missiona- rin als normales Verhalten innerhalb der Gastkultur gedeutet. Das ermutigte den Ein- heimischen, an seinem Wunsch, die Beziehung zu erotisieren festzuhalten (Fv13:18). 228  Die Erotisierung der Ehefrau durch einen Einheimischen war ein unerwarteter Ver- trauensbruch und eine Desillusion, der nachfolgende Schock albtraumartig (M13:29). Obwohl die Missionarin ihre Unsicherheit bezüglich des Erotisierers formulierte, sah der Missionar keinen Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit der Situation (:147).  Eine Missionarin hatte die Erotisierungsoffenheit ihrer verheirateten Mitmissionarin falsch eingeschätzt (Fv11:208-211), ebenso wie es die sie sendenden Leute getan hatten (:248).364  Durch die Diagnose Burn-out wurde das veränderte Verhalten des Ehemanns erklärt – allerdings konnte darin eine außereheliche Beziehung verborgen werden (Fv6:16). Obwohl beide Eheleute schon immer in die Mission wollten (:132), gab dem Mann die erotische Beziehung mit einer Atheistin die Möglichkeit, sich vom Glauben zu distanzieren (:110). Die ersten Anzeichen einer erotisierten Veränderung wurden zwar wahr-, aber nicht so ernst genommen (:24-27). Manchmal nahmen Eheleute die Anzeichen für eine Erotisierungsbereitschaft einer Single- missionarin unterschiedlich wahr. Während das Verhalten auf den Missionar erotisierend wirkte, sah die Missionarin die Ursache in einem „viel größeren Problem“ (FvM5:51-52). Tabellarische Zusammenfassung der Fehlinterpretationen: Fehlinterpretation bei sich selbst Fv6, Fv11, Fs12, Fv13, FvM15, M16 Fehlinterpretation bei anderen Fv6, Fv11, FvM13, Fv21 Tabelle 20: Anzeichen und Fehlinterpretationen bei Erotisierungen 7.1.5.5. Erotisierungen, die in Seitensprüngen münden Außereheliche Erotisierungen wurden in zwei Varianten nachgewiesen. Zum einen der voll- zogene Seitensprung und zum anderen der Seitensprung, der ausschließlich im Kopf stattfand. Missionar/-innen liebäugelten dabei mit der Option aus ihrer Ehe auszubrechen, ohne dass ihre Vorstellungen für andere ersichtlich waren oder ihre Phantasie im tatsächlichen sexuellen Vollzug endete. Mit dieser Interpretation schließe ich mich Runte (2001:82-83) an, die bei einer Untersuchung zum Fremdgehverhalten von Frauen herausarbeitete, dass die befragten 364 Wer die „sendenden Leute“ waren, wurde nicht näher definiert. 229 Frauen das Gefühl hatten fremdzugehen, wenn sie ein inniges, platonisches Verhältnis zu ei- nem anderen Mann aufgebaut hatten. Der Seitensprung im Vollzug: Vollzogene Seitensprünge wurden in vier Interviews themati- siert. Als Seitensprung im Vollzug wurde eine Situation deklariert, wenn eine entweder kör- perlich vollzogene, außereheliche Beziehung oder eine so intensive Bindung an eine Frau oder einen Mann vorlag, dass diese von den direkt Beteiligten selbst als Seitensprung dekla- riert wurde. In drei Interviews wurden vier Seitensprünge mit körperlichem Vollzug geschildert (Fv6, Fv11, Fv21).  Eine betrogene und sich ohnmächtig erlebende Missionarin (Fv6:42) beschrieb die Konkurrentin mitleidsvoll (:74) als Frau, die mit ihrer erotischen Ausstrahlung spiel- te (:75-81), indem sie das schon äußerlich zeigte, denn „sie hatte hochhackige Schu- he an, äh, kurzes Sommerkleidchen, äh, gute Figur, Haare so ein bisschen aufge…, für hiesige Verhältnisse, würde ich fast so ein bisschen aufgedonnert sagen. Also, und sie wusste sich zu bewegen“ (:54). Der Missionar hatte zu seinem, lange gehei- men (:82), Ehebruch geäußert: „Eigentlich hatte ich gar keinen Grund!“ (:88). Im Nachhinein zeigte sich, dass die außereheliche Beziehung ein Sprungbrett aus der Missionsarbeit war, die auch eine Distanz zu Gläubigen ermöglichte (:100-111) und damit von geistlichem Leistungsdruck befreite (:129).  Zwei Interviewpartnerinnen beschrieben körperlichen Ehebruch aus der Beobachter- position heraus (Fv11, Fv21). o Ein Seitensprung wurde vollzogen, weil die verheiratete Missionarin „so afrika- nisch wie möglich, so kulturnah wie möglich“ leben wollte „um Missionar zu sein“ (Fv11:146). o In zwei anderen Berichten war es zum Ehebruch je eines Missionars mit der je- weiligen einheimischen Hausangestellten gekommen (:8, :196). Die Geschichten unterschieden sich insofern, als dass die betrogenen Ehefrauen sehr unterschied- lich beschrieben wurden. In einem Fall kämpfte die Ehefrau mit der Kultur, dem Klima und dem neuen Lebensrhythmus und hatte wenig körperliche Ressourcen. Sie galt als hochsensible Hausfrau und Mutter (:10). Im zweiten Fall lebte die Ehefrau als extrovertierte Missionarin. Sie trat offensiv in die Kultur des Missi- onslandes ein und war aus beruflichen Gründen häufig unterwegs (:196). Ebenso unterschiedlich wurden die Hausangestellten beschrieben. Im ersten Fall wurde 230 das Hausmädchen als „anders“ – eben afrikanisch und damit deutlich unterschied- lich zur Ehefrau – beschrieben (:24). Im zweiten Fall wurde ein „sehr junges, `knackiges´, nicht christliches Kindermädchen mit häufig aufreizender Kleidung“ beschrieben, die „sehr bewusst etwas aus sich gemacht und Wert auf Kleidung ge- legt“ hatte (:196). Zwei Seitensprünge fanden auf der mentalen Ebene statt.  Eine verheiratete Missionarin setzte den Erotisierungsversuchen eines Einheimischen zu wenig Grenzen (Fv13:18). Die verheiratete Missionarin und ihr Mann formulie- ren, dass der Vertrauensbruch die Ehe beschädigt habe (:32, M13:29-30).  Eine Singlemissionarin ließ sich über einige Zeit auf das Erotisierungsbegehren eines Mitmissionars ein (Fs12:31). Trotz innerem Kampf, weil er verheiratet war (:61), war es verlockend, denn immer lag Erotik in der Luft (:23). Die Ehe des Missionars wurde als Schutz wahrgenommen, da er nicht frei war. Die Singlemissionarin hatte daher keine Entscheidungsoption. Im Laufe der Zeit bemerkte die Singlemissionarin, dass sie nicht den anderen liebte, sondern sich selbst im anderen. „Das ist ganz viel Narzissmus auch hier. Was hier abgeht zwischen uns. … Im anderen lieben wir uns selbst. Und da habe ich dann irgendwann erkannt und gedacht: `Nein, geheiratet hät- te ich ihn auf gar keinen Fall!´“ (:255-257). Der Ehebruch wurde von der Frau des Missionars so formuliert: „Du trägst sie im Herzen. Das spüre ich.“ (:77). Diese Formulierung weckte die Einsicht „`Ich nehme dieser Frau den Mann weg.´ Auch al- lein durch diese erotisierte Beziehung“ (:75). Dieser Missionar erotisierte eine weitere Missionarin (siehe Definition 2.1.3) inner- halb seines missionarischen Beziehungsnetzes (:167). Der Seitensprung als „Kopfkino“: Seitensprünge fanden manchmal, bei Frauen wie bei Männern, ausschließlich im Kopf statt. Das geschah dann häufig ohne eine konkrete Vorstel- lung von einem Mann bzw. einer Frau (M16:66, Fv16:456). Dennoch wurden sie von den Betroffenen als Ehebruch deklariert (:453). „Ja, wie ist das denn mit einem anderen Mann?“ (:449) war die Überlegung in einer schwierigen Ehephase, die in einer Traumwelt mündete (:58). Hinzu kam sexueller Druck durch den Ehemann (:112). Auslöser für das Kopfkino der Frau war der Moment, wo ihr Mann ärgerlich auf sie war (:455). Gleichzeitig dachte der Mis- sionar: „Mensch, was wäre, wenn du eine andere Frau hättest? Was wäre, wenn, du hast viel- leicht doch die falsche geheiratet" (M16:109). „Such dir eine andere“ (:66). Er war sexuell 231 unzufrieden, stand unter großen Anfechtungen und ging mehrere Male „haarscharf am Ehe- bruch vorbei“ (:41). Aber auch der Gedanke, die Ehefrau habe etwas Besseres verdient, mach- te sich mehr und mehr in ihm breit (:66). Das „Treueproblem“ der Männer kann zu einem erotisierenden Kopfkino beitragen. In einer Missionarsehe wurde vom Ehemann immer wieder vom „Treueproblem der Männer“ gesprochen (Fv9:19, :32). Das löste bei der Frau, die insgesamt ein hohes Vertrauen zu ihrem Mann hatte (:32), in einer Situation eine Reaktion auf eine kurzzeitige, junge Singlemissiona- rin aus (:47). Das Kopfkino der Missionarin setzte in der Zeit nach einer Entbindung ein, in der sie durch die Geburt noch beeinträchtig war und auf das „Treueproblem“ ihres Mannes nicht eingehen konnte. Von einer Singleprobandin wurde die Aktivität des Kopfkinos als besonders heikel be- schrieben, wenn man sich nicht sehen konnte. Denn in Luftblasen und Illusionen sei alles möglich (Fs12:205). Tabellarische Zusammenfassung der Erotisierungen, die in Seitensprüngen münden: Seitensprunge mit körperlichem Vollzug Fv6, Fv11, Fv21 Seitensprunge ohne körperlichen Vollzug Fs12, Fv13 Seitensprünge als „Kopfkino“ Fv9, Fs12, FvM16 Tabelle 21: Erotisierungen und Seitensprünge 7.1.6. Weitere Erotisierungen im Missionar/-innenumfeld Neben den erotisierenden Grundannahmen und Verallgemeinerungen, Erotisierungen von und an Einheimischen, kollegialen Erotisierungen und Erotisierungen, die durch den Zusammen- hang von Familienstand und Lebensumständen begünstigt wurden gab es Erotisierungen, die in keine dieser Gruppen passten. Manche dieser Erlebnisse hatten direkten Einfluss auf die Missionar/-innen, andere spielten eine eher untergeordnete Rolle, weil sie nicht direkt im mis- sionarischen Beziehungsgeflecht stattfanden. Nicht bei jedem dieser Erlebnisse konnte der Einfluss auf die Missionar/-innen herausgefunden werden. Die folgenden Erotisierungen hatten direkten Einfluss auf die Missionar/-innen, weil sie deren Lebens- und/oder Arbeitsraum betrafen.  Eine verheiratete Freundin des Missionarsehepaares wurde von der Ehefrau als latent bedrohlich erlebt, weil diese dem entsprach, was der Ehemann mochte und „die ist auch jemand, glaube ich, die das Bett auch noch mehr liebt als ich“ (lacht) (Fv16:276). Der Ehemann bestätigte, dass diese Freundin ihm zeitweise non-verbal 232 gezeigt habe, dass sie sich für ihn interessiere und dass die jetzt gelebte Distanz zu dieser Freundin hilfreich sei, um vor einer weiteren Erotisierung geschützt zu sein (M16:306-321).  Ein verheirateter Missionsfreund besuchte ein Missionsland und zeigte durch die Art, wie er von und mit Singlemissionarinnen und verheirateten Missionarinnen sprach, eine auffallende Nähe, Vertrautheit und Intimität zu den Frauen (Fv11:262-265). Manchmal reiste er unangekündigt zu für die Missionarinnen persönlichen Anlässen und versuchte, eine im aktiven Dienst stehende Singlemissionarin für die Missions- gesellschaft anzuwerben, die ihm nahe stand. Dafür war er bereit, zusätzliche finan- zielle Aufwendungen einzubringen (:270). Bei einer Singlemissionarin löste seine Erotisierung angenehme Gefühle aus (:285), eine verheiratete Missionarin nutzte die Erotisierung gegen ihren Mann (:328), eine andere verheiratete Missionarin fühlte sich abgestoßen, weil sie das Gefühl hat, dass mit ihrer erotisierten Aufwertung ihr Mann abgewertet werden sollte (:295).  Eine Singlemissionarin, die in der Heimatzentrale einer Mission arbeitete, berichtete von unaufgedecktem sexuellem Missbrauch in einem Missionswerk und pornogra- phiesüchtigen Kollegen. Auf diesen Umstand sei sie durch internationale tätige Per- sonalverantwortliche hingewiesen worden (Fs19:239).  Unerwünschte Erotisierungen konnten auch durch den fast überall auf der Welt mög- lichen Zugang zum Internet und damit zur Pornographie stattfinden (M10:195- 197).365 Andere Erotisierungen aus den Interviews hatten keinen direkt-erotisierenden Einfluss auf die Missionar/-innen. Da sie aber in den Interviews beschrieben wurden, werden sie hier der Vollständigkeit halber erwähnt.  Ein einheimischer, aber deutschstämmiger Mitarbeiter im Missionsteam, der mit ei- ner Einheimischen verheiratet war, ging eine Beziehung zu einer ebenfalls deutsch- stämmigen Einheimischen ein, die seine Bedürfnisse besser verstand (FvM5:73-100).  Zwei einheimische Singlestudenten einer einheimischen, evangelikalen Bibelschule begannen eine sexuelle Beziehung. Der Missionar, der auch Schulleiter war, musste einen Umgang damit finden (M5:252-256). Tabellarische Zusammenfassung: 365 Dieser Aspekt spielt sicherlich eine wichtige Rolle, wird aber in dieser Untersuchung nicht weiter inhaltlich berücksichtigt und nur der Vollständigkeit halber als ein Interviewcode aufgelistet. 233 Erotisierung durch: Erotisierungsobjekt: Missionarsehepaar Verheiratete Freundin FvM16 Missionsfreund Singlemissionarin Verheiratete Missionarin Fv11 International Personalverantwortliche Verheirateter Missionar Fs19 Internet und Pornographie alle M10 Einheimischer Mitmissionar Einheimische Mitmissionarin FvM5 Einheimische Studenten Einheimische Studenten M5 Tabelle 22: Sammlung von Erotisierungen im weiteren Umfeld der Missionar/-innen 7.2. Folgen der Erotisierung für die Mission Neben der Frage nach den Erotisierungen interessierte mich bei den Interviews auch, welche Folgen die Erotisierungen hatten. Während den Codierungsphasen wurde die unterschiedliche Relevanz der Fragen deutlich, denn auf die Erotisierungssituationen entfielen ca. 880 Codie- rungen und auf die Folgen der Erotisierung für die Mission nur ca. 230. Außerdem wurden die Folgen insgesamt nicht so facettenreich geschildert. In diesem Kapitelteil werden die Fol- gen für die Mission unter den Überschriften Folgen für die Missionsarbeit und Persönliche Folgen dargestellt. 7.2.1. Folgen für die Missionsarbeit Auf die Folgen für die Missionsarbeit fiel ca. 1/3 der 230 Codings. Diese wurde weiter unter- teilt in Folgen für die Missionswelt, Folgen für die Missionsgesellschaft und Folgen für die Missionsgemeinschaft vor Ort, wobei die Unterteilung in Folgen für die Missionsgesellschaft und Folgen für die Missionsgemeinschaft vor Ort nicht immer aufrecht erhalten werden konn- te, da die Missionar/-innen diese nicht immer trennten. Bei den Folgen für die Missionswelt muss unterschieden werden zwischen der missi- onsbedürftigen Welt (Reimer 2009:182) und den Gläubigen im Gastland. In beiden Gruppen hatte die Erotisierung Einfluss. Dabei wurde ein negativer Einfluss in der missionsbedürftigen Welt manchmal eher vermutet bzw. hätte erst langfristig relevant werden können, weil die geistliche Wirksamkeit fraglich war (M20:86) und weil sich die Missionar/-innen durch die Erotisierungserlebnisse veränderten (Fs13:24, :211, M15:135). Es wurde vermutet, dass echte Begegnung in Missionssituationen erst möglich würde, wenn die Missionare frei würden von ihren eigenen (biographischen) Belastungen, die Erotisierungen förderten (Fv9:71, Fv16:382). Wenn der Schaden direkt erkennbar war, wurde die Echtheit der Missionar/-innen in Frage gestellt (M2:60), das christliche Zeugnis und der Ruf der Christen beschädigt (Fs7:46-49, Fv11:176, Fv21:197) oder mit dem Tabubruch Vertrauen gebrochen (M20:174). 234 Es kam vor, dass Missionar/-innen ihre als unangenehm bewerteten Ereignisse im Mis- sionarsteam mit einheimischen Christen teilten und so negative Auswirkungen einläuteten (M2:58). Der Schaden bei den Gläubigen traf dann letztlich die Missionar/-innen wieder. Weil das Ansehen der Missionare Schaden genommen hatte, war die Vertrauensbildung für nachfolgende Missionar/-innen bei dem Gläubigen erschwert (Fv6:254-265). Manchmal, ge- rade wenn junge, einheimische Christen durch die Erotisierung betroffen waren, kam es zu negativen Irritationen mit Vertrauensbruch und Autoritätsverlust (FvM5:230-232). Allerdings konnten die Erotisierungen auch positive Folgen bei den Gläubigen haben, weil Gottes Gemeinde Gottes Gemeinde ist und nicht unsere. Und das in unserem Fall, dass muss ich jetzt auch mal sagen, in unserem Fall tatsächlich die Gemeinde ein Ruck nach vorne bekommen hat. Und nicht, wie man eigentlich erwartet hätte, ins Straucheln geraten ist. … Es war Anfang Sommer, dass wir praktisch gegangen sind und ausfielen und gegen Ende des Sommers war ein großes Tauffest, wo sich, ich meine, neun oder zehn Leute haben sich taufen lassen. Fv6:250 Auch wenn Missionar/-innen straucheln, „Gott schützt seine Gemeinde“ (Fv6:254) und die guten Folgen der Situation wurden als „großes Geschenk Gottes“ (:226) erlebt. In einer anderen Situation war der Schaden gering, weil sich die gute Prozessgestaltung positiv aus- wirkte (FvM5:250-251). Die Folgen für die Missionsgesellschaft und die Missionarsgemeinschaft im Ausland lassen sich nicht immer auseinander halten. Daher sind sie nur getrennt aufgeführt, wenn das möglich war. Besonders da, wo es um den Preis und den Gewinn von Erotisierungen ging, vermischten sich die Ebenen. In einer erotisierten Situation setzte sich die Missionsleitung intensiv für alle Betroffenen ganz praktisch ein (sowohl für die Ehefrau und Kinder als auch für den erotisierten Ehemann), auch mit Gesprächsangeboten, kurz und langfristig (Fv6:186- 197, :202-209). Die Betroffenen wurden gut betreut. Das bedeutete aber gleichzeitig, dass in der Missionsgesellschaft dadurch Kräfte gebunden waren. Manchmal waren die Kräfte ein- zelner Leiter gebunden (Fs7:46, Fv11:85), manchmal führte eine Erotisierung zu einem „Durcheinander in der Mission“ (:174). In jedem dieser Fälle hatten die Erotisierungen direkt (negative) Auswirkungen auf die Missionsgesellschaften. Manchmal wurden Missionsgesellschaften von Erotisierungen informiert und sie unter- stützten die Missionar/-innen dann (Fs14:115). Waren die Missionar/-innen vor Ort unter der Leitung einer anderen Missionsgesellschaft tätig und die Erotisierung hatte dort ihren Ur- sprung, war die deutsche Missionsgesellschaft nicht immer in der Lage für ihre Missionar/- innen einzutreten. Die ungeklärte Situation zwischen den Missionsgesellschaften wurde so auf 235 dem Rücken von Missionar/-innen ausgetragen. Das war besonders hart, wenn es um eine Erotisierung ohne Erotik ging. Hierbei war der Schaden für beide Missionsgesellschaften eher indirekt (für die Missionsgesellschaft vor Ort, weil die Missionarin sich von ihr trennte und für die deutsche Missionsgesellschaft, weil eine Unsicherheit bezüglich der Betreuung von Missionar/-innen zurückblieb). Manchmal kam es nach Erotisierungen zu hilfreichen Strukturveränderungen (M3:29) oder zu Veränderungen in der Personalzusammensetzung (Fv1:46). Gelegentlich wurden Per- sonalentscheidungen von Erotisierungen ohne Erotik geprägt (Fs19:46). Tabellarische Zusammenfassung der Folgen negativ positiv direkt indirekt Missionswelt  missionsbedürftige Welt  Gläubige im Missionsland M2, Fs7, Fv11, M20, Fv21 M2, Fv5, Fv6 Fv9, Fv13, M15, Fv16, M20 FvM5 Fv6 Missionsgesellschaft Fv6, Fs7, Fv11, Fs14 Fs1, M3, Fs14 Tabelle 23: Folgen für die Missionswelt und Missionsgesellschaft Erotisierungen hatten bei den Missionar/-innen direkt vor Ort viele negative Folgen für das missionarische Beziehungsgeflecht. Das galt natürlich für tatsächliche unerwünschte Ero- tisierungen, aber es war besonders bizarr, wenn die Erotisierung keine Grundlage hatte, weil sie im Kopf der Mitmissionar/-innen ihren Ausgang genommen hatte. Negative und positive Folgen bei tatsächlichen Erotisierungen:  Keine authentische Lebensführung (Fs12:207, Fv13:197).  Zeit und Gespräch (Fv6:148, Fs7:44-46, Fs8:162, Fv11:198, Fs12:89, :241), was die durch Erotisierung Betroffenen, aber nicht Auslösenden, als wohltuend erlebten (Fv6:148).  Unruhe und Unsicherheit über die Angemessenheit der Reaktionen (Fs7:46, 54).  Entsetzen, Betroffenheit, Hilflosigkeit, Enttäuschung (Fs7:46, :54). Dabei waren Ero- tisierung auslösende und betroffene Missionar/-innen enttäuscht darüber, dass ihre Missionarskolleg/-innen sie alleine ließen, wenig Verständnis zeigten und keine Un- 236 terstützung für stabilisierende Veränderungen gaben und weiterhin Leistung erwarte- ten (FvM13:211, :256, :294, :311).  Warnungen und Engagement für die Betroffene (Fv6:148, Fs7:46, Fv11:198, Fs12:89, 241, Fv13:300).  Befangenheit und Schweigen (M3:27, Fs17:13, Fs19:113). Negative und positive Folgen bei Erotisierung ohne Erotik:  Eigenes, erotisierendes Fehlverhalten wurde verteidigt (M20:19).  Misstrauen (Fs14:97, Fs18:114, Fs19:109) und Kontrolle, sowohl in Bezug auf die Erotisierten, als auch in Bezug auf die Erotisierer (M20:18-19, :133-135).  Distanz in den Beziehungen (M5:11, Fs18:122, M20:88) oder zum anderen Ge- schlecht (M5:130-133); mehr Vorsicht, aber bewusst gewählte Beziehungen (:135, Fs18:122).  VeränderteTeamzusammensetzung und die Festlegung eines Einsatzorts (Fs19:64, 196).  Besondere Vorsichtsmaßnahmen verheirateten Missionarinnen gegenüber (Fs4:11, Fs7:23, Fs8:12, Fs14:49, Fs18:6).  Verunsicherung (auch, weil eine beobachtete tatsächliche Erotisierung schweigend unbeachtet blieb) (Fs18:113-118).  Stärkere Suche nach Beziehungssicherheit bei Gott (Fs18:70). In manchen Situationen gab es Gerede in der Missionarsgemeinschaft, unabhängig da- von, ob eine tatsächliche Erotisierung vorlag (Fv21:130) oder ob es zu Erotisierungen durch das Gerede gekommen war (M20:10, :45-48). Manche Missionare gingen in den Widerstand zu den Erotisierungen ohne Erotik (M20:19) und versuchten Gerede zu vermeiden (M15:155). Belastende Veränderungen der Atmosphäre (M2:82) wurden auch als spannungsreich, kon- trollierend, befangen, „verbiestert“, mies oder schädigend beschrieben (M5:311, Fv9:71, Fs17:13, M20:54, :94, :131). Für Singles suchte man nach speziellen Wegen, um sie vor extrinsischen Erotisierungen zu schützen (M2:70, M3:23, Fs7:20, :62, Fs8:68). 237 Tabellarische Zusammenfassung: Folgen in der Missionarsge- meinschaft negativ positiv  bei tatsächlicher Erotisierung  Erotisierung ohne Erotik  Gerede  Veränderung der Atmosphäre  Schutzmaßnahmen für Sin- glemissionarinnen M3, Fv6, Fs7, Fs8, Fv11, Fs12, FvM13, Fs17, Fs19 Fs4, M5, Fs7, Fs8, Fs14, Fs18, Fs19, M20 M20, Fv21 M2, M5, Fv9, Fs17, M20 M2, M3, Fs7, Fs8 Fv6 Fs18 M15 Tabelle 24: Folgen von Erotisierungen für die Missionsarbeit Die Erotisierungen hatten einen Preis. Sie kosteten Kraft und Energie (M3:19, Fs7:55- 60, Fs8:168, :174, Fv9:81-84, Fv11:200, Fs12:221-222, :243, Fs14:98-99), Zeit (Fs7:55-60, Fs8:174, Fv11:93-99, :200, Fs14:98-99) und Geld (Fs14:98-99), welches für den Missions- dienst nicht mehr zur Verfügung stand. Die Probleme waren im Fokus (Fv11:200), führten zu Chaos (:174-176), lähmten (Fv9:71) oder führten zu inneren Kämpfen (M3:21, Fv9:81, Fs12:61). Ein Ehepaar kämpfte gemeinsam um die eigene Ehe (Fv13:46-48). Allerdings beschrieben die Proband/-innen auch (zumeist langfristige) Gewinne durch die Konflikte, die durch Erotisierungen entstanden waren. Wir sind da ein Stück durch, wir haben Wege gefunden, und das, was wir ent- deckt, gelernt, erlebt haben, da wollen wir mit den anderen im Gespräch sein. Weil, weil das ein Thema ist, gerade Erotik, Sexualität und so, ist schon auch ein großes Feld von Anfechtung für Missionare. Und da muss man einfach klar sein und, und offen mit umgehen. Das tun wir. Und das, merke ich, ist gut für uns als Mission, als Missionsgesellschaft, weil es da auch schon ordentlich Not gegeben hat. (M16:376) Reflexiv mit der eigenen Geschichte umzugehen, führte zu einer Kompetenz im Um- gang mit anderen. Die Offenheit im Umgang mit der eigenen Geschichte eröffnete anderen Missionar/-innen die Möglichkeit, sich ebenfalls zu öffnen. (FvM16:371, :389). Die Missio- nar/-innen wurden hellhöriger und reagierten schneller, wenn sie Berichte ihrer Kolleg/-innen hörten (Fv13:300). Sie konnten diese besser begleiten und hatten mehr Verständnis und Barmherzigkeit für andere (Fv13:197, M13:296). Wenn sexueller Missbrauch die Biographie 238 der Missionarinnen prägte, wurden neben den betroffenen Frauen auch die Männer gesehen, die, gerade in erotisierenden Kulturen, besonders litten und Hilfe brauchten (M16:389). Singles bauten bewusst Kontakt zu Ehefrauen auf um Erotisierungen zu vermeiden (Fs4:36, Fs7:23, Fs8:12, :175, Fs19:212). Manche Missionarsehepaare bekamen mit der Zeit den Mut, sich als Paar abzugrenzen (M2:92). Einige Missionarinnen lebten durch und nach der Erotisierung in einer stärkeren und in- tensiveren Gottesbeziehung (Fv13:352, Fs14:24, Fs18:149, Fs19:233). Tabellarische Zusammenfassung: Kosten Nutzen Kraft/Energie M3, Fs7, Fs8, Fv9, Fv11, Fs12, Fs14 Zeit Fs7, Fs8, Fv11, Fs14 Geld Fs14 Problem im Zentrum Fv11 Chaos und Lähmung Fv9, Fv11 Kämpfe M3, Fv9, Fs12, Fv13 Eigenen Geschichte annehmen und reflektieren FvM16 Offenheit für andere FvM13, FvM16 Kontaktpflege mit verheirateten Missionarinnen Fs4, Fs7, Fs8, Fs19 Bessere Abgrenzung zu Singles M2 Verbesserte Gottesbeziehung Fv13, Fs14, Fs18, Fs19 Tabelle 25: Kosten-Nutzen-Tabelle bei Erotisierungen in der Missionsarbeit 7.2.2. Persönliche Folgen Zwei Drittel der Codes für Folgen für die Missionsarbeit entfielen auf die persönlichen Fol- gen im missionarischen Beziehungsgeflecht. Wenngleich die negativen Folgen den größten Anteil ausmachten, wurden doch erstaunlich häufig positive Folgen der Erotisierungen ge- nannt. Beides wird im Folgenden differenziert dargestellt. Manche Missionar/-innen beschrieben negative Auswirkung der Erotisierung auf ihre Gottesbeziehung. Diese sei ausgebremst gewesen und habe zu einem „leeren Tank“ (M16:412) geführt. Ebenso wurden Schuldgefühle und das Gefühl, nicht authentisch zu sein genannt (Fv13:220), das mit der Angst einherging ein schlechtes Zeugnis des christlichen Glaubens zu sein (:197, :225). Gleichzeitig wurde die Zeit in und nach der Erotisierung zu einer Phase intensiver Gottesbegegnung (Fs14:149), viel Gebet (Fv13:46), Gottvertrauen (:233, FvM5:240-245, Fs14:149) und Buße (FvM5:240-245, Fv13:233). Die guten Folgen 239 einer Erotisierung wurden von einer Missionarin als „großes Geschenk Gottes“ (Fv6:226) erlebt, das sie mit Dankbarkeit erfüllte (:250) und das als Bewahrung bewertet wurde (Fv13:195-197). Dazu gehörte auch die Offenheit der Christen im Hintergrund der Missiona- rin (inkl. der sendenden Gemeinde) (Fv6:208). Wichtig sei negative Erotisierungen in positi- ve, gottgeschenkte Energie umzuwandeln (FvM5:325-328), geistlich wachsam zu bleiben (FvM15:129) und Offenheit in der Gottesbeziehung zu leben (Fv13:233). Tatsächliche Erotisierungen gingen im Eigenerleben einher mit Selbstanklagen, mit Schuldgefühlen (Fv13:32, 107, 222), Selbsthinterfragen (Fv11:96, Fs12:65, FvM15:79), Ge- heimnis (Fs12:207, M16:271, Fv21:95), Unsicherheit den Anderen gegenüber, da nicht klar war, wie viel diese von der Erotisierung bemerkt hatten (Fs12:217). Zugleich konnte ein Be- wusstsein dafür vorhanden sein, dass etwas im Leben abgespalten war (:233) und sich das Gefühl ausbreiten, nicht authentisch zu sein (:209-215, Fv13:233, M16:402). Es kam zu einer Erhöhung von Frustration (Fs8:162) und Stress (FvM15:11). Das Alleinsein wurde markant wahrgenommen (M16:404). Gleichzeitig wurden die Konsequenzen der Erotisierung nicht immer bedacht (:457), das führte zu Fluchttendenzen (Fv13:27) oder zu einem ambivalenten Lebensgefühl (Fs12:211). Wenn die Erotisierung keine Basis hatte, dann fühlten sich Singlemissionarinnen ausge- grenzt (Fs1:51), hilflos, verletzt und ungerecht behandelt (Fs18:40, 52) und hatten dennoch ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, die Beziehung habe ihre Freiheit und Unschuld ver- loren (Fs18:44-46). Sie ermahnten sich selbst zu einer erhöhten Vorsicht (:56, Fs14:97). Ver- unsicherung (Fs18:44), Schlafstörungen (Fs14:99), das Gefühl von Unfreiheit (Fs18:42) und intensives Selbsthinterfragen (:123) waren weitere Folgen. Eine Singlemissionarin beschrieb langfristige Verunsicherung (:56). Ein Missionar beschrieb die Zurechtweisung „nimmt dich erst einmal raus aus dem Rennen“ (M15:79). Verheiratete Missionar/-innen waren bedrückt und wie gelähmt, weil sie Angst vor einer tatsächlichen Erotisierung hatten (Fv9:71). Manche Missionarinnen zogen aus den Erotisierungserlebnissen die Konsequenz, noch stärker wachsam sein zu wollen, auch wenn die Erotisierung ohne Erotik erfolgt war (Fv11:54, Fv15:82, M15:111, Fs17:63-65). Die Transparenz nach einer Erotisierung habe gut getan (Fv13:233). „Heute lebe ich befreiter“ (M16:389) und dankbar (Fv6:250), mit einem besseren Gefühl dafür. Andere Missionar/-innen haben sich selbst besser kennengelernt (Fs14:102-110). Manche haben nach einer durchstandenen Erotisierung Wachstum erlebt (Fv6:274). 240 Erotisierungen haben negative Folgen auf die Beziehung der Eheleute miteinander, da die Ehe von einer Person außerhalb der Ehe mitgeprägt wurde (Fv11:100-104, :274-276, Fs12:77, Fv13:199-208), denn „sie war Thema bei uns“ (Fv11:108). Ehen zerbrachen (Fv6, Fv21:197), waren Gefahren ausgesetzt (Fv13:24), das gegenseitige Vertrauen war beschädigt (:195) und beteiligte Ehepartner/-innen waren wütend auf die Person von außen (M13:64). Kämpfe in der Ehe entziehen in der akuten Situation Kraft und lähmten die Arbeit (Fv9:81- 83, M13:238),366 auch langfristig (Fv9:34). Besonders problematisch war es, wenn die Ehe- leute nicht darüber miteinander reden konnten und sich die Partner in der Ehe einsam fühlten (Fv9:74-77, M16:23). Manchmal signalisierten die reagierenden Ehepartner, dass der An- spruch von außen nicht akzeptabel sei (M2:92-94). Eine Ehe wurde nach einer Erotisierung aufgelöst (Fv6). Bei anderen Ehen war der weitere eheinteren Prozesses nicht bekannt (Fv21:86). Obwohl sie ihren Mann von den Begegnungen berichtete, entwickelte sich die Erotisierung einer Missionarin immer weiter (Fv13:32). Der daraus entstehende Vertrauens- bruch führte zu einer innerlichen und äußerlichen Einschränkung und zur Kontrolle durch den Ehemann (M13:29-30). Diesen Vertrauensverlust versuchte die Missionarin ihrerseits wiede- rum zu kompensieren und hatte dabei oft das Gefühl, „dass ihr die Luft zum Atmen fehlte“, weil sie immer unter Rechtfertigungszwang stand (:32-34). Beim Mann blieb eine Unsicher- heit zurück (:58). Manchmal wirkte das Verhalten verheirateter Missionarinnen kontrollierend auf Singlemissionarinnen (Fs1:73, Fs8:20, :148-150, Fs18:44, Fs19:22). Ehepaare lebten sich trotz einer gemeinsamen Berufung auseinander und dann konnten Erotisierungen wirksam werden (Fv21:10). In einer Ehe hatte die Erotisierung positiven Einfluss auf die Ehe, denn „wenn ich mer- ke, dass andere Frauen ihn – ich will es jetzt mal ganz negativ sagen – anmachen, das löst in mir noch viel mehr den Wunsch aus, mit ihm zusammen zu sein, das Verhältnis gut zu gestal- ten, auf die Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen usw.“ (Fv5:41). Vorbeugend leistete eine ande- re Missionarin „ihren Beitrag“ zur Treue ihres Mannes, indem sie dafür sorgte, „dass das Se- xualleben eben läuft“ (Fv9:34). Der Ehemann erotisierte sich latent, indem er immer wieder vom „Treueproblem der Männer“ sprach. Erotisierungen brachten aber auch Erkenntnisse (:19, :32) über unbewusste Defizite im Zusammenleben (FvM13:290-291) und/oder eine hilf- reiche Auseinandersetzung mit der eigenen Ehe und deren Stärkung (:47, Fv11:115-117), die wirkliche Begegnung ermöglichte (FvM16:381). Offenheit und Ehrlichkeit dem Ehepartner 366 Die Probandin sprach von einer Energieminderung von 50% (Fv9:83). 241 gegenüber wurden als befreiend beschrieben (Fv13:233). Der Wert der Ehe wurde mehr ge- schätzt, aber dabei die Ehe realistischer betrachtet (:195). Erotisierungen hatten auch Auswirkungen auf Familie und Freunde, die als hilfreiche Mitwisser und Stütze erlebt wurden (Fv6:146-148, :164, :174, :250), aber auch als Leute, vor denen man ein Geheimnis bewahren musste (Fs13:241). Es herrschte die Angst, dass familiä- re Beziehungen gesprengt würden (Fv21:96), denn die Auswirkungen auf Familien können „katastrophal“ sein (Fv11:174). Obwohl sich diese Angst in Erotisierungssituationen nicht immer bestätigte (Fv6:268), wurden Freundschaften zum anderen Geschlecht nach einer Ero- tisierung nur noch distanziert ausgelebt (M15:17, Fv13:195). Auf die Ausübung des Berufs als Missionar/-in hatten Erotisierungen wesentliche und teilweise harte Folgen. Manchmal waren die Konsequenzen nur für wenige sichtbar.  Bei Erotisierung mit Erotik o Verlust des Arbeitsplatzes (FvM5:244-251, Fv11:186) oder Abbruch der Missi- onstätigkeit (Fv6:279, Fv11:178, M15:111, M16:376, Fv21:96, :197). o Deutlich erhöhter Mehraufwand (z. B. in Gesprächen, in logistischen Überlegun- gen) und damit einhergehende Einschränkungen in der Missionstätigkeit (Fv11:202).  Bei Erotisierung ohne Erotik o Verlust des Arbeitsplatzes oder Abbruch der Missionstätigkeit (Fs19:200, :225). o Deutlich erhöhter Mehraufwand (z. B. in Gesprächen, in Diplomatie) und damit einhergehende Einschränkungen in der Missionstätigkeit (M2:54, Fs8: 150-157, :174), o Erotisierer schaden sich manchmal selbst und sind nicht mehr voll einsatzfähig (Fs14:95). Positiv wurde beschrieben, dass sich problematische Erotisierungsbeziehungen manch- mal einfach durch Arbeitsteilung aufgelöst hätten (Fs1:46-47). Manchmal unterstützten die Kolleg/-innen eine durch Erotisierung angegriffene Singlemissionarin. Damit stabilisieren sich die Beziehungen im Kolleg/-innenkreis und die Singlemissionarin erlangte eine stärkere Sicherheit (Fs14:113). 242 Zusammenfassung der persönlichen Folgen der Erotisierung: Negative Folgen Positive Folgen Tatsächliche Erotisierung Erotisierung ohne Erotik Tatsächliche Erotisierung Erotisierung ohne Erotik in der Gottesbe- ziehung Fv13, M16 FvM5, Fv6, Fv13 Fs14, FvM15 Eigenerleben Fs8, Fv11, Fs12, Fv13, FvM15, M16, Fv21 Fs1, Fs8, Fs14, M15, Fs18 Fv6, Fv13, M16 Fv11, Fs14, FvM15, Fs17 Eheleben M2, Fs6, Fs8, Fv9, Fv11, Fs12, Fv13, M13, Fs18, Fs19, Fv21 Fs1, Fs8, Fs18, Fs19 Fv5, Fv9, Fv11, FvM13, FvM16 Familie/Freunde Fv11, Fv13, M15, Fv21 Fv6 berufliche Folgen FvM5, Fv6, Fv11, FvM15, FvM16, Fv21 M2, Fs8, Fs14, Fs19 Fs14 Fs1 Tabelle 26: Persönliche Folgen der Erotisierungen 7.3. Präventionen In dieser Arbeit sollte es im Wesentlichen darum gehen, Erotisierungen in missionarischen Beziehungsgeflechten zu verstehen und abzubilden. Darüber hinaus wollte ich verstehen wel- che Folgen die Erotisierungen haben und auch, welche Präventionsmaßnahmen aus der Sicht der Missionar/-innen hilfreich waren oder gewesen wären. Diese werden im Folgenden ausge- führt und unterteilt in Erwartungen an das Beziehungsgeflecht und die Missionsleitung, und persönliche Maßnahmen, diese werden weitergeführt bezüglich des Familienstandes in Prä- ventionsmaßnahmen und Singlemissionarinnen, sowie Prävention durch gegenseitige Hilfe in der Paarbeziehung. 7.3.1. Erwartungen an das Beziehungsgeflecht und die Missionsleitung Missionar/-innen erwarten von ihren sendenden Missionsgesellschaften Hilfe zur Prävention von Erotisierung. Von den ca. 480 Codings zu Präventionsmaßnahmen entfielen fast die Hälf- te auf verschiedene Erwartungen an das Beziehungsgeflecht. Manche der Präventivmaßnah- men hatten die Missionar/-innen in der Vergangenheit bereits erlebt, andere hätten sie sich 243 gewünscht. Dieser Unterschied wird bei der folgenden Darstellung nicht thematisiert, weil es darum geht, die verschiedenen Optionen aufzuzeigen, die von Missionar/-innen in der Praxis als hilfreiche Maßnahmen erwartet werden. Eine besondere Erwartung wurde an die Missionsleitung bezüglich der Vorbereitung von Missionar/-innen gestellt. So sollte in der Vorbereitung angesprochen werden, dass es zu Erotisierungen, gerade durch die Andersartigkeit der Kulturen, kommen kann (Fv5:306, M15:145, Fs18:76, Fv21:100-111). Aufgeklärt werden sollte auch über die durch Erotisierung ausgelösten emotionalen Spannungen (Fs7:76) bei Männern (FvM16:446-447) und bei Sin- gles (M3:36) und den über Kleidungstile hinausgehende Verhaltenskodex und die damit ein- hergehenden Folgen in der Gastkultur, aber auch über die Folgen bei den Missionar/-innen selbst (Fs12:287-294). Das alles sollte in dem Bewusstsein geschehen, dass es keine endgülti- ge Sicherheit vor unerwünschten Erotisierungen gibt (Fv6:236). Ebenso sollte der Umgang mit dem anderen Geschlecht (Fv21:105), die Dynamik zwi- schen Singlemissionarinnen und verheirateten Leuten und die mögliche Eifersucht von Ehe- frauen Singlemissionarinnen gegenüber bei Singles und Verheirateten thematisiert werden. Am besten in einem gemeinsamen Setting (Fs18:78). Gleichzeitig sollte, bei allem guten Wil- len, nicht über das Ziel hinausgeschossen werden und Erwachsene sollten nicht wie Kinder behandelt werden (M20:58-60). Ebenso hilfreich wäre es, wenn Missionsleitung erkennen könnten, welche Themen die Missionskandidat/-innen durch ihrer Biographie noch belasten um ihnen bei deren Verarbeitung helfen zu können (M3:39-40, Fv9:107). Mit Familien und Singles sollte klug und gleichwertig umgegangen werden, denn Zu- friedenheit „trägt dazu bei, dass auch die Erotisierung und die ganzen Spannungen nicht so groß sind. Je mehr Spannungen da sind, desto mehr ist ja dieses Verlangen wieder da“ (M5:311). Es sollten kluge Entscheidungen zum Einsatzort getroffen werden, damit die Per- sönlichkeit jedes einzelnen Missionars auf dem Missionsfeld gedeihen und nicht nur retadiert ausgelebt werden kann. Die Verlockung, dass eine Missionarsfamilie alleine in einer Region besseren Kontakt zu Einheimischen herstellen kann, könnte dabei klugen Personalentschei- dungen im Weg stehen (Fv21:174). Neue Missionare sollten gut in die Gastkultur eingeführt werden. Die Missionsorganisa- tionen sollten dazu soweit wie möglich ihren Einfluss nutzen (Fs4:32, Fv5:310, M10:65, Fv11:165, Fv21:102) und die Ehen der Missionar/-innen dabei dauerhaft im Blick behalten (:106). Schon im Voraus sollten Missionar/-innen dazu ermutigt werden, das was sie bewegt offen und auch selbstkritisch anzusprechen (Fv9:61). 244 Missionsgesellschaften sollten die Schwierigkeiten im missionarischen Beziehungssys- tem erkennen, denn dort würde geredet, geurteilt und verurteilt (M20:155-157). Missionslei- tungen sollten deshalb den Mut haben, Missionare evtl. vom Missionsfeld zu holen, wenn diese selbst nicht mehr zurecht kommen und sich „verbiestert“, kontrollierend, tratschend und arbeitsschädigend verhalten (:131) oder keine Korrektur annehmen (:147). Die Erotisierung von Kolleg/-innen sei darin eingebettet, müsse aber in einem größeren Zusammenhang be- trachtet werden. Dabei sollte in schwierigen Situationen nicht gerichtet, sondern hilfreich ein- gegriffen und allen Beteiligten (inkl. Kindern) praktisch geholfen, langfristig unterstützt und geschützt werden (Fv6:186-197, Fv11:210, Fs19:248). Praktische Hilfe könnte es sein, wenn die Missionsgesellschaft es übernehme z. B. die Heimatgemeinde über schwierige (erotisierte) Vorgängen zu informieren (Fv6:208). Nur ausgebildete und in die Position und Kultur eingeführte Missionar/-innen sollten Leitungspositionen bekleiden, damit diese sich selbst reflektieren und gezielt vor Erotisierun- gen schützen können (M3:9, Fv11:54, :134-140). Unterschiedliche Kulturen erfordern dabei unterschiedliche Kommunikationsstile (M2:80). Die Leiter sollten wissen, wie man schwieri- ge Themen anspricht, damit diese nicht allein atmosphärisch bleiben, weil sie unausgespro- chen sind (:84-88). Sie sollten ebenso wissen, wie man dann weiter damit umgeht (:92). Au- ßerdem sollte die Rolle der Ehefrau des Leiters geklärt werden, denn „ich dachte: `Von Frau zu Frau ist das einfacher.´ Aber sie kam dann auch an eine Grenze“ (M3:11-13). Missionsleiter sollten erotisierende Gefahren, die von einzelnen Personen ausgehen (Fv11:338, Fs12:467) bzw. Gefahren für Ehebeziehungen erkennen (Fv21:198). Dabei sollten besonders die persönlichen, emotionalen Bedürfnisse im Blick sein, ebenso ob die Missionar/- innen genügend ausgleichende Selbstfürsorge betreiben (Fv11:468), damit ein erhöhter Stressfaktor nicht in Erotisierungen führt (M10:49-63). Ebenso hilfreich ist es, (informelle) Vorbilder zu haben (M3:15, Fs7:80, M10:161) und so in die Erotisierungseigenheiten der Kultur (FvM13:315) oder in das Miteinander im missi- onarischen Beziehungsgeflecht eingeführt zu werden (Fv9:12). Manche Missionar/-innen wiesen darauf hin, dass es gut ist, sich an Regeln zu halten (M10:171, FvM15:17, M20:57), diese aber das Miteinander im Beziehungsgeflecht nicht elementar behindern dürfen (M10:175). Dabei sollte die Teambildung in der jeweiligen Orga- nisation hilfreich für alle gestaltet werden (FvM13:351). D. h. „auch von Zahlenverhältnis her, das, dass es da eine gewisse Proportion gibt, die dann gedeckelt werden müssen“ (M3:23). Manchmal sind Pausen, z. B. Sabbatzeiten, hilfreich. Hierzu braucht es eine unter- stützende Missionsgesellschaft (Fv6:182). 245 Die Missionar/-innen wünschen sich in der Missionsvorbereitung eine ehrliche, vorbeu- gende Offenheit und Auseinandersetzung am Lebensbeispiel anderer und ein proaktives Vo- rangehen bei den Themen Erotisierung und Sexualität (Fv6:248, M10:175, FvM13:347-349, Fv16:420, :435, M16:508, Fs18:130, Fv21:198). Wenn man von sich erzählt, eröffnet das anderen die Chance, sich öffnen zu können und aus der Sprachlosigkeit heraus zu kommen (Fv16:435, 483). Das sei besonders wichtig, wenn das Thema in der Ursprungsfamilie ausge- klammert worden wäre (M16:483). Dabei kann es passieren, dass der/die andere das Thema noch gar nicht erfassen oder darüber reden kann. Allerdings ist es, weil es bereits schon ein- mal thematisiert war, eher möglich es erneut aufzugreifen (:487-492). Außerdem sollte das Wesen des Mannes als sexuelles Wesen thematisiert werden, damit männliche Missionare besser verstanden werden (Fv16:493-499). Erotisierungsfördernd sei das Abgeschnittensein von Freunden, Familie und Sprache (Fv13:349) und dass sich in der anderen Kultur „die Din- ge, die Eigenschaften auch verstärken. … Da fährt man dahin und hat keine Ahnung, was da eigentlich passiert“ (Fv16:493). Es wäre auch hilfreich, wenn Missionar/-innen „mal ehrlich reden! Nicht immer so moralisch tun“ (Fs12:327), damit mit Erotisierungen ehrlich umgegan- gen werden kann und so Freiheit entstehen kann (:335-344). Die Tabuisierung von Erotisie- rungen in der Missionsarbeit sollte aufgelöst werden (FvM5:278, Fs8:302), der Täterschutz fallen (Fs18:86:90). Strukturelle Veränderungen könnten und sollten die Fürsorgestrategien für Langzeitmis- sionar/-innen erweitern (Fv11:461, FvM13:351, Fv21:198).367 Diese können z. B. darin lie- gen, dass Singlemissionarinnen und verheirateten Missionar/-innen eine erfahrene, verständ- nisvolle Vertrauensperson, die nicht direkt im Missionarssystem lebt, zur Seite gestellt wird, die immer mal von sich aus nachfragt, die genauer hinsieht und sich nicht mit oberflächlichen Fragen und Antworten zufrieden gibt, die sich wirklich Zeit für die Missionare/-innen nimmt, um mit ihnen zu reflektieren und die gut erreichbar ist (Fs7:90, Fv11:222-228, 256-259, Fs12:408-415, Fv13:311-313, Fs14:127, FvM16:412-420, Fs17:107). Mit Vertrauenspersonen könnte man gemeinsam lernen mit den Erotisierungen umzugehen (Fs12:397), mit ihnen um einen guten Weg ringen (Fs7:90). Sie sollten den Missionar/-innen deutlich machen können: Wie es dir geht, ist uns wichtig (Fs14:127). Bei Singlemissionarinnen kann es auch präventiv sein, zu fragen „Kommst du mit deinem Ledigsein zu Recht? … Fühlst du dich hier als Frau? … Fühlst du dich als Frau? Wann fühlst du dich als Frau? Was würdest du brauchen?“ 367 Diese strukturellen Maßnahmen sollten auch die Fürsorgepflicht bei der Zusammenarbeit von verschiedenen Missionsgesellschaften beinhalten (Fs14:145-147). 246 (Fs12:433, auch in Fv9:104). Allerdings müssten Vertrauenspersonen manchmal zuerst mit viel Geduld gesucht werden (Fs12:395). Regelmäßige seelsorgerliche Begleitung, Supervision, Mentoring durch eine geschulte, erfahrene und vertrauenswürdige Person könnten an der Auflösung oder Verarbeitung von Erotisierungen mitarbeiten (Fs6:224, Fs8:307-315, Fv11:222, Fs12:83, :393, Fs14:140-142, FvM16:478, Fs17:107-112, Fs18:34, 79, M20:68-72, 131, Fv21:100). Einige Missionar/-innen wünschten sich eine Person, der man „Rechenschaft“ geben könnte oder sollte (Fs7:80, Fs12:309, 420-429, Fv21:112, 175). Manche wollten das durch eine Anregung der Missionsgesellschaft eingeführt wissen (Fs7:82, Fs12:309), andere wollten eine verpflichtende Einführung (Fv11:244, 238-24), was von anderen Missionarinnen aller- dings wieder strikt abgelehnt wurde (Fs12:418-429, Fs17:107). 247 Tabellarische Zusammenfassung: Erotisierungen ansprechen durch - die fremde Kultur. - das andere Geschlecht Einsatz von Singlemissionarinnen und ver- heirateten Missionar/-innen klug und gleichwertig planen Neue Missionare gut in die Gastkultur ein- führen Schwierigkeiten im Missionarssystem rechtzeitig erkennen und heraushelfen. Neue Leiter - ausbilden und vorbereiten - Stress und Erotisierungspotential er- kennen Einzelne erkennen - als erotisierende Gefahr - mit Selbstfürsorgepotential Chancen durch Vorbilder nutzen Hilfreiche Gestaltung von - Regeln im Miteinander finden, - Teambildung, - Sabbatzeiten Vorbeugende, ehrliche Offenheit Strukturelle Veränderung für Langzeitmis- sionare: - Vertrauensperson einführen - Qualifizierte Fachperson - fördern von Rechenschaftsberichten M3, FvM5, Fv6, Fs7, Fs12, FvM15, FvM16, Fs18, Fv21 M3, Fv9, Fs18, M20, Fv21 FvM5, Fv21 Fs4, FvM5, Fv9, M10, Fv11, Fv21 Fv6, Fv11, Fs19, M20 M2, M3, Fv11 M10 Fv11, Fs12, Fv21 M10, Fv11 M3, Fs7, Fv9, M10, FvM13 M10, FvM15, M20 M3, FvM13 Fv6 FvM5, Fv6, Fs8, M10, Fs12, FvM13, FvM16, Fs18, Fv21 Fv11, FvM13, Fv21 Fs7, Fv11, Fs12, Fv13, Fs14, FvM16, Fs17 Fs6, Fs8, Fv11, Fs12, Fs14, FvM16, Fs17, Fs18, M20, Fv21 Fs7, Fv11, Fs12, Fs17, Fv21 Tabelle 27: Erwartungen an Missionsleitungen Im Missionarsteam vor Ort wäre es hilfreich, wenn …  der Mut da wäre, die Beteiligten bei einer tatsächlichen Erotisierung zu konfrontieren und nicht darauf zu warten, dass der andere/die andere sich offenbart (Fv11:260, :368-400, Fs12:185, Fv13:300, Fv21:58-60), wenngleich das nicht immer erfolgreich sein wird (Fv6:20, Fv13:45). Dazu gehört es allerding auch, dass das Team die Situa- tion realistisch einschätzt (:311), was am besten gelingen kann, wenn die Teammit- 248 glieder ihre Position im Team gefunden haben und ihre Aufgabe befriedigend finden (FvM15:307-309).  tatsächliche Erotisierungen und der Ausstieg daraus mit Barmherzigkeit begleitet (Fv13:197, Fv16:478) und die Umsetzung angestrebter Präventionsmaßnahmen wohlwollend aufgenommen werden (FvM13:316-318). Barmherzigkeit mit den Ero- tisierern hilft auch Singles, wenn sie ohne Erotik erotisiert wurden (Fs18:54).  Eheleute und Familien unerotische gleich- oder gegengeschlechtliche Freundschaften aufbauen und an ihrem Leben Anteil zu geben, um einfach mal reden zu können, um füreinander da zu sein, um geistliche Vater- oder Mutterschaft anzubieten (FvM5:303) oder Vorbild zu sein (M10:161). Das verhelfe zu realistischen Ehe- und Familienbildern (:315-316) und wirke deshalb präventiv (:303).  Austausch in verschiedenen Zusammensetzungen stattfinden würde z. B. im Team, im Einzelgespräch, unter Ehefrauen (auch von ihnen selbst initiiert) (M5:301, Fs18:70), um zu einer ehrlichen und realistischen Auseinandersetzung mit Erotisie- rung zu kommen (M10:175-180). Dazu bedürfte es einer Offenheit und Transparenz im Team (Fv11:381-385, Fv13:321, M20:131). Über das Beziehungsgeflecht innerhalb der Missionsorganisation sind weitere Bezie- hungen, wie die zu treuen Freunden, hilfreich (Fv6:146-148, Fv11:438, Fs14:140, Fs19:200), Freundschaften von Frau zu Frau (Fs7:23), gute Beziehungen zwischen Verheirateten und Singles (FvM5:312-316, Fs7:24), Zweierschaften (Fv21:102) oder interessierte und beglei- tende Heimatgemeinden (Fv6:208), in denen gut zugehört wird und durch die es möglich ist, die erotisierende Situation zu verarbeiten (Fv11:128-133, :228-231). Abgelehnt wurde die Personalunion von Vorgesetzen und Begleitern bei Erotisierungen (M3:34, Fs7:83-86). Aller- dings würde eine gute Begleitung dann mehr Ressourcen an Personal und Finanzen erfordern (M3:36). 249 Tabellarische Zusammenfassung: Mutig und differenziert bei realer Erotisierung konfrontieren Bei erfolgter Erotisierung: Barmher- zigkeit leben Unerotische, gleich- und gegenge- schlechtliche Beziehungen fördern. Austausch in verschiedenen Zu- sammensetzungen zu Erotisierun- gen Fv6, Fv11, Fs12, Fv13, FvM15, Fv21 Fv13, FvM16, Fs18 FvM5, M10 M5, M10, Fv11, Fv13, Fs18, M20 Erweiterte Beziehungen FvM5, Fv6, Fs7, Fv11, Fs14, Fs19, Fv21 Tabelle 28: Erwartungen an das Missionsteam vor Ort Viele Missionar/-innen nannten konkrete Lernfelder, deren Ausbau sie in der Verant- wortung ihrer Leiter/-innen sahen und in denen sie Präventivmaßnahmen für Erotisierungen erwarteten. Dabei ging es zunächst einmal darum, Informationen zu Erotisierungswegen zu erhalten, bevor man in entsprechende Situationen komme (Fv11:408). Dazu gehöre auch die Herausforderung und Anpassungsstörung durch das vom deutschen Kontext verschiedene enge Zusammenleben in der Missionarsgemeinschaft (M3:40-44, M10:23) und wie Sexualität und Erotik in anderen Kulturen gelebt würde (Fs12:287). Die Missionarinnen wünschten sich einen klaren Blick für erotisierende (Fv11:366) und Mangelsituationen, damit sie sich selbst besser wahrnehmen lernen und gegebenenfalls Defi- zite aufzuarbeiten können (:426, Fv13:337-342). Manche Missionare seien leider qualifizier- ter Seelsorge oder Beratung gegenüber besonders kritisch. Das mache die Situation schwieri- ger (Fv11:250-253). Von Seiten der sendenden Missionsgesellschaften müsse darauf geachtet werden, dass niemand „mit `schwerem Gepäck´ aufs Missionsfeld geht“ (M3:40, Fv9:93), damit die Belastung auf dem Missionsfeld tragbar bleibt. Dabei solle bewusst werden, dass die anderen, auch die Ehepartner, nicht verändert werden können. Daher sei es wichtig, sich zuerst mit sich selbst auseinanderzusetzen (M16:77), sowie die Haltung zu Mann-Frau- Dynamiken (Fs7:80, Fs12:25), das Verhältnis von Singlefrauen und verheirateten Leuten (Fs18:78) und die eigene Eifersuchtsneigung zu reflektieren (Fv16:210-212). Möglicherweise müssten hier biographische oder aktuelle Dinge aufgearbeitet werden (:81, Fs12:169-177, Fv16:92, M16:31-37, :125-133, 141, Fs18:79). Außerdem müssten Missionar/-innen lernen, sich von der Meinung anderer distanzieren zu können, um nicht beständig zu fragen: „Ja, was denkt der jetzt? Habe ich alles richtig ge- 250 macht?“ (M20:128, Fv13:342). Sie sollten dabei auch den Mut aufbringen, neue Aufgaben abzulehnen (FvM15:119-200). Zusammenfassende Tabelle: Vorbeugende Informationen  zu Erotisierungen  zur Verschiedenheit der Kulturen  zu verschiedenem Umgang mit Erotisierung und Sexualität, inkl. Erkennen von Erotisierun- gen Fv11 M3, M10 Fv11, Fs12 Biographiearbeit M3, Fv9, Fs7, Fv11, Fs12, Fv13, FvM16, Fs18 Eigenständiges Denken und Handeln Fv13, FvM15, M20 Tabelle 29: Vorbeugende Informationen Missionar/-innen wünschen sich vorbereitend und fortwährend Schulungen und/oder Konferenzen …  zu Erotisierung (mit und ohne Erotik), Eifersucht und Regeln, damit man nicht denken müsse, kein anderer habe solche Probleme (Fs4:34, M5:283, Fv6:236, Fs7:44, Fs8:234- 237, M10:13, Fs18:76-91, Fs19:247, Fv21:102),  die das Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit der Menschen, Familienstände und Kul- turen schärfen inkl. des unterschiedlichen Umgangs mit Sexualität und Erotik (M2:72, Fv5:285, Fs8:12, :186, M15:145, Fs17:65, Fs18:93-100),  die Werte, Selbstwert und geschlechtsspezifische Identität thematisieren (Fs7:30, :77, Fs18:91-92, Fs19:184-186), inkl. Grenzsetzung (Fs19:247),  zu den Auswirkungen des Missionsdienstes für Eheleute und die daraus resultierenden Gefahren, da Stress auf dem Missionsfeld auf Eheleute unterschiedlich wirke (Fv21:100, :198). Anzustreben sei eine Stärkung und Unterstützung der Ehefrauen (Fv5:271).  für männliche Leiter, in denen man sich mit dem Thema „Mann und Leiter“ auseinan- dersetzt (Fv11:134-139), damit Sprachlosigkeit überwunden werden kann (Fv6:153- 162, M16:483). Gleichzeitig gab es ein Bewusstsein dafür, dass die Ursache für Erotisierungen nicht immer in mangelnder Schulung lag, denn zumeist werde nur umgesetzt, was die Menschen 251 umsetzen wollen (Fv6:240). Manchmal geschieht Erotisierung, obwohl man „alles weiß“ (:236, FvM13:335). Zusammenfassende Tabelle zu Präventivmaßnahmen durch Weiterbildung: Weiterbildung - zu Erotisierungen mit und ohne Erotik - Unterschiedlichkeit von Menschen, Kulturen und Lebensentwürfen und deren unterschiedli- cher Umgang mit Erotisierungen - Selbstwert - Auswirkungen des Missionsdienstes auf Ehe- leute - Mann und Leiter Fs4, M5, Fv6, Fs7, Fs8, M10, Fs18, Fs19, Fv21 M2, Fv5, Fs8, M15, Fs17, Fs18 Fs7, Fs18, Fs19 Fv5, Fv21 Fv6, Fv11, M16 Tabelle 30: Präventivmaßnahmen durch Weiterbildung 7.3.2. Persönliche Maßnahmen Viele Missionar/-innen sahen die Möglichkeit durch persönliche Maßnahmen präventiv mit unerwünschten Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht umzugehen. Dabei ließen sich folgende Schwerpunkte (in der Reihenfolge der Codiermenge) ausmachen: unter- schiedliche Selbstschutzmaßnahmen zu Abgrenzungen, spezielle Maßnahmen zum Single- sein, geistliche Prävention und Persönlichkeit. In der folgenden Darstellung werden die Er- gebnisse in einer veränderten Reihenfolge im Sinne der Nachhaltigkeit aufgeführt. Einige Missionare sprachen die geistliche Ebene an, um daraus präventiv vor Erotisie- rungen geschützt zu sein.  Der Bereich der Sexualität und Erotik sollte angemessen dargestellt werden, denn „Gott … erschuf Mann und Frau, und es war schön und gut" (M16:483) „und Gott hat ja auch diese Erotik in uns rein gegeben; wir müssen einfach aufpassen, dass wir die Grenzen nicht überschreiten“ (M5:256).  Für einen Missionar war Sexualität und Erotisierung eine geistliche Herausforde- rung, denn „wo der Teufel uns aushebeln kann, tut er das“ (M16:483). Daher sprach er proaktiv mit anderen Missionar/-innen darüber. Aber dazu gehöre es auch, die ei- genen Anfechtungspunkte zu kennen (:152).  Das Selbstbild und Fremdbild im Zusammenhang mit dem Gottesbild anzusehen, empfahlen zwei Missionar/-innen. Zum einen, weil „die denken, wir sind frommer und heiliger als wir sind“ (M5:287) und zum anderen, weil gebrochene Selbstwertge- 252 fühle auch bei Missionar/-innen präsent sein und Gottes Wirken hierzu Klarheit ver- schaffen könnte (Fv16:96).  Die christlichen Grundwerte für das Zusammenleben von Missionar/-innen sollten beachtet werden, damit man den anderen höher achte als sich selbst und Verurteilun- gen, Neid und Erotisierungen keinen Raum finden (M20:151, M5:288).  Eine Singlemissionarin formulierte, dass die eigentliche Sicherheit in Gott und aus der Beziehung mit ihm komme und es wünschenswert wäre, wenn verheiratete Mis- sionarinnen gelassener in Bezug auf ihre Ehe blieben (Fs18:70).  Eine andere Singlemissionarin besprach ihren Wunsch nach einem Partner mit Gott im Bewusstsein, dass er ihre Sehnsucht stillen und ihr Frieden geben könne, wenn sie nicht in einer Partnerschaft leben könnte (Fs9:103).  Zwei Missionarinnen betonten, ihr klarer Ruf als Single in die Missionsarbeit habe ihnen geholfen, vor Erotisierungen gefeit zu sein (Fs14:149, Fs17:91).  Dankbar berichtete eine verheiratete Missionarin von der Bewahrung von vollzoge- nem, körperlichen Ehebruch durch ihre gepflegte, gesunde und fundamentale Gottes- beziehung während der Erotisierung (Fv13:352).  Ein Missionarsehepaar betonte die Notwendigkeit, sich der eigenen Biographie aus- einander zu setzen. Es hätte mit dem Gedanken gebetet, dass die Wahrheit frei ma- che, dass die Wahrheit ans Licht komme (FvM16:37).  Eine Missionarin wandte sich mit ihrem noch nicht erfüllten Ehewunsch an Gott (Fv9:103). Einige Missionar/-innen sprachen Präventivmaßnahmen durch Persönlichkeitsentwick- lung an. Eine Prävention bestehe darin, so sein zu dürfen wie man sei bzw. den anderen so sein zu lassen, wie er/sie sei (FvM13:99-102). Ebenso wichtig sei es, den unterschiedlichen Familienständen mit Werteschätzung zu begegnen und sich gegebenenfalls damit auseinan- derzusetzen (M2:68-70, M5:311). Um der Gemeinschaft im Missionarsteam willen könne es wichtig werden, sich zurückzunehmen, damit es nicht zu ungewollten Erotisierungen durch ungeschicktes Verhalten oder erotisierende Kleidung komme (Fs8:290-300). Dabei sei es auch wichtig, für sich selbst gut zu sorgen, emotionale Erfüllung und einen Ausgleich zu ha- ben, und um bei Erotisierungen standfest zu bleiben (Fv11:414, :468, Fv13:82, M16:332). 253 Sich mit Selbstschutzmaßnahmen gegen unerwünschte Erotisierungen zu wappnen wur- de facettenreich geschildert. Ein Aspekt dabei war die Versachlichung der Situation und der Emotionen.  Präventionsmaßnahmen nach tatsächlicher Erotisierung: o Andere sehen, wie sie wirklich sind, ernüchtere (sowohl erotisierende Männer als auch durch Eifersucht erotisierte Singlemissionarinnen) (Fv9:1, Fv11:401-402, Fs12:83, :167). o Die Entscheidung treffen, was man künftig zulassen wolle und was nicht (Fv11:295-397, Fs12:271). o Sich mit der betrogenen Ehefrau auseinandersetzen (Fs12:71-75). o Sich mit sich selbst auseinandersetzen und erkennen, weshalb Erotisierungen möglich sind (Fs12:465). o Auf die eigene, innere Stimme hören (Fv13:82).  Präventionsmaßnahmen ohne vorherige Erotisierung: o Menschen des anderen Geschlechts nicht zu sehr in das eigene Leben einzubezie- hen in Wort und Tat (Fs7:36). o Den eigenen Wert nicht von einer Beziehung, sexuellen Wünschen oder Empfin- dungen abhängig zu machen, erst recht nicht, wenn Einsamkeit oder mangelnde Wertschätzung für Frauen in der Gastkultur als Defizit empfunden werden (Fs7:32). o Wenn die Emotionen anderer nicht eingeschätzt werden konnten oder als zu inten- siv erlebt wurden, veränderte eine Versachlichung die Atmosphäre (Fv5:30-35). o Regelbewusst leben (M10:171). Um Erotisierungen oder Fehlschlüssen vorzubeugen half es auch, wenn man ehrlich und realistisch mit sich selbst umging (Fv6:28-33, M10:181, Fv11:250-260, Fs12:371-380, Fs17:95, M20:72), keine Tabuthemen zuließ (Fs12:327), nichts verdrängte (:331) und die eigenen unerfüllten Wünsche und Erwartungen richtig einschätzte und sich ihnen stellte (Fv11:246, :285, Fs17:101). Manchmal wäre es vorbeugend gewesen, wenn andere die ausge- sandten Missionar/-innen richtig eingeschätzt hätten (Fv11:213-220) oder wenn Eheleute sich gegenseitig realistisch eingeschätzt hätten (Fv6:20) und einen guten Weg zwischen blindem Vertrauen und realistischem Lebensbezug gefunden hätten (:39-40). Zur Ehrlichkeit mit sich selbst gehöre Sensibilität, Achtsamkeit, kritische Nüchternheit und Reflexion von Personen 254 und Umständen (M5:256, Fv11:57-68, :188, Fv15:140, M16:156, Fv21:100). Es sollte immer wieder gefragt werden, „Was kann ich damit auslösen?“ (Fs11:82), das gelte für intime und persönliche Gespräche genauso (Fv5:289, Fs7:36) wie für Berührungen (FvM5:319-321, Fs17:65). Verheiratete Missionarinnen sollten im Blick haben, wie viel Zeit der Ehemann mit anderen Frauen verbringt, egal ob es sich um einen dienstlichen oder privaten Bezug handelt (Fv5:296), gleichzeitig sollte dabei nicht überspannt reagiert werden (M5:63). Manche Missi- onar/-innen orientierten sich an Vorbildern (M3:15, Fs19:210). Leiter lernten Präventivmaß- nahmen nach der Reflexion negativer Erfahrungen (M2:76, M5:268). Viele Missionar/-innen reagieren mit Grenzziehung, indem sie  Gespräche begrenzten oder beendeten (M3:9, Fv5:35, M5:42, :177),  ihre Hilfsangebote bewusster lenkten oder eingeschränkten (M3:9, M5:175),  nicht mit Frauen alleine in geschlossenen Räumen oder dem Auto waren (M5:187, M15:17),  konfrontierten (Fs4:18, Fv11:364, Fv13:26),  sich als Paar gegenseitig schützten (Fv5:108; M5:53, FvM16:306-308),  vom Missionsfeld gingen (Fs1:65),  sich räumlich zurückzogen (Fs1:71, Fv9:22, M16:47),  Vorgesetzte informierten (Fs12:185). Gründe für die Grenzziehung waren:  vermutete Erotisierungen (M5:53),  Sicherheit durch ein Berufungserlebnis (Fs14:149, Fs17:37-43),  dass die Singlemissionarin nicht wieder verletzt werden wollte (Fs19:247),  die zu hohen Erwartungen von Singlemissionarinnen (M2:84).  Eheleute wollten Zeit zu zweit (Fv5:128),  die Konstellation von verheirateten Missionaren und Singlemissionarinnen als poten- tielle „Gefahr“ (Fs7:62),  Sicherheit im Handeln, weil Vorgänger ähnliches berichtet hatten (M3:15),  „Sicherheit“ darüber, dass die Erotisierung von der Seite des Erotisierers nicht in ei- ner Beziehung münden würde, da kein wirkliches Interesse zum Ausdruck gebracht wurde (Fs4:20). 255 Eine verheiratete Missionarin hätte die Grenzziehung mutiger und konsequenter ausfüh- ren sollen (Fv13:111). Eine Singlemissionarin ließ zu, dass ihr Grenzen gesetzt wurden und sie dann die Erotisierung nicht verarbeiten konnte (Fs18:79). Für eine andere Singlemissiona- rin war es schwierig, eine Grenze zu setzen, denn das Nein-Sagen gehörte nicht zu ihrem Bild der Rolle der Frau und war deshalb ungeübt (Fs19:247). Grenzen zu setzen erwies sich als schwierig, wenn man zwar die Ehe pflegen wollte, um Erotisierungen zu vermeiden, aber keine Kinder hatte, die als Alibi für freie Zeit benutzt hätten werden können (Fv13:82). Ein Missionar hatte Schwierigkeiten bei der Grenzfindung zwischen notwendiger Fürsorge und den überfordernden Erwartungen durch Singlemissionarinnen (M3:7). Zwei Singlemissiona- rinnen erlebten Ausgrenzung durch verheirateten Missionarinnen (Fs1:67, Fs8:148). Tabellarische Zusammenfassung: Geistlich präventiv M5, Fs9, Fs14, FvM16, Fs17, M20 Persönlichkeitsentwicklung M2, M5, Fs8, Mv11, FvM13, M16 Schutzmaßnahmen - nach Erotisierungserlebnissen - ohne Erotik Fv9, Fv11, Fs12, Fv13 Fv5, Fs7, M10 Ehrliche persönliche Reflexion M2, M3, FvM5, Fv6, Fs7, M10, Fv11, Fs12, Fv15, M16, Fs17, Fs19, M20, Fv21 Grenzziehung - überdenken und verändern - misslungen oder schwierig Ausgrenzung Fs1, M2, M3, Fs4, FvM5, Fs7 Fv9, Fv11, Fs12, Fv13, Fs14, M15, FvM16, Fs17, Fs19 M3, Fv13, Fs18, Fs19 Fs1, Fs8 Tabelle 31: Persönliche Maßnahmen zu Prävention 7.3.2.1. Präventionsmaßnahmen und Singlemissionarinnen Wenn Singles ihre emotionalen Bedürfnisse wahrnahmen und erkannten, wo sie unerwünsch- te Erotisierungen zuließen (Fv11:385-391), könne in einem gesunden Rahmen Erfüllung und Ausgleich gefunden werden (:468). Dazu verhalf ein reflektiertes Ja zum Singlesein (Fs8:88, Fv9:99, Fs12:23-28). Ihr Status wurde mit Zufriedenheit ausgelebt (M5:63) und Singles wa- ren mit sich, trotz unerfüllter Sehnsucht, im Reinen (Fv9:104, Fs8:186). Zur Zufriedenheit als Singlemissionarin trug bei, wenn diese sich von anderen als Frau und nicht als Neutrum wahrgenommen wusste (Fs8:98). Das war in manchen Ländern besonders wichtig, da dort weibliche Singles als unnormal galten, daher noch einsamer blieben (:204) und den Schutz durch Männer brauchten (Fs7:64). Singlemissionarinnen sollten nicht zu schnell heiraten 256 (Fs17:119) und sich nicht von Kolleg/-innen in eine Ehe drängen lassen (Fs8:242, Fs19:142). Verheiratete sollten lernen, dass Singlemissionarinnen nicht unbedingt mit dem Ziel in die Mission gehen, einen Partner finden zu wollen. Das kann die Eifersucht von verheirateten Missionarin verhindern (Fs7:241). Allerdings konnte Eifersucht bei verheirateten Missiona- rinnen durch konservativ-vorbeugende Haltungen vermieden werden (Fs4:18, M5:319). Sin- gles wünschten sich Singlefreundinnen um Erotisierungen (auch ohne Erotik) besprechen zu können (Fs19:184) und andere, enge Beziehungen in ihrem gesamten Lebenskontext (M2:19, Fs19:200). Es wirkte sich hilfreich aus, wenn Singlemissionarinnen entschieden hatten, dass einheimische Partner für sie keine Option wären. Zwei Singlemissionarinnen hatten sich hier- zu mit einem klaren Nein positioniert, denn „als ich dann nach (Missionsland) kam, und ge- merkt habe, wie (Männer im Missionsland) mit Frauen umgehen und hier in der Stadt haben sie eine und in der anderen Stadt haben sie wieder eine. Und dann habe ich gesagt: `Einen (Mann aus dem Missionsland) werde ich nie heiraten!´“ (Fs17:51, Fs7:17). Singlemissionarinnen suchten Beziehungen oder Freundschaften mit verheirateten Mis- sionarinnen, um durch Transparenz (ein gegenseitiger) Schutz vor Erotisierungen aufzubauen (Fs4:11, Fs8:62-64, Fs18:108, Fs19:213), obwohl ihnen nicht immer klar war, weshalb das eine Schutzfunktion vor Erotisierung beinhaltete (Fs8:64). Manchmal konnten diese Freund- schaften auch ein Weg sein, die verheirateten Frauen und Mütter in die Missionsarbeit zu in- tegrieren (:52). Manchmal war es auch notwendig, sich von Ehepaaren zurückzuziehen (Fs1:40). In der Mission knüpften nur wenig Verheiratete Freundschaften mit Singlefrauen (Fv5:59), entweder weil sie selbst sehr beschäftigt waren oder weil sie Einfluss auf ihre Ehe befürchteten. Gleichzeitig berichtet die Probandin, dass sie selbst durchaus intensiven Kontakt zu weiblichen Mitarbeiterinnen halte und das ein Schutz für die Ehe sei (:266). Im Zusam- mensein von verheirateten Missionarinnen mit Singlemissionarinnen wirkte es sich erotisch präventiv aus, wenn Singles sich von Bemerkungen zum Ehesystem enthielten (Fv5:117-128) und die Regeln zur Begegnung zwischen den Geschlechtern einhielten (Fs4:26). Außerdem wirkte es präventiv, wenn Singlemissionarinnen im Bewusstsein leben konnten, dass sie auch in schwierigen Situationen begleitet würden (Fs19:109). Von den männlichen Mitmissionaren erwarteten weibliche Singles einen nüchternen, normalen, respektvollen Umgang, an dem sie erkennen konnten, dass sie als Frauen wahrge- nommen wurden (Fs4:14, Fs12:143). Missionare erwarteten, dass Singlemissionarinnen Rücksicht auf Ehepaare nehmen und für eine gute Eheentwicklung Freiraum ließen (M2:74). Gleichzeitig wollten sie die weiblichen Singles als solche wahrnehmen (:70), um ihnen ein 257 adäquates Umfeld mit angemessener Begleitung anbieten zu können (M3:23). Allerdings wurde erwartet, dass sich Singlemissionarinnen auch korrigieren lassen (M20:147). In zwei Interviews wurde formuliert, dass Singles manchmal ein über die Erotisierung hinausgehendes Persönlichkeitsproblem hätten, das es zu bearbeiten gelte (Fv5:50, M20:131). Zusammenfassende Tabelle: Entwicklungspotential - Zufriedenheit als Single - Sich als Frau erleben - Umgang mit dem Heiraten - Konservativ-vorbeugendes Verhalten - Wunsch nach Freundschaften - Klarheit zur Ehe mit Einheimischen M5, Fs8, Fv9, Fv11, Fs12 Fs7, Fs8 Fs7, Fs8, Fs17, Fs19 Fv4, M5 M2, Fs19 Fs7, Fs17 Singles und verheiratete Missionarinnen - Beziehung zu verheirateten Missionarinnen - Rückzug von Beziehungen zu Paaren - Wenige Freundschaften von verheirateten Missiona- rinnen zu Singlemissionarinnen - Schutz für die Ehe durch Freundschaften - Wunsch: keine Bemerkungen zur Ehe Fs4, Fs8, Fs18, Fs19 Fs1 Fv5 Fv5 Fv5 Singles und Missionare Zum Frausein: - Singlemissionarinnen erwarten: respektvollen Umgang - Verheiratete Missionare wollen die Frau in der Sin- glemissionarin wahrnehmen Erwartung von Missionaren: - Rücksicht auf Ehe durch Singles - Korrekturwilligkeit Fs4, Fs12 M2, M3 M2 M2, FvM5, M20 Tabelle 32: Präventionsmaßnahmen und Singlemissionarinnen 7.3.2.2. Prävention durch gegenseitige Hilfe in der Paarbeziehung Verheiratete Missionarinnen waren eher vor einer Erotisierung (durch Einheimische) ge- schützt als Singlemissionarinnen (Fs12:251, M20:106). Missionar/-innen in Paarbeziehungen schützten sich gegenseitig (Fv5:108; M5:222, FvM16:306-308). Dabei wurde die Ehe unter Berücksichtigung der emotionalen und körperlichen Bedürfnisse des anderen gepflegt (Fv5:41, M5:228, Fv9:34-36, Fv11:306-309, M13:29, Fv13:36). Dazu gehörte es auch, den anderen in seiner andersartigen Geschlechtlichkeit wahrzunehmen (Fv9:32, Fv16:112). Wenn Eheleute sich mit ihrer Biographie und den daraus resultierenden persönlichen Schlüssen aus- 258 einandersetzten und heil wurden, hatte das positive Auswirkungen auf die Ehebeziehung (M16:141, :257). Eheleute schützten sich gegenseitig, wenn sie Zeit füreinander hatten (FvM13:194-195) und offen und klar miteinander umgingen (Fv9:61-65, M16:376) und sich gegenseitig vertrauten (Fv6:40). Die Offenheit wurde allerdings manchmal von der Angst begleitet, den Partner zu enttäuschen (Fv13:336). Daher war es wichtig dauerhaft miteinander im Gespräch zu bleiben, die eigenen Wünsche und Gefühle transparent zu machen und sich nicht voneinander zu entfernen (Fv5:271, M5:228, Fv9:59, Fv11:303-205, Fv13:328, FvM16:261-269), selbst wenn einen die Aussagen des Partners/der Partnerin erschreckten368 (Fv9:30). Manche verheirateten Missionarinnen waren in ihrer Paarbeziehung sicher (Fv11:104) und erlebten diese durch ihre langjährige Beziehung intensiver (Fv5:135-140). Gleichzeitig war ihnen bewusst, dass Ehen angegriffen werden und Gefahren ausgesetzt sind (Fv5:169- 173, Fv9:32, M15:135-137, M16:125-129, Fv21:198). Deshalb waren Treueversprechen und treu zu leben bedeutungsvoll (M5:159, Fv9:99). Manchmal waren äußerliche Veränderungen, die zu einer größeren gemeinsamen Schnittmenge führten eheförderlich (Fv5:141-147), manchmal aber auch, wenn die Ehe dabei in der Priorität zurückgesetzt wurde, ehegefährdend (M13:351). Obwohl manche Ehegefährdungsoptionen aus Ehekursen, Büchern und Gesprä- chen theoretisch bekannt waren, wurden Präventionsmaßnahmen nicht umgesetzt (:335). Spä- ter musste ehegefährdendes Verhalten weitestgehend verändert werden (FvM13:199-207). Nach Erotisierungen brauchte es die Bereitschaft, für die Ehe zu kämpfen (M13:194). Auch Singlemissionarinnen formulierten, dass es wichtig sei, dass Eheleute auf ihre Ehe aufpassen, die Qualität der Ehe gut sei und Ehefrauen deshalb in der Ehe sicher sein könnten (Fs18:69). Das schützte auch Singlemissionarinnen vor zu großen Erwartungen (Fs12:258-268). 368 Im konkreten Fall hatte ein Ehemann eine einheimische Christin bei einer Fortbildung kennengelernt, die er sympathisch fand. Die verheiratete Frau hatte ihm signalisiert, dass sie nicht von einem Seitensprung abgeneigt sei. Als er hörte, dass diese Frau ihn am letzten Abend suchte, „blieb schön in seinem Zimmer. Sagt, das wäre gefährlich geworden für mich“ (Fv9:22). 259 Zusammenfassende Tabelle: Verheiratet zu sein schützt Fs12, M20 Eheleute - schützen sich gegenseitig - Zeit zu zweit - emotionale und körperliche Bedürfnisbefriedi- gung - Andersartigkeit des Geschlechts annehmen - Gegenseitige Offenheit FvM5, FvM16 FvM13 FvM5, Fv9, Fv11, M13 Fv9, Fv16 FvM5, Fv6, Fv9, Fv11, Fv13, FvM16, Verheiratete Missionar/-innen sollten - Sicherheit haben - Gefahren erkennen - Treueversprechen einhalten - Eheförderliche Maßnahmen ergreifen Fv5, Fv11 Fv5, Fv9, M15, M16, Vv21 M5, Fv9 Fv5, FvM13 Singles: Eheleute sollten auf die Ehe aufpassen Fs12, Fs18 Tabelle 33: Prävention durch gegenseitige Hilfe in der Paarbeziehung Um die aus der Missionspraxis gewonnen Forschungsergebnisse für die Missionspraxis auf zu bereiten werden die Ergebnisse im folgenden Kapitel interpretiert und Konsequenzen für die Missionspraxis aufgezeigt. 260 8. Interpretation der Ergebnisse und Konsequenzen Im letzten Kapitel dieser Arbeit werden nun die Ergebnisse der empirischen Forschung zu- sammengefasst und interpretiert. Außerdem werden Konsequenzen für die Missionspraxis unter dem Blickwinkel der Reflexion der eigenen Kultur und geistlichen Prägung sowie not- wendige Veränderungen für die Vorbereitung von Missionar/-innen aufgezeigt. Während der Forschung stieß ich auch immer wieder auf offene Themen. Diese werden in einem Abschnitt unkommentiert aufgeführt. Das Kapitel endet mit abschließenden Gedanken. 8.1. Ergebniszusammenfassung und Interpretation Im Folgenden werden die Ergebnisse der empirischen Studie zur Erotisierung im missionari- schen Beziehungsgeflecht zusammengefasst und interpretiert. Die Interviewtechnik, die allen Probanden freies Erzählen ermöglichte, brachte Breite und Tiefe in die Interviews. Manche Missionare erzählten „ihre Geschichte“, andere berichteten von ihren Beobachtungen. 8.1.1. Erotisierung im missionarischen Beziehungsgeflecht Erotisierungen durch Vorannahmen und Verallgemeinerungen: Wenngleich in elf von 21 Interviews Vorannahmen und Verallgemeinerungen zu Tage traten, bezeichneten nur drei Probanden Erotisierungen als geistliche Anfechtungen. Erfreulich viele Missionar/-innen schieben Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht nicht als von außen kom- mende Anfechtungen von sich weg. Ich hatte erwartet, dass die Missionar/-innen stärker mit „geistlichen Anfechtungen“ die von außen kommen, argumentieren würden. Aber offensicht- lich waren für die Missionar/-innen Erotisierungen ebenso mehrheitlich eine Frage von Bio- graphie, Persönlichkeit, Charakter, Kultur, Umständen usw., wie für mich. „In der Mission ist alles möglich“. Diese Vorannahme bezüglich Erotisierungen kann sicherlich nur als wahr angenommen werden, obwohl einzelne Missionare dies erst durch die harte Wirklichkeit lernen mussten. Für manchen Interviewpartner/-innen war es aber eher eine Annahme, weil sie Dinge vom Hörensagen kannten, abre nicht mit konkreten Erlebnissen belegen konnten. Tatsächlich ist alles möglich, wo Frauen und Männer, Singles und Verheira- tete zusammenleben und -arbeiten, wie überall sonst auch. Dabei wirkt es verschärfend, dass Erotisierungen in der Mission gleichzeitig tabuisiert sind. Alles was tabuisiert ist, wird sich unterschwellig, unerkannt weiterentwickeln, ungestört wachsen und manifestieren. Fazit: Missionar/-innen leben als Menschen mit Ihren Stärken und Schwächen zusam- men, wie es in anderen Beziehungsgeflechten auch der Fall ist. Allerdings kann diese Er- kenntnis manche Missionar/-innen hart treffen. Das zeigt, dass sie sich vorher mit diesen Fra- gen nie bewusst auseinandergesetzt haben. 261 Erotisierungen zwischen Missionar/-innen und Einheimischen: Bevor die weiteren Ergeb- nisse der Studie interpretiert werden, sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es bei ca. der Hälfte der Erstkontakte mit Missionar/-innen nicht zum Interview kam, mit der Begründung, keine Erotisierungen im missionarischen Beziehungsgeflecht erlebt zu haben. Wenn man da- von ausgeht, dass diese Aussage stimmt, müssen die folgenden Interpretationen auf Grund dieser Basis verstanden werden. Naheliegend ist aber auch, dass manche Telefonpartner/- innen die vorhandenen Erotisierungen nicht wahrnahmen, vielleicht daran gewöhnt waren und sie deshalb nicht als solche bezeichneten oder vergessen hatten. Denn vergessene Geschichten tauchten bei den durchgeführten Interviews immer wieder auf. Bei drei Erstkontakten kam es nicht zum Interview, weil die potentiellen Interviewpartnerinnen nicht darüber reden wollten – eine Kontaktperson war persönlich betroffen, die andern beiden hätten nur Beispiele aus der Seelsorgearbeit erzählen können. Die hohe Anzahl der verschiedenen Erotisierungen deutet darauf hin, dass wirklich viele Missionar/-innen Erotisierungen ausgesetzt sind. In den Inter- views wurde ein erstaunlich hoher Erotisierungsfaktor von deutschen Missionar/-innen durch die Gastkultur (aktiv und passiv) gefunden. Dazu gehören Länder aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika. Indirekt gehört auch Nordamerika dazu. Dorthin wurde zwar keiner der interviewten Missionar/-innen ausgesandt, aber die Erotisierungserlebnisse mit nordamerika- nische Kolleg/-innen waren erstaunlich hoch (die Interpretation zu dieser Beobachtung erfolgt weiter unten). In 19 von 21 Interviews wurden Erotisierungen durch die Gastkultur thematisiert und in allen war dabei die Erotisierung durch die kulturelle Atmosphäre relevant. In zehn Interviews wurde das Alleinsein von Mann und Frau problematisiert. Andere problematische Situationen, wie die Unfreiheit von Singles und der Wunsch, mit westlich-christlicher Moral zu überzeu- gen (siehe auch Kapitel 8.2.1), die unterschiedlichen erogenen Zonen oder das Kleidungsver- halten der Frauen in der Gastkultur traten mehrmals auf. Das von den Missionar/-innen ange- wandte Prinzip der offenen Türe sollte Erotisierungen und Erotik vermeiden. Aber durch den Wunsch dies zu vermeiden und die damit zusammenhängenden Vorsichtsmaßnahmen war das Zusammenleben bereits erotisiert. Die Erotisierung durch Hausangestellte, durch das Single- sein an sich und ein zu sorgloses Verhalten in der Gastkultur wurden von einzelnen Missio- nar/-innen thematisiert. Gleichzeitig stehen die Missionar/-innen in der Auseinandersetzung mit den erotisieren- den Eigenheiten der Kultur, wie z. B. Polygamie, Kleidervorschriften, Grenzüberschreitungen (wenn z. B. die Ehe nicht als Grenze für Erotisierungen akzeptiert wird), das kulturell veran- 262 kerte Spiel mit der Erotik, Prostitution und sexuelle Angebote. Indirekt wirkt das Nachdenken über das, was die Einheimischen über die sexuellen Praktiken der Missionare denken, aber auch die Andersartigkeit der Frauen aus der Gastkultur und die Bewegungseinschränkung von Frauen in der Öffentlichkeit erotisierend. In 15 Interviews wurde von einer aktiven Erotisierung durch Einheimische berichtet, die Missionar/-innen aller Familienstände betraf. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für Missionar/-innen innerhalb einer Gastkultur. Erotisierungen können sowohl durch die Art und Weise geschehen, wie männliches und weibliches Miteinander in der Gastkultur dargestellt und ausgelebt wird als auch durch direkte Erotisierung durch einheimische Personen. Es kommt nicht selten vor, so in Müller (2013:137), dass sich Singlemissionarinnen vor sexuel- len Belästigungen schützen müssen, allein weil sie ohne den Schutz einer Familie oder eines Ehemanns als sexuell freizügig und als Personen „geringen moralischen Standards betrachtet werden“ (:137). Für Singlemissionarinnen sei die Herausforderung in Lateinamerika deshalb besonders hoch, da dort die „Beziehungen zwischen Männern und Frauen gewöhnlich eroti- sche Untertöne haben“ und Singlefrauen nicht so unbefangen mit Männern umgehen können wie in ihren Heimatländern. Manche Missionar/-innen verglichen die Erotisierung im Gastland mit der im Heimat- land. Für sieben Missionar/-innen war die Erotisierung durch die Kultur des Gastlandes stär- ker, ein Missionar bezeichnete die Situation in Deutschland als schwieriger, weil die Regeln im deutschen Umfeld nicht so klar seien. Erotisierungen in der Gastkultur konnten aber auch von Missionar/-innen ausgehen. Insgesamt wurde in sieben Interviews von zehn verschiedenen Erlebnissen berichtet. Dabei kam es vereinzelt zu allgemeinen Erotisierungen gegengeschlechtlicher Einheimischer. Deut- lich häufiger traten unerwünschte Paarbeziehungen mit Einheimischen auf, die von Missio- nar/-innen jeden Familienstandes ausgingen. Dabei wurde die Fremdheit der Gastkultur als wichtigste Ursache genannt. Aber auch die Tabuisierung, die eigene Befindlichkeit, ein An- stellungsverhältnis und die Inkulturation wurden mehr als einmal genannt. Einmal war die Überlegung, was zu tun sei, damit Missionar/-innen nicht von der Gastkultur erotisiert wür- den, Erotisierungsursache. Auf diese Weise wurde die Gastkultur ebenfalls erotisiert. Eine weitere Erotisierung fand statt, weil ein Missionar fasziniert von einer Frau war, die sich in- nerhalb ihrer Kultur nicht kulturspezifisch verhielt. Fazit: Festgehalten werden kann, dass die Erotisierungen durch die Gastkultur die meis- ten Missionar/-innen mit unerwarteter Wucht trifft. Treffen die von der Gastkultur ausgehen- den kulturellen und/oder persönlichen Reize auf Missionar/-innen, die für Erotisierungen of- 263 fen sind, kann es zu konkreten, unerwünschten Erotisierungen kommen. Genauso kann es aber sein, dass Missionare erotisierend in die Gastkultur eingreifen. Erotisierungen im kollegialen Beziehungsgeflecht: Von Erotisierungen im kollegialen Be- ziehungsgeflecht wurde in 19 von 21 Interviews berichtet. Das sind erstaunlich viele, beson- ders wenn man berücksichtigt, dass manche Missionare von mehreren Erlebnissen berichte- ten. Dabei wurden von ebenso vielen Erotisierungen unter deutschen Kollegen und Erotisie- rungen in der Zusammenarbeit mit nordamerikanischen Kollegen erzählt. Allerdings waren die Erotisierungen von unterschiedlicher Qualität. Während es innerhalb des deutschen Be- ziehungsgeflechtes zu mehr passiven Erotisierungen kam (10:2),369 kam es in der Gemein- schaft mit nordamerikanischen Kollegen zu einem Verhältnis von 4:6 zugunsten der aktiv- personalen Erotisierungen. Dieses Ergebnis hat mich überrascht, gelten die Nordamerikaner doch allgemein in sexuellen Dingen als eine zurückhaltende Kultur mit strengen Maßstäben. Vermutlich trägt aber gerade das, vergleichbar mit der muslimischen Kultur, zu einer stärke- ren Erotisierung bei. Eine weitere aktive Erotisierung aus dem deutschen Beziehungsgeflecht hatte ihren Ursprung in einem missionsunterstützenden Gebetskreis. Zur passiven Erotisie- rung durch die Verantwortlichen eines Missionswerkes kam es, weil eine Personalentschei- dung als Folge einer Erotisierung interpretiert wurde. Weitere Erotisierungen fanden durch Kolleg/-innen südafrikanischer, asiatischer und einer ungenannten Kultur statt. Diese waren mehrheitlich (3:1) aktiv, aber eher von Ängsten vor Erotisierungen bestimmt als durch tat- sächliche Erotik. Fazit: Innerhalb der deutschen Kollegen spielen sich viele Erotisierungen im Kopf ab, weil man Handlungen als Erotisierungen deutet, obwohl man diese auch anders deuten könn- te. Erstaunlich ist die hohe Anzahl von Erotisierungen durch nordamerikanische Kollegen. Aber auch in der Zusammenarbeit mit Kolleg/-innen anderer Kulturen kommt es eher zu akti- ven Erotisierungen. Daher sollte Erotisierungen im Kollegenkreis zukünftig unbedingt stärker thematisiert und kanalisiert werden. In 13 Interviews wurden Erotisierungen durch vorbeugende Maßnahmen genannt. Dabei wurde das Einhalten von Regeln als besonders wichtig erachtet. Hinzu kamen das Bedürfnis, sich korrekt verhalten zu wollen und der Wunsch, dem christlichen Zeugnis keinen Schaden zuzufügen sowie die Vermeidung von Körperkontakt. Vorbeugende Maßnahmen sind sicher- 369 Passive Erotisierungen finden im Kopf der Person statt, die erotisiert. Dann wird ein Verhalten mit Erotik verbunden, das auch anders interpretiert werden könnte (siehe Definition in Kapitel 7.1.3). 264 lich sinnvoll, führen aber gleichzeitig dazu, dass sich die Missionar/-innen immer wieder mit dem beschäftigen, was sie nicht tun wollen/sollen. So wird das Gegenteil erreicht. Während die linke Gehirnhälfte über das Sprachzentrum mit Logik und Vernunft verfügt, werden in der rechten Gehirnhälfte die Themen bildlich erfasst. Auch wenn beide Gehirnseiten über das Corpus collosum370 miteinander verbunden sind, gehen sie bei „der Lösung von Problemen eigene Wege, die ihrer jeweiligen Spezialisierung entsprechen“ (Weisbach & Sonne- Neubacher 2008:3). Verneinungen sind logische Funktionen, die in der rechten Gehirnhälfte nicht verarbeitet werden können.371 Das bedeutet, dass der Wunsch Erotisierung vorzubeugen mit der linken Gehirnhälfte zwar bearbeitet werden kann, aber sogleich in der rechten Gehirn- hälfte ein Bild entsteht, wie oder womit Erotisierung geschieht, was das ist, wer beteiligt ist usw. So wird der gute Wille, Erotisierung vermeiden zu wollen ins Gegenteil verkehrt. Fazit: Erotisierungen können durch vorbeugende Maßnahmen nur bedingt verhindert werden, denn jede vorbeugende Maßnahme schließt eine Erotisierung mit ein. Es kann also überprüft werden, welche vorbeugenden Maßnahmen wirklich sinnvoll sind und welche redu- ziert werden können. Eine zu starke Vorbeugung verhindert den natürlichen Umgang der Ge- schlechter miteinander und führt zu einer verkrampften Zusammenarbeit. Eine Singlemissionarin betonte, dass durch die Vermeidung von Körperkontakt Eroti- sierungen vermieden werden. Dagegen habe ich in einer empirischen Forschungsarbeit her- ausgearbeitet, dass Singlemissionarinnen stärker gegen Erotisierungen geschützt sind, wenn Männer sich nicht scheuen, ihnen Komplimente zu machen und/oder sie auch einmal liebe- voll, freundschaftlich in den Arm zu nehmen (Kessler 2008:133). Singlemissionarinnen erleb- ten sich so bewusster als Frauen und merken, dass sie auch als solche von anderen (wichtig war dabei, dass zu den „anderen“ Männer dazugehörten) wahrgenommen werden. Singlemis- sionarinnen wünschten sich von verheirateten Missionarinnen, dass diese eine Beziehung zum Ehemann gestatten, ohne mit Eifersucht zu reagieren und selbst an Kontakt zu ihnen interes- siert sein sollten. Auch durch diesen natürlichen Umgang wurden erotisierende Gedanken bei Singlemissionarinnen minimiert. Fazit: Die Konstellation von verheirateten Missionarinnen, Missionaren und Singlemis- sionarinnen muss unbedingt bearbeitet werden, damit der Umgang miteinander natürlich und unverkrampft sein kann. Dabei sind die individuellen Bedürfnisse jederzeit zu respektieren. 370 Das Corpus callosum (dt.: schwieliger Körper), ein Gewebeband, das die beiden Hemisphären des Gehirns miteinander verbindet und bei Frauen größer ist als bei Männern (Pschyrembel 1977: 180, 218). 371 Der Satz „Nur nicht an einen Bären denken…“ (Weisbach & Sonne-Neubacher 2008:291) zeigt das gleiche Muster auf. Wer nicht an einen Bären denken will/soll, wird an einen Bären denken. 265 Das Spiel mit der Erotik wurde in sieben Interviews thematisiert. Die Missionar/-innen wollten keine Beziehung eingehen, schätzten aber mehrheitlich die positiven Auswirkungen der Erotisierungen. Es war angenehm und selbstwertsteigernd, begehrt zu werden. Genauso konnten Heimlichkeiten, Überraschungsmomente und mediale Wege das Feuer der Erotisie- rung nähren. Dem gegenüber stehen andere negative Auswirkungen auf Gefühle (z. B. ver- wirrt sein u.a.), beharrliche Erotisierungsversuche durch mediale Wege und Heimlichkeiten, weil Ehepartner geschützt werden sollten oder weil man einem „Trophäensammler“ erlegen war. Missionar/-innen, die erotisiert worden waren, nahmen die negativen Seiten der Erotisie- rung für deren positiven Gewinn in Kauf. Fazit: Das Spiel mit der Erotisierung ist ein Spiel mit dem Feuer. Für den Gewinn durch die Erotisierung werden deren negative Auswirkungen manchmal nicht wahrgenommen oder zeitweise heruntergespielt. Als heftig empfunden wurden die Erlebnisse der Missionar/-innen, die Erotisierungen ohne Erotik erlebten. Davon war in 11 von 21 Interviews die Rede. Besonders häufig kam es zu Erotisierungen von Singlemissionarinnen durch verheirateten Missionarinnen (berichtet in sechs Interviews). Diese Erlebnisse zogen sich teilweise über längere Zeiträume und waren sehr Kraft raubend. Zwei Singlemissionarinnen erotisierten die Beziehung zu verheirateten Missionarinnen, indem sie beständig darauf achteten, dass diese keine Erotisierungen vermu- ten konnten. Vereinzelt waren Erotisierungen von Singlemissionarinnen untereinander (im Sinne der Definition für diese Arbeit) und von Missionaren zu beobachten. Aber es wurden auch Erotisierungen ohne Erotik zwischen Missionaren (ein Missionar unterstellte einem an- deren eine Erotisierung) und durch eine verheiratete Missionarin an einem männlichen Kolle- gen gefunden. Eine häufig genannte Ursache dieser Erotisierung war Eifersucht (in 9 von 11 Interviews). Zweimal wurde Prioritätenverschiebung zugunsten von Singlemissionaren ge- nannt. Einmal wurde durch die Themenwahl bei einer Besprechung erotisiert und ein weiteres Mal der kulturelle Hintergrund des Erotisierers als Ursache für die Erotisierung angeführt. Fazit: Es hat mich erschreckt, wie häufig Singlemissionarinnen sich gegen Erotisierun- gen ohne Erotik durch verheiratete Missionarinnen zur Wehr setzen mussten. Manche Sin- glemissionarinnen leben beständig mit der Vorbeugung gegen diese Option. Daher werden viele Ressourcen an Zeit, Kraft und Geld gebunden. So viele, dass man schon von einer Res- sourcenverschwendung sprechen kann. 266 Erotisierung, Familienstand und Lebensumstände: In 16 von 21 Interviews wurde von Erotisierungen, die Singlemissionarinnen mit und ohne Erotik erlebten, und die von Missiona- ren, verheirateten Missionarinnen und Singlemissionarinnen ausgehen, berichtet. Auffallend dabei war der problematische Umgang mit dem Alleinsein, das als Lebenseinschränkung er- lebt wurde (9 von 14) und der Umgang von (zumeist männlichen) Leitern mit weiblichen Sin- gles (7 von 14). Berufliche Schnittstellen zwischen männlichen Missionaren und Singles wur- den als Erotisierungsfaktor in fünf (von 14) Interviews genannt. Der Schutz, den Singlemissi- onarinnen brauchen und der mehrheitlich von verheirateten Missionaren ausgehen musste, wurde in drei Interviews aufgegriffen. Vereinzelt wurden Erotisierungen forciert, weil die Singlemissionarin wusste, dass eine Ehe nicht möglich wäre und durch ihre Angst, bei einem sexuellen Übergriff alleingelassen zu werden. Für Missionarsehepaare ist die gemeinsame Ausreise auf das Missionsfeld sicherlich ei- ne gute Prävention für unerwünschte Erotisierungen von außen. Dennoch kamen solche Eroti- sierungen vor. Eine Basis dafür bot die Veränderung des Ehelebens durch die neue Situation. Männer und Frauen entwickelten sich auf Grund der unterschiedlichen Anforderungen an sie unterschiedlich. Vereinzelt wurde berichtet, dass Frauen der Klimawechsel mehr zu schaffen macht als ihren Ehemännern. Ein Missionar erlebte eine Autoerotisierung. Er fühlte sich durch seine Arbeit erotisiert und entfernte sich damit weiter von seiner, sich eher unerotisch erlebenden, Ehefrau. Frauen erlebten eine Verunsicherung in der Gastkultur, die mit ihrer Darstellung als Frau zusammenhängt, emotionales Unausgefülltsein und/oder ein schwieriges Selbstbild, z. B. nach einer Geburt. Das alles waren Faktoren für ihre verstärkte Angst vor einer eheschädigenden Erotisierung. Verheiratete Missionare konnten durch Dienstreisen, Reisen mit Singlemissionarinnen, fremdartigen Frauen und emotionales Unausgefülltsein her- ausgefordert werden. Das alles prägte die Missionarsehe mit. Daher ist es nicht verwunder- lich, dass in 9 von 21 Interviews die Herausforderungen oder Probleme durch unterschiedli- che Aufgaben genannt und aufgeteilt wurde in getrennter Weiterentwicklung und die Bedro- hung durch Singles. Die getrennte Weiterentwicklung von Eheleuten war dann besonders schwierig, wenn die Missionar/-innen davon überrascht wurden. Das Gefühl, dass die Ehe grundsätzlich durch die Anwesenheit von Singles bedroht ist, ist markant, aber nicht haltbar. Denn die Interviews bezeugen mehr Eifersüchteleien von verheirateten Missionarinnen als tatsächlich erfolgte Erotisierungen zwischen Singlemissionarinnen und Missionaren. Die Schwierigkeiten zwischen verheirateten Missionarinnen und Singlemissionarinnen wird je- doch auch von Müller (2013:137) bestätigt, denn „auch in starken, gesunden Ehen kann die Gegenwart einer Single-Frau bedrohlich auf die Ehefrau wirken“. 267 Ebenso herausfordernd und mit Einfluss auf die Lebenswirklichkeit verheirateter Missionarinnen waren Familien mit Kindern in der Mission. Das wurde in 9 von 21 Inter- views thematisiert. Kinder verhindern die aktive Missionsmitarbeit der Missionarinnen, die gleichzeitig Mutter sind. Durch eine schwierige Ehephase oder schwierige Phasen in der Se- xualität werden die Herausforderungen für Missionarseheleute sehr groß. Mit den Herausfor- derungen steigt die Angst vor einer Erotisierung. Fazit: Erschreckend hoch ist der Anteil von Erotisierungen mit und ohne Erotik bei Singlemissionarinnen durch Kolleg/-innen. Man kann nur erahnen, wie viel Bindung von Res- sourcen hier geschieht. Wenn die Eheleute sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln und Unsicherheiten durch die fremde Kultur oder in der Ehe bestehen, steigert das die Eroti- sierungsanfälligkeit von verheirateten Missionarinnen und Missionaren. Wenn die Frauen durch Kinder in einer ganz anderen Welt leben als ihre Männer, diese dann aber im Berufsall- tag mit Singlemissionarinnen zu tun haben, dann steigt das Erotisierungsbarometer der Ehe- frau, was wiederum die Singlemissionarinnen belastet. Die hier nachgewiesene Dynamik bin- det die Ressourcen aller Beteiligten deutlich. Erotisierungsfaktoren: Offenheit für Erotisierungen waren bei verheirateten Missionarinnen (in 7 von 21 Interviews) vor allem in der Unsicherheit bezüglich der eigenen Ehe und in Selbstzweifeln zu finden. Vereinzelt wurden die Anwesenheit einer Singlemissionarin, man- gelnde Offenheit in der Partnerschaft, eine Mischung aus Kultur, Biographie und Eheproble- men, sowie sexueller Missbrauch als intrinsische Erotisierungsfaktoren genannt. Negativ wirkte sich auch Selbstüberschätzung aus. Offenheit für Erotisierungen bei Missionar/-innen (8 von 21 Interviews) war vereinzelt begründet in Selbstzweifeln, mangelnder Offenheit in der Partnerschaft, in der Mischung aus Kultur, Ehe und Biographie und mit dem sexuellen Missbrauch der Ehefrau konfrontiert zu sein. Manchmal wurde beruflicher Druck, narzissti- sche Anerkennungssuchen und das Mannsein an sich genannt. Am häufigsten wurde Einsam- keit (3 von 10) genannt, wenngleich auch ein zu enges Zusammenleben intrinsische Erotisie- rung auslösen konnte. Offenheit für Erotisierungsfaktoren bei Singlemissionarinnen wurde in vier Interviews (von 21) genannt, nämlich: Bindung an den Erotisierer, narzistisch Anerken- nung suchen, Einsamkeit und ein nicht näher zu beschreibendes diffuses Defizit. Fazit: Erotisierungsfaktoren konnten bei verheirateten Missionarinnen, Missionaren und Singlemissionarinnen nachgewiesen werden. Allerdings wurden sie bei verheirateten Missionar/-innen deutlich häufiger thematisiert. Das ist für mich erstaunlich, da ich das stär- ker bei Singlemissionarinnen erwartet hatte. Es könnte aber damit erklärt werden, dass Eroti- 268 sierungen von verheirateten Missionarinnen allgemein stärker unter die Lupe genommen wer- den. Die Phänomene, die eine Basis für Erotisierungen anbieten, haben ihren Ursprung häufig in einer nicht genügend sicheren Ehebeziehung und sind auch in biographischen und in per- sönlichen Defiziten verankert. Extrinsische Erotisierungsfaktoren bei verheirateten Missionarinnen und Singlemissio- narinnen wurden in sechs Interviews, bei Missionaren in einem Interview angesprochen. Ero- tisierungen durch andere konnten bei verheirateten Missionarinnen fruchtbar werden, weil diese naiv in das Beziehungsgeflecht gingen, Grenz- und Prioritätenverschiebungen zuließen, Anerkennung suchten und auch, weil verheiratete Missionarinnen nicht in einem offenen und ehrlichen Austausch miteinander standen. Singlemissionarinnen wurden erotisiert (siehe De- finition 2.1.3), weil sie Anerkennung suchten, mit Stolz, Hilflosigkeit und mangelndem Selbstvertrauen die Situation alleine zu regeln versuchten und sie Grenzverschiebungen zulie- ßen. Manche beschrieben sich nachträglich als naiv. Erotisierungen waren bei Männern we- gen ihres Mannseins erfolgreich. Extrinsische Erotisierung begünstigende Faktoren wurden allerdings deutlich weniger genannt als intrinsische Faktoren. Fazit: Extrinsische Faktoren können sich dann besonders entfalten, wenn Missionar/ -innen naiv in das missionarische Beziehungsgeflecht einsteigen, wenn das eigene Leben – bewusst oder unbewusst – defizitär ist oder bei einer Person ein Persönlichkeitsaspekt, eine Gabe oder eine Handlung besonders hervorgehoben wird, die dieser Person besonders wichtig ist. Zur Eifersucht positionisierten sich 9 von 21 Interviewpartner/-innen. Wobei die Eifer- sucht in berechtigte Eifersucht (2x), in berechtigte, aber nicht gelebte Eifersucht (2x), in unbe- rechtigte Eifersucht (3x), in provozierte Eifersucht und in Eifersucht vorbeugen (je 1x) einge- teilt werden konnte. Berechtigte und unberechtigte waren gleich häufig zu beobachten. Fazit: Eifersucht ist im Umgang mit Erotisierungen in der Mission ein häufig anzutref- fendes Phänomen, wobei die Tatsache, dass Eifersucht beobachtbar ist, noch keine Aussage darüber zulässt, ob sie berechtigt ist. In sieben (von 21) Interviews wurde von Anzeichen für Erotisierungen und Fehlinter- pretationen von Erotisierungen berichtet. Daher kam es zu Enttäuschungen über sich selbst und über andere. In drei Interviews wurden von vier tatsächlich vollzogenen Seitensprüngen berichtet, die alle mit Einheimischen stattfanden. Mentale Seitensprünge kamen zwischen 269 Missionar/-innen und zwischen einer verheirateten Missionarin und einem Einheimischen. Seitensprünge als Kopfkino einzelner Personen wurden in drei Interviews gefunden. Davon wurde in einem Interview eher allgemein erotisierend, in einem Interview als diffuse und konkrete Angst wegen des „Treueproblems der Männer“ und in einem weiteren Interview als erotierungsfördernd berichtet. Fazit: Auch wenn es Anzeichen für Erotisierungen gibt, werden diese bei sich selbst oder bei anderen nicht immer als solche wahrgenommen oder als solche interpretiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Erotisierungen in Seitensprüngen münden, scheint in Bezug auf Einheimische höher zu sein als innerhalb des missionarischen Beziehungsgeflechts, auch wenn sie dort nicht ausgeschlossen werden kann. 8.1.2. Folgen der Erotisierung für die Mission Wenngleich direkt und indirekt Schaden durch die Erotisierungen im Einsatzland beobachtet werden konnten, so war ich doch erstaunt, dass die direkten Auswirkungen nur in wenigen Interviews beschrieben wurden. Sicherlich kann resümiert werden, dass der sichtbare Schaden enorm sein und viel Staub aufwirbeln kann. Allerdings wurden manche Schäden das Missi- onsland betreffend mehr vermutet als mit Fakten belegt. Hinzu kam allerdings der hohe Scha- den innerhalb des missionarischen Beziehungsgeflechts bei tatsächlicher Erotisierung, ebenso wie bei Erotisierungen ohne Erotik. Dem gegenüber stand, sicherlich mit hoher persönlicher Bedeutung, ein relativ kleiner Prozentsatz an positiven Folgen. Darüber hinaus gab es Gerede und Veränderungen in der Atmosphäre. Alle Maßnah- men, die nach Erotisierungen notwendig wurden, banden Kräfte, auch wenn die Erotisierung langfristig positive Folgen für die Missionsarbeit hatte. Sie kosteten Kraft, Zeit und Geld. Sie wirkten sich katastrophal aus, lähmten und brachten innere und äußere Kämpfe. Aber auch die Bearbeitung der eigenen Biographie, Offenheit für andere, mehr Kontaktpflege und ein besse- res Bewusstsein für Abgrenzung. Die positiven Folgen erstreckten sich auf die Gottesbeziehung, das Eigenerleben, das Eheleben, zu einem geringen Teil auf Familie und Freunde und hatten großen Einfluss auf die berufliche Entwicklung. Dennoch überstiegen die negativen Folgen die positiven bei weitem. 8.1.3. Präventionen Die Missionar/-innen wünschen sich Präventionsmaßnahmen von ihren Missionsgesellschaf- ten, bevor sie aufs Missionsfeld gehen, und darüber hinaus, wenn sie als Langzeitmissionare tätig sind. Sie wünschen sich Weiterbildungen zu Erotisierungen durch die Gastkultur, aber auch zu Erotisierungen mit und ohne Erotik innerhalb des missionarischen Beziehungsge- 270 flechts. Dabei scheint der wichtigste Aspekt zu sein, dass Erotisierungen jeder Art mit vor- beugender Offenheit aus dem Tabubereich geholt werden. Die Missionsorganisationen könn- ten sensibel sein bei der Teamzusammenstellung und -begleitung. Missionskandidat/-innen könnten ausreichend vorbereitet, biographische Lasten erkannt und bearbeitet werden. Hilf- reich wären Schulungen, die die Auswirkungen des Missionsdienstes auf Eheleute und Sin- gles beinhalten und ebenso Selbstwertthemen. Dabei wären gemeinsame Gespräche, aber auch Gespräche getrennt nach Geschlecht und Familienstand hilfreich. In 12 (von 21) Interviews wurden strukturelle Veränderungen thematisiert, die es Missi- onar/-innen leichter machen, Hilfe bei erfolgter Erotisierung in Anspruch zu nehmen. Tröger (2003:115) schreibt,372 sie habe als Missionarin „jahrelang den Mangel an eingehender Seel- sorge selbst erlitten und dann auch bei Anderen gespürt … Eine gute und nützliche seelsor- gerliche Begleitung unserer Mitarbeiter kann nur dann stattfinden, wenn eine gute, gründli- che Seelsorge in der Vorbereitungszeit stattgefunden hat.“373 Auch wenn die theologischen Ausbildungsstätten ihre persönlichkeitsbildende Ausbildung verstärkt haben (siehe Seite 137), zeigt sich dies noch nicht so stark auf dem Missionsfeld. Wer das Grundschema seines Den- kens und Fühlens, die unbewussten Ziele, Wünsche und Motivationen für sein Handeln kennt, bekommt klarere Konturen und kann die Fehlziele in Angriff nehmen. Daher wäre es hilf- reich, Seelsorger/-innen oder Berater/-innen mit fachlichen Kompetenzen, z. B. zur die Paarberatung (siehe Schwenger 2010, Harder 2012:403-449) oder Lebensstilerarbeitung (sie- he Kriz 2007:40-52), für das Missionsfeld zur Verfügung zu stellen. Die Chancen, dass ein solches Angebot angenommen wird stehen gut, denn die heutige junge Generation von Missi- onaren will Begleitung (Fv11:463).374 Hilfreich wäre es außerdem, wenn nur geschulte Missionar/-innen neue Leiter/-innen werden und auch speziell im Umgang mit den Geschlechtern geschult sind (siehe dazu Kapi- tel 3 – 5). Damit könnte ein Bewusstsein für die eigenen Geschlechtsidentität geschaffen und ebenso deren mögliche Wirkung reflektieren werden. Allerdings übernehmen die Missionar/-innen auch Verantwortung auf verschiedenen Ebenen für ihre persönliche Weiterentwicklung und für Erotisierungsprävention. Neben einer geistlichen Sicht und ihrer Persönlichkeitsentwicklung nutzen sie die ihnen bekannten Schutzmaßnahmen und sind bereit zu einer ehrlichen und persönlichen Reflexion, die auch im Zusammenhang mit ihren verschiedenen Familienständen stattfinden könnte. 372 Tröger (2003:115) nimmt hier insgesamt zur Seelsorge und Seelsorgeausbildung bei Missionar/-innen Stel- lung. Meines Ermessens kann man das gut im Teilbereich der Erotisierung anwenden. 373 Hervorhebung im Original. 374 Tröger schrieb noch 2003 (:115), dass Missionar/-innen dieses Angebot nur zögernd annehmen würden. 271 8.1.4. Ertrag Erkenntnisfortschritt: Da es im deutschsprachigen Raum keine Literatur für Missionarinnen in heterosexuell erotischen Beziehungsgeflechten gibt, ist mit dieser Arbeit ein erster Schritt vollzogen. Dazu wurden die aktuellen Genderdebatten mit den Fragen zum Frau- und Mann- sein und biblisch-theologische Erkenntnisse zur Wesensmäßigkeit von Frauen und Männern und zur sexuellen Versuchung und Versuchlichkeit sowie die Beschreibung der körperlichen Schönheit von Frauen und Männern im Hohelied herangezogen. Die Durchsicht der missionswissenschaftlichen Literatur brachte einige Hilfen für Sin- glefrauen und verheiratete Frauen zum Vorschein. Diese bezogen sich jedoch häufig auf die jeweiligen eher allgemeinen Bedürfnisse und nicht auf den Umgang mit Erotisierungen. Zum Mannsein der Missionare musste auf Literatur aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen zurückgegriffen werden. Hier empfiehlt sich die Relektüre missiologischer Literatur. In der Prästudie wurden aktuelle Präventionsmaßnahmen zu Erotiserungen im missiona- rischen Beziehungsgeflecht zusammengetragen und dabei herausgearbeitet, dass die Missi- onsorganisationen keine einheitlichen Vorbereitungswege haben. In manchen Missionswer- ken werden keine Präventionsmaßnahmen angeboten, andere empfehlen Literatur und wieder andere lassen die Missionskandidat/-innen Papers zum Umgang mit Sexualität unterschreiben. Durch die empirische Forschung wurden Erkenntnisse zu Erotisierungen aus der Missi- onspraxis für die Missionspraxis gewonnen. Diese könnten eine Basis für weitere Überlegun- gen bezüglich der Kandidat/-innenausbildung und der Begleitung von Missionar/-innen wer- den. Meine Erwartungen zur den Ergebnissen aus der empirischen Studie wurden teilweise er- füllt, bargen aber auch Überraschungen.  Ich hatte erwartet, dass die Missionar/-innen mit Vorannahmen und Verallgemeine- rungen ins Missionsland ausreisen. Erstaunt war ich darüber, dass die meisten Missi- onare Erotisierungen nicht als Anfechtung von außen deuteten, sondern als in den Missionar/-innen selbst verankert. Überrascht hat mich, dass manche Missionar/-innen hart von den Erotisierungen ge- troffen wurden. Das zeigt, dass die Lebenswirklichkeit anders war als diese Missio- nar/-innen vermutet hatten und das Fehlinterpretationen bei tatsächlicher Erotisie- rung eine klare Sicht auf die Realität verstellen können. 272  Gänzlich überrascht war ich von der Wucht, mit der Missionare die atmosphärischen und personalen Erotisierungen weltweit erleben. Darin zeigte sich eine große Heraus- forderung im Missionsdienst. Nicht überrascht hat mich, dass die Missionar/-innen selbst manchmal so von Ein- heimischen angezogen wurden, dass sie diese aktiv erotisieren. Dabei war es auch nicht überraschend, dass die Qualität der Missionarsehe dabei ein wesentlicher Fak- tor ist.  Ebenso überraschend fand ich die aktiven Erotisierungen im kollegialen Beziehungs- geflecht, die in der Mehrzahl von nordamerikanischen Kolleg/-innen ausgehen. Bekannt waren hingegen die passiven Erotisierungen, die häufig schon im Teenager- alter zu beobachten sind. Ebenso wenig überraschend ist es, dass passive Erotisie- rungen in Neid verwurzelt sein können.  Manche Vorurteile, Fehldeutungen und Schwierigkeiten im Zusammensein hatte ich erwartet. Dennoch war ich erstaunt, wie stark die Vorbehalte und Ängste gegenüber anderen Lebenskonzepten sind, die häufig in (auch unberechtigter) Eifersucht mün- den. Bezüglich des Frauseins tauchte immer wieder die klare Rolle der Ehefrau und Mut- ter, aber auch die geschlechtsspezifisch ungeklärte Rolle der Singlemissionarin auf. Verheiratete Missionarinnen und Singlemissionarinnen scheinen ihre Rollen in der Missionsarbeit im Allgemeinen zu füllen, allerdings ist das Ausleben der Weiblich- keit bei Singlemissionarinnen weiterhin von Unsicherheit, und von Seiten der verhei- rateten Missionarinnen, eher von Angst geprägt.  Mannsein wurde nur in einem Interview thematisiert. Das kann mit dem Thema der Arbeit und den Fragen bei der empirischen Forschung zusammenhängen. Allerdings scheint sich hier noch ein großes Forschungsfeld aufzutun, denn die Auswirkungen auf die Stabilität und Zufriedenheit in der Missionarsehe könnten durchaus markant sein.  Dass Erotisierungsfaktoren intrinsisch und extrinsisch angelegt sind, war nicht er- staunlich.  Erstaunlich und erfreulich war für mich dann auch, dass nur in drei Interviews von Seitensprüngen mit körperlichem Vollzug (bei vier verschiedenen Situationen) be- richtet wurde. Seitensprünge auf der mentalen Ebene kamen in vier Interviews vor. Das hatte ich häufiger erwartet. 273  Interessant fand ich, dass die Folgen von Erotisierungen im missionarischen Bezie- hungsgeflecht im Missionsland als relativ gering beschrieben wurden.  Freudig überrascht hat mich, dass Missionar/-innen die Erotisierungen (mit und ohne Erotik) erlebt hatten und diese zunächst als negativ bewerteten, längerfristig jedoch positive Folgen beschrieben und dass die positiven Veränderungen schwerpunktartig im Eigenerleben und in der veränderten Gottesbeziehung lagen. Natürlich erlebten viele Missionar/-innen negative Folgen bei Erotisierungen. Der schwierigsten Punkt war dabei, dass Missionar/-innen negative Folgen bei Erotisie- rung ohne Erotik aushalten mussten. Die Missionar/-innen wurden verunsichert und mussten, obwohl keine Erotik vorlag, negative berufliche Konsequenzen aushalten.  Die Erwartungen der Missionar/-innen an ihr Beziehungsgeflecht und die Missions- leitungen sind hoch. Sie wünschen sich Seelsorge, Coaching, qualifizierte Begleitung etc. Fraglich ist, ob diese Erwartungen erfüllt werden können, denn dazu bedarf es weiterer Ressourcen, denn gleichzeitig haben in den letzten Jahren immer mehr Mis- sionsgesellschaften ihre Seelsorgeabteilungen geschlossen. Hier klaffen der Wunsch der Missionar/-innen und das, was Missionsorganisationen leisten (wollen oder kön- nen) auseinander. Die Erwartungen der Missionar/-innen und die Möglichkeiten der Missionsorganisationen werden wohl auch zukünftig herausfordernd bleiben. Allerdings wäre zu überlegen, inwieweit Erotisierungen im missionarischen Bezie- hungsgeflecht schon in der Kandidatenzeit angesprochen werden könnten. Das wür- de den Missionar/-innen zumindest signalisieren, dass es keine Tabuthema gibt. Hilf- reich wäre, wenn die Missionar/-innen mit dem Wissen ausreisen würden, dass sie die Missionsorganisation jederzeit um Hilfe bitten können. Erstaunt und erfreut war ich darüber, wie facettenreich die Missionar/-innen mögli- che Hilfsmaßnahmen formulierten.  Erfreulich war außerdem, dass viele Missionare die Verantwortung für sich selbst und die Erotisierungsvorgänge übernahmen. Besonders erstaunt hat mich die Forde- rung mehrerer Missionar/-innen, dass in den Missionsgesellschaften eingeführt wer- den solle, dass man einer Person gegenüber Rechenschaft (auch bezüglich des Um- gangs mit Sexualität und Erotik) ablegen sollte.  Offen ist für mich wie weit Missionsgesellschaften in die Privatsphäre von Missions- kandidat/-innen oder Missionar/-innen eindringen dürfen um Erotisierungen vorzu- beugen. Wenn die Ebenen Arbeitgeber und Seelsorger/Berater/geistliche Begleiter miteinander vermischt werden, ist Machtmissbrauch eher möglich, als es normaler- 274 weise in der Arbeitswelt möglich ist.375 Diese Überlegungen bedürfen einer intensi- ven, weiteren Reflexion. 8.2. Konsequenzen für die Praxis Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit soll in Konsequenzen für die Missionspraxis münden. Daher präsentiere ich in den folgenden Abschnitten einige Vorschläge zur Veränderung der Missionar/-innenausbildung und deren langfristiger Begleitung. Dabei wird besonders auf den Umgang mit Erotik in der deutschen evangelikalen Welt eingegangen. 8.2.1. Reflexion des Umgangs mit Erotisierungen in der deutschen Kul- tur und durch die geistliche Prägung Erotisierungsanfälligkeit von Missionar/-innen kann, neben den Gründen, die in der jeweili- gen Person zu finden sind, auch in der Ursprungskultur der Missionar/-innen liegen. Die Ein- seitigkeit deutscher, evangelikaler Christen, mit der sie sexuelle Sünden in der Sündenhierar- chie besonders hoch bewerten (Diener 2013), verschärft den Umgang mit Erotisierungen. Das Fatale dabei ist, dass dies auch Erotisierungen ohne erotischen Hintergrund verstärkt. Daher werden Erotisierungen in diesem Kontext oft versteckt und sind daher umso schwerer zu iden- tifizieren. Sie können dann aber auch nicht bearbeitet werden und wuchern unter Umständen im Dunkeln. Missionar/-innen könnten gelassen, offensiv und ehrlich damit umgehen, wenn sie sich von der Bibel abgeleitet bewusst werden, dass dort Erotisierungen nicht verschwiegen (siehe Kapitel 4.5, 4.6 und 4.7) und die beschriebenen Menschen in ihrem ganzen schwachen menschlichen Wesen dargestellt werden. Ebenso hilfreich könnte ein Blick in die Missionsge- schichte sein, in deren Verlauf Missionar/-innen immer wieder Erotisierungen unterschiedli- cher Art und Weise erlebten.376 Gleichzeitig hilft es, den Umgang mit Erotisierungen in der 375 Unter der Berücksichtigung, dass es „in allen sozialen Systemen … Potential für Ausbeutung, Mobbing oder Machtmissbrauch“ (Giesekus 2014:19) sollte die Mischung aus Arbeitgeber und christlicher Gemeinschaft mit besonderer Sorgfalt behandelt werden. 376 So hatte sich z. B. John Wesley in Sophia Hopkey verliebt. Diese hielt er dann aber so lange hin, dass sie einen anderen heiratete. Wesley schloss Sophia Hopkey kurz danach vom Abendmahl aus. Daraufhin klagte der erboste Ehemann Wesley der Ehrverletzung an und verlangte Schmerzensgeld. Ein Haftbefehl wurde verfügt und Wesley setzte sich im Schutz der Nacht ab (Peters 2003:56). Die Missionarseheleute Henry und Eliza Spaulding trafen Marcus und Narcia Withman (1836) auf der Reise in die Mission. Henry Spaulding hatte Narcia Withman bei einer früheren Begegnung heiraten wollen. Diese hatte seinen Heiratsantrag abgelehnt und in Spaulding hatte sich Bitterkeit breit gemacht. Die Zusammenarbeit von Henry Spaulding und Marcus Withman blieb bis zu ihrer Trennung schwierig. Allerdings hingen die Schwierig- keiten der beiden Männer auch mit ihren schwierigen Charakteren zusammenhing (Tucker 1996:92-93). Während Willem Carey in einer schwierigen Ehe mit Dorothy verheiratet war, entwickelte er eine Beziehung zu Lady Charlotte Rumohr. Diese wand sich dem christlichen Glauben zu und unterstützte die Missionsarbeit von Carey. Sechs Monate nach dem Tod Dorothys heiratete Carey Lady Charlotte, obwohl seine Kollegen die Ehe durch eine Unterschriftenaktion zu verhindern suchten (:104-112). Mary Selessor (1848-1915) entledigte sich der „züchtigen“ Kleider des viktorianischen Englands, die nicht für den afrikanischen Regenwald geeignet war. Sie trug einfach Baumwollkleidung, die bedingt durch die hohe 275 Ursprungskultur und der evangelikalen Subkultur zu reflektieren, um zu einem ehrlichen Um- gang mit sich selbst und anderen zu kommen. Der Wunsch, auf dem Missionsfeld mit westlich-christlichen Moralvorstellung über- zeugen zu wollen, um damit Vorurteile gegenüber der westliche Kultur abzubauen und dazu beizutragen, dass sich Menschen für westlich-christliches Denken öffnen, verstärkt das Prob- lem. Die geistliche Prägung in Bezug auf Erotisierungen, Sexualität sowie Mann- und Frau- sein und deren Beziehung sollte grundlegend durchdacht werden. Das fordert auch Papst Franziskus (2013:47), wenn er katholische Volkskulturen dazu auffordert, z. B. Chauvinismus durch das Evangelium zur Heilung zu bringen. Dazu sind die Erkenntnisse der feministischen Theologie zu berücksichtigten, die patriarchalische Prägungen aufgedeckt haben. Hierzu könnte eine angemessene und kontextualisierte Sexualtheologie erarbeitet werden. 8.2.2. Veränderung der Missionsvorbereitung Sicherlich reisen manche Missionar/-innen aufs Missionsfeld, weil sie denken, ihre (sexuel- len) Probleme in Deutschland zurücklassen zu können.377 Dazu habe ich in den Interviews allerdings keine direkten Hinweise gefunden. Indirekt wurde dieser Rückschluss allerdings nahegelegt, wenn formuliert wurde, dass das Leben in einer anderen Kultur die eigenen Schwächen, inklusive der Erotisierungsanfälligkeit vergrößere. Auch in dem Wunsch, dass die Missionsgesellschaften darauf achten sollten, dass niemand mit `schwerem Gepäck´ aufs Missionsfeld geht, damit die Gesamtbelastungen tragbar bleiben (Kapitel 7.3.1) zeigt indirekt, dass die Interviewpartner/-innen eine gute Vorbereitung zum Missionsdienst wünschen. Mis- sionskandidat/-innen könnten zu einem vollen Menschsein heranwachsen, damit sie wahre Missionar/-innen sein können. Es ist gut, wenn unser Leben als Christen in dieser Welt eine permanente Reise ist, „with its goal to become an ordinary human person“ (Saayman Luftfeuchtigkeit an ihrem Körper klebte. Ein Missionar, mit dem sie sich auf einer Dschungelwanderung befand, bat sie hinter ihm zu gehen, „damit er sie nicht mit ansehen müsse“ (:142). In der Missionsvorbereitung ist die 20jährige Missionsbraut Rosina Widmann (1827-1908), immer wieder den anzüglichen Bemerkungen ihres englischen Gastgebers Young ausgesetzt (:225). Aus einer unglücklichen Ehe heraus beging Georg Thompson „mit einigen Schulmädchen Ehebruch“ (:234) und wurde 1849 von seiner Frau Katharina geschieden. 377 Saayman 2013 (in Anlage 19): „So they tried to flee from these problems by proclaiming a strong missionary vocation without first dealing with their problems in their primary context (nation, home, church community). The tragic result has always been that the problems became even greater in the “holy, consecrated” mission field which existed only in their imagination. They would therefore often argue: “I will be able to deal with this in the special atmosphere of the mission field” – a tragic and enormous mistake“. 276 2007:138).378 Denn „the reality of the incarnation of Christ as Jesus of Nazarth, …, compels us, to be missionary as we are being human. Indeed, authentic and sustaninable Christian mis- sion is human by its very nature, `for Good so loved the world´ (:125).379 Weil in der Mission Erotisierungen, ebenso wie sonst im Leben, jederzeit möglich sind, wäre eine gute Vorbereitung und Weiterbildung der Missionar/-innen für ihren Einsatz in Be- zug auf Erotisierungen hilfreich. Erotisierungsoptionen setzen sich zusammen aus Biographie, Geschlechtsidentität, Persönlichkeit, Charakter, Beziehungssicherheit, Lebenssituationen oder -herausforderungen und Gelegenheiten. Daher könnte in der Missionsvorbereitung die Chance genutzt werden, Erotisierungen durch vorbeugende Offenheit aus der Tabuzone zu holen und den Missionar/-innen damit schon in der Vorbereitungszeit eine Gesprächsfläche angeboten werden, auf die sie später immer wieder zurückgreifen könnten. Erotisierungen können hier- bei als normaler Umstand im zwischenmenschlichen Zusammenleben dargestellt werden. Der Fortbestand der Menschheit ist auf Erotisierungen angewiesen und die Möglichkeit, dass es zu unerwünschten Erotisierungen kommen kann, gehört dazu. Natürlich kann dabei auch thema- tisiert werden, dass Erotisierungen geistliche Anfechtungen sein können. Es ist gut, wenn man sich dabei bewusst ist, dass nur die Dinge zur geistlichen Anfechtung werden können, denen der jeweilige Mensch eine wie auch immer geartete Angriffsfläche bietet. Um weltweit mit aktiven und passiven Erotisierungen durch die Gastkultur umgehen zu können, brauchen die Missionar/-innen neben der Reflexion ihrer eigenen Kultur und Eroti- sierungsoffenheit auch Kenntnisse über die offene und versteckte Erotisierungsart und -fülle in der Gastkultur. Dabei sollten allgemein-kulturelle Eigenheiten, möglichst ohne Vorurteile zu fördern, zum Umgang mit Erotik und Erotisierungen thematisiert werden, damit Missio- nar/-innen erotisierende Verhaltensweisen einschätzen und sich sinnvoll schützen können. Gut wäre es, wenn Missionar/-innen einen guten Weg zwischen persönlicher Freiheit und kulturellen Grenzen finden können. Kulturelle Besonderheiten müssen unbedingt berücksich- tigt und im Umgang mit Einheimischen beachtet werden. Die Reflexion des Umgangs mit Erotik in der Gastkultur ist besonders wichtig, wenn die Rollen von Frauen und Männern stark voneinander getrennt werden und es geschlechtsabhängige Regeln gibt. Dabei ist es nicht förderlich, wenn Missionar/-innen die Gemeinschaft untereinander durch zusätzliche Regeln verschärfen oder das Denken zu stark davon geprägt ist, was die Einheimischen zum Miteinander von Single- und verheirateten Missionarinnen und Missionaren denken könnten. 378 Saayman (2007) kommt zu diesem Ergebnis, als er einen Überblick über die Dutsch Reformed Mission schreibt. Diesem Ergebnis schließe ich mich an, wenngleich die Arbeit von Saayman einen ganz andern Fokus hat. 379 Hervorhebungen im Original. 277 Für die konkrete nicht erotisierende Lebensgestaltung im Missionarsalltag bedarf es eines hohen Maßes an Sensibilität, denn Erotisierungen in der Gastkultur können auch von Missio- nar/-innen ausgehen. Es ist hilfreich, Erotisierungen im kollegialen Beziehungsgeflecht unter einem besonde- ren Augenmerk zu sehen und die Erotisierungen wachsam, aber ohne Fokussierung im Blick- feld der Missionsleitungen bleiben. Das könnte im Bewusstsein geschehen, dass personale Erotisierungen sowohl mit als auch ohne Erotik, stattfinden können und dass es gerade bei Erotisierungen ohne Erotik für die betroffenen Personen häufig schwer ist, sich zu befreien. Gerade bei diesen Erotisierungen benötigen die Missionar/-innen unbedingt die Rückende- ckung ihrer Missionsorganisationen. Die Arbeit in multikulturellen Teams scheint die Eroti- sierungsanfälligkeit des Teams zu verstärken. Nützlich ist es, wenn der kulturelle Hintergrund und der zwischengeschlechtliche Umgang der Mitmissionar/-innen ebenfalls in der Vorberei- tungszeit oder während des Einsatzes reflektiert wird, damit aktiv-personalen Erotisierungen, die von Mitmissionar/-innen besonders herausfordernd erlebt werden, sinnvoll gehandhabt werden können. Das ist in beiden Situationen wichtig: Erotisierungen mit Erotik, aber auch Erotisierungen ohne Erotik. Innerhalb deutscher Teams scheint die Angst vor Erotisierungen und eine gewisse Sprachlosigkeit im direkten Umgang miteinander vorherrschend zu sein,380 da diese Erotisierungen vorwiegend passiv sind. Dennoch haben sie Einfluss auf die Atmo- sphäre. Das Miteinander wird davon negativ geprägt und eine beziehungszerstörende Schwei- gespirale nimmt ihren Lauf (Kessler 2012c:20). Daher brauchen Missionar/-innen eine höhere Sprachfähigkeit, um (tabuisierte) Erotisierungen ansprechen zu können. Es wäre für die Mis- sionar/-innen sehr hilfreich, wenn die Missionsgesellschaften, besonders wenn Erotisierungen ohne Erotik vorzuliegen scheinen, selbstkritisch und weise handeln. Die in der Mission üblichen und vielfältigen vorbeugenden Maßnahmen und Regeln in- nerhalb des Kolleg/-innenumfeldes müssten als Erotisierungen erkannt werden. Dadurch wer- den Regeln und andere Maßnahmen nicht mehr in ihr Gegenteil verkehrt und können ihre subtil-erotisierende Macht verlieren. Missionsorganisationen können den Missionar/-innen helfen, frei und ungezwungen miteinander leben und arbeiten zu können. Verkrampftes Miteinander entsteht, wenn es Ängs- te und Vorurteile, Gerede und Gerüchte gibt. Es wäre hilfreich, wenn Missionar/-innen weni- ger darüber nachdenken würden, was andere (auch Einheimische) denken könnten und sich stattdessen im kollegialen Miteinander angstfrei verhalten könnten. Dazu bedarf es der Refle- 380 Den Deutschen macht es allerdings keine Mühe, Erotisierungen oder aus Erotik resultierendes (Fehl-)Verhalten indirekt zu kommunizieren (Diener 2013). 278 xion der eigenen Persönlichkeit und möglicherweise auch der Paarbeziehung. Dies wiederum könnte die Missionsgesellschaft initiieren. Fraglich bleibt, wie das gestaltet werden kann, denn die Verwebung des Arbeitgeberstatus und der Eingriff in die Privatsphäre kann leicht zu Missbrauch führen.381 Dennoch muss registriert werden, dass die Einführung von strukturel- len Maßnahmen durch die Missionsorganisation zur Erotisierungsprävention von 14 (von 26) Proband/-innen gewünscht wurde. Singlemissionarinnen brauchen eine über das oberflächli- che „Wie-geht-es-dir?“ hinausgehende Begleitung als Frau und Single, die ebenso strukturell angelegt sein könnte. Singlemissionarinnen kommen besser mit ihrem Status zurecht, wenn sie Angenommensein als Single und Frau erleben. Ehepaaren würde es helfen, wenn ihre un- terschiedliche Entwicklung in ihren Rollen als aktiver Missionar einerseits und als aktive Mutter und eher passive Missionarin andererseits im Blick der Missionsorganisationen wären. Das daraus resultierende (selbst für die Ehepaare häufig überraschende) Auseinanderdriften müsste beobachtet und nötigenfalls thematisiert werden. Das Miteinander von Singlemissionarinnen und verheirateten Missionarinnen erwies sich als ein besonders anfälliger Punkt für Erotisierungen ohne Erotik. Wenngleich tatsächli- che Erotisierungen stattfanden, waren die Beziehungen insgesamt doch deutlich stärker von Angst vor konkreter Erotisierung einerseits und Angst vor Unterstellung andererseits geprägt. Hilfreich wäre, wenn Singlemissionarinnen und verheiratete Missionarinnen miteinander ins Gespräch geführt würden. Bei der dann möglichen Transparenz könnten Ängste und Erwar- tungen ausgesprochen und Vorurteile abgebaut werden. Das setzt aber wiederum voraus, dass die Einzelpersonen um ihre persönlichen Ängste, Ressentiments und Vorurteile wissen. Eben- so hilfreich wäre es, wenn Singlemissionarinnen sich stärker mit einem realen Eheleben aus- einander setzen könnten, z. B. durch mehr Einblick in reale Ehesituationen, und wenn verhei- ratete Missionarinnen Singlemissionarinnen aus der Rolle einer möglichen Konkurrentin ent- lassen könnten. Das kann dann positive Auswirkungen auf die in der Gastkultur notwendigen Schutzmaßnahmen von Singlemissionarinnen haben. Ebenso könnten Unsicher- und Un- gleichheiten beim Missionarsstatus bezüglich der verheirateten Missionarin überdacht wer- den, damit diese nicht auf Grund ihrer eigenen Statusunsicherheit oder (gefühlten) – benachteiligung erotisierend auf Singlemissionarinnen reagiert. Manchmal kommt es berechtigt zu Neid und Eifersucht, weil die Prioritäten von Missi- onaren oder Missionarinnen verschoben wurden und Verheiratete zu viel Zeit mit Singlekol- leg/-innen verbringen. Hierzu wären Reflexionen und sensible Veränderungen hilfreich. Die 381 Hierbei ist zu bedenken, dass dies normalerweise im deutschen Kontext ein in der sonstigen Arbeitswelt un- üblicher Vorgang ist. 279 Kolleg/-innen sollten hierbei nötigenfalls den Mut aufbringen darauf hinzuweisen. Allerdings bedarf es dazu kritikfähiger Missionar/-innen auf beiden Seiten. Das Spiel mit der Erotik ist für manche Menschen wie das Salz in der Suppe. Daher wird man diese Facette der Erotisierungen nicht verhindern können. Gut wäre, wenn sich die Missionsgesellschaften und Missionar/-innen dessen bewusst wären. Damit das nicht bedroh- lich wirkt, wäre auch hierzu wiederum die Reflexion der Persönlichkeit und der Beziehungs- sicherheit sinnvoll. Missionar/-innen in Leitungspositionen brauchen besondere Schulungsmaßnahmen, damit sie neben allen anderen Kompetenzen in der Führungsaufgabe,382 dem Einfluss ihrer Geschlechtsidentität und geschlechtsabhängige Erwartungen an sie so begegnen können, dass der Missionsdienst gefördert wird. Zusammenfassende Aufzählung Am Ende der Arbeit sollen die wichtigsten Vorschläge für die Missionarsausbildung und – begleitung übersichtlich dargestellt werden:  Reflexion des Umgangs mit Erotisierungen in der Heimatkultur.  Reflexion der geistlichen Prägung und die Entwicklung einer Frauen und Männern angemessenen Sexualtheologie.  Reflexion von Biographie, Geschlechtsidentität, Persönlichkeit, Charakter, Bezie- hungssicherheit (Ehe) und Sprach- und Konfliktfähigkeit vor der Missionstätigkeit.  Seelsorge- und Begleitungsangebote verstärken, eheliche Beziehungssicherheit för- dern, Singlestatus stärken.  Erkenntnisse zu Erotisierungen durch die Gastkultur.  Kollegiale Erotisierungen aus dem Tabubereich holen, thematisieren und kanalisie- ren.  Kulturelle Erotisierungshintergründe aufzeigen und Lösungen anbieten.  Geistlich präventive Maßnahmen aufzeigen.  Die Anziehung der Geschlechter als Folge von Biologie und Schöpfungsauftrag ak- zeptieren, aber helfen zu kanalisieren.  Strukturen schaffen, in denen tatsächliche und unterstellte Erotisierungen bearbeitet werden können. 382 Hier sei auf Kapitel 6.2 verwiesen und darauf, dass Führungsrollen in der Mission sicherlich weiter erforscht und verändert werden können. 280  Erotisierungsvermeidung durch vorbeugende Regeln als Erotisierung erkennen.  Familienstände und ihre Auswirkungen auf die Person und Ehe thematisieren. Frag- lich ist, ob das bei Mitarbeitergesprächen aufgenommen werden oder ob durch struk- turelle Veränderungen Begleitungskompetenz verstärkt werden kann.  Verheiratete Missionarinnen und Singles miteinander ins Gespräch bringen. Aber auch Strukturen schaffen, dass Eheleute und Singles sich über ihre Familienstände austauschen.  Erotisierung ohne Erotik als fatale Ressourcenbindung in der Mission erkennen und Strukturen schaffen, dass sich die jeweiligen Täter/-innen als solche erkennen und ändern müssen.  Bei Schulungen für Leitungsaufgaben die Reflexion der Geschlechteridentitäten und -rollen verstärken. 8.3. Missionstheologischer Beitrag In dieser Arbeit wurde nach der Literaturstudie die Alltagspraxis in Lebens- und Arbeitsge- meinschaften von Missionar/-innen durch eine empirische Studie ermittelt. Die Arbeit bezieht sich also grundsätzlich eher auf die Missionspraxis. Dennoch können missionstheologischen Konsequenzen gezogen werden, die im Folgenden aufgeführt werden. 1. Es bedarf einer Missionstheologie, die volles Menschsein und die Authentizität von Missionar/-innen auch im Bereich der Erotisierung begünstigt. Um wahre Missionar/-innen sein zu können, brauchen Missionskandidat/-innen bzw. Missionar/-innen eine Basis auf deren Grundlage sie zu einem vollen Menschsein her- anwachsen zu können. Da das Leben als Christen,383 sowie der Umgang mit Erotisie- rung, sexueller Versuchung und Versuchlichkeit in dieser Welt eine permanente Reise bleibt, bleibt es auch ein Ziel sich zu einer „ordinary human person“ (Saayman 2007:138) zu entwickeln. Die Realität der Inkarnation Christi zwingt dazu genauso mis- sionarisch wie menschlich zu sein. Dabei ist authentische und nachhaltige christliche Mission von menschlichem Charakter (:125). Eine Auseinandersetzung mit der eigenen menschlichen Erotisierung, Erotisie- rungsanfälligkeit und Versuchlichkeit und deren hilfreicher Gestaltung zu einer gesun- den Weiterentwicklung der Missionar/-innen kann dazu verhelfen und die Authentizität und Vertrauenswürdigkeit von Missionar/-innen erhöhen. Die meisten Missionar/-innen 383 „Christen“ schließt Missionarinnen und Missionare mit ein. 281 leben mit dem Verantwortungsgefühl „Botschafter an Christi statt“ (2. Korinther 5,20) zu sein. Dennoch wird der Umgang mit Erotisierung, Versuchung und Versuchlichkeit eher tabuisiert. Gut wäre es, wenn das Bewusstsein ein Botschafter Christi zu sein, sich auch in diesen Aspekten des Lebens voll entfalten könnte. Dabei könnte eine Auseinan- dersetzung mit sexueller Versuchung und Versuchlichkeit im Alten Testament (siehe dazu auch Kapitel 4.5 – 4.8) hilfreich sein um auch aus der Bibel heraus eine höhere Realitätsnähe zu gewinnen. Die Missionar/-innen werden dann integer wahrgenommen, wenn es ihnen gelingt, sich zu reflektieren und auch zuzugeben, dass sie bei einer Sache oder in einem Lebensbereich in der Entwicklung sind (nach Kritzinger 2005:6-9). Mit einer gesteigerten Authentizität steigt auch die Bereitschaft, die Botschaft von Missionar/-innen anzunehmen (siehe Rommen 1985:94-95). „Unecht“ wirkende Perso- nen können der christlichen Botschaft im Weg stehen. Authentische Missionar/-innen können gestärkt und gekräftigt die „Botschaft von der Versöhnung der Menschheit mit dem lebendigen Gott durch seinen Sohn“ verkündigen um die Menschen zur Annahme der Frohen Botschaft zu ermutigen. Außerdem könnten sie die Menschen dann noch umfassender begleiten und ihnen helfen, sich in die Gemeinde Jesu einzugliedern (vgl. Brandt 2003:19-49) um dann selbst wiederum als authentische Christen zu leben. 2. Es bedarf einer Missionstheologie, die die Entwicklung zu vollem Menschsein und die Authentizität von Missionar/-innen im Bereich der Erotisierung fördert. Die Aufgabe der Missionswerke und -organisationen ist es die Dienstfähigkeit von Mis- sionar/-innen vorzubereiten, zu fördern und zu erhalten. Daher wäre es hilfreich, wenn auch in der Missionstheologie der Umgang mit der Geschlechtlichkeit und deren Aus- wirkungen bei Frauen und Männern in den einzelnen Missionswerken und - organisationen der in der AEM zusammengeschlossenen Missionen reflektiert und nicht weiter zu ignorieren würde.384 Bei der Auseinandersetzung mit der Weiblichkeit von Missionarinnen und der Männlichkeit von Missionaren und deren geschlechtsspezifischen Bedürfnissen, Stärken und möglichen Schwächen könnten die Erträge aus der feministischer Forschung und der Gender-Mainstreaming-Theorie mit einbezogen werden um innerhalb der Missions- 384 Wenn es inzwischen auch ein wenig missiologische, deutschsprachige Literatur für Missionarinnen gibt (z. B. Foyle 1995, Conrad 1998, Wagner 2004, Füßer 2012) so wurden keine Veröffentlichungen gefunden, die das Mann- und Missionarsein erforscht oder beschreibt. 282 theologie zu einem klareren und vertieften Bild von Missionarinnen und Missionaren zu kommen. Es wäre hilfreich wenn die Möglichkeit Erotisierung und Versuchlichkeit auf dem Missionsfeld bei der Vorbereitung von Missionskandidat/-innen so aufgegriffen würde, dass diese Thematik in ihrer Angstbesetztheit und Tabuisierung nicht verstärkt wür- de,385 sondern dass die Missionar/-innen wissen könnten, dass sie sich jederzeit an ihre Missionswerke oder -organisationen wenden können und das ihnen von dort qualifiziert Hilfe zu Teil wird. Dazu wäre es notwendig, dass sich Missionstheolog/-innen und die Leiter/-innen von Missionswerken und -organisationen stärker mit der Möglichkeit von Erotisierungen, Versuchung und Versuchlichkeit theologisch und lebensnah auseinander zu setzen. Möglicherweise müssten dafür auch die Strukturen in Missionswerken und -organisationen überdacht werden. 8.4. Offene Themen Im Folgenden habe ich einige Themenfelder aus persönlichen Gesprächen und den Interviews zusammengetragen, die von den Missionar/-innen als offene Themen bezeichnet wurden. Sie suchten dazu Hilfen, weil sie nicht damit umzugehen wussten. Da diese Themen aber nicht dem Fokus der vorliegenden Arbeit entsprachen, wurden sie nicht berücksichtigt. Allerdings scheinen mir die Themenfelder so wichtig zu sein, dass sie hier zumindest genannt werden sollen:  Der Umgang mit Homoerotik in der Mission.  Internetpornographie bei Missionaren und Missionarinnen.  Auswirkungen von sexuellem, emotionalem oder verbalem Missbrauch und die Fol- gen auf das Leben von Missionar/-in.  Manipulations- und Erpressungsversuche mit der Androhung von übler Nachrede durch Einheimische, z. B. auch durch Erotisierung im Missionskontext.  Die Dynamik in Missionsgesellschaften und die Zusammenarbeit von verschiedenen internationalen Missionsgesellschaften, bei der die Befugnisse oft auf Kosten der Missionar/-innen ungeklärt sind.  Der Umgang mit verhaltensauffälligen, kritikunfähigen, schwierigen Kolleg/-innen im Missionarsteam und die Position der Missionsleitung.  Fehldiagnosen z. B. Burn-out, mit denen Persönlichkeitsprobleme verdeckt werden können. 385 Wie es heute leider oft geschieht. 283  Bedürfnisse nach Intimpflegemitteln wie z. B. Produkte zur Monatshygiene, die in der Gastkultur von den Missionar/-innen nicht selbstständig besorgt werden können und deshalb einen Import durch Missionskolleg/-innen bedürfen. 8.5. Schlussgedanke „Der Ruf nach Seelsorge ist unter Missionaren unvermindert stark“ und sollte durch „Zurüs- tung und Ausbildung“ geschehen, damit „Missionare sich untereinander helfen“ (Scheune- mann 2002:33). Dieser Ruf gilt 2014 noch immer. Daher ist eine gründliche Lebensstilanalyse eine wichtige Voraussetzung für einen guten Dienst und damit ebenso für eine Erotisierungs- prävention (vgl. Tröger 2003:115). Deshalb wäre es hilfreich, wenn die Missionskandidat/- innen ihre Stärken und Schwächen, ihre Sexualbiographie und ihre Motivationsfacetten für den Missionsdienst gut kennen. Eigene menschliche, unbewusste Ziele werden im Stress der Missionssituation hervorbrechen und sich manchmal (Fehl-)Lösungswege in Erotisierungen suchen. Häufig leiden nahestehende Menschen, das missionarische Beziehungsgeflecht und die Missionsorganisation darunter. Beziehungen werden zerstört und die Betroffenen nachhal- tig geschädigt. Oft kommen existenzielle berufliche Folgen hinzu. Ein Ziel der Missiologie ist, Missionar/-innen in Missionsorganisationen Hilfestellun- gen zu geben, wie sie ihren Dienst für Gott möglichst proaktiv und ohne unerwünschte Eroti- sierungen gestalten können. Daher besteht der Beitrag dieser Arbeit innerhalb der Missions- wissenschaft darin, erotisierte Beziehungsgeflechte in der Mission wahrzunehmen, zu unter- suchen und ihre Vielfalt abzubilden. Darüber hinaus wurden die Folgen und Präventionsmaß- nahmen zusammengetragen, um damit den Missionsorganisationen sowie auch den Single- und verheirateten Missionarinnen aufgezeigt werden kann, welche Präventionsmaßnahmen hilfreich sein könnten. Mein Wunsch ist es, mit dieser Arbeit ein Tabuthema aufzubrechen, damit durch erweitertes Wissen und gegenseitiges Verständnis gegenseitige Hilfe erfolgen kann, denn „Validität im eigentlichen Sinne kann nur aus der Forschungsarbeit heraus er- wachsen und nur langfristig beurteilt werden“ (Kaufmann 1999:42). 284 Bibliographie Abeng, Nazarie Bitoto 1986. Ehe, Ehescheidung. 2.7. In den Kirchen der Dritten Welt (Bei- spiel: Afrika), in Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopä- die. Erster Band 1986. 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