WOHIN PREDIGEN FÜHRT DIE SENDUNGSORIENTIERTE GEMEINDE ALS ZIEL BIBLISCHER VERKÜNDIGUNG WHERE PREACHING LEADS TO THE MISSIONCENTRED LOCAL CHURCH THE GOAL OF BIBLICAL PREACHING by KLAUS EICKHOFF Submitted in accordance with the requirements for the degree of DOCTOR OF THEOLOGY in the subject of PRACTICAL THEOLOGY at the UNIVERSITY OF SOUTH AFRICA PROMOTER: PROF DR H J C PIETERSE JOINT PROMOTER: PROF DR M SEITZ SEPTEMBER 2005 I English Summary This dissertation is a contribution in the field of Homiletics, a sub-discipline in the area of Practical Theology. It also touches the subjects of Counseling, Cy- bernetics and Religious Pedagogy. Furthermore, it also is concerned with the other theological disciplines: Theology of the OT and NT, Missiology and Sys- tematic Theology. This work also refers intra-disciplinarily to findings in Ethol- ogy, Management Theory, Neurobiology, Neuropsychotherapy and Socio-logy. The basic thesis is, "The goal of the biblical message is the mission oriented church to the glory of God, to the salvation and well-being of man." This will be demonstrated from the Holy Scriptures and made applicable to preaching and to church growth and development. The observation of the church’s message results in a new thesis: “The aban- donment of the soteriological message of the church is the main reason for the dwindling of her spiritual power and therewith also of her eschatological and po- litical significance." The abandonment of the mission goes back to a christo- logical crisis. This is grounded on the preaching of less than Biblical messages with negative consequences for the church and for the people whose need for the Gospel remains unfulfilled. It will be shown that in the OT and NT various missions of the Trinity are ob- servable which are to be understood soteriologically, with the exception of the Creation. The Bible is the written expression of these missions that are evidenced within it. The distinct dynamic of the mission of Jesus is based on His obedience, His struggle against the powers of evil and the dedication of His life for the Salva- tion of the world. The ministry that preaches reconciliation (2 Cor. 5:18) represents the one who reconciled the world to Himself. The dynamic of His mission corresponds to the dynamic role of the ministry of preaching. It is incumbent on the ministry to evangelize and equip the church members for their service in the congregation. The purpose of equipping the church and calling together is to practice missions. The implementation of missions will bring about a basic positive change in the attitude of the church and her pastoral activities. Because of this, we see that our usual understanding of the sermon is based on the ecclesiological misunder- standing to adress the sermon to individuals (the listener) instead to a faithful body of Christ. The church must be obedient in a new way regard to the question of mission. This is a question of life or death. The message that is preached by the church will lead it either to destruction or to the goal-centered, missions-oriented interaction of her charisms - to the glory of God and the salvation of humankind. Terminology/names: Ministry, eschatology, obedience, love of neighbor, mission (sending), preaching, interaction. - Barth, Bohren, Bonhoeffer, Kutter, Luther, Schlatter, Seitz. Deutsche Zusammenfassung II Diese Arbeit liefert einen Beitrag zur Homiletik, einer Teildisziplin der Praktischen Theologie. Dabei berührt sie weitere ihrer Fachrichtungen wie Seelsorge, Kybernetik, Religionspädagogik. Zudem greift sie auf andere theologische Disziplinen zurück: Theologie des AT und NT, Missiologie, Systematische Theologie. Ebenso bezieht sich die Arbeit intradisziplinär auf Ergebnisse der Ethologie, Managementtheorie, Neurobiologie, Neuropsychotherapie, Soziologie. Die Grundthese lautet: „Das Ziel biblischer Verkündigung ist die sendungs- orientierte Gemeinde – Gott zum Lob, dem Menschen zur ewigen Rettung und zeitlichem Wohl.“ Das wird aus der Schrift nachgewiesen und für die Verkündigung und Gemeindeentwicklung fruchtbar gemacht. Aus Wahrnehmungen des hiesigen Predigtgeschehen ergibt sich eine Erkenntnis: „Die Preisgabe ihrer soteriologisch zu verstehenden Sendung ist die Hauptursache dafür, dass die spirituelle Kraft der Kirche schwindet und damit ihre eschatologische und politische Bedeutung.“ Die Preisgabe der Sendung geht auf eine Krise des Christusglaubens der Gemeinde zurück. Diese hat ihre Ursache in der an sie ergehenden Predigt mit schlimmen Folgen für die Gemeinde und die Menschen, denen sie das Evangelium schuldig bleibt. Es wird gezeigt, dass im AT und NT verschiedene Sendungen des Dreieinigen bezeugt sind, die sich, abgesehen von der Schöpfung, soteriologisch verstehen. Die Bibel ist der schriftliche Niederschlag, der in ihr bezeugten Sendungen. Die besondere Dynamik der Sendung Jesu ergibt sich aus seinem Gehorsam, seinem Kampf gegen die Mächte, seiner Lebenshingabe zum Heil der Welt. Der Dienst, der Versöhnung predigt (2. Kor 5,18), repräsentiert den, der die Welt mit sich versöhnte. Der Dynamik seiner Sendung entspricht das dynamische Predigtamt. Ihm obliegt die Zurüstung und Sammlung der Gemeinde mit dem Ziel ihrer Sendung. Die „Sammlung z u r Sendung“ führt zu grundlegenden, positiven Veränderungen der Gemeinden und ihrer pfarramtlichen Praxis. Es zeigt sich, dass unsere gewöhnliche Predigtauffassung auf einem ekklesiologischen Missverständnis beruht: Statt verbindliche, zielgerichtete S e n d u n g s r e d e zu sein, ist Predigt individualisierende „Seelenbedienung“. Adressat ist der einzelne Hörer, nicht die sendungsorientierte Gemeinde als Leib Christi. - Die Kirche steht im Blick auf ihre Sendung vor der Frage des Gehorsams als einer Frage von Leben oder Tod. Ihre Predigt führt die Gemeinden entweder ins Verderben oder zum sendungsorientierten Zusammenspiel ihrer Charismen und Dienste - zur Ehre Gottes und der Rettung und dem Wohl der Menschen. Begriffe/Namen: Amt, Eschatologie, Gehorsam, Nächstenliebe, Predigt, Sendung, Zusammenspiel. - Barth, Bohren, Bonhoeffer, Kutter, Luther, Schlatter, Seitz. Vorwort III Die vorliegende Arbeit ist von der University of South Africa (UNISA) in Pretoria als Dissertation angenommen worden. Von Herzen danke ich Herrn Professor Dr. H. J. C. Pieterse, der sich der Arbeit als Promoter angenommen hat. Ich danke ihm für seine zügige Lesearbeit und seine freundliche Beurteilung! Herr Professor Dr. M. Seitz war Co-Promoter. Ihm danke ich für die inspirierenden Gespräche, für alle Hilfen, Korrekturen, Ermutigungen und Hinweise. Freunden und Wegbegleitern im Leben und im Dienst habe ich ebenfalls zu danken. Herr Pfarrer Johannes Hoene hat das Manuskript in der Entstehungsphase gelesen und gute theologische Hinweise gegeben. Herr Pfarrer und Landespropst Karl Sundermeier hat mich während langer Fahrten durch Namibia auf die Spur gebracht, dass es um die „Sammlung z u r Sendung“ geht, es sich bei beidem nicht etwa um zwei verschiedene Bereiche handelt. Herrn Dr. Eberhard Rieth verdanke ich Einsichten in die moderne Gehirnforschung und ihre Relevanz für das vorliegende theologische Thema. Herr Magister Dietmar Kauffold, mein Schwiegersohn, hat Korrektur gelesen. Danke! Renate, meine Frau, hat in Geduld die Last getragen, die das Schreiben einer solchen Arbeit für den Ehepartner mit sich bringt. Herzlichen Dank! Einigen Lehrern, die indirekt zu dieser Arbeit beigetragen haben, möchte ich ebenfalls danken: Herr Dr. Olav Hansseng, mein erster theologischer Lehrer im Johanneum, hat entscheidenden theologischen Grund gelegt. Herr Dr. Joachim Bieneckg hat auf diesem Grund weitergebaut. Herr Prof. Dr. Manfred Seitz hat mir schon vor Jahren praktisch-theologische Türen zu Räumen des Gemeindeaufbaus aufgestoßen, mich ermutigt, sie zu betreten und möglichst neue zu entdecken. Nach Gal 5,22 sind Geduld und Freundlichkeit Früchte des Geistes. Davon ist sein Korb gut gefüllt. Herr Prof. Dr. Rudolf Bohren hat mich besonders inspiriert. In seinen Büchern zu forschen, bedeutet mir viel und erfüllt mich mit Freude. Der Bezug auf sein Werk nimmt in dieser Arbeit besonderen Raum ein, sehe ich in ihm doch die Richtung eingeschlagen, in die ich einen kleinen Schritt weiterzugehen versuche. Danken möchte ich Herrn Professor Dr. Johannes Reimer (UNISA) und Herrn Dr. Dr. Volker Kessler. Sie haben mich gefragt, ob ich nicht eine Dissertation zum Themenkreis „Leiten und Verkündigung“ schreiben möchte, dem Themenkreis, den wir an der Akademie für christliche Führungskräfte (AcF) behandeln. Ohne ihre Frage wäre es zu dieser Arbeit nicht gekommen. Klaus Eickhoff Sierning, im November 2005. V I n h a l t English Summary Deutsche Zusammenfassung Vorwort …………………………………………………...……..………. I Einleitung ………………………………………………..….……..…… V 1. Wahrnehmung Predigt zwischen Anspruch und Wirklichkeit ........................ 1 1. 1. Der Anspruch ……………………………………………………... 1 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt …….… 1 1.1.2. Predicatio verbi Dei est verbum Dei ………………….............….. 7 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen ………………………………..... 12 1.1.4. Ecclesia est creatura verbi …………………………………….…. 19 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes ………………………………...….. 22 1.1.6. Protestantisches Predigtlob …………………………………….… 28 1. 2. Die Wirklichkeit ………………………………………………….. 33 1.2.1. Ernüchternde Wirkung …………………………………………… 33 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung ………………………………….. 41 1.2.3. Mehr Schein als Sein …………………………………………….. 48 1.2.4. Missbrauch des Ewigen ………………………………………….. 58 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig .………….…...…….. 64 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle ………………………………….. 72 1.2.6.1. Predigt als gemeinde-internes Selbstgespräch …………….…..…..…... 74 1.2.6.2. Tödliches Hirte-Schafe-Modell ………………….....………….……. 77 1.2.6.3. Skurrile Tauf-und Unterrichtspraxis ………………….……......……. 79 1.2.6.4. Antimissionarische „Apartheidspflege“ ………………….……..……. 81 1.2.6.5. Modellwechsel – oder: die Bekehrung eines Bekehrten ……………..…. 82 1. 3. Das Problem ………………………………………………………. 86 1.3.1. Christologische Krise ………………………………………..…… 86 1.3.2. Verlust der Eschatologie ………………………………….……… 106 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils ………………………….……. 122 1.3.4. Preisgabe der Sendung ……………………………………..…….. 129 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung ………………...………..…. 147 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt ………………….…... 156 VI 2. Biblischer Befund Senden um zu retten – die Leidenschaft der Trinität ............. 175 2. 1. Die Sendungen Gottes – Freude, Lob und Leid …............…... 175 2.1.1. Schöpfung als Sendung ……………………………..…………..... 175 2.1.2. Auflehnung gegen das Wort …………………….…………..…... 179 2.1.3. Die Sendung Israels …………………….…………….……..…... 183 2.1.4. Die Sendung des Sohnes ………………….………….……..….... 186 2.1.5. Die Sendung des Geistes ……….…………………….……..….... 194 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde …….…………………..……..……... 203 . 2. 2. Das Ziel der Sendung Jesu: Um Gottes willen Verlorene retten ........................................... 211 2.2.1. Der Gekommene - Úlqon-Sprüche ............................................ 212 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi ....................................................... 219 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv ………………………..….. 226 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a ......................................................... 237 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a ....................................................... 243 2.2.6. Der Gesandte - ‡post™llw, p™mpw ......................................... 249 2.2.7. Der Gehorsame - ÃpakoÐ ……………………………………...... 252 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj ............................................................. 256 2. 3. Verkündigung im Zeichen der Sendung .................................. 262 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede .................................... 263 2.3.2. Jona - Sendungsrede in Reinkultur …………………………..…... 271 2.3.3 Die Verkündigung Jesu ............................................................. 276 2.3.3.1 Evangelisieren ……………………………………….…………….. 276 2.3.3.2 Lehren - im Kontext der Sendung .................................................... 282 2.3.3.3. Senden .................................................................................. 291 2.3.4. Heiliger Geist und Verkündigung ............................................. 302 2.3.5. Apostolische Verkündigung – eine Tautologie ………………..... 307 VII 3. Folgerung Predigen als Sammlung z u r Sendung .................................. 312 3. 1. Das erneuerte Predigtamt .............................................................. 312 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen ………………………………..…..... 312 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten ............................. 326 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle ......................... 337 3.1.4. Charismen haben Entfaltungsbedingungen .................................... 347 3.1.5. Viele Charismen - e i n Ziel ......................................................... 350 3.1.6. Ein Ensemble predigt ..................................................................... 356 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert ................................. 365 3.1.7.1. Apostolisch .................................................................................... 371 3.1.7.2. Prophetisch .................................................................................... 374 3.1.7.3. Evangelistisch ................................................................................ 375 3.1.7.4. Seelsorglich .................................................................................... 380 3.1.7.5 Didaktisch ...................................................................................... 384 3.1.8. Ausüben heißt Ausbilden! ............................................................. 386 3.1.9. Alle sind wertvoll und werden gebraucht .................................... 391 3.1.10. „Brief an die Gemeinde“ - eine Zusammenfassung ........................... 394 3. 2. Predigt als Sendungsrede ........................................................... 398 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden .............................. 399 3.2.2. Beschenkende Predigt .................................................................. 406 3.2.3. Gewinnende Predigt ..................................................................... 409 3.2.4. Verbindliche Predigt .................................................................... 414 3.2.5. Aktuell statt Institutionell ............................................................ 420 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod .................................... 427 3.2.7. Vollmacht - und die Frage der Kraft ………………..………...... 434 3. 3. Predigen führt .............................................................................. 445 3.3.1. - zum gebenden Gott ……………………………………………. 457 3.3.2. - zum wichtigsten Charisma .......................................................... 467 3.3.3. - zur entscheidenden Änderung ..................................................... 476 3.3.4. - zur notwendigen Einheit ............................................................. 485 3.3.5. - zur evangelistischen Liebe .......................................................... 495 3.3.6. - zum realistischen Zukunftsbild ................................................... 505 3.3.7. - zum sendungsorientierten Zusammenspiel ................................ 509 3.3.8. - zur Sammlung der vollendeten Gemeinde …………….….…... 525 Bibliographie .............................................................................. 528 VIII Einleitung Diese Arbeit erscheint in einer Zeit, in der prophetische Theologen ein Gottesgericht über die Kirchen Westeuropas erkennen, ein Gericht über uns Theologen und Theologinnen, ein Gottesgericht auch über unsere Predigt. Die Predigtkrise, die - von vielen Betroffenen unbemerkt - das kirchliche Feld beherrscht, weist auf eine Verunsicherung in der Ekklesiologie, deren Wurzeln in einer Krise des Christusglaubens und somit auch der Christologie zu finden ist. Wir sind herausgefordert. Nicht die Umstände, nicht der scharfe Wind des Unglaubens und Irrglaubens, der uns entgegenweht, sondern der Auferstandene mit seinem uns sendenden Wort fordert uns heraus. Gemeinde war nie als ein Predigtpublikum gedacht, das sich in Form eines gemeindeinternen, unablässigen Selbstgesprächs, das wir Predigt nennen, religiös bedienen lässt, auch nicht als eine Gruppe von unverbindlichen Individualisten, die Gottes Wort hören und dann gemeinschaftslos auseinanderstreben. Gemeinde nach dem NT ist ein sinnvoll gefügter Leib mit verbindlich untereinander verbundenen Gliedern, die sich um Christus sammelt und konzentriert ein hohes Ziel verfolgen. Ecclesia est creatura verbi – geschaffen zu einem klaren Zweck. Bei Strasser (1998:13) findet sich der Satz: „Die Menschen haben ein großes Ziel, die Vorstellung einer ihr Leben tragenden Aufgabe.“ Die Gemeind als der Leib Christi steht unter dem Sendungsbefehl, in dem es darum geht, um Gottes willen, Verlorene zu retten. Ein schöneres Ziel, eine größere sie tragende Aufgabe, kann es nicht geben. Gemeinde war gedacht als „Stadt auf dem Berge“, die die Leute anzieht und als Gesandtschaft, die unterwegs ist zu den Menschen extra muros ecclesiae, als „Salz der Erde“, das sich ausstreuen lässt in die Welt. In solcher Gemeinde, die sich senden lässt, weil Christus ihr Zentrum ist, ist Verkündigung etwas anderes, als in einer christlich- religiösen Schar, die in ihrer Kirchlichkeit sitzengeblieben ist. Geht es im NT um die sendungsorientierte Gemeinde, sind andere Predigten von Nöten, als wir sie landläufig kennen. Wird mit d r christozentrischen, sendungsorientierten Gemeinde ein Idealbild gemalt? Ist hier eine Utopie vorgestellt, die vollkommene Gemeinde? Es geht um den entscheidenden biblischen Aspekt, unter dem die verschiedenen Gemeinden des NT zu sehen sind: Allen gilt das Doppelgebot der Liebe und damit der soteriologisch verstandene Sendungsauftrag. Das ist vielfach nicht mehr klar. IX Wer als Pastor oder Pastorin nicht weiß oder eine theologisch falsche Vorstellung davon hat, was Gemeinde ist, wozu sie da ist, woraufhin man pflanzt oder baut, wer darum auch nicht weiß, was Predigt bedeutet, der oder die irrt im Amt richtungslos umher, weiß auch ein Presbyterium theologisch nicht recht zu führen und die irregeführte Gemeinde stolpert ziellos im Kreis von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Sollen wir vollkommen sein, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist (Mt 5,48), dann sollten wir zumindest wissen, was und wie die vollkommene Gemeinde ist. Damit wäre die Richtung klar, in die es zu schauen und zu gehen gilt. Die verwirklichte vollkommene Gemeinde liegt jenseits des jüngsten Tages. Die Hoffnung darauf befreit zum Mut zur Lücke. Dass vollkommene Gemeinde aber zeichenhaft aufscheint, ist uns zugemutet. Wir sind gerufen, sendungsorientierte Gemeinde zu sein. Dazu bedarf es vor allem einer Neuorientierung der Predigt, des gesamten Predigtgeschehens an den, der die Kirche sendet und seine missio, die eine Sendung ist zur ewigen Rettung der Verlorenen. Im Bewusstsein der Relativität unserer Rezeptionsästhetik geht es im e r s t e n T e i l um W a h r n e h m u n g , die mehr meint als bloßes Sehen. Wahrnehmen bedeutet das Gesehene in einem größeren Zusammenhang bringen, dahinter zu schauen. Der Anspruch, der an die Predigt vom Worte Gottes und damit von der Theologie hergestellt wird, ist hoch. Dem steht eine ernüchternde Erkenntnis gegenüber: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht eine Diskrepanz. Es kann sich bei der Beschreibung der Predigtwirklichkeit (1.2.) nicht um ein Gesamtbild handeln. Aus den möglichen Ursachen für die Wirkungslosigkeit der Predigt treffe ich daher eine Auswahl. Zunächst geht es um die Wirklichkeit des innerkirchlichen Fehlverhaltens, das vom Verharmlosen der Botschaft (1.2.2.) bis zur Macht mentaler Modelle reicht (1.2.6.). Die Auswahlkriterien sind nicht nur subjektiv. Der Ausschnitt, den ich wähle, gewährt Einblicke in eine offensichtliche Not der kirchlichen Predigtpraxis in unserem Kulturraum. Die Ursachen liegen - wie bei einem Wurzelgeflecht - eng beieinander, sodass es bei ihrer Behandlung zu Berührungen und Überschneidungen kommt. Danach wende ich mich unter 1.3. dem eigentlichen P r o b l e m f e l d zu, auf dem das Wurzelgeflecht innerkirchlichen Fehlverhaltens wuchern und gedeihen konnte. Von der christologischen Krise ausgehend, behandele ich den aus ihr sich X ergebenden Verlust der Eschatologie, die Abwertung des persönlichen Heils und damit verbunden die Preisgabe der Sendung. Letztere verursacht zwangsläufig einen zerstörerischen kirchlichen Selbsterhaltungstrieb. Bonhoeffer, Bohren, Körtner und andere sind daher überzeugt, dass Gott schweigt. Im z w e i t e n T e i l geht es um den biblischen Befund. Es soll gezeigt werden, welchen Stellenwert d i e S e n d u n g i n d e r H e i l i g e n S c h r i f t einnimmt. „Das Evangelium … ist nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch eine weltüberwindende Macht“ (Kutter 1912:8). Senden um zu retten erweist sich als die Leidenschaft der Trinität. Im ersten Kapitel dieses zweiten Teils erfolgt eine Zusammenstellung der Sendungen Gottes mit besonderem Blick auf ihr Echo unter den Menschen, die Freude, das Lob und - aufgrund des Falls der Menschen - das Leid. Sodann erfolgt eine besonders herausgestellte theologische Untersuchung der Sendung Jesu im Blick auf das Ziel seiner missio: Er ist gekommen, dass er um Gottes willen Verlorene rette. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, dass Verkündigung des AT und NT unter dem Vorzeichen der Sendung steht. Der d r i t t e T e i l befasst sich mit den F o l g e r u n g e n aus Wahrnehmung und biblischem Befund. Predigen meint die Verherrlichung Gottes, die zur Sammlung der Gemeinde zu ihrer Sendung führt. Daraus ergibt sich ein anderes als unser landläufiges Predigtverständnis. Steht die Gemeinde in der Sendung, ist die missio ihr Vorzeichen, dann sind alle Glieder der Gemeinde gerufen, an der Sendung teilzuhaben. Sendung ist Gabe und Aufgabe. Um des Sendenden und seiner Sendung willen geht es um eine Erneuerung des Predigtamtes: Ist Predigt als Sendungsrede verstanden, wird sie verbindlich. Es zeigt sich, dass Schleiermachers Grundverständnis, Predigt wäre vornehmlich ein darstellendes Kunstwerk, vom Sendungsgedanken her nicht zu halten ist. Predigt beschenkt und - führt! Die Gemeinde lebt dabei nicht vom Imperativ der Sendung, sondern vom Indikativ des gebenden Gottes. Zugleich ist sie zum sendungsorientierten Zusammenspiel aller Glieder, Gaben und Dienste gerufen, was sie lebendig erhält. Damit schließt sich der Kreis, der in der Abrahamsverheißung „in dir sollen gesegnet werden alle Völker“ (Gen 12) seinen heilsgeschichtlichen Anfang nahm. So führen die Predigt und alle sonstige Verkündigung zur Sammlung der vollendeten Gemeinde. 1 1. Wahrnehmung Predigt zwischen Anspruch und Wirklichkeit 1. 1. Der Anspruch 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt „Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die alle rettet, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen“ (Röm 1,16). So artikuliert Paulus die Kernbotschaft der Neuen Schöpfung. DÀnamiv ist das Zeichen Gottes, die Rettung des Menschen göttlicher Kraftakt. Diesen führt Gott aus - durch die „Unsinnigkeit“ der Predigt vom Kreuz: Das Wort vom Kreuz „ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft“ (1. Kor 1,18). Das ist die Ambivalenz des Evangeliums, den einen ist es eine mwr°a, derer sich sogar welche, die ihm glauben, schämen und es darum verschweigen, den anderen ist es eine Gotteskraft, die Menschen rettet, die darum bezeugt und verkündigt werden muss. Schlatter (1956:89) betont, dass im Wort vom Kreuz die Gedanken der Menschen an ihr Ende kommen. Diese Botschaft ist nicht Anbietung von Weisheit, „nicht Ausrüstung des Menschen zum eigenem Denken, Reden und Handeln, sondern sie bereitet allen menschlichen Gedanken das Ende.“ Die rettende Kraft der Botschaft offenbart sich den Glaubenden, ist doch die Offenbarung nicht formale Mitteilung von neuem Wissen über Gott, sondern „Aktion der Rettung, zwar für die Welt bestimmt (2Kor 5,19), aber ausschließlich dem Glauben gewährt“ (Conzelmann 1969:61). Das Evangelium wird von den Geretteten nicht zuerst als Weisheit erfahren, sondern als Kraft. Was die Predigt will, bringt Paulus auf den Punkt: „Weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben“ (1. Kor 1,21). Se l i g m a c h e n , r e t t e n (sòsai)! Das ist es, was der Ewige mit der Predigt will. Und das di tÒv mwr°av tou kjrÀgmatov. „Mit der Predigt ist sofort der Inhalt, das Kreuz, mitgedacht. Die Predigt gilt nicht nur als töricht; sie ist töricht – durch Gottes Beschluss“ (Conzelmann 1969:61). Weil durch sie ewige Rettung geschieht, hat die Kreuzespredigt ihren Platz neben den großen Gottestaten, ist Heilsereignis inmitten der vergehenden Welt, ein Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt. 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt 2 Die Rettung, um die es dabei geht, übersteigt alle Rettungen aus Nöten, die vor dem Grabe liegen. Das Evangelium ist Erlösung aus ewiger Verlorenheit. „Für Pls und seine Traditionsquellen meint swtjr°a nach [Röm] 13,11; 5,9; 1.K 3,15; 5,5; Phil 1,19 konstitutiv Rettung im Endgericht“ (Käsemann 1974:19). Gleichwohl ist die mit der Rettung verbundene Erlösung bereits „gegenwärtige Wirklichkeit mitten in der Welt“ (ebd.). Das Schönste ist dem natürlichen Menschen das Schwerste: Wir werden „ohne Verdienst gerecht ( dwren) aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Römer 3,24). „Pls kommt es auf die ‚geschenkweise’ … Übermittlung der Gerechtigkeit an“ (Michel 19664:106). Wenn Paulus hinzufügt, dass dies durch Erlösung geschehen ist, so liegt darin „eine Erinnerung an den knechtischen Zustand, in dem sich der Mensch befindet und der es ihm unmöglich macht, sich selbst den Weg zur Gottesgerechtigkeit zu bahnen“ (Nygren 1954: 117). Glaube an Christus und damit Ewiges Leben ist Geschenk. Das will empfangen werden. „Glaube ist grundlegend, wie aktiv er sich im Gehorsam äußert, menschliche Rezeptivität“ (Käsemann 1974:87). Bei den Beschenkten bricht sich Freude Bahn. „Freude“ ist eines der am meisten gebrauchten Hauptworte der Heiligen Schrift! Im Evangelium von Jesus Christus haben wir es mit der Glückseligkeit zu tun, die jeder Mensch bewusst oder unbewusst ersehnt. „Denn es ist alles durch ihn (Christus) und zu ihm geschaffen“ (Kol 1,16). Der Glaube an Christus ist keine Frömmigkeit, die Menschen in ihrem Inneren verschließen als zu behütendes Geheimnis zwischen sich und ihrem Gott. Im Gegenteil, durch den rettenden Glauben kommt Großes in Fluss. „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Joh 7,38). Wo vorher dürres Land war, entspringen Quellen neuen Glaubens, aus denen wiederum neuer Segen fließt, erneut Glauben bewirkend und so fort – nach Mt 24,14 bis zur Vollendung der Welt. Von Anfang an konnten die Beschenkten nicht anders, sie mussten von ihrem Glück erzählen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Botschaft des Evangeliums, die Leute kamen herzu, wollten ihrerseits vom „Brot des Lebens“ essen (Joh 6,35) und vom „Kelch des Heils“ trinken (Ps 116,13), schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist! (Ps 34,9). Dass der jungen Christenheit die 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt 3 zeitgeschichtlichen Umstände für die Ausbreitung der frohen Botschaft zur Hilfe kamen, ist bekannt: „In der Apostelgeschichte … entdecken wir fast auf jeder Seite, welchen Beitrag Griechenland, Rom und das Judentum dazu leisteten“ (Green 1970:10). Die Heilsgeschichte ist im Weitersagen des Evangeliums durch alle Zeitalter hindurch weitergegangen: „Mission und Bekehrung, das ständige Weitergeben des Lebens des ersten Christen an neue Menschen. Dieser Vorgang macht eigentlich das Wunder des Christentums aus: es ist Reproduktion ohne Erblichkeit“ (Rosenstock-Huessy 1985:141). So muss es auch unter uns weitergehen. Vielen in unseren Städten und Dörfern ist das rettende Evangelium nicht bekannt. Di Glückseligkeit des Evangeliums wird der Selbstgerechte nicht erleben und der Satte wird nicht nach ihr verlangen. Dem „geistlich Armen“ (Mt 5,3), dem der Geist offenbart hat, dass er vor Gott nichts zu seiner Seligkeit aufweisen kann, wird sie im Glauben geschenkt. Wen hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, wird sie zuteil (Mt 5,6). So war es Luther ergangen. Sein Glaube, auch seine Theologie, beides war von Jesus Christus als dem R e t t e r von Sünde, Tod und Teufel beherrscht. Hier war nicht theologische Theorie aus wissenschaftlichem Interesse. Das kam, weil wichtig genug, dazu. Luther las die Schrift vielmehr als ein durch Anfechtungen Geschüttelter. Wingren (1959:58-59) sagt mit Recht: „Luther gleicht einem Manne, der ein Todesurteil erwartet hat und der dann statt dessen hört, wie der Freispruch vorgelesen wird, er ist ganz eingerichtet auf die Botschaft, die ihm kundgemacht wird und die für ihn selbst die Entscheidung über Leben und Tod bringt.“ Das Evangelium ist den Menschen zu ihrer ewigen Rettung zu verkündigen! Ist die törichte Predigt vom Kreuz Ereignis, das den Menschen den Himmel bringt, so besteht die Not darin, dass es heute nur wenige von der Freude und dem Ernst der ewigen Rettung bestimmte Predigten gibt (s. 1.3.2.), also immer weniger Menschen, die solche Predigten erleben.1 Das Todesurteil, von dem Luther umgetrieben war, fürchten die Menschen insgeheim noch immer, besteht diese 1 Zur Begriffbestimmung: Seitz versteht unter „predigen“ die an einen biblichen Text gebundene Rede im Gottesdienst. „Verkündigen“ ist dem gegenüber weiter gefasst. „Es umschließt alle Formen und Sageweisen des christlichen Redens von Christus und Gott, und ist der Oberbegriff … Man muss da nicht immer streng unterscheiden“ (Seitz 2003:11). Dieser Begriffsbestimmung schließe ich mich an. 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt 4 Furcht ja unabhängig vom Zeitalter, in dem die Menschen leben. Luthers Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“, wird heute so direkt und mit eschatologischer Blickrichtung zwar kaum noch gestellt, latent aber ist sie vorhanden, bricht indirekt wieder auf, z. B. wenn uns Katastrophen ereilen: „Wie kann Gott das zulassen?“, wird dann gefragt oder „Wo war Gott?“ Tod und ewiges Gericht sind in der Spaßgesellschaft Tabuthemen. Der Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit und der eigenen Schuld vermag jedoch niemand auf Dauer auszuweichen. Es ist zu fragen, ob neben der „unbedingten Suche nach Sinn“ (Längle 1985:82-90) und der kreatürlichen Todesangst, unbewusst Angst vor dem ewigen Richter und seinem Urteil in uns wirkt. Forensische Psychologie ist ein Bereich der praktische Psychologie (Remplein 1967:22). Die Seele des Menschen selbst hat eine forensische Struktur, weiß sich unbewusst vor ein Forum gestellt. Frankl (1948:71-88) spricht vom „unbewussten Gott“, von der „Transzendenz des Gewissens“. Unsere Zeit ist von besonderen Krisensignalen geschüttelt (Jörns 1999:2). Friedell (1927-1931:96-97) datiert den Beginn der Neuzeit mit dem Ausbruch der schwarzen Pest im Jahre 1348, durch die 25 Millionen Menschen dahingerafft wurden. Dazu kommen die Kriege unseres Kulturraums, die im letzten Jahrhundert die Toten der Pest weit übertrafen. Solche Erfahrungen wirken in der Tiefe der Völker nach. Das Leben, lange als Weg zur Ewigkeit empfunden und geglaubt, wird heute als „letzte Gelegenheit“ gesehen (Gronemeyer 1996). „Wenn das Leben die einzige Gelegenheit ist, dann steigert sich die Verlustangst ins Unerträgliche“ (ebd.:24). Weil ihr der ganz andere ntl Zeitbegriff unbekannt ist, sie nichts vom Tag weiß, der nahe herbeigekommen ist (Röm 11-14; s. Schabert 1962:13-14), klammert sich die Wohlstandsgesellschaft an das Vergängliche unter Verdrängung der eigenen Vergänglichkeit. Sie versucht, sich abzulenken, definiert sich als Risikogesellschaft, Wissensgesellschaft, Spaßkultur (Höhler 2004:13). Diese Selbstdiagnosen haben eines gemeinsam: „Der Sinn wird knapp. Niemand nennt uns eine ‚sinnerfüllte Gesellschaft’ … Überall, wo Freude nicht gelingt, gehört die Bühne ihrem frivolen Bruder, dem Spaß“ (ebd.). Je schlechter die Aussichten über den Tod hinaus empfunden werden, desto angestrengter der Glaube ans Diesseits. Das steht nicht im Widerspruch zur aufgekommenen neuen Religiosität, 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt 5 da diese sich auf das irdische Wohlergehen richtet und nach praktischem Nutzen fragt. Nach Zulehner (2004: 215) steht Spiritualität heute unter dem Anspruch, Erlebnisse zu ermöglichen. „Die Erlebnisorientierung jedenfalls forciert eine massive Entdogmatisierung in allen Lebensbelangen. Inhalte werden sekundär oder dienen dem moralischen Aufputz des Erlebnisses. Das subjektive Erleben wird zum Maßstab. Es ist dann nicht mehr so wichtig, ob etwas wahr ist, sondern ob es nützt … Die Verweigerung, sich mit Spiritualität auch vernünftig auseinander zu setzen, ist die gefährliche Folge. Man sucht das ‚Event’, den spirituellen Kick, um den grauen Alltag zu unterbrechen – Suche wird zur Sucht, denn die Erlebnisse nützen sich schnell ab und verstärken das Vagabundieren auf der Suche nach Noch-nicht-Erlebtem.“ Gabriel betont an gleicher Stelle (2004:96) „Denn die boomenden spirituellen Strömungen, Gruppen und Angebote sind nicht nur post-säkular, sie sind ebenso post-christlich.“ An diese Gesellschaft der Verlorenen, denen nach 2. Kor 4,3 das Evangelium verdeckt ist, ergeht die frohe Botschaft: R e t t u n g f ü r a l l e , d i e a n d a s E v a n g e l i u m v o n J e s u s C h r i s t u s g l a u b e n ! Den verborgen nach Ewigkeit Dürstenden gilt das Wort des Erhöhten: „Wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst - dwren“ (Offb 22,17; Röm 3,24). In der Welt kursiert das Evangelium. „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Die Reformatoren haben darauf mit klaren Worten reagiert: „Um diesen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den Glauben, wo und wann er will, in denen, die das Evangelium hören, wirkt, das da lehrt, dass wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, wenn wir das glauben …“ (Confessio Augustana, Artikel 5). Wird durch die Predigt Glauben erlangt, dann ist sie heilsnotwendig. Erscheint die Predigt vom Kreuz vielen als „Torheit“, muss sie ihnen erst recht gepredigt werden, gilt doch nicht, was die Leute denken, sondern was Gott sagt. Es gibt keinen anderen Weg: Der Glaube kommt „aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi“ (Röm 10,17). Predigt ist Gottes kostbare Gabe an die 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt 6 Gemeinde und zugleich ihre hohe Aufgabe bestimmt und eingesetzt zur Errettung der Welt. Die Gemeinde, mit der nach 2. Kor 5,17 die neue Schöpfung schon begonnen hat, glaubt auf die Vollendung hin, daraufhin betet sie, treibt sie Theologie, predigt sie. Bohren (1975:14) sieht in der Praktischen Theologie eine Agronomie aufs Paradies hin. Sie „bestellt schon ‚jenseits von Eden’ Neuland.“ Predigt ist als Heilsgeschehen ein eschatologisches Ereignis . Am Kommen der Weltvollendung ist die Gemeinde als wanderndes Gottesvolk predigend beteiligt: „Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird die Vollendung kommen“ (Mt 24,14). Ich reflektiere „Ereignis“ an dieser Stelle nicht homiletisch, sondern theologisch. Damit lehne ich mich in gewisser Beziehung an die aus den USA kommende „New Homiletic“ an (s. hierzu Nicol 20052). Nicol betont in seiner Programmschrift: „Die Predigt redet nicht über Ereignisse des Glaubens, sondern sie ist selbst, potentiell jedenfalls, ein Ereignis, in dem Gott Menschen in seine Wirklichkeit hineinzieht“ (:47). „Wenn ein Vorgang zum ‚Ereignis’ wird, dann ist Gott am Werk. Im Ereignis des Verstehens ist der Heilige Geist am Werk. Ich kann das Ereignis nicht machen“ (:50). „In jedem Fall ist Lebens- Erfahrung mit Gott Ziel einer Predigt als Ereignis“ (:51). „Viele Predigten behandeln einen Anwesenden wie einen Abwesenden. So gesehen erscheint es absurd, in der Gegenwart des Auferstandenen über ihn zu reden, als sei er eine historische Figur oder ein Text. Christus ist keines von beiden, sondern ein Ereignis. Predigt ist insofern Ereignis, als die Gegenwart des auferstandenen Herrn nur als Ereignis wahrgenommen werden kann“ (:52). Nicol merkt an, „dass die Grenze zwischen dem Geschehnischarakter mündlicher Rede und der dezidiert theologischen Bedeutung von ‚Ereignis’ in diesem Zusammenhang fließend ist“ (:52). Seine Aussagen über die „New Homiletic“ bewegen sich deshalb in einer Spannung: „Predigt als Ereignis lässt sich nicht machen“ (:116), so heißt es zunächst. Dann aber überschreibt er ein Kapitel mit „Performance: ‚Predigt als Ereignis’ gestalten“ (:114). Gemeinsam mit Deeg nennt er das Folgebuch „Im Wechselschritt zur Kanzel: Praxisbuch Dramaturgische Homiletik“ (2005). Demnach lässt sich praktisch doch etwas machen. 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt 7 Wir halten fest: Predigt als Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt, ist unverfügbar. Das hier benannte Ereignis beruht allein auf der Verheißung Jesu: „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk 10,16a). Dass dann auch im Sinne der New Homiletic Predigt als Ereignis zu gestalten ist, muss kein Widerspruch sein, wenn sich dahinter nicht der Wahn verbirgt, dem Worte Gottes damit aufhelfen zu können oder zu müssen. Alles zu tun, was der Rezeption der Predigt dient, ist eine Frage der christlichen Nächstenliebe. Da sind die Hilfen der Dramaturgischen Homiletik hoch willkommen. Auf das Wirken des Geistes bleiben wir angewiesen. W a s in der Welt kann einen solchen Rang beanspruchen wie die Predigt? Sie greift in die Weltgeschichte ein. Um die Ehre Gottes geht es, um Himmel und Hölle, um die Rettung der Menschen! Diese Rettung ist mehr als weltbewegend: Es wird „Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut“ (Lk 15,7). Das heißt: Wo gepredigt wird, ist die Ewigkeit in das Geschehen mit einbezogen. Wenn auf Erden Evangelium verkündigt wird, ist die Aufmerksamkeit der himmlischen Heerscharen - so möchte man sagen - zum Zerreißen gespannt, wirkt es doch ewige Entscheidungen. Auch rückt die Vollendung näher. Gibt es Besseres, Ernsteres als die Predigt? Hörer guter Predigt zu sein, bringt Freude und wird - zur Gefahr. Das Hören des Wortes Gottes führt in die kr°siv, denn sie führt zur alles verändernden criv, ist Gericht und Gnade zugleich, Gesetz und Evangelium, wirkt seligmachenden Glauben und ruft zum Gehorsam. Wer hört, aber das Gehörte nicht tut, begeht nach Jak 1,22 Selbstbetrug. Der Dreieinige ist beim Predigen nicht nur gegenwärtig. Er mischt sich ein, wirkt, dass Herzen sich öffnen. Paulus hatte gepredigt, aber der H e r r tat der Lydia das Herz auf (Apg 16,14). Der Herr tat, was sein Bote nicht vermochte. Er wollte es freilich nicht ohne den Boten tun: Das ist das vom Dreieinigen ausgehende göttlich-menschliches Zusammenspiel „Theonome Reziprozität“ nennen es van Ruler und Bohren (Bohren 1971:74-77). Predigtlehrer haben versucht, die Predigt und das Predigen zu definieren. Wer aber kann Gottes Wunder und Geheimnis erklären? Einige, die es versucht haben, konnten nicht an sich halten. Ihre Definition schlug um in Doxologie. Das 1.1.1. Ereignis, durch das der Himmel zu den Menschen kommt 8 „homiletische Credo“ von Barth kommentiert Bohren (1979:38) mit den Worten: „Der liturgische Stil, der doxologische Grundton signalisieren den konfessorischen Charakter der Aussage …“; Barth betone in feierlicher Hochsprache den Charakt- - 1.1.2. Predicatio verbi Dei est verbum Dei” 9 ter der Predigt als Wort Gottes“. Seinen eigenen Verzicht, das Predigen zu definieren, begründet Bohren (1971:52) so: „Die Faktizität des Predigtgeschehens lässt es geraten erscheinen, auf eine Definition zu verzichten. Liebe kann man zur Not definieren, dem Lieben ist es angemessener, besungen zu werden. In Analogie dazu versuchten wir unsere Homiletik nicht mit einer Begriffsbestimmung einzuleiten, sondern mit einem kleinen Gesang auf das Predigen! Das ‚Unwissenschaftliche’ ist hier sachlicher, als eine Wissenschaftlichkeit, die sich in Abstraktion verliert.“ Das, worüber sich beim Predigtgeschehen im Sinne einer Definition etwas sagen lässt, ist das von der Gemeinde zu verantwortende F r a g m e n t als Anteil des Menschen am Predigtgeschehen. Durch das Einwirken des Dreieinigen wird der Mensch, der sich um die Predigt müht, gewürdigt, bekommt er doch Teil am Wunder des Redens Gottes und gehört damit in das ewige Geheimnis. Das Fragment bekommt seinen Wert dadurch, dass es eingebettet ist in das Handeln des Geistes. 1.1.2. „Predicatio verbi Dei est verbum Dei“ Dem Fragmentcharakter unserer Erkenntnis entspricht, dass auch unser Predigen Stückwerk ist (1. Kor 13,9). Wie kann da Predigt zum Ereignis werden, das den Himmel bringt? Die Reformatoren antworten: „ P r e d i c a t i o v e r b i D e i e s t v e r b u m D e i . “ Der Satz findet sich in der Confessio Helvetica posterior von 1566 und stammt von Heinrich Bullinger (1504-1575) (Stickelberger 2001: 105). Hier ist ausgesprochen, dass sich der ewige Gott mit der menschlichen Predigt verbindet, sich in unser Reden einmischt, selbst das Wort ergreift. Damit wird Predigt zum W u n d e r , zum eschatologischen E r e i g n i s . Die Kopula „est“ verbindet nach Bullinger die Predigt des Wortes mit dem Worte Gottes selbst. Himmel und Erde werden durch sie zusammengebracht und zusammengehalten. Die Formel steht auf dem Grund einer überaus schwerwiegenden Verheißung: „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk 10,16a). Die Predigt, durch die die Menschen Christus hören, lässt etwas ahnen von der „Tiefe des Reichtums“. Die Predigt löst darum Staunen aus, führt in die Freude, ins Gotteslob (Apg 2,47; 4,21). Alle Doxologien, die Lobsprüche, in denen das Wort dçxa oder ein ähnliches verwendet wird (Röm 11,36; Phil 4,20; 1.1.2. Predicatio verbi Dei est verbum Dei” 10 1. Tim 1,17; 1, Petr 5,11; 2. Petr 3,18b u. ö.), die Eulogien, nach dem griechischen eÇlogjtèv, (Röm 1,25; 9,5; 2. Kor 1,3; Eph 1,3; 1. Petr 1,3), vor allem die Gotteshymnen (Röm 11,33-36; Eph 1,3-14; 1. Petr 1,3-5; Kol 1,12-14) oder die Christushymnen (Phil 2,6-11; 1. Tim 3,16; Hebr 1,3 1. Petr 2,21-25), sind Niederschlag des gepredigten Wortes und lassen die überbordende Freude spüren: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn ‚wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?’ (Jesaja 40,13) Oder ‚wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß Gott es ihm vergelten müsste?’ (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen“ (Röm 11,33-36). Solche Lobsprüche entsprechen jüdischer Gebetsweise (Deichgräber 1967:24). Psalm 119 hat 176 Verse, d. h. Jubelstrophen über Gottes Wort und seine Weisungen: „Deine Mahnungen sind mein ewiges Erbe; denn sie sind meines Herzens Wonne“ (:111). Mitten in der Klage über sein Amt erinnert sich der Prophet des Wortes seines Gottes: „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich's empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost; denn ich bin ja nach deinem Namen genannt, Herr, Gott Zebaoth“ (Jer 15,16). Gottes Wort hören löst auch Schrecken aus1 (Ri 13,6; Dan 8,7; Lk 1,29; Apg 10,4; 24,25), aber vornehmlich Freude. Das schwingt sich hindurch vom alten in den neuen Bund. Jesus nennt seinen Jüngern das Ziel seiner Worte: „Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde“ (Joh 15,11). Glanz und Würde liegen auf der Predigt des Wortes. „ P r e d i c a t i o v e r b i D e i e s t v e r b u m D e i “ ! Bullingers Formel erhielt programmatische Bedeutung für die dialektische Theologie. Diese ist u. a. auf dem Hintergrund der Predigtnot der damaligen Pfarrer zu verstehen. Dafür steht die Äußerung Barths (1925:158): „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben. Das ist unsre Bedrängnis. Alles Andre ist daneben ein Kinderspiel.“ 1 So ist z. B. „Schrecken Isaaks“ eine alte Bezeichnung für den von Isaak verehrten Gott (Gen 31,42; 54). 1.1.2. Predicatio verbi Dei est verbum Dei” 11 In der Homiletik der sechziger Jahre hat u. a. Trillhaas (1963:158) dagegen Einspruch erhoben. Er spricht von einer „Übersteigerung des Predigtbegriffs“. Rössler (1966:21) hält es für eine kaum erträgliche Belastung, wenn „in jeder Predigt, Sonntag für Sonntag ... der Prediger das Höchste und Letzte, die Offenbarung, das Heilsgeschehen präsentieren“ soll. Immer stehe alles auf dem Spiel. Grundsätzlicher noch erhebt Iwand Einspruch gegen eine Identifizierung von Gottes Wort und menschlicher Rede: „Seit wann lässt denn Gott durch den Mund des Predigers’ Seine - also Gottes - Wahrheit verkündigen? … Von dieser Art Interpretation der evangelischen Auffassung des Predigtamtes kann die Öffentlichkeit nicht scharf und dringend genug gewarnt werden“ (zitiert in Uhsadel 1963:276-277). Dem wiederum stehen Sätze von Diem gegenüber: „Nun aber hat Gott dieses Wort in Menschenmund (Hervorhebung im Original) gegeben. Das gilt nicht nur für den Propheten, sondern auch der Prediger des Evangeliums heute hat (!) ebenso zu glauben, dass Gott seine Worte in seinen Mund geben will, indem er ihn zum Predigtamt beauftragt hat“ (zitiert in Uhsadel:1963:277). Uhsadel beklagt, wie groß die Konfusion in dieser Frage ist. Die Gegensätzlichkeit der beiden Äußerungen stamme immerhin von zwei Theologen, die theologisch auf demselben Boden stünden. „Man kann sich nicht wundern, wenn junge Theologengenerationen sich in große Ratlosigkeit getrieben sehen“ (ebd.). Im Vortrag „Menschenwort und Gotteswort in der christlichen Predigt“ von 1924, geht Barth auf Bullingers Formel ein.1 Er erinnert an das Wagnis der Reformation, das Verhältnis von Sakrament und Predigt umzukehren. „Genau auf dem Höhepunkt des christlichen Gottesdienstes, auf dem in der katholischen Kirche die eucharistische Wandlung vollzogen wird, wird im Protestantismus gepredigt“ (zitiert in Stickelberger 2001:110). Sind im Protestantismus die Schwerpunkte vertauscht, die Predigt rangiert hier vor dem Altarsakrament, so unterstreicht Barth dennoch gegenüber Bullinger die Distanz zwischen Predigt und Bibel. Er sieht die Gefahr, dass wir über Gottes Wort meinen verfügen zu können, „dass wir die Offenbarung an uns reißen“ und das von den Aposteln vernommene „Deus dixit“ wiederholen wollen. Barth (1925:111) stellt heraus, 1 Siehe dazu Stickelberger (2001:109-114). 1.1.2. Predicatio verbi Dei est verbum Dei” 12 dass es ein Wort Gottes „an sich“ nicht gebe. Er hat sich an den Menschen gebunden und kommt in der Verborgenheit menschlicher Worte zu uns. An anderer Stelle sprich Barth vom Worte Gottes in seiner dreifachen Gestalt als O f f e n b a r u n g , als B i b e l und als V e r k ü n d i g u n g . Zugleich betont er die Einheit des Wortes Gottes (KD I, 1:124): „Denn sofern die Verkündigung wirklich auf der Erinnerung an die in der Bibel bezeugte Offenbarung beruht und also gehorsame Wiederholung des biblischen Zeugnisses ist, ist sie nicht weniger Wort Gottes als die Bibel. Und sofern die Bibel wirklich die Offenbarung bezeugt, ist sie nicht weniger Wort Gottes als die Offenbarung selber.“ „Gottes Wort“ heißt: Gott redet. Dieses Reden Gottes ist Tat, ist Ereignis und dieses ist Geheimnis. „Wir haben das Wort Gottes nicht anders als im Geheimnis seiner Welthaftigkeit. Das heißt aber: Wir haben es immer in einer Gestalt, die als solche nicht das Wort Gottes ist und als solche auch nicht verrät, dass sie die Gestalt gerade des Wortes Gottes ist“ (Barth KD I, 1:171-172). Der Verborgenheit des Wortes Gottes in der Gestalt seiner Welthaftigkeit steht die oben erwähnte Zusage des Herrn der Kirche gegenüber, die der Predigt Ereignischarakter verleiht: „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk 10,16). Wir fragen erneut: Wie kann das sein? Der Gemeinde ist der Geist gegeben. Er macht das Wort lebendig. Wenn wir die Predigt - Bohren folgend - ein Wunder nennen, dann, weil sie vom Geist her, im Geist und auf den Geist hin geschieht. „Die Predigt wird durch den Geist als Wunder qualifiziert“ (Bohren 1971:74). Bohren (:66) begründet die Homiletik von der Pneumatologie her: „Ich brauche zum Predigen vor allem den Heiligen Geist.“. Dadurch gewinnt die Predigt zum einen universale Weite und endzeitliches Gewicht, handelt es sich doch um den Geist, der ausgegossen ist ü b e r a l l e s F l e i s c h . Durch den Geist hat die Predigt, wie wir sahen, Anteil am Kommen der Vollendung der Welt (Mt 24,14). Der pneumatologische Ansatz macht es zum anderen möglich, auch der menschlichen Seite beim Predigtgeschehen gerecht zu werden. Prediger und die hörende Gemeinde gelangen ebenfalls zu Ehren. Wie wir sahen, verweist Bohren 1.1.2. Predicatio verbi Dei est verbum Dei” 13 auf van Rulers Begriff der t h e o n o m e n R e z i p r o z i t ä t , den dieser zum Schlüsselbegriff seiner Homiletik macht. Das Predigtgeschehen vollzieht sich in einer von Gott ausgehenden Wechselbeziehung zwischen dem Geist und denen, die die Predigt machen bzw. hören. Der Begriff umschreibt den Vorgang des Wunders, „indem Gott die Ehre gegeben und des Menschen Tun gewürdigt wird“ (Bohren 1971:76). Hier löst sich auch die Spannung von Barths Von-Gott-Reden- Sollen und Nicht-Können. Darin ereignet sich das Wunder: In dem der Mensch predigt, kommt der Dreieinige zu Wort, ubi et quando visum est deo (CA 5). Bohren (1971:128-131) stellt die Frage, i n w i e f e r n denn die Predigt des Wortes Gottes als Gottes Wort zu behaupten ist und nennt zwei Lösungsversuche, die er sogleich verwirft: Einmal könne man den Geist als dem Worte immanent denken. Daran liegt das Wahrheitsmoment, dass es nicht von unserem Glauben oder Unglauben abhängt, ob Gottes Wort zum Worte Gottes wird. Die Folgen dieser Lösung ist jedoch insofern katastrophal, dass faule Prediger sicher würden, das Predigtgeschehen in die Nähe der Transsubstantiation rücke, die Menschlichkeit der Predigt verdrängt wäre. Die zweite Lösung beschreibt das Gegenteil: Das Wirken des Geistes wird vom Menschen bewerkstelligt. Die Kybernetik bietet sich als Kunst an, „die Wirksamkeit der Aktion zu gewährleisten“. Hier wird die menschliche Gestalt des Wortes Gottes beachtet, die zweite Seite der theonomen Reziprozität. Diese Sicht ließe zum einen die, die predigen, sich kräftig ins Zeug legen. Zum anderen aber drohten „neue korinthische Zustände, in denen der Zungenredner durch den Informationstechniker ausgewechselt wird“ (:129). Bohren kommt zu dem Schluss: „Die Einheit von Wort und Geist ist weder vorgegeben noch machbar, wohl aber verheißen und in Dienst nehmend“ (:131). In Jesu V e r s p r e c h e n hat die Predigt ihr Geheimnis und ihr Wunder. „Das Predigen wäre ein wahnwitziges Geschäft, wenn es nicht auf ein Versprechen hin geschehen würde“ (ebd.). Dass Gottes Geist das gepredigte Wort zum Worte Gottes macht, ist nicht in die Hand des Menschen gelegt. Der Prediger ist darin „ohnmächtig“. Er wird darum zum Bittsteller (ebd.). 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 14 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen „Was meint das Neue Testament, wenn es vom ‚Wort Gottes’ ... redet?“ So fragt Bultmann (1966:268). Er stellt das biblische Wortverständnis dem griechischen gegenüber: Im griechischen Sprachgebrauch geht es um den „Sinngehalt des Gesprochenen“. Die Hörer werden hier im Eigentlichen nicht angeredet, es wird lediglich expliziert, es wird erklärt. „Ja, vom Anredecharakter soll geradezu abgesehen werden“ (:275). Bohren geißelt die Übernahme des griechischen Verständnisses in die Predigtpraxis der Kirche: "Wenn die Predigt als Gottes Wort Ereignis ist, dann muss sich also unsere Predigt vor dem hellenistisch-griechischen Wortbegriff hüten wie vor der Pest. Sie darf sich nicht mit allgemeinen Wahrheiten befassen. Wo Erwägungen angestellt werden, wo die Predigt sich in die Höhen eines weltanschaulich-philosophischen Vortrags aufschwingt, da schreitet der Pestengel durch die Kirchen und tötet die Gemeinde. Das ist der Greuel der Verwüstung im Heiligtum der Predigt, dass griechisches Denken die Kanzel weithin beherrscht - wenn überhaupt gedacht wird“ (Bohren 1969:48). Bultmann, der darum zwar weiß, macht sein Wissen für die eigene Predigt nicht immer fruchtbar. Zu tief sitzt das griechische Denken. So predigt er über Mt 6,25- 33: „Sorgt nicht!“ Hier liegt ein Befehl vor! Im Munde des Theologen wird daraus - eine Abhandlung: „Ich habe diesen Text gewählt, weil unsere Zeit voll Sorge ist“, zu dem sei der Text schwierig zu verstehen. Dann expliziert der Prediger, führt zu einem tröstlichen Verstehen des Textes. Bohren (1971:136) kommentiert: „Der Sinn des Ausspruchs wird entfaltet, statt dass der Erlöser von der Sorge verkündigt wird, der im Ereignis seiner Gegenwart die Sorge überflüssig macht.“ Im AT und NT ist Gottes Wort Tatwort, schöpferische Kraft. „Denn wenn er spricht, so geschieht's; wenn er gebietet, so steht's da“ (Ps 33,9). Diese Überzeugung ist aus dem Schöpfungsbericht gewonnen (Gen 1,3-27). Ein Hauch seines Mundes genügt, um das Heer der Gestirne ins Dasein zu rufen (Ps 33,6). Nur eines Befehlswortes bedurfte es bei Gott und die Himmel waren da. Über sie heißt es: „Die sollen loben den Namen des Herrn; denn er gebot, da wurden sie geschaffen“ (Ps 148,4-5). Das greift Paulus auf und enthüllt damit die Radikalität seiner Rechtfertigungslehre: Gott „ruft das, was nicht ist, dass es sei“ (Röm 4,17). 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 15 Schöpfung, Auferweckung und Rechtfertigung bekunden faktisch dasselbe göttliche Handeln (Käsemann 1974:115). Es ist ein Handeln durch das Wort. Wie nun der Ewige durch sein Wort Wirklichkeiten wirkt und verändert, so vermögen es auch die nach seinem Bilde Geschaffenen. Auch menschliche Worte, richten etwas aus oder richten etwas an. Sprachwissenschaftler sprechen von Sprachh a n d l u n g e n . Worte bringen zum Lachen, Weinen, Staunen und Erschrecken. Sie erheitern und machen depressiv, verunsichern und machen gewiss. Durch Worte werden Menschen frei oder gefangengenommen. Verwundetes Leben kann durch Worte genesen, ebenso kann Reden verletzen. Worte machen lebendig und töten. Sie trösten und machen traurig. Einmal ist Sprache voller Schönheit. Dann wieder ist sie leer, schmerzhaft oberflächlich, vulgär. - Sprache erinnert: Versunkenes taucht auf aus dem Dunkel des Vergessens. Andererseits ruft sie das Morgen ins Heute, das Kommende ins Jetzt. Mit der Sprache ist dem Menschen Macht gegeben. Wir sind in Verantwortung gestellt. Müller-Schwefe (1961:62) spricht vom Geheimnis der Sprache und erinnert an Humboldts tiefe Deutung: „Sie [sc. die Sprache] besitzt eine sich uns sichtbar offenbarende, wenn auch in ihrem Wesen unerklärliche Selbsttätigkeit und ist, von dieser Seite betrachtet, kein Erzeugnis der Tätigkeit, sondern eine unwillkürliche Emanation des Geistes.“ Sprache ist Instrument der M i t t e i l u n g . Auf die Predigt bezogen heißt das: „Die in der Predigt gesprochenen Worte sind gleichsam die Füße, auf denen die Wahrheit kommt und in der Gemeinde herumwandert“ (Wingren, zitiert in Müller-Schwefe 1961:16). Sprache dient der Kommunikation „und damit der Verständigung bzw. Überwindung von Einsamkeit und Ineffektivität zugunsten von Gemeinschaft und Effektivität … Dazu bedarf es der gegenseitigen Partizipation am individuellen Erlebnis, die im Gespräch ermöglicht wird, insofern die Gesprächspartner ‚hinter dem stehen’ ,in dem enthalten sind’, was sie sagen, insofern also Selbst und Persona (C. G. Jung), Wille und Ausdruck übereinstimmen“ (Stollberg 1972:193). Sprache ist „eine soziale Veranstaltung, die uns das Leben erleichtert und verschönt – durch Beichte und Galgenhumor, Reim und Witz, Poesie und Utopie, 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 16 Gespräch und Geschwätz“ (Schneider 200210:12). Zugleich kann Sprache sich verstellen. Sie kann täuschen und lügen. Bevor der Mensch sich mitteilen und auch die Welt und die Dinge beim Namen rufen kann, bedarf er selber des A n r u f s . Er erwacht dadurch zum Sprechen, „dass ein anderer ihn anruft und so Sprache verwirklicht. Sprechen setzt Angesprochenwerden voraus“ (Müller-Schwefe 1961:26). Wie die Schöpfung Ergebnis göttlichen Sprechens ist, so auch der Mensch. „Gott schuf den Menschen heißt nichts anderes als: er sprach zu ihm. Er sprach ihn schaffend zu ihm: Ich bin und durch mich bist du … Und so ist in sein Wesen hinein von Grund aus … das Bewusstsein von der Existenz Gottes gelegt“ (Ebner 1965 [1921]:24). Angesprochen zu werden, versetzt in die Lage, sich a u s z u d r ü c k e n . Der angerufene und anrufende Mensch „wird als Leib lebendig, indem er sich ausdrückt; auch die Welt, diese ihn übersteigende und fremde Kreatur, wagt er beim Namen zu nennen und als Ausdruck zu deuten“ (Müller-Schwefe 1961:42). Indem er sich ausdrückt, äußert er sich. Tief in ihm Liegendes wird nach außen gebracht. Was der Mensch sagt, hat Gefühlsqualität, da spricht nicht nur w a s er sagt, sondern w i e er es sagt. Körpersprache offenbart oft, was Worte verbergen. Sprache verweist auch auf die Dimension des B e g r e i f e n s : „Der Mensch ordnet die Welt im Begriff; er vermag Abstand zu nehmen vom Augenblick der Erscheinung. Berufen zur Freiheit, erhebt er sich als Geist über die Wirklichkeit und ordnet sie. Die Wirklichkeit wird fassbar durch Begreifen“ (:43). Bedarf der Mensch grundsätzlich des Anrufs, um zum Sprechen zu erwachen, so ist er im Worte Gottes der besonders Angerufene. Das ein für allemal an ihn gerichtete Wort ward Fleisch (Joh 1,14), ist der Sohn (Hebr 1,1-3), der Christus Gottes. Er ist das Wort, das Staunen, Freude, Lobpreis Anbetung auslöst bei denen, die es hören und ihm gehorchen. Nach der Hl Schrift hat die Sprache ihre Bestimmung in der Verherrlichung Gottes: „Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige“ (Ps 51,17). Gott hat Sprache geschaffen, Worte geschenkt, damit sie seine Herrlichkeit ausrufen. Und Prediger predigen, damit die Menschen Gottes Herrlichkeit sehen. So artikuliert denn auch Jakobus den Widersinn, dass ein und derselbe Mund Gott lobt und den Menschen flucht (Jak 3,8-11). 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 17 Zurück zum Reden Gottes. Jesus redet nicht nur Worte, die jeder versteht, er greift rettend und heilend ein in das Leben von Menschen. Verkündigend bringt er Himmel und Erde zusammen. Das Besondere seiner Rede besteht darin, Gott gegenwärtig zu machen. Das geht über das, was Exegeten interessiert, weit hinaus. Bei Jeremias (1956:15) lesen wir: „Jesus sprach zu Menschen von Fleisch und Blut, aus der Stunde für die Stunde ... Was wollte Jesus in dieser und jener bestimmten Stunde sagen? Wie musste sein Wort auf die Hörer wirken? Diese Fragen gilt es zu stellen, um - soweit es möglich ist - zurückzukommen zum ursprünglichen Sinn der Gleichnisse Jesu, zu Jesu ipsissima vox“, so der Exeget. In der Verkündigung aber geht es um mehr als um den ursprünglichen Sinn. Es geht um die V e r g e g e n w ä r t i g u n g des Verkündigten. „Was heißt ‚Wort Gottes?’“, fragt Ebeling ([1959] 1963:107). Es will einerseits verstanden sein als „Gegensatz zum Menschenwort“. Sodann aber sei zu unterscheiden zwischen „Wort Gottes und Wort über Gott“ (ebd.). Wort Gottes als Vergegenwärtigung, das lässt sich an der Predigtpraxis Jesu zeigen: „Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker“ (Mt 13,44). „Himmelreich“ im Munde Jesu beschreibt keine schöne Gegend, meint auch vorderhand keinen Zustand, sondern ist Umschreibung des Gottesnamens. Der Name verbürgt die Gegenwart des Genannten. „Die Welt Gottes ist kein Schlaraffenland, kein Paradiesgarten, der von pausbäckigen Engeln bevölkert wird. Der Himmel ist eine Macht. Dort steht ein Thron. Dort herrscht eine Majestät. Dort hat sich Jesus Christus, unser großer Bruder, an die Seite Gottes gesetzt“ (Josuttis 1990:84-85). „Himmelreich“ ist personhaft zu denken. Jesus gebraucht als Metapher eine profane Glücksgeschichte, nicht nur um seine Zuhörer über das Himmelreich in Kenntnis zu setzen, sondern um sie auf der Stelle damit zu beschenken. Jeder der Zuhörenden hatte sich wohl schon das große Glück gewünscht. Wer aber ahnt, dass ihm jetzt, wo er das hört, mehr als alles Glück der Welt - ewige Glückseligkeit nämlich - widerfährt? Der Prediger, der vom Schatz spricht, i s t dieser Schatz, aller Welt ewige Seligkeit! Zinsendorf sagt: „Nicht bestehet darinnen das Wesen des Christenthums, dass man fromm sey, sondern dass man 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 18 glückselig sey.“ (zitiert in Bohren 1973:37). Fromm sind religiöse Heiden auch. Glückselig zu sein aber ist ein Geschenk der Gnade: die Teilhabe an der Freude unseres Gottes. „Wem Gottes Schönheit aufgeht, erhält ein neues Bewusstsein, das der Beglückung.“ (ebd.). Während Jesus predigt, legt er seinen Hörern das Himmelreich vor die Füße, macht ihnen Gott zum Geschenk, legt ihn den Leuten predigend in den steinigen Acker ihres Lebens. Als er das Himmelreich zur Sprache bringt, ist es da, schenkt sich denen, die Ohren haben zu hören. Jesus „behandelt“ keine Themen, er stellt über Gottes Wort keine Erwägungen an. Spricht er von Vergebung, wird sie den Hörern, die der Vater ihm gibt (Joh 6,65), sogleich zuteil. Verkündigt er Gnade, erleben Männer, Frauen und Kinder zur Minute ihre Begnadigung. Spricht er von der himmlischen Freude, dann schenkt er sie. „Gott“ ist in Jesu Mund nicht Predigtobjekt. Wenn er von ihm spricht, ist er da. Das Himmelreich ist nicht Gegenstand, sondern Gegenwart. Es greift nach den Menschen, beschenkt sie mit der Güte des Ewigen, stellt sie in die Entscheidung, die Güte zu empfangen, hier und jetzt. Deshalb richtet Jesu Wort aus, wovon es spricht: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe“ (Joh 15,3). Da wurde nicht über die Kraft des reinigenden Wortes zu den Jüngern gesprochen, s i e w u r d e n K r a f t d e s W o r t e s r e i n . Menschen, die von bösen Geistern besessen waren, hörten nicht Gedanken über die Befreiung, sie wurden befreit. „Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen (Mt 12,28). „Es ist ein Wort das Macht hat; das wirksam ist“ (Bultmann 1966:279). Auch profanen Worten ist Macht gegeben. Sprache und Wirklichkeit verhalten sich insofern zueinander, dass sie eine enge Beziehung aufweisen können. Worte können etwas Beschwörendes an sich haben. Was sie benennen, vermögen sie herbeizurufen. Spricht in einer fröhlichen Gesellschaft plötzlich jemand über den Tod, legt sich auf die Anwesenden eine bedrückende Stimmung. Sie möchten das Thema wechseln, denn das Angesprochene wird unangenehm gegenwärtig. Anders ist es, wenn das gleiche Thema in einer wissenschaftlichen Diskussion zur Sprache kommt. Da ist es im Fühlen der Leute weniger präsent. Ambivalent verhält es sich mit der Nennung des Gottesnamens. Er wird unter uns z. B. als Redewendung gebraucht: „Mein Gott!“, „Ach, Gott!“, „Grüß Gott!“ 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 19 Dadurch wird er nicht als gegenwärtig empfunden. Fängt jemand an, auf einer Geburtstagsparty von Gott zu reden, wirkt das peinlich, es gehört nicht daher. In einem wissenschaftlich-theologischen Gespräch ist „Gott“ als Diskussionsgegenstand meistens ohne jede Bedeutung für das Bewusstsein seiner Gegenwart. Dem gegenüber nimmt die Predigt, was die Nennung des Gottesnamens betrifft, eine Sonderstellung ein. Verheißt Jesus seinen Jüngern: „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk 10,16), dann ist auch ihre Predigt dem Wesen nach nicht ein Reden ü b e r Gott, sondern ein Reden Gottes. Herbeizwingen, das zeigt die Erfahrung, lässt sich Gottes Reden nicht, auch nicht unter Berufung auf die Verheißung seiner Gegenwart (Mt 18,20; Mt 28,20). Es erhebt sich die Frage der Vollmacht und die Frage der Kraft. Sie wird noch zu bedenken sein (3.2.7.). Predigt kündet Worte, die L e b e n schaffen: „Redet zum Volk alle Worte des Lebens“ (Apg 5,20). „Herr, zu wem (prèv t°na) sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68; Phil 2,14-16). Es ist Wort der W a h r h e i t und des H e i l s : „In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Seligkeit - in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem heiligen Geist, der verheißen ist“ (Eph 1,13; Jak 1,18). „Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien“ (Jak 1,18). Es ist das Wort der Versöhnung, tÒv katallagÒv, (2. Kor 5,19). Ist das Wort gesprochen, sucht es Ohren, die es hören, Menschen, die es tun: „Und er sprach: Wer Ohren hat zu hören, der höre“ (Mk 4,9). „Meine Mutter und meine Brüder sind diese, die Gottes Wort hören und tun“ (Lk 8,21, Jak 1,22). Das Wort Gottes steht demnach nicht jedem einfach zur Verfügung: Für neutrale Beobachter, die sich heraushalten, die meinen, es aus eigenem Vermögen beurteilen zu können, wird es nicht als Gottes Wort verstanden: „Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden“ (1. Kor 2,14). „Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden, den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht des 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 20 Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes“ (2. Kor 4,3-4). Wie kommt es da zum Hören? Bultmann (1966: 282) meint, das pneumatikòv ‡nakr°nein sei nur möglich, wo der Mensch über s e i n e Weisheit das Urteil mwr°a fällen lässt: „Gottes Wort zu hören, ist also nur möglich, wo der Mensch auf alles kauc‚sqai verzichtet und die mwr°a des lçgos to stauro als Gottes Wort gelten lässt.“ Wie aber soll es dem yuciko° möglich sein, auf Selbstruhm zu verzichten? Bultmann verweist darauf, dass die Predigt sich an das G e w i s s e n der Hörer wendet, was er belegt - 2. Kor 4,2; 5,11. Echte Anrede zeige dem Menschen sich selber, es komme zu einer „Situation des existentiellen Sich-Verstehens“ die dann „in der Tat ergriffen werden muss“. Bultmann geht davon aus, dass „im Augenblick der Verkündigung und des Hörens der Weg zum Leben und der Weg zum Tode offen daliegt“ (283). Das aber lässt sich generell nicht sagen, vernimmt doch der natürliche Mensch nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, „er kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich beurteilt werden“ (1.Kor 2,14). Bultmann formuliert: „dass die Predigt Glauben fordert“, ohne den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium zu markieren. Predigt, die Glauben von den ˆpistoi fordert, ist Gesetzespredigt, die führt zum Zorn, zur Verzweiflung, tötet (Gal 2,19). Das Evangelium dagegen f o r d e r t nicht, es w i r k t , es schenkt, was das Gesetz fordert - Glauben. Das worum es geht, fasst Iwand in einem kurzen Satz zusammen: „Das Gesetz sagt: Du sollst, das Evangelium: Hier ist, was Du sollst“ (1964:14). Glaube entsteht durch die Verkündigung der großen Gottestaten in vielfälti- gen Sageweisen (Apg 2,11; Röm 10,17). Er enststeht nicht dadurch, dass Menschen Forderungen erfüllen. Entscheidend ist das Zusammenwirkens von Wort und Geist in der Predigt. Wir sahen bereits: Der H e r r tat der Lydia das Herz auf „so daß sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde“ (Apg 16,14). Jede Erklärung darüber, w i e der Herr Herzen öffnet, bleibt uns verwehrt. Wir wissen nur, dass es in und durch und nicht ohne das Wort geschieht. 1.1.3. Vergegenwärtigung des Ewigen 21 Die Meinung Bultmanns(:284), „dass jeder Hörer verstehen kann, was Ver- gebung ist, und dass er die Vergebung als das Leben verstehen kann“, übersieht die Tiefe der Verlornheit der ˆpistoi. Auf 1. Kor 14,24-25 zu verweisen, vermag 1.1.4. Ecclesia est creatura verbi 22 nicht zu überzeugen, weil Paulus hier lediglich den Unterschied zwischen Glossolalie und prophetischer Rede diskutiert. So wahr es ist, dass Glaube vor dem Verstehen kommt, so wahr ist, dass es ohne Glaube kein Verstehen des Wortes im Sinne des Pneuma gibt. Der Geist ist es, der das Wort lebendig macht (2. Kor 3,6; Joh 6,65). Dass Gott nicht nur Gegenstand einer Predigt bleibt, sondern Gegenwart wird, ist weder der Mühe derer, die predigen, noch dem Verstand derer, die Predigt hören, sondern dem Wirken des Geistes zu verdanken. Um ihn aber dürfen Prediger Gott in den Ohren liegen: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“ (Lk 11,13). 1.1.4. Ecclesia est creatura verbi Die Gemeinde ist nicht vom Himmel gefallen und doch ist ihr Geheimnis historisch allein nicht zu greifen. Sie weiß von ihrer ewigen Erwählung (Eph 1,4), weiß sich im Schöpferwillen gegründet. Darum kann von einem theologischen Ursprung der Kirche gesprochen werden. Im Besonderen ist die Ursächlichkeit der Kirche christologisch zu bestimmen. Wirsching (1990:45) ist zuzustimmen: „Ich kann von der Kirche nicht reden, ohne von Jesus Christus zu reden.“ Ein konsequent eschatologisches Denken hat Kirche als „Missverständnis der Verkündigung Jesu“ angesehen: „Jesus hat das Reich Gottes verkündigt, und gekommen ist die Kirche“, so der Reformkatholik Alfred Loisy (zitiert in Wirsching:47). Dem gegenüber gehen andere Ansichten davon aus, dass der Ursprung der Kirche christologisch wie auch pneumatologisch zu bestimmen sei (:46-47), das heißt, als „unmittelbare Stiftung Jesu“ (Mk 1,16-20; 3,13-19) oder als „organisatorischer Ausdruck des Osterglaubens“ oder als organisatorischer Ausdruck der Geisterfahrung (Apg 1,8; 2,1-13). Diese Theorien zur Entstehung der Kirche sind hier nicht zu diskutieren. Eines steht außer Zweifel: Was die Kirche ist, ist sie nicht ohne das Wort: „Ecclesia est creatura verbi“ (WA VI, 514). Dieser Satz Luthers drückt zunächst einen Tatbestand für die weltweite Kirche aus. Kirche geht auf Gottes Wort zurück. Sie, die Gottes Wort verkündigt, ist selbst Schöpfung des Wortes. Auf Gottes Anruf, der die Schöpfung ins Dasein rief, geht auch die Gemeinde als Beginn der neuen Schöpfung zurück. Wie die Schöpfung durch das Wort erhalten 1.1.4. Ecclesia est creatura verbi 23 wird, so auch die Gemeinde. Gottes Wort aber ist nach Luther vor allem das gepredigte Wort.1 Der Reformator sprach von der viva vox evangelii. Eine lebendige Stimme sei das Wort, das uns als Evangelium stets neu und überraschend anspricht. Nach Röm 10,14 kommt der Glaube aus der Predigt und bewirkt die Wandlung des Menschen: Gott, hat auch uns, „die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht“ (Eph 2,4-5; Kol 2,13). Die Wandlung des Menschen geschieht mittelbar. Das Mittel ist das durch den Geist mit Leben erfüllte Wort. Verwandelt Gott unter der Verkündigung den Menschen, entsteht Gemeinde. So setzt sich die Verwandlung in der Welt fort. Durch Wort und Geist berührt Gott die Person, die Schütz (1969:120-121) den Weltkern nennt, von dem her die Welt verändert wird: „Mittelbarkeit - das heißt, der Geist ändert die Welt, ihre Verhältnisse, Dinge, Ordnungen und Unordnungen nicht unmittelbar wie in der Politik. Er ändert sie vom Kern der Dinge her: über die geänderte Person. Das ist Gottes Mittelbarkeit, im Mittel der Person die Mitte der Welt zu berühren ... In der Person berührt er den Weltkern. Diese Mittelbarkeit der Personwelt, heißt im Johannesevangelium ‚gezeugt werden von Gott’. Unmittelbar ist nach dieser Stelle das Gezeugtwerden vom Willen eines Mannes.“ In der Welt leben mehr als 6 Milliarden Menschen, unter ihnen die kleine Herde, die das Evangelium kennt, das alle, die es hören und glauben, rettet (Röm 1,16). Hat die kleine Herde es auch nicht in der Hand, dass der Glaube sich ausbreitet, so verkündigt sie das Evangelium doch, damit das Wunder des Glaubens vielen widerfährt, damit fortwährend Gemeinde wird, die der Welt Christus bezeugt. Wir haben gesagt, weil der Glaube aus dem Hören kommt, sei Predigt heilsnotwendig. Das ist das eine. Zum anderen schließt die Predigt der Gemeinde das Wort auf. Sie wird „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ (1. Kor 4,1). Der Hermannsburger Erweckungsprediger Ludwig Harms (zitiert in Grafe 1965: 173) stellt die Predigt des Wortes Gottes darum höher als das private Lesen der Bibel: „Habt ihr nicht Alle eine Bibel gehabt von Jugend auf, habt ihr nicht täglich darin gelesen? Was hat es euch genützt, ihr seid nicht eher zum Herrn gekommen, bis Er euch das Herz aufgetan hat durch die Predigt des göttlichen 1 Lutherzitate dazu bei Pinomaa 1964:131-134 und Althaus 19632: 42-47. 1.1.4. Ecclesia est creatura verbi 24 Worts, da habt ihr es erfahren, was ihr an eurer Bibel habt, vorher nicht. Die lebendige Predigt tut das Wort auf, der Buchstabe ist todt, bis er durch die Predigt lebendig gemacht wird.“ Es ist zu erkennen, dass die Ansicht des Lutheraners auf Erfahrungen in seinem Heidedorf beruht. Diese lassen sich jedoch schwerlich generalisieren. Gerade in Zeiten, wo die Predigt in einer Krise steckt, kann die persönliche Bibellese geistliches Überleben bedeuten, besonders, wenn es in Gemeinschaft mit anderen Christen geschieht. Wiederum gibt es Christen, die ihre Spiritualität vom Empfang des heiligen Abendmahls her verstehen, wieder andere leben diakonisch, leben ihren Glauben in einem bewegenden sozialen Engagement, das ebenfalls im Glauben verankert ist. Die vollmächtige Predigt allerdings führt diese verschiedenen christlichen Einzelkämpfer zu einer verschworenen Gemeinschaft unter dem Auftrag der Sendung zusammen. Gerade das lässt sich an Ludwig Harms nachweisen. Harms war Gemeindeprediger. Sein Predigtziel war die sendungsorientierte Gemeinde. Durch seine Predigt haben sich die Christen gewandelt. Sie hörten auf, sich religiös um sich selbst zu drehen. Sie haben sich stattdessen um die Sendungsaufgabe - zu Haus und in der Ferne - gesammelt und dadurch das Dorf, in dem sie lebten, verändert. Das wirkte segensreich in Niedersachsen und - durch die Hermannsburger Mission - in der Welt. Die Predigten Harms’, vom Vorzeichen der Sendung her verstanden, waren von der Absicht erfüllt, Menschen nicht allein zum rechtfertigenden Glauben zu führen - das auch! -, sondern sie zum Zeugendienst in der Welt zu befähigen. Diese umfassende Aufgabe hat Prediger und Gemeinde getragen, ihre Existenz erweitert, ihr Dasein ewigkeitlich aufgewertet. Die Gemeindepredigt, die Menschen angesichts der Ewigkeit zur Umkehr rief und zum Zeugendienst ermächtigte, kam nicht leer zurück (Jes 55,11). Die Predigt wurde für nichtglaubende Getaufte zur Evangelisation und für die Glaubenden zur Sendungsrede, die die „Leidenschaft Gottes zur Mission“ proklamierte, eine Leidenschaft, die in einer neuen Liebe zu Gott und den Menschen Gestalt annahm. In der Tat: Gemeinde ist die Schöpfung des ihr gepredigten Wortes! „Es muss uns zu denken geben, dass die Erweckungen, die zum Beginn des 19. Jahrhunderts das Gesicht der Christenheit in weiten Teilen Deutschlands tiefgreifend verändert haben, nicht durch besondere evangelistische 1.1.4. Ecclesia est creatura verbi 25 Veranstaltungen und Aktionen, sondern durch die regelmäßige Predigt treuer Gemein- 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes 26 depfarrer ausgelöst worden sind, ob wir nun an die Tätigkeit Ludwig Hofackers in Württemberg, Aloys Henhöfers in Baden oder Wilhelm Löhes in Franken denken, an Ludwig Harms in der Lüneburger Heide, an Johann Heinrich Volkening im östlichen Westfalen oder an Gottfried Daniel Krummacher in Wuppertal“ (Sorg 1984:16). Die Beobachtung des ehem. württembergischen Bischofs legt den Gedanken nahe, bei dem einen oder anderen Erweckungsprediger in die Schule zu gehen. Offensichtlich hatten einige etwas zu sagen, was in Vergessenheit geriet, uns und unserer Predigt aber nottut. Vollmächtige, sendungsorientierte Gemeinden waren das Ergebnis der an sie ergangenen Predigten: „Ecclesia est creatura verbi.“ 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes „Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist. So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum, wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit“ (Ps 63,2-3). „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Wer kann die großen Taten des Herrn alle erzählen und sein Lob genug verkündigen?“ (Ps 106,1-2). Der Beter des alten Bundes sehnt sich danach, die Herrlichkeit Gottes zu sehen. Er schaut sie in Gottes großen Taten, kann sie nicht alle erzählen. Erst recht kommt die Gemeinde Jesu von Gottes Herrlichkeit her! Die bestimmt ihre Predigt. Vom Schauen auf Gottes Herrlichkeit herkommend führt die Predigt die Gemeinde dahin, sie ihrerseits zu schauen. Vor der Reflexion steht die Wahrnehmung, die ein Staunen auslöst, das zum Lobe führt (Körtner 2001:3). Solche Wahrnehmung ist von Gottes Handeln abhängig. Er öffnet das Auge und das Ohr (Ps 119,18). Staunen ist der Anfang des Glaubens. Mit Staunen beginnt die Theologie. Im Staunen hat die Antike den Ursprung der Religion und der Philosophie gesehen. qaumzein bedeutet Bewunderung, Verwunderung, auch Erschrecken. Die Menschen des alten Bundes erleben Gott in seinen Führungen und Rettungen (5. Mose 26,5-9). Dann weitet sich der Blick. Dem Volk der zwölf Stämme offenbart sich sein Bundesgott als Schöpfer der Welt. Den Schöpfungshymnen ist das ursprüngliche Staunen abzuspüren. Später staunt der Mensch des Neuen Bundes über das Fleisch gewordene Wort, auf das die Schöpfung zurückgeht: „Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes 27 was gemacht ist“ (Joh 1,3). Hier ist die Erfahrung der Natur als Schöpfung im Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft Christi (1. Kor 8,6; Kol 1,16-17; Hebr 1,2; Offb 3,14) christologisch begründet. Es kann darum die Wahrnehmung der Schöpfung nicht von der Theologie des Kreuzes absehen. Es ist „die Kategorie des Schönen christologisch gebrochen und somit ein eschatologischer Begriff“ (Körtner 2001:4). Meditiert die Gemeinde Gottes Wort, wie der Beter von Psalm 1, ereignet sich, dass sie den Dreieinigen in seiner Schönheit buchstäblich wahrnimmt, wenn er das Sehen schenkt: „Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz“ (119,18. 66). Dazu vor allem ist die Predigt da, der Gemeinde die Augen zu öffnen für die Herrlichkeit des Herrn. Predigt lehrt das Staunen über Gott. Denen von Laodizea, die ihr geistliches Sehvermögen verloren hatten, wird geraten, sich Augensalbe zu kaufen (Offb 3,18). Das ist Predigt auch, Medizin gegen die Blindheit der Glaubenden. Einem, der sich auf biblische Texte und ihre Verkündigung versteht, hatte ich eine Predigt von mir mit der Bitte um Beurteilung geschickt. Als sie zurückkam stand darunter: „Du hast noch nicht genug gestaunt.“ Ich hatte das Ausmaß der Herrlichkeit im Wort nicht wahrgenommen. Der Freund bewirkte, dass ich tiefer grub, wieder und wieder hinschaute. Als ich sah, kam das Staunen von selbst. „Staunen“ ist nicht gesetzlich zu verstehen, als Leistung, die erbracht werden muss (Jes 52,15; Mk 7,37; Lk 8,25; Joh 5,2; Apg 2,7; 3,10; 8,13; Offb 17,8). Erstaunliches weckt Staunen - wenn es wahrgenommen wird. Wahrnehmen bedarf der Übung. Wahrnehmung im Kontext der Bibel aber ist vor aller Übung eine Folge des Wirkens des Geistes (Eph 1,17-18). Grözinger (1995:21) dagegen argumentiert rein anthropologisch. Nach ihm „kommt alles darauf an, die in uns schlummernden ‚Landeplätze der Wahrnehmung’ bereit zu halten. Wahrnehmung geschieht nicht nur in einem Nach-Außen-Gewendet-Sein, sondern ebenso in einer Pflege unserer Wahrnehmungsbereitschaft und unserer Fähigkeit zum Synthetisieren des von uns Wahrgenommenen. Unsere Wahrnehmung muss immer auch ein Stück weit von uns erfunden werden. Der Zusammenhang von Wahrnehmung und Phantasie ist somit ein wichtiges Kapitel auch einer praktisch-theologischen Wahrnehmungslehre.“ 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes 28 Auch Körtner (2001:2) sieht, was eine theologische Ästhetik betrifft, offene Wünsche. Theologische Ästhetik ist bislang noch immer „eher ein Desiderat als eine etablierte Disziplin“, sie ist „allenfalls rudimentär entwickelt“. Bei aller berechtigten Pflege der Wahrnehmungsbereitschaft: Die Wunder an Gottes Wort zu sehen, ist vor allem Gnade und darum zu erbitten. „Wenn ein Mensch durch alle irdische Wirklichkeit hindurch ein Stück der Herrlichkeit Gottes sehen darf, dann hat ihn die Gnade Gottes ergriffen“ (Josuttis 1999:89). Da können wir uns in der Gemeinde helfen. Neben der Predigt ist das gemeinsame Lesen der Bibel eine Sehschule zur Wahrnehmung der Herrlichkeit des Höchsten. Staunen drückt sich aus in Jubel (doxzontev ka± a¸noÂntev tèn qeèn - Lk 2,20) oder Entsetzen (xeplÐssonto o³ ícloi - Mt 7,28). Biblische Predigt kommt aus dem Staunen oder aus dem Entsetzen und führt zu beidem hin. Zum Staunen kommt es über das Wahrnehmen der Werke und Wunder Gottes, zum Entsetzen über seinen Zorn und seine Gerichte (Mt 7,26-28). Staunen und Entsetzen sind die Vorläufer zur Umkehr und damit zum Gotteslob. Für Bezzel (1916:27-28) gehört Staunen zur Vorbedingung des Predigtamtes. „Es gibt im gewöhnlichen Leben schon Athaumasten genug, die, weil sie nichts bewundern, über nichts mehr sich wundern und vergessen, dass Staunen der erste Anfang der Erkenntnis ist. Sie mögen ihr Amt pünktlich ausrichten und sorgsam verwalten, aber Kraft geht nicht von ihnen aus ... wie sollte von einem begeisterungslosen, kaltsinnigen Prediger Kraft ausgehen?“ Nach der Wahrnehmung, dem Staunen und Loben und dem Entsetzen, das aus Glauben erfolgt, kommt erst das Verstehen, die Reflexion. „Theologische Ästhetik reflektiert Gott selbst; sie tut es pneumatologisch als Theorie von der zunehmenden Verkleinerung Gottes als der Theorie vom Praktisch-Werden Gottes in der Natur, in der Kultur und damit in der Geschichte und in der Kirche“ (Bohren 1975:93). Schöpfung ist Gestalt gewordenes Schöpferwort, geschaffen zum Lob. Dazu gab der Schöpfer die Sinne. Durch das Ohr vernehmen wir Töne und Worte. Sie erfüllen uns, komponieren sich in uns entweder zu einer Melodie oder zu Gedanken, die uns bewegen. Der Mensch erfreut sich der Gaben seines Gottes. 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes 29 Das Auge erblickt die Schönheit des Geschaffenen. Mein Geist jubelte in mir, als ich den Großvenediger erklommen hatte und im Sonnenlicht die schneebedeckten Gipfel der Berge unter mir sah: Da s a h ich, „wie freundlich der Herr ist“. Was wir in der Schöpfung sehen, dringt in uns ein, erweckt die uns gegebene Schöpferkraft. So entstehen die Kunstwerke der Musiker, Maler, Bildhauer, Architekten. Geruchsinn ist uns geschenkt: Die Nase riecht den Blumen- oder den Bratenduft. Der Mensch freut sich auf das Essen. Da ist es die Zunge, die schmeckt „wie freundlich der Herr ist“. Die Hände ertasten und streicheln Menschen, Tiere und Pflanzen. Von Gott geschaffene Hände nehmen wahr, was Gott schuf. Was Gott schuf, macht Eindruck. Eindruck wiederum drängt darauf, sich auszudrücken, möchte dem, was sich eindrückt, Ausdruck verleihen. Dazu ist uns vor allem Sprache verliehen. „Der Mensch hat das Wort … und dadurch ist er Mensch“ (Ebner 1965:9). „Das unsichtbare Wesen unserer Seele offenbart sich durch Worte“ (:17). Das Wort ist dem Menschen gegeben, seinen Schöpfer zu rühmen (s. aber Jes 6,5). Unser Mund ist Instrument des Gotteslobs. „Lass meinen Mund deines Ruhmes und deines Preises voll sein täglich“ (Ps 71,8). „Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich deine Wohltaten, die ich nicht zählen kann“ (Ps 71,15). „Mein Mund soll des Herrn Lob verkündigen, und alles Fleisch lobe seinen heiligen Namen immer und ewiglich“ (Ps 145,21). Wahrnehmung der Werke Gottes führt ins Gebet. Es möchte vor Gottesbegeisterung in Glossolalie übergehen. Die Begeisterung fließt in die Predigt, die seinen Namen erhöht und die Gemeinde bewegt, ihm mit Freuden zu dienen (Ps 100,2). Angesichts seiner Herrlichkeit ist die schönste Predigt jedoch nur ein Stammeln. Darin aber besteht ihr Glanz, sie stammelt das Gotteslob. „Daß Gott schön werde“, so überschreibt Bohren (1975) seine Nachlese zur „Predigtlehre“, in der er Praktische Theologie als theologische Ästhetik versteht. Ästhetik, als Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung, lehrt diejenigen, die predigen, Gottes Schönheit zu sehen und das Geschaute aller Welt zu verkündigen. A ers als „Herrlichkeit“ ist „Schönheit“ jedoch kein biblischer Hauptbegriff. „Wir reden von der Schönheit Gottes nur zur Erklärung seiner Herrlichkeit“ 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes 30 (Barth, KD, II, 1:736). „Herrlichkeit Gottes“ schließt „Gottes Schönheit“ ein. Nach Barth ist diese geradezu sinnlich, genussvoll wahrzunehmen: „Gott hat jene für sich selbst sprechende, jene gewinnende und überwindende Überlegenheit und Anziehungskraft eben darin, dass er schön ist - göttlich, in seiner ihm und ihm allein eigenen Weise schön, schön als die unerreichbare Urschönheit ... der Wohlgefallen erregt, Begehren schafft und mit Genuss belohnt und das damit, dass er wohlgefällig, begehrenswert und genussvoll ist ... Gott liebt uns als der, der als Gott liebenswürdig ist“ (:733). Damit ist auf vorreformatorische Tradition zurückgegriffen. Augustin (1987:547- 548) schreibt in seinen „Confessiones“: „Spät hab ich Dich geliebt, Du Schönheit, ewig alt und ewig neu, spät hab ich Dich geliebt. Und siehe, Du warst innen und ich war draußen und da suchte ich nach Dir, und auf das Schöngestalte, dass Du geschaffen, warf ich mich, selber eine Missgestalt.“ Ist Gottes Schönheit eingeschlossen in seiner „kabod“, der „schwerwiegenden Herrlichkeit“, enthüllt sich diese in Zeichen des Reichtums, des Glanzes, der kosmischen Gewalten. Die Schrift, den Blick auf Gottes Thron gewährend, spricht von Edelsteinen, Blitzen, Donnerschall, Feuer, Rauch als Symbole seiner Herrschaft (Offb 4,2-5; Jes 6,1-5). Aber auch ein stilles, sanftes Sausen (1. Kön 19,12) und Krüge voll bestem Wein (Joh 2,11) werden zu Herrlichkeitszeichen. Spielt im biblischen Befund der Begriff des „Schönen“ als solcher und direkt auch keine hervorragende Rolle, heißt das nicht, „dass er der Bibel unwichtig oder gar fremd sei“ (Barth, KD, II, 1:736). „O Herr, mein Gott, wie bist du so groß! Pracht und Hoheit ist dein Gewand, der du in Licht dich hüllst, wie in einem Kleid“ (Ps 104,1-2; Zürcher). Vom Messiaskönig heißt es: „Du bist der Schönste unter den Menschenkindern, voller Huld sind deine Lippen; wahrlich, Gott hat dich gesegnet für ewig“ (Ps 45,3). Es wäre das Hohelied hinzuzunehmen, das über seinen irdischen Bezug hinausweist auf den Schöpfer alles Schönen, der schön ist. Indirekt begegnet uns die Herrlichkeit Gottes in den Lobgesängen. Dahinein gehört auch das Gottesknechtslied von Jes 53 über den, der keine Gestalt noch Schöne besaß. Die Theologie des Mittelalters kannte den Begriff des B e g e h r e n s , des G e n i e ß e n s , dessen eigentlicher Gegenstand Gott selber ist (fruitio Dei). Wir werden sehen, wie in überbordender Freude Menschen Gott und 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes 31 seine Wohltaten wahrnehmen, genießerisch darauf reagieren (2.1.1.). Eingedenk der Tatsache, dass es auch böses Begehren gibt, ist doch G o t t „in eminenter, in der eigentlichsten Weise Gegenstand der Lust, der Freude, des Wohlgefallens, des Begehrens und des Genusses ...“ (Barth, KD, II, 1:737). Wir können nicht verkennen, „dass Gott in der Weise herrlich ist, dass er Freude ausstrahlt und dass er also Alles, was er ist, nicht ohne Schönheit, sondern in Schönheit ist“ (:739). Theologische Ästhetik ist - nach von Balthasar (1963:6) - zu kennzeichnen „als der nur im Glauben wahrnehmende Empfang der sich selbst auslegenden Herrlichkeit der allerfreiesten Liebe Gottes.“ Nur der Glaube nimmt Gottes Herrlichkeit wahr. Für den Glauben verherrlicht bzw. verklärt Gott sich in von der Welt nicht beachteten oder nicht verstandenen Z e i c h e n , wie Bezzel bemerkt: „Wenn ein Mensch wieder an seine Brust schlägt und sagt: ‚Gott sei mir Sünder gnädig!’, wenn die Sicheren aus ihrem Versteck hervorgehen und ein Mensch, der dahinträumt am Abgrund, jählings erwacht und spricht: ‚Ein Schritt zwischen mir und dem Tode’, wenn eine ganze Gemeinde wieder sich aufmacht, dass sie ihrer Pflichten an ihren Mitmenschen sich erinnert, d a n n i s t G o t t a u f E r d e n v e r k l ä r e t . ... Und wenn in die ganze Sicherheit einer tot gewordenen Orthodoxie und in die ganze Behäbigkeit eines scheinbar geordneten Kirchenstandes drohend der Herr hineinruft: ‚Ist mein Wort nicht wie ein Feuer und Hammer, der Felsen zerschmeißt’, dass man Lehre und Leben in Einklang zu bringen sucht, und die Hüter wieder aufwachen und sich den Schlaf aus den Augen reiben und ihre Sicherheit vergessen, d a i s t a u c h e i n e V e r k l ä r u n g G o t t e s a u f E r d e n “ (1936:31-32). Nicht nur Zeichen seiner Herrlichkeit stehen für die Herrschaft Gottes, auch Zeichen der Zerstörung, des Verfalls. Selbst in ihnen nehmen Glaube, Liebe, Hoffnung die Ankunft des Kommenden wahr: „Weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen er- kalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird die Vollendung kommen“ (Mt 24,12- 14). In der Vollendung leben wir nicht mehr im Glauben, sondern im Schauen. Auf diese Vollendung hin wird das Evangelium gepredigt in der ganzen Welt. Solche, die Vollendung herbeiführende Predigt, bedarf der Begeisterung vom Pneuma her. Geisterfüllte Predigt führt die Gemeinde zu einer Begeisterung, die mit seelischer 1.1.5. Schau der Herrlichkeit Gottes 32 Aufregung wenig, mit der Nüchternheit des Hirtenblicks der Liebe Jesu und der Kreuzesnachfolge aber viel zu tun hat. 1.1.6. Protestantisches Predigtlob 33 1.1.6. Protestantisches Predigtlob Zur Beschreibung unserer Predigtwirklichkeit und ihrer Hintergründe wird unten (1.2. und 1.3.) Kritisches gesagt werden, weil Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Dennoch ist zu differenzieren. Nicht von allen Kanzeln wird und wurde Christus verleugnet und die Gemeinde verführt. Auch in den vergangenen 50 Jahren oder gar seit der Reformation gibt es Predigten und Predigtbewegungen, durch die Gemeinden gebaut, einzelne gestärkt und gesegnet wurden. Die folgenden Zitate, als ein gesammeltes Predigtlob, beziehen sich nicht auf konkrete Predigten. Sie sind dennoch nicht nur als theologische Theorie über die Predigt weit ab von der Wirklichkeit zu verstehen. Hier schlagen sich, obwohl das Lob im grundsätzlich Theologischen angesiedelt ist, auch Erfahrungen mit der Predigt nieder. - Von Anfang an haben die Reformatoren die Bedeutung der Predigt erkannt. Dazu hatten sie durch Worte der Schrift allen Grund: „Und darum danken wir auch Gott ohne Unterlass dafür, dass ihr das Wort der göttlichen Predigt, das ihr von uns empfangen habt, nicht als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort, das in euch wirkt, die ihr glaubt“ (1. Thess 2,13). „Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“ (Mt 10,20; s. auch Lk 10,16; Joh 13,20; 1. Thess 2,4). L u t h e r (zitiert in Elert 19653:60), durch die Erfahrung seiner Verlorenheit angefochten, gelangt zur Gewissheit: „Euangeli predigen ist nichts anders, denn Christum tzu uns kommen odder uns tzu yhm bringen.“ „Ir wisset, das der grossest Gottes dienst ist die predigt, und nicht allein der groesseste Gottes dienst, sondern auch unser bestes, das wir haben koennen jin allen fellen …“ (WA 36,237). Der Sinn der Predigt liegt darin, die Hörer zum Glauben zu führen. Das Wort und die Predigt Gottes sind imstande, die Welt zu verändern und zu erneuern (Niebergall 1974:77-78). Für S c h l e i e r m a c h e r (siehe Husar 1987:13-19) ist die Predigt eine Festrede, denn der Gottesdienst ist ein Fest. Es geht ihm zum einen darum, das religiöse Bewusstsein der Gemeinde zu beleben und zu steigern. Er betont das zweckfrei darstellende Handeln des Gottesdienstes. Es gibt aber noch eine zweite Sicht zu seinem Predigtverständnis, nach der er der gottesdienstlichen Predigt eine indirekte missionarische Aufgabe zuschreibt. Neben dem „darstellenden Handeln“ 1.1.6. Protestantisches Predigtlob 34 gibt es auch ein „wirksames Handeln“. Dieses unterteilt er in ein „reinigendes und wiederherstellendes Handeln und in ein „verbreitendes Handeln“. Letzteres kann seinem Sinn nach, als missionarisches Handeln bezeichnet werden. C h r i s t l i e b (1893:59) sieht in der Predigt einen göttlichen Zweck. Dieser ist „kein anderer als ein Heilszweck, der Welt den Weg zur Seligkeit kund zu thun ..., allen Völkern das Heil nahe zu bringen zu einem Zeugnis über sie ..., bzw. zur Rechtfertigung Gottes, in das in Christo nahegekommene Reich Gottes einzuladen, oder in ihm zu erhalten, zu befestigen.“ B e z z e l (1917:23), der „Prediger der Kondeszendenz Gottes“ sagt, dass wir Jesus auch predigend nachzufolgen haben: „Das beste Vorbild für die Predigt, auch für ihre Form, bleibt doch er selbst, der die gelehrte Zunge hatte, weil er das für den väterlichen Willen geöffnete Ohr hatte, mit dem Müden zur rechten Zeit zu reden und das größte im geringsten Gefäß darzubieten ... Unser Herr als Prediger bleibe das Vorbild, und der Geist treibe uns, ihn nicht nachzuahmen, aber ihm nachzufolgen“ Die einzige Bedingung für Prediger ist, „dass sie Begeisterung und Feuer der ersten Liebe haben, in der das Herz brennt, wenn er die Schrift öffnet, der Exeget ‚ohne Gleichen’ ...“ (Bezzel 1916:28). B a r t h ([1932] 19863) bringt sein Predigtverständnis in zwei Formeln: „1. Die Predigt ist Gottes Wort, gesprochen von ihm selbst unter Inanspruchnahme des Dienstes der in freier Rede stattfindenden, Menschen der Gegenwart angehenden Erklärung eines biblischen Textes durch einen in der ihrem Auftrag gehorsamen Kirche dazu Berufenen. 2. Die Predigt ist der der Kirche befohlene Versuch, dem Worte Gottes selbst durch einen dazu Berufenen so zu dienen, dass ein biblischer Text Menschen der Gegenwart als gerade sie angehend in freier Rede erklärt wird als Ankündigung dessen, was sie von Gott selbst zu hören haben“ (19863:30). Die Predigt ist einerseits Gottes Wort, andererseits befohlener Versuch, dem Worte Gottes zu dienen. Für T h u r n e y s e n (1921:209-219) ist eine „tiefe Kluft befestigt ... zwischen dem Wort des Predigers und dem Wort Gottes, das in seinem Wort zu Worte kommen sollte.“ In der Predigt ringen wir nicht um das Verständnis des Menschen, sondern um das Verständnis Gottes. Predigt hat auf Gott einzugehen und nicht auf den Menschen. 1.1.6. Protestantisches Predigtlob 35 „Den Tod des Menschen und alles Menschlichen zu verkündigen, ist die Aufgabe der Predigt. Wo diese Predigt wirklich erschallt, da antwortet Gott mit dem Worte, das Auferstehung heißt und ist, und dieses Auferstehungswort ist dann das Wort im Worte.“ B o n h o e f f e r (1975:241. 243) in seiner Finkenwalder Homiletik: „Das Predigtwort ist der inkarnierte Christus selbst ... Das Wort steigt gleichsam aus der Bibel heraus, nimmt Gestalt an als Predigt und geht so zur Gemeinde, sie zu tragen ... Um des gepredigten Wortes willen besteht die Welt mit all ihren Worten. In der Predigt wird der Grund einer neuen Welt gelegt.“ B u l t m a n n (in Niebergall 1974:80) formuliert: „Echte christliche Verkündigung ist eine solche, die Ruf Gottes durch Menschenmund zu sein beansprucht und die als Autorität Glauben fordert. Ihr ist eben die Paradoxie eigen, dass in ihr Gottes Ruf im menschlichen Wort begegnet.“ Für W i n g r e n (1959:10) ist Predigt „der Weg zur Rettung der Menschheit.“ „Wo das Wort ist, da ist Gott, da führt Gott gegen den Satan jenen Kampf, der seit den Tagen der Urgeschichte im Gange ist und der mit der Befreiung der Menschheit enden wird“ (:57). Nach S t e i n w a n d (1964:43.45) hat die Predigt „in jedem Fall die Aufgabe uns in die Gegenwart Gottes zu stellen ... sobald Gott durch ein Schriftwort zu uns spricht, ist es mit der Harmlosigkeit zu Ende. Dann merken wir sofort, wir stehen zwischen Leben und Tod ...“ L a n g e (1982:62-63) erklärt gegen Thurneysen, der Hörer sei sein Thema. „Predigt heißt, ich soll mit dem Hörer über sein Leben reden ... Der Hörer soll verstehen, wie der Gott, für den Jesus spricht, der Herr der Situation, der Herr auch seiner spezifischen Lebenssituation ist ... Das Ziel der Predigtbemühung: Das in der Bibel bezeugte Verheißungsgeschehen wird in seiner Wirkkraft, in seiner Macht sichtbar, jetzt und hier Mut zu einem Leben in Glauben, Liebe und Hoffnung zu machen.“ B o h r e n (1972:19) betont, dass der Freude bringende Dienst am Wort für die Prediger zum Lebenseinsatz wird. Predigt ist für ihn heiliges Spiel und: „dass wir bei diesem Spiel unser Leben einsetzen, auch wenn wir unsere Predigten amtsstüblerisch verfertigen wie Bürolisten ein Protokoll. Immer geht es um Leben 1.1.6. Protestantisches Predigtlob 36 und Tod.“1 Ähnlich wie Barth erkennt er: „Es gibt nichts Wirksameres, Aktiveres, Schöpferischeres als das Wort. Die größte Tat des Menschen ist darum, dieses Wort zu verkündigen“ (Bohren 1969:12). J o s u t t i s (1995:42) betont im Blick auf die Kirche, „dass die rechte Predigt des Evangeliums über ihr Sein oder Nichtsein als Kirche entscheidet.“ H . M . M ü l l e r (1996:184) schreibt in seiner Homiletik: „Es wird in der Kirche gepredigt, weil die Kirche … sich dem Worte Gottes verdankt, das den Glauben in persönlicher Begegnung mit Jesus Christus über die Zeiten hinweg weckt … Indem die Predigt dem Zusammenhang von Wort Gottes und Glaube dient, entspricht sie dem Auftrag, den die Kirche von ihrem Herrn erhalten hat.“ Für S e i t z (2003:10-12) ist Verkündigung, „was die Medien nicht können, was aber die gottesdienstliche Predigt kann: rettendes Wort, Mittel zum Glauben, Erschließung der Gegenwart und öffentliche Tröstung des Volkes ... Es wird gepredigt, weil Gott vorkommen, mit den Menschen zusammenkommen und sich ihnen vertraut machen will. Das will er auch - es ist paradox - als der Ungreifbare, Angreifbare, Unverständliche und Verborgene ... Deshalb wird Jesus als das uns zugewandte Antlitz Gottes gepredigt.“ N i c o l (20055) spricht davon, dass Predigt potentiell Ereignis (event) sei, ein Ereignis in der Gotteswirklichkeit (:26). Der Gottesdienst ist für ihn „Weg ins Geheimnis“ (:43) Die Predigt ist im Gottesdienst anzusehen „als eine Etappe auf dem Weg im Geheimnis (:43). Dieses Kaleidoskop an Voten zeigt, dass bei aller Verschiedenheit der Auffassungen, Predigt zum Kern des Glaubens gehört. Sie ist von der Existenz der Kirche und ihrer Theologie nicht zu trennen. Ohne Predigt kein Heil, kein Glaube, keine Kirche, keine Hoffnung für die Welt. Wir haben auch heute, wenn auch in eingeschränkter Weise, eine Predigtspur, wo das Lob berechtigt ist. Niebergall (1974:74) stellt fest, dass die gesamte Theologie Luthers „in der Predigt, in der Begründung und in dem Vorgang der Predigt kulminierte“. Höchste Wertschätzung findet die Predigt auch durch Barth (19863:7). Nach ihm 1 Zu Bohrens Einspruch gegen Lange, siehe Bohren, „Die Differenz zwischen Meinen und Sagen“, Pastoraltheologie 1981/9, 416-430. 1.1.6. Protestantisches Predigtlob 37 soll Theologie als Wissenschaft der Kirche in ihren sämtlichen Disziplinen nichts anderes sein als P r e d i g t v o r b e r e i t u n g . * Als Fazit, sowohl unserer bisherigen Wahrnehmungen als auch der vergangenen und gegenwärtigen Stimmen zur Predigt ist zu sagen: Es liegt ein strahlender theologischer Glanz über ihr. Der Predigt ist eine Bedeutung zuerkannt, die alles andere Handeln der Kirche in den Schatten stellt. Im Folgenden ist nun zu fragen, in welchem Verhältnis die theologische Wertschätzung, die die Predigt genießt, zur P r e d i g t p r a x i s steht. Besteht der hohe theologische Anspruch, der mit der Predigt erhoben wird, angesichts ihrer Wirkung auf Gemeinde und Bürgergesellschaft zu Recht? Die Frage stellen, heißt sie zu beantworten: Z w i s c h e n A n s p r u c h u n d W i r k l i c h k e i t b e s t e h t e i n e D i s k r e p a n z . Es kann sich bei der folgenden Beschreibung der Predigtwirklichkeit (1.2.) nicht um ein Gesamtbild handeln. Aus den möglichen Ursachen für die Wirkungs- losigkeit der Predigt treffe ich im Folgenden daher eine Auswahl. Zunächst geht es um d i e W i r k l i c h k e i t des innerkirchliches Fehlverhaltens, das vom Verharmlosen der Botschaft (1.2.2.) bis zur konstatierten Macht mentaler Modelle reicht (1.2.6.). Die Auswahlkriterien sind insofern subjektiv, als Wahrnehmungen an die Person des Wahrnehmenden gebunden sind. Dennoch ist der Ausschnitt, den ich wähle, typisch für die Not der kirchlichen Predigtpraxis in unserem Kulturraum. Die Ursachen liegen - wie bei einem Wurzelgeflecht - eng beieinander, sodass es bei ihrer Behandlungen zu Berührungen und Überschneidungen kommt. Danach wende ich mich unter 1.3. in sechs Abschnitten dem eigentlichen P r o b l e m f e l d zu, auf dem das Wurzelgeflecht innerkirchlichen Fehlverhaltens wuchern und gedeihen konnte. Von der christologischen Krise ausgehend behandele ich den aus ihr sich ergebenden Verlust der Eschatologie, die Abwertung des persönlichen Heils und damit verbunden die Schuld der Preisgabe der Sendung. Letztere verursacht zwangsläufig einen zerstörerischen kirchlichen Selbsterhaltungstrieb. Bonhoeffer und andere sind daher überzeugt, dass Gott schweigt. 38 1. 2. Die Wirklichkeit 1.2.1. Ernüchternde Wirkung Wir haben gesehen, dass für Barth (19863:7) Theologie als Wissenschaft der Kirche nichts anderes ist als P r e d i g t v o r b e r e i t u n g . Theologie betreiben gehört für ihn im weitesten Sinne bereits mittelbar zum P r e d i g t g e s c h e h e n . Unwillkürlich erstehen vor dem geistigen Auge die Theologischen Fakultäten unserer Hochschulen, Missionsseminare und Bibelschulen. Dort wird gedacht, geforscht, doziert, studiert, diskutiert, es wird geübt und angewendet, geprüft, akzeptiert, verworfen, neu eingeübt. Alles ist im weitesten Sinne Vorbereitung der Predigt. Es kann sogar noch weiter zurückgegriffen werden: Wie die Transaktionsanalyse (Harris [1967] 2002) nahelegt, wirken auch die Biographien und die Persönlichkeitsstrukturen derer die predigen beim Predigen mit (Engemann 1989). Weiter gehört zum mittelbaren Predigtgeschehen der Kontext der kirchlichen Tradition, aus der sich die Prediger oder Predigerinnen verstehen, ebenfalls die theologischen Schulen, die sie durchlaufen haben, wird ihnen in der Regel doch die theologische Theorie verdankt. Das Predigtgeschehen im engeren Sinne besteht aus der Vorbereitung, also aus dem Übersetzen des Textes, aus Exegese, Meditation, Niederschrift, dem Memorieren, danach aus dem Predigen selbst und dem Hören der Predigt. Zum Geschehen der Predigt gehört aber auch, was v o r und i n und schließlich, was n a c h und a u f G r u n d der Predigt geschieht. Zum Predigtgeschehen gehört die W i r k u n g d e r P r e d i g t . Diese geht in ihrer Bedeutung über die Gemeinde hinaus, denn die Bürgergesellschaft wird über die Gemeinde von der Predigt mittelbar mit berührt. Letztendlich reicht die Predigtwirkung, sei es im Guten oder im Bösen, bis in die Ewigkeit. Sowohl für Predigende und ihre Predigt als auch für die hörende Gemeinde gilt, dass sie an ihren Früchten zu erkennen sind (Mt 7,20). Um dem zu gefallen, der unsere Herzen prüft (1. Thess 2,4), wird die Predigt erarbeitet und gehalten. Er, dem an den Früchten liegt, ist der, der das Predigtgeschehen nach seiner W i r k u n g befragt. So redet Bohren (1971:454- 459) zu Recht von Gott als dem „ersten Hörer“ der Predigt. Mit unserem 39 Predigtgeschehen müssen wir offenbar werden vor dem Richterstuhl Gottes (2. Kor 5,10). 1.2.1. Ernüchternde Wirkung 40 Nun geht es – wie wir noch sehen werden - nicht allein um die Wirkung der Predigt im Leben der Einzelnen. Das eigentliche Gegenüber derer, die predigen, ist d i e G e m e i n d e a l s d e r L e i b d e s C h r i s t u s , nicht eine Schar von einander isolierter Individuen. Die an den Christusleib ergehende Predigt ist zielgerichtet. Darum ist nach der Darbietung einer Predigt, in den Tagen und Wochen danach zu fragen, was sie denn bewirkt hat: „Wie ist es uns mit der Predigt vom letzten Sonntag ergangen?“ Das setzt zum einen voraus, dass der Prediger mit seiner Predigt etwas gewollt hat. Zum anderen: Durch Rückfragen wird der Gemeinde Gelegenheit gegeben, zu respondieren, was nicht nur der Atmosphäre im Gottesdienst gut tut. Die Gemeinde wird aus der Konsumentenhaltung herausgeführt, ein erster Schritt von der Versorgungs- zur Beteiligungsgemeinde. D e Frage, was ie Predigt bewirkt, wohin sie die Gemeinde führt, woraufhin sie sie formt, wird zur Frage nach ihrer Berechtigung. Lohnt sich eigentlich noch der Aufwand? „Nein“, so predigte Halver (Cornehl/Bahr 1970) über Lk 18,1-5: „Ich will nicht mehr predigen. Ich höre auf damit … Der Aufwand lohnt nicht. Habt keine Angst, ich sage das nicht aus Wut, ich bin nicht resigniert, ich bin nicht verzweifelt. Sondern der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen“ (ebd. 24). Fernsehpfarrer Fliege ([IDEA] 2005:21) meinte auf dem Kirchentag 2005 in Hannover, „die Kirche von morgen sei keine predigende, sondern eine tröstende Kirche, die ohne Worte auskomme. ‚Die Gemeinde wird nicht mehr auf der Bibel gebaut’ sagte er. ‚Seht es doch ein! Es hat nicht funktioniert!’“. Die Wirkungslosigkeit der Predigt zeigt ihrerseits Wirkung und treibt seltsame Blüten. Möglicherweise hatte Fliege das Buch von Jörns (20052) „Notwendige Abschiede“ gelesen: „Die Bibel ist für uns Heutige über weite Strecken hin ein Teil des religiösen Gedächtnisses der Menschheit. Als solche aber bindet sie uns nicht im Glauben, sondern ist eine reine Bildungsfunktion“ (:361). Steiger (2005) schrieb Jörns in einem offenen Brief: „Um es geradeheraus und mit einem Wort zu sagen, ich finde obiges Buch: schlimm.“ Frühere Predigtlehren hatten sich nicht nur mit dem Zustandekommen der Predigt befasst. Wohin Verkündigung führt, ihre Wirkung, wurde jedoch – so heutige Stimmen - lange Zeit zu wenig bedacht. 1.2.1. Ernüchternde Wirkung 41 „War bis vor kurzem die Homiletik vor allem am Werden der Predigt interessiert, wurde infolgedessen das Thema ‚vom Text zur Predigt’ in ungezählten Variationen durchgespielt, so ist neuerdings die Wirkung der Predigt ins Zentrum des Interesses gerückt, die Frage ‚vom Prediger zum Hörer’ wird Hauptthema. Kybernetik, Informationstheorie, beziehungsweise Kommunikationswissenschaft gewinnen eine unerwartete Faszination“ (Bohren 1971:145). Schrieb Bohren diese Sätze im Jahre 1971, nimmt er den Faden – eher resignierend - im Jahre 1979 (:112) wieder auf: „Indem wir mehr am Zustandekommen als am Funktionieren der Predigt interessiert sind, kommt es zu einem gespaltenen Verantworten der Predigt, dass die Predigt wohl im Blick auf ihre Vergangenheit, auf ihr Zustandekommen verantwortet, nicht aber im Blick auf ihre Zukunft, auf ihr Wirken.“ „Warum hat unsere Predigt nicht mehr Erfolg?“ fragte jedoch schon W a r n e c k (1880) in einem Konferenzvortrag. F e z e r (1925) hat dargelegt, wie sehr bereits im 19. Jh Klagen über die Unwirksamkeit der Predigt allge-mein verbreitet waren. Auf Meuß verweisend schreibt der Theologieprofessor und Tübinger Stadtpfarrer: „niemals habe im gleichen Maß, wie in seinen Tagen, mit den Klagen sich die Besorgnis vereinigt, dass bei der Predigt eine recht ernste, wenn auch für den oberflächlichen Blick verborgene Krankheit zugrunde liege. Man stoße auf so erschreckenden Unglauben und Unkirchlichkeit, ‚dass auch die optimisti- schste Stimmung sich daran brechen und jenem Pessimismus Raum geben konnte …,’ der davon redete, ‚dass die viertelhalbhundertjährige Geschichte der evangelischen Predigt mit einem heillosen Bankerott zu Ende gehe’“ (:11). Aus der Schrift von Smend, „Zur Frage der Kultusrede“ aus dem Jahre 1902 zitiert Fezer (:11): „Die evangelische Predigt, einst die volkstümlichste Macht im Abendland, vorab in Deutschland, ist durchaus unpopulär geworden.“ Das gebe Smend „die Veranlassung zu seiner Arbeit, einer eingehenden Untersuchung der Gründe für die Wirkungslosigkeit unserer Predigt“. Zwei Jahre später war Smends Urteil noch pessimistischer. In seiner Schrift „Der evangelische Gottesdienst“ von 1904 findet sich der Satz: „Die Predigtmüdigkeit unserer Zeitgenossen ist weithin unverkennbar, die Schärfe der Kritik steigert sich an vielen Orten zu ausgesprochener Verachtung“ (Fezer:11-12). S t e i n w a n d (1964:12) sieht, dass die Predigt nach dem zweiten Weltkrieg „als harmlose oder auch langweilige 1.2.1. Ernüchternde Wirkung 42 Angelegenheit.“ empfunden wird. J e t t e r (1976:26) setzt in seiner Homiletischen Akupunktur die Nadel an: „Wer die Wirkung der Predigt bedenkt, auf den wirkt sie ziemlich bedenklich.“ S e i t z (1978:19) betont die Ineffektivität von 16000 Predigten allein der Evangelischen Kirche in Deutschland zur gleichen Zeit und Stunde und fragt: „Brauchen wir eine neue Predigt?“ Dabei ist von den freikirchlichen Predigten, Gemeinschafts- und Bibelstunden noch nicht einmal die Rede. V a n d e r G e e s t (1983:7) untersucht die Wirkung von Gottesdienst und Predigt und entdeckt im traditionellen Gottesdienst „eine stark individualisierende Tendenz.“ 1991 erschien von Daiber „Predigt als religiöse Rede“. Seine homiletischen Überlegungen basieren auf seiner empirischen Untersuchung „Predigen und Hören“, die Jahre vorher stattfand (1976-1983). Hörer von Predigten wurden befragt, w i e sie hören. Der Rezeptionsprozess wurde für die Predigt selbst konstitutiv: „Predigt wird nicht in erster Linie als die Arbeit eines oder einer einzelnen verstanden. Predigt wird vielmehr als Kommunikationsprozess interpretiert. Für die Predigt ist entscheidend, wie sie ankommt, wie sie gehört wird, ob sie ankommt und ob sie gehört werden kann“ (:13). Im Großen und Ganzen kommt sie nicht an und ihre Wirkung ist verheerend. Das betonte auch Ebeling ([1959] 1963:9): „Es gehört eine ziemliche Portion guten Willens dazu, angesichts des durchschnittlichen Predigtgeschehens nicht gelangweilt oder zornig, sarkastisch oder tief traurig zu werden.“ Da werde großer Aufwand für die Verkündigung getrieben. „Aber ist es nicht - von Ausnahmen abgesehen - die institutionell gesicherte Belanglosigkeit?“ (ebd.). Die Wirkungslosigkeit der Predigt hat in unserer Kirche also eine unheilvolle Geschichte. Die Predigt ist oft nicht nur wirkungslos, sie ist kontraproduktiv, bewirkt das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollte. Oftmals stärkt sie nicht, erbaut nicht, sammelt und sendet nicht. Sie vergrault. Wegen der Substanzlosigkeit der Verkündigung haben viele den Kirchgang aufgegeben. Der hohe theologische Rang, welcher der Predigt zukommt, lässt das Ausmaß und die Folgen ihrer Schwäche ahnen. Was würde sein, wenn sie auch nur annähernd ihrer Bedeutung entspräche. „Die Erkenntnis der offenkundigen Ohnmacht der heutigen Predigt schmerzt ja um so brennender, je tiefer die Wahrheit des 1.2.1. Ernüchternde Wirkung 43 neutestamentlichen Satzes begriffen wird, dass der Glaube aus der Predigt komme“ (Haarbeck 1961:8). Der Wechsel des Interesses von der Entstehung hin zur Wirkung der Predigt wurde durch die aus der Literaturwissenschaft kommende Rezeptionsästhetik (Warning, 1994), die Eingang in die Praktische Theologie gefunden hat, verstärkt. Martin (1983) und Grözinger (1995) haben sie für die Homiletik und darüber hinaus für die Praktische Theologie fruchtbar zu machen versucht. Dass die Rezeption und Wirkung der Predigt auch in unserer Zeit in den Blick homiletischer Bemühungen geriet, war überfällig. Doch wurde mit der Aufnahme der Rezeptionsästhetik ein ihr inhärentes Moment in die Homiletik übernommen, einen Predigtlehren anhaftenden unseligen Sachverhalt verstärkend. Rezeptionsästhetik, innerhalb der Literaturwissenschaft, fasst die Aufnahme bzw. die Wirkung eines literarischen Werkes im Blick auf die e i n z e l n e P e r s o n ins Auge. Sie denkt an den Leser, die Leserin. Predigt, wie das NT sie versteht, aber wendet sich genuin an eine verschworene G e m e i n s c h a f t . Dieser Umstand wird in den meisten Homiletiken schlicht übersehen. Sie sprechen bevorzugt im Singular vom „Hörer“. Predigtlehrer sehen die Gemeinde nicht. Sie haben offenbar selber nur Predigtpublikum erlebt, das man bei uns fälschlicherweise „Gemeinde“ nennt, ohne zu realisieren, dass Gemeinde Gemeinschaft ist, die sich als Leib erlebt, der sich um eine große ihn tragende Aufgabe sammelt, die Sendung nämlich, durch die ein Glied das andere handfest braucht, anstatt solches nur zu behaupten. So passt denn auch die auf Einzelne ausgerichtete literaturwissenschaftliche Rezeptionsästhetik nahtlos in das derzeitige homiletische und ekklesiologische Bild. Selbst Bohr n (1971: 443-498) sieht in seiner Predigtlehre als Adressaten der Predigt den einzelnen Hörer, keine Gemeinschaft geschweige denn eine Gesandtschaft. Das hindert ihn nicht, Barth zu kritisieren, der in seiner Homiletik notiert: „Als Prediger bin ich aufgerufen, diese Menschen da vor mir zu Gott zu rechnen. Das ist die grundlegende Voraussetzung der Predigt“ (Barth [1932/33] 1986: 67). Bohren (1979:42) kommentiert: „Wo Barth vom Hörer spricht, redet er einerseits von der Gemeinde und andererseits bleibt er individualistisch: In der Konkretion des angeredeten Hörers ‚hat die Predigt ganz persönlich zu sein’.“ 1.2.1. Ernüchternde Wirkung 44 Dass lediglich der einzelne Hörer als Gegenüber der Predigt gesehen und angesprochen wird, hat den Grund, dass es Gemeinde nach dem NT, wo sie Gemeinschaft und zugleich Gesandtschaft mit einem Rettungsauftrag ist, b e i u n s k a u m g i b t . Aber hatten wir nicht oben den Anspruch vernommen „ecclesia est creatura verbi“? Wenn es Gemeinde als Gemeinschaft und Gesandtschaft im biblischen Sinne bei uns kaum gibt, welch ein verbum ist ihr dann gepredigt worden? Damit befassen wir uns unten (1.3.). Der Umstand, dass die praktische Theologie in der Vergangenheit relativ wenig nach der Wirkung der Predigt gefragt hat, hat ihre Parallele in dem Schicksal, das der Predigt bis heute zumeist beschieden ist. Sie wird gehalten und in der Regel - sofort vergessen. Die Predigt ist einem Schiff zu vergleichen, das akribisch geplant, hingebungsvoll konstruiert, in harter Arbeit fertiggestellt wurde. Seitz (1978:14) konzediert denen, die predigen, „dass die meisten, wir können sagen fast alle Pfarrer in wachen und durchwachten, jedenfalls unsäglich mühseligen Stunden ihr Bestes für die Predigt geben.“ Sonntagmorgen versammelt sich die Gemeinde endlich – nach dem langen Weg, den die Vorbereitung der Predigt nahm - zum feierlichen Stapellauf. Nun zeigt sich, was das lange Theologiestudium und die „unsäglich mühseligen Stunden“ hervorgebracht haben: Kaum von Stapel gelassen, geht das Ergebnis größter Anstrengung im Hafen des Gemeindegottesdienstes unter. Das geschieht, von Liedern sang- und klangvoll begleitet, schmerzlos und schnell. Das Ergehen unserer Predigten erinnert an das des schwedischen Kriegsschiffs WASA, das am 10. August 1628 nach seinem Stapellauf im Stockholmer Hafen versank. Die Wasa riss etwa 50 Menschen mit sich in die Tiefe. Ihr Erbauer, der Schiffsbaumeister Henrik Hybertsson, wäre wohl geköpft worden, hätte er nicht kurz zuvor schon das Zeitliche gesegnet. Nach 333 Jahren, am 24. April 1961, wurde das Schiff gehoben und kann heute im Wasa-Museum in Stockholm besichtigt werden (Kvaring/Ohrelius 1994). Die Predigt hierzulande leidet am Wasa-Syndrom. Nach ihrem Stapellauf verschwindet sie alsbald in der Versenkung. Schon nach Minuten ist es oft, als habe es die Predigt nie gegeben. Warum gibt es sie dann überhaupt? Und warum versinkt sie so schnell in Vergessenheit? Der gewaltige Aufwand in Theologie 1.2.1. Ernüchternde Wirkung 45 und Gemeinde um ihr Zustandekommen und ihr jähes Ende nach dem Stapellauf machen keinen Sinn. Wenn Theologie in ihren sämtlichen Disziplinen als Predigtvorbereitung anzusehen ist, stellt sich die Frage: Wozu noch Theologie? Oder wenigstens: Wozu noch d i e s e Theologie? Solch eine Wirkung kann der Herr der Kirche nicht gemeint haben, als er seine Gemeinde sandte, das Evangelium zu predigen. Durch das vernichtende Schweigen der Gemeinde wird die Predigt zu einem Nichts erklärt. Ihr wird bescheinigt, dass sie nichts zu sagen hat. Wozu noch Predigt, wenn das Ergebnis so kläglich ist, dass ihr alsbaldiges Untergehen nicht einmal recht bewusst wird, geschweige denn schmerzt? Nun höre ich den Einwand, dass niemand ermessen könne, was Verkündigung bei Einzelnen an Stärkung, Trost, sogar Glauben bewirke. Der Einwand ist in dem Maße berechtigt, als die „Liebe Gemeinde“, an die das Wort Gottes ergeht, auch aus einzelnen Gliedern besteht. Dass Einzelne „etwas davon“ haben, sei nicht in Frage gestellt. Ihrem Wesen nach ist die Gemeindepredigt jedoch an die Gemeinde als Ganzes gerichtet. Was richtet sie da eigentlich aus? Wir sahen schon: Gemeinde, die substantiell und morphologisch ein Ganzes darstellt, findet sich in unseren Breitengraden kaum. Was soll die Predigt da im Ganzen ausrichten? Unseren Gemeinde ist der Leibcharakter verlorengegangen, wenn sie den in der Volkskirche denn je gehabt hat. In der Regel leben die Gemeindeglieder, ohne auf ein Ganzes bezogen, ohne z. B. Gesandtschaft zu sein, voneinander isoliert. Bohren (1989a: 94) sieht darin eine Wirkung der Predigt: „Die Isoliertheit der Christen spiegelt die Miserabilität der Predigt wider, wie andererseits die elende Predigt ein Produkt ist einer atomisierten Gemeinde ohne Gemeinschaft.“ Über vielen volkskirchlichen Gemeinden liegt der Geist der Lähmung, der durch Betulichkeiten nicht zu kompensieren ist. Sie wissen nicht, was sie nach Gottes willen sein könnten und sollten. Weiß die Gemeinde nicht, wozu sie da ist oder legt sie ihrem Dasein einen Sinn zu, der unter ihrer ewigkeitlichen Berufung bleibt, wird sie schwermütig. Das vermag sie durch Ersatzhandlungen und Aktivitäten auf Nebenschauplätzen kaum zu überspielen. So leiden viele Gemeinden unter der Diktatur des Mittelmaßes, ein bisschen Flohmarkt, ein bisschen Weihnachtsbasar, ein bisschen Dritte-Welt-Hilfe. Da ist keine Spur von der gottgegebenen Bestimmung, den großen Rettungsauftrag überhaupt noch zu 1.2.1. Ernüchternde Wirkung 46 kennen, geschweige denn, ihn wahrzunehmen. Christliche Gemeinden sind, was die politische Gesellschaft mit ihrem Vereinswesen betrifft, stromlinienförmig angepasst. Da ist nichts Besonderes, was sie unterscheiden würde. So legen sie sich gern eigene Aufgaben und Aktivitäten zu. Einem kamen Zweifel darüber, ob darum einer gekreuzigt sei, dass sich eines Tages in Kirchengemeinden Menschen um sich selbst bzw. um selbst erwählte Aufgaben versammeln: Zweifel Trefflich sorgt hierorts die Kirche für einige Nebenbedürfnisse des Mittelstandes. Gefragt sind: ein Hauch heiler Welt mit Dias und Filmen bei Kuchen und Tee. Ist dafür einer einst aufgehängt worden? Kurt Marti (1981:33) Würde sich eine Gemeinde ihrer Uraufgabe zuwenden - sòsai, retten! (1. Kor 1,21) - erführe der Flohmarkt, der Basar und das sozial-diakonischen Engagement eschatologische Aufwertung, wären sie dann doch in die Sendung integriert, wären ein Teil des missionarischen, auf die Ewigkeit gerichteten Ganzen. – Wir hatten gefragt: Besteht der hohe Anspruch, der mit der Predigt erhoben wird, angesichts ihrer Wirkung auf Gemeinde und Bürgergesellschaft zu recht? Wir stellen fest: Die Wirkung der Predigt ist, gemessen an ihrem Anspruch, ernüchternd. Thielicke (1986: 13-158) spricht vom „Verfall der christlichen Verkündigung“. Worauf der Verfall und damit die Wirkungslosigkeit der Verkündigung zurückzuführen ist, darüber gibt es verschiedene Ansichten, die auf ein Wurzelgeflecht an Ursachen verweisen. Wir sehen hier ab von den Schwierigkeiten, die der Kirche und ihrer Predigt wie ein scharfer Wind von außen, von der gewandelten Welt her, entgegenwehen. 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 47 Innerkirchlich wäre die „Gesetzlichkeit in der Predigt der Gegenwart“ (Josuttis 19692) als eine der Ursachen ihrer Wirkungslosigkeit zu nennen. Bohren (1971: 38) spricht von der Sprachlosigkeit und von einer babylonischen „Sprachverwirrung zwischen der Kanzel und dem übrigen Kirchenwesen.“ Er legt einen ansehnlichen „Lasterkatalog für Prediger“ vor (402-422). Thielickes Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Wort“ (1986) liest sich wie ein Kompendium des innerkirchlichen und pastoralen Fehlverhaltens im Blick auf die Verkündigung. Müller (1996: 157-169) widmet den „Predigtprobleme(n) der Gegenwart“ einen Abschnitt. Halver (Cornehl/Bahr 1970:24) sah die Schuld bei seinen Hörern und erging sich in „Publikumsbeschimpfung“. 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung „Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf geht heute um die teure Gnade“ (Bonhoeffer [1937] 1976:13). Bonhoeffers Protest gegen eine Kirche, die billige Gnade predigt, erging vor dem 2. Weltkrieg. In der Rückschau liegt zutage, dass er die Folgen der billigen Gnade wohl selber nicht geahnt, geschweige denn richtig eingeschätzt hat. Billige Gnade ist nicht nur der Todfeind der Kirche. Sie ist der Todfeind der Völker. Billige Gnade - das hat sich gezeigt - ist menschenzerstörend. Ihre Wurzeln hat billige Gnade in der Verharmlosung Gottes, die die Gottesfurcht aus Glauben und Denken verbannt. Dass es schrecklich ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebr 10,31), hat eine menschendienerische Kirche nicht zu sagen gewagt. Am Anfang steht die Verharmlosung Gottes. Sie macht die Gnade billig, verschleudert Vergebung, verschleudert Trost, verschleudert das Sakrament (Bonhoeffer [1937] 1976:13). Umkehr und Nachfolge erweisen sich als unnötig, werden sie doch durch die „Gnade“ ersetzt. Dass unser Erlöser auch unser ewiger Richter ist, verschwand aus dem Bewusstsein von Kirche und Volk. So schwand die Gottesfurcht. Das Ergebnis hat Namen: Auschwitz, Buchenwald, Bergen-Belsen. „Wer ohne Furcht vor dem letzten Gericht existiert, der wird keine Grenze respektieren …“ (Josuttis 1990:57). Rechtschaffende Theologie unterscheidet sich, so Bohren (1971), von müßiger Spekulation darin, „dass sie es mit dem verlorenen Menschen und dessen Rettung zu tun hat“ (:211). Bohren erinnert an den (theologischen) Angriff „gegen 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 48 das Lehrstück von der Erbsünde“ (:210). Über zwei Jahrhunderte war sie im Protestantismus mehr oder weniger verschwunden. „Ein Zeitalter, das an die Menschenwürde glaubte … konnte die Lehre von der Erbsünde nicht mehr verstehen, weil sie der neuentdeckten Menschenwürde zu widersprechen schien“ (:211). Sodann weist Bohren auf die möglicherweise verheerenden politischen Folgen, „spätestens dann, als der Glaube an die Menschenwürde zum Glauben an den Herrenmenschen sich wandelte …“ (ebd.). Zu untersuchen wäre „inwiefern eine deutsch-nationale Predigt im 19. und 20. Jahrhundert mit einem Verschweigen und Verschieben der Erbsündenlehre den Nationalsozialismus vorbereiten half“ (ebd.). Auch Lindner (2003:235), der sich auf den rheinischen Synodalbeschluss von 1980 zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden bezieht, sieht einen Zusammenhang zwischen dem Judenmord und kirchlicher Schuld: „Es hängt mit der Erschütterung der späten 70er Jahre zusammen - … dass in den rheinischen Texten auch der Schuldzusammenhang, der zum Judenmord im NS-Staat geführt hat, erstmalig als Folge von kirchlichem und theologischem Antijudaismus benannt wurde, während man sich bis dahin vor allem mit der Schuld des deutschen Volkes beschäftigte, die Kirche und ihre Tradition aber unbehelligt gelassen hatte.“ Kennzeichen kirchlicher Verharmlosung Gottes ist seine Inanspruchnahme für eigene Zwecke. Das hat bei uns Geschichte. Karl Hammer hat in seinem Buch „Deutsche Kriegstheologie 1870-1918“ (1974) Material dazu zusammengetragen. Was alles in und unter dem Namen der Theologie verkündet werden konnte, ist das Erschreckende in diesem Buch. Wir haben keinen Grund, in Besserwisserei zu verfallen. Wie stark die Erwartenshaltung in der Politik und in der Volkseele auch auf die Kirche und ihre Prediger einwirkte, ist aus der Retrospektive schwer nachzuempfinden. Theologen, deren biblische Klarheit uns vorbildlich erscheint, kamen ins Wanken. Bezzel, um nur einen zu nennen, hatte verurteilt, dass Geistliche in ihren Predigten gern dem Wunsch der Gemeinde entsprechen. Seitz (1960:217-219) sieht sich demgegenüber zu der Frage veranlasst: „Gab Bezzel in seiner praktischen Verkündigung im Gegensatz zu seinem Rat nicht selbst in einer Weise, die uns heute befremdlich erscheint, dem Druck der Verhältnisse nach? … die Gefahr, dass Politisches bzw. Völkisches vom Glauben her verklärt wurde, 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 49 umgab ihn unmittelbar.“ Von der Bereitschaft für das Vaterland zu sterben hatte Bezzel (zitiert in Seitz: 219) gesagt: „Das ist eine sittliche Kraft hinter der schließlich doch der Mann am Kreuz steht; das ist ein Opfergang, der letztlich doch von Golgatha her Kraft, Segen und rechte Bedeutung empfängt.“ Solche Gedanken waren in der Kirche lange vorher gedacht und gepredigt worden. In einer Kriegspredigt 1870/71 wurde Christus als Feldherr im damaligen Krieg vorgestellt, „der uns voranging den Weg des Heldenmutes und der Todesverachtung, indem er ein ander Leben uns eröffnet und uns zuruft mit Feldherrnmacht: Mir nach ihr Christen alle!“ (Hammer 1974:113). In einer Predigt zur Zeit des ersten Weltkriegs heißt es wie selbstverständlich: „Seinem Volk drückt Gott selbst das Schwert in die Hand; wir müssen es zücken, um unsere heiligsten Güter zu verteidigen. Wir hatten geglaubt, ihrer uns im Sonnenschein erfreuen zu dürfen. Gott hat es anders gewollt …“ (:98). Da wird selbst der Krieg zu einem Gottesdienst. Denn „… was anders bleibt für uns da übrig, als den uns von Gott verordneten Kampf als einen Dienst aufzufassen, den wir ihm zu leisten schuldig sind? Wir müssen jetzt – dazu sind wir berufen – Gott gegen die Welt verteidigen. In diesem Bewusstsein werden wir siegen auch über die Leiche des letzten Mannes hinweg“ (:100-101). Noch im März 1948 wird der Propagandaminister des Dritten Reiches, Göbbels, anlässlich einer Offensive rufen: „Wir ziehen in diesen Kampf, wie in einen Gottesdienst!“ Der Eliminierung von 6 Millionen Juden ging die Eliminierung der biblischen Verkündigung von Gott voraus. Ein Gott, der nicht zu fürchten ist, ist nicht der der Hl Schrift. Es ist der, den man sich völkisch oder persönlich dienstbar machen kann, in dem man vorgibt, ihm gerade darin zu dienen. In der Beseitigung der Gottesfurcht kann eine der entscheidenden Wurzeln der Rassenpolitik der Nazi gesehen werden. Hitler und seine Schergen waren getauft. Es waren gefirmte Katholiken und konfirmierte Protestanten. Welch einen Gott hatte die Kirche ihnen in ihrer Kindheit und Jugend gepredigt? Es war der harmlose Gott, unerbittlich zwar gegen Deutschlands Feinde, gnädig aber dem Deutschen Volk, der „Gott mit uns“, der Gott der billigen Gnade. Das ist in Predigtmanuskripten aus jener Zeit nachweisbar. Theologen wie Thurneysen und Barth kamen - als Zeitgenossen Hitlers und seiner Leute - eine Generation zu spät. Der, der 1937 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 50 gegen die billige Gnade schrieb, ist ihr acht Jahre später zum Opfer gefallen, einer von Millionen. „In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes … Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Christus … Aber wir wissen auch, dass diese billige Gnade in höchstem Maße unbarmherzig gegen uns gewesen ist … Sie hat uns den Weg zu Christus nicht eröffnet, sondern verschlossen … Das Wort von der billigen Gnade hat mehr Christen zugrunde gerichtet als irgend ein Gebot der Werke“ (Bonhoeffer [1937] 1976:13-26). Kirche, in ihren Predigten gnadenlos „gnädig“, hatte ein ganzes Volk um die Wahrheit betrogen, um die Wahrheit der teuren Gnade. Fragen wir danach, w o h i n p r e d i g e n f ü h r t , so weist eine der schrecklichsten möglichen Antworten auf diesen Betrug und damit - in Richtung Holokaust. Der Gottesbetrug hatte sich in einer Redensart manifestiert, in der vom „lieben Gott“. Die Sprache verrät uns. Hinter der Bezeichnung „der liebe Gott“ steht eine Gesinnung. Die Gesinnung der Verharmlosung des allein Heiligen mit gleichzeitiger Eliminierung der Gottesfurcht ist in ihren Folgen verheerend. Der aus dem Kriege heimkehrende Soldat Wolfgang Borchert erhebt nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches seine Stimme. Sie ist bei aller Beschwörung gegen die Möglichkeit neuer Kriege eine Anklage gegen die Verharmlosung des Höchsten. Nach dem zweiten Weltkrieg kehrt der Frontkämpfer in sein zerbombtes Deutschland zurück, jung und schwer verletzt. Mit den wenigen Kräften, die ihm bleiben, setzt er sich hin und schreibt. Borchert schreit sich literarisch von der Seele, was sich ihm in diesem Krieg an Lasten aufgelegt hat. Im November 1947 bricht sein Leben ab. 26 Jahre alt stirbt er an den Folgen des Krieges, den er in seinem Werk noch einmal durchleidet. Borcherts bekanntestes Stück ist: „Draußen vor der Tür“(1956). Darin beschreibt er den Soldaten Beckmann, der aus den Schrecken des Krieges nach Hause kommt. Sein Haus ist zerstört, seine Familie tot. Der Autor stellt durch Beckmann die Frage nach dem „lieben Gott“: „Oh, wir haben dich gesucht, Gott, 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 51 in jeder Ruine, in jedem Granattrichter, in jeder Nacht. Wir haben dich gerufen. Gott! Wir haben nach dir gebrüllt, geweint, geflucht! Wo warst du da, lieber Gott?“ (:42). Der „liebe Gott“, von den Deutschen in Gebeten und Redewendungen floskelhaft gebraucht, war wie dünnes Wasser in alle Schichten und Kreise der Bevölkerung eingesickert. „Ach, du lieber Gott“. „Der liebe Gott wird es schon machen.“ „Der liebe Gott wird uns helfen und unsere Feinde strafen.“ Eine Phrase nur? Hier drückt sich aus, was dem Volk durch seine Kirche in ungezählten Predigten und sonstigen Äußerungen vermittelt wurde. Den Höchsten zu einem uns willfährigen, lieben Gott zu verharmlosen, zeigt Verlust der Gottesfurcht. Mit dem lieben Gott im Herzen ging es gläubig in den Krieg. Da aber war kein lieber Gott. Da war das große Sterben. Leichen lagen in Löchern und Gräben. Entsetzliches produzierte Entsetzen. Der liebe Gott hatte sich wie ein feiger, alter Mann davongeschlichen. So stellt ihn Borchert dar in "Draußen vor der Tür": Gott - ein alter Mann, der die Welt nicht mehr versteht. Irgendwo in den Löchern von Stalingrad, in den Gaskammern von Auschwitz, in Hiroshima und Nagasaki hat der Alte seinen Geist aufgegeben. Darum konnte ihn auch niemand finden, der mit gläubigem Herzen an ihn in den Krieg gezogen war. In den Ruinen und Granattrichtern war er nicht. Da waren nur das Grauen, die Angst und das Entsetzen. Die mit dem gläubigen Herzen an den lieben Gott erfuhren, dass sie einer Täuschung erlegen waren. Es gab ihn nicht, den „lieben Gott“. Die Mutter aber hatte gesagt: „Der liebe Gott wird bei dir sein.“ - Sie jedoch waren alleingelassen worden - schrecklich allein. Der Pfarrer hatte erklärt: „Der liebe Gott wird euch helfen.“ - Aber sie haben mit zerrissenen Leibern stunden- lang vergeblich um Hilfe geschrieen. Und die religiöse Tante hatte behauptet: „Der liebe Gott wird dich beschützen.“ - Aber der war ausgeblieben mit seiner Nähe, mit seiner Hilfe, mit seinem Schutz. Maßlose Enttäuschung hatte sich bei denen breitgemacht, die derart betrogen worden waren. Als der Krieg zu Ende ging - ich war neun Jahre alt - habe ich mit offenen Ohren den Gesprächen der Männer gelauscht: „Ich glaube nie mehr jemandem etwas, keinem Führer, keinem Papst, keinem Gott!“ 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 52 Borchert sagt es so: „Wir kennen dich nicht mehr so recht, du bist ein Märchenbuchliebergott. Heute brauchen wir einen neuen. Weißt du, einen für unsere Angst und Not.“ (ebd.). „Wann bist du eigentlich lieb, lieber Gott? Warst du lieb, als du meinen Jungen, der gerade ein Jahr alt war, als du meinen kleinen Jungen von einer brüllenden Bombe zerreißen ließt? Warst du da lieb, als du ihn ermorden ließt, lieber Gott?“ Das kann kein lieber Gott sein, der so etwas zulässt! Da ist Borchert nicht der einzige, der das hinausschreit. Gottfried Benns „Stimme hinter dem Vorhang“ (1958:445) kennt die verzweifelte Frage: „Vor wem sollen wir noch knien? Der Alte hat uns auch im Stich gelassen, die Lage ist bitter.“ Nicht nur das ist wichtig, w a s in der Bibel steht. Es ist auch wichtig, was in der Bibel n i c h t steht. Wollte jemand in ihr die Formel „der liebe Gott“ suchen, er würde sie nicht finden. Im Buch der Bücher hat die verharmlosende Redewendung keinen Anhalt. Menschen deutscher Sprache sind aufgrund kirchlicher Predigt Opfer der Verharmlosung Gottes geworden. Die Verharmlosung ist längst in die Kirche zurückgekehrt, die Rede vom freundlichen, netten, alles verstehenden und darum alles verzeihenden, lieben Gott.. In heutigen Predigten feiert die Verharmlosung Gottes neue Triumphe. Thielicke (1986:64) schreibt von der Geschwätzigkeit auf der Kanzel, „obwohl das Wort verstummt ist.“ Mitten im Schreiben hält er inne (:65-66): „Ich unterbreche einen Augenblick, denn soeben kehre ich von einer Predigt zurück, deren atemberaubende Banalität mich völlig aus dem Gleis geworfen hat. Soviel Worte und nichts gesagt! … Lauter leeres Stroh, lauter Klischees, die dem Mann auf der Kanzel eben einzufallen schienen. … Wie sehr muss dieser Mann bei aller sonstigen Redlichkeit das Wort verachten, dass er so schlampig [es gibt wirklich kein anderes Wort] mit ihm umgeht … Hier ist alles Salz der Erde dumm geworden. Hier ist keine Verheißung mehr, sondern hier ist Verleugnung … Ich hatte den Geruch des Todes fast physisch in der Nase. Das ist sterbende Kirche.“ Bohren (Ev. Kommentare 8/91:496) beklagt mehrfach die Häresie der Harmlosigkeit: „In den Offenbarungen des Ewigen stürzen die Götter, werden Mächtige vom Thron gestoßen - und sei es die heute beinahe allein herrschende Kanzelmacht der Harmlosigkeit, deren Häresie landauf landab Christenseelen imprägniert und verdirbt … Harmlose Predigt macht harmlose Christen.“ 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 53 „Nicht so sehr die lauthals verkündeten Häresien verderben die Predigt des Evangeliums. Ihnen ist Widerstand zuleisten. Was die Predigt verdirbt, ist die heimliche Häresie der Sprache, die besagt, dass das Dogma in der theologischen Existenz nicht das Wort führt“ (Bohren 1971:418). „Aber wir müssen den Versuch wieder wagen, die Gewalten und Mächte anzureden. Und das können wir nicht. Und darum fließen denn die meisten unserer Predigten geradezu über von Harmlosigkeit“ (1963:58). „Plätschert die Häresie der Harmlosigkeit von den Kanzeln, ergreift Christodebilität das Wort …“ (1993:42). Wie anders die Bibel: „Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten“ (Röm 1,18-23). Der Zorn Gottes ist nicht einem vergangenen Zeitalter zuzurechnen. Er gilt zu aller Zeit allen ungerechten Menschen, seien sie Christen oder nicht. In seiner Schrift „Wider die Antinomer“ von 1539 schreibt Luther, dass man die Sünder zur Buße reizen solle „durch die Predigt oder Betrachtung des Leidens Christi, damit sie sehen, wie groß der Zorn Gottes über die Sünde sei, sodass keine andere Hilfe dagegen sei, das Gottes Sohn dafür sterben müsse“ (Luther 19642: 225). Daraus aber folgt für ihn ausdrücklich nicht, dass man das Gesetz deshalb wegtun solle. Luther hat vorausgesehen, was passiert, wenn nur Evangelium gepredigt wird und nicht mehr das Gesetz, nur die Liebe Gottes und nicht mehr sein Zorn. Dann wird Gott dem Menschen angepasst, verniedlicht, verharmlost. Heute mutet es vielfach an, als ob Gott nur noch lieb sein darf und darum muss es die Kirche auch sein. Sie möchte niemanden verärgern, möchte jedem möglichst nach dem Munde reden. Dem, was gängige öffentliche Meinung ist, z. B. dass Abtreibung zu legalisieren ist, wird nicht nur nicht widersprochen, sondern es wird dafür eingetreten. So macht man sich zum Knecht der Menschen. Mangelnde Gottesfurcht ist schlimmer als alles, legt sie sich doch ihren Gott nach Gutdünken zurecht, um dann in seinem Namen zu tun, was beliebt. Anders die Heilige Schrift. Sie kennt neben dem Evangelium das Gesetz, neben Gottes Liebe seinen Zorn. Der besteht dem ungehorsamen Menschen gegenüber darin, dass er ihn - sich selbst überlässt. Er lässt ihn tun, was er, vom Heiligen abgefallen, wesenhaft nur tun kann: „Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben - 1.2.2. Folgenschwere Verharmlosung 54 par™dwken aÇtoÁv é qeèv - in verkehrten Sinn, so dass sie tun, was nicht recht ist“ (Röm 1,28). Wenn der Mensch sich nur selber will, wird er sich nur selber haben. Damit aber beginnt sein Verderben. Damit beginnt Gottes Gericht, dass wir von ihm getrennt - an uns 1.2.3. Mehr Schein als Sein 55 selbst hingegeben - leben müssen. Unsere europäischen, christlichen Völker mit ihrem harmlosen Gottesbild stehen in diesem Gericht. Gottes Nähe wird uns bedingungslos geschenkt. Unsere selbst erwählte Gottesferne, den Ungehorsam, müssen wir, unsere Kinder und Kindeskinder teuer bezahlen. „Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr 10,31). Im Römerbrief begegnet das par™dwken später erneut. Nicht von uns ist weiterhin die Rede, sondern von Christus: „Welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben …“ (Röm 4,25). „Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben …“ (Röm 8,32; s. Gal 1,4; 2,20). Ans Kreuz hat Gott den, in dessen Leben kein gottloses Wesen war, für uns alle dahingegeben, den einzigen, der in der Lage ist, für alle bezahlen. So schrecklich der Zorn, so abgrundtief die Liebe. Die Würde des Menschen hat hier ihre tiefste Begründung. Nicolás Gómez Dàvila (1992:41) sagt: „Der Mensch besitzt nur Bedeutung, wenn es wahr ist, dass ein Gott für ihn gestorben ist.“ Am Kreuz verbrennt der harmlose‚ liebe Gott’. Am Kreuz aber brennt die Liebe Gottes - das Flammenzeichen der teueren Gnade. „Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft, teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt; teuer ist sie weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt. Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das leben seines Sohnes gekostet hat – ‚ihr seid teuer erkauft’ -, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist“ (Bonhoeffer 1976:15). Daraus ergibt sich Bonhoeffers Erkenntnis: „ N u r d e r G l a u b e n d e i s t g e h o r s a m , u n d n u r d e r G e h o r s a m e g l a u b t “ (:35). 1.2.3. Mehr Schein als Sein Das Hören des Wortes Gottes zielt auf Gehorsam. Das Neue Testament zielt auf ein Tun, das aus dem Hören kommt. Jesus sagte nicht „Lehret sie!“, sondern: „Lehret sie h a l t e n ! “ didskontev aÇtoÁv tjre²n pnta êsa neteilmjn Ãm²n (Mt 28,20). tjre²n - bedeutet ein Mehrfaches. Es wird verwendet, wenn ein Gefangener zu b e w a c h e n ist oder ein Gebäude. Es bedeutet auch 1.2.3. Mehr Schein als Sein 56 b e w a h r e n , a u f b e w a h r e n , v e r w a h r e n , a u f h e b e n – das alles zu einem bestimmten 1.2.3. Mehr Schein als Sein 57 Zweck oder für einen geeigneten Zeitpunkt, in unverletzten Zustand, auf Treu und Glauben oder jemanden u n v e r s e h r t e r h a l t e n . Des Weiteren heißt es b e w a h r e n im Sinne von n i c h t v e r l i e r e n oder a u f e t w a s a c h t e n (auf die Lehre oder das Gesetz), auch b e o b a c h t e n , e r f ü l l e n , h a l t e n . (vgl. Bauer 19715: 1612-1613). Dieses alles schwingt mit, wenn Jesus seinen Jüngern aufträgt, die neu Hinzugewonnenen alles halten zu lehren, was er ihnen, den Jüngern ebenfalls befohlen hatte. Die englische Good News Bible übersetzt: „teach them to obey.“ Schlatter ([1948] 1957:799) schreibt zur Stelle: „Die Kirche ist zum Handeln berufen. Ihr Merkmal ist, dass sie dem Gebot Jesu gehorcht. Dazu ist sie durch die gottheitliche Gegenwart Jesu bei ihr befähigt. Somit ist ihr Handeln im Glauben begründet …“ Glaube und Gehorsam der Jünger gegenüber dem Worte Jesu ist im Missionsbefehl vorausgesetzt. Nun sollen sie ihrerseits die qnj, die durch Glaube und Taufe Christen geworden und zur Gemeinde gekommen sind, lehren, im Gehorsam zu leben. Das geschieht in Vollmacht, wenn die Lehrenden selber gehorsam sind. Das Lehren im NT setzt bei Lehrenden und Lernenden Glaube und Taufe voraus, also Motivation aus tiefstem Herzen. Diese ist wichtig, denn Lehren und Lernen heißt nicht nur unverbindlichen Wissensstoff weiterzugeben oder vermittelt zu bekommen. Es geht um Verbindlichkeit und Treue, um Einübung in den Gehorsam, um Umsetzung, um Ausübung des Gebotenen. Lehre im NT zielt nicht allein auf Bildung, sondern auf Herzensbildung. (2. Kor 6,13; Hebr 8,10; 16; 13,9). Ist aber das Herz durch das Wort für das Evangelium gewonnen, so auch der Wille zum Tun des Guten. Das ist der „befreite Wille“, der den Bekenntnischriften wichtig ist.1 Ein Pseudo-Luthertum zitiert gern die letzten Worte des sterbenden Reformators „Wir sind Bettler, das ist wahr“. Ich habe persönlich mehrfach erlebt, dass in lutherischen Gemeinden durch Gottes Wort motivierte Gemeindeglieder zum missionarischen Aufbruch bereit waren. Schnell 1 Die Konkordienformel betont, dass ein freier Wille bei der Bekehrung des Menschen (d. i. die Umkehr des Herzens) nicht mitwirke (s. Eph 2,9). „Dagegen aber wird recht geredt, dass Gott in der Bekehrung durch das Ziehen des H. Geistes aus widerspenstigen, unwilligen willige Menschen mache, und dass nach sollicher Bekehrung in täglicher Übung der Buß des Menschen wiedergebo- rener Wille nicht müßig gehe, sunder in allen Werken des H. Geistes, die er durch uns tut, auch mit wirke“ (Bekenntnisschriften:780, s. auch CA VI“ Vom neuen Gehorsam“:58-59). 1.2.3. Mehr Schein als Sein 58 wurde ihnen vom Pfarrer Machbarkeitswahn vorgeworfen und beschwichtigend bis beschwörend, Luthers „Wir sind Bettler, das ist wahr“, entgegengehalten oder „es ist doch unser Tun umsonst, auch in dem besten Leben“ (EG 299,2). „Wir sind Bettler, das ist wahr“, ist ein feines Sterbemotto und gehört als Fazit an das Ende eines christlichen Lebens. Hätte Luther es jedoch in der missbräuchlichen Weise mancher seiner Epigonen zum Motto mitten im Leben gemacht, wäre es zur Reformation vermutlich nicht gekommen. „Ich vermag alles, durch den der mich mächtig macht“ (Phil 4,13) passt da schon eher zum Reformator. Um Nachfolge also geht es im didskontev aÇtoÁv tjre²n pnta ..., um Jüngerschaft. Diese ist nicht hoch genug zu veranschlagen. Es klingt fast enthusiastisch, was Schlatter (19541:355) in diesem Zusammenhang schreibt, aber entspricht der Bedeutung des „Lehret sie halten“: „Das ist der Beruf der Jünger; er ist groß über alles, was je auf der Erde unternommen worden ist, und doch still und demütig. Sie sollen nicht herrschen, sondern gehorchen und folgsam machen.“ Auf den Gehorsam, auf das Tun des guten Willens Christi läuft es hinaus, denn ihn allein bekennt die Gemeinde als ihren Herrn. Er beschließt die Bergpredigt mit den Worten: „Darum, wer diese meine Rede hört u n d t u t s i e , der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.“ „Und wer diese meine Rede hört u n d t u t s i e n i c h t , der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.“ (Mt 7,24-29). Jakobus ermahnt: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst“ (Jak 1,22). Ohne Gehorsam der Gemeinde gegenüber dem Wort Christi, ist dieser nicht als Herr geehrt und geachtet. Da ist das Bekenntnis im Munde der Gemeinde ein Lippenbekenntnis (Mk 7,6). Die Gemeinde ist eine Herr-Herr-Sagerin. Doketismus legt sich wie Mehltau über alles. Kutter (1912:28) wirft einem in lauter „Geist“ sublimierten Christentum vor, dass es „die großen Tatsachen des Glaubens gegen bloße subjektive Schattenspiele des Glaubens eingetauscht hat.“ „Dahin haben wir es gebracht mit unserer Predigt. Wir haben wichtig genommen, wo nichts wichtig zu nehmen war, und vernachlässigt, was wir wie ein Heiligtum hätten schützen müssen“ (:26). Unsere Gemeinden pflegen eine Mentalität, das Wort Gottes zu hören, ohne sich über seinen verbindlichen Charakter für die Gemeinde als Ganze im Klaren 1.2.3. Mehr Schein als Sein 59 zu sein. Mag das einzelne Glied für sich den Entschluss fassen, gehorsam zu sein, so ist damit über die Gemeinde als Ganze noch nichts gesagt. In einer Gemeinde habe ich Folgendes beobachtet: Sie hat einen predigtbegabten Pfarrer. Nach dem Gottesdienst schlägt ihm am Ausgang Wohlwollen entgegen: „Tolle Predigt!“ „Vielen Dank! Unwahrscheinlich gut!“ „Wieder ein Ereignis!“ „Echte Herausforderung! Bis nächsten Sonntag!“ Das wiederholt sich Woche für Woche, Monat für Monat und zieht sich durchs Jahr. Die Gemeinde fühlt sich sonntäglich herausgefordert. „Tolle Predigt!“ „Wiedersehen, bis nächstes Mal!“ Ein Predigtereignis folgt dem anderen. Langsam jedoch ermüden die Leute - auf höchstem Verkündigungsniveau. Thurneysen (1921:108) beschreibt die psychologische Situation von Christen, die nach einem Festtagsgottesdienst mit ernster, guter Predigt die Kirche in einer erhöhten Stimmung verlassen: „Angeregt plaudernd, vielleicht auch ernst versunken, strebt die Menge auseinander. Es haben alle auf den verschiedenen toten Geleisen, auf denen sie standen, einen Stoß erhalten, und nun sind sie wieder ein wenig ins Rollen geraten, bis sie – ach, wie bald – aufs neue zum Stehen kommen und eines neuen sonntäglichen Stoßes bedürfen.“ Da hat sich „das Gegenteil von dem ereignet, was sich ereignen müsste.“ Thurn- eysen sieht, dass die Predigt – „ausgerechtet die Predigt!“ - zu einem Mittel der Galvanisierung, der Oberflächenbehandlung „der toten Glieder der Kirche“ wird (:109). Eine Lösung der hier aufbrechenden Fragen bietet Thurneysen nicht. Wenn herausfordernd gepredigt wird, fragt sich, w o z u herausgefordert wird. Gott hat verheißen, dass sein Wort nicht leer zu ihm zurückkommt, sondern tut, was sein Wohlgefallen findet und „ihm wird gelingen, w o z u ich es sende“ (Jes 55,11). Biblische Verkündigung kennt ein „Wozu“, ein Gott wohlgefälliges sogar, dem Gelingen verheißen ist (s.3.3.). Wenn nach einer Fülle von herausfordernden Predigten Ermüdung eintritt, ist nicht nur nach der Vollmacht zu fragen. Da stellt sich die Frage nach W e g u n d Z i e l . Als Gemeinde Jahrzehnte unterwegs zu sein, angespornt durch gute Predigten, doch ohne Ziel, ist absurd. Wie soll die Gemeinde das in der Predigt Gehörte anwenden? 1.2.3. Mehr Schein als Sein 60 Diese Frage lässt sich nur im Zusammenhang einer Gemeinde beantworten, die zu einem verbindlichen Leib im Sinne des NT zusammengewachsen ist (Röm 12; 1. Kor 12). Entscheidendes vorwegnehmend (3.1.3. – 3.1.9.) sei schon hier gesagt: Zur Verbindlichkeit gehören ein klar umrissener Auftrag. Der liegt vor (Mt 28,18-20). Gemeinde nach dem NT ist Gesandtschaft. Sodann gehört eine Theologie und Praxis der Charismen dazu, die Einbindung der Charismenträger, die der Gemeinde zur Verfügung stehen, in einer Gestalt und Form, die das Einüben und Ausüben verschiedener gabenspezifischer Dienste ermöglicht. Gaben sind etwas hoch Sensibles. C h a r i s m e n h a b e n E n t f a l t u n g s b e d i n g u n g e n ! Werden diese nicht beachtet, verkümmern sie. Ohne konkrete Struktur einer sendungsorientierten Gemeinde verkommen die Gaben und die in ihr gehaltenen Predigten sind wie ungezielte Schüsse in die Luft. Gelegentlich frage ich Pfarrer bzw. Presbyter beim Kennenlernen: „W i e l a n g e leiten Sie schon Ihre Gemeinde?“ Kommen wir ins Gespräch, schiebe ich eine Frage nach: „W o h i n leiten Sie die Gemeinde?“ Meistens folgt irritiertes Schweigen. Dann: „Wie meinen Sie das?“ Die Frage nach dem „Wohin?“ im Zusammenhang von „Leitung“ wird in der durchschnittlichen volkskirchlichen Gemeinde nicht verstanden. Da wird verwaltet statt geleitet, betreut statt geführt. Ein konkretes Leitungs- bzw. Verkündigungsziel zu haben, ist nicht im Blick der Gemeinde. Dass Menschen Gottes Wort nicht mehr hören, ist schlimm. Gottes Wort jedoch hören und nicht tun, was es sagt, ist nicht dasselbe, als ob man nichts gehört hätte. Der Bergprediger macht es klar: Wer Gottes Wort nicht hört, ist besser dran als der, der es hört – und nicht tut. Dieser baut auf Sand (Mt 7, 24-28). Das nennt Jesus töricht. Christen tun viel, aber sie tun in der Regel, was sie wollen und nicht, was sie sollen. Was haben engagierte Kirchenchristen nicht schon an Predigten gehört! Wie vielen Gottesdiensten haben sie beigewohnt, an wie vielen Bibelstunden teilgenommen, wie viele Mitschriften angefertigt, wie viele Unterstreichungen in der Bibel. Und dann nicht tun, was Gott sagt – das ist ein Aufwand um nichts. Das Gehörte will Gestalt gewinnen, es ist zu praktizieren, umzusetzen in ein Tun! Sonst werden Mitschriften zu Anklageschriften (Mt 7, 21- 23). 1.2.3. Mehr Schein als Sein 61 Gottes Wort hören und nicht tun, ist unklug. Würde ein Klavierlehrer seine Schüler nach kirchlicher Weise unterrichten – sie würden nichts lernen. Es wäre töricht zu meinen, ein Stück durchs bloße Hören acht Tage später zu beherrschen. Hören ist der e r s t e , wichtige Schritt des Lernvorgangs. Danach aber ist das Gehörte einzuüben und zu praktizieren. Gehorsamsschritte können nicht übersprungen werden. Paulus schreibt an Timotheus: „Übe dich in der Frömmigkeit!“ (gÀmnaze dš seautèn; 1.Tim 4,7). Gottesfurcht will eingeübt sein. „Das Z i e l der Unterweisung ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1,5). Biblische Unterweisung hat Liebe zum Ziel! Die ist konkret. Das Gehörte ist zu tun. Alles andere ist Selbstbetrug (Jak 1,22). Sind wir mit diesen Hinweisen auf ein gesetzliches Gleis geraten? Immerhin hat Josuttis (1995:110) formuliert: „Wer das Handeln Gottes in unserer Wirklichkeit nicht mehr aussagen kann, der flieht in die Verkündigung eines Gebots, das vom Menschen ein Handeln verlangt.“. Von Gesetzlichkeit ist die Paraklese zu unterscheiden. Vom Evangelium herkommend, ruft sie zur Erneuerung des Sinnes (Röm 12,2), fordert zur Übung und Ausübung heraus. Durch Üben entwickelt sich, was der Gemeinde geschenkt wurde. Biblische Ermahnung befreit Glaubende aus Lähmung und Apathie, ruft die Gemeinde auf zu sein, was sie längst ist. Das fördert und führt in die Freude. Das Unterdrücken der Gabe und das Behindern der Gemeinde im Blick auf ihre Aufgabe verführt dagegen zu einem Tun als ob. Eine unechte Situation entsteht. Große Bibelworte klingen plötzlich hohl, verkommen zur religiösen Phrase. Die Währung des Wortes Gottes ist nicht mehr durch die Anwesenheit des Geistes und der Liebe gedeckt. Der Befehl des Auferstandenen lautet: „Lehret sie halten a l l e s , was ich euch befohlen habe!“ (Mt 28,20). Das mag verwirren. Hat Jesus doch vieles befohlen. - Es ist dieses Viele aber i n E i n e m g e b ü n d e l t , im Glauben an ihn, dem Einen, der die Vielzahl von Geboten in der Theorie und Praxis der älteren Theologie im D o p p e l g e b o t d e r L i e b e zu einer Einheit zusammenfasste.1 Da wird das Viele nicht nur überschaubar. Es schmilzt auf das Eine, auf das Wesentliche: „Der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“ (Gal 5,6), 1 Dazu Schlatter (19053:540): „Die durch den Glauben lebende Gemeinde tut dar, dass Gott durch Christus sie begabt, führt und belebt. Das hat Jesus dadurch erreicht, dass er das Glauben, indem er es auf sich selbst richtete, von allem zu befreien vermochte, wodurch es vor ihm gebunden war“ 1.2.3. Mehr Schein als Sein 62 dieser Glaube lebt vom Empfangen der Liebe, zu der er gerufen ist. Einzelaspekte der Verkündigung Jesu sind Variationen über ein Thema! Als Jesus die Jünger sendet, blickt er auf das Liebesgebot, in dem die Sendung ihr Wesen hat und das andererseits Herzstück eben dieser Sendung ist (Hanssen 1999:13-30). Kutter (1912:146) bringt es auf den kurzen Satz: „Liebe ist Rettung der Seele“. Er meint es umfassend, ewigkeitlich und zeitlich zugleich. „Wo keine Liebe ist, da auch keine Seelenrettung. Liebe aber ist das Interesse an den Menschen um ihrer selbst willen, ... Sie kann nicht anders als ihre Sonne aufgehen lassen über Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte“ (:151). Wir aber haben das eine Thema verdrängt, sind einer Themenfülle erlegen, die uns den Atem raubt, eine Parallele zur Theorie und Praxis der Theologie des Judentums, das in seiner Kasuistik zu einer „zerstückten Gerechtigkeit“ führte, die nie ein Ganzes wurde (s. Schlatter 19053:541). Die Liebe zu Gott und den Nächsten, die sich in der missio Dei konkretisiert, ist durch eine Fülle von Themen und sozialen Taten überlagert. Das missionarisch gestimmte Liebesgebot geriet unter die Räder. Statt heiliger Einfalt regiert unheilige Vielfalt. Praktisch gesprochen: Die Gemeinde hört zu viel. Alles im Kopf zu behalten, im Herzen zu bewegen und dann auch noch zu tun, dazu fehlt die Kraft. Wie will die Gemeinde in einem kurzen Leben alles tun, was ihr gepredigt wird? Viele Themen werden angesprochen, aber kaum eines wird aufgegriffen, geschweige denn angepackt und durchgeführt. - Stellen wir uns die Themenfülle vor, der eine Gemeinde allein in einem Monat ausgesetzt ist. (Ähnlichkeiten sind beabsichtigt). Wir gehen davon aus, dass ihr Prediger zu Herzen gehend verkündigt. 1. Sonntag: „Gebet“: „Wir müssen mehr beten“, entfaltet der Prediger eindringlich. Die Gemeinde geht beeindruckt nach Hause: „Wir müssen mehr beten.“ Bibelstunde: „Abraham“: „Wir brauchen Männer wie Abraham!“, entfaltet der Prediger. Die Gemeinde ist beeindruckt: „Wir brauchen Männer wie Abraham.“ 2. Sonntag: „Heiligung“:„Wir brauchen mehr Heiligung.“ Die Gemeinde geht beeindruckt nach Hause: „Wir brauchen mehr Heiligung.“ Bibelstunde: „Diakonie: „Wir müssen die Diakonie viel ernster nehmen.“ Die Gemeinde ist beeindruckt: „Wir müssen die Diakonie viel ernster nehmen.“ 3. Sonntag: „Wiederkunft Christi“: „Rechnet mit der Wiederkunft ihres Herrn!“ Die Gemeinde geht beeindruckt nach Hause: „Die Wiederkunft ihres Herrn.“ Bibelstunde: „Äußere Mission“: „Wir müssen die Mission viel ernster nehmen!“ Die Gemeinde ist beeindruckt: „Wir müssen die Mission viel ernster nehmen.“ 1.2.3. Mehr Schein als Sein 63 4. Sonntag: „Nächstenliebe“: „Nächstenliebe – darauf kommt es nun wirklich an!“ Die Gemeinde geht beeindruckt nach Hause: „Nächstenliebe – darauf kommt es an!“ Bibelstunde: Die Schöpfung“: „Die Schöpfung zu bewahren ist das Gebot der Stunde!“ Die Gemeinde ist beeindruckt: „Die Schöpfung bewahren! Gebot der Stunde!“ Die Gemeinde ginge an Überforderung zugrunde, würde sie ernst nehmen, was der Prediger sagt. Der aber erwartet gar nicht, dass man ihn ernst nimmt. Und die Gemeinde spürt, dass er es nicht erwartet. Große Worte werden gelassen ausgesprochen. Es ist, als gäbe es zwischen Prediger und Gemeinde eine heimliche Absprache: „Ich predige, aber ihr dürft euch nichts dabei denken.“ Man stelle sich vor: Jemand notiert sich, was der Gemeinde in einer Predigt an Appellen, Aufforderungen, Imperativen begegnet. Nach der Predigt käme er nach vorn und sagte: „Ich habe 12 Appelle an unsere Gemeinde vernommen, welches ist der wichtigste Appell und w a n n fangen wir w i e damit an, ihn in die Praxis umzusetzen?“ – Er würde auf völliges Unverständnis stoßen. Diese Predigtweise auf Jesu übertragen ergäbe etwa folgendes Bild: Jesus ruft den Menschen zu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ (Mt 11,28). Nun kommen die Leute, seinen Ruf ernstnehmend, zu ihm. Jesus fragt: „Was wollt Ihr? Warum kommt ihr zu mir?“ „Du hast gesagt, wir sollten zu dir kommen.“ Als volkskirchlicher Prediger müsste Jesus sagen: „Verzeiht, das war doch nur eine Predigt.“ Unsere Predigtpraxis produziert religiöses Theater. Kirche ist zur Scheinwelt geworden. Doketismus regiert. Predigt wird als „Offenes Kunstwerk“ diskutiert (Martin 1983), wo jeder das Wort für sich interpretiert und entscheidet, was es ihm bringt. In Gemeinden, die keine sie einende Aufgabe haben, die aus einzelnen Gliedern besteht, ohne Leib zu sein, macht das durchaus Sinn. Die Schrift aber sieht weiter: „Wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampf rüsten?“ (1. Kor 14,8). Wir Prediger sind überdies außer der Predigtvorbereitung mit allem Möglichen anderen beschäftigt, dass wir zum Tun der vielen Dinge, die wir da sagen, natürlich selber auch nicht kommen. Die Kirche des Wortes redet und hört sich das Wort - zum Gericht. Wer ist Schuld? Sind es die Hörer? Sind es die Prediger? - Beide sind Opfer eines Verlustes, in einem geistlosen System der Unverbindlichkeit, das weder 1.2.3. Mehr Schein als Sein 64 biblisch, noch vernünftig ist und darum auch nicht funktioniert. Lutherische Theologie betont die zentrale Stellung des Wortes, kommt der Glaube doch aus der Predigt. Glaube aber ist Gehorsam. W i r haben durch Christus Gnade und Apostelamt empfangen, in seinem Namen „den G e h o r s a m d e s G l a u b e n s aufzurichten unter allen Heiden“ (Röm 1,5). Das Wort, das den Glauben wirkt, bewirkt nicht automatisch Gehorsam. Es fordert ihn. Gottes Geist vertritt uns im Gebet – wenn wir beten. Im Gehorsam vertritt er uns nicht. Hören ohne Gehorsam stumpft ab und verstockt (Hebr 4,7). Hören, ohne die Umsetzung des Gehörten in konkretes Tun, erzeugt eine kirchliche Scheinwelt mit Scheingemeinden. Die sogen. „Gottesdienstgemeinde“ verkommt zum unverbindlichen Predigtpublikum. Warum schneiden wir in unseren Gottesdiensten immer neue Themen an und führen fast nichts davon durch? Warum bleiben wir nicht solange bei e i n e m , bis es umgesetzt ist und im Gemeindeleben Fuß gefasst hat? Wir reden und reden wie von einer Wortmagie besessen. Dabei führt Hören ohne Gehorsam zur Verstockung. Unser System gibt der Gemeinde überhaupt keine Möglichkeit des Gehorsams, muss sie doch am nächsten Sonntag schon wieder neue, ganz andere Appelle verkraften. Unsere vielen Reden verstocken die Gemeinde, sodass sie in spirituelle Lähmung verfällt „Die Tibetaner haben Gebetsmühlen und wir Predigtmühlen“ (Bohren 1969:166). Wir dürfen solange kein neues Thema behandeln, bis das letzte verstanden und umgesetzt ist. Anderenfalls signalisieren wir, dass es uns mit dem vorigen Thema nicht ernst war und mit dem jetzigen auch nicht. Predigten, die den Anspruch erheben, Gottes Wort zu sein, darf man nicht einfach vergessen, gilt es doch das Gelernte zu bewahren und umzusetzen - tjre²n - , was aber nur gelingen kann, wenn es auch eingeprägt wird. Jesus, der aramäisch und hebräisch sprach und dachte, wird nie und nimmer eine Predigtweise wie unsere kirchliche vor Augen gehabt haben, als er den Elfen befahl, die als Jünger Gewonnenen zu lehren. „Hebräisches Denken will immer ins Gedächtnis rufen und einprägen. Hören wir den normalen Prediger, sehen wir die katechetische Arbeit, so fällt der Mangel auf: man kann nicht in die Tiefe führen und wiederholen, man will möglichst wenig einprägen … Das hebräische Denken will nicht einen geistigen Vorgang verständlich machen, sondern es will darüber hinaus geistige Vorgänge in konkretes Leben übersetzen … Nur so kann auch die 1.2.3. Mehr Schein als Sein 65 christliche Tradition verarbeitet werden. Unsere Predigten sind deshalb so arm, weil sie unfähig sind, das Sprechen Gottes ins Gedächtnis zu rufen und einzuprägen“ (Michel in Lindner 2003:227-228). Niemand darf über ein begonnenes Thema hinweggehen, man muss es einprägen, umsetzen, dabei bleiben, verweilen, es bedarf der Wiederholung, der Einübung. Es ist in der Bibelstunde und am nächsten Sonntage zu vertiefen, weiterzuführen: „Wie ist es uns in der letzten Woche damit ergangen?“ „Was heißt das für uns, jetzt?“ „Wie können wir das leben?“ „Können wir so weitermachen?“ „Müssen wir uns ändern oder ist Beharrlichkeit von Nöten?“ Eine individualisierende Predigt wird auf das alles verzichten. Sie aber ist es, die der Zersplitterung zuarbeitet, Gemeindewerdung im Sinne des Leibes Christi verhindert und die Gemeinde im Blick auf ihren hohen Auftrag in der Welt beständig lähmt. Das Elend des kirchlichen Systems besteht darin: Das Wort, das Gestalt annehmen will, bleibt unverbindlich und damit gestaltlos. Es wird nicht Fleisch, verbleibt in der Sphäre der Akustik, verändert kaum die Lebenswirklichkeit der Menschen und der Gemeinde. Jesus kam, um die Welt zu erlösen und Jünger zu machen. Er sagte nicht: „Hört Predigten!“, sondern: „Seid meine Nachfolger!“ Nachfolge erschöpft sich nicht im Reden und Hören, sondern meint gehorsames Tun. In einem Seminar erzählte uns ein Student, sein Vater sei Pfarrer. Zu Hause habe es am Küchentisch zwischen dem Vater und dem viel jüngeren Bruder eine Auseinandersetzung gegeben. Nachdem der alte Herr seinem Ärger Luft gemacht hatte, habe der Bursche gefragt: „Vati, hast du das jetzt wirklich gemeint oder war das eine Predigt?“ Unwirklichkeit liegt in der Luft, und ein Kind hat eine Frage. Die Leiter sind dazu da, die Gemeindeglieder zuzurüsten zum Dienst (Eph 4,11) und nicht, sie mit religiösen Themen zu unterhalten. Viele Pfarrer aber sind spirituelle Entertainer. Auch Jugendleiter fungieren meistens als Unterhalter der Jugendlichen. „Zurüstung zum Dienst“? Wenige nur wissen, was das ist. Jesus lehrte seine Jünger und sandte sie aus, das Gelernte anzuwenden, (Lk 10). Als sie zurückkamen, berichteten sie: „Selbst die Teufel sind uns untertan in deinem Namen.“ Jesus korrigierte sie daraufhin. Er war ihr Lehrer, ihr Praxisbegleiter, Supervisor und Trainer. Das alles hatte eine durchdachte Struktur. 1.2.3. Mehr Schein als Sein 66 Eine Struktur ist das Skelett, das den einzelnen Gliedern und Organen Anhalt, Einord- 1.2.4. Missbrauch des Ewigen 67 nung, Entfaltungsmöglichkeit und Begrenzung gibt. Jesus, dem Zimmermann, war strukturelles Denken nicht fremd. Darum wusste er auch in diesen Belangen, was er wollte. Er verfolgte mit dem, was er tat, e i n Ziel. Das geistliche Amt unserer Tage repräsentiert ihn schlecht. 1.2.4. Missbrauch des Ewigen „Wir sind weder hier, um eine Strafe abzubüßen, noch um erlöst zu werden. Wir sind da: kontextlos.“ So beschreibt der Philosoph, das postmoderne Lebens- gefühl (Strasser 1998:16). Unsere Zeit glaubt, begriffen zu haben: Es ist kein Gott. Der Mensch kennt nur sich selbst. „Ausdrucksverlust und Kontextlosigkeit: darin verharrt das religiöse Empfinden heute“ (43). Strasser (:50; 237) spricht von „Immanenzverdichtung“, von der Säkularisierung als der „Verweltlichung aller Dinge zwischen Himmel und Erde“ (:9). Die umfassende Säkularisierung zerstöre die Strukturen der Solidarität, es komme zu einer inneren Verwüstung. Unsere Zeit habe dicht gemacht, hat sich verkrochen in sich selbst. Wie reimt sich das mit der gegenwärtigen r e l i g i ö s e n H o c h k o n - j u n k t u r zusammen? Wertestudien (Zulehner und andere:1991; 2004) sehen in einer aufkommenden Spiritualität mehr als einen Megatrend. Die monolithische Säkularisierungshypothese ist längst brüchig geworden. In den 60ern hatte Cox die „Stadt ohne Gott“ vorhergesagt. Heutige Daten erweisen das Gegenteil. Besonders in den europäischen Großstädten kehren nach Zulehner Gottesglaube, Gebet und Meditation zurück. In allen europäischen Großstädten - mit Ausnahme von Paris - nähme der Gottesglaube zu. Neues religiöses Fühlen - nach den Wertestudien - sieht Religiosität als persönliche und private Angelegenheit. Es geht darum, das Leben zu vervollkommnen und zu verbessern, Religiosität soll dem Dasein Sinn geben, trösten, das Leben leichter machen, den gemeinschaftlichen Nutzen mehren. „Neue Religiosität“ orientiert sich weniger an ideologischen Fragen, sondern schaut nach dem praktischen Nutzen von Religiosität, vor allem mit Hinblick auf das eigene Leben, aber durchaus auch auf das gesellschaftliche Wohl. „Neue Religiosität“ ist skeptisch und in ihrer Grundhaltung religionskritisch. Sie ist durchaus geschichtsbewusst, darum zurückhaltend gegenüber Institutionen und Autoritäten. Sie begegnet dem christlichen, persönlichen Gott mit Vorbehalt. In 1.2.4. Missbrauch des Ewigen 68 religiösen Fragen hält sie sich mit Wertungen und Beurteilungen zurück, ist um Toleranz bemüht. Sie ist offen, undogmatisch, denkt pluralistisch. „Neue Religiosität“ hat neue Punkte, an denen sie sich orientiert: Gefühl und das Suchen nach Erlebnissen geben dem religiösen Denken und Fühlen eine neue Zielrichtung; das eigene Ich, das Selbst, das persönliche Glück, praktischer Nutzen, Harmonie und Einheitsstreben sind wesentlich. Um sich für unterschiedlichste religiöse Erfahrungen und Zugänge offen zu halten, hält man sich mit vorschnellen Überzeugungen und Entscheidungen zurück, scheut Festlegungen, vermeidet Verbindlichkeiten (Zulehner 2001). Es ist evident: Die boomende Religiosität ist vorwiegend auf den Menschen und weniger auf Gott gerichtet. Vorherrschend ist es das eigene Selbst, auf das die Religiosität schaut. Eine schillernde Formulierung macht im evangelischen Raum die Runde. Es gehe in unserem Glauben darum, d a s s d a s L e b e n g e l i n g t . Zu dieser Problematik hat sich Schneider-Flume (2002) geäußert. Sie spricht von der „Tyrannei des gelingenden Lebens“ (:14) „Unter der Erwartung des Gelingens angetreten, haben die Scheiternden einen schlechten Stand“ (:15). Das Lebensverständnis der biblischen Tradition aber stehe gegen den Druck, unter den das Leben durch die Forderung des Gelingens geraten ist. Nicht das Gelingen – was ist das überhaupt? – gibt nach der Schrift dem Leben Sinn und Erfüllung. Gott selbst ist Ursprung und Fülle, ist Liebhaber des Lebens. „Umso überraschender ist es, dass gerade Theologen anfällig sind für die Rede vom gelingenden Leben. Nicht selten sollen Aktualität und Relevanz der christlichen Botschaft und des Glaubens dadurch erwiesen werden, dass sie gelingendes Leben gewähren oder gar garantieren“ (:15). Gott und Gelingen sind nicht gleichzusetzen. Schneider-Flume fragt, ob bei der Verbindung von Glauben, gelingendem Leben und Sinntotalität, positives Denken, politische Religion und Harmonievorstellungen nicht eine zu enge ideologische Verbindung eingehen, die dem Gott, der sich in der Bewegung des Erbarmens erschlossen hat, widerspricht (:114). Man verfehle, so die Autorin, die Geschichte des Erbarmens, wenn man Gott als Bedingung der Möglichkeit gelingenden Lebens bestimmt. Der Zwang zum Gelingen wird nicht zuletzt durch das Kreuz Christi infrage gestellt. 1.2.4. Missbrauch des Ewigen 69 „Der christliche Glaube erkennt im Blick auf das Kreuz Jesu Christi, dass Gott selbst an dem Ort der äußersten Gottverlassenheit ist – es gibt kein Außerhalb Gottes -, dass Gott Leben schafft, wo Leben zerstört ist, und dass Gott Menschen erneuert, die vermeintlich nichts mehr zu erwarten haben und im Blick auf die es nach menschlichem Ermessen nichts mehr zu ermessen gibt“ (Schneider-Flume 2002:117). Das Postulat vom gelingenden Leben stellt den Menschen, seine Interessen und seine Bereiche in die Mitte, nicht das Gottesreich. Es unterscheidet sich solche Vorstellung vom christlichen Glauben grundsätzlich nicht mehr von der neuen Religiosität. Unterschiede existieren nur im Formalen. Ähnlich wie Schneider- Flume argumentiert Neubauer: „Es geht um das Glück des einzelnen Menschen, des Individuums. Und hier haben sich die Kirchen mit der Funktionalisierung des Evangeliums angesiedelt, allerdings weniger programmatisch als effektiv. Wem das Wort Glück zu flach scheint, setze ein anderes an die Stelle: Sinnbedürfnis. So funktionalisiert sind die Kirchen dazu da, auf die Fragen des Sinnbedürfnisses der Menschen eine befriedigende Antwort zu geben. Gelingt ihnen das, dann haben sie ihren Auftrag erfüllt und Menschen wirklich gewonnen. Gelingt ihnen das nicht, verlieren sie ihre gesellschaftliche Berechtigung und verlieren die Menschen an andere ‚Sinnanbieter’“ (Neubauer 1994:62). Neubauer meint, dass im Sinnbedürfnis eine echte Aufgabe der Kirche angesprochen ist. Sie habe jedoch die Tendenz, an die erste Stelle aller Aufgaben zu treten und das Evangelium selbst zu verdecken. Die Bibel ist keine Gebrauchsanweisung für ein glückliches Leben. Wenn die irdisch verstandene Glücksfrage zur Leitlinie kirchlichen Redens und Wirkens werde, dürfe Glaube bald nur noch im Rahmen der frommen Selbstversorgung und Selbstgenügsamkeit zugelassen werden. Auch Sendung und Dienst zählen nur, wo sie glücklich machen, also eine Tendenz zur Selbstbedienung bestehe. „Wenn das organisierte Glücksstreben der Menschheit selber zur ultimativen Bedrohung des Lebens wird, wie es heute global der Fall ist, befindet sich eine Kirche in einem tiefen Dilemma, deren Wirkungsziel die Befriedigung menschlicher Glücks- und Sinnbedürfnisse ist. Sie ist ja dann Teil des Angebotes im großen Warenhaus der Welt, worin Menschen sich bedienen, um in den Besitz von Glück und Lebenssinn zu kommen. Ihre wahre Aufgabe aber in solcher Zeit, die Menschen aus diesem Warenhaus herauszuleiten, 1.2.4. Missbrauch des Ewigen 70 kann die Kirche dann so nicht wahrnehmen. Möglicherweise liegt hier ein Grund für ihre eigenartige Lähmung in unserer Zeit. (Neubauer 1994:62-63). Eine Schieflage ist eingetreten: Der Glaube ist nützlich. Gott ist nützlich. Unterschied Schleiermacher zwischen dem zweckfreien darstellenden und dem wirksamen Handeln des Gottesdienstes, so bemächtigt sich die Erlebnisgesellschaft sogar noch des Zweckfreien. Religion wird vermarktet. Für den katholischen Theologen Metz ist „Unterbrechung“ die kürzeste Formel für Religion. Zur heilvollen Unterbrechung der modernen Ratlosigkeit und Umtriebigkeit komme es, wo Gott in unsere alltägliche Wirklichkeit einbricht (Körtner 2002:V). Religion jedoch, die ihrerseits vermarktet wird, unterbricht nicht das marktförmige Leben, sie vergrößert sein Angebot. „Der gläubige Mensch ist immer in Gefahr, seinen Anti-Theismus zu verleugnen. Er will Gott in den Weltlauf hineinziehen“ (Strasser 1998:63). Selbst in der Kirche verkommt Gott zum Instrument der Weltverbesserung, der Lebenssanierung. Religiöse Immanenzverdichtung. Im Urlaub sitze ich unter der Kanzel eines eloquenten Predigers. Sein Thema: „Wie gehen wir am besten mit Stress um?“ Sein Text ist Jes 40, 28-31. Gott „gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.“ Der Gesamtabschnitt Jes 40,12-31 ist in der revidierten Lutherbibel von 1984 treffend überschrieben mit „Israels unvergleichlicher Gott“ und breitet die Herrlichkeit und Größe Gottes vor den Lesern aus. Dass das auch den Menschen zugute kommt, ist evident, aber nicht der Skopus des Textes. Gott, der die Welt geschaffen hat, wird nicht müde. Von seiner Kraft gibt er genug, denen, die müde sind. Ein Paradox wird nach zwei Seiten entfaltet: Die als stark gelten - „Männer, Jünglinge“ - kommen zu Fall. Den Schwachen und Unvermögenden aber gilt die Verheißung. Sie, die von sich nichts mehr, aber von Gott alles erwarten, kriegen aufgrund eines umwandelnden Handelns Gottes - neue Kraft. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen“ (Lk 1,52). Der Prophet stellt den gebenden Gott in die Mitte. 1.2.4. Missbrauch des Ewigen 71 Anders der Prediger: Nicht am ewigen Gott, hat er seine Lust (Ps 37,4). Vom dem ist wenig zu hören. Was er ist und tut, ist nur insofern von Interesse, als er für uns n ü t z l i c h ist. Wie er und der Glaube an ihn uns in der Stressbewältigung hilfreich sein kann, darum geht es eine Predigt lang. Gott wird funktionalisiert, instrumentalisiert. Es geht um die entstressende Wirkung, die das Vertrauen auf den Herrn für Stressgequälte ausübt. Nicht der Herr ist der Leitgedanke sondern das, was wir davon haben. Stellt der biblische Text den Herrn vor Augen, den ewigen Gott, der in allem, was er ist, herrlich ist, wird er durch die Predigt als eine brauchbare Medizin verabreicht, die hilft, Stress zu vermeiden oder zu überwinden, die wir nun aber auch unbedingt einzunehmen hätten! Predigten verkündigen gern den nützlichen Gott. Eine aufgekommene Wertediskussion macht seine Nützlichkeit zusätzlich plausibel, gehen doch mit dem Glauben an ihn Ehrlichkeit, Fleiß, Zuverlässigkeit und andere Tugenden einher, die dringend gebraucht werden. Gegen den Aspekt der Nützlichkeit und Verwertbarkeit Gottes wehrt sich die Heilige Schrift. Von alters her liegt ein Ahnen in der hebräischen Sprache: „Heilig“ – vAdôq' - und „u n n ü t z “ ist dasselbe Wort. Das Heilige verwahrt sich dagegen, unter Nützlichkeitsaspekten verrechnet zu werden. „Die Bibel ist der unaufhörliche Protest wider die Herabwürdigung Gottes und seiner Offenbarung zum Mittel irdischer Zwecke“ (Kähler 1937:87). Es geht nicht um die Frage „Glaube – ja oder nein?“, sondern was Glaube seinem Wesen nach ist und soll. Hanssen (1995:56) fragt, warum man Jesus gekreuzigt hat. Er glaubte an Gott. Die, die ihn gehängt haben, auch. Sie waren Eiferer für den Höchsten. Sie bringen ihn um, wegen seines anders gearteten Gottesglaubens. Sie waren der Ansicht, dass Religion dazu dient, die menschlich- völkische Existenz zu sichern. Sie solle das irdische Leben durchdringen und helfen, die Römer zu vertreiben. Hätte er sich darauf eingelassen, sie hätten ihn nicht gehängt. „Jesus hat der Religion nicht das leiseste Zugeständnis gemacht und das hat ihn getötet. Das erträgt die Religion gar nicht: Gott selbst. Sie lebt nur von seiner Ferne“ (Kutter 1926:36). Das Leben kann nur gelingen, so meinten Jesu Henker, wenn der Mensch religiös ist. Jesus aber fragt nicht nach dem gelingenden Leben. Er fragt nach der Ewigkeit: „Hoffen wir allein in diesem 1.2.4. Missbrauch des Ewigen 72 Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ (1. Kor 15,19). „Wenn Religion nur im irdischen Leben eine Bedeutung hat, wenn sie also verzweckt wird, damit die irdische Existenz gelingt, dann ist sie pervertiert. Religion ist nicht dazu da, das menschliche Leben gelingen zu lassen, sondern der Mensch ist dazu da, Gott zu dienen. Gott ist nicht dazu da, das irdische Leben schön zu machen, sondern die Schöpfung, unser irdisches Leben ist dazu da, Gott zu loben“ (Hanssen 1995:56). Mit diesen Worten macht Hanssen deutlich, dass wir versuchen, Theologie in Anthropologie umzubiegen. Wir wollen uns gewinnen und werden uns gerade dadurch verlieren, uns und Gott dazu. „Wenn ich aber Gott allein um Gottes willen suche und ihm diene, weil er Gott ist, dann wird, ohne dass ich es gedacht habe, mein Leben plötzlich gelingen. Jesus hat das so ausgedrückt: Wer sein Leben gewinnen will – eben auch mit Hilfe der Religion, - der wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert und selbstvergessen auf Gott schaut, der wird es gewinnen – der wird merken, dass sein Leben gelingt (Matth. 16,25)“ (Hanssen 1995:46). In der nachösterlichen Überlieferung hat das Wort vom Leben verlieren und gewinnen besonderen Rang. Mit sechs Belegen ist es im NT das am häufigsten zitierte Jesuswort (außer Mt 16,25, noch Mt 10,39; Mk 8,35; Lk 9,24; 17,33; Joh 12,25). Es ist fest eingebunden in seine Botschaft vom Reich. Das Sich-Selbst- Verlieren meint weder selbstgesuchtes Martyrium, noch geht es ins Leere. Es ist ein Heraustreten aus sich selbst auf das Reich Gottes zu. Zuerst nach dem Reiche Gottes zu trachten und sich selbst zu verlieren, gehört zusammen. Wer nach dem Reiche trachtet, wird es mit einfältigem Auge tun, das sich unverwandt auf den einen richtet. So hat es der Bergprediger gemeint. Ein Schielen auf das nebenbei Zufallende ist die Versuchung der Christen und deckt das heidnische Herz im Leben der Christen auf. Prediger fördern das Schielen, wenn sie einseitig verkündigen, wie wichtig Gott für dieses Leben ist. Eine Fülle von Nebensachen wird so zur Hauptsache. Das ist „Selbstvergottung vom Feinsten“ (Strasser 1998:269). Der Name wird missbraucht, weniger von der Welt, als vielmehr von Gottes „kirchlichen“ Kindern. 1.2.4. Missbrauch des Ewigen 73 Ist von Gott auch formal die Rede, geht es in den Predigten bevorzugt um den Menschen, was sie überaus langweilig macht. Dass es um den Menschen geht, thematisiert jede Partei, jeder Wohltätigkeitsverband, jeder Sportverein. Kirche, 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 74 die mit der Welt ins selbe Horn stößt, ist entbehrlich. Der Missbrauch des Namens zieht Gottes Zorn auf die Gemeinde, „denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht“ (Ex 20,7). „Das Glück, das sich selbst zum Ziel hat, macht den Glücklichen auf eine grausame Weise einsam“ (Strasser1998:16). Wenn das Auge einfältig ist, werde der ganze Leib Licht sein, hatte Jesus gesagt (Mt 6,22, alte Lutherübersetzung). Entweder ruht das Auge auf Gott oder der Blick flackert unruhig umher, ist auf das Viele aus und übersieht das Eine, das Trachten nach dem Reich. Darum hat Jesus der Gemeinde die Reichgottesbitte in den Mund gelegt. Wenn sein Reich kommt, sind unsere Reiche zu Ende. Wer um das Kommen des Reiches Gottes bittet, betet das Ende der eigenen Herrschaft herbei. Wenn sein Reich kommt, wird Gott alles in allem sein. 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig Wir erinnern an die Formulierung, die in der Kirche die Runde macht, es ginge im Glauben darum, d a s s d a s L e b e n g e l i n g t . Da steht der Mensch mit seinen Interessen in der Mitte des Glaubens. Der, der die Mitte i s t , gerät an den Rand. Wir haben gesehen „dass gerade Theologen anfällig sind für die Rede vom gelingenden Leben.“ (Schneider-Flume 2002:15). In der christlichen Gemeinde ist das Reden vom gelingenden Leben nicht einfach nur als selbstbezogen zu interpretieren. Gemeindeglieder sind oft in hohem Maße anderen Menschen mit ihren Nöten zugewandt, möchten ihnen beim Gelingen ihres Lebens gerne helfen. Wer darf das kritisieren? Der Menschen und ihrer Nöte aber sind viele. Gott ist e i n e r . Die Vielen und in ihrem Gefolge d a s Viele macht zu schaffen. Auf den E i n e n ausgerichtet zu sein, vor ihm stehen und empfangen, wäre das gute Teil (Lk 10,42). Was aber haben wir Gutes zu geben, wenn wir nicht zuvor empfangen? Das gute Teil, vor dem Ewigen vor allem anderen Empfangender zu sein, hat der religiöse Mensch unserer Tage nicht gewählt: „Die ästhetische Idee der Menschheit ist die Idee der Weltsanierung ...“ (Strasser 1998: 15-16). Im christlichen Raum heißt Weltsanierung L e b e n s h i l f e , „ damit das Leben gelingt“. Mit einer sich epidemisch ausbreitenden Fülle an Wichtigem und den Möglichkeiten, den Menschen in ihrem Leben zu helfen, breitet sich das Feld 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 75 der irdischen Nothilfe vor uns aus. Undurchdringlich ist der Dschungel der Lebenshilfethematik. Da das Leben unübersichtlich viele Facetten hat, sieht sich die engagierte Christenheit von einer Aufgabenfülle geradezu überschwemmt. Viele hilfsbeflissene Christenmenschen gehen darin unter, geraten in Erschöpfungsdepressionen, bekommen Herzinfarkte. Kutter (1912:31) sprach von den Predigern seiner Zeit: „Sie entwickeln einen Feuereifer in allen Nebensachen – nur um sich die eine Hauptsache nicht gestehen zu müssen … Sie bedecken sich mit einer Menge Aufgaben, um ihr Gewissen darüber zu beruhigen, dass sie nicht die e i n e Aufgabe angreifen.“ Kutter ruft den Pfarrern zu, worum es geht: „Rückkehr zu Gott – nur das!“ „Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus“ mahnt der Apostel (Kol 4,5). Jede Gemeinden hat ihr bestimmtes Maß an Lebenszeit. Das gilt es für die große ewigkeitliche Aufgabe auszuschöpfen. Oft aber verspielt sie ihre Jahre mit nebensächlichen Dingen. Als könne sie die Zeit totschlagen, ohne die Ewigkeit zu verletzen (s. Thoreau 2005:12). Dann ist da der wichtige G e m e i n d e a u f b a u , mit vielen guten Gedanken, Programmen, Ratschlägen. Die wollen alle befolgt werden, was schon darum nicht geht, weil die Fülle an Konzepten nicht mehr überschaubar ist, willige Pfarrer und Gemeindeglieder erschlägt. Surrogate haben Konjunktur. Während die Bibel von der Gemeinde nicht mehr gelesen wird, liegen Berge von Führungsliteratur auf kirchlichen Büchertischen. Unüberschaubar die Fülle an Tipps und Tricks, wie die Gemeinde nun endlich in die Gänge kommen könnte. Sie kommt nicht in die Gänge. Eine Gemeinde, die nicht hingeht, hingeht zu denen, auf die ihre Sendung zielt, zu den Menschen jenseits ihrer Mauern, kann Bücher lesen, so viel sie will, sie bewirkt nichts. Jesus sagte: „Geht hin!“ Die Gemeinde, die nun nicht geht, kommt nicht in die Gänge. So einfach ist das. Ferner gibt es das d i a k o n i s c h - s o z i a l e E n g a g e m e n t , Kinder- und Jugendseelsorge, Eheberatung, Seniorenbetreuung. Diese Dinge sind wichtig, unentbehrlich geradezu. Sie lösen jedoch leicht Rastlosigkeit und Hetze aus, Mühsal und Belastung der Engagierten, die so gar nicht passen will zu dem, der gesagt hatte: „Bei mir werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ (Mt 11,29). 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 76 Engagierte Christen vergessen über den Dienst an den Menschen allzu leicht, dass sie nur Wesentliches geben können, wenn sie selbst Wesentliches empfangen, den Dienst Gottes nämlich. Von der Ewigkeit losgelöst haben die an sich guten Dienste die Neigung, sich zu verselbständigen und zum Glaubensersatz zu werden. Das Böse beginnt oft mit der Übertreibung des Guten. Nicht wenige wurden unter der Last der Fülle guter Aufgaben seelisch und körperlich verschlissen. Auch das kann eine Folge irreführender Predigt sein. Unsere Predigten springen ja nicht nur von Thema zu Thema, sondern von einer Wichtigkeit zur nächsten. Wo zu vieles wichtig ist, gerät das Wesentliche ins Abseits. Marta habe viel Sorge und Mühe, stellte Jesus fest. „ E i n s aber ist not!“ (Lk 10,42). Hier zeigt es sich: Für Jesus gibt es das e i n e , das herausragt aus dem Vielen und das er uns so dringlich vergönnt, nämlich, d a s w i r v o r i h m u n d v o n i h m E m p f a n g e n d e s i n d . Wie wollen wir sonst Gebende sein? Bei einer Predigtweise, die beständig unüberschaubar Vieles für wichtig erklärt, ist nichts mehr wichtig, da ragt aus der Lebenslandschaft nichts mehr heraus. Der Artikel des Glaubens, mit dem alles steht und fällt, ist eingeebnet, unter andere Artikelchen gemischt, die in Summe die kirchliche Szene beherrschen. Weltprobleme drängen mit Macht auf die Tagesordnung der Gemeinde. Bestrebt, ihre und ihrer Kirche Bedeutung nachzuweisen, stehen Prediger unter dem inneren Zwang, diese Themen alle aufgreifen zu müssen und verkündigend abzuarbeiten. Die verwirrende Fülle, die vor der erschöpften Gemeinde ausgebreitet wird, gleicht einer unüberschaubaren Berglandschaft mit vielen zu erklimmenden Höhen. Noch einmal: Wenn alles wichtig ist, ist nichts mehr wichtig. Da gibt es nichts Hervorragendes mehr. Ein Thema schlägt das andere tot. Anstatt sich zunächst zu Jesus Füßen zu setzen, meint die vielbeschäftigte Martakirche, sie könne dienen, ohne sich von ihm dienen zu lassen. „Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden“ (Lk. 10,41-42). Jesus stellt das V i e l e dem E i n e n gegenüber. Das eine besteht darin, Gottes Dienst „einfältig“ zu empfangen. Wo der Heiland der Welt das Wort nimmt, ist keine andere Tat geboten als das H ö r e n . Er verkündigt uns den Gott, der gerecht spricht ohne Werke. Das Hören setzt qualifizierte Stille voraus, Achtsamkeit, Konzentration. Aus solchem Hören erst erwächst jenes Tun, das von 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 77 dem Empfangenen lebt und weitergibt. Christus ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben zu geben für eine Erlösung für viele (Mt 20,28). Wer mehr dient, als er sich dienen lässt, verkennt das Geheimnis des Dienens. Hinter dem Einen, das not tut, tritt das Viele zurück. Es war das Geheimnis mancher Erweckungsprediger, dass ihre Vollmacht auf einer heiligen Einseitigkeit beruhte. Immer wieder wurde in ihren Predigten ein und d e r s e l b e G i p f e l in Augenschein genommen, angegangen, zielbewusst erklommen, vom Ewigen her wurde die Landschaft des Lebens betrachtet und bestimmt. Während die Seele der Fülle des Vergänglichen bald überdrüssig wird, langweilt die Ewigkeit nie. Die Vollmacht von Erweckungspredigern gründete nicht in einer homiletischen Methode. Sie waren von Gott Ergriffene, darum ergriff ihre Predigt. Hier waren Brennende, darum setzten sie in Flammen. Sie nahmen Gottes Wort im Zusammenhang mit der Lebenswirklichkeit ernst, d a s s J e s u s k o m m t u n d u n s e r v e r g ä n g l i c h e s L e b e n e i n E n d e h a t . Sie predigten die Schönheit des Evangeliums, das den Himmel bringt und - den Ernst, es zu verfehlen. Da kamen die Menschen mit ihrem Durst nach Gottes Barmherzigkeit, tranken und reichten es weiter das Wasser des Lebens - umsonst (Offb 4; 21). Im Sinne einer theologischen Rangordnung ging es Erweckungspredigern zuerst um den Erlöser, dann erst um Erlösung, danach um Problemlösung. In der missionarischen Praxis darf die Reihenfolge nur temporär umgekehrt sein. Die Konzentration auf den Erlöser, die heilige Einseitigkeit, erwies sich als die das Leben verändernde Kraft. Hing alles am Heiland und daran, dass man mit allen anderen selig wird, bedurfte es keiner besonderen Appelle an die Gemeinde, missionarisch aktiv zu werden. Das ergab sich aus der Größe des Gebers aller Gaben und der Größe der alles tragenden Gabe und Aufgabe, aus der Freude und dem Ernst - wie von selbst. Da legte sich der Retterwille, die „glühende Retterliebe“, wie ein Feuer auf die Versammlung. War der Gottesdienst beendet, strömten vom Retterwillen beseelte Zeugen zurück in den Alltag. Da bedarf es keiner großen Vorstellungskraft, die Dinge zu sehen, wie sie waren: Ein Vater ging in sein Kämmerlein, kniete nieder und betete für seinen ins Straucheln geratenen Sohn. Presbyter und Eltern erflehten Gottes Gnade für die 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 78 Konfirmanden. Gebete dieser Art erfüllten die Luft. Wo viele Gebete sind, sind viele Gebetserhörungen (Jak 4,2). Eine Frau, aus dem Gottesdienst kommend, lud vielleicht ihre Freundin zum Kaffee ein und erzählte ihr, wie ihr Herz unter dem Wort zu brennen begonnen hatte. Der Funke sprang über. Im nächsten Gottesdienst saßen beide nebeneinander auf der Kirchenbank. Bald darauf waren sie Zeuginnen des Größten draußen in ihrer kleinen Welt. Die Kirche füllte sich, ohne dass das vorher ein Thema gewesen oder gar geplant worden wäre. „Gemeindeaufbau“ als besonderes Thema, gar als Modethema, gab es nicht. Erweckungsprediger, von Ewigkeitsabsichten erfüllt, predigten, was Besucherzahlen betraf, absichtslos. Dass Menschen zur Kirche kamen, interessierte darum, weil dort das Wort des Lebens zu hören war. Dass Jesus mit den Menschen zum Ziel komme, diese das Reich ererben und selber zu Zeugen Jesu würden, war das Verlangen der Gemeinde samt ihres Predigers. Wir sprechen mit allem der Liebe Gottes in seiner Sendung das Wort. Wie kann die Gemeinde die Welt lieben, wenn sie sich vor der eigentlichen Not der Welt verschließt oder sich den Menschen einfach anpasst, weil sie es nicht wagt, ihnen mit dem Evangelium gegenüberzutreten? Schmitz (1939:123) spricht in seiner Einführung in den ersten Korintherbrief vom „Strom der rettenden Liebe“. Paulus enthüllt das Geheimnis seiner Missionstätigkeit, nämlich die lautere Beweglichkeit seines apostolischen Dienstes. Sie besteht in der Freiheit von aller Menschenknechtschaft. Aus dieser Unabhängigkeit heraus hat er sich – freiwillig - zum Sklaven aller gemacht, „um auf diese Weise einen größeren Kreis von Menschen für Christus zu ‚gewinnen’, als es ohnedies möglich gewesen wäre“ (:122). „Das ‚retten’, das hier an die Stelle von ‚gewinnen’ tritt, zeigt an, dass es bei der Verkündigung des Evangeliums nicht darum geht, Menschen für irgendeine menschliche Sache, und sei es auch die größte, zu gewinnen, sondern dass Leben und Seligkeit, das Bestehen im göttlichen Gericht und der Anteil an der kommenden Welt, von dem Ja zu dieser Botschaft abhängt ... Ihn trieb allein die Rücksicht auf das Evangelium zu dieser lauteren Beweglichkeit seines missionarischen Dienstes“ (:123-124). Sendung ist mehr als ein Auftrag, den die Gemeinde zu tragen und zu bewältigen hat. Die Gemeinde ist es, die durch die Sendung getragen wird. Was erhebt eine 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 79 Gemeinde im Blick auf sich selber mehr, als die erstaunliche Erkenntnis, an die sinnvollste Aufgabe der Welt gestellt zu sein? Die Verkündigung der Herrlichkeit des Höchsten führt ins Gotteslob. Das Loben Gottes wird zur Kraftquelle der Verkündigung an die Adresse der von Gott geliebten Welt. Missionarische Verkündigung kommt aus dem Gotteslob und führt zu ihm hin: „Mission aber, die weltweite Verkündigung des Evangeliums, ist ... nichts anderes als ein weltweites Gotteslob ... Es gibt keine andere legitime Art, von Gott zu reden, als so, dass man ihn lobt und ehrt“ (Deichgräber 1967:206). Da singt es in einem Menschen, es jubelt in der Gemeinde. Es würde sie zerreißen, brächte sie es nicht heraus. Das Gotteslob der missionierenden Gemeinde ist kein trällerndes Singen auf der Oberfläche des Daseins, auch kein liturgisches Pflichtprogramm. Es kommt aus der Tiefe von durch Wort und Geist berührten Herzen. Nicht der Erhöhte, sondern der Erniedrigte sagt seinen Jüngern: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21; 17,18). Er ist das Lamm, das der Welt Sünde trägt (Joh 1,25). Die Jüngergemeinde ist gesandt wie Schafe unter die Wölfe. Der Jünger steht auch, was die Sendung betrifft, nicht über seinem Meister (Lk 6,40). Und doch kann es die Gemeinde nicht lassen, seinen Namen der Welt zu verkündigen. Das macht ja ihr Wesen aus, geliebt und gesandt zu sein. Bei Strasser (1998:13) findet sich der Satz: „Die Menschen haben ein großes Ziel , die Vorstellung einer ihr Leben tragenden Aufgabe.“ Besser lässt sich die Sendung der Gemeinde in die Welt kaum beschreiben. Die Sendung, ausgerichtet auf Gott und hingewandt zu den verlorenen Menschen, i s t die sie tragende Aufgabe. Der Gemeinde ist mit ihrer Mission keine Last auferlegt, die sie niederdrückt, vielmehr eine Gabe gegeben, die sie beflügelt, erhebt, sie Gottes Gegenwart erleben lässt, ihr ewigkeitliche Aufwertung verleiht. Das alles gilt auch und gerade unter den Kämpfen, den Widerständen und Anfeindungen, denen sich eine missionierende Gemeinde ausgesetzt sehen wird, selbst in der eigenen Kirche. Das alles hat Jesus vorausgesehen (Mt 5,11-12). In der Liebe zu den zu Rettenden, ist für die Gemeinde die „ihr Leben tragende Aufgabe“ zu sehen. Im Blick auf die Menschen fügt Strasser (1998:13) hinzu: „Sie nennen die Erreichung des Ziels, die Bewältigung der Aufgabe, den ‚Sinn ihres Lebens’“. Was die Kirche betrifft: Sie ist an die Aufgabe der Sendung 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 80 gestellt und - muss sie doch nicht bewältigen. „Jesus Christus ist der Missionar“ (Margull, 1959:10). In seinem Windschatten vollzieht sich die Nachfolge der Gemeinde. Sie muss sich auch ihren Sinn nicht schaffen. Dieser gewährt sich ihr durch Empfangen, als Gabe (Gollwitzer 1971:70). Die Gabe aber löst Freude aus, die mitteilungsbedürftig macht: „Wir können's ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20). Das große Ziel, einer das Leben tragenden Aufgabe, ist der Gemeinde gegeben: „Macht zu Jüngern!“ (Mt 28,19). Wie in der Predigt, so wirken auch in der Sendung der Heilige Geist und der an Christus glaubende Mensch zusammen im Sinne einer theonomen Reziprozität. (Zu ihrem homiletischen Verständnis: Bohren 1971:76-77). Gemeinde, die zu der „ihr Leben tragenden Aufgabe“ zurückfindet, hat etwas vom „Auffahren mit Flügeln wie Adler“ (Jes 40,31). Sie wird nicht von einer Last erdrückt, sondern getragen, nicht eingeengt und auf sich geworfen, sondern von der Einengung, in sich selbst gefangen zu sein, befreit und an die faszinierendste, zukunftsträchtigste Aufgabe des Universums gestellt. Solche Gemeinde predigt anders, betet anders, lebt anders als eine, die ihren Auftrag verleugnet. Sie ist nicht wehleidig, aber leidet an der wahren Not der Menschen. Die sendungsorientierte Gemeinde ist Stadt auf dem Berge, Salz der Erde und Licht der Welt (Mt 5,13-16). Ihr Salz, da es ausgestreut wird, salzt, ihr Licht, da es auf dem Leuchter steht, leuchtet. Hier ist an viele Menschen in unseren Städten und Dörfern zu denken, die trotz Religionsunterrichts, trotz vernommener Predigten das Evangelium von Jesus Christus nie wirklich wahrgenommen haben. Eine autobiografische Notiz: Dass es das gibt, kann ich aus meinem eigenen Leben bekunden. Durch Religions- und Konfirmandenunterricht gegangen, war ich, was Glaubensdinge betraf, ahnungslos. Vielen Schulkameraden ging es nicht anders. Ahnungslos verbringen viele Leute ihr Leben ohne den Horizont des Kommenden. Es ist auch an die Menschen zu denken, die aus fremden Ländern stammen. Sie wohnen unter uns, finden aber selten zum Glauben an Christus, weil die Gemeinde ihnen die Botschaft von ihrer Rettung schuldig bleibt. Paulus wusste sich als „Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen (Röm 1,14). Gott hat den Geist gesandt, ausgegossen über alles Fleisch (Apg 2,17), damit er den Menschen den Sohn verherrliche, und sie so zur Neugeburt führe und der 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 81 Gemeinde hinzufüge, damit auch sie als Kinder des Reichs in das Lob einstimmen und Zeugnis geben vom lebendigen Gott. Was jedoch, wenn „alles Fleisch“ vom Geist hat, aber nicht das Wort, weil die Kirche des Wortes es für unnötig hält, Mittel, Wege und Sprache zu finden, es allem Fleisch kundzutun (Röm 10,14)? Alte Fragen stellen sich neu, Fragen nach dem, was christliche Verkündigung ist. Wovon soll sie handeln? Was soll sie bewirken? Was bewirkt sie tatsächlich? Wohin soll sie führen? Was bedeutet sie für den, in dessen Namen sie geschieht? Was bedeutet sie für die, denen sie gilt? W e m v o r a l l e m g i l t s i e ? Die letzte Frage wird wenig bedacht. Die Antwort, die Theologie und das Handeln der Kirche signalisieren, lautet: Gottes Wort gilt und gehört der Gemeinde. Aber liebt Gott nicht gerade besonders die, die nicht an ihn glauben? (Barth, KD IV/3:420-422). „Er will doch gerade die suchen und retten, die verloren sind: die ohne ihn, ohne das Licht des Lebens, ohne das Wort vom Gnadenbunde verloren gehen und bleiben müssten“ (:421). Ursprünglich ist es Abraham, der, a l s er Got t n ich t kannte , durch das an ihn ergehende Wort seines Schöpfers gläubig und gehorsam wurde (Gen 15,6; dazu s. Röm 5,10). Verkündigung an n ich t Glaubende zu se in , i s t dem Worte Got tes von se inem Ursprung her wesenhaf t e igen . Dass Menschen zum Glauben an Christus kommen, ist der Verfügung der Gemeinde entzogen und doch hat sie daran Teil. Die Gemeinde kann Glauben nicht „machen“. Aber wenn nur wenige Menschen zum Glauben finden, wird sie sich fragen müssen, ob sie etwas falsch macht. Verkündigt sie das Evangelium nur sich selbst, kann es niemand von denen, denen es besonders gilt, zu hören bekommen. Gottes Liebe sucht die Menschen außerhalb der Gemeinde leben, außerhalb ihrer Gottesdienste, Bibelstunden und Kreise. Eine Gemeinde, die zu ihnen keine Wege mehr findet und keine ihnen verständliche Sprache mehr spricht, hat ihre Salzkraft verloren (Mt 5,13). Es wird eine Gemeinde tiefgreifend verändern, wenn sie im biblischen Sinn „Kirche für andere“ werden will und dieses Wollen umzusetzen beginnt. Ihr Interesse wendet sich weg von sich selbst, wendet sich dem Interesse Gottes zu. Ihre Verkündigung ändert sich, ihre Gespräche, ihre Gebete, ihre Gottesdienste und ihre Kreise. Dass es zu solch tiefgreifenden Veränderungen kommt, ist nicht nur eine Frage der theologischen 1.2.5. Nichts ist wesentlich – zu vieles ist wichtig 82 Theorie. Es hat zu tun mit der Sinnesänderung (Röm 12,2), mit der Umkehr derer, die die Gemeinde leiten, derer, die den Dienst der Verkündigung versehen. 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 83 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle Lorenz hat 1935 erstmals die Ergebnisse seiner Experimente mit Graugänsen veröffentlicht. Als diese aus dem Ei schlüpften und statt ihrer natürlichen Mutter den Wissenschaftler als ihre erste Bezugsperson erlebten, haben sie niemand anderes mehr als ihre legitime Mutter zugelassen, als ihn, den vollbärtigen Österreicher. Was sich gleich zu Beginn eines Graugänselebens als Wirklichkeit bietet, so der Experte der vergleichenden Verhaltungsforschung, wird ein Leben lang für natürlich und richtig gehalten, auch wenn es das nicht ist. Man lese seinen herzanrührenden Bericht „Das Gänsekind Martina“ (Lorenz 19679: 84-95). Dass unser menschliches Verhalten Parallelen aufweist, ist deutlich: Was wir in unseren Landen als Kirche erleben - so hat es sich festgesetzt - ist richtig, auch wenn es falsch ist. Da haben sich Bilder geformt, die weder biblisch, noch vernünftig und doch - wie es scheint - kaum zu verändern sind. Das betrifft Gemeindeglieder genauso wie ihre Theologen. In der Pädagogik und der Managementwissenschaft spricht man von „mentalen Modellen“. Bilder sind oft anschaulicher als Texte. Verbale Aussagen dagegen sind besonders geeignet, Regeln, abstrakte Begriffe oder Prinzipien zu beschreiben, die mit Bildern nicht eindeutig darzustellen sind (z. B. Demokratie, Politik, Multimedia). Mentale Modelle sind Denkmodelle, die das Verständnis eines Sachverhalts prägen. Mit ihrer Hilfe planen und entscheiden wir, schauen wir voraus, erklären und denken wir. Senge, der amerikanische Managementlehrer, hat sich mit der Kunst und Praxis der lernenden Organisation befasst: „Jeder Manager weiß, dass viele der besten Ideen nie verwirklicht werden. Hervorragende Strategien bleiben graue Theorie … Wir gelangen immer mehr zu der Überzeugung, dass diese chronischen Missgeschicke ... nicht durch mangelnde Entschlossenheit, einen schwachen Willen oder etwa durch eine unsystemische Betrachtungsweise verursacht werden, sondern durch mentale Modelle. Genauer gesagt, neue Einsichten werden nicht in die Praxis umgesetzt, weil sie tief verwurzelten inneren Vorstellungen vom Wesen der Dinge widersprechen“ (Senge [1990]1997:213). Platon meldete wohl als erster die Zweifel an der Wahrheit der inneren Bilder an. Sein berühmtes H ö h l e n g l e i c h n i s in seinem Hauptwerk „Der Staat“ 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 84 (politeia) formulierte den bis in die Neuzeit weiterwirkenden Verdacht, dass der Sehende außerstande sei, die Wahrheit seiner Wahrnehmung zuverlässig zu beurteilen. Unsere Mentalen Modelle bestimmen nicht nur wie wir die Welt erklären, sie bestimmen auch, wie wir handeln. Dass innere Bilder ihre Macht ausüben, erfährt auch die Wissenschaft. Kuhn hat gezeigt, „dass jede Wissenschaft auf einem vorherrschenden, nicht weiter hinterfragten Denkraster oder Paradigma beruht“ (Kuhn, zitiert in Körtner 1994:45). Das geltende Paradigma entscheide z. B. vorab, „welche Beobachtungen als irrelevant zu gelten haben“ (ebd.) Das Paradigma bestimme die Wirklichkeitswahrnehmung und Weltdeutung einer Wissenschaft. Wenn das geprägte Bild falsch ist, dann planen, entscheiden und handeln wir falsch. In die gleiche Richtung weist uns die neuere Gehirnforschung. Die Neurowis- senschaften haben die „enorme Plastizität des Gehirns durch Umwelteinflüsse“ entdeckt (Grawe 2004:23). „Es wurde immer klarer, dass der genetische Anteil am Zustandekommen manifester psychischer Störungen viel geringer ist als eine Zeit lang angenommen und dass individuelle Lebenserfahrungen über die Gen- expression eine weit größere Rolle spielen“ (ebd.). Verhaltens- oder Vorstellungsmuster sind also durch Erlebnisse bzw. Widerfahrnisse welcher Art auch immer, a n g e e i g n e t . In den Bereich der mentalen Modelle fallen auch unsere Gottesvorstellungen, die inneren Bilder und Gedankenassoziationen, die wir mit dem Begriff „Gott“ verbinden. Wie schwer sich falsche Gottesbilder korrigieren lassen, die die Vorstellungswelt eines Menschen durchdrungen haben, ist mir in der Seelsorge nach evangelistischen Vorträgen begegnet. Der Vorstellung, sich bei Gott durch angemessenes Verhalten einkaufen zu können, seine Zuneigung mit guten Taten bezahlen zu müssen, der Meinung, dass seine Liebe käuflich sei, ist in allen gesellschaftlichen Schichten kaum beizukommen. Menschen plausibel zu machen, dass Gott bedingungslos liebt, ist nicht nur eine Frage der Hermeneutik. Auch hier gilt: Allein der Geist, der erfahren wird und Erfahrung vermittelt, vermag in alle Wahrheit zu leiten (Joh 16,13). 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 85 Die folgende Darstellung falscher mentaler Modelle, die das Werden von sendungsorientierten Gemeinde schwer behindern, ist rein exemplarisch. Die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 1.2.6.1. Predigt als gemeinde-internes Selbstgespräch Unsere Gottesdienste sind öffentlich. Jeder kann kommen. Niemandem wird der Zutritt verwehrt. Meistens aber ist die Kerngemeinde unter sich. Die vielen, die ebenfalls zur Gemeinde gehören, aber nicht kommen, haben nicht das Gefühl, etwas zu versäumen. Der Gottesdienst findet statt und gepredigt wird. Predigt heißt bei uns: Gemeinde unter sich spricht zu sich selbst. Das gilt umso mehr, als Kirche in der Gefolgschaft Schleiermachers, die Gemeinde nicht als Objekt, sondern Subjekt der Predigt ansieht. Die einzelne Predigt will da nichts anderes sein „als eine Darstellung des in der Gemeinde vorhandenen religiösen Lebens durch den Prediger als Mund der Gemeinde ohne Abzweckung auf ein außerhalb der jeweiligen Predigt selbst in der Frömmigkeit der Gemeinde gelegenes Ziel“ (Fezer 1925:39). Die Gemeinde spricht - durch den Mund des Predigers, ihr eigenes religiöses Leben darstellend, ohne irgendwelche Abzweckung - zu sich selbst. Die Gemeinde Jesu Christi wird im NT als Leib bezeichnet. Im Gottesdienst sind demnach nicht primär einzelne Christen versammelt. Eine miteinander verbundene, verbindliche Gemeinschaft, ein Leib ist anwesend. Verbindliche Gemeinschaft aber bedeutet, man weiß sich an eine gemeinsame Aufgabe gestellt. Das heißt: Die Predigt versteht sich als Zuspruch, mutet der Gemeinde aber auch etwas zu, ist Zurüstung zum Dienst (Eph 4,11-12), ist Sendungsrede. Jemand, der unverbindlich und ohne Ziel beständig zu sich selber spricht, befindet sich per definitionem im Selbstgespräch. Die Themen wechseln im Sonntagsrhythmus. Was gesprochen wird, ist schnell vergessen. Das findet Sonntag für Sonntag statt. Niemand nimmt Anstoß daran. Das war immer so. Das ist so. Das muss immer so sein. Ein abstruses mentales Modell hat sich fest eingeprägt. Dieses Bild sitzt auch fest in den Köpfen von Theologen. Es ist an der homiletischen Literatur auszumachen: Wingren (1959:23-25) z. B. spricht von der Missionspredigt, die auch der Gemeinde zu gelten habe. Dass aber die Predigt die Gemeinde zuzurüsten habe zum missionarischen Dienst, ist nicht im Blick. 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 86 Urner (1961) scheint unserem Ansatz am nahesten zu kommen: „Lehret alle Völker! Dieser Auftrag verpflichtet die ganze Gemeinde Gottes“ (:56). Dann ergeht ein wichtiger Aufruf an die Praktische Theologie: „Es wäre an der Zeit, der Praktischen Theologie womöglich einen besonderen Abschnitt einzufügen, in dem darzustellen wäre, wie die Gemeinde als solche ihren Auftrag auszurichten habe. Und diese ‚Laienpraxis’ wäre dann den künftigen Theologen vorzutragen, die der Gemeinde bei der Ausübung i h r e s Auftrags helfen sollen. Das würde die jungen Theologen davor bewahren, das Pfarramt absolut zu setzen“ (:57). Dem ist zuzustimmen. Stimmig ist indes nicht, dass damit das Thema für Urner bereits abgehakt ist. Hier handelt es sich um ein für unsere bisherige Predigtsituation völlig neues, geradezu revolutionäres Konzept, das von Eph 4,11- 12! Es wird jedoch - ein typisches Zeichen von Unverbindlichkeit - nicht weiter verfolgt. Uhsadel (1963:59) geht es um die Not des jungen Predigers, wie er seinen Dienst – z. B. der Seelsorge in der Predigt - recht ausrichte. „Nicht um seinetwillen muss diese Frage gestellt werden. Es geht um den Dienst an der Gemeinde.“ „Dienst an der Gemeinde“, in dieser Formulierung zeigt sich das Muster, das viele Predigtlehrer bestimmt: Die Gemeinde ist Objekt pfarramtlicher Betätigung. Nach Eph 4,11-12 aber geht es nicht darum, dass der Gemeinde gedient wird, sondern dass sie zum Dienst zugerüstet wird. Zum Dienst befähigt wird sie zum Subjekt kirchlichen Handelns. Die Zurüstung der Gemeinde zum Dienst mag man als Dienst an ihr bezeichnen. Diesen Dienst, Gemeinde zum Dienst zu befähigen, thematisiert Uhsadel nicht. Trillhaas (1964:93-107) schreibt über die Lehrpredigt und stellt die wichtige Frage: „Wie soll die Gemeinde bekennen und ihren Glauben praktizieren können, wenn sie nicht in der Lehre gegründet ist und sich darin – wenn auch in ganz einfacher Form – auskennt“ (:94). Hier ist er auf der so wichtigen Spur, die er aber sofort wieder verlässt. Dem Entscheidenden wird nur ein Seitenblick gegönnt. Auch Bohrens Predigtlehre (1971) hat, wie wir sahen, eher den einzelnen Hörer, als die Gemeinde als Leib und Dienstgemeinschaft im Auge. Von daher ist die Zurüstung der Gemeinde zum Dienst (Eph 4,11-12) auch nur sehr verhalten in Sichtweite. Der klassische Text kommt in dem großen Werk des Predigtlehrers nur einmal in einem anderen Zusammenhang vor. Anderen Orts hat sich Bohren 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 87 (1989:9-12) mit dem Thema „Predigt und Gemeindeaufbau“ befasst. Angesichts der Unverbindlichkeit der Predigt plädiert er für den Gedankenaustausch zwischen Prediger und Gemeinde: „Ein Gespräch über das verkündigte Wort ist nötig“ (:11). Hier ist ein Schritt in die richtige Richtung, ist aber viel zu wenig. Über „Die begabte Gemeinde“ sowie „Planung und Charismen“ spricht er in seiner Nachlese zur Predigtlehre (Bohren 1975), stößt aber auch da nicht zu dem entscheidenden Neuansatz im Sinne von Eph 4, 11-12 durch. Müller (1995:172) bleibt ebenfalls im bekannten Schema. „Die von der Homiletik geübte Rechenschaft muss also Auskunft geben, über den Grund (das Warum), den Gehalt (das Was) und die Bedingungen (das Wie) der christlichen Predigt.“ Das „Wozu“ der Predigt, dass sie die Gemeinde zurüste zum Werk des Dienstes, kommt bezeichnenderweise nicht vor. Eph 4,11-12 spielt auch in dieser Homiletik kaum eine Rolle. Zwar kann er sagen, die Predigt wolle die christliche Gemeinde erbauen (:174), wolle den Menschen „umwandeln und ihm nicht lediglich Erkenntnisse vermitteln …“ (ebd.). Es wird jedoch deutlich, dass auch hier letztlich nicht die Gemeinde gesehen wird, sondern „der Hörer“: Die Predigt zielt „auf den Menschen selbst in seiner Ganzheit …“ (ebd.). Der Homiletiker, der aus eigener Anschauung eine sendungsorientierte Gemeinde nicht kennt, liefert uns in der Regel eine Homiletik, die bei Licht betrachtet, eine Hilfe zum g e m e i n d e i n t e r n e n S e l b s t g e s p r ä c h bietet, das wir „Predigt“ nennen. Vieles von dem, was sie sagen, stimmt nur, wenn man unter Gemeinde nicht den Leib Christi, sondern ein Predigtpublikum von einzelnen Hörern ohne gemeinsamen Auftrag versteht. Hätten Predigtlehrer Gemeinde nach dem NT vor Augen, würde ihre Predigtlehre anders ausfallen. Dem könnte entgegengehalten werden, dass hier die Pointe des Gottesdienstes übersehen ist. Gottesdienst sei vor allem Kommunikation zwischen Gott und der Gemeinde, neben der Predigt hätten wir die Liturgie, die Eucharistie, durch die es zur besagten Kommunikation komme. Nun, die Kommunikation mit dem sendenden Gott, kann nicht folgenlos bleiben. Gerade sie führt zur Sendung der Gemeinde. Auch bleiben die Menschen – wie wir sahen – nicht wegen der intensiven Gottesbegegnung dem Gottesdienst fern, sondern weil gerade diese nicht stattfindet. 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 88 Wenn es in den sonntäglichen Versammlungen zur Gottesbegegnung käme, würden die Gemeindeglieder zu ihnen drängen. Da wäre die rapide Abnahme der Kenntnis der Heiligen Schrift im Kern der Gemeinde keinesfalls denkbar. Wären die volkskirchlichen Gemeinden und mit ihnen das kirchliche Leben in den neuen deutschen Bundesländern zu einem Torso geschrumpft, wenn es in ihren Gottesdiensten Begegnungen mit dem Dreieinigen gegeben hätte? Erfahren sie Gottesbegegnung, nehmen Gemeinden in Verfolgungszeiten eher zu als ab, wie wir aus dem kommunistischen China wissen. Wie anders erging es da der Volkskirche in der ehem. DDR. Der Kommunismus habe die Volkskirche geschwächt, ist eine gängige Meinung. In Wahrheit hat der Kommunismus die Schwäche der Volkskirche nicht herbeigeführt. Er hat ihre genuine Schwäche aufgedeckt. Wo Gottesbegegnung ist, zeigt sich die Gemeinde tief berührt, wird gerade in existentieller Bedrohung mutig, kann es nicht lassen, von dem zu reden, was sie gesehen und gehört hat. So ging es bereits der verfolgten Gemeinde in Apg 4,9-31. Wo Gottesbegegnung ist, blüht Mission. Wird nur Kult zelebriert, weil es Tradition ist, leeren sich die Kirchen sobald ihre Glieder unter Verfolgungsdruck geraten. Gottesbegegnung im Gottesdienst macht Christen, was ihr Zeugnis in der Welt betrifft, nicht nur mutig, sondern auch sprachfähig. Der Leib Christi wird für die sendungsorientierte Existenz gestärkt, zubereitet, in Niederlagen getröstet, aufgebaut. Die Heiligen werden zugerüstet zum Dienst (Eph 4,11). Über den Gottesdienst in ntl Zeit wissen wir wenig. Eines aber wissen wir, dass viele etwas einbrachten, damit der Leib für die Sendung in die Welt erbaut würde: „Wie ist es denn nun, liebe Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung!“ (1. Kor 14, 26). 1.2.6.2. Tödliches Hirte-Schafe-Modell Die Konstantinische Wende hat die Herrschaft des Klerus und den Klerikalismus ermöglicht, dem durch Jesus unter den Christen eine deutliche Absage erteilt war (Mk 10,42-45). Im NT wird die Gemeinde nicht von einem sie beherrschenden Kleriker, sondern von einer Gruppe geleitet. Es sind die Ältesten, die auch als Hirten oder Bischöfe bezeichnet werden. Den einzelnen Gemeindehirten kennen die Schriften des NT nicht. 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 89 Wir haben in Volks- und Freikirche auch Älteste (Presbyter, Kirchengemeinderäte). So verdienstvoll sie sind, sind sie in der Regel weit davon entfernt, Hirten zu sein. Die Klerusmentalität hat die einstigen Hirten zu Verwaltern degradiert. Der biblische Begriff „Hirte“ ist für das Verständnis von Gemeindeleitung nur in einer Hinsicht wichtig: Mit der Anwendung des Hirtenbildes auf die Ältesten wird die Hoheit ihres Dienstes deutlich: Im AT ist Gott Hirte seines Volkes (Ps 23). Im NT ist Jesus der gute Hirte (Joh 10). Wenn die Ältesten als Hirten bezeichnet werden, dann aufgrund der Vorstellung, dass etwas vom Wesen des guten Hirten in den Leitern wirksam wird. Das Wesen Jesu gewinnt im Dienst des Ältesten Gestalt. Das ist hohe Würde des Ältestendienstes! Hirte beschreibt eine Herzenshaltung, ein Wesensmerkmal, auch eine Gabe, jedoch k e i n e S t r u k t u r . In der Kirche, der Jesus verbietet, jemanden „Vater“ oder „Rabbi“ zu nennen (Mt, 23,8-12), kann es keine Hirten-Schafe-Struktur geben. In Christus sind alle Brüder und Schwestern, alle sind Könige und Priester. In der Kirche des Priestertums aller Gläubigen können die Amtsträger nur Erste unter Gleichen sein. Das Hirten-Schafe-Modell ist - als Struktur verstanden - für das Werden von Gemeinde tödlich. Dieses Modell aber scheint sich unausrottbar eingeprägt zu haben. Eine der gemeindeverhindernden Sünde der Volkskirche heißt Pfarrerzentriertheit! Hyperaktiver Pfarrer und passive Gemeinde - das stellt, gemessen am NT und am gesunden Hausverstand, eine Verirrung dar. Ein Pfarrer kann sich nicht zerteilen. Er kann sich aber vervielfältigen. Ein Vervielfältigungsprozess ist bei uns jedoch nicht vorgesehen. Die Gemeinde hat ein völlig falsches Bild vom Pfarrer, das sie fatalerweise für gottgegeben hält. Das Bild vom Alleskönner setzt den Pfarrer unter Druck. Er soll alles machen. Die Gemeinde wird aufgrund ihres Bildes zum Quälgeist der Pfarrer und Pfarrerinnen. Deren Unglück besteht darin, dass auch sie nach dem falschem mentalen Modell leben und nicht mehr nach Gottes Wort. Sie sind die Gefangenen eines missverstandenen Bildes vom Hirten geworden. Das Bild vom Hirten - strukturell verstanden - setzt den Pfarrer unter Druck und entmündigt die Gemeinde. Manche Gemeinde vom Pfarramt beherrscht, wird in sublimer Weise in Unmündigkeit gehalten. Dieses Beherrschen aber nennen wir „Dienen“. Pfarrerinnen und Pfarrer „dienen“ mit oft unbeschreiblichem Fleiß. Einige dienen 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 90 sich kaputt. Das Paradoxon: Es ist ein Dienen, dass in Wahrheit ein heimliches Herrschen ist - ein Herrschen, das sich mit der Maske des Dienens tarnt. Die Dienstmaske ist dem wirklichen Dienen täuschend ähnlich – „dienen“ viele Pfarrer doch bis an den Rand ihrer Kraft! Dieses „Dienen“ ist einer Mutter vergleichbar, die sich weigert ihrem Kind das Laufen zu lehren. Ihr Rollenverständnis beruht darauf, dass sie ihr Leben lang für das Kind zu laufen habe. Solches „Dienen“ wäre ein schauriges Beherrschen. Die Mutter macht sich schwerster Behinderung des Kindes schuldig. – So ähnelt denn manche Gemeinde hierzulande auch einer geistlichen Behindertenanstalt. Kirchensprache ist verräterisch. Oberkirchenräte reden gern von der geistlichen „Versorgung“ der Gemeinden. Kleinkinder, Gebrechliche, Schwerstbehinderte müssen versorgt werden. Viele, die dazu bestimmt sind, geistliche Persönlichkeiten zu sein, werden in spiritueller Unmündigkeit gehalten. Wo es ausnahmsweise anders ist, hat der Pfarrer oder die Pfarrerin auf Amtsherrlichkeit bewusst verzichtet, hat Menschen zu geistlicher Mündigkeit geführt, sie mit ihren Gaben erblühen lassen. Das aber gelingt bei uns höchst selten. Wir leben nicht nur in einer krankhaften Struktur. Diese Struktur lebt in uns. „Das NT kennt nur aktive Gemeindeglieder. Das moderne Gemeindebild einer passiven Masse, um die einzelne Amtsträger` bemüht sind, ist tief unbiblisch und widerspricht dem Wesen einer Gemeinde Jesu“ (De Boor 1969:99). Was ist nicht schon gegen die Pfarrerzentriertheit und für das allgemeine Priestertum aller Gläubigen geredet und geschrieben worden! Es scheint aufgrund der Macht des mentalen Modells nahezu vergeblich. 1.2.6.3. Skurrile Tauf- und Unterrichtspraxis Theologie, Pfarrerschaft und Gemeinde machen sich, was die Taufe betrifft, gern etwas vor. Wie wichtig doch die Taufe der Säuglinge wäre, kann man hören, sobald die Sprache darauf kommt. Kaum aber ist das Kind getauft, ist das kirchliche Interesse an ihm, an den Eltern und Paten, auch schon erloschen. Diese Praxis oder besser Unpraxis, hat sich so tief eingegraben, dass es wenige wahrnehmen. Ungeheuerliches ist zur Gewohnheit geworden. Besondere Scheinheiligkeit ist darin zu erblicken, dass man in der Volkskirche gegen die Wiedertaufe, die Freikirchen vornehmen, empört zu Felde zieht, anstatt sich an 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 91 die eigene Brust zu schlagen. Ein lutherischer Bischof hat sich mir gegenüber sogar einmal dahin verstiegen, dass er sich frage, ob die Wiedertaufe nicht die Sünde wider den Heiligen Geist sei. Zu Wiedertaufen kommt es in aller Regel dort, wo die Kirche, die es unternimmt, Säuglinge zu taufen, es sträflich unterlassen hat, diese in späteren Jahren zum Glauben zu führen. Die meisten Widertaufen gehen auf das Schuldkonto der Volkskirche mit ihrer skurrilen Taufpraxis. Da ist die Kundgabe der Synode der EKD von 1999 hoch zu loben, die festgehalten hat: „Eine Kirche, die Kinder tauft, ist dazu verpflichtet, sie zum persönlichen Glauben hinzuführen.“ Das ruft nach einer besonderen Verkündigung an die Adresse der Gemeinde und nach der Einübung in eine Praxis und Struktur, die es ermöglicht, dass permanente Begegnung der Gemeinde mit Eltern, Paten und den getauften Kindern stattfindet. - Das Bild, das die Konfirmandenpraxis zeichnet, ist ebenfalls skurril. Jugendliche werden unterrichtet, um zum Glauben zu finden. Nachdem sie in biblischer Lehre unterwiesen sind, werden sie konfirmiert. Nach dem Festgottesdienst aber ist selten jemand von den Unterwiesenen noch in der Kirche zu finden. So war es immer. So wird es – wie alle vermuten - richtig sein. Graugänse lassen grüßen. Nu könnt man einwenden, gerade der Konfirmandenunterricht beweise, dass wir eine um den Glauben der Getauften bemühte Kirche sind. Wir könnten auch auf unsere Bemühungen im schulischen Religionsunterricht verweisen: Da haben wir auch die einst Getauften vor uns. Die Frage lautet: Versteht sich unser Unterricht vom Sendungsauftrag her oder nicht? Wenn ja, warum kommen die Konfirmierten nach ihrem großen Tag nicht wieder? Der Konfirmandenunterricht ist die größte jugendevangelistische Möglichkeit unserer Kirche. Ist das unseren Gemeinden bewusst? Verspielen sie nicht Jahr für Jahr diese größte Möglichkeit? Haben unsere Pfarrer und Pfarrerinnen je gelernt, evangelistisch unter Teenagern zu unterrichten? Wohl in jeder Gemeinde gibt es Menschen mit evangelistischem Charisma. In der Regel werden sie weder entdeckt, noch zugerüstet, geschweige denn zu diesem wichtigen Dienst berufen. Wie ist es mit dem Religionsunterricht in der Schule? Es gibt Beobachtungen, dass schulischer Religionsunterricht mehr Schaden anrichtet als er nützt. Vor 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 92 Jahren hat der bayrische Pfarrer Frithjof Gräßmann darauf hingewiesen (1961), dass ein bayrischer Abiturient 1100 bis 1300 Religionsstunden erlebt hat. Das meistens 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 93 geringe Ergebnis stünde jedoch in keinem Verhältnis zu dem Aufwand. Gräßmann vertritt die These, dass der Religionsunterricht oftmals mehr gegen den Glauben immun mache, als dass er ihn weckt oder fördert. Die Immunisierungsthese ist ernstzunehmen. Dantine (o. J.) erklärt in „Religionsunterricht als Zeugendienst“, dass die Kirche nicht versuchen darf, den Religionsunterricht als trojanisches Pferd für kirchliche Mission zu benutzen. Dann behauptet er, dass „jedes kirchliche Handeln eo ipso ein missionarisches ist“. Da ist die Untersuchung von Gräßmann nicht ernstgenommen. Kirchlicher Unterricht kann ausgesprochen a n t i -missionarisch sein. Religionsunterricht oder Konfirmandenunterricht ohne Verwurzelung in ein lebendiges Kinder- und Jugendangebot in der Gemeinde immunisiert in den meisten Fällen. 1.2.6.4. Antimissionarische „Apartheidspflege“ Was hat die Kirche einst gegen die südafrikanische Politik der Apartheid geschimpft! Dass wir selber einer Apartheidspflege eigener Couleur hingebungsvoll verfallen sind, wird nicht gemerkt. Es hat sich in unserer Kirche ein Verhaltensmuster ausgebildet, das sich als antimissionarisch bezeichnen lässt. Ich denke an die unselige Lagermentalität, die gegenseitige Diffamierung als progressiv und konservativ, als liberal oder evangelikal. So sehr die Einheit missionarische Bedeutung hat (Apg 2,47), so sehr wirkt Streit antimissionarisch. Immer wieder begegne ich in der Volkskirche, besonders unter Theologen, der Ansicht: Das Betonen des Evangelistisch-Missionarischen sei „evangelikal“. Evangelikale, weil des Fundamentalismus verdächtig, werden abgelehnt - und somit auch das Evangelisieren, das diese so gern betreiben. Es ist wahr, dass Christen, die sich als evangelikal bezeichnen, von Evangelisation viel halten. Ist die Einstellung kirchlicher Glieder, die den Sendungsauftrag ernstnehmen, darum schon evangelikal? „Evangelikale evangelisieren. Wer evangelisiert, ist evangelikal.“ Diese Logik greift zu kurz. Es ist, als würde jemand sagen: „Eidechsen liegen gern in der Sonne. Wer gern in der Sonne liegt, ist eine Eidechse.“ So billig sollten wir uns nicht aus der evangelistischen Verantwortung stehlen. Und so leicht sollten wir den Freikirchen das Evangelisieren nicht überlassen, zu dem wir von höchster Stelle gerufen sind. Wenn es nur der freikirchliche Stil ist, der uns nicht passt, warum kreieren wir nicht einen landeskirchlichen? Dass den 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 94 Menschen außerhalb unserer Mauern die Sonne der Liebe Gottes aufgeht, d a s will Evangelisation. Das können wir uns doch nicht entwenden lassen. Was die innerkirchliche Apartheidspflege betrifft, gab es scheinbare Zeichen der Besserung. So entschuldigten sich auf der Synode der EKD 1999 in Leipzig „wechselseitig Synodale für ihre Vorurteile und distanzierten sich von der Karikatur der klischeehaften Verzeichnung: ‚Hier die bibelfreundlichen Menschenfeinde, dort die bibelfeindlichen Menschenfreunde’“ (Ehlhaus o. J.). Dass dieses Aufeinanderzugehen zu einem Kompromiss führte, der Gott zum Mittel kirchlicher Zwecke degradierte, der die Universalität, Eschatologie und Soteriologie der christlichen Botschaft bis zur Unkenntlichkeit verhüllte, ist in der „Kundgebung der Synode“ aktenkundig (EKD 1999). Die Kirchen wollen Mitglieder gewinnen, darauf ruht das Interesse. Dass es um die Herrschaft Christi geht und nicht um das Wachstum der Kirche, dass es darum geht, um Gottes Willen Verlorene zu retten, lässt die Kundgebung schmerzlich vermissen. 1.2.6.5. Modellwechsel – oder: die Bekehrung eines Bekehrten Falsche mentale Modelle, skurrile Bilder haben Kirche und ihre Gemeinden über Jahrhunderte hinweg in ihrer Sendung behindert und blockiert, bis sie an ihnen nun langsam zugrundegehen. In diesem Zusammenhang bekommt das Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis machen“ (Ex 20,4) bestürzende Aktualität. Wie sind falsche Bilder zu überwinden? Besteht Aussicht, dass das je gelingt? Das NT, das grundsätzlich, aber auch in untergeordneten Fällen, von falschen Wegen zur Umkehr ruft, ermöglicht diese d u r c h V e r k ü n d i g u n g u n d E r f a h r u n g . Durch Jesus erfuhren seine Zeitgenossen einen anderen, als den ihnen bis dahin verkündigten Gott. Die Verkündigung Jesu, wir denken besonders an die bildhaften Gleichnisse, ließen die Menschen Neues e r f a h r e n . Dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen war, hatten sie buchstäblich vor Augen: „Selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören“ (Mt 13,16). Im Nazarener war das Gottesreich erfahrbar geworden, sichtbar, spürbar, greifbar, erlebbar. Seit Jesus gehören darum Wort und Tat unlöslich zusammen. Sein Wort war Tat und seine Tat war Wort. Die Taten Jesu waren höchst beredt. Sie sagten etwas ungeheuer Einfaches und Zentrales aus: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen.“ Nach Paulus ist Jesus „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 95 (Kol 1,15). Schon für den Irdischen gilt: Eingehüllt in seine Niedrigkeit, hatten die Menschen Gott vor Augen, wenn sie Jesus zusahen bei seinen Taten. Gott lag ihnen im Ohr, wenn sie Jesu Worten lauschten. Die Erfahrung von Wort und Tat Jesu ermöglichte die Umkehr von falschen Vorstellungen und verkehrten Wegen. Bevor Jesus zur Umkehr rief, hat er die Voraussetzungen zur Umkehr geschaffen. Dazu kommt, dass das NT dem „Vorbild“, positive, prägende, auch umprägende Bedeutung, zuspricht (Phil 3,17 [tÀpov]; 1. Thess 1,7 [tÀpov]; 2. Thess 3,9 [tÀpov]; 1. Tim 1,16 ÃpotÀpwsin; 4,12 [tÀpov]; 2. Tim 1,13 [ÃpotÀpw- sin]; Titus 2,7 [tÀpov]; 1. Petr 2,21 [Ãpogrammèn]; Jak 5,10 [Ãpçdeigma]). tÀpov, das meistgebrauchte Wort, ist der sichtbare Eindruck, das Abbild, Vorbild und Muster (Bauer 1971:1642). Durch neue Erfahrung und Vorbilder sind nach dem NT falsche Bilder zu überwinden. Neben der biblischen Weise „falsche Bilder zu überwinden“ lässt die moderne Gehirnforschung aufhorchen. Hüthers Buch „Die Macht der inneren Bilder: Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern“ (2004), befasst sich zwar nicht mit den falschen Bildern von Kirchenleuten. Gleichwohl stimmen seine Worte optimistisch. Eine Nähe zu unseren Problemen ist nicht von der Hand zu weisen. Ihm geht es um die Überwindung von Angst machenden Bildern, die den Mut rauben, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. „Auf den ersten Blick scheint es so, als gehörten auch diese inneren Bilder zu jenen, die immer weiterleben. Aber bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Vermutung als Irrtum, denn es gibt ein sehr effektives und vor allem nachhaltig wirksames Mittel, das all diese falschen inneren Bilder gleichermaßen – wenn auch nur langsam und daher kaum spürbar – aufzulösen vermag. Es ist ein ganz einfaches und unaufhaltsam wachsendes, sich ständig ausbreitendes Mittel: Wissen. Es ist das Wissen, das jeder Mensch im Laufe seines Lebens und jede menschliche Gemeinschaft im Lauf ihrer gemeinsamen Geschichte sammelt … Dazu gehört auch das Wissen, das ihnen verstehen hilft, woher die inneren Bilder kommen, die sie in sich tragen und was diese Bilder bewirken“ (Hüther 2004:134). Hüther wird „Wissen“ kaum als rein kognitiv erworben definieren. Wir haben Grawe (2004) zitiert, der auf die Neurowissenschaften hinweist, die die „enorme Plastizität des Gehirns durch Umwelteinflüsse“ entdeckt haben. „Es zeigte sich 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 96 auch, dass die Plastizität in beide Richtungen gleichzeitig besteht, in krankheits- fördernde und S c h ä d e n w i e d e r b e s e i t i g e n d e o d e r k o m p e n s i e r e n d e R i c h t u n g “ (2004:23; Hervorhebung KE). Der Begriff der Erfahrung spielt nunmehr eine große Rolle. Wir haben erkannt, dass den Menschen weniger genetisch angeboren ist, als vielmehr durch Erfahrung vermittelt. „Aber das Hirn kommt nicht ohne die Erfahrung aus, die ihm über seine Sinne vermittelt werden. Und diese Erfahrungen haben Auswirkungen auf das Gehirn … Wenn es schlechte Erfahrungen sind, werden sie schlechte Auswirkungen haben … Erst durch konkrete positivere Lebenserfahrungen kommt es zu sich selbstaufrechterhaltenden neuen gesünderen Strukturen und Abläufen im Gehirn“ (Grawe 2004:19). Lukas erzählt von Petrus und dem Heiden Kornelius (Apg 10), die Geschichte vom Wechsel eines mentalen Modells. Petrus weiß: „Alle Heidenvölkern“ sollen zu Jüngern gemacht werden. Der Felsenmann aber ist Gefangener eines falschen Bildes: „Heiden sind unrein. Ein Jude betritt kein heidnisches Haus.“ Es bedarf einer Gotteserfahrung, um das falsche Bild durch das richtige zu ersetzen. Der Apostel kann nicht denken, zu dem im Heidentum Gefangenen zu gehen. Dadurch wird klar: Petrus ist der eigentlich Gefangene, gefangen in seiner Tradition. Er hätte längst ernst machen müssen, dass Christus auch der Retter der Heiden ist, stand doch Petrus längst unter dem Missionsbefehl, der die Jünger zu „allen Völkern“ schickt. Das aber ist so ungeheuerlich, das zu glauben, hat er bisher nicht vermocht, er, dem Jesus gesagt hatte: „Ich will dich zum Menschenfischer machen“ (Mk 1,17; Mt 4,19; Lk 5,10). Die Gefangenschaft des Apostels, des Gesandten, in seiner Tradition erweist sich stärker als Jesu Befehl. Er kommt davon aus eigenem Vermögen nicht frei. Da muss der Geist schon selbst eingreifen: Petrus sieht in einer Vision ein Tuch mit Fleisch von für ihn unreinen Tieren und hört eine Stimme, die ihn auffordert, zu essen. „Während aber Petrus nachsann über die Vision, sprach der Geist zu ihm: Siehe, drei Männer suchen dich; so steh auf, steig hinab und geh mit ihnen und zweifle nicht, denn ich habe sie gesandt“ (Apg 10,19-20). Die drei Männer sind Heiden. Das ist die auf den Kopf gestellte Sendung: Eigentlich war der Christ zu den Heiden gesandt. 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 97 Nun sendet der Geist die Heiden zu den Christen: „Bringt uns endlich das Evangelium!“ Petrus erhält ein neues Bild, wodurch das alte erlischt. Petrus macht eine neue Erfahrung, die u. a. darin besteht, dass er 50 Kilometer von Joppe nach Cäsarea zum Kornelius wandert, eine Schritt-für-Schritt-Erfahrung. Petrus hat einen Auftrag für Kornelius. Der kann nur ausgeführt werden, wenn er aufbricht, sich, was seine falschen Muster betrifft, ändert. Unsere Gemeinden haben einen Auftrag an denen, die Christus nicht kennen, die rituell getauft sein mögen, sich aber von Gott nicht geliebt wissen, weil sie vom Evangelium nicht erreicht sind. Das kann sich nur ändern, wenn die Gemeinden sich ändern. Wir brauchen ein an der Schrift ausgerichtet Bild von der Gemeinde. Hier ist - statt auf Visionen zu warten - zunächst Bibellesen gefragt: Was ist das biblische Bild von der Gemeinde? Wir wissen, dass es deren mehrere gibt, aber alle stehen unter dem Sendungsbefehl, wie auch allen das Doppelgebot der Liebe gilt. Wir brauchen biblisches Wissen und - ein gehorsames Herz. Im Buch der Bücher ist schon alles über die sendungsorientierte Gemeinde niedergelegt. Kirchliche Verkündigung ist im Wesentlichen Sendungsrede an die Gemeinde oder sie verfehlt ihr Wesen. Wir haben gesehen: Schon seit der Abrahamverheißung heißt es: „… in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“ (1. Mose 12,3). Zum ntl ekklesiologischen Wissen brauchen wir die Erfahrung biblisch gegründeter, sendungsorientierter Gemeinde. Hier hilft der Blick über den Zaun. Auf anderen Kontinenten leben Gemeinden, die aus der Anbetung kommend sendungsorientiert existieren, sei es in einem Slum von Manila, im Süden Indiens, in Südafrika oder in einem County vor Chicago, Gemeinden als gestaltgewordene Sendung und Nächstenliebe. Die Arbeitsgemeinschaft für Gemeindeaufbau in Deutschland (AGGA) hat Reisen zu solchen Gemeinden, nach England, den USA, Südkorea gemacht. Lebendige Gemeinde zu erleben, hat volkskirchliche Pfarrerinnen und Pfarrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ehrenamtliche Gemeindeglieder zum Nachdenken gebracht, in die Stille geführt, in Anbetung versetzt, den Zustand der eigenen Kirche erkennen lassen. Da waren welche über die eigene Gemeinde erschüttert, haben den Predigten dort gelauscht, und ihre Sünde erkannt: verwerfliche Selbstzufriedenheit inmitten eigener Verirrungen, 1.2.6. In der Macht mentaler Modelle 98 schwere Unterlassungen, das Verlieren in albernen Nebensächlichkeiten getarnt mit der Ausrede von der „Treue im Kleinen“. Erweckungen haben oft mit Tränen der Buße begonnen. 1.3.1. Christologische Krise 99 1. 3. Das Problem 1.3.1. Christologische Krise Der Titel dieser Arbeit besagt, dass Predigen etwas tut. Es richtet entweder etwas aus oder es richtet etwas an. Führen oder Verführen - sind die zwei entgegen gesetzten Wirkweisen der Predigt, die sich wie Pole zueinander verhalten. Zwischen beiden Polen tut sich eine differenzierte Predigtlandschaft auf. Es gibt Predigten, die fangen gut an und hören gut auf, aber zwischendrin verstreicht kostbare Predigtzeit mit Verzichtbarem. Es hat wohl mit der Freundlichkeit des Geistes oder mit menschlicher Veranlagung, wahrscheinlich mit beidem zu tun, dass manche Hörer aus exegetisch missratenen Predigten für sich noch Hilfreiches zu gewinnen vermögen. Pauschal lässt sich sagen: Die Aktualität der gegenwärtigen Predigt hat zu-, die Auslegungsqualität dagegen hat abgenommen. Das Erstere ist zu begrüßen, das Zweite zu überwinden. Was hilft Aktualität, wenn der theologische Bezug und damit die biblische Weisung für die Gegenwart fehlt, was blinde Blindenführung zur Folge hätte. Evangelische Predigt hängt an ihrem Schriftbezug. Sie bezieht ihre Legitimität vom Text. Aktualität und Auslegungsqualität sind in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Predigt tut etwas mit denen, die predigen und mit denen, die Predigten hören. Versteht sich die weltweite Kirche als aus dem Worte Gottes gebildet - „Ecclesia est creatura verbi“ -, dann gilt das auch für die einzelne Gemeinde. Hat das Wort die Macht, Kirche zu erschaffen, muss die W i r k u n g der Predigt auch für die Ortsgemeinde hoch veranschlagt werden. Gemeinden sind die Abbilder der an sie ergehenden Predigt. Nicht nur die Existenz der Laien ist - wie Bohren (1979: 56) vermerkt - die „Quittung auf unsere Predigt.“ Der Zustand der Gemeinde als ganzer ist Widerhall der in ihr geschehenen Verkündigung. In hohem Maße ist es die Verkündigung, die die Gemeinde führt und formt. Wie ist das Ergebnis der Predigt, ihre ernüchternde Wirkung zu beurteilen? Diese Frage knüpft an eine längst in Gang gekommene Diskussion an: „Die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Wort-Gottes- Theologie offengelegte Problematik der Predigtpraxis in der Volkskirche ist zum beherrschenden Thema der Homiletik in der zweiten Jahrhunderthälfte geworden und bestimmt in gewisser Weise auch die Diskussion der 1.3.1. Christologische Krise 100 Gegenwart. Auf eine kurze Formel gebracht handelt es sich um die Diskrepanz zwischen Predigtauffassung und Predigtwirkung, zwischen der Wesensbestimmung und dem tatsächlichen Vollzug der Predigt“ (Müller 1966:157) Mit diesen Andeutungen weist Müller auf eine Problematik, die sich zunächst nur im Rahmen der Praktischen Theologie bewegt. Stellvertretend für das Ringen um Klarheit ist hier die Auseinandersetzung zwischen Lange und Bohren zu nennen. Lange ([1967]1982:9-51), sich von der Wort-Gottes-Theologie unterscheidend, schaut auf die Situation des Predigthörers, die für ihn zunächst quälend unüber- sichtlich ist und darum analysiert werden müsse, um der erforderlichen Aufgabe der „Klärung dieser homiletischen Situation“ gerecht zu werden. Bohren (1981/9: 416-430) sieht darin ein dem „Hörer hörig“ werden. Die Frage nach dem theologischen Inhalt scheint sich noch nicht zu stellen. Müller (1966) sieht, wie sich die homiletische Diskussion auf Einzelprobleme hin verlagert. Es komme zu einer Adverb-Homiletik. Das würden die neueren Titel ausweisen: „Konkret predigen“ (Hirschler), „Persönlich predigen“ (Denecke), „Rhetorisch predigen“ (Otto), „Seelsorglich predigen“ (Möller), „Biblisch predigen“ (Hirschler). Es wird deutlich, „dass sich die Diskussion von den Wesensbestimmungen weg und auf die ‚Machbarkeit’ der Predigt hin bewegt“ (:169). Die inhaltliche Frage ist damit noch nicht ausdrücklich gestellt. Seitz (1979) ging vor Jahren der Frage nach „Brauchen wir eine neue Predigt?“ Das war für ihn nicht nur eine binnenkirchliche Fragestellung: Ihre Bedeutung reiche weit über die Gemeinde hinaus. „In dieser Frage sollte auf jeden Fall ein Blick auf diejenigen enthalten sein, die wegen der Belanglosigkeit der Verkündigung die Kirche verlassen haben und jetzt außerhalb ihrer Reichweite leben“ (:9). Es ging Seitz um eine „durchgreifende Neuordnung des Predigtdienstes“ (:19). Er befasste sich vorwiegend mit der Erneuerung der Predigtgestalt. Das Stichwort „Belanglosigkeit der Verkündigung“ lenkt den Blick jedoch schon sorgenvoll, aber noch behutsam auf die Inhalte der Predigt: „Vielen, vor allem jungen Predigern, ist im Moment der Glaube etwas abhanden gekommen“ (20). Inzwischen haben die Dinge einen dramatischen Verlauf genommen. Meinten die Reformatoren, Kirche sei Schöpfung des Wortes, ist mit Schmerzen zu sehen, dass eine beschädigte Kirche unter uns entstanden ist, was auf eine Beschädigung 1.3.1. Christologische Krise 101 der Verkündigung des Wortes schließen lässt. Es scheint so, dass ausgerechnet hauptsächlich die Predigt den Niedergang von Kirche und Gemeinde verursacht. Eine Kirche, der der Glaube abhanden kommt, predigt sich zu Tode. Dabei sollte die Predigt Leben wirken, ewiges Leben. Ehe wir uns der Frage zuwenden, welch einen Kirchenzustand das gepredigte Wort unter uns geschaffen hat (Kap 3.1. und 3.2.), ist danach zu schauen, w a s gepredigt wird, was I n h a l t k i r c h l i c h e r V e r k ü n d i g u n g ist. Es wird nicht so sein, dass der Kirche die Massen davonlaufen, weil sie das Evangelium predigt, auch eingedenk der Tatsache, dass das Wort vom Kreuz denen, die verloren gehen, eine „Torheit“ ist. Henze (2005:13) zitiert Hanssen: „Wir meinen immer, wenn nur richtig und vollmächtig gepredigt würde, dann füllten sich die Kirchen auch wieder. Es könnte auch das Gegenteil geschehen, dass nämlich bei einer vollmächtigen Predigt die Hörer fluchtartig die Kirche verließen, um der Nähe und dem Anspruch auszuweichen.“ Laufen die Menschen davon, weil wir das Evangelium vollmächtig predigen? Danach sieht es nicht aus. Sie laufen offensichtlich davon, weil das Evangelium von den kirchlichen Kanzeln kaum noch gepredigt wird. Bohren (1983:345) schreibt: „Das Ergebnis der Lektüre unzähliger Predigten: das Evangelium wird in der heutigen evangelischen Predigt in der Regel verschwiegen.“ Das Evangelium handelt von Jesus Christus. Wird es verschwiegen, offenbart das eine K r i s e d e s C h r i s t u s g l a u b e n s . Christusglaube drückt sich aus im urchristlichen Bekenntnis kÀriov HIjsoÂv Cristçv (Phil 2,11). „Jede Predigt, die den Anspruch darauf erhebt, christliche, evangelische Predigt zu sein, proklamiert Jesus von Nazareth als den Kyrios“ (Niebergall 1974:62). Viele unserer Prediger wissen mit Christus als dem Kyrios heute offensichtlich wenig anzufangen. Die Predigt befindet sich in einer christologischen Krise. „Vielen, vor allem jungen Predigern, ist im Moment der Glaube etwas abhanden gekommen.“ So sagte Seitz (1979:20) – wie wir sahen - vorsichtig in den siebziger Jahren. Inzwischen (2003) sieht er sich genötigt, von einem „endzeitlichen Beben“ zu sprechen und von Predigten, „die das Geheimnis des Glaubens aus dem Gewebe der Texte entfernen.“ Es handelt sich um „Predigten, die das Christologische in jesulogische Auffassungen umwandeln, die Auferstehung rational-psychologisch 1.3.1. Christologische Krise 102 deuten und das Evangelium kaum merklich in eine menschlich ansprechende Gesetzlichkeit umwandeln. Mit einem Wort: um Predigten, die zwar den ‚lieben Gott’, aber nicht mehr die Rechtfertigung des von Gott getrennten Menschen aus der unverdient von außen kommenden Gnade in Christus verkündigen“ (Seitz 2003:18). Das, was Kirche begründet, was ihr Wesen ausmacht, das, was ihr Herzschlag ist, worin sie ihre universale Bedeutung hat, ist ihr - in unseren Breitengraden jedenfalls - zum Problem geworden. Das hängt nicht mit dem oben erwähnten, von Barth beschriebenen „Nicht können“ zusammen. Für Barth ist es die Größe und Herrlichkeit des Ewigen, der unermessliche Abstand zwischen ihm und uns, die ihm bewusst macht, dass ein Reden von Gott eigentlich nicht möglich ist. Er hat dennoch eifrig selber gepredigt und der Predigt, wie wir sahen, höchste Bedeutung beigemessen. Schon vor Jahren hat Josuttis (19692) 907 Predigten, Andachten und Bibelarbeiten untersucht und ausgewertet. Umfassende Untersuchungen, theologische Besinnung und öffentliche Warnung seien nötig, um den Verkündigungsschaden der Kirche zu heilen (:9). Zwar stellt er fest, dass allen Predigern die Christologie als das zentrale Thema schlechthin gilt und christologische Aussagen auf diese oder jene Weise erscheinen. Auf ihren evangelischen Aussagegehalt hin befragt, zeigen sie jedoch eine „gesetzliche Verfälschung des Evangeliums“. Diese zeige sich u. a. in falscher Objektivität (christologische Formeln, Flucht ins Zitat), in falscher Subjektivität (Verbürgerlichung, Christus als Glücksgarantie, habituelle Gnadenlehre), in gesetzlicher Christologie (imitatio, repraesentatio, katholisierende Rechtfertigungslehre), in billiger Gnade. Glaube erscheint mystisch als Stillewerden der Seele, weltanschaulich als Optimismus, synergetisch als Werk des Menschen, „der Glaube allein genügt nicht“, das Ergebnis ist Werkerei. Ebenso kommt es zur gesetzlichen Verfälschung der Paränese. Knieling hat 1999 eine Diss rtation vorgelegt: „Predigtpraxis zwischen Credo und Erfahrung: Homiletische Untersuchungen zu Oster-, Passions- und Weihnachtspredigten“. Dazu hat er allgemein zugängliche Predigten und Predigthilfen ausgewählt. Im Fazit von einem Teil der Osterpredigten heißt es: Sie „dringen nicht durch zur Verkündigung der mit der Auferstehung Jesu 1.3.1. Christologische Krise 103 verbundenen Hoffnung“ (:58). Im Fazit der Passionspredigten heißt es: „So muss insgesamt festgehalten werden, dass in den untersuchten Passionspredigten die Heilsbedeutung des Todes Jesu häufig nicht bezeugt wird. Und wo sie in den Predigten und Predigtvorschlägen vorkommt, wird sie teilweise wieder verdrängt“ (:106). Knieling beurteilt sodann Weihnachtspredigten und findet zu einzelnen u. a. heraus: „Was bei Kindern die Märchen erreichen, soll bei Erwachsenen das Weihnachtsevangelium bewirken“, nämlich tröstende Wirkung anlässlich von Ängsten. Die Weihnachtsgeschichte soll Ängste nehmen. Dazu Knieling: „Jegliche konkrete christologisch-soteriologische Bestimmung des neugeborenen Jesus fehlt … Die Funktion des Angstwegnehmens kann auch durch andere Botschaften übernommen werden. Ein spezifisch christlicher Aussagegehalt, der dem Gott die Ehre gibt, der in Jesus Mensch wird, wird in letzter Konsequenz überflüssig“ (:140-141). Es wird „ die Einmaligkeit des Heilshandeln Gottes und dessen Bedeutung für den ganzen Kosmos ausgeklammert. In der Predigt wird nicht bezeugt, dass dieses eine neugeborene Kind davidischer Messias, Soter und Kyrios ist“ (:145). „An irgendeiner Stelle müsste erkennbar sein, welche spezifische Bedeutung die heilsame Gnade Gottes hat. Doch das ist nicht der Fall …“ (151). Knielings Untersuchung bietet ein Kompendium christologischer Fehlanzeigen. Zugleich aber bedenkt der Autor „Theologische Probleme“ (:154- 196) und eröffnet „Perspektiven für die Praxis“ (:197-231). Luther könnte uns einmal mehr den Weg weisen. Wenn wir auch keine zusammenhängende Christologie des Reformators haben, so hat er sich doch unentwegt zum Glauben an Christus geäußert. Wir können nur auswählen. In seiner Schrift „Die drei Symbole oder Bekenntnisse des Glaubens Christi, in der Kirche einträchtiglich gebraucht“ 1538, legt er dar: „Ich habe in allen Geschichten der ganzen Christenheit erfahren und gemerkt, dass alle diejenigen, die den Hauptartikel von Jesus Christus recht gehabt und gehalten haben, fein und sicher in rechtem christlichen Glauben geblieben sind. Und ob sie sonst daneben geirret oder gesündigt haben, sind sie doch zuletzt erhalten worden“ (Luther/Aland 19642:324). 1.3.1. Christologische Krise 104 Gegen den derzeitigen kirchlichen Trend betont Luther das Innewohnen Gottes a l l e i n in Christus, „so dass, wer nicht in Christus Gott findet oder kriegt, der soll außerhalb Christi Gott nimmermehr und nirgend mehr haben noch finden“ (ebd.). Im gleichen Zusammenhang betont der Reformator, „dass aller Irrtum, Ketzerei, Abgötterei, Ärgernis, Missbrauch und Bosheit in der Kirche ursprünglich daher gekommen sind, dass dieser Artikel oder Stück des Glaubens von Jesus Christus verachtet oder verloren worden sind.“ Für Luther ist Jesus Christus „der Generalskopus der Predigt“ (Müller 1996: 51). Nur das ist apostolisch, „was Christum treibet“. „Was Christus nicht lehret, das ist nicht apostolisch, wenns gleich Petrus oder Paulus lehret; umgekehrt, was Christus predigt, das ist apostolisch, wenns gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte.“ (Vorrede zum Jakobusbrief, Luther/Aland 19632 :63). Bevor wir Beispiele des beschädigten bzw. verlorenen Christusartikels aus unseren Tagen vorstellen, nehmen wir Maß an drei Predigten, die Christus verkündigen. Es handelt sich um eine Lutherpredigt, um die Predigt eines Theologieprofessors und um die eines Gemeindepfarrers. E r s t e s B e i s p i e l : – Eine Adventspredigt Luthers über Mt 21,1-9. Jesu Einzug in Jerusalem (Aland 1965, Bd. 8:11-17). E x e g e t i s c h e Hinweise: Nach Schniewind (1956:214) meint die Geschichte den Einzug des verheißenen Königs, der zum Leiden geht. Er, der in Niedrigkeit kommt, kommt zu Armen, Geringen, Demütigen, zu denen, die von sich selbst nichts erwarten konnten und darum alles von Gott erwarten. Das „Hosanna“ heißt in seiner Urbedeutung „Hilf doch!“ Schniewind meint, es sei hier eher als Zuruf des Segens für den Davissohn zu verstehen. Das ist insofern nicht zwingend, als die Erwartung religiöser, wie politischer Hilfe groß gewesen ist. „Jesus ist es, der Gottes Segen bringt … der Gottes Namen verherrlicht … wenn die christliche Gemeinde unsere Geschichte liest, so versteht sie den Ruf der Menge tiefer, als diese selbst ihn verstand“ (ebd.). D i e P r e d i g t : Luther betont, dass ein Christ deshalb Christ heißt, „weil Christus ihm seinen Namen an die Stirne, ja ins Herz geschrieben hat. „Wenn man dich fragt und spricht: Wie heißt du so mit dem neuen Namen ein Christ? heißt du doch sonst Hans, Peter, Paul? Kannst du also antworten und 1.3.1. Christologische Krise 105 sagen: Ja, von meinem Vater bin ich Hans, Peter, Paul genannt worden, aber ein Christ bin und heiße ich deshalb, weil ich mit Christi Blut getauft und gewaschen bin. Von dem Manne Christus heiße ich ein Christ … Das will nun dieses Evangelium, dass wir den König, von dem wir den Namen haben, dass wir Christen heißen, empfangen sollen. Denn wenns zum Sterben kommt, so stirbt Johannes, Petrus, Paulus dahin, aber ein Christ stirbt nicht. Ich sehe, dass Johannes, Petrus, Paulus begraben wird, aber ein Christ stirbt nicht, wird auch nicht begraben, sondern lebt. Denn Christus, von dem ich den Namen habe, sagt es selbst, dass wir als Christen wieder aus dem Grabe hervor müssen, auf dass wir so glauben lernen, was wir durch diesen König haben: nämlich Erlösung von Sünde, Tod und Hölle … Siehe, dein König, der dich retten und schützen will, kommt zu dir sanftmütig, fromm und hilfreich. Er ist voll Gerechtigkeit und kommt zu dir, dich fromm zu machen; er ist voll Leben und kommt zu dir, das Leben zu schenken. Das heißt Christus, und daher heißen wir Christen“ (:12).“ (ebd.). Auch gegen die Angst hat Luther ein Wort zu sagen: „So fährt Hans, Paul, Peter nicht in die Hölle, bleibt auch nicht im Tode, sondern fährt in Christi Schoß und lebt“ (:13). Wer fromm ist und gute Werke tut, müsse also noch etwas m e h r haben, „nämlich dass du ein Christ seiest und von Herzen sprechest: Ich glaube an Jesus Christus … So sollen wir ihn erkennen lernen, und zu solchem Könige sind wir berufen. Gott gebe, dass wir ihn empfangen und bei ihm bleiben“ (ebd.). Mitten in der Predigt wechselt der Reformator vom rettenden Christus zum weinenden Jesus (Lk 19,41-44). „Er weint über die, welche diese Predigt nicht achten“ (:13-14). Anstatt mit Donner und Blitz dreinzuschlagen, weint Jesus „dass sie so verstockt sind“. „Das ist, als wollte er sagen: Ich komme und suche dich mit Barmherzigkeit heim, bringe dir Hilfe und Trost, bringe dir Erlösung von Sünde und Tod und dazu das ewige Leben“ (:14). Die Christuspredigt zu verachten, hat ewige, aber auch irdisch, d. h. „gesellschaftspolitisch“ gesehen, verheerende Folgen: „Gnadenreich ist dieses Königs Einreiten und Ankunft, und die Gabe, die er bringt ist tröstlich. Aber wenn er verachtet und dazu verfolgt wird und man nicht glauben will, so weint er. So habe ich oft gesagt: Deutschland muss eine Plage treffen, es wird ein solch Blutvergießen werden, dass niemand wissen wird, wo er daheim sei“ (:15). Der Evangelist wird zum Propheten, der kommendes Unheil sieht: 1.3.1. Christologische Krise 106 „Darum sage ich: Hütet euch! Ihr seid jung, es kann geschehen, dass ihr das zukünftige Unglück über Deutschland erleben, sehen und erfahren werdet. Denn es wird ein Wetter über Deutschland kommen, und wird nicht ausbleiben. Gott hats der Stadt Jerusalem nicht schenken können“ …“ (ebd.). Es gibt für Luther menschliche Sünden wie den Geiz der Bauern, Bürger und des Adels, aber „dass sie über diese Sünde hinaus Gottes Wort so verachten, das wird ihnen den Hals brechen. Da hütet ihr euch vor … Es ist zu viel, dass wir Sünder sind; wollen wir noch dazu den erwürgen, der uns selig macht und tragen will? Das ist nicht eine menschliche, sondern eine teuflische Sünde“ (:16). B e u r t e i l u n g : Haben wir bei Luther auch keine systematische Entfaltung seiner Christologie, so finden wir in seinen Predigten, so auch hier, das Ringen um Menschen, um Christi willen. Was die vorliegende Predigt betrifft, mutet es an, als denke Luther - wie ein Evangelist - besonders an die unter seinen Zuhörern, die diesen Glauben noch nicht haben, ihn suchen oder in ihm angefochten sind. Er malt den Leuten Christus vor Augen. Die Predigt ist ein Werben und Ringen um die konkreten Menschen vor ihm. So predigt einer, der von Christus erfüllt, von Herzen möchte, was Christus will: Menschen retten für das Himmelreich. Dieses umso mehr, als der Reformator weiß, dass das Evangelium eine ernste Seite hat. Er lässt Christus sagen: „Und du solltest dagegen so voller Teufel sein, dass du solche Güte und Gnade, dir von mir angeboten, nicht nur nicht annehmen willst, sondern auch meiner dazu spottest. Das wird an dir kräftig gerächt werden“ (ebd.). Der Reformator sieht dramatisch vor Augen, was es bedeutet, wenn in Deutschland Christus nicht nachgefolgt wird, (was daher kommt, dass er nicht gepredigt wird): „Deutschland muss eine Plage treffen, es wird ein solch Blutvergießen werden, dass niemand wissen wird, wo er daheim sei“ (:15). Es kam der 30jährige Krieg, es kamen zwei Weltkriege. Sie haben Deutschland ein Stück Hölle auf Erden bereitet. Wäre ein im Worte Gottes gegründetes Deutschland den Verführungen des Dritten Reiches erlegen? Wir wissen es nicht. Die Geschwister Scholl jedenfalls waren bibellesende schwäbische Pietisten. Hat das Verachten der Christuspredigt politisch verheerende Folgen, so gilt der Umkehrschluss, dass der Predigt von Christus hohe politische Bedeutung im positiven Sinne zukommt, Bedeutung schon in diesem Äon. 1.3.1. Christologische Krise 107 Luthers Predigt ist insofern eine christologische zu nennen, als er nicht allein ü b e r Christus spricht, ihn auch nicht jesulogisch verbrämt, sondern ihn selbst und die ganze Freude über ihn verkündigt. Das haben wir von Christus: „Ein Christ stirbt nicht.“ Theologisch ist die Predigt, weil sie Gesetz und Evangelium, Gericht und Gnade getrennt und unvermischt zu verkündigen weiß. Neben der Freude an Christus steht der Ernst, ja, der Schrecken, den der Reformator vor der Gemeinde ausbreitet. Er sagt, was es bedeutet, wenn jemand Christus nachfolgt oder wenn jemand Christus nicht nachfolgt. 2 . B e i s p i e l – Josuttis: Predigt über Hebr 8,1-3 (1990:84-88). E x e g e t i s c h e Hinweise: Schlatter (1954:284) betont „die unvergleichliche Herrlichkeit des Christus“ die im Text gezeigt wird. „Eine Hauptsache am Priestertum Jesu ist dies, dass er zur Rechten des göttlichen Throns seine Stätte hat“ (:285). Er ist im Himmel und zugleich über dem Himmel. Der Blick zum Himmel lässt an ein Doppeltes denken, 1. an Gott und an die „Erscheinung und Offenbarung der göttlichen Lebens- und Herrlichkeitsfülle, 2. an die höchsten Werke der Schöpfung … an das Reich der höchsten Geister, in denen Gott sich besonders verherrlicht hat (:285). In das wahrhafte Heiligtum ist Christus gestellt. „Er ist sein lebendiger Mittelpunkt“ (:286). Er ist höher als alles, was in der irdischen Welt Gott an Verehrung und Anbetung dargebracht wird. D i e P r e d i g t : „Hauptsache der Himmel“, lautet die Überschrift über der politischen Predigt. Der Himmel ist das, was „die großen Mächte der Zeit, das Wirtschaft, Politik, Wissenschaft für unmöglich erklären.“ Aus ihrer Sicht ist es verboten, überhaupt davon zu reden (:84). Und doch soll das die Hauptsache sein, was der Glaube zu hören und weiterzusagen hat. „Nur wer auf d ie j ensei t ige Wel t Got tes war te t , kann in der d iessei t igen Wel t Got tes wirkl ich leben“ (ebd. Hervorhebung KE). Auch dort, wo die Schaufenster voll sind, könne man hungrig und traurig sein. „Die wichtigsten Lebensmittel gibt es auch bei uns nicht zu kaufen“ (:86). Diesem ernüchternden Satz folgt das richtungweisende: „Dort!“ „Dort in jenem verrotteten Zelt, dort steckt die Segenskraft Gottes. Der Himmel ist eine Macht und dort hat sich Jesus Christus an Gottes Seite gesetzt. Wer auf d ie Al lmacht Got tes se tz t , miss t raut den i rd ischen Mächten . Jesus, so der Hebräertext, ist „ein 1.3.1. Christologische Krise 108 Diener am Heiligtum und an der wahren Stiftshütte geworden“. In der Stiftshütte Israels hat sich alle Lebensenergie konzentriert. „Nicht auf den Himmel warten, sagt uns die Werbung, du kannst alles kaufen“ (:86). Die Segenskraft Gottes aber steckt in dem verrotteten Zelt. Die Stiftshütte wird zur Metapher für den Gekreuzigten. „Er ist der große Bruder, der uns vor den Thron geführt und der uns das Zelt gezeigt hat. Er tritt nun vor uns als Hoherpriester. Eine unheimliche Gestalt; denn jeder Priester muss etwas Verbotenes tun. Er muss Blut vergießen. Der Himmelt ist kein harmloser Ort. Gewiss sind die Menschen nach aller Hektik und Unrast dort zur Ruhe gekommen. Und gewiss ist dort alles Schreien und Klagen der Weltgeschichte verstummt – alle Kreatur singt dort das Lob des ewigen Schöpfers. Im Himmel steht der Thron – die wirkliche Macht. Im Himmel steht das Zelt – der wahre Segen. Und dann steht dort Er, der das Opfer vollzieht. Was opfert er denn? Er opfert sich selbst“ (:86-87). Was die Welt im Innersten zusammenhält, das Geheimnis des Lebens, „an Seinem Kreuz ist es sichtbar“. Davon lebt alles Leben, dass Er Sein Leben dahingibt. „Im Himmel zeigt sich, warum es die Erde und warum es uns noch immer gibt“, worin die Kunst des Lebens besteht. „Leben heißt sterben können. Man kann nicht stehenbleiben, man muss weitergehen.“ Und ein Aussiedler aus der Sowjetunion sagt einem Reporter, der ihn nach seinem Heimweh fragt: „Unsere wahre Heimat ist doch das himmlische Jerusalem, oder nicht?“ (Josuttis 1990:87). B e u r t e i l u n g : Hier werden die Hörer vor den für sie Gekreuzigten gestellt, den „großen Bruder“, der sich an die Seite Gottes gesetzt hat (:85). „Er opfert sich selbst.“ Der Ernst und die Schwere der Nachfolge werden hörbar: „Man kann nicht festhalten, klammern, verteidigen, man kann nur abgeben. Leben heißt vertrauen, heißt lieben, heißt deshalb auch: Opfer bringen.“ Hauptsache der Himmel: dort ist „alles Schreien und Klagen der Weltgeschichte verstummt – alle Kreatur singt dort das Lob des ewigen Schöpfers.“ (:87). Josuttis als theologischer Lehrer legt dar, entfaltet die Fülle der Gedanken in konzentrierter Verknappung, beherrscht die „Kunst des Weglassens“ (s. Bohren, Ev. Kommentare 8/91:496). Hier ist nicht nur ein Text ausgelegt worden. Hier ist die Atmosphäre, die der Hebräerbrief ausstrahlt – er lässt ins Heiligtum schauen – aufgenommen. Ausgerichtet ist die Predigt auf den, von dem alles Leben lebt, auf 1.3.1. Christologische Krise 109 den, der sein Leben hingibt. Das persönlich Zusprechende, das Werbende, Herzen ergreifende, Lockende, auch in Liebe Warnende, ist zu spüren, aber kommt nicht in dem Maße zum Tragen, wie bei Luther. Eine Predigt, die Christus bringt, ist es allemal. Auffällig für eine politische Predigt ist, welch breiten Raum am Ende das Gebet einnimmt. „Der Gepredigte ist der Anzuredende, der Anzubetende, der Her- beizurufende; so werden die politischen Aussagen entlastet“ (Bohren ebd.). 3 . B e i s p i e l – Schönberg: Adventspredigt über Mt 11,2-6 (2002:11-16). Es geht um die Frage des Täufers, ob Jesus der sei, der da kommen soll. E x e g e t i s c h e Hinweise: Der Kommende ist ein Name für den Messias- Menschensohn (Dan 7,13). Nach Schlatter (1957:359) war dies „die Frage, an der alles hing, bei der die Entscheidung zum Glauben oder zum Unglauben fiel.“ Die Anfrage, ob Jesus der Kommende sei, haftet an Jesu Niedrigkeit. „Mit der Erzählung vom zweifelnden Täufer sagt Matthäus: wir alle haben gezweifelt; es gab nur Einen, der nicht zweifelte, Jesus selbst“ (:360). Dessen Antwort besteht in dem Hinweis auf das, was der Vater tut. „Jesus verkündet und verteidigt sein Recht nicht selbst; er hat die Herrschaft deshalb, weil sie ihm gegeben wird. Gottes Königtum wird nicht nur mit Worten beschrieben, sondern wird im Wirken offenbar“ (ebd.). Schniewind (1956:141) betont, dass die Einzigartigkeit des Erdenlebens Jesu so beschrieben wird, dass er weder aus dem Judentum vor Jesus, noch aus der Gemeinde des Erhöhten hergeleitet werden könne. Der Spruch Jesu (Jes 35,5-6) verkündet nichts Geringeres, als dass Gott jetzt selbst kommt. Er selbst tritt die Herrschaft an, „indem er seinen Boten, den Messias, (so hatte man Deuterojesaja zur Zeit Jesu verstanden), sendet“ (:ebd.). D i e P r e d i g t : Schönberg betont zunächst, dass der Täufer im Gefängnis aus dem geheimnisvollen Wort Gottes lebt. Das lässt die Welt und die Wirklichkeit „mit anderen, neuen Augen sehen und verstehen“ (:11). Er hatte längst andere in das Geheimnis des Wortes eingeführt: „… der aber nach mir kommt …“ Nun aber, im Gefängnis, droht das Verstummen. Die Gefangenschaft des Täufers wird zum Bild für unsere Gefangenschaften, von den Rollen, die wir spielen müssen bis zur Todesmacht. „Johannes weiß aus dem geheimnisvollen Wort Gottes: Einer kam, kommt und wird wiederkommen – von draußen, aus der Freiheit des Himmelreiches“ (:13). Die wie in einem Codewort verschlüsselte 1.3.1. Christologische Krise 110 Lebensfrage lautet: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Wer sich dem Gotteswort öffnet, daraus zu leben versucht, der versteht: „Kommen – das ist geradezu die Seinsweise Jesu. Alles an ihm ist Kommen.“ Als verschlüge es ihm die Sprache, greift der Prediger nun nach Sätzen aus der Predigt eines anderen, den er zitiert (Fr.-W. Marquardt). Der Gekommene kam, um ein Feuer anzuzünden. Er kommt auch noch heute, „will abermals kommen, wird kommen in der Sendung des Geistes, will erst recht kommen als Sohn des Menschen in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm.“ Der Kommende, das ist nach Offb 1,8 der Name Gottes selbst. Dann folgt ein schöner Satz, der ausdrückt, worin wir Christus entsprechen: „Wenn alles an ihm Kommen ist, ‚so dürfte alles an uns, alles am christlichen Glauben Warten und Erwarten sein’“ (:15). Wir sind in Aufbruchstimmung, „weil wir wissen, wen wir erwarten. Gewiss, er wird anders kommen als er einst gekommen ist. Aber, der da kommen wird, der wird kein anderer sein, sondern ein guter Bekannter, der uns entbinden wird, loslösen, freikaufen und befreien aus dem Gefängnis für immer“ (ebd.). „Bis zum Tage, da vor aller Welt Gottes Geheimnis offenbart wird und alle Welt sich unter seine Macht beugen wird, bis dahin verweist uns Jesus an das Hören. Das Hören der Heiligen Schrift und das Sehen der Welt und Wirklichkeit mit den Augen und in der Perspektive des geheimnisvollen Gotteswortes. Und diese Sichtweise lässt uns schon jetzt in Jesu Antwort die Worte Jesajas wiedererkennen, den Jesus hier zitiert. Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Und so verstrickt uns Jesus in das Geheimnis des Gotteswortes, lässt uns schon jetzt eindringen in sein Himmelreich und öffnet uns unsere Augen und Ohren, öffnet uns das Gefängnis unserer verschlossenen und gefesselten Existenz für ein befreites Leben im Warten auf ihn und in der Erwartung seines Reiches: Denn der, den Jesaja kommen sah, der ist in Jesus gekommen und der wird wiederkommen die Augenbinden abzunehmen, die Krücken zu zerbrechen, die Ketten und Fesseln zu sprengen und - ach wann endlich? – die Grabsteine zu spalten, um die schmerzlich vermissten Toten wieder zu holen und aufzuwecken.“ (:16). B e u r t e i l u n g : Christus ist in dieser Predigt klar verkündigt, sein Freikaufen, sein Erlösen, sein und unser Auferstehen. Das „extra nos“, von Luther eingeprägt, klingt an: „Christus „wird wiederkommen – von draußen, aus der Freiheit des 1.3.1. Christologische Krise 111 Himmelreiches“ (:13). Unser Teil ist, glauben, auf ihn zu warten, ihn zu erwarten. Mit solchen Sätzen wird die Gemeinde mit all ihren Sinnen auf den Kommenden gelenkt. Hier ist Ruf und Angebot, sich dem Gotteswort zu öffnen und das alles ohne Bedingungen. Es heißt nicht „Wenn wir uns öffnen“, sondern „Wer sich geöffnet hat …“ (:14). Im Blick auf die Antwort, die Jesus dem Täufer gibt, hieß es: „Und so verstrickt uns Jesus in das Geheimnis des Gotteswortes …“ Subjekt des Handelns und Rettens ist und bleibt Christus. Das ist christologische Predigt. * Den Predigten, die Christus verkündigen, stellen wir drei Beispiele gegenüber, denen die Christuspredigt misslingt. Es handelt sich zunächst um zwei Reden kirchenleitender Persönlichkeiten, dann um die veröffentlichte Predigt eines Gemeindepfarrers. E r s t e s B e i s p i e l - Eine Predigt über 2. Kor 5,18-20, gehalten in einer ökumenischen Gebetswoche um die Einheit der Christen (Sturm 2000:85-87). E x e g e t i s c h e Hinweise: Im Text geht es um die Mitte des christlichen Glaubens: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber.“ Zwischen Gott und Mensch war Feindschaft. Diese Tatsache steht schon für den Menschen des AT her fest. Versöhnung muss geschehen, wenn das zerstörte Verhältnis wieder in Ordnung kommen soll. „Das erstaunliche aber ist, dass Gott selber unser Verhältnis zu ihm von sich aus in Ordnung gebracht hat. Er ist nicht durch jemand anders versöhnt worden, sondern hat selber die Versöhnung geschaffen“ (Schmitz 1940:72) Er hat sie vollzogen durch Christus, der „für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren (Röm 5,8.10). Das Ereignis der Versöhnung und seine Verkündigung gehören unlösbar zusammen. Eine Versöhnung kommt dadurch zu ihrem Ziel, dass sie durch das Wort dem anderen zugesagt wird. Die Welt ist mit der Versöhnung Gottes gemeint, Israel und die Völker (Eph 2,13-19). „Es gibt keinen Menschen, der nicht gemeint wäre mit dem Friedensschluss Gottes, ob er bereits zur Gemeinde gehört oder nicht“ (ebd.). Gott, unser Heiland, will „dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1.Tim 2,4). Die Voraussetzung, zeichenhaft den „Frieden auf Erden“ (Lk 2,14) zu leben, die Tatsache, dass Gott uns mit sich selber versöhnt hat, ist angemessen nur doxologisch zu predigen. 1.3.1. Christologische Krise 112 Z u r P r e d i g t : Der Prediger geht, eine Richtigkeit strapazierend, davon aus, dass wir uns nach Versöhnung sehnen und zugleich an vielen Unversöhnlichkeiten verzweifeln. Dann überhäuft er die Hörer mit bekannten Schrecklichkeiten: Erschrecken, Erstarren, Hass, Krieg, Elend, drastische Reduktion aller Ausgaben, Resignation, Arbeitslosigkeit, Ratlosigkeit, Enttäuschung, Gewalttätigkeit, Frustration. Und doch sprudele unter diesen Bedingungen die Quelle des neuen Lebens. Der Prediger denkt „an den Menschen der Versöhnung, der in seinem Leben und Sterben eine unauslöschliche Spur der Versöhnung hinterlassen hat“, nämlich die „Versöhnung mit der Natur“ (Heilungen, Sturmstillung, Gehen auf dem Wasser, Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein, des Teilens [die Speisung], der Umkehr [verlorener Sohn]). Dann wieder Schreckliches: Fressen und Gefressen werden, Mächtige und Ohnmächtige. Zwischen Siegen und Verlieren aber gäbe es den Versöhnungsweg. „Dieser Weg ist ein Weg der Wunder, der Verwandlung und der Liebe.“ Die Anfrage an die Kirchen bestehe nun darin, dass „wir die Versöhnung zwar lehren und predigen, aber nicht wirklich leben“. Dann werden die Kirchen der Ökumene, die die Versöhnung nicht leben, auf den sie einenden Boden gestellt: die Taufe. Sie sei die grundlegende Erneuerung des Menschen aus der Kraft der Versöhnung „durch Gott“. Der leitende Kirchenmann hat, wie er ausdrücklich betont, im ersten Jahr dieses Amtes vor allem Paragraphen studiert und sich am häufigsten mit Rechtsfragen beschäftigt. Er deutet an, dass ihn dazu ein Klima des Misstrauens geführt habe, es aber doch nicht ums Überleben gehe „sondern um Verwandlung; dass wir nicht Paragraphen studieren und über das Kleingedruckte streiten, sondern Wunder erfahren“ (:87). Wie der Prediger Ökumene erlebt, stimmt den Prediger allerdings zuversichtlich, nähmen sie doch alle das Hohepriesterliche Gebet Jesu zu Herzen. „Gott hat uns in Christus versöhnt, damit wir Botschafter dieser Versöhnung werden. Versöhnung hat eine ungeheure Kraft, sie setzt Energien frei“ (:ebd.). B e u r t e i l u n g : Spricht Paulus von der Versöhnung m i t (!) Gott, kennt die Predigt nur eine Versöhnung d u r c h Gott. Damit verweist er lediglich auf die horizontale Versöhnungsebene. Die vertikale ist nicht im Blick. Zwischen Text und Predigt klaffen theologische Welten. Zum Schluss heißt es: „Gott hat uns in Christus versöhnt“. Die Pointe des christlichen Glaubens aber ist die, dass er uns 1.3.1. Christologische Krise 113 m i t s i c h s e l b e r versöhnt hat. Das fällt unter den Tisch. Unter dem Tisch liegt damit aber - das ganze Evangelium, die V o r a u s s e t z u n g aller echten Versöhnung, auch und gerade unter den Kirchen. Das alles tragende Werk Christi, von dem der Text so eindrücklich spricht, ist in der Predigt - übersehen. Die Versöhnung mit Gott verkommt zu einer „Versöhnung mit der Natur“. Nicht der in Christus Versöhnung schenkende Gott wird hier gepredigt, sondern die Schwierigkeit, die man miteinander mit der Versöhnung hat, begleitet von frommen Wünschen. Die Predigt des Christus ist nicht gelungen. Z w e i t e s B e i s p i e l - Im Internet (Welcome ORF Religion 2004) finde ich den Wortlaut einer Rundfunkandacht in der Reihe „Das Evangelische Wort“. Sie wurde gehalten, wiederum von einer kirchenleitenden Persönlichkeit, die den Ruf hat, ein herausragender Prediger zu sein. Der Text ist 1. Samuel 17,42-45: David kämpft gegen Goliath. E x e g e t i s c h e Hinweise. Dem Kampf geht das Gespräch Davids mit Saul voraus. David erklärt seinem verzagten König, dass er zum Kampf gegen den übermächtigen Philister bereit sei. Entscheidend ist dabei seine Begründung, die nicht auf Tollkühnheit und Übermut verweist, sondern auf Erfahrung, die er als Hirte mit dem Herrn gemacht hatte. „Und David sprach: Der Herr, der mich von dem Löwen und Bären errettet hat, der wird mich auch erretten von diesem Philister. Und Saul sprach zu David: Geh hin, der Herr sei mit dir! (37). So zieht David als ein Schwacher, aber Gesegneter in den Kampf. Alles dreht sich nicht wirklich um David, sondern um den, dem er sich anvertraut, den Herrn. Das spricht David dem Riesen gegenüber aus: „Du kommst zu mir mit Schwert, Lanze und Spieß, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes des Heeres Israels, den du verhöhnt hast (45). D i e R u n d f u n k a n d a c h t : Die Hörer werden mit Hinweis auf die Fernsehserie „Wicki und seine starken Männer“, die gerade 30jähriges Jubiläum hat, abgeholt. Wickie ist ein kleiner Wikingerjunge, dem vieles gegenüber den großen Wickingern gelingt. Der Prediger sieht in der Wickigeschichte „die Sehnsucht der Kleinen und Schwachen angesprochen“. Zweidrittel der kostbaren Redezeit von 5 Minuten vergehen mit Wicki und der Möglichkeit der Kleinen, sich mit ihm zu identifizieren. Dann kommt David ins Spiel. Der vorgesehene 1.3.1. Christologische Krise 114 Text wird gelesen. David besiegt Goliath. Die letzten Worte der Andacht im Originalton: „Und der kleine Hirtenbub David hat tatsächlich den riesigen Goliath besiegt. War das nur Glück oder Zufall, ja dann haben wohl Macht, Stärke und Brutalität das letzte Wort. Oder war der erfahrene Junghirt nur der bessere Kämpfer als der sture Soldat? Dann müssten die Unterdrückten nur besser raufen lernen! Oder war’s doch Gottes Fügung? Ja dann besteht noch Hoffnung für die Kinder und die Kleinen und die Schwachen und Erfolglosen und die Unterdrückten. Und diese Hoffnung darf nicht mit einem Märchen verwechselt werden. Diese Hoffnung gehört zu den wichtigsten Nahrungsmitteln: egal, ob ich sie jetzt von Wickie, David, der Mickeymaus oder dem tapferen Schneiderlein bekomme. Alles Gute zum 30. Geburtstag, Wickie“ (Welcome ORF Religion 2004). B e u r t e i l u n g : Auf den Herrn, in dessen Namen David auftritt und der deutlich benannt, Subjekt des Handelns ist, verwendet der Prediger kaum Worte. „Oder war’s doch Gottes Fügung?“ Aus einem klaren biblischen Indikativ wird eine unsichere Frage. Der Herr und sein Name werden mehr als marginal behandelt. Dabei ist doch er der eigentlich Handelnde. Der ist ausgeblendet. So werden David und Wickie austauschbar und auf die gleiche Ebene gestellt. David wird zum Wickie gemacht, wenn der, in dessen Namen der junge israelische Hirte auftritt, keine Beachtung findet. Von Hoffnung ist plötzlich die Rede, von Hoffnung für die Schwachen gegenüber den Starken. Das ist nicht Absicht und Thema des Textes. So wird das Gotteswort verfälscht. Dass es ein Prediger des Evangeliums egal findet, woher die Hoffnung kommt, ist schwer zu verstehen. Hoffnung nur für Erfolglose und Unterdrückte angesichts der David-Goliath-Geschichte zu verkündigen, hat mit der Intention des Textes und der gesamten Schrift nichts zu tun. Es bleibt nicht nur weit hinter der Hoffnung zurück, die Christus gebracht hat, es ist eine andere Hoffnung als die biblische. Diese gilt a l l e n , auch den Erfolgreichen und Freien. Die biblische ist die lebendige (!) Hoffnung, zu der man wiedergeboren wird (1. Petr. 1,3). Die in der Rundfunkandacht verkündigte Hoffnung ist eine tote Hoffnung, die sich lediglich als Hoffnung auf den Sieg der Schwachen gegen die Starken versteht und das rein innerweltlich. Über solche Hoffnung sagt Paulus: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ 1.3.1. Christologische Krise 115 (1. Kor 15,19). Christus, der Grund unserer Hoffnung, kommt in der Andacht nicht vor, auch zwischen den Zeilen nicht. Wozu hat der Prediger diese Andacht gehalten? Weiß er nicht, dass auch er einmal Rechenschaft ablegen muss über einem jeden unnützen Wort, das er geredet hat? (Mt 12,36). Wenn wir uns nicht mehr getrauen, vom Gekreuzigten und Auferstandenen zu reden, dann weichen wir aus in alle möglichen Ebenen, hier in vage Hoffnung für Schwache gegenüber Starken und für Unterdrückte gegenüber ihren Unterdrückern in dieser vergänglichen Welt. Eine arme, Gottes Wort verfälschende Botschaft. D r i t t e s B e i s p i e l – Die Karfreitagpredigt eines Gemeindepfarrers über Mt 27,33-50 (Reingrabner [Hg.]1991:27-29). E x e g e t i s c h e Hinweise: Im vorliegenden Text ist die Kreuzigung von Ps 22 aus gestaltet. „Die Gegner Jesu bezeugen wider Willen, dass Jesus freiwillig stirbt: er könnte wohl vom Kreuz herabsteigen; der anderen half, ein Heiland und Retter … Sie bezeugen wider Willen die höchste Würde Jesu: er ist der Heiland, Gottes König und Gottes Sohn“ (Schniewind 1956:272). Jesu Sterben findet der Zeit nach mit der Darbringung des Lammes im Tempel statt. Wie die Tempelgemeinde in dieser Stunde vor Gott betet, das Opfer anzunehmen, so betet Jesus schreiend: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,2). Das Verhältnis des Sterbenden zu Gott bildet die Mitte des Geschehens. Jesus ist von Menschen umgeben, die emsig alle irgendetwas tun. In Wirklichkeit ist auch jetzt Gott der Handelnde „und sein Handeln besteht nun darin, dass Gott Jesus verlässt. Denn Gott ist der Gott der Lebenden, 22, 32; sein Wort schafft das Leben, 4,4. Darum verfällt Jesus dem Tod deshalb, weil Gott ihn verlässt“ (Schlatter [1948] 1957:783). Zuletzt schreit Jesus noch einmal laut und verschied. „Das pneÂma hergeben zu müssen ist vollendete Gottverlassenheit. Das macht aus dem Sterben den von Gott Gerichteten (ebd.). In der Kreuzigung Jesu, der seine Auferstehung folgt, geht es um eine weltgeschichtliche Wende. D i e P r e d i g t : Es wird davor gewarnt, den Karfreitag als einen Gedenktag misszuverstehen. Wir sollen durch die Predigt vielmehr offen werden für die Frage „Wo stehe ich bei der Kreuzigungsgeschichte?“ „So ist Karfreitag keine 1.3.1. Christologische Krise 116 Erinnerung, sondern eine innere Einkehr, eine Besinnung, oder sagen wir ruhig: eine Buße.“ Es folgen Fragen. In der kurzen Predigt zähle ich 15 (!) Fragezeichen: „Wie steht es denn bei uns mit dem Urteil über andere religiöse Einstellungen oder Meinungen? Merken wir, wie nahe wir bei den Pharisäern und Gesetzeslehrern stehen, die glaubten, allein im Besitz der Wahrheit zu sein? Wie steht es denn bei uns mit dem treuen Beisammenstehen oder dem festen Stehen zu einer Meinung und Gesinnung, mit dem Mut zum öffentlichen Bekennen unseres Glaubens …?“ (:28). So geht es weiter bis zur Frage, was wir denn für die Armut der dritten und vierten Welt tun (:29). Die Absicht des Predigers ist zu zeigen, „dass die Kreuzigung immer wieder, auch heute noch durch dich und mich geschieht“ (:29). Das Ziel aller Fragen mündet in einer Erkenntnis: „Wir müssen erkennen: Wir sind nicht besser als andere. Jeder von uns trägt sein Päckchen kleiner oder großer Schuld.“ „Davon befreien kann uns nur die Auferstehungskraft Gottes, die Kraft der Erneuerung unseres Lebens, die sich im Ostergeschehen dokumentiert hat“ (:29). B e u r t e i l u n g : Nach Josuttis (1995:102) ist die Frageform „die fast typi- sche Sprachgestalt der Gesetzlichkeit. Das Evangelium fragt nicht, es schenkt.“ Die Hörer der vorliegenden Predigt aber werden mit inquisitorischen Fragen geradezu überschüttet. Nicht Gesetz wird gepredigt. Das Gesetz wird gesetzlich verwässert. Es trifft zu, was Josuttis (1969:44) über die gesetzliche Verfälschung des Gesetzes sagt: „Die Sünde wird verharmlost und ihre Beseitigung zu einer Möglichkeit des Menschen gemacht.“ Geht es in der Kreuzigung um Jesus Christus, der eine weltgeschichtliche Wende zur Rettung der Welt herbeiführt, kommt die Predigt über eine moralische Standpauke nicht hinaus. Nicht die Tat des Gottessohnes ist dem Prediger wichtig, sondern das Tun und Handeln der Gemeinde, dass einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Damit lenkt die Predigt den Blick von Christus ab auf das eigene fromme oder unfromme Ich. Der Sohn, in dessen Reich wir versetzt sind, interessiert den Prediger nicht. Ihn interessiert das Fehlverhalten der Menschen da vor ihm. Um es in der Filmsprache zu sagen: Der Hauptdarsteller wird übersehen. Das Interesse ruht auf den Komparsen. Die Sünde, die uns von Gott trennt, schrumpft zu Päckchen in verschiedenen Größen zusammen. Damit wird durch die Predigt die Sünde verharmlost. Sie wird am einzelnen Fehlverhalten festgemacht. - Nach dem NT sind wir nicht Sünder, 1.3.1. Christologische Krise 117 weil wir gesündigt haben. Wir haben gesündigt, weil wir Sünder sind. Damit ist gesagt, dass Gottes Wort die Sünde nicht nur im Tun des Bösen aufdeckt. Sünde ist auch dort, wo sie unerkannt geschieht - im Tun des Guten. Wird das Tun des Guten einem Willen abgerungen, dem danach gar nicht ist, kommt es nicht von Herzen. Gutes zu tun, das nicht von Herzen geschieht, macht den Täter nicht gut. „Gute fromme Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Mann...“ (Luther 1962b:265-266). Gottes Gebot ist mit Taten allein nicht zu erfüllen. Der Herr sieht das Herz an. Er will, dass unser Handeln aus Liebe geschieht, darum fragt er nach dem Sein, nicht vordergründig nach dem Tun: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen“ (Spr 23,26). Der Prediger übersieht: „Die Sünde ist nicht eine Eigenschaft, sondern eine Gefangenschaft“ (Wingren 1959:9.34-35). Paulus spricht von der Macht, der wir verfallen waren, aus der wir nun aber befreit worden sind (Kol 1,13). Weil der Machtcharakter der Sünde nicht erkannt ist, wird in dieser evangelischen Karfreitagspredigt der gekreuzigte Christus und sein Werk zwangsläufig übersehen. Ein einziger, dogmatisch verschlüsselter Hinweis auf ihn findet sich in einem Satz gegen Schluss, der nur noch ahnen lässt, dass der Prediger doch auch vom Evangelium etwas weiß. Im Blick auf die „Päckchen“ von Schuld, die Sünde des Menschen verniedlichend, heißt es: „Davon befreien kann uns nur die Auferstehungskraft Gottes, die Kraft der Erneuerung unseres Lebens, die sich im Ostergeschehen dokumentiert hat.“ Was diese Kraft ist, wie wir ihr teilhaftig werden (fides apprehensiva), wie die Befreiung, die sie schenkt, aussehen kann, darüber herrscht Schweigen. Diese Predigt richtet keinen Sünder auf, macht niemanden dankbar und froh, lenkt sie doch den Blick nicht auf den für uns Gekreuzigten, sondern verführt zu einer depressiv machenden Nabelschau. Mit einer Bußpredigt, die der Prediger ankündigt, hat das alles nichts zu tun. Der evangelische Prediger übersieht, dass Gottes Güte zur Buße leitet (Röm 2,4). - Der protestantischen Theologie hat es bei uns, was den Christusartikel unseres Symbols betrifft, weitgehend die Sprache verschlagen. Die Krise des Chr is tusglaubens ha t uns in e ine Kr ise der Pred igt ges türz t . - Was kann die Kirche mit beschädigter Christologie noch Gutes verkündigen? 1.3.1. Christologische Krise 118 Der Gott des ersten Glaubensartikels, der für die Bewahrung der Schöpfung steht, ist –so scheint es - noch irgendwie plausibel zu machen. Von ihm hat man unmittelbaren Nutzen, unter der Voraussetzung, dass sich der Mensch schöpfungskonform verhält. Da nun aber Konditionen zu erfüllen sind, leben wir, homiletisch gesehen, in der Zeit der appellativen Rede. Wird das Evangelium nicht mehr gepredigt, verliert die Predigt den Indikativ. Der Imperativ herrscht vor. Die Gemeinde steht im Nieselregen gesetzlicher Rede. Das Verhältnis zu Christus wird durch ein gefordertes rechtes Verhalten zur Schöpfung ersetzt. Jetzt müssen Bedingen erfüllt werden, damit es besser wird. Die bedingungslose Liebe Jesu, die zum Liebesgehorsam befreit, das Verhältnis aus dem erst das Verhalten fließt - das Trachten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, wodurch uns alles andere zufällt, sind ausgeblendet. Die Gemeinde wird zum Handeln aufgerufen und dem Handeln Gottes nur wenig Bedeutung beigemessen. Deutlich zu machen, warum jemand an Christus glauben soll, dazu fehlen der Glaube und das Wort. Nun kann nicht immer nur von der Schöpfung geredet werden. Was aber soll man sagen, wenn das Reden von Christus im Munde derer, die seine Boten sein sollten, erstirbt? - Da kommt der Kirche ein Umstand entgegen, der ihr scheinbar aus der Verlegenheit hilft: Die Nöte und Bedürfnisse der Menschen stellen ein weites Handlungsfeld dar. Darauf lässt sich ausweichen. Ganzheitserfahrungen, auf den Menschen gerichtete Spiritualität, Seelsorge, innere Heilung, Kirchenmusik, Diakonie, soziale Dienste, politisches Engagement und vieles andere bietet sich an. Die Themen gehen nicht aus. Der Betätigungsfelder sind viele. Hat man auch nichts Entscheidendes mehr zu sagen, so ist doch eine Menge zu tun. Um das Tun in Gang zu halten – hier schließt sich der Kreis – dienen Appelle. Nun jedoch muss Kirche deutlich machen, wieso die von ihr aufgegriffenen Themen und Handlungen etwas Besonderes auf dem Felde der Welt darstellen. Alles, was sie nun tut, tun andere auch, manchmal sogar besser. Es ist längst eindringlich gefragt worden: „Wozu noch Kirche?“ (Gronemeyer 1995). Das einzige, was Kirche für diese Welt unentbehrlich macht, ist Christus, die Christusbotschaft, das Wort von der Erlösung des Menschen und seiner ewigen Zukunft. Der Gekreuzigte und Auferstandene ist der Wiederkommende: „Jesus der Weltvollender“ (Heim:1952). Zugleich ist er der kommende Richter. 1.3.1. Christologische Krise 119 Zwangsläufig hat die K r i s e d e r C h r i s t o l o g i e Auswirkungen auf alles, was sich unmittelbar auf Christus bezieht. Sie führt – wie im Folgenden zu zeigen ist - zum Verlust der E s c h a t o l o g i e , achtet deshalb die S o t e r i o l o g i e gering und ist damit (neben Gründen, die in der lutherischen Tradition zu finden sind), eine der Hauptursachen für die P r e i s g a b e d e r S e n d u n g . 1.3.3. Verlust der Eschatologie 120 1.3.2. Verlust der Eschatologie „Die Ankündigung der kommenden Gottesherrschaft bildet das Zentrum der Botschaft Jesu“ (Pannenberg 1971:9). – Dieser Satz weist auf eine ntl Wahrheit, die für die systematische Theologie eher problematisch als selbstverständlich ist. Gloege stellt noch 1961 in einem Artikel über das Reich Gottes fest: „Die gegenwärtige ev. systematische Theologie hat in allen ihren Unterdisziplinen, aufs Ganze gesehen, den Grundbegriff der Verkündigung Jesu verloren“ (RGG V, 3. Aufl., 1961:924). Das „aufs Ganze gesehen“ verweist auf Ausnahmen. Heim begriff das Reich Gottes von der „Führervollmacht“ Jesu her als „Herrschaft Jesu“, die mit der „satanischen Macht“ in ständigem Widerstreit liegt. Erst durch die „große Schlussabrechnung“ hindurch, in der Christus „die Schlussbilanz des jetzigen Weltzeitalters“ zieht, erfolgt „die Heimkehr der ganzen befreiten Schöpfung zu Gott“ (Heim [1939] 1952:133-213). Was steht mit der Lehre von den letzten Dingen auf dem Spiel? Was bedeutet es für Theologie, Verkündigung und Gemeinde, wenn sie von biblischer Eschatologie bestimmt werden oder nicht? Die Fragen sind nicht vom Spekulieren über die jenseitige Welt geleitet. „Die christliche Verkündigung kennt keine ‚Eschatologie’ als reine ‚Aufklärung’ darüber, was sich hinter dem Tod oder in der künftigen Welt verbirgt“ (Prenter 1960:511). Es gehört nicht zum Wesen des christlichen Glaubens und seiner Erwartung, irgendwelche Erhellungen über das Jenseits in der Art spätjüdischer Apokalypse oder des modernen Spiritismus zu suchen. „’Eschatologie’ ist eine Darstellung des Inhalts der christlichen Hoffnung als einer Erwartung der Offenbarung der Herrlichkeit Jesu Christi …“ (:510). Prenter stellt dar, dass sich christliche Hoffnung um drei Motive sammelt: die Wiederkunft Jesu, das Gericht und das ewige Leben (ebd.). Das Buch der Bücher sieht das Weltgeschehen aus der Perspektive der Ewigkeit. Es schreibt die Weltgeschichte von ihrer Vollendung her und lässt uns Blicke in den Himmel tun. Das Zentralgesicht in der Offenbarung des Johannes beginnt in Kap 4 und zieht sich hindurch bis zum Kap 21. Im Zentrum der Weltregierung sitzt der Ewige auf einem Thron. „Und vor dem Thron war es wie ein gläsernes Meer, gleich dem Kristall“ (Offb 4,6). Hier ist „das ganze Meer der 1.3.3. Verlust der Eschatologie 121 Völkergeschichte durchschaubar bis auf den Grund, bei dem Gott von dem alles Leben kommt“ (Hartenstein 1954:56). Vom Reich Gottes her sehen wir die Menschen in ihrem wahren Zusammenhang. Ohne Ewigkeitsbezug wäre der Mensch, um mit einer Selbstbezichtigung Luthers zu reden, ein „armer, stinkender Madensack“ (19642: 57). Dass wir auf Ewigkeit hin geschaffen sind, heißt: Wir Menschen sind nicht nur für einen kurzen Augenblick, den wir unser Leben nennen, entworfen. Unser Dasein ist eingespannt in die Weite des Gottesreiches, von dem her wir kommen, das uns umgibt, auf das wir zugehen und das uns Zukunft verleiht. Dass der Mensch durch die Liebe des Dreieinigen für die Ewigkeit geschaffen wurde, verleiht ihm seine hohe, „fremde“ Würde, weist aber auch auf den Ernst und die Spannung des irdischen Daseins. In diesem fallen ewige Entscheidungen, denn im Gericht wird nur geschieden, was zuvor entschieden war: „Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes“ (Joh 3,18; s. auch 5,24). Matthäus beschreibt Jesus als eschatologischen Visionär, der nicht nur die Geschichte der gegenwärtigen Welt, sondern auch ihren Ausgang im Auge hat, die große Ernte (Mt 9,37). Darum sieht er auch die Menschen nicht allein in ihren irdischen Befindlichkeiten. Er sieht sie mit ihren Befindlichkeiten von ihrer Vollendung her. Er sieht sie also mit anderen Augen als die Menschen sich selbst: „Und als er das Volk sah, j a m m e r t e e s i h n ; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die k e i n e n H i r t e n haben“ (Mt 9,36). Menschen ohne Hirten sind Menschen ohne Gott. Die Not, Gott nicht zu haben, ist im Blick auf die Ernte der Ewigkeit dramatisch. Gottlosen geht es in dieser Welt oft überraschend gut (Ps 73,3), aber so spricht der Beter: „ … bis ich ging in das Heiligtum Gottes und merkte auf ihr Ende“ (V 17). „Ernte“ ist eschatologischer Begriff für das Sammeln in die Scheunen und das Verwerfen der Spreu (Mt 13,10; 13,39; 25,26; Joh 4,35; Offb 14,14-15). „Die Ernte aber ist Gottes eigene Sache; Ernte ist ständiges Bild für den Tag der Entscheidung (Jes. 9,2 f.; Hosea 6,11), für das kommende Gericht, bei dem Gott die Seinen ‚in seinen Scheuern sammelt’ (Mk.4,29), es ist ein ‚positives’ Gericht“ (Schniewind 1956:125). Das Erbarmen Jesu entsteht dadurch, dass er das Ende 1.3.3. Verlust der Eschatologie 122 sieht, das, worauf es für das Volk hinausläuft, wenn es hier und heute keinen Hirten hat. Nur wer Gott kennt, wie Jesus ihn kennt, weiß, was den Menschen fehlt, wenn ihnen Gott fehlt. Von Jesus her bekommt die Gemeinde die nötige Sicht für ihren Dienst: „Am Anfang des missionarischen Dienstes steht nicht eine Theorie der Weltverbesserung, sondern eine bestimmte Art, die Menschen zu sehen“ (Deichgräber 1978:5). Der Sünderheiland, ein eschatologischer Visionär: Die Saat ist kaum gesät, da sieht er die Ernte. Der Acker hat das lebendige Korn kaum empfangen, da sieht er Wagen um Wagen schwer beladen den Ertrag in die Scheunen fahren: Große Ernte! Vor Augen ist das Anfängliche, der Visionär aber sieht schon die Vollendung, blühende Felder, reifes Korn in vollem Halm, Scheunen gefüllt mit Erntesegen. Die Bibel hat Visionskraft. Die Ernte ist groß! Diese vor Augen hat Jesus sein Heilandswerk getan. Seine Verkündigung, sein zeichenhaftes Handeln, alles war von der Voraussicht auf die Ernte erfüllt. „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende“ (Mt 9,37-38). Prediger und Predigerinnen werden anders verkündigen, wenn sie wissen, dass sie auf die Ernte Gottes hin predigen, als wenn sie es nicht wissen. Von der T eologie wurden die Predigenden in der Vergangenheit eher im Stich gelassen. „Das eschatologische Büro ist meist geschlossen“ hatte Troeltsch (1865-1923) seine defizitäre zeitgenössische Theologie charakterisiert. Was sich humorvoll anhört, beschreibt eine fatale Situation: Eine Theologie ohne Eschatologie ist eine Theologie ohne Hoffnung. Theologie, die keine Hoffnung kennt, wirkt sich aus auf die Verkündigung. Verkündigung wiederum führt und prägt die Gemeinde. Gemeinde ohne Hoffnung geht auf nichts mehr zu. Ihr Dasein ist richtungslos. Sie kennt nicht mehr das sie bestimmende Ziel, ein Segen zu sein für die Menschen. Leugnet sie die Zukunft des Wiederkommenden, lebt die Gemeinde zudem ohne Verantwortung, „denn Verantwortung besteht nur, wo ich für etwas mir schon Gegebenes gegenüber dem auf mich Zukommenden Rede und Antwort stehen muss. Der rein auf seine Gegenwart gestellte Mensch hat keine Instanz, mit der er sich auseinanderzusetzen hätte“ (Weber[1962]19836:722). Die Theologie des 19. Jahrhunderts war von einer „eschatologischen Destruktion“ gekennzeichnet (Thielicke 1978: 505). Das hatte schlimme Folgen. 1.3.3. Verlust der Eschatologie 123 Als charakteristisch für eschatologische Destruktion kann die Eschatologie in der Glaubenslehre Schleiermachers gelten, die 1821/22 in zwei Bänden erschien. Bei ihm tauchen die „letzten Dinge“ als ein Anhang auf, „der nur den Nutzen eines Vorbildes hat, welchem wir uns nähern sollen“ und die Tendenz verfolgt, „den Zustand nach dem Tode vorzustellen.“ Deshalb kann der Eschatologie „nicht der gleiche Wert wie den bisher behandelten Lehren … beigelegt werden“ (Thielicke 1978:508). Hinzu kam, dass die „konsequente Eschatologie“ (Schweizer) den Begriff des Reiches Gottes zwar neu auslegte, ihn aber theologisch erledigte. Indem sie wegen der ausgebliebenen Parusie an die Stelle der „göttlichen Intervention“ den Gedanken des durch sittliche Arbeit zu schaffenden Reiches setzte, die menschliche Aktion also, eliminierte sie das Reich Gottes als dogmatisches Problem (s. Gloege, RGG V, 3. Aufl., 1961:924). Beim jungen Barth ([1922]1986:298) schien sich ein Wandel abzuzeichnen: „Christentum, dass nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun“, schrieb er in seinem „Römerbrief“. Er dachte dabei jedoch an eine präsentisch zu verstehende Eschatologie, eine eschatologische Qualifizierung des „Augenblicks“: „Dieser Augenblick, diese Zeit ist ‚die Stunde vom Schlaf zu erwachen’“ (:482). Die Parusieverzögerung ist für Barth darum auch kein Problem: „Wie soll denn ‚ausbleiben’, was seinem Begriff nach überhaupt nicht ‚eintreten’ kann?“ (:484). Später hat er diese einseitige Sicht modifiziert (KD IV, 3 § 69,4, bes.:340-341; auch II, 1: 698-772). Das frühere Stadium hat jedoch die Phase der sogen. präsentischen Eschatologie eingeleitet. Diese hat durch Dodd („realized Eschatology“) und Bultmann ihre weitere Fundierung erfahren (Thielicke 1978: 510). Was das Zukünftige betraf, bestand ein Vakuum. Zudem führte die Theologie der „existentialen Interpretation“ (Bultmann) zu einer Individualisierung. Die christliche Botschaft verlor ihre Universalität. „Sie hat das Wort verloren, das der ganzen Schöpfung, den Kosmos eingeschlossen, das ‚allem Fleisch’ die Hoffnung zusagt, es werde der Weg Gottes – um mit Paulus zu reden – das All dem Freudenmysterium der Vollendung entgegenführen“ (Schütz 1962:85). Die Dinge haben sich im Laufe des 20. Jahrhundert gewandelt. H. U. v. Balthasar kann plötzlich sagen, das eschatologische Büro mache jetzt 1.3.3. Verlust der Eschatologie 124 Überstunden (Thielicke 1978:505). Die Zeit der Überstunden wurde „zweifellos durch den Fanfarenstoß des Marxismus eröffnet“ (ebd.). Dieser orientierte sein Geschichtsverständnis und sein Geschichtshandeln an der eschatologisch- utopischen Vision der klassenlosen Gesellschaft. In dieser sah der Marxismus das Ziel der Geschichte und entdeckte damit die mobilisierende Kraft utopischer Zielvorstellungen. Kraftlos dagegen zeigte sich die Christenheit: „Der Glaube, der die Hoffnung fahren ließ“ überschrieb Schütz den Hauptteil seines Werkes „Parusia“ (1960). Er erinnert an Berdjajew. „Gerade daran erkennt man die Wahrheit, dass sie – einmal von ihren Bekennern gelöst und in die Welt getreten – nicht mehr zurückgerufen werden kann. Sie wird ihre Verwirklichung suchen, und zwar um jeden Preis, wenn nicht durch die Guten, die sie empfingen, so durch die Bösen, die sie sich nahmen. Berdjajew sieht den Bolschewismus in diesem heilsgeschichtlichen Licht. Er hat die Wahrheit vom Gottesreich, von den Christen nicht verwirklicht, vom Boden aufgehoben und dadurch die Christenheit in ihrem Versagen gestellt und zu ihrer Sache gerufen, und das angesichts einer Menschheitskrise, an der das Christentum sich jetzt als mitschuldig erweist“ (Schütz 1960:489-490). Die Preisgabe der Hoffnung musste sich in einer neuen Generation verhängnisvoll bemerkbar machen. Sie sah sich mit den Aufgaben der Weltorientierung und Weltgestaltung konfrontiert und konnte sich von der weithin herrschenden Theologie der Hoffnungslosigkeit nur verlassen fühlen. „Hier musste sich ein Nachholbedarf an eschatologischer Zielrichtung bemerkbar machen, der das entstandene Vakuum zu füllen strebte …bei einer Generation der Weltveränderer vor allem durch Anleihen bei K. Marx und durch eine Theologie der Hoffnung (Moltmann), deren marxistischen Bezüge auf dem Umweg über E. Bloch unverkennbar sind. So kommt es zu einer neuen theologischen Epoche, in der das eschatologische Büro in der Tat Überstunden macht“ (Thielicke 1978:511). Hatte der Marxismus die Hoffnung aufgegriffen, die genuin den Christen gegeben, von ihnen aber veruntreut worden war, geriet die Hoffnung vieler unter ein ideologisches Vorzeichen. Die Hoffnung, die nach dem NT die Gemeinde qualifiziert, ist Ewigkeitshoffnung. Hoffnung kennt auch die Welt. Sie ist unter Menschen nicht 1.3.3. Verlust der Eschatologie 125 wegzudenken. Man überlegt und handelt auf Zukunft hin. Das Bild des Zukünftigen bewegt die Kräfte der Gegenwart. „Ich rege mich. Von früh auf sucht man. Ist ganz und gar begehrlich, schreit. Hat nicht, was man will“, formuliert Bloch (1973:21). Für den Marxisten gilt das „Prinzip Hoffnung“ vom ersten Tag bis hin zur letzten Minute. Wenn alle, Christen wie Nichtchristen, Hoffnung haben, sind sie dann in der gleichen Richtung unterwegs, Seite an Seite zu einem gemeinsamen Ziel? „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1. Pt 1,3). So artikuliert sich Hoffnung im NT. Der Apostel nennt Christen W i e d e r g e b o r e n e zu einer l e b e n d i g e n Hoffnung. Eine Hoffnung, die im Tode endet, kann schwerlich „lebendig“ genannt werden. Sie wäre tote Hoffnung. Hoffnung im Buch der Bücher und Hoffnung, die naturhaft gegeben ist, sind nicht dasselbe. Um verschiedene Hoffnungen geht es da. Sie haben die Vokabel, aber nicht Inhalt und Ziel gemeinsam. Petrus schreibt den Christen nicht: „Ihr seid zur Hoffnung geboren“, sondern „ihr seid zur l e b e n d i g e n Hoffnung wiedergeboren!“ Hoffnung, die sich auf Vergängliches richtet, ist nicht die gleiche wie die, zu der man wiedergeboren wird. Beide verhalten sich zueinander wie Tod und Leben. Die Theologie hatte die lebendige Hoffnung der Christen preisgegeben. Der Marxist dagegen hatte ernstgenommen, dass der Mensch d a s hoffende Wesen ist. Bloch nennt die Quelle, aus der er schöpft. Er spricht, die Christenheit erinnernd, vom „eschatologischen Gewissen, das durch die Bibel in die Welt kam“ (Bloch 1973: I. 254). „Das Prinzip Hoffnung“ schrieb er 1938-1947 in den USA. Spät, viel zu spät und den Ereignissen hinterher laufend, erinnerte sich die Theologie ihrer lebendigen Hoffnung. Im Blick auf das Thema der Weltkirchenkonferenz von Evanston, 1954, „Christus die Hoffnung der Welt“ erschien Brunners Buch „Das Ewige als Zukunft und Gegenwart“. „Die Ewigkeitshoffnung ist ja nicht ein ‚Stück’ des Glaubens, das letzte Stück, genannt Eschatologie, sondern die Ewigkeitshoffnung ist das, worum es im christlichen Glauben überhaupt geht, ohne das es also nicht ein Stück ärmer wäre, sondern ohne das es überhaupt nichts, ganz und gar nichts wäre, genau in dem Sinne wie es der Apostel von der Auferstehung Jesu sagt: ‚Ist 1.3.3. Verlust der Eschatologie 126 Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden’“ (Brunner 1965:100). Moltmann meldete sich 1965 zu Wort: „Das Christentum ist ganz und gar und nicht nur im Anhang Eschatologie, ist Hoffnung, Aussicht und Ausrichtung nach vorne, darum auch Aufbruch und Wandlung der Gegenwart. Das Eschatologische ist nicht etwas am Christentum, sondern es ist schlechterdings das Medium des Christlichen Glaubens, der Ton auf den in ihm alles gestimmt ist, die Farbe der Morgenröte eines erwartenden neuen Tages, in die hier alles getaucht ist“ (Moltmann 1965:12).1 Eschatologie lehrt die Christenheit auf den Horizont zu schauen, vor dem sie mit der Welt lebt und zeigt der Gemeinde das Ziel ihrer Verkündigung: „Predigt leitet die Gemeinde dem kommenden Christus entgegen, oder sie führt in die Irre“ (Bohren 1979:69). Die Gemeinde Christus entgegen zu leiten aber konkretisiert sich in der Ermutigung und Befähigung der Gemeinde hier und heute (!) zu ihrer die Menschen rettenden Mission. Barth sagt es später so: „Gerade um die Nicht-Christen geht es doch in dem unsere Zeit wahrhaft erfüllenden Fortgang der Geschichte der Prophetie Jesu Christi … Gerade um ihretwillen muss sie doch fortgehen, ist Jesus Christus als das lebendige Wort Gottes nach wie vor und gerade heute auf dem Wege … Er will doch gerade die suchen und retten, die verloren sind: die ohne ihn, ohne das Licht des Lebens, ohne das Wort vom Gnadenbunde verloren gehen und bleiben müssten. Er ist gerade für sie dieses Licht, dieses Wort. Er geht gerade i h n e n nach. So ist Er gerade ihre Hoffnung. So gilt die Verheißung des Geistes gerade i h n e n “ (KD IV/3:421). Mit der Stellung, die der Eschatologie zukommt, stimmt überein, dass ihr in den Dogmatiken heute wieder ein mehr oder weniger gebührender Platz eingeräumt ist. Schauen wir auf einige der bekanntesten der letzten 30 Jahre, so ist ein Eschatologiekapitel, so weit wir sehen, vorhanden. Demnach dürfte von einem Verlust der Eschatologie derzeit gar nicht mehr gesprochen werden. Für Pannenberg (1971:11) ist die Gottesherrschaft „keineswegs nur als noch ausstehende Zukunft gedacht, als ob Menschen nichts tun können, als untätig auf 1 Zur Unterscheidung der verschiedenen eschatologischen Auffassungen, von präsentischer und futurischer, von geschichtsimmanenter und geschichtstranszendenter Eschatologie bietet Pöhlmann (1973:254-281) einen Überblick. 1.3.3. Verlust der Eschatologie 127 ihre Ankunft zu warten. Ganz im Gegenteil motivierte ja in Jesu Botschaft das Kommen der Gottesherrschaft ihre drängende Aktualität für das gegenwärtige Handeln der Menschen.“ Nach Thielicke (1978:580) ist der Heilige Geist die Macht der Vergegenwärtigung. Im Eschaton sieht er die Ü b e r b i e t u n g „der durch das Pneuma widerfahrenden Vergegenwärtigung. Das Wort- und Geistgeschehen aber ist schon Antizipation dieser Überbietung.“ Hier ist das Eschaton wirklich das Zukünftige. Das Zukünftige aber prägt unsere Gegenwart: „Wenn Kirkegaard sagt, die meisten Menschen verhielten sich absolut zum Relativen und zum Absolutem relativ, sie befänden sich also in einer Wertverwirrung, so bringt der Blick auf den endgültigen Sieg des Reiches Gottes so etwas wie ein Zurechtrücken unserer Wertorientierung. Wir können dem Zeitlichen und Vergänglichen keinen Ewigkeitswert mehr beimessen. Das führt zur Distanz, zu einem ‚Haben-als-hätte-man-nicht’ (1. Kor 1,29-31) – denn ‚die Gestalt (schêma) dieser Welt vergeht’. Die Eschatologie wird zum Antitoxin gegen falsche Verabsolutierungen“ (Thielicke 1978:554-555). Zwischen Großem und Kleinem, zwischen vielerlei Notwendigem und dem „Einen, was not ist“ lernen wir zu unterscheiden. Wir sehen das Vorletzte im Licht des w a h r h a f t Letzten. „Das Dereinst gibt dem Jetzt seine Maßstäbe“ (:623). Für Ebeling ([1979] 1993) ist eschatologische Hoffnung als Ewigkeitshoffnung zugleich Vollendungshoffnung. Als solche ist sie Überwindung der Welt. Die Hoffnung richtet sich auf Gott, der sich als Herr über den Tod erweist. Die Hoffnung ist dessen gewärtig, „dass schließlich alles einmal offenbar werden wird“ (:436). Der Gekreuzigte ist zum Vorzeichen aller Zukunft geworden. Er bestimmt die Zukunft und qualifiziert sie neu „und zwar keineswegs nur die Zukunft bis zum Eintreten des Eschatons, sondern auch das Eschaton selbst als die Zukunft aller Zukunft“ (:448). Joest (1986) spricht von der in Christus begründeten Hoffnung. „Wir erwarten den Sieg dessen, was in und durch Jesus in diese Welt hereingekommen ist, über alles, was dem jetzt in der Wirklichkeit der Welt und in uns selbst widerspricht …“ (631). In allem erwarten wir Jesus selbst als König und Herrn, „dem sich niemand und nichts mehr entziehen wird“ (:632). Das Reich Gottes aber ist nicht nur Zukunft, deren Kommen noch aussteht. „Es ist die Zukunft, deren Kommen in 1.3.3. Verlust der Eschatologie 128 Jesus selbst schon angebrochen ist. Das Reich Gottes bricht an in dem Wort der Versöhnung (2. Kor 5,18ff), dass Gott in die Welt hineinruft, und im Leben von Menschen, die sich rufen lassen“ (:634) Hier sieht Joest das Wahrheitsmoment der präsentischen Eschatologie. Für Härle (20002: 600-649) erfordert die Eschatologie unter allen Teilstücken der Dogmatik die größte Behutsamkeit. Dafür sind ihm neben anderen seelsorgerliche Gründe maßgebend. In der Eschatologie haben wir es mit letztgültigen Erwartungen (Hoffnungen, Befürchtungen) zu tun. Von ihnen werden Menschen, was ihr eigenes oder fremdes Sterben betrifft, getragen oder gequält. „Das, was eine Dogmatik in der Eschatologie lehrt, muss die Grundlage für das sein, was an Sterbebetten, an Gräbern und in der seelsorgerlichen Begleitung von Trauernden verantwortlich gesagt (und getan) werden kann“ (:601). Eschatologische Aussagen sind notwendig „für das Verstehen der christlichen Heilsbotschaft“ (:609). Daher soll die christliche Eschatologie nicht primär auf die Gotteslehre oder Anthropologie, sondern auf die Soteriologie bezogen sein. Härle fragt darum: „Welche eschatologischen Konsequenzen können verantwortlicherweise aus dem Evangelium von Jesus Christus gezogen werden?“ (:610). Die Vollendung ist als partikulares oder universales Heil zu verstehen mit einem „doppelten Ausgang“ (Himmel oder Hölle). Trotz des eindeutigen Heilscharakters der Verkündigung Jesu kann der Gerichtsgedanke aus ihr nicht eliminiert werden. Die Rede vom Jüngsten Gericht „gehört zum Wesen des christlichen Glaubens“ (:639). Die Menschen vor dem Gericht zu warnen (nicht zu drohen) entspricht dem Geist des Evangeliums (:641). In diesem Zusammenhang spricht Härle vom Ewigen Leben: Ewiges Leben sei im ntl Sinne e r f ü l l t e s Leben, das fragmentarisch schon unter irdisch-geschichtlichen Bedingungen möglich ist (Joh 3,15-16; 5,24; Röm 6,10-11; 1. Joh 3,14). „Die Hoffnung auf ewiges Leben richtet sich darauf, dass dieses erfüllte Leben im Tod und durch den Tod hindurch bleibt, durch nichts mehr bedroht und in Frage gestellt werden kann und insofern vollendet ist“ (:646). H. M. Barth (2001) hat ei e Dogmatik „im Kontext der Weltreligionen“ vorgelegt. Der betonte trinitarische Ansatz erweist sich als im Blick auf die christlichen eschatologischen Entwürfe als überraschend integrativ. In zusammenfassenden Thesen werden Unterschiede zu den behandelten anderen 1.3.3. Verlust der Eschatologie 129 Religionen, aber auch die Ähnlichkeiten, Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten mit ihnen deutlich. H. M. Barth weist auf die Merkwürdigkeit, dass das trinitarische Bekenntnis für die christliche Eschatologie bislang kaum fruchtbar gemacht wurde (:729) und fragt, ob die trinitarisch verstandene Eschatologie nicht als Integrationsmodell gelten könne: „Trinitarische Theologie ist geeignet, unterschiedliche Ansätze, wie sie in neueren eschatologischen Entwürfen zutage treten, zu integrieren und Impulse aus außerchristlichen Hoffnungsmodellen aufzunehmen“ (731). Die verschiedenen Äußerungen über die christliche Hoffnung sind sich darin einig, das der Blick auf die zukünftige Welt das gegenwärtige Handeln bestimmt. Worin dieses Handeln primär jedoch bestehen könnte, die Kernaufgabe der Gemeinde, bleibt meistens offen. Angesichts der ausgesuchten Werke aus den letzten 30 Jahren, die sich mit der Eschatologie befassen, zu denen sich eine beträchtliche Reihe von Monographien zum gleichen Thema gesellt, lässt sich scheinbar schwerlich vom Verlust der Eschatologie sprechen. Der Schein trügt. Ein völlig anderes Bild nämlich ergibt sich, wenn wir uns der Eschatologie als Gegenstand der heutigen Predigt zuwenden. Zwischen den Lehrbüchern und der Verkündigung stellen wir eine Diastase fest: I n d e r h e u t i g e n V e r k ü n d i g u n g i s t d e r e s c h a t o l o g i s c h e H o r i z o n t w e i t g e h e n d a u s g e s c h a l t e t . Bohren (1969: 63) sagt, auf den Zusammenhang von Christologie und Eschatologie weisend: „Überblickt man die Predigtliteratur unserer Zeit, so muss man feststellen, dass sie als weithin enteschatologisierte nicht Zukunft zu eröffnen vermag, dass aus Mangel an Zukunft auch die Gegenwart des Christus praesens zu kurz kommt.“ Josuttis gibt 1969 seine viel beachtete Schrift „Gesetzlichkeit in der Predigt der Gegenwart“ heraus. Er hatte ein letztes Kapitel geplant, dass „Schöpfung und Eschatologie“ behandeln sollte. Der Theologe bedauert: „Aus Stoffmangel muss es entfallen“ (:112). Über Schöpfung und Eschatologie werde heute kaum oder so wenig gepredigt, dass sich die gesonderte Untersuchung dieser Themen nicht lohne (ebd.). Der Mangel hat einen gesetzlichen Grund und hat gesetzliche Folgen. Josuttis exemplifiziert das an einem Satz aus einer Predigt: „Das Ziel 1.3.3. Verlust der Eschatologie 130 Gottes ist nicht, dass einzelne Menschen ein wenig religiöser werden, sondern dass das Volk Gottes in einer neuen Welt unter der Königsherrschaft Gottes lebt. Und wir dürfen und sollen an diesem gewaltigen Werk Gottes mitarbeiten“ (ebd.). Hier mischen sich Gesetz und Evangelium: Die neue Welt Gottes kann – so wird suggeriert - durch den Einsatz der Christen mitgeschaffen werden. Die Welt muss sozusagen verchristlicht werden. Dass die alte Welt vergeht (Gesetz) und die neue Welt allein Gottes Werk ist (Evangelium), ist übersehen. Damit ist die eschatologische Hoffnung faktisch aufgegeben „indem nicht nach dem Werk Gottes gerufen, sondern das Wirken des Menschen gefordert wird“ (:114-115). Dem setzt Josuttis entgegen, dass wir uns als Glaubende um die Vermenschlichung, nicht Vergöttlichung der Welt bemühen, „aber immer wissen, dass der Ort, an dem zu wirken uns aufgetragen ist, dieser Äon ist, dessen Wesen vergeht“ (:115). In den Patoralblättern (Auel 1999) finde ich eine Predigt über Offb 5,1-5 (6- 14). Im Text werden die Blicke auf den gelenkt, der auf dem himmlischen Thron sitzt und das Buch mit den sieben Siegeln hält. Niemand kann es öffnen. Johannes, der Seher, weint darüber, wird aber getröstet. Der Blick fällt jetzt auf Christus als dem Lamm Gottes, dem allein alle Ehre gebührt. Ihm ist es gegeben, das Buch aufzutun, er „ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob“ (5,12). Die Gemeinde alten und neuen Bundes (die vierundzwanzig Ältesten) betet an. - Ist die Absicht des Textes, dass das Lamm Gottes verherrlicht und angebetet wird, schafft es die Predigt mit wenigen Sätzen davon abzulenken: „Er macht sich auf den Weg und wir erwarten seine Ankunft. Wie erwarten wir ihn?“ (:639). Die Gemeinde soll nach Meinung des Predigers nicht mehr den geöffneten Himmel und das Lamm Gottes schauen. Wir werden dafür zur Selbstbetrachtung genötigt: „Wie erwarten wir ihn?“ Das entpuppt sich als inquisitorische Frage. Uns wird vor Augen geführt, auf welch falsche Weise Gesellschaft und Kirche ihn erwarten. Statt um das Lamm, dem alle Ehre gebührt – geht es in der Predigt zunächst um die Farbe der Antependien, dann um die Anklage, dass der Buß- und Bettag abgeschafft ist (ebd.). Danach wird die Spaßgesellschaft aufs Korn genommen, das Einkaufen, die Konsumtempel und die Kirchengemeinden, die schon zur Adventszeit 1.3.3. Verlust der Eschatologie 131 Weihnachtskonzerte geben (ebd.). Jedoch „die Farbe Violett zeigt uns im Advent einen anderen Weg … Geh in dich …“ (:640). Dann geht es um Hesekiel, um Ratlosigkeit und Ungewissheit, um den Beter des 139. Psalms, um den Missbrauch des Namens Gottes und um das glänzende Geschäft mit den dumpfen Gefühlen von Menschen anlässlich des Jahrtausendwechsels. (:641). Endlich folgt ein Blick in den Text. Aber da wird nun wieder nicht das Lamm gezeigt, sondern die Tränen des weinenden Sehers. Die Predigt offenbart redselige Ratlosigkeit angesichts eines Textes, der einen Blick in den geöffneten Himmel gewährt, auf den, dem alle Ehre gebührt. Die weitschweifigen Abweichungen auf Schauplätze menschlichen Fehlverhaltens erweisen sich als ein Ausweichen vor der Aufgabe, den zu verkündigen, der unsere Hoffnung ist. Das Evangelium fehlt, die Frohbotschaft, die schenkt und den Menschen sagt, was Gott an ihnen tut. Wer das Evangelium predigt, fordert nicht, sondern hat etwas zu geben, das froh macht. Diese Predigt macht nicht froh. Statt um die Schönheit des für uns geopferten Gotteslammes, geht es um allerlei menschliche Hässlichkeiten. Das schmerzt umso mehr, als es im Text um die Herrlichkeit des Lammes geht. Knieling (1999) hat in seiner Untersuchung Osterpredigten besprochen. Aus seinem Fazit: „Sie bleiben an vielen Stellen in der Sphäre des Todes und dringen nicht durch zur Verkündigung der mit der Auferstehung Jesu verbundenen Hoffnung“ (:58). Dabei sei durchaus von Hoffnungen die Rede. Sie haben ihren Ort jedoch nur „innerhalb der Kategorien dieser Weltzeit“(ebd.). Das grundlegende Gotteshandeln in der Auferweckung Jesu wird hinausgedrängt (:59). In der Ev. Kirchenzeitung für Österreich die „Saat“ erscheint zu Ostern 2005 eine Kolumne „Diesseits – Jenseits“ (Uschmann 2005). Beide Begriffe seien austauschbar, könnten neben anderem auch „Himmel und Erde“ heißen. Der Autor möchte es „laut und deutlich sagen“, dass das Jenseits schon im Diesseits wohnt …“ Jesus habe das „Nächstenliebe“ genannt und erzählt, dass Gott einen im Nächsten anschaut. „Also im Menschen“. Nach Mt 25 hat das sein Recht. Unrecht wird alles dadurch, dass hier, was die Bibel vom Himmelreich verkündigt, einfach wegfällt. Gottes Liebe zu uns Sündern, die die geforderte Nächstenliebe oft nicht erbringen und Vergebung brauchen, das Evangelium also, 1.3.3. Verlust der Eschatologie 132 die Auferstehungshoffnung und die durch den Geist geschenkte Gewissheit der Christen (Röm 8,38), das alles scheint gegenstandlos. Mit Gott habe ich es nur insofern zu tun, wie ich mit dem Nächsten umgehe. Wenn dem Schreiber der Kolumne die Nächstenliebe nun einmal nicht gelingt, wie sie gelingen sollte? Was dann? - Hier ist das Evangelium in Gesetzlichkeit ertränkt. Das eschatologische Büro ist verschlossen. – Wie ist zu erklären, dass die theologische Wissenschaft im eschatologischen Büro wieder präsent, Eschatologie jedoch jenseits des Büros in der Verkündigung der Kirche weithin ausgeblendet ist? „Die Prediger haben vor der atheistischen Religionskritik, die die promissio Gottes als billige Vertröstung aufs Jenseits diskriminiert, kapituliert“ meint Josuttis (1969: 114). Es werden zwar gemäß der Perikopenordnung eschatologische Texte behandelt, aber entweder erstarre die Hoffnung zur dogmatischen Formel, die nicht tröstet oder die Hoffnung werde aufgegeben „indem nicht nach dem Werk Gottes gerufen, sondern das Wirken des Menschen gefordert wird“ (:114-115). In der Verkündigung eschatologischer Texte feiert die Gesetzlichkeit Triumphe. Sodann fragt Josuttis: „Gibt es eine allgemeine Zeitströmung, die unsere Predigt in diese verhängnisvolle Richtung abgetrieben hat?“ (:115). Das ist mit Sicherheit zu bejahen. Steinwand (1890-1960) beobachtete schon zu seiner Zeit, dass mit der Rationalisierung und Mechanisierung des gesamten öffentlichen Lebens auch eine Rationalisierung und Mechanisierung des kirchlichen Lebens eintrat. Eine „Schrumpfung des metaphysischen Bewusstseins“ ist für ihn unverkennbar (Steinwand 1964:184). Und heute? In der Werbung für den neuen VW-Golf hieß es: „Die Suche nach dem Ziel hat sich somit erledigt.“ Der Satz wurde auf das neue Navigationssystem zurückgeführt. Ein Bestsellerautor nimmt ihn auf und hängt ihn als Programm über unsere Epoche: „Es gibt kaum einen Satz, der die Lebensphilosophie unserer Generation präziser auf den Punkt bringt“ (Illies 2002:189). Strasser bestätigt: Die Immanenz – die Verweltlichung aller Dinge zwischen Himmel und Erde - herrsche fortan total, und sie beherrsche uns ganz und gar. „Außer ihr gibt es keinen Sinn, was hierorts nicht besteht, ist vertan“ (Strasser 1998:239). 1.3.3. Verlust der Eschatologie 133 „Keinem, der je über Probleme der Religion nachgedacht hat, wird es schwerfallen, Gründe für ihren Niedergang in der Neuzeit zu finden. Ein einziges Stichwort genügt offenbar: ‚Säkularisierung’. Unter Berufung auf das damit bezeichnete Phänomen – die Verweltlichung aller Dinge zwischen Himmel und Erde – wurde das Absterben der etablierten Kirchen ebenso erklärt wie überhaupt das Verschwinden religiöser Prägungen und Gefühle“ (:9). Dieses Leben gilt als die „letzte Gelegenheit“ titelt Gronemeyer (1996), wie wir sahen. Dennoch sind die Dinge ambivalent. Die Gesellschaft der Postmoderne schaut durchaus nach vorn. Futurologie als planende Wissenschaft für das, was sein wird, versucht Zukunft schon heute zu beherrschen. Eine Welt ohne Ewigkeitserwartung schwankt spekulierend zwischen Weltverbesserung und Weltuntergang. Der Blick in die Zukunft vermittelt den Menschen keine wirkliche Hoffnung. Bei aller futurologischen Beschäftigung sind sie auf Diesseitigkeit getrimmt. Der Geist der Zeit umweht die Christen ebenfalls, auch sie haben wenig Ewigkeitshoffnung. Darum hat die Gemeinde nichts mehr, was die Hingabe des Lebens lohnt. Geht es aber um nichts Ewiges mehr, besteht nur noch kirchliches Interesse an sich selbst. Unsere Gemeinden leben folglich im Ghetto. Als Jesus die Menschen sah, erbarmten sie ihn, weil er sie im Zusammenhang der auf sie zukommenden Ernte schaute. Darum war er Mensch geworden, darum hat er sich kreuzigen lassen, um die Menschen zu retten zum ewigen Leben. Es ist hilfreich, Predigten früherer Erweckungsprediger zu lesen (auf die seriösen möchte ich mich beziehen). Nicht nur die ausgesprochen eschatologischen Texte waren ihnen „verordneter“ Anlass von der Ewigkeit zu reden. Ihr Werben um die Seelen der Menschen ist von daher zu verstehen, dass sie – wie Jesus es tat - die Leute ebenfalls beständig im Lichte der auf sie zukommenden Ewigkeit sahen. Man achte auf das Ringen um die Zuhörer angesichts des Jüngsten Tages in einer Weihnachtspredigt von Ludwig Hofacker (1798-1828). „O wie viele Menschen, die sich betrugen wie die Bären und Löwen und Säue, sind schon in Kinder des Friedens umgeschaffen worden durch den Fürsten des Friedens! Lest nur einmal, wie groß Johannes (Offenb. 7,9-10) die Zahl derer beschreibt, die aus allen Heiden und Völkern und Sprachen vor dem Throne Gottes und des Lammes stehen, mit weißen Unschuldskleidern angetan, und Friedenspalmen in ihren Händen und dem die Ehre geben, der auf dem Throne sitzt, unserem Gott und dem Lamme. Seht alle diese sind 1.3.3. Verlust der Eschatologie 134 errettet aus dem Kriege ihrer Herzen und dieser Welt, und das Verdienst des Friedensfürsten ist ihnen zugute gekommen. Aber auch noch jetzt werden manche zu Kindern des Friedens umgeschaffen, die es vorher nicht waren … O meine lieben Zuhörer, was gibt es Köstlicheres, Größeres als den Frieden des Gewissens; wenn es einem wohl ist im Herzen; wenn man nichts zu fürchten braucht, keinen Tod, keine Trübsal, nicht den jüngsten Tag, sondern weiß, dass man ein Kind Gottes, ein durch Christus beglückter Erbe des ewigen Lebens ist. Wollt ihr nicht auch dieses Friedens teilhaftig werden? Seht, heute bietet ihn euch Christus an … Seht, wenn ihr ihn aufnehmt und Frieden findet in ihm, so wird auch der Friede besser in eure Häuser einkehren … Würde nur einer einmal recht anfangen und sich mit Ernst anschicken, den Heiland in sich aufzunehmen, so würde der andere über kurz oder lang nachfolgen müssen; so würde Sanftmut, Geduld, Liebe, Freundlichkeit in den Häusern einkehren …“ (Hofacker 1977: 206-208). Hier gehen Ewigkeitshoffnung und gegenwärtiges Ringen um die Menschen Hand in Hand. Hat die Kirche hierzulande aber ihre ewigkeitliche Bestimmung für die Welt verdrängt, ist auch sie, wie Berger (1962) einst für die nordamerikanische Situation erkannte, „Kirche ohne Auftrag“. Es gewinnt die Predigt, die Christus als den Kommenden verkündigt, für unsere Zeit entscheidende Bedeutung: „Die Predigt führt die Kirche ins Eschaton, indem sie zum Kirchesein der Kirche anleitet. Indem Kirche zum Kirchesein der Kirche anleitet, führt sie die Kirche über sich selbst hinaus, und kein einzelner bleibt in sich selbst isoliert. Anleitung zum Kirchesein der Kirche heißt Einweisung in ihre eschatologische Existenz: ‚Das Alte ist vergangen, siehe, es ist neu geworden’ (2Kor 5,17)“ (Bohren 1979:70). Was ist zu tun? - Der Gemeinde ist das bisher Vorenthaltene zu geben: Ihr ist der Wiederkommende, zu verkündigen. Die Ewigkeit ist näher als wir denken und fühlen. Ewigkeitspredigt verändert das Gemeindeleben. Die Gemeinde de schaut von sich weg auf den Kommenden, der aber lenkt ihren Blick auf die für das Himmelreich zu gewinnende Welt. Hat sie kein Herz für Menschen, die wie Schafe ohne Hirten durchs Leben irren, ohne Hoffnung auf Ewigkeit, ist der Gemeinde das Erbarmen Jesu im Horizont der Ewigkeit vor Augen zu malen, der von der Liebe des Vaters getrieben gekommen ist, sein Leben für die Verlorenen zu geben, um ihrer ewigen 1.3.3. Verlust der Eschatologie 135 Rettung willen. Die Retterliebe Gottes kommt der Gemeinde ins Herz durch die vom nahenden Gottesreich bestimmte Predigt, durch das Gebet, auch durch das gute Bei-spiel missionarischer Gemeinden. Durch eschatologische Predigt wird das Gebet um Arbeiter in der Ernte entfacht (Mt 9,38). Dadurch wächst in der Gemeinde das Verlangen, sich in die Sendung Jesu zu stellen, sich selbst als Erntearbeiter senden 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 136 zu lassen (Mt 10). Dieses Verlangen ist die Voraussetzung für die Entwicklung der sendungsorientierten Gemeinde. So wenig sich Jesu Blick in den Tälern des Elends verliert, genauso wenig verliert sich sein Blick in den Höhen der Vision. Beides versetzt ihn mit nüchternem Sinn in die Gegenwart, in das Jetzt. Die Ernte ist groß! Darum muss j e t z t an Erntearbeiter gedacht werden, ist der Tag der Ernte auch noch so fern. Gottes Sohn ist auf der Suche nach Mitarbeitern, die entscheidenden Anstoß geben und nach solchen, die Angestoßenes aufgreifen und beharrlich weiterführen, damit in der Ernte viel gute Frucht geborgen wird. Darum geht es j e t z t ! 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils Nach der Kinderstunde kommt der 10jährige Johannes zu mir. In Liebe zu seinem Vater und gleichzeitigem Schmerz um ihn sagt er: „Was kann ich nur tun? Mein Vater glaubt nicht an Jesus.“ Er ersehnte für den Vater die Glückseligkeit, glauben zu können. „Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet (hast du die Grundmauern einer Festung gelegt)“ (Ps 8,3). Was wäre, wenn die Gemeinde um Gottes willen wieder nach denen fragte, die nach Gott nicht mehr fragen? „Gerettet sein macht Rettersinn“ sagten die Alten. Blumhardt, der Ältere, beklagt das Fehlen des Geistes, aus einem einzigen Grund: „Der von Gott ausge- gossene Geist ist so nicht mehr da, als er da gewesen ist, und sollte doch da sein, weil ohne ihn Millionen nicht mehr zu retten sind“ (Ausg. Schriften I, 1947:56). Bonhoeffer ([1932] 1971:61) hatte es für die Seelsorge so ausgesprochen: „Christus ist dabei in der Mitte und spricht als Bruder zum Bruder, wird als Bruder Christus dem Bruder zugesprochen. Das Tun des einen am anderen besteht darin, ihn der Hölle zu entreißen.“ - Ähnlich Josuttis (1982:93): „Der Therapeut schafft, im besten Fall, Heilung, der Pfarrer dient dagegen dem Heil ... Und auch wenn man theologischerseits konzedieren kann, dass in manchen Fällen eine Heilung Voraussetzung für das verstehende Hören des Heilswortes bildet, gebührt dem Wort, das Heil anzusagen vermag, eine fundamentale Bedeutung.“ „Allein das Wort, das einer dem anderen im Namen Gottes zuspricht, schafft Glauben, schenkt Heiligen Geist und rettet damit den Menschen zur ewigen Seligkeit“ (:89). 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 137 Ein Buch, von Smith (1977) trägt den Titel „Glühende Retterliebe“. Das mag in unseren Ohren nach Feuersturm klingen oder nach Zwangsbeglückung. Das aber ist ja nicht gemeint, sondern ein deutliches Anklopfen an die Tür der Gemeinde, so zu verkündigen und zu handeln, dass die Menschen jenseits ihrer Mauern aufhorchen und ihre schlummernde Sehnsucht geweckt wird, damit sie Hunger nach dem Leben bekommen, Hunger nach dem ewigen Mahl des Herrn. Dazu ist Gebet vonnöten, Intercessio für die, die noch nicht glauben können oder wollen. Fürbitte schaut nach vorn, wo von Glauben beim anderen noch nichts zu sehen ist. Gebet, vom Geist gewirkt, ruft gleichzeitig den Geist herbei, als Gottes Rückenwind für missionarisches Handeln. Da geht es oftmals mit einer überraschenden Leichtigkeit wie von selbst: Ohren öffnen sich, es kommt zum Hören auf nie Gehörtes. Augen sehen, was sie zuvor nicht erblickten, gelähmte Seelen werden bewegt, als wüchsen ihnen plötzlich Beine. Die Gefangenschaft im Unglauben ist unversehens zu Ende, der in sich selbst Gefangene wird frei. Solches bewirkt Gebet. Das Gebet wird zur Sprachschule der Sendung: Wer mit Gott über Menschen spricht, lernt auch mit Menschen über Gott zu sprechen. Wir sagten oben, es täte gut, bei Erweckungspredigern in die Lehre zu gehen (Hauss 1989). Wir müssen nicht ihre Worte kopieren. Aus ihren Predigten aber weht uns ein Geist der Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit entgegen, den wir in unseren Wohlstandskirchen der Spaßgesellschaft in einer verspielten Medienwelt nicht mehr kennen, aber nötig haben. Wie anders predigt der Dorfpastor, wenn er um die Seelen, um das ewige Heil der Menschen ringt, als wenn er die Leute nur kirchlich bei der Stange halten oder gar nur selber über die Runden kommen will. Theologie und Gemeinde darf die Verlorenheit des Menschen ohne Glauben an den Dreieinigen nicht unterschlagen. Es geht um die Einsicht in die Unbedingtheit des Sendungswillen Gottes an seine Gemeinde. Da kommt es zu einem Reden in anderen als in den gewohnten kirchlichen Zungen. Um das „ewige Heil der Menschen“ sei zu ringen, schrieb ich gerade. Sage ich das meiner Kirche, insonderheit der Pfarrerschaft, errege ich Anstoß. Sie stehen zwar viel und oft an geöffneten Gräbern, sehen dem Sterben und dem Tod von Berufs wegen mehr als andere ins Auge, aber – „so spricht man nicht“. 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 138 Wie, bitte, spricht man? Wo uns die Sprache für ein Wesentliches der Gotteswahrheit fehlt, offenbart es Wahrheitsverlust. Wir sind der Wahrheit, dass es um das ewige Heil geht, entfremdet. „Ewiges Heil“ ist kein geläufiger kirchlicher Ausdruck mehr. Er wird gemieden, ohne dass ein anderes Wort, ein womöglich besseres, an seine Stelle getreten wäre. Die Kirche hat sich um fast alles gekümmert, nur um das Wichtigste nicht. Nun kann sie es nicht einmal mehr sagen und täte sie es, wird sie von ihren eigenen Gliedern nicht mehr verstanden. Fänden wir die verlorene Wahrheit jedoch wieder, fänden wir für sie auch wieder Worte, brächten sie neu zur Sprache. Was ist zu tun? - Der volle Inhalt, um den es in der ersten Predigt der Kirche nach dem Geistempfang ging, ist ernst zunehmen: „ W e r d e n N a m e n d e s H e r r n a n r u f e n w i r d , d e r s o l l g e r e t t e t w e r d e n “ und „ L a s s t e u c h e r r e t t e n a u s d i e s e m v e r k e h r t e n G e s c h l e c h t ! “ (Apg 2). Die Kirche, die meint, darüber hinaus zu sein, ist aus der Wahrheit gefallen. Die Kirche, die vom Retter und der ewigen Rettung nur noch verschämt und leise spricht, wird er ausspeien aus seinem Munde (Offb 3,16). Das Kleinreden des persönlichen Heils zieht sich durch die theologische Diskussion. Im Folgenden sei exemplarisch gezeigt, wie so etwas geht. In den 60iger Jahren wurde vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖKR) eine Strukturdiskussion angeregt. Es ging um die Ausgangsfrage, ob unsere kirchlichen Strukturen so geartet sind, dass sie den Sendungsauftrag fördern oder nicht? Neben dem ÖKR hat sich später auch der Lutherische Weltbund mit dieser Problematik befasst. Wir werfen einen kurzen Blick - da bleiben Verkürzungen nicht aus - auf die damalige Diskussion. Im Jahre 1959 erscheint ein Dokument des ÖRK, das vom „Referat für Fragen der Verkündigung“ erarbeitet worden war: "Eine theologische Besinnung über die Evangelisation". Später erhält die Schrift den Haupttitel: "Salz der Erde" (ÖKR 1963). Sie stößt zu einer dramatischen Erkenntnis vor, die bei Licht besehen jedoch eher eine Behauptung darstellt: "Es ist die überkommene Struktur der Gemeinde, die sie daran hindert, Werkzeug der Verkündigung zu sein, wie die Struktur auch die geistliche Erweckung der Gemeinde unmöglich zu machen scheint" (:55-56). 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 139 Damit wird eine Lawine losgetreten, (deren Schnee natürlich vorher gefallen war).1 Krusche (1968:49), Bischof in der ehem. DDR, kommentiert: "Die Gemeinde predigt nicht nur mit ihrer Verkündigung, sondern auch mit ihren Strukturen, und diese können sich geradezu gegenmissionarisch auswirken." Das Referat, das sich bis dahin mit Verkündigungsfragen beschäftigt hatte, wird beauftragt, sich nunmehr mit der Frage nach den missionsgemäßen Strukturen der Gemeinde zu befassen. Das Ergebnis erscheint 1965 in Form der Studie: „Mission als Strukturprinzip“, (Margull 1965). Über die Verfasser dieser Studie urteilt Krusche, es seien Menschen, "die voll Unruhe und Scham über den Wirklichkeitsverlust der Kirche sind, denen es schwer zu schaffen macht, dass die Kirche mit dem ihr anvertrauten Evangelium von der Versöhnung so wenig ausrichtet ..." (Krusche 1968:50). Nach Seitz (:1985:52) handelt es sich hier „um eine bedeutende Korrektur der selbstgenügsamen Gemeinde. In der Offenheit für andere Lebensformen und in der institutionellen Freiheit liegt die Stärke dieses Ansatzes.“ Worum geht es in dieser Studie? Sie macht ernst damit, dass die Mission nicht eine Funktion der Kirche ist, sondern dass die Kirche ein Werkzeug der Mission Gottes darstellt. Kirche ist immer nur dann Kirche, wenn sie der Mission Gottes zur Verfügung steht und auf diese Weise der Welt dient. Die Studie setzt also im Blick auf den Sendungsauftrag nicht wie bisher üblich bei der Kirche an, sondern "sehr weit 'draußen'". (Margull 1965:5). Nicht um die Kirche gehe es, sondern um die Welt. Sie sei ernster zu nehmen "als unsere jeweiligen Kirchen und ihre Formen und ihre tägliche Treue in diesen Formen" (ebd.). Es gehe nicht darum, dass die Kirche groß wird und sich ausbreitet, sondern um die Aufrichtung des göttlichen Schalom. Gemeint ist hier, wie Hoekendijk es nannte, das Reichsheil, „das heile und erfüllte menschliche Miteinander in einer versöhnten Gemeinschaft, die endgültige Zusammenführung aller Dinge in Christus und damit die Verwirklichung des Schöpfungssinnes der Welt.“ (Krusche 1968:66). Von nun an setzt sich anstelle des Begriffs „Reich Gottes“ oder „Herrschaft Christi“ das hebräische Wort „Schalom“ durch. Es ging Hoekendijk (1964) darum, den traditionellen Ansatz der Evangelisation zu überwinden, in dem er 1 Hier sei auf Arbeiten von Hoekendijk verwiesen. Eine Auswahl erschien unter dem Titel „Die Zukunft der Kirche und die Kirche der Zukunft“, Stuttgart und Berlin 1964. 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 140 eine Verengung der Mission Gottes auf ein ausschließlich individualistisch verstandenes persönliches Heil sah: "Und das Ziel der Evangelisation kann nichts Geringeres sein als die Erfüllung dessen, was Israel vom Messias erhofft hatte: die Aufrichtung des Schalom. Schalom ist viel mehr als persönliches Heil! Er ist Frieden, Integrität, Gemeinschaft, Harmonie und Gerechtigkeit" (Hoekendijk 1964:96). Hier werden biblische Akzente verschoben. „Bekehrung wird zur Begegnung, Mission zur interkontinentalen Kommunikation, und wo nur noch vom Schalom gesprochen wird, verblasst die Christusbeziehung zugunsten der tathaften Teilnahme (Seitz 1985:52). Das ist mehr als eine Akzentverschiebung. Der untheologische Eingriff erweist sich in der Folge als entscheidende Weichenstellung, die bis heute verheerende Folgen hat. Die Nachwirkungen sind in ihrer Schwere wohl kaum zu ermessen. Worum geht es? Es geht um die Einschätzung des p e r s ö n l i c h e n H e i l s . Es kommt zwar noch vor, aber es kommt schlecht weg. Es ist das Geringere unter den scheinbar wertvolleren Kostbarkeiten des Schalom. Schalom sei, so wird erklärt, v i e l m e h r als persönliches Heil. Von nun an interessiert vorrangig dieses V i e l M e h r : Frieden, Integrität, Gemeinschaft, Harmonie und Gerechtigkeit. Der Begriff „Harmonie“, biblisch gesehen ein Fremdwort, wird eingeführt. Christus aber war nicht gekommen Frieden zu bringen, auf die Erde, sondern das Schwert (Mt 10,34 ). „Persönliches Heil“ wird mit Individualisierung bzw. Subjektivismus in eins gesetzt, wird als Verengung erklärt. Eine Weiche ist gestellt. Mission fährt in eine Richtung, die die Schrift - nicht kennt. Im NT herrscht eine andere Sicht. Es spricht nicht abfällig davon, wenn einzelne zum Glauben kommen. Im Gegenteil, es "wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der umkehrt zu Gott" (Lk 15,10). Um Gottes willen ist Christus für das persönliche Heil jedes einzelnen Menschen, aus denen „alle Völker“ nun einmal bestehen, gekreuzigt worden. Der Schalom ist an Christus, den Retter, gebunden und ohne ihn nicht zu haben. Jesus sagt: "Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt" (Joh 14,27). Allein durch das persönliche Heil haben wir 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 141 den Schalom: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden (Schalom) mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm 5,1). Hier wird es deutlich: Persönliches Heil ist personhaftes, auch subjektives Verhältnis zu Jesus Christus, das theologisch gesehen eine objektive Tatsache darstellt. E r ist unsere Gerechtigkeit (1. Kor 1,30). Er ist unser Friede (Eph. 2,14). Er ist unsere Erlösung, unser persönliches Heil (1. Kor 1,30). Das heißt doch: O h n e p e r s ö n l i c h e s H e i l g i b t e s k e i n e n S c h a l o m . So sehr entscheidet sich alles zunächst einmal am persönlichen Heil. Die Worte Hoekendijks sind nur richtig, wenn man sie umdreht: „Schalom ist viel mehr als Frieden, Integrität, Gemeinschaft, Harmonie und Gerechtigkeit. Er ist persönliches Heil!“ Gegenüber den geringeren Werten, die wir nicht verachten, sondern für die wir uns unter den richtigen Vorzeichen einsetzen, ist und bleibt das persönliche Heil die größte Kostbarkeit im Schalom. Ohne das persönliche Heil des Einzelnen gibt es kein Heil der Völker. Der Schalom - mit verändertem Inhalt und Akzent - soll nun aufgerichtet werden in der Welt. Wie aber wird Welt verstanden? Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, worin der Dienst der Kirche an der Welt - inhaltlich gesehen - besteht. Die Studie meint, die Kirche sei nicht in einem Gegenüber zur Welt zu sehen. Sie sei ein Teil der Welt. Die Kirche sei ihre Avantgarde, ihre Vorreiterin (Margull 1965:88). Was die Kirche der Welt voraus habe, sei eigentlich nur, dass sie von der Versöhnung in Christus schon wisse. „So bleiben die Christen auftragsgemäß an die Welt - an ihre konkrete, geschichtliche Welt - gewiesen. Ihr Auftrag bestimmt und erneuert sich in der bewussten, liebevollen, dienenden Kommunikation mit der Welt. Denn in der jeweiligen Welt, trage sie nun ein helleres oder ein dunkleres Gesicht, begegnet ihnen der Herr, der sie beide erlöst, die Kirche wie die Welt, und sie beide unter der Verheißung wandeln (und sich wandeln) lässt" (:76). Die Welt sei demnach schon erlöst. Mission sei dann nur noch die Information darüber. "Wir fragen uns daher ernsthaft, ob wir wirklich als letztes Ziel Gottes die Inkorporation aller Menschen in die Kirche annehmen müssen. Vielmehr sollte die Kirche ... den Menschen und die Gesellschaft als schon zur neuen Menschheit gehörend verstehen" (: 45). 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 142 Hier ist Wesentliches übersehen. Wenn alle Welt schon zur neuen Menschheit gehört, muss zur Umkehr zu Christus nicht mehr gerufen werden. Ohne Umkehr gibt es nach dem NT jedoch keine Rechtfertigung (Mk 1,15). Dem Evangelium ist der Entscheidungsernst genommen. Die billige Gnade, die nach Bonhoeffer von der Kirche teuer bezahlt wird, soll nun auch der Welt zugute kommen. Die Heilige Schrift hat dazu anderes zu sagen: "Wir wissen, dass wir von Gott sind, und die ganze Welt liegt im Argen" (1. Joh 5,19). "Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden, den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums ..." (2. Kor 4,3 f). „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft" (1. Kor 1,18). „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!" (2. Kor 5,20). Krusche erinnert: "Dass Menschen zum Glauben kommen und sich taufen lassen, ist im Neuen Testament Grund zu jubelnder Freude, dass Menschen im Unglauben bleiben, ist für die neutestamentlichen Zeugen etwas Schreckliches, unfassbar Trauriges; denn an der Stellung zu Christus entscheidet sich Lebensgewinn oder Lebensverlust im eschatologischen ... Sinne" (Krusche 1968:80). Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es individualistische Verengung des Schalom gibt. Und für fromme Christen ist es allemal eine schwere Entgleisung, wenn ihnen ihre persönliche Seligkeit im Himmel wichtiger ist als der Wille Gottes. Frommen Egoismus gibt es leider auch. Wir aber reden hier der Seelenseligkeit der n o c h n i c h t G l a u b e n d e n das Wort. Eine individualistische Verengung des Heils ist – so weit ich sehe - nicht das Problem der Volkskirche, sondern dass sie die universalistisch, eschatologisch und soteriologisch zu verstehende Sendung überhaupt verdrängt und sich ihr unter vielen Vorwänden entzieht. Eine über alle Maßen sendungsorientierte Kirche mag man mahnen, Gottes Mission nicht zu eng zu fassen. Solange uns die Umkehr Vieler fehlt, haben wir kein Recht, mahnend den Finger zu erheben. Das ewige Heil gegenüber allem anderen, das zum Schalom mit Gott auch noch gehört, in den Schatten zu stellen, ist neutestamentlich nicht zu rechtfertigen. Noch einmal Krusche: 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 143 "Dass die ökumenische Studie die soziale Komponente im Begriff des Schalom herausstellt, ist im Hinblick auf das übliche individualistische Missverständnis richtig und notwendig. Entscheidend bleibt freilich sein christologischer Grund. Und es muss auch deutlich bleiben: es können Menschen in dieser Welt Schalom als Heil haben, auch wenn ihnen das Wohl versagt bleibt ... Solange die Auferstehung der Toten nicht geschehen ist, ist für den Begriff des Schalom das Moment des Heils konstitutiv …" (Krusche 1968 84). Was ist mit denen, die von Gott und seinem Christus nichts wissen wollen, die das Evangelium ablehnen? „Die Gottlosen haben keinen Schalom“, sagt die Schrift (Jes 48,22; 57,21). Die Verkündigung des Evangeliums ruft eben nicht nur Glauben und Annahme hervor. Sie stößt auch auf Ablehnung - bei Selbstgerechten allemal. Selbstgerechtigkeit aber ist die Grundhaltung des menschlichen Herzens. Es gibt Menschen, die das Geschenk des Friedens mit Gott im Glauben annehmen. Es gibt jedoch die schmerzhafte Erfahrung, dass Menschen dazu nein sagen. "Ein Reden vom Schalom, das gerade diese Tatsache verschweigt, hat ganz und gar nichts mit Jesus Christus zu tun (Mt. 10,13 ff.; Lukas 19,42) ... Mission ist immer ein eminent kritisches Geschehen" (Krusche 1968:84). In der Predigt Jesu ist die Verkündigung des Reiches Gottes untrennbar mit dem Ruf zur Umkehr verbunden: "Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" (Mk 1,15). Die U m k e h r oder - wie die Luth. Bekenntnisschriften sagen – B e k e h r u n g , ist weggewischt. Ratzmann (1980:28) fragt: "Ist der Glaube ein Habitus? Was ist zu tun, dass es zum Glauben kommt? Es hieße die ökumenischen Beiträge überfragen, wenn man auf solche Probleme aus ihnen eine Antwort erwartet." Dieser Mangel ist rational kaum erklärbar. Was hätte der Kirche für ein Segen erwachsen können, wenn die Verfasser der Ökumenischen Studie auf dem Boden der Schrift geblieben wären! „Mission als Strukturprinzip“ - welch ein erregendes Thema, hätte man den Begriff „Mission“ nicht seines biblischen Gehalts beraubt! So aber wundert es nicht, dass der Weltrat der Kirchen, des theologischen Proprium beraubt, vorwiegend politische Themen aufgreift, die die Welt meistens besser behandelt und löst. Was Kirche zur Kirche macht, wird verleugnet. Das Salz der Erde hat an Salzkraft eingebüßt. Für unsere Gemeinden war die Studie 1.3.3. Abwertung des persönlichen Heils 144 kontraproduktiv. Es ist nicht erkennbar, dass sie missionarischer geworden sind, eher gelähmter als sie ohnehin schon waren. Die Abwertung des persönlichen Heils wirkt im Kontext der Hl Schrift, die es als Ziel der Sendung Jesu ausweist, um Gottes willen Verlorene zu retten (s. 2.2.), mehr als merkwürdig. Ein in diesem Zusammenhang gern verfochtenes Argument geht dahin, dass man nicht im Habitus der beati possidentes irgendwelchen Verlorenen gegenüberstehen möchte und wolle. Dieser Habitus ist der Kirche jedoch schon aus theologischen Gründen versagt. Nicht die Kirche ist es, die die Verlorenen rettet. Es ist der Herr der Kirche, den sie zu bezeugen hat. Und nicht die Kirche ist es, die dadurch, dass sie den Namen des Retters trägt, auch schon gerettet ist. Es gibt auch den theologischen Etikettenschwindel. Die Kirche in unserem Kulturraum ist möglicherweise die am meisten verlorene. Wer kann verlorener sein, als eine Kirche, die Christus verlor (s. 1.3.1). Zu dem gilt: Die Zeugen des Retters stehen allezeit unter Mahnworten, die ihnen jede Überheblichkeit und Selbstsicherheit den noch nicht Glaubenden gegenüber untersagt: „Darum, wer meint, er stehe, mag zusehen, daß er nicht falle“ (1. Kor 10,12; vgl. Mt 7,21-29). Dass es ausgerechnet die Beamten einer möglicherweise verlorenen Kirche sind, die das Wort von den Verlorenen, die um Gottes willen gerettet werden müssen, nicht gern hören und sagen, verleiht dem ganzen einen besonderen Beigeschmack. Es ist die christologische Krise, die die Christuspredigt lähmt. Mit der Krise geht der Verlust der Eschatologie einher, ein Verlust, der zur Abwertung des persönlichen Heils beigetragen hat. Der Ausgang dieser tiefgreifenden Fehlentwicklung aber ist die Preisgabe der Sendung mit Folgen für Kirche und Welt, die unsere Vorstellungskraft weit übersteigt. 1.3.4. Preisgabe der Sendung 145 1.3.4. Preisgabe der Sendung In den USA habe ich einen Mann deutscher Abstammung kennengelernt. Kurz nach dem Krieg war er mit 18 Jahren ausgewandert und musste erfahren, dass Deutsche nicht beliebt waren. So vermied er es, deutsch zu sprechen. Aus Scham verleugnete er, wo es ging, seine Herkunft. Als ich ihn traf, hatte er seine deutsche Sprache verloren. Die Krise der Kirche als eine Krise ihrer Predigt erkennend, haben wir gefragt, wodurch Verkündigung derart verfallen konnte, dass sie die Grundfesten der Kirche erschüttert. Ein Hauptgrund liegt im Verlust der Rechtfertigungsbotschaft, dem Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt, mit dem Verlust des Glaubens an Christus überhaupt. Wir stecken in einer christologischen Krise. Die Gemeinde vermag ihr Eigentliches nicht mehr zu sagen. „Die Theologie, die Kirche und der gelebte Glaube sind nicht mehr eins. Dies wird deutlich am Zentrum reformatorischer Theologie, der Lehre von der Rechtfertigung des Gottlosen. Die Theologie vermag die Zentralbotschaft der Reformation kaum oder gar nicht zur Sprache zu bringen. Die Botschaft von der Rechtfertigung der Gottlosen – das zeigen Predigtanalysen zur Genüge – wird zu einem Glaubenssatz ohne Gläubigkeit, zu einem Etikett, das ganz andere Inhalte verdeckt“ (Bohren 1975:25). In der P e r s o n d e s C h r i s t u s , in der R e c h t f e r t i g u n g des Gottlosen allein aus Gnaden und Glauben hat die Gemeinde ihre Herkunft, in der B o t s c h a f t ihre Heimatsprache. Diese aber hat sie zu lange unterdrückt, hat versäumt sie auf den Dächern zu verkündigen. Sie hat ihre „Heimatsprache“ vorwiegend intern, zu sich selbst redend in für die Menschen vor ihren Toren unverständlichen Formeln gebraucht. Sie ist, was ihr Eigentliches betrifft, sprachlos geworden. Und das in einer Gesellschaft, die nichts nötiger braucht, als das Evangelium vom Reiche Gottes. Vor dem Verlust lag die Scham. Die hat etwas mit dem jungen Auswanderer gemacht: Sie verschloss ihm für seine Heimatsprache den Mund. „Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben“, hat Paulus bekannt (Röm 1,16). Weil er sich nicht schämte, konnte er seine neue geistliche Herkunft n parrjs°a bezeugen. So finden wir ihn – nach der Apostelgeschichte - 1.3.4. Preisgabe der Sendung 146 verkündigend in Synagogen, am Fluss, im Gefängnis, auf dem Markt, unter Philosophen auf dem Areopag, in Privathäusern, in einer römischen Kaserne, vor einem Statthalter und dem König Agrippa, auf dem Schiff, als Gefangener auf Malta und später in der ihm angewiesenen Unterkunft in Rom. Stets warf er dabei sein Herz mitsamt seiner theologischen Bildung in die Waagschale, um Menschen zu retten. D a z u ist theologische Bildung da, dass sie sich einmischt, sich einbringt in den göttlichen Rettungsauftrag. Die Theologie steht im Dienste der Sendung. Sie darf nicht so tun, als ginge sie diese nichts an. Paulus war imstande, das Evangelium wie ein Hochschulprofessor auch theologisch darzulegen. Als Theologe aber war er – da es zusammengehört - Missionar, der ohne sich zu schämen, sein Herz sprechen ließ. Man lese Röm 9-11, wo der Theologe von Weltformat seine Liebe, sein innerstes missionarisches Verlangen für sein eigenes Volk aller Welt offenlegt. An Paulus ist Maß zu nehmen: Das Feld der Theologie ist keine Spielwiese, auf der man sich aus theoretischem Vergnügen tummeln kann. In der Theologie geht es um den Willen des heiligen Gottes. Hatten die Väter gesagt, dass wahre Theologie praktisch ist - „vera theologica est practica“ (Luther WA.TR 1,72, 16-17) oder dass der Begriff der Praktischen Theologie eine Tautologie in sich schließt (Bohren 1968:395) - so müssen wir bei genauem Hinsehen erkennen, dass die vera theologica missionarisch ist. Gott, weil er ohne seine Liebe undenkbar ist, ist undenkbar ohne seine Leidenschaft zur Mission. „Die Praktische Theologie treibt Missbrauch mit Luther, wenn sie Pfarrer ausbildet ohne apostolischen Eifer, aber wohl geübt, alle Türen zu öffnen, nur nicht die zum Himmelreich“ (Bohren 1983:347). Unsere Kirche hat v i e l Theologie betrieben, ihre Gemeinden aber haben w e n i g Nächstenliebe geübt, die sich in der Mission konkretisiert. Nun kann sie in theologischer Fremdsprache reden, aber ihre Heimatsprache hat sie vergessen. Zur Erinnerung: „Das Ergebnis der Lektüre unzähliger Predigten: das Evangelium wird in der heutigen evangelischen Predigt in der Regel verschwiegen. Man möchte es sagen, bringt es aber nicht zur Welt“ (Bohren 1983:345). Es ist lobenswert, aber hilft einer Kirche viel zu wenig, wenn sie das Missionarische lediglich an Ämter oder Gesellschaften abgibt. Liebe lässt sich nicht delegieren. Es geht um die sendungsorientierte Gemeinde. Sie ist der besondere Ort missionarischer Liebe. 1.3.4. Preisgabe der Sendung 147 Der Niedergang der Predigt hat ihre Ursache in der P r e i s g a b e d e r S e n d u n g , die eine Folge der Christologischen Krise ist. Zu der Christologischen Krise als Grund für die Preisgabe der Sendung gesellt sich eine weitere Ursache, die höchst einfach, aber elementar und darum äußerst wirksam darin ist, der Sendung unter allen Umständen auszuweichen. Es handelt sich um nichts Geringeres als um die T r ä g h e i t und F e i g h e i t des wandernden Gottesvolks. Trägheit und Feigheit potenzieren sich in ihrer lähmenden Wirkung. Auf Synoden und Tagungen wird über die Notwendigkeit, missionarisch zu sein, geredet und diskutiert. Wie viele der Synodalen und Tagungsteilnehmer danach missionarisch wirksam werden, entzieht sich der Betrachtung. Es ist zu vermuten, dass es wenige sind. „Ein dumpfes Verstummen geht unter uns um. Es ist die merkwürdige Sprachlosigkeit des Glaubens, die diesen augenblicks zu befallen scheint, sobald er den Raum vertrauter Kirchlichkeit verlässt. Merkwürdig ist dieses Verstummen insofern, als es ja erklärtermaßen die ‚Kirche des Wortes’ ist, von der der Glaube herkommt ... Gemeint ist der merkwürdige Sachverhalt, dass es dem einzelnen Christen und der einzelnen Christin, sobald sie denn jenen halbwegs geschützten Raum redender Kirchlichkeit verlassen, schlichtweg und geradezu abrupt die Sprache zu verschlagen scheint ...“ (Herlyn 1997:193-194). Die Sünden der Christen bestehen nicht allein in dem Verkehrten, das sie tun, sondern eben auch in dem Guten, das sie unterlassen. Die Gemeinde, die sich an der Sendung als ihrer vornehmsten Aufgabe orientiert, wird sich aufmachen, zu den Leuten gehen und für sie aufnahmefähig werden. Dazu bedarf sie der konkreten Initiative und nicht zuletzt einen fröhlichen Mut, der sich nicht scheut, auch Misserfolge und Niederlagen einzustecken. Luther sagt im Großen Katechismus: „Denn das ist eben die Sünde, so man bisher unter die Todsünden gezählt hat und heißet die Akidia, das ist Trägheit oder Überdruss, eine feindselige, schädliche Plage, damit der Teufel vieler Herzen bezaubert und betrügt …“ An andere Stelle spricht er vom Alten Adam als einem „Prediger“, der uns überall hin begleitet. „Der predigt dir ohn Unterlass … dass er dich herunterziehe, und du je länger, um so kälter werdest und so träge und faul, dass du endlich des Herrn Christus und seines Evangeliums vergissest und nicht mehr danach fragst“ (Aland 1956:13-14). Preisgabe der Sendung ist Preisgabe der Nächstenliebe. Wie wollen wir Gott 1.3.4. Preisgabe der Sendung 148 lieben „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und unseren Nächsten wie uns selbst“ (Mt 22,18-19), wenn wir den Menschen ausgerechnet die rettende Liebe Gottes vorenthalten? Es ist ein theologischer Taschenspielertrick, der sich und andere glauben machen möchte, man sei missionarisch halt nicht begabt, sehe die eigene Berufung im Schöpfungstheologischen oder Charismatischen, im Kontemplativen oder Liturgischen, im Seelsorglichen oder Didaktischem usw. M i s s i o n a r i s c h z u s e i n , i s t k e i n C h a r i s m a , s o n d e r n e i n B e f e h l , der die versammelten Jünger, mit ihren je besonderen Charismen zum neuen Gehorsam ruft: „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes!“ (Röm 12,2). Missionarisch zu sein, ist eine Gesinnung, eine Herzenseinstellung, ein Tun, zu dem die Gemeinde als der Leib Christi und mit ihm jedes Glied, seine besondere Gabe einsetzend, gerufen ist. A l l e n Jüngern wurde laut Mt 28,18-20 der Missionsbefehl gegeben, nicht nur den möglicherweise zwei oder drei evangelistisch Begabten unter ihnen. Die anderweitig, z. B. diakonisch oder kybernetisch Begabten, hatten nicht die Aufgabe zu evangelisieren, es war nicht ihr Charisma. Gleichwohl waren sie mit ihrer spezifischen Gabe gerufen missionarisch zu sein. Es schält sich heraus: Missionarisch im Vollsinn des Wortes können die verschieden Begabten nur i n d e r m i s s i o n i e r e n d e n G e m e i n d e sein, der sie mit ihrer Gabe dienen, die erst in solcher Gemeinde zu ihrer vollen Entfaltung kommen. Der Missionsauftrag, der das Vorzeichen vor allem ist, darf mit dem Auftrag zu evangelisieren nicht verwechselt werden. Wer über den Missionsbefehl spricht, muss von der missionierenden G e m e i n d e reden, sonst setzt er alle, die keine evangelistische Gabe haben, massiv unter Druck. Darum ist es problematisch zu sagen „Evangelisation und Mission sind als synonyme Begriffe anzunehmen“ (Werth 2004:346). Alle Funktionen der Gemeinde, wovon die Evangelisation nur eine ist, sind unter das Vorzeichen der Mission gestellt. Die Charismen werden sich als Glieder am Leib betätigen und dadurch in all ihrer Verschiedenheit optimal entfalten. Sie können es legitim nur am Leib, ist die Gemeinde doch der Ort zu dem jedes einzelne Glied genuin und verbindlich gehört. Der Auftrag eint die Glieder und damit die Charismen, führt sie 1.3.4. Preisgabe der Sendung 149 verbindlich zusammen. Sie stehen alle im Dienste des die Gemeinde Sendenden. Schöpfungstheologie, Soteriologie, Pneumatologie und Ekklesiologie sind nicht zu trennen. Gott ist e i n e r , der nicht geteilt werden kann. In der Soteriologie kommt das trinitarische Herzensanliegen zur Geltung. Nicht der heilsbedürftige Mensch steht dabei im Mittelpunkt, sondern der „der will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1.Tim 2,4). Mit der sendungsorientierten Gemeinde, die zum Ziel hat, Menschen für das Gottesreich zu gewinnen, ist nicht eine bestimmte Kirchengestalt gemeint, zu der es auch andere Optionen gäbe, z. B. „gestaltoffene, volkskirchliche Gemeinde“ im Gegenüber zu einer eher „missionarischen Freikirche“. Die verschiedenen Kirchenbilder des NT lassen eine gesetzliche Festlegung auf e i n e Form oder Gemeindeordnung gar nicht zu (Schweizer 1962), wie auch der Artikel von der Kirche (CA VII) von der Freiheit des Evangeliums ausgeht und für die verschiedenen Gemeindebilder und –formen großen Spielraum lässt. Auf welche ntl Gemeindeordnung wir auch blicken, auf welche Formen sich heutige Landes-, Freikirchen oder einzelne Gemeinden auch einigen, der Sendungsauftrag, als die entscheidende Konkretisierung des Doppelgebots der Liebe, gilt allen. Das Liebesgebot ist vor allem auf den Sendungsauftrag gerichtet, ebenso ist ein Ernstnehmen des Sendungsauftrags immer Gehorsam gegen das Liebesgebot. Hanssen (1999:13-30) hat nachgewiesen, dass die Bergpredigt eine Auslegung des Doppelgebotes der Liebe ist. Das Doppelgebot ist das höchste aller Gebote, in dem a l l e s , was das Gesetz und die Propheten lehren, zusammengefasst und erfüllt ist. A l l e s , was das Gesetz und die Propheten lehren, verstand Israel als Gottes Willen, ihm, dem auserwählten Volk befohlen. Unüberhörbar klingt im Missionsbefehl das Doppelgebot der Liebe an: „Lehret sie halten a l l e s , was ich euch befohlen habe“ (Mt 28,20). Das größte unter allem, was er geboten hatte, ist das Doppelgebot der Liebe. Es erscheint Matthäi am Letzten genau dort, wo es hingehört, in den Kontext, unter das Vorzeichen der Sendung zur Rettung der Welt. „Findet das Doppelgebot in der Bergpredigt seine Auslegung, so erhält es im Missionsbefehl seine Ausrichtung“ (Eickhoff 1992: 111). Schöpfung, Erlösung, Geistausgießung, das Werden und Wirken der Kirche hätten ohne die ewige Rettung der Menschen nur irdisch begrenzten Sinn. Erst 1.3.4. Preisgabe der Sendung 150 vom Rettungsauftrag bestimmt und umschlossen, erhält kirchlicher Dienst ewigkeitlichen Glanz. Die Belange der Schöpfung, in deren Kontext unser Leben nur ein kurzes Aufflackern darstellt, die Ausgießung des Heiligen Geistes, die Existenz der Gemeinde, ihre vielfältiges Zeugnis, alles verliert dramatisch an Bedeutung, wenn der eschatologisch - soteriologische Horizont, der alles verbindet und die Richtung weist, ausgeblendet wird. „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ (1. Kor 15,19). Eingebunden in die große Bewegung der e w i g e n R e t t u n g d e r V ö l k e r , werden dagegen alle anderen Sendungen Gottes, auch die „geringsten“ Dienste der Gemeinde, ewigkeitlich aufgewertet. Atl Untersuchungen haben gezeigt, dass Israel die Schöpfung im theologischen Zusammenhang mit der Heilsgeschichte gesehen hat, die es über sich selbst hinaus auf die Völker weist (Jes 42,5-7; Psalm 89; 74). Da die Rettung um seines Namens willen das Herzensanliegen der Trinität ist, musste der vom Heiligen Geist Empfangene, mit dem die Neue Schöpfung begann, „Jesus“ heißen: „Gott rettet“ (Mt 1,21). Und der Geist ist „das Unterpfand unsres Erbes, zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit“ (Eph 1,13-14). Die Preisgabe der Sendung dagegen verdirbt alles, sie hindert das Heil der Völker, verleugnet den Retternamen, gibt Menschen dem Verderben preis, zerstört die Kirche, stürzt sie ins Gericht. Wird die Sendung preisgegeben, flattert kirchliche Verkündigung wie ein gefangener Vogel im viel zu engen Käfig der Gemeinde ziellos umher und geht irgendwann entkräftet zu Boden Die Ortsgemeinde kann sich nicht jahrhundertelang selbst zum Adressaten ihrer Verkündigung machen, im permanenten Selbstgespräch verharren, ohne dass sie irgendwann an der Sinnlosigkeit dieses Tun erkrankt, ja, den Sinn ihres Tun nicht mehr kennt. „Möglicherweise hängt die Resignation so vieler Prediger daran, dass man nicht mehr weiß, was man tut, wenn man predigt. Wer nicht weiß, was predigen ist, wird auch nicht wissen, was predigen soll“ (Bohren 1979:22). Der niedrige Stellenwert, welcher der Sendung durch Theologie und Gemeinde beigemessen wird, steht in einem krassen Missverhältnis zum biblischen Befund (s. Kap 2). Gottes S e n d e n ist – wie Gottes L i e b e - ausgesprochen und unausgesprochen, der Sache nach in der Heiligen Schrift stets 1.3.4. Preisgabe der Sendung 151 gegenwärtig. G o t t e s L i e b e i s t d i e A n g e l , i n d e r s i c h d i e T ü r d e r S e n d u n g d r e h t . In Gottes Liebe fest verankert ist die Tür zu den Menschen weit geöffnet, damit die Gemeinde zur Welt findet und die Welt zu Christus. Gott ist als Liebender ein Sendender. Er ist der Missionar, der sich mit seiner Welt selbst das Missionsfeld schafft und betritt, dazu Boten sendet: sein Wort, Engel, Träume und Propheten, einen heidnischen König, sein Volk, seinen Sohn, seinen Geist, seine Kirche. Senden ist die „Leidenschaft der Trinität“ (Bohren 1962:5). Die Liebe des Dreieinigen wird in immer neuen Sendungen konkret. Welch eine Bedeutung gewinnt da die sendungsorientierte Gemeinde! Die Sendungen Gottes, die zum einen auf die Rettung der Menschen zielen, zielen ebenfalls darauf, dass „das ängstliche Harren der Kreatur“ die auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes sehnsüchtig wartet, zu seiner Erlösung kommt (Röm 8,19-23). Diese Erlösung in der Vollendung, nach der alles seufzt und sich sehnt, wird bereitet durch die Predigt des Evangeliums vom Reich (Mt 24,14). Das ist die Tiefe und Weite, die Würde und Ewigkeitsbedeutung kirchlicher Verkündigung. Die Kirche der Reformation versteht sich als Kirche des Wortes. Es entspricht ihrem Wesen, das sie, bevor sie predigt, auf das Wort hört. Was sie sagt und was sie ist, muss dem Wort entsprechen. Die Reformatoren bekennen, dass die Kirche „die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden“ (CA 7). Wer darüber entscheidet, ob das Evangelium „rein gepredigt“ wird, bleibt in den Kirchen der Reformation formal eine offene Frage. Inhaltlich geht es um den articulus stantis et cadentis ecclesiae, um die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden, die ohne Glauben und Umkehr nicht zu haben ist. Schlatter hat darauf hingewiesen, dass in der CA 7 die Gemeinde kein Interesse genießt, wohl aber das predigende, Sakramente spendende Pastorat. Er fragt: „Entsteht auch dann noch Kirche, wenn das Wort zwar gesagt, aber nicht verstanden, geglaubt, getan wird?“ (Schlatter [1897] 1969:43). Für die Alten stellt er fest: „Aus der Teilnahme an der Kirche ergab sich für den Glauben bei ihnen noch keine Berufung zum Dienst“ (:45). 1.3.4. Preisgabe der Sendung 152 In seiner Schrift „Der Dienst des Christen in der älteren Dogmatik“, kommt Schlatter auf die Ablehnung der Missionspflicht zu sprechen. Zuvor erkennt er an, dass in der Lehrbildung der Reformatoren „ein reiches Stück des Evangeliums in eine klar durchdachte, darum auch praktisch verwendbare Gestaltung gebracht ist“ (:31). Sodann führt er aus: „Aber auch der andere Eindruck wird nie fehlen, dass zwischen jener Lehrbildung und unserem gegenwärtigen Wissen Differenzen entstanden sind. Die Beobachtung und das Verständnis dieser Wandlungen ist eine der großen Aufgaben unserer historischen Theologie ... Kämen wir darüber nach und nach in der Kirche zum Einverständnis, was der älteren Lehrbildung fehlt, in welcher Beziehung sie sich erneuert hat und weiterhin erneuern muss, so wäre dies kein kleiner Gewinn“ (ebd.). An erster Stelle nennt Schlatter „Die Ablehnung der Missionspflicht“(:35). Von Hutter an werde bis ins 18. Jahrhundert betont, das Evangelium sei schon der ganzen Schöpfung gepredigt. Das habe man zu glauben. Auf den Einwand, „Amerika sei ja erst nachher entdeckt worden, antwortete man, es müsse ein Apostel auch in Amerika gewesen sein.“ Dass sich die Aufgabe der Kirche nach dem Missionsbefehl bestimme und die universale Berufung der ihr aufgetragener Dienst sei, wurde abgelehnt; man kehrte stattdessen, damit der Gnade nichts abgebrochen werde, d i e S c h u l d d e r H e i d e n hervor: „Ihre Vorfahren haben die Predigt der Apostel verworfen; somit bleibe ihnen nach Gottes Gerechtigkeit das Evangelium entzogen. Zudem sei ein Gerücht von der Kirche weithin in der Welt verbreitet, welches die Heiden bewegen sollte, sich um das Evangelium zu bemühen ... weiter reichte das Denken und Wollen der Alten nicht“ (36). Es gehört zur Tragik des Luthertums, dass es zu den notae ecclesiae zwar die Verkündigung an die Adresse der Versammlung der Gläubigen zählt sowie die stiftungsgemäße Verwaltung der Sakramente, aber die E x i s t e n z d e r K i r c h e i n d e r S e n d u n g G o t t e s übersieht. Seitz erklärt im Blick auf die Bekenntnissätze der CA VII: „Sie enthalten eine Kirche ohne Sendung, nur unter dem Primat der Sammlung, sozusagen ein der neutestamentlichen Vielfalt gegenüber reduziertes Kirchenmodell, das viel zu einseitig, viel zu sehr von der damaligen Situation abhängig, viel zu erweiterungs- und 1.3.4. Preisgabe der Sendung 153 entwicklungsbedürftig ist, als dass wir uns heute in ihm finden könnten. Wir müssen also weiterdenken und neu ansetzen“ (Seitz 1985: 15). Was Kirche ist, sieht Seitz am tiefsten in der Eucharistie erschlossen, dort also, wo die Kirche am gesammeltsten ist: „Da, wo Jesu Sendung zu Ende und von unserer noch nicht die Rede ist, erfahren wir in analogen Worten ihre ureigenste Bestimmung: Leib Christi, für die Welt gegeben“ (ebd.). Die in unserer Tradition liegende Ablehnung der Missionspflicht wirkt bis heute nach. Viele der Theologen, die ich in meinem Reisedienst kennen gelernt habe, sind, was den Sendungsauftrag der Gemeinde betrifft, desinteressiert, ablehnend oder sie vertreten eine Sendung, die sich lediglich auf vergängliche Ziele richtet. Anders Körtner. Im Zusammenhang einer Erörterung über die Erklärung „Dominus Jesus“ der katholischen Kirche, die um die pluralistische Theologie der Religionen kreist, schreibt der Wiener Theologe: „Rom ruft ein Sachproblem in Erinnerung, für das die übrigen Kirchen noch keineswegs eine überzeugende Antwort gefunden haben. Sie alle stehen vor der gemeinsamen Aufgabe, eine wahrhaft ökumenische Ekklesiologie im Kontext des heutigen religiösen Pluralismus zu formulieren, welche sich nicht länger um die missionarische Dimension des Christentums herummogelt. Es gehört z. B. zu den Absurditäten nicht weniger sogenannter Dialogveranstaltungen, dass der universale Geltungsanspruch des Christentums massiv kritisiert wird, während das Publikum bereitwillig akzeptiert, dass die Vertreter anderer Religionen die Veranstaltung völlig ungeniert zur missionarischen Gelegenheit umfunktionieren.“ Es seien die christlichen Kirchen „angesichts der missionarischen Kraft anderer Religionen herausgefordert, sich auf ihre gemeinsame missionarische Aufgabe zu besinnen, ohne dass die Mission gegen den notwendigen Dialog der Religionen und eine friedliche Konvivenz ausgespielt werden darf“ (Körtner 2002: 111-113). Körtners Ruf ist zu begrüßen, wenn auch die pragmatisch-reaktionäre Begründung nicht hilfreich ist. D i e K i r c h e n s i n d d u r c h G o t t e s W o r t z u i h r e r m i s s i o n a r i s c h e n A u f g a b e h e r a u s g e f o r d e r t , nicht „angesichts der missionarischen Kraft anderer Religionen“. Meint der Wiener Theologe im Ernst, dass die Herauforderung der Kirche zur Mission dahinfällt, wenn die 1.3.4. Preisgabe der Sendung 154 missionarische Kraft anderer Religionen erlahmt? „Denn so spricht der Herr zum Hause Israel: Suchet mich, so werdet ihr leben!“ (Amos 5,1). Grethlein (2001) äußert sich ähnlich wie Körtner. Er versteht im Schulterschluss mit Sundermeier „Mission“ als „Begegnung der Kirche mit den ihr sozial, kulturell und religiös Fremden“ (:388). Hier ist an die Äußere Mission gedacht, was sich insofern relativiert, als in der Bundesrepublik inzwischen „eine geradezu klassische Missions-Situation“ besteht. Im Osten Deutschland (ehem. DDR) besteht diese nicht hinsichtlich einer anderen „Religion“, sondern hinsichtlich einer Daseins- und Wertorientierung, die sich selbst als religionslos, materialistisch versteht. Für den Westen Deutschlands allerdings, mit seinen verschiedenen Religionen und dem Islam mit unterschiedlichen muslimischen Ausprägungen, wurde versucht, die neue Situation mit dem Begriff der „Nachbarreligion“ zu erfassen: „Mit dem Terminus ‚Nachbarreligion’ wird eine Perspektive eröffnet, die eine theologische Anknüpfung am ‚Nachbarn’ und am ‚Nächsten’ zulässt: damit gerät das Verhältnis von Christen zu den Menschen anderen Glaubens und anderer Weltanschauung in den Horizont einer Theologie der Nächstenliebe, die den Anderen nicht länger als den Fremden und Ausgeschlossenen ansehen kann“ (Weiße 1999:181). Haben wir die enge Verflechtung des Doppelgebots der Liebe mit dem Sendungsauftrag betont, wird hier versucht, dem Doppelgebot der Liebe mittels einer missionslosen „Theologie der Nächstenliebe“ das Herzstück zu nehmen. Jedenfalls stellt sowohl die Botschaft von der Rechtfertigung, die ohne Christus keinen Anhalt hat, als auch die Universalität des Missionsbefehls, als auch der soteriologische Grund eine Herausforderung an die Gemeinde dar, den Sendungsauftrag liebevoll und entschieden im Blick auch und gerade auf die Menschen der „Nachbarreligion“ wahrzunehmen. Dialogbereitschaft sowie Konvivenz einerseits und das christlich-missionarische Zeugnis andererseits sind dabei keine Gegensätze. Grethl in (5-2001) weist auf die Diskrepanz zwischen der früheren Bedeutung des Themas „Mission“ (Aichelis [1911]) und seiner heutigen Ausblendung, bzw. schroffen Zurückweisung (Otto [1988]). Nach einem Blick in die Geschichte - „’Mission’ als Thema Praktischer Theologie“ (:389-392) - bricht er eine Lanze dafür, dass die Praktische Theologie sich wieder dem Thema „Mission“ öffnet. Gegenüber Weiße, macht er auf „das Zurücktreten des Zeugnisses hinter die 1.3.4. Preisgabe der Sendung 155 Betonung des Dialogs im Missionsverständnis“ aufmerksam (:397). Dennoch scheint auch bei Grethlein die Notwendigkeit, dass die Sendung wieder zu einem praktisch-theologischen Thema wird - wie bei Körtner - nicht streng theologisch begründet. Grethlein macht zunächst jedenfalls einen ekklesiologischen Grund dafür gelten, was im Blick auf die Sendung zu kurz greift: „Auf jeden Fall erscheint es angesichts tiefgreifender Wandlungen im Verhältnis vieler Menschen zu den christlichen Kirchen unerlässlich, dass Mission wieder zu einem Thema der PT wird“ (398-399). Es ist eine Verirrung, wenn es in der Mission um die Kirche geht. Es geht um das Reich Gottes, dass allen Menschen gilt. Wenn die Christenheit danach trachtet, wird ihr eine lebendige Kirche zufallen (Mt 6,33). Im Begründungsatz sieht Grethlein dann doch, dass die Praktische Theologie ihre Aufgabe der Mission nur so „als theologische, d.h. an der Förderung der Kommunikation des Evangeliums interessierte Theorie der Praxis des Christentums in der Gegenwart erfüllen (kann)“ (:399). Die Gemeinde hierzulande braucht eine Verkündigung, die sie für die heilige Berufung, Menschen für Christus zu gewinnen, neu belebt, zurüstet und sendet. Solche Predigt setzt die Gemeinde nicht unter Druck, sondern begeistert sie für die hohe Lebensaufgabe. Theologie ist Doxologie! Sendungsorientierte Predigt verkündigt die großen Taten Gottes und führt ins G o t t e s l o b . Das Loben Gottes bleibt nicht stumm. Es wird extra muros ecclesiae gehört (Apg 16,25). Das Ergreifen der hohen Berufung, das Evangelium den Menschen zu bringen, verändert die Gemeinde grundlegend, denn was sie tut, tut auch etwas mit ihr. Sie wird an einer uralten Erfahrung teilhaben: Sobald sie sich aufmacht, das Evangelium nach draußen zu tragen, kommt der Geist. „Das Neue Testament bezeugt uns einmütig, dass der Heilige Geist bei denen und an denen und durch die schöpferisch wirkt, die sich senden lassen“ (Bohren 1969:154). So kommt der Geist über die betende Gemeinde in der Verfolgung (Apg 4,23-31). Kommt der Geist zu der Gemeinde, die sich senden lässt, kommt er mit Gaben. Er schenkt die Charismen, die gebraucht werden. Die Charismenlisten im NT sind keineswegs abgeschlossenen, sondern für neue Gaben offen. Der spiritus creator schafft neue Begabungen, neuen Herausforderungen zu begegnen. Gemeinden, die sich aufmachen, werden sich nach Gaben ausstrecken und werden 1.3.4. Preisgabe der Sendung 156 - das ist verheißen - welche bekommen (1. Kor 12,31; Mt 7,8; Lk 11,9-13). Das Ausstrecken nach Charismen ist ein Zeichen von Leben, wie Hunger ein Zeichen von Leben ist. Das notorische Desinteresse der Gemeinden an den Gaben ist Zeichen ihres geistlichen Komas oder des schon erfolgten geistlichen Todes. In der Kirche des Auferstandenen können tote Gemeinden durch seine Kraft auferstehen. Ein erstarrter Gemeindeleib kommt durch die vom Geist und der Sendung geleitete Predigt in Bewegung. Vorhandene, bisher brachliegende Gaben, werden belebt, neue entdeckt, geweckt, zugerüstet zum Dienst. Die Gemeinde wird lebendig. Ihr Gehorsam hat universale Folgen: Gottes Name wird wieder geehrt! Menschen finden wieder zum Glauben und dadurch zum Gottesreich! Die Gemeinde ist zwar nicht zum Gehorsam zu rufen, damit sie lebendig wird, sondern dass durch sie Gottes Wille geschieht. Andererseits: Durch Gehorsam wird sie leben (Am 5,4). So sehr sich im Hören auf Gottes Wort das Wesen der Kirche ausdrückt, so gehört zum Hören das Gehorchen. Wir reden nicht einem Gehorsam irgendwelchen Gesetzen oder Paragraphen gegenüber das Wort, sondern dem Gehorsam, der aus dem Liebesverhältnis zu Christus kommt, dem Liebesgehorsam. Die reine Lehre des Wortes zielt auf eine w o r t f ö r m i g e Gemeinde. Im krassen Gegensatz dazu wird das Wort bei uns gern verbogen, wir passen es uns an, machen es g e m e i n d e f ö r m i g . Es klingt paradox: Die Kirche, die sich vieler Nöte der Menschen annimmt, hat deren entscheidende Not, die sie rettende Botschaft nicht zu kennen, aus den Augen verloren. Die Gemeinde, die die rettende Botschaft kennt, sagt sie ihnen nicht. Durch ein magisches Taufverständnis hat sie ihr Gewissen jahrhundertelang erfolgreich betäubt, meint sie doch, durch den Taufritus seien alle gerettet, ob sie glauben oder nicht. Inzwischen lebt die Gemeinde zunehmend Tür an Tür mit Menschen, die nicht getauft sind. Wie wir ehedem, an Wotan glaubend, Heiden waren, so sind nun an Götter Glaubende zu uns gekommen. Die Gemeinde denkt jedoch nicht dran, sie zu Christus zu führen. Sie flüchtet sich nun in die bequeme Ausrede, man müsse gute Nachbarschaft pflegen und im Übrigen, glaube man doch eh an den gleichen Gott. Da hätten wir gleich bei Wotan bleiben können. Die Gemeinde vergräbt ihr Pfund und lähmt sich selbst. 1.3.4. Preisgabe der Sendung 157 Die eigene Lähmung macht ihr durchaus zu schaffen. In offiziellen, kirchlichen Erklärungen findet man reichlich die Sorge um die Kirche, die Sorge um das ewige Heil der Menschen sucht man vergeblich. Eine eher vorsichtig formulierte Ausnahme bildet die Erklärung der EKD (Texte 68, 2001). Unter der Überschrift III. 2.1 „Die Perspektive der Rettung“, lesen wir: „(6) In diesem Zusammenhang und unter dieser Prämisse ist Evangelisation in besonderer Weise Verkündigung der Rettung des Menschen aus seiner Verlorenheit. Leben ohne Gott, ohne Glauben an Jesus Christus, ist Leben in der Verlorenheit. Der Begriff ’soteria’, der oft mit Heil übersetzt wird, meint vom griechischen Wortsinn her dieses Rettungsgeschehen (u.a. Röm 1,16). Dabei wird sie allen hektischen Aktivismus und auch jede Form von Drängelei vermeiden. Sie wird aber nicht außer acht lassen, dass Dringlichkeit geboten ist.“ So sehr die Sätze zu begrüßen sind, so wird doch der falsche Eindruck erweckt, als sei nur das evangelistische Charisma, nicht aber alle Charismen in den Dienst der Rettung gestellt. Es ist nach dem Verhältnis von „Sendung und Gemeinde“ zu fragen. Die Generalsynode der EKD formulierte 1958, die Kirche habe sich „nicht zu entscheiden, ob sie Mission treiben will, sondern sie kann sich nur rufen lassen, Kirche zu sein, d. h. sich senden zu lassen" (2. These der Generalsynode der EKD, 1958). Nach vorherrschender Meinung verhält es sich dagegen so, als habe die Gemeinde verschiedene Dienste bzw. Funktionen, wovon die Sendung eben eine unter anderen sei, die nun durch die evangelistische Gabe wahrzunehmen wäre. Wer diese nicht hat, fühlt sich vom Sendungsauftrag befreit. Die Sendung sei eben nur eine bestimmte Funktion der Gemeinde, in der es viele andere auch noch gibt. Nach dem NT ist es umgekehrt: D i e G e m e i n d e i s t e i n e F u n k t i o n d e r S e n d u n g . Die Sendung ist nicht ein Dienst der Gemeinde. Die Gemeinde steht mit all ihren Gliedern und Charismen im Dienste der Sendung. Sendung ist nicht ein Teil der Gemeinde. Gemeinde hat an der Sendung Teil. Es gibt nicht die Sendung, weil es die Gemeinde gibt. Es gibt Gemeinde, weil es die Sendung gibt. „So ist gerade die Kirche der stärkste Beweis dafür, dass das Evangelium auch den Heiden gehört. Wir haben also nicht Mission zu treiben, weil wir das Evangelium besitzen, sondern wir haben das Evangelium nur, weil es den Heiden vermeint ist. Wäre es anders, würden wir uns zum Herren des 1.3.4. Preisgabe der Sendung 158 Evangeliums aufwerfen und das Amt der Versöhnung missbrauchen. Weil Gott die Heidenmission wollte, darum sind wir Kirche“ (Vicedom 2002:77). Der Oberbegriff ist die Sendung. Aus ihr ist die Gemeinde hervorgegangen. Das führt zu einer dramatischen Konsequenz: Die Sendung, bzw. Christus der Sendende, ist für Inhalt und Struktur der Gemeinde bestimmend und nicht umgekehrt kann die Gemeinde über die Sendung bestimmen. Die ist ihr geboten. Der Herr ist es, der sie sendet. Ihm schuldet sie Gehorsam. Sehr wohl gibt es in einer Gemeinde verschiedene Gaben und Bereiche: Leitung, Predigt, Seelsorge, Gottesdienst, Chor, Abendmahl, Gebetskreis, Bibelstunde, Hauskreis, Diakonie usw. Wenn unter sie jedoch die Sendung gezählt wird, gerät diese zu einem Teilstück unter anderen. Die Gaben und Bereiche haben ihre Würde und Berechtigung, sofern sie unter dem Vorzeichen der Sendung stehen. Das Vorzeichen adelt sie, wertet sie ewigkeitlich auf. Sie sind innerhalb der Sendung wertvoll und gut. Ohne ihr Vorzeichen relativieren sie die Sendung, fallen mangels Bezogenheit auf die eine hohe Aufgabe auseinander und werden - böse. „Können Chorgesang oder Gebetsstunden böse sein?“ mag man fragen. Nun, auch ungehorsame Gemeinden tun, was alle Gemeinden tun, sie singen und beten. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, ist als Menschenfischerkirche entwor- fen, dazu, dass es sich auf hoher See befindet, bei den „Fischen“, bei denen, die für Gottes Reich zu gewinnen sind. Das Schiff wurde nicht gebaut, um im Hafen zu liegen. Das aber ist die Situation der meisten unserer Gemeinden: unbeweglich geworden liegen sie im kirchlichen Hafen vor Anker. Sie wissen nichts von einem Sendungsauftrag, sind in dem, was sie tun, auf sich selbst gerichtet. „Aus Petrus, dem Fischer, ist der Helfer geworden. … Man darf nicht übersehen, dass sich damit die Petrus-Praxis grundlegend verändert hat. Wenn der Fischer zum Helfer geworden ist, dann wirkt er nicht mehr aktiv, sondern reaktiv. Dann geht er nicht von sich aus auf Menschen zu, um sich in ihr Leben einzumischen, sondern dann wird das Gesetz des Handelns von anderen bestimmt. Andere Mächte mischen sich in das Leben der Menschen ein, beschädigen sie an Körper und Seele, ... Petrus wird dann noch immer gebraucht, als Tröster, Betreuer und Helfer. … Die Helferpraxis bleibt unter dem Diktat jener Mächte, die Opfer produzieren, auch wenn sie durch die Betreuung der Opfer gegen die destruktiven Tendenzen anzuarbeiten sucht. ... Für einen runden Urlaub, für eine geglückte Ehe, für ein gelingendes Leben 1.3.4. Preisgabe der Sendung 159 wird in den kirchlichen Werbesprüchen der Glaube als Rezept anempfohlen. Die Macht des Heiligen wird als Heilmittel angepriesen, als Medikament für Konfliktbewältigung und Krisenerfahrung. Als ob es nicht schrecklich sei, ‚in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen’ (Hebr. 10,2)“ (Josuttis 1993:55- 56). In den Wahrnehmungen Josuttis klingt an, was es der Gemeinde ermöglicht, sich über ihren Zustand erfolgreich hinweg zu täuschen: Obwohl sie den Sendungsauftrag nicht wahrnimmt, herrscht an Bord - Hochbetrieb. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt und im Hafen liegt, wird rund um die Uhr gewartet und die Mannschaft ausreichend versorgt. Das fordert Zeit und Kraft. Manche an Bord geraten vor lauter Arbeit an den Rand der Erschöpfung, andere schauen lediglich zu, wohl weil sie den tieferen Sinn aller Mühe nicht zu sehen vermögen. Das Schiff, vom auf sich selbst gerichteten Hochbetrieb in Schach gehalten, liegt vor Anker. Es befindet sich nicht dort „wo es tief ist“ (Lk 5,4) bei den Fischen. Dazu aber war es gedacht und gebaut. Im höchsten Maße aktiv, verfehlt es seine Bestimmung. Es ist zwar zu etwas nütze, bietet Unterkunft, stellt Arbeitsplätze zur Verfügung, hat vielleicht ein Lazarett, eine Seelsorge- und Diakonieabteilung, widmet sich „Innerer Heilung“, hilft zu einem gelingenden Leben, diskutiert den Konziliaren Prozess, aber es dient nicht seinem Auftrag. Eine emsige, treue Schar, lebt emsig und treu am Ziel vorbei. Die Aktivitäten sind auf die Interessen des Schiffs und seiner Mannschaft gerichtet, nicht auf die für Christus und seine Ewigkeit zu fangenden Fische. In einem Berichtsheft der EKD findet sich das Zitat eines evangelischen Bischofs: „Die Aufgabe der Kirche: den Menschen zu helfen, christlich zu leben und getröstet zu sterben“ (EKD 2005:11). Freundlich gemeint, sind solche Sätze an Harmlosigkeit und Unschärfe nicht zu überbieten. Sie sind nichtssagend. „Christlich leben“ ist eine Worthülse, die so ziemlich alles besagen kann und damit nichts sagt. Man kann ohne Glauben christlich leben, was vor allem jene bezeugen, die christlich gelebt haben und dann zum Glauben kamen. „Bonhoeffer sagt von sich selbst, er sei Theologe geworden, bevor er Christ war“ (Huber 2005:1) Kutter fragte einst: „Warum bekommen so viele Pfarrer ihrer Lebtage keine Ahnung vom wirklichen Gott?“ (1912:39). 1.3.4. Preisgabe der Sendung 160 Zurück zum „Schiff, das sich Gemeinde nennt“: In manchen Gemeinden ist etwa alle 5 Jahre eine „Evangelisation“. Die wohlgemeinte missionarische Anglerwoche wird vom Schiff aus im sicheren Hafen veranstaltet. Kann man fünf Jahre lang unmissionarisch sein und dann eine Woche lang missionarisch? Die Gemeinde ist in der Sendung ja gar nicht geübt und erfahren, hat keine missionarische Infrastruktur. Sie hat verlernt mitzuempfinden, was Glaubensfremde fühlen, wenn sie biblische Sachen hören. Sie spricht auch keine den zu gewinnenden Menschen adäquate Sprache, ist sie doch im Blick auf das Evangelium und damit im Blick auf die Menschen sprachlos geworden. Die gelegentliche, k o n t i n g e n t e Evangelisation stößt in der Regel ins Leere, wenn sie nicht im Kontext der p e r m a n e n t e n Evangelisation erfolgt, der sendungsorientierten Gemeinde. Nehmen w r J sus bei sein m Wort: „ L e r n t v o n m i r ! “ (Mt 11,29). Er hatte eine Vorgabe: Suchen und retten, was verloren ist (Lk 19,10). Auf dieses eine Ziel hin war sein Leben, waren seine Verkündigung, seine Menschenführung, sein Heilen und sonstiges Handeln ausgerichtet. Alles war u m G o t t e s w i l l e n dem Suchen und Retten der Verlorenen untergeordnet. Was er sagte und tat, stand alle Tage unter dem Vorzeichen dieses Auftrags. Da hing nichts in der Luft, nichts war in den Wind geredet. Alles, was er sprach und tat, haftete an seiner Sendung, hatte damit eine eindeutige Richtung und das klare Ziel. Jedes Wort, jedes Zeichen wies die Menschen auf das zu gewinnende Gottesreich. Reden und Tun standen unter dem Zeichen der Sendung zur Erlösung der Welt. Eindeutigkeit und Zielklarheit ist für die Sache, um die es geht, unerlässlich. Alle seine Liebe, seine Kräfte, seine Gedanken und Gefühle waren zusammengehalten, konzentriert und ausgerichtet auf den einen Punkt, aus Liebesgehorsam zum Vater, die Welt zu erlösen. Das is t es auch , was Chr is ten im Gemeindeal l tag am s tärks ten zusammenführt , un te re inander verbindet und ihre Char ismen weckt , d ie fasz inierende Gabe und Aufgabe , Menschen um Got tes wi l l en für d ie Ewigkei t zu re t ten . Gemeinde, die beginnt, dem Missionsauftrag das Vorzeichen gegenüber allen Diensten einzuräumen, erlebt, wie diese Aufgabe ihre Glieder untereinander stärkt und verbindet. Hier haben sie, was den Einsatz des Lebens lohnt. Hier ist, was sie 1.3.4. Preisgabe der Sendung 161 nur in Einmütigkeit und Einheit treiben können. Sie spüren existentiell: J e t z t w i r d e s e r n s t ! Bislang unverbindlich nebeneinander her lebende Gemeindeglieder rücken zusammen, werden zu einer verschworenen Gemeinschaft, unter der sinnvollsten Aufgabe der Welt. Nun sind sie genötigt, in neuer Weise zu beten, weil ihnen ihre Schwachheit angesichts der großen Aufgabe bewusst wird. Gesprächsinhalte ändern sich. Jetzt stehen sie da, wissen noch nicht, wie es mit dem missionarisch sein geht, und können doch nicht lassen, es zu üben. Durch sendungsorientierte Verkündigung von Jesu Retterliebe erfüllt, möchten sie herzlich gern, dass Menschen - wie einst sie selbst - zum Glauben kommen. Im Vollzug der Sendung begreifen sie: „Genau dieses, was wir so gern möchten, steht nicht in unserer Macht: Wir können den Glauben an Christus nicht weitergeben, wie ein Dokument. Wir können Christus aber bezeugen, hoffen und beten, dass der Herr den Menschen – wie einst der Lydia in Apg 16,14 – das Herz auftut.“ So gilt zunächst nur, vor dem Ewigen still zu werden, ihm die leeren Hände hinzuhalten, damit er sie füllt. Nach vielleicht ersten Rückschlägen kommen sie drauf, dass ihnen eine missionarische Infrastruktur fehlt, aufgrund derer neue Freunde leichter Zugang zur Gemeinde finden. Sie beginnen diese zu entwickeln (siehe 3.3.7.). Vor allem aber: Die Missionssituation zwingt die Gemeinde zur Verkündigung der Rechtfertigungsbotschaft! Draußen, vor ihren Toren, muss sie Farbe bekennen, verkündigen, was ihr gegeben ist, das Evangelium zur Errettung der Welt! Auf diese Weise wird ihr die verlorene Sprache zurückgegeben, schenkt ihr der Ewige das „verlorene Wort“ (Thielicke: 1986). Nur missionierend bleibt die Urglut am Brennen. Die Gemeinde steht vor einem tiefgreifenden Lernprozess. In der katholischen Kirche hat man erkannt: „Evangelisierung bedeutet, dass die Kirche lernt und lehrt“, (Johannes Paul II., in: Zulehner: 2002:186). Sieht eine Gemeinde samt ihren Predigern eine Missionssituation aber nicht ernsthaft gegeben, wird sich ihre Verkündigung in Gesetzlichkeit und Ethisierung des Evangeliums verlieren, wie heute offen zutage liegt (Josuttis 19692). Die Glut der rechtfertigenden Botschaft erlischt, wenn ihr die Begegnung und Konfrontation mit der Welt fehlt. Missionslosigkeit fällt der Gemeinde in ihrer eigenen Verkündigung und damit in ihrer gesamten Existenz hart auf den Kopf. 1.3.4. Preisgabe der Sendung 162 Wie im Dominoeffekt fällt im Hinfallen des einen das andere: Wenn der Glaube an Christus erlahmt, geht die ewige Hoffnung verloren, das persönliche Heil wird abgewertet, die Sendung fallt aus. Fällt die Sendung aus, hat die Gemeinde nur noch sich selbst, dreht sich um sich selbst, ist vor allem anderen darauf aus, sich selbst zu erhalten, was auf lange Sicht ihre Selbstzerstörung bedeutet. Zu alledem verfällt 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 163 die Verkündigung. Verfällt die Verkündigung, täuscht sie die Gemeindeleitung. Eine getäuschte Gemeindeleitung wird die Gemeinde irreführen. Diese fällt der Bedeutungslosigkeit anheim, ihre Prediger und Leiter aber dem ewigen Gericht. „Was müssen wir tun, um den lebendigen Gott wieder zu finden?“ fragt Kutter (1912:45-46) zu seiner Zeit und gibt eine für uns wegweisende Antwort: „ T u n können wir überhaupt nichts, e m p f a n g e n müssen wir (Hervorhebung Kutter). Von Gott selbst empfangen, was uns fehlt. Wir haben neue Kräfte, neue Herzen nötig; nötig, dass wieder aus der Tiefe unseres Geistes Leben aus Gott selbst sprudelt. Das können wir nicht machen. Diese Brunnen und Quellen gräbt Gott selbst. Aber ein Verlangen, einen Hunger und Durst nach Gerechtigkeit sollen wir haben. Geistig arm, leidtragend, mühselig und beladen, sanftmütig, reines Herzens und friedfertig müssen wir sein. Suchende Menschen. Suchende, Bittende, Anklopfende. Unermüdlich, auch wenn wir vor lauter verrosteten Riegel stehen, … Geduldig, anhaltend, unverzagt … W ä h r e n d d e s S u c h e n s g e h t e i n e Ä n d e r u n g m i t u n s v o r . W i r w e r d e n i n n e r l i c h f r e i “ (Hervorhebung KE). 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung In dem Maße, wie die Gemeinde die Sendung preisgibt, wendet sich ihr Interesse ihrer Selbsterhaltung zu. Dadurch aber gibt sie – oft lange ohne es zu merken - ihre Wahrheit preis. Die Teilwahrheiten, die sie jetzt verkündigt, sind halbe Wahrheiten, von denen das Sprichwort sagt, dass sie ganze Lügen sind. Sie lebt in Koexistenz mit einer Reihe von Heucheleien. So wird sie nicht nur unwahrhaftig in dem, was sie sagt oder verschweigt, sondern auch in dem, was sie tut. „Man tauft unmündige Kinder zu Christen, die keine werden“ (Bohren 1983:346). Eltern und Paten verlangt man das Versprechen ab, die Kinder christlich zu erziehen. Der taufende Amtsträger weiß, dass Eltern und Paten das in der Regel gar nicht können und diese wissen, dass er es weiß. - Jugendliche werden durch einen Konfirmandenunterricht geschleust, der ihnen in vielen Fällen die Tür zum Himmel reich verschließt. In einer kirchlichen Verlautbarung aber heißt es vollmundig und schillernd zugleich: „Mehr als eine viertel Million junger Menschen sind 2003 mit der Konfirmation als mündige Glieder in ihre Gemeinde aufgenommen worden“ (EKD 2005:11). Daneben steht in besonderer Hervorhebung: „Machet zu Jüngernalle Völker“ (Mt 28,19). In Wirklichkeit sind die „mündigen Glieder“ zum letzten Mal versammelt. Von Stund an ist kaum 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 164 noch jemand von ihnen in der Kirche zu sehen. – „Was sollen wir weiter sagen von … dieser religiösen Massenabfertigung lebendiger Kinderseelen in lächerlich kurzer Zeit?“ fragte Kutter (1912: 41) schon vor annähernd hundert Jahren. Die kirchliche Trauung geht fraglos für jene über die Bühne, die ihre Kirchensteuer bezahlen. Ob sie glauben oder nicht, ist kein Kriterium. Als ich Gemeindepfarrer in Uelzen war, kommt ein Paar zum Gespräch, um sich trauen zu lassen: „Herr Pastor, machen wir’s kurz“ sagt der Bräutigam. „Ich glaube an den ganzen Zinnober nicht, aber die Verwandten meiner Frau wollen das so.“ „Ich schätze Ihre Aufrichtigkeit!“, sage ich, „die aber sollten Sie tapfer durchhalten. Tun Sie sich selbst den Gefallen und verzichten Sie auf die kirchliche Trauung.“ Es kommt zu einem lebhaften Gespräch, in dem ich erfahre, dass auch die Braut mehr „das Äußere“ meint und „vom Inneren“ nichts hält. Ich erkläre, dass alles in der Tat nur Theater ist, wenn Gott nicht ist und die Sache mit Jesus Christus gar nicht stimmt. Wenn er aber ist und wenn es stimmt, würden wir uns bei dem veranstalteten Theater nicht nur die Finger verbrennen, sondern die Seele. „Heiraten sie fröhlich auf dem Standesamt und lassen die Kirche aus dem Spiel“, sage ich. „Der Mann hat recht“, reagiert der Bräutigam. Die Braut nickt. Drei Tage später, ich spiele gerade Fußball auf einer Konfirmandenfreizeit, fährt ein Auto auf das Gelände. Die Eltern der Braut. Sie zerren an mir, die Kinder würden die kirchliche Trauung nun auch wieder wollen. Ich bleibe bei meinem Standpunkt, wissend, dass ich mir hier keine Freunde mache. Sie haben es dann bei einem Kollegen versucht. Mit dem hat es, wie ich später erfahre, „reibungslos geklappt“. - Habe ich ein kirchliches Grundsatzproblem auf dem Rücken der schwächsten Glieder ausgetragen? Habe ich lieblos gehandelt? Oder war das Nein zur Trauung aus Liebe zu Gott und den Menschen notwendig? Immerhin waren sie Kirchensteuerzahler. Beerdigungen sind ein besonderes Kapitel. Bohren ([1960]1979:19) zitiert Dehn: „Man wird wohl sagen dürfen, dass nirgendwo in der evangelischen Kirche 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 165 die Rechtfertigung durch den Glauben stärker verleugnet wird, als am Grab.“ Was Dehn von der Grabrede sagt, gilt für alle Kasualreden. „Wir bescheinigen fortwährend, und zwar zu allen entscheidenden Punkten des Lebens, dem Menschen seine Christlichkeit und Kirchlichkeit und dispensieren ihn damit vom Kerygma, von der Koinonia und von der Diakonia der Kirche. D a m i t w i r d d i e K a s u a l p r a x i s z u r F e i n d i n d e s K e r y g m a s , sie wird zur unmöglichen Möglichkeit, zur Sünde“ (Bohren:24; Hervorhebung KE). Was wir den Menschen per Kasualpraxis bescheinigen, ist nicht weniger als dass Glaube, Gemeinschaft, Predigt und Dienst nicht nötig sind, um Christ zu sein. „Der Ritus macht den Christen. Indem er sich dem Vollzug der Amtshandlung unterzieht, ist er ex opere operato Christ. Die Mechanik der Amtshandlung produziert fortlaufend Christen, die ohne Christus leben. Die Amtshandlungen bauen und erhalten eine fiktive Kirche“ (:25). Bohren (:25) verweist auf Jetter „Es widerspricht dem Wesen der Kirche, einer Überlieferung wider besseres Wissen und also wider die Wahrheit zu folgen.“ So stößt Bohren zu dem als revolutionär erscheinenden, aber sachlich richtigen Vorschlag durch: „Das Pfarramt muss aus der Gefangenschaft der Kasualien befreit werden, die Gemeinde muss zu den Kasualien bevollmächtigt werden ...“ (:27). (Mehr darüber siehe unten: 3.1.9.). Mit der Preisgabe der Sendung hat die Kirche nicht nur Vertrauen verspielt, sie selbst hat das Empfinden für die Unwahrhaftigkeit ihrer Praxis verloren. Fatal ist, wenn sie sich darin auch noch lobt. Sieht Bohren in der Kasualpraxis eine Feindin des Kerygmas und eine Sünde, so meint ein ehem. Oberkirchenrat, dass das kirchliche Handeln anlässlich der Kasualien zur Klärung der Lebenssituationen helfe und grundlegende Orientierung vermittle (Baschang 2001:139). Das mag in seltenen Ausnahmefällen zutreffen, aber hier wird die Ausnahme im Handstreich zur Regel erklärt und damit der Selbstbetrug evident. Im Blick auf die Kasualien hatte Kutter gesagt (1912:51): „Es ist und bleibt eine dem Evangelium ins Gesicht schlagende Lüge, dass das Predigtamt dem privaten Zwecke – wobei etwas ganz anderes wichtig ist als sein Wort – dienstbar gemacht werden soll.“ Ein Oberkirchenrat aber sieht „Orientierung“. 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 166 Nicht allein, dass die Kirche durch belanglose Predigt ein schlechtes Image erhielt. Ihre Missionslosigkeit hat sie dem Volk entfremdet. Missionarische Gemeinden suchen die Menschen dort auf, wo sie sind. Sie möchten ihnen nahe sein. Wie ihr Herr sind sie bei den Leuten (Mt 9,35), bitten sie an Christi statt, sich mit Gott versöhnen zu lassen (2.Kor 5,20). Eine auf sich selbst bedachte Kirche dagegen geht nur in dem Maße auf die Menschen zu, als es ihr nützt. Ich gehöre in Österreich zu einer evangelischen Volkskirche, die kein staatlich gestütztes Kirchensteuersystem hat. Da müssen Gemeindeglieder ihren Kirchenbeitrag selbst entrichten. Wenn nun jemand umzieht, bekommt er von seiner „neuen Gemeinde“ in der Regel als erstes eine Zahlungsaufforderung. Zu oft ist das dann auch schon das einzige kirchliche Lebenszeichen. Was ihre Aufgabe, die Verkündigung des Evangeliums nach außen betrifft, zeigt die Kirche „vornehme Zurückhaltung“. Man möchte weder dringlich noch aufdringlich erscheinen. Das ist mit Zurückhaltung getarnte Feigheit, Feigheit vor den Menschen im Angesicht Gottes. Der Kirche fehlt der Mut, das Einzige, was sie zur Kirche macht und ihr Existenzberechtigung begründet, klar zu vertreten, nämlich dass Christus gekommen ist, durch seinen Sühnetod den Menschen ihre vor Gott verlorene Würde wiederzugeben (Röm 3,21-24). Eine Kirche, der es nicht mehr um Himmel und Hölle geht, reiht sich mit ihrer Verkündigung menschendienerisch in die Thematik dieser Welt ein. Da mag sie kurzfristig Anerkennung finden, aber verliert gerade dadurch ihre Salzkraft. Im deutschsprachigen Raum ist es in den 80er Jahren zu einer Gemeindeaufbaubewegung gekommen. Gemeindeaufbau ist funktional als begleitende Maßnahme zur Rettung von Verlorenen ausgesprochen sinnvoll, geht es in der Schrift doch um die sendungsorientierte Gemeinde. Immer mehr aber hat sich das Thema „Gemeindeaufbau“ in den für das Thema offenen Gemeinden verselbständigt. Es kam zu einem Ekklesiozentrismus, der in der Hl Schrift keinen Anhalt hat. Gemeindeaufbau ist vielerorts zum Selbstzweck geworden. Es scheint so, dass der Sohn Gottes gekommen ist, damit Gemeinden gebaut, aber nicht, damit Menschen gerettet werden. So spielt auch die Frage nach der Evangelisierung bei Gemeindeaufbauberatern kaum eine Rolle. Den „erwecklichen“ Gemeinden geht es in der Regel um sich selbst, wie es auch der 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 167 Kirche in ihrer Geschichte epochenlang um sich selber ging. Ein derart auf sich selbst gerichtetes Christentum darf sich nicht wundern, dass es in der Welt nicht nur kein Vertrauen findet, sondern immer mehr Vertrauen verliert. Körtner (1994) geht auf der Suche nach den äußeren U r s a c h e n d e s V e r t r a u e n s v e r l u s t e s der Kirche bzw. des Christentums weit zurück. Er nennt den konfessionellen Krieg des 17. Jahrhunderts, den 30jährigen Krieg (1618-1648). Dann erinnert er an das Versagen der Kirche in der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts. Ihr Unvermögen, auf die Verelendung breiter Bevölkerungskreise durch die Entstehung des Industrieproletariats eine glaubhafte Antwort zu geben, habe einen Großteil der Arbeiterschaft der Kirche dauerhaft entfremdet (:137). In diesem Zusammenhang kommt er auf die Worte Bonhoeffers zurück. Wir seien „ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen“. Bonhoeffer nennt die Ursache und die Wirkung. „Das ist unsere eigene Schuld. Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Se lbs te rha l tung gekämpf t hat , a ls wäre s ie e in Selbs tzweck, i s t unfäh ig , Träger des versöhnenden und er lösenden Wor tes für d ie Menschen und für d ie Wel t zu se in . Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen“ (Bonhoeffer [1951]1968:152; Hervorhebung KE). Bonhoeffer ist hier nahe bei Kutter, der von den Pfarrern schrieb: „Sie kennen kein höheres Ideal als die Landeskirche“ (Kutter 1912:34). Sie seien überall dabei, wo es gilt, über ihr Wohl und Wehe zu beraten. Sie seien eifrige Mitglieder der Synoden oder sonstiger kirchlicher Behörden, „sie diskutieren geduldig und ernst die kleinsten Abänderungen, Zusätze oder Streichungen innerhalb der gegebenen kirchlichen Bestimmungen … alles, auch das Geringste sehen sie darauf an, ob es der Landeskirche Schaden oder Nutzen bringen werde … Gott, Bibel, Predigt des Evangeliums sind dafür da, damit die Landeskirche gedeihe“ (:35). Eine Gemeinde samt ihrer Leitung, deren Hauptinteresse auf sich selbst gerichtet ist, aber steht unter dem Gericht. Die Geschichte der Kirche ist seit der konstantinischen Wende ambivalent. Auf der einen Seite findet sich eine eher schmale Segensspur, andererseits eine breite Spur ihrer Sünden. Der Auftrag, nach Gott zu fragen und sich um das ewige 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 168 Heil der Menschen zu kümmern, scheint heutzutage nebensächlich. Es geht auch das Versagen in der s o z i a l e n F r a g e vornehmlich auf die Missionslosigkeit der Kirche zurück. Eine Kirche, deren Ziel darin besteht, um Gottes willen Menschen zum rettenden Glauben zu führen, ihnen ewiges Heil zu wünschen, eine Kirche, die alles, was sie kann, dafür tut, rückt – es ist unumgänglich - persönlich eng an die Menschen heran und begegnet gerade auf diesem Wege hautnah ihrer sozialen Not. Exemplarisch sei die H e i l s a r m e e genannt, deren Sprache und Erscheinungsbild diskussionswürdig sein mögen. Sie, die in nichts anderem ihre vornehmste Aufgabe sieht, als „Menschen für Jesus zu retten“, wie sie es sagen, sind bekannt durch ihre natürliche Nähe zu den Leuten und ihr soziales Handeln, dass sich gerade d a r a u s organisch ergibt, dass sie missionarisch sind. Eine Kirche dagegen, die sich an der missionarischen Liebe vorbeimogelnd der sozialen Frage zuwendet, nimmt die Menschen in ihrer Ewigkeitsnot nicht ernst. Diese besteht, wenn Menschen im Unglauben leben, vom ewigen Erbarmen Gottes nichts wissen, weil möglicherweise die sozial beflissenen Christen ihnen die Frohbotschaft vorenthalten. Hier offenbart sich die Falschmünzerei eines reduzierten christlich-sozialen Handelns. Wohingegen die missionarische Liebe auch zum sozialen Handeln führt, weil es das eine ohne das andere nicht gibt. Das Innere und Äußere ist vom NT her nicht zu trennen. Darum kann Kutter sagen, dass die Sozialdemokratie sich letztlich der Wahrhaftigkeit des Evangeliums zu verdanken habe: „Dieser Wahrhaftigkeit des Evangeliums verdanken wir alles, was wir haben. Ohne sie mit ihrem dem natürlichen Menschen zuwiderlaufenden Ernste würden wir allesamt verfaulen. Ohne sie wäre auch die Sozialdemokratie nicht da. Wo denn in der Heidenwelt mit ihren grauenvollen Zuständen ist eine selbständige, nicht von der christlichen Kultur – wie in Japan – importierte Sozialdemokratie zu finden … Die ganze soziale Leidenschaft unserer Tage stammt im letzten Grunde aus der ‚Innerlichkeit’ des Evangeliums“ (Kutter 1912:156). Gleichzeitig setzt sich der religiöse Sozialist von der Sozialdemokratie ab, weil sie diese inneren Zusammenhänge leugnet. Wir, das Christentum, hätten das innere Leben nie geleugnet, „wie dies die Sozialdemokraten tun“. Das Leugnen des Inneren auf Seiten der Sozialdemokratie ist nach Kutter allerdings den Christen 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 169 zuzuschreiben, „weil die Christen die Wahrheit des Innenlebens zu einer grauenvollen Lüge verwandelt haben, zu einem frommen System, hinter welchem sie ganz andere Dinge treiben, als das missbrauchte Innenleben verlangt“ (ebd.). Für Kutter ist klar, wer die Wahrheit sucht, kann nicht bei dem anfangen, was die Christen „innerlich“ nennen. Die Sozialdemokratie gehorche nur einer durch das Betragen der Christen geforderten Notwendigkeit, wenn sie sich von allen „inneren Fragen“ fern halte. Hier wird Kutter zum Gerichtsprediger an die Adresse der Kirche. Menschen nur in ihrer sozialen Not helfen zu wollen, endet für eine Kirche in einer „gottlosen Nächstenliebe“ (Deichgräber 1978:7). Es wäre nicht auszudenken, wenn die Kirchen der Reformation allezeit von denselben auf die Ewigkeit gerichteten Motiven geleitet gewesen wären, wie die Heilsarmee. Das dramatische Versagen gegenüber dem verarmten Proletariat hätte es in dem uns bekannten Ausmaß nicht gegeben. Wie anders wäre die Weltgeschichte verlaufen! Neben der Heilsarmee ist an die H e r r e n h u t e r B r ü d e r g e m e i n e zu denken. Sie war genuin missionarisch und stieß dadurch auf soziale Nöte, derer sie sich annahm. Nicht umgekehrt schützte sie soziale Hilfsbereitschaft vor, um dann – durch die Hintertür - zu missionieren. Wollstadt (1966) hat das geordnete Dienen der Herrenhuter untersucht. „Wir haben uns in unserer Darstellung bisher auf den Bereich der Herrenhuter Gemeinde beschränkt, um das gegenseitige Dienen der Glieder in allen Bereichen des gemeinsamen Lebens möglichst deutlich werden zu lassen. Wiederholt mussten wir aber schon darauf hinweisen, wie alles Dienen in der Gemeinde zuletzt auf einen großen Dienst hindrängte, in dem die Gemeinde schließlich ihren Beruf in dieser Welt erkannte: die Botschaft vom Heiland hinauszutragen, so weit es nur irgend ging. Der Auftrag, Bote des Heilands und seiner Gemeinde zu sein, wurde damit zum wichtigsten Dienst überhaupt“ (: 282). Ganz anders die Kirche: Später, als sie wegen ihrer Missionslosigkeit die sozial verelendeten Arbeitermassen verloren hatte und sich ihre Reihen dramatisch lichteten, hat sie versucht, die Verschwundenen durch soziales Engagement zurück zu gewinnen, weniger für das Gottesreich, als für ihre Kirchentümer. Der soziale Köder erwies sich als zu mager. Ihm fehlte einmal mehr das seelenrettende 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 170 Evangelium. Als die Kirche vorgab, dass es ihr nach den Erfolgen der Sozialisten und Kommunisten nun auch wieder um die Arbeiter gehe, war das wenig glaubhaft. Es ging ihr in Wirklichkeit auch da wieder um sich selbst. Die sozialen Mühen einer missionslosen Kirche um den „modernen Menschen“ gehen darum ins Leere, weil Kirche sich als Melkkuh anbietet, die jedoch die Milch des Evangeliums verschämt zurückhaltend, nichts Ewiges, nur Vergängliches liefert. Da bedienen sich die Menschen und gehen. In der zerfallenden DDR stand die Kirche einen Moment lang hoch im Kurs. Sie war Zufluchtsstätte für die Volkserhebung geworden. Mir ist nicht bekannt, dass die Ortsgeistlichen in dieser Zeit alles getan hätten, um den Massen Christus den Herrn aller Herren zu verkündigen. So haben sich die Menschen auch hier bedient und sind gegangen. Aus dem Mund sozial engagierter Theologen habe ich selten die Sorge um das ewige Heil der sozial Schwachen vernommen. Geholfen ist den Menschen mit irdischen Gütern aufs Ganze gesehen jedoch nicht, wie ein Blick in unsere satte, egoistische Wohlstandsgesellschaft unschwer erkennen lässt; wobei die Wichtigkeit jedweder „äußeren Hilfe“ den Armen gegenüber wegen ihrer Selbstverständlichkeit hier nicht unterstrichen werden muss. Befragen wir Bonhoeffer daraufhin, was die Aufgabe der Kirche ist, müssen wir rätseln, hatte er doch wie oben zitiert gesagt: „Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen“ ([1951] 1968:152). Welches Tun hat er damit gemeint? Im Kontext seiner Zeit meinte er sicher den Widerstand gegen die Gewaltherrschaft, das Einstehen für die Juden, auch die Ausbildung von Theologen (Finkenwalde). Das, was notwendig war und konkret vor die Hände kam, hat er gemeint: „Nicht die unendlichen, unerreichbaren Aufgaben, sondern der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt! ... ‚der Mensch für andere’! darum der Gekreuzigte. Der aus dem Transzendenten lebende Mensch.“ (:192). Was, so ist zu fragen, führt uns näher an den Menschen, als die Berührung seiner eigentlichen Not, seiner tiefsten Sehnsucht, die mit Vergänglichem nicht zu stillen ist. Bei aller von Bonhoeffer geforderten Konkretion, ist seine Formulierung unklar, darum beliebig interpretierbar. „Beten und Tun des Gerechten“ - eine unmissionarische Kirche wird darin alles Mögliche hineinlegen, 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 171 nur nicht das, was den Durst der Menschen nach dem Ewigen stillt. Ging es in der damaligen Zeit um Widerstand, so war die Kirche auch damals nicht davon entbunden, um das ewige Heil der Menschen zu ringen. Die christologisch - eschatologisch - soteriologische Dimension aber wurde eher ausgeblendet, auch in der Bekennenden Kirche, über die Bonhoeffer stichwortartig schrieb: „Allgemein in der Bekennenden Kirche: Eintreten für die ‚Sache’ der Kirche etc., aber wenig persönlicher Christusglaube. ‚Jesus’ entschwindet dem Blick. Soziologisch: keine Wirkung auf die breiten Massen … Starke Belastung mit schweren tradierten Gedanken. Entscheidend: Kirche der Selbstverteidigung. Kein Wagnis für andere“ (: 191). Das klingt, als läsen wir ein Urteil über die Kirche der Gegenwart. Danach geht der Theologe und Widerstandkämpfer zu seinen bekannten Folgerungen über: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muss sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muss den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, ‚für andere dazusein’“ (Bonhoeffer [1951] 1968:193). In diesen berühmten Sätzen fehlt die Kategorie des Empfangens. Dadurch bekommt alles einen gesetzlichen Zug. Der obere Satz wäre um das Eigentliche zu erweitern: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie - selber das Heil empfangend - für andere da ist, um es ihnen in Wort und Tat zu verkündigen.“ Was aber kann das Dasein der Kirche für die anderen bedeuten, wenn eben diese Kirche, wie Bonhoeffer anmerkte, „unfähig ( i s t ) , Träger des versöhnenden und er lösenden Wor tes für d ie Menschen und für d ie Wel t zu se in“? (:152). Da gibt es zunächst nichts anderes, als dass sie selbst zum versöhnenden Wort zurückgerufen wird. Ihr Schade kann durch eine Sozialaktion „alles Eigentum den Notleidenden schenken“ nicht behoben werden. Bonhoeffers Aufruf an die Kirche, lässt die geforderte Aktion als Zeichen der Umkehr zu Gott, wozu Kutter (1912:15-16) deutlich ruft, nicht erkennen. Wir können Bonhoeffers Worte nur als den verzweifelten Ruf an die Adresse der Kirche verstehen, sich 1.3.5. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung 172 doch von der Selbsterhaltungsmentalität, die in die Selbstzerstörung treibt, zu verabschie- 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 173 den. Die Rettung der Kirche hat nie in Gesetzlichkeit bestanden, sondern allein im Evangelium und einem ihm entsprechenden Glaubensgehorsam. Die der Kirche durch Bonhoeffer attestierte Unfähigkeit, ist bei Licht besehen ein vernichtendes Urteil. Darin besteht doch ihr Wesen, als von Gott Empfangende, Trägerin seines Erlösungswortes zu sein. Käsemann schreibt: „Es ist ein Zerrbild der Kirche, wenn Gemeinden nur noch innerhalb der Mauern unserer Gemeindehäuser sichtbar wird, in welche ohnehin immer weniger Nichtmitglieder den Weg finden, wenn Gemeinde nur noch in der Sorge um ihren ererbten religiösen Besitz lebt“ (Käsemann 1970:285). Selbstbezogenheit, als sei Kirche Selbstzweck, ist selbstzerstörerisch. Wir verstehen das Evangelium selber nicht mehr, sind ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen, weil wir die Frohbotschaft, die eine universale, eschatologische und soteriologische ist, der Welt nicht gesagt haben. Dieses „Nicht-Gesagt-Haben“ weist auf ein qualifiziertes Nichts. Es ist ein Nichts, das geschieht und in diesem Geschehen Ver-nichtung mit sich führt, die Vernichtung des eigenen Glaubens, der Kirche selbst. Selbsterhaltung als Selbstzerstörung. 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt Geschieht Predigt „in der Welt“ zum Zeugnis für alle Völker, bedeutet es, dass dieses Zeugnis das Ohr der Völker auch erreicht. Predigt wendet sich nicht allein an die Adresse der Kirche, sie wendet sich an die Adresse der Welt (Lk 4,43). Die Vollendung beschleunigend (Mt 24,14) greift sie ins politische Geschehen ein, ist darum ein Zentralereignis im und für den Ablauf der Weltgeschichte. Was Jesus über das Endschicksal dieser Welt gesagt hat, greift notwendig in alle Zukunftspläne und Zielsetzungen der Weltmächte ein. Predigt ist darum weltbewegend. Sie ist noch mehr, sie bewegt die Ewigkeit. Von welcher Predigt ist die Rede? Ist es jene, die es unterlässt, Christus, den Retter, zu predigen, die einen Nieselregen an Appellen auf die Gemeinde niedergehen lässt, anstatt sie in die Sonne der Liebe Gottes zu stellen? Ist es die Predigt, die die „Passive Gemeinde“ (Schlatter [1897]1969]) bestätigt, anstatt sie auf ihre schöne Aufgabe, die Sendung hin zu sammeln. Ist es die Predigt, die lähmt, anstatt zu bewegen, die langweilt anstatt zu entsetzen? Ist das überhaupt Predigt des Wortes Gottes, die es schafft, Menschen mit der umstürzendsten 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 174 Botschaft des Universums anzuöden? Kann Gemeinde mit solcher Predigt für sich die Gegenwart Jesu nach Mt 18,20 reklamieren. Eine Mutter lässt uns in einer Kolumne wissen, dass heute gern versucht wird, der Langeweile verzweifelt mit fröhlichen Mitteln entgegenzusteuern: „Gottesdienste wirken bisweilen, als seien sie von einer überdrehten Event- Agentur inszeniert. Heiligabend waren wir beim Familiengottesdienst in unserer evangelischen Gemeinde. Mit Marionettentheater, Bauchredner, Liveband und Gospelsängerin. Nach anderthalb Stunden sagte mein Sechsjähriger: „Ich kann nicht mehr.“ Ich konnte ihn verstehen, es war wie ein Fernsehabend, an dem man durch zehn Programme gezappt hat und anschließend dieses Dröhnen im Kopf. Danach unterm Weihnachtsbaum habe ich meine Kinder vergebens nach der Weihnachtsgeschichte gefragt. Doch, die war schon dabei, auch ‚Stille Nacht, heilige Nacht’. Aber sie fiel nicht weiter auf zwischen dem ganzen Krach, Zisch und Bumm“ (Ott 2004). So möchten wir mithalten unter Verzicht darauf, uns ans Wort zu halten. Kirche sieht sich vielen Marktanbietern gegenüber. Säkularisation, Postmoderne, fremde Kulturen, alte Religionen, neue Religiosität, Esoterik und New Age haben ihr den Rang abgelaufen, hierzulande der einzig mögliche Sinngeber zu sein. Im Pluralismus und Multikulturalismus wird Kirche weder wahr- noch ernstgenommen, es sei denn, dass sie ein Einzigartiges anzubieten hat, das niemand von Natur aus kennt (1.Kor 2,14), von dem sie selber ergriffen ist und das sie darum vom Geist gewirkt überzeugend zu vermitteln weiß. Die evangelische Kirche hat reagiert. Vor Jahrzehnten hat sie Volksmissiona- rische Ämter eingerichtet, in Österreich ein „Werk für Evangelisation und Gemeindeaufbau“ von den Gemeinden, ihren Pfarrern und Pfarrerinnen zum Teil begrüßt, zum Teil für unnötig erklärt. Missionarischer Gemeindeaufbau (Schwarz, Seitz, Herbst) wurde zum umstrittenen Thema. 1980 kam es zu einer breiteren Wahrnehmung des Sendungsanliegens, es gab ein „Missionarisches Jahr“. Die VELKD empfahl ihre Doppelstrategie „Verdichten und Öffnen“. „Christsein gestalten“ hieß eine Studie der EKD. Die Arnoldsheimer Konferenz votierte für „Evangelisation und Mission“, wie auch die Synode der EKD 1999 in Leipzig. Diese Entwicklungen erscheinen manchem jedoch in einem gewissen Zwielicht. Scholz (2001) gibt zu bedenken, ob die Wiederentdeckung des Themas 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 175 „Missionarische Kirche“ nicht als „Ardennen-Offensive“ im Verteilungskampf um Anteile am gesellschaftlichen Meinungsmarkt zu entlarven sei: „Die letzten 20 Jahre, denen die Konjunktur des Themas sich offenkundig verdankt, sind ein verfänglicher Moment der deutschen Kirchengeschichte, und der rückt diese Selbstaufforderung ins Zwielicht. Gewiss lässt sich der Vorsatz, ‚Missionarische Kirche’ zu werden, ohne weiteres positiv begründen ... Aber es lässt sich im vorhinein kaum zweifelsfrei machen, ob nicht das Modell ‚Missionarische Kirche’ in erster Linie die ansehnliche Fassade eines puren Selbsterhaltungsimperativs ist ... (Deutsches Pfarrerblatt 11/2001). Innerhalb unserer evangelischen Kirchengeschichte hat es weit mehr Bemühungen um eine missionarische Kirche gegeben, als es Scholz bewusst zu sein scheint. Auch gab es in der jüngeren Vergangenheit missionarisches Wollen und Handeln, dem es nicht um die Kirche und ihre Marktanteile, sondern um Christus und die Rettung der Menschen ging. Dass Scholz mit seiner Annahme dennoch nicht gänzlich Unrecht hat, steht ebenso außer Frage. Ohne die Motive für das neue Fragen nach Mission auf ihre Reinheit hin abzuklopfen, ist zu sagen: Ihre eigentliche Herausforderung hat die Gemeinde nicht durch den Markt der Möglichkeiten, sondern an der Sache der Theologie, die keine Erstarrung duldet: „Der junge Luther lehrt uns, seine Theologie in der Bewegung, in eigenem unablässigen Werden zu sehen. Die Bewegung will fortgehen, nicht wollen die Resultate konserviert werden ... in der Theologie liegt das Bewegende, von da kommt die Unruhe über den Geist ...“ (Iwand 1974:31). Unruhig geworden betrachten ernstzunehmende Persönlichkeiten in Theologie und Gemeinde das derzeitige Predigtgeschehen. Die Krise der Predigt wird als so tiefgehend empfunden, dass Bohren und andere erklären: G o t t s c h w e i g t (1971:33-43). Jede Predigt müsse sich gegenüber einer Laienpredigt behaupten, die Ernst Eggimann einst gehalten hatte (Bohren 1971:33): liebe Gemeinde jeden Sonntag hört ihr blabla auch ich selbst höre blabla was ich auch sage bla bla lasset uns diesen Sonntag nun schweigen 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 176 Nach Bohren muss jeder Prediger mit jeder Predigt zeigen, warum er dem Rat von Eggimann nicht folgt. „Er muss das Schweigen Gottes brechen“ (ebd.). Das bla bla jedenfalls zeigt an: Die Menschen können aus der Predigt Gottes Stimme nicht mehr vernehmen. Ausgerechnet die kirchengründende, gemeindebauende Predigt schwächt und erschüttert die Kirche heute in ihren Grundfesten. Nehmen wir Bohren beim Wort: Wenn Gott schweigt, machen sich alle, die zu verkündigen haben, Woche für Woche an eine verlorene Sache. Was sie tun, ob sie Gottes Segen für ihre Predigt erbitten oder nicht, ob sie gründlich exegesieren, meditieren, formulieren oder nicht, ist von vornherein bedeutungslos. Ein Heer von Predigenden heben sonntags zu verkündigen an und dann - geschieht nichts. Sie reden über Gott, aber es ergeht kein Gotteswort. Der Jude Heschel weist auf eine Ähnliches: „Gott verbirgt Sein Antlitz in unseren Tagen, aber er verbirgt sich, weil wir ihm ausweichen“ (Heschel 19892: XI). Auch Thielicke hat über das Schweigen Gottes geschrieben (1962) und sieht in ihm „die größte Belastungsprobe unseres Glaubens“ (:71), schweigt er doch über so vielen Nöten und Zusammenbrüchen unseres Lebens. Vom Schweigen Gottes handelt auch Körtner (2000:83-95), sieht es aber als Modus seines besonderen Redens: „Es gibt ein Schweigen Gottes, das Resultat menschlicher Schuld ist. Gott schweigt, weil er von den Menschen zum Schweigen gebracht wird ... Die Evangelien muten uns den Gedanken zu, dass in der Person des Gekreuzigten Gott selbst zum Schweigen gebracht worden ist. Nicht weil er abwesend wäre, sondern im Gegenteil, weil er ganz gegenwärtig ist, verstummt Gott ... Wenn wir diesem Gedanken zu folgen versuchen, dann geht uns auf, das Gottes Schweigen wie das Schweigen Jesu höchst beredt ist“ (:93-95). Was will Gott uns durch sein Schweigen sagen? Darauf zu achten, wird entscheidend sein. Vielleicht vernehmen wir ein Ja oder ein Nein und können uns danach richten. Das, was der Höchste schweigend sagen will, wird jedoch kaum wahrgenommen. Es zerfließt im innerkirchlichen Redefluss. Gott schweigt und die Kirche redet. So kommt es zu der Grundverlegenheit des Predigers, der viele Worte machen muss, obwohl er nichts zu sagen hat. Schweigt Gott, dann gibt die Kirche vor, zu sein, was sie nicht ist. Das lebendige Wort, das sie verlor, gehört zu den notae ecclesiae, dem Kennzeichen 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 177 der wahren Kirche. Belanglose Reden werden nicht dadurch belangvoll, dass sie religiösen Inhalts sind. Sie wirken nur doppelt peinlich. Gemeinde, mit Menschen- und Engelszungen redend, wurde zur kÀmbalon ‡lalzon (1. Kor 13,1), weil uns die Liebe zu Gott und zu denen vor unseren Toren fehlt. Gottes Schweigen ist Antwort und Urteil über unser Reden, Schreiben und Tun. Schweigt Gott, dann sind unsere Gemeinden keine Gemeinden, unsere Gottesdienste keine Gottesdienste. Das alles besteht nur durch sein lebendiges Wort. Schweigt Gott, sind wir und die Welt um uns herum verloren, gründet doch unser aller Rettung darin, dass Gott spricht. Sein Schweigen macht uns zu den erbärmlichsten Geschöpfen der Erde, kirchlich, aber ohne Weisungen des Ewigen, dahingegeben an uns selbst (Röm 1,24-25). Kirche hat ihre Daseinsberechtigung allein dadurch, dass Gott in ihr und zu ihr spricht, um durch sie zu Worte zu kommen, eine andere Daseinsberechtigung hat sie nicht. Schweigt Gott, sind Taufen keine Taufen, Abendmahle leere Riten. Ohne das Reden Gottes ist Kirche ein groß angelegtes Täuschungsmanöver. Wir stehen im Gericht. Da mag man in heitere Gottesdienste flüchten, in Betulichkeit, ins Vielerlei und Machbare. Das hilft ja nicht. - Was hilft? „Was murren denn die Leute im Leben? Ein jeder murre wider seine Sünde! Lasst uns erforschen und prüfen unsern Wandel und uns zum Herrn bekehren!“ (Klgl 3,39-40). Den Grund des Schweigens Gottes bei sich selbst suchen, in der eigenen Kirche, in ihrer Geschichte, in der eigenen Gemeinde, im eigenen Presbyterium, im eigenen Herzen - nicht bei den anderen, das hilft. „Ich, ich und meine Sünden ...“ Gott bitten, dass er uns unsere Sünden aufdeckt, damit wir umkehren und Gott vielleicht sein Schweigen bricht! Damit, mit Umkehr und Gebet können Einzelne oder kleine Gruppen in der Gemeinde sofort beginnen. Den eigenen Sinn ändern (Röm 12,1-3), umkehren, sich für das interessieren, was Gott interessiert: die Rettung der Menschen. Unter dem Schweigen Gottes in der Verkündigung der Kirche leidet die Welt, ist ihr doch die der Kirche anvertraute Heilsbotschaft zugedacht. Sartre (1965) sagte über Gott: „Er ist tot, er sprach zu uns und nun schweigt er, wir berühren nur noch seinen Leichnam ... Dieses Schweigen des Transzendenten, verbunden mit der Fortdauer des religiösen Bedürfnisses beim modernen Menschen, das ist d i e 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 178 g r o ß e A n g e l e g e n h e i t heute wie gestern. Es ist das Problem, das Nietzsche, Heidegger, Jaspers peinigt“ (Situations I.:153; Hervorhebung KE). Die Kirche, nach Sartre Leichnam Gottes, scheint das Schweigen des Ewigen weniger zu quälen als jene kritischen Denker. „Gottes Schweigen wird erfahren angesichts einer sozusagen perfekten kirchlichen Apparatur“ (Bohren 1971:38). Paulus spricht vom ängstlichen Harren der Kreatur, die darauf wartet, dass die Kinder Gottes offenbar werden (Röm 8,19). Es ist, als könne man es in Sartres Worten spüren. Die Welt ruft der Gemeinde zu: „Wann wird in euren Reihen die ‚große Angelegenheit’ hörbar, spürbar, sichtbar?“ Unsere Gottesdienste, in denen viel geredet wird, Gott aber schweigt, leeren sich nicht nur aus Unglauben. Hier zeigt sich enttäuschte Sehnsucht, die sich nicht anders zu artikulieren weiß, als dass sie zur Abstimmung mit den Füßen übergeht. Ich unterrichte in der „Akademie für christliche Führungskräfte“ (AcF). Wir hatten eine Präsenzwoche in der Schweiz mit ca. 40 Teilnehmenden. Bald komme ich drauf: Sie sind - bis auf eine Katholikin – alle Mitglieder von Freikirchen. Ich mag Freikirchler. Dennoch „Wohin bin ich geraten?“ fragt sich der Landeskirchler in mir. Ahnungsvoll erkundige ich mich: „Wer von Ihnen ist einmal ‚normal’ in der evangelischen Landeskirche getauft und konfirmiert worden?“ Bis auf die Katholikin melden sich - a l l e . Was hat ihre alte Kirche getan, bzw. nicht getan, dass ihr gerade die nachdenklichen Leute aus Glaubensgründen davonlaufen? Ein ehemaliger Bundesminister hat die evangelische Kirche in Deutschland ebenfalls aus Glauben verlassen. Nun gehört auch er einer Freikirche an, die ihn auch nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Er weiß: Seit 1950 haben die evangelischen Landeskirchen in Deutschland - einschließlich derer in Ostdeutschland - 17 Millionen Mitglieder verloren – ein gutes Drittel. „Seit 1995 ist der Besuch der Gottesdienste um ein Drittel zurückgegangen. Rund 4 Prozent der Mitglieder der Evangelischen Landeskirchen gehen noch an einem ‚normalen’ Sonntag zur Kirche“ (Apel 2004:5-6), wobei in Zeiten boomender Religiosität nach den Motiven zu forschen wäre. „Wie stabil ist die Kirche?“ ließ im Jahre 1972 eine besorgte EKD ihre Mitglieder befragen. „Was wird aus der Kirche?“ lautete die Frage zehn Jahre später, und wiederum zehn Jahre später stellt man fest, dass Kirche inzwischen für viele nur noch eine „fremde Heimat“ ist. 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 179 Von den „kirchenfernen Menschen“ sprechen wir, ohne wahrzunehmen, dass wir, eine „menschenferne Kirche“ geworden sind. Unsere Menschenferne aber offenbart unsere Gottesferne. Kirche, der das Wasser des Lebens unter den Händen zerrann, hat den nach Ewigkeit Dürstenden nichts zu geben, was ihren Durst stillen könnte. Was aus den Dürstenden wird, treibt die Kirche unserer Tage nicht um. Sie fragt – im Zehnjahrestakt – lieber nach sich selbst. Um die Kirche aber geht es nur zuletzt. Um die E h r e G o t t e s geht es und - was der Höchste damit verknüpft – um das ewige Heil der Menschen. Das Wort vom Schweigen Gottes macht einmal mehr klar, dass die Krise der Kirche vornehmlich e i n e K r i s e d e r P r e d i g t ist, als Krise des Glaubens an den Gekreuzigten und Auferstandenen. Was Massen erregte, Völker bewegte, vermag die Predigt nicht mehr zu sagen, weil es die Gemeinde und ihre Leiter selbst nicht mehr bewegt. Wir haben es der Welt lange nicht gesagt und nun k ö n n e n wir es nicht mehr sagen. Was ihre eigentliche Botschaft betrifft, ist die Kirche sprachlos geworden. Wenn die Krise der Predigt durchaus ihre Geschichte hat, so doch nicht in der Weise, wie sie sich heute manifestiert. Falsche Propheten und damit Verkündigungskrisen gab es bereits im Alten und Neuen Bund. Die Christen mussten sich falscher Lehren erwehren. Darum setzte die Bekenntnisbildung ein. Die reine Lehre konnte sie nicht garantieren. Die Reformation wurde nötig. Sie hat ihre Ursache in der Wiederentdeckung des Wortes. In seinem Licht erkannten Luther, Calvin und andere, wie schrecklich zu ihrer Zeit die Predigt heruntergekommen war. So konnte Luther gegen jene, die das Evangelium nicht predigen, scharfe Worte finden: „Derjenige also, der entweder das Evangelium nicht kennt oder nicht predigt, ist nicht allein kein Priester oder Bischof, sondern eine Pest für die Kirche, der – unter dem Vorwand ein Priester zu sein – wie im Schafspelz das Evangelium unterdrückt und sich wie ein Wolf in der Kirche aufführt. Deshalb sind diejenigen Priester und Bischöfe, von denen jetzt die Kirche voll ist … wahrlich ein Volk der ewigen Verdammnis …“ (Luther 1962:230-231). Geht heute jemand in einen Gottesdienst lutherischer oder calvinistischer Prägung, kann er oder sie erleben, wo die Kirche des Wortes steht. 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 180 „Wer die Ziele vor Augen hat, die sich einmal die Reformation gesetzt hatte, kann nur mit Grauen beobachten, was in der Kirche Luthers und Calvins aus dem geworden ist, was ihre Väter als den Quellgrund christlichen Glaubens und Lebens verstanden: aus der Predigt“ (Thielicke 1965:11). In der Predigtfinsternis gibt es Lichtblicke: Vereinzelte predigen so gut, dass sie volle Gottesdienste haben. Ihre Predigtbücher werden als Geheimtipp gehandelt. Es stellt sich allerdings die Frage, welchen Sinn die guten Predigten und ihnen zufolge die gut besuchten Gottesdienste haben. Wenn sie nur ein angeregtes Predigtpublikum ohne Auftrag erreichen, nicht zur sendungsorientierten Gemeinde führen, behält auch solch Predigtgeschehen eher den Charakter des innergemeindlichen Selbstgesprächs. Gute Prediger haben dann den schlechten gegenüber nur einen höheren Unterhaltungswert, wobei Einzelnen Gutes gegeben werden mag. Aber, wie die Summe der Teile nicht ein Ganzes ergibt, ergibt die Summe vieler Einzelner noch nicht Gemeinde. Dem Auftrag, das Evangelium recht zu predigen, korrespondiert ein qualifiziertes homiletisches Bemühen. Wenige Predigtlehren gibt es zwar, aber Monographien, Aufsätze zu homiletischen Fragen vermitteln aufgrund sich stets verändernder gesellschaftlicher und theologischer Kontexte, auf die sie eingehen, immer neue Gesichtspunkte. Predigthilfen werden angeboten, Hoffnungen für wirksamere Verkündigung werden geweckt. Es ist schade, dass sich auch dieses Bemühen fast nur mit der Predigt an die Adresse des Hörers1 beschäftigt, ohne die Gemeinde als Ganzes im Auge zu haben, ohne ihren Sendungsauftrag als etwas Entscheidendes zu erwähnen, geschweige denn in die homiletische Reflexion einzubeziehen. Bohren, der sich zum Thema „Mission und Gemeinde“ geradezu revolutionär geäußert hat (1962), dringt zu homiletischen Konsequenzen in seiner neun Jahre später erschienenen Predigtlehre ebenfalls nicht durch. Was er über das Verhältnis von „Mission und Gemeinde“ schreibt, hätte zu einer Palastrevolution innerhalb der Homiletik, der praktischen Theologie, der Theologie überhaupt führen müssen, wäre es dort wahrgenommen und aufgenommen worden. 1 Zum Beispiel H. M. Müller 1996:277-288. 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 181 Miskotte schreibt im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Homiletik „Om het levende Woord“ (1973): „Wie hoffen wir auf eine neue Gezeit; sie liegt in der Luft! Wer hätte vor zehn Jahren an so etwas wie Rudolf Bohrens ‚Predigtlehre’ gedacht?“ (zitiert in Seim 1990:52). Die neue Gezeit lässt auf sich warten. Die evangelische Predigt befindet sich, allen Bemühungen um sie zum Trotz, weiterhin und zunehmend in der Krise (Seitz 1979:9; Bohren 1983:9; Josuttis 1995:94). Alle Mühe um die Predigt als Rede kann uns nicht geben, was uns fehlt: das Wort. Dass Gott in unseren Predigten schweigt, trifft nicht nur einen Nerv des NT, sondern sein Nervenzentrum, enthalten sie doch der Gemeinde das rettende Evangelium vor. Da wahr ist, was der Geist der Kirche offenbart hat, hat ihre apostolische Hinfälligkeit eschatologische Konsequenzen (Röm 1,16), nicht zuletzt für die Kirche selbst: „Die Zeit ist da, dass das Gericht anfängt an dem Hause Gottes“ (1.Petr 4,17). Schweigt Gott in unseren Predigten, ist das Ausmaß der Sprachlosigkeit nicht auf ein hermeneutisches Problem herunterzuspielen. Dem Schweigen Gottes ist nicht dadurch beizukommen, dass man der Verkündigung einen modernen Anstrich gibt, um das Evangelium den Menschen verständlicher zu machen, sie besser zu erreichen. Die Kirche ist die inzwischen Unerreichte, die außer Reichweite des Evangeliums geriet. „Immer mehr Menschen wissen immer weniger vom Glauben. Kaum jemals war das Bild von Gott unter den zur Kirche Gehörenden so unzureichend wie heute“ (Seitz 1985:69). Worum es geht, zeigen Sätze, wie sie Bonhoeffer aus der Haft seinem Patenkind D. W. Rüdiger Bethge zu dessen Taufe geschrieben hat: „Du wirst heute zum Christen getauft. Alle die alten großen Worte der christ- lichen Verkündigung werden über Dir ausgesprochen und der Taufbefehl Christi wird an Dir vollzogen, ohne dass Du etwas davon begreifst. Aber auch wir selbst sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Was Versöhnung und Erlösung, was Wiedergeburt und heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, das alles ist so schwer und so fern, dass wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen. In den überlieferten Worten und Handlungen ahnen wir etwas ganz Neues und Umwälzendes, ohne es noch fassen und aussprechen zu können.“ (Bonhoeffer 1968:152-153.). 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 182 Bonhoeffer führt die theologische Sprachnot deutlich auf eine Glaubensnot zurück. Er sieht die Kirche nicht vor ein hermeneutisches Problem im Blick auf die ihr entfremdeten Zeitgenossen gestellt. Er sieht sich selbst, die Gemeinde, Theologie und Kirche an die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Körtner (1994:18-19) erinnert daran, dass das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns das Problem der Hermeneutik als d i e theologische Herausforderung angesehen hat. Nach Bultmann ([1941]1988:15-16) war für den modernen Menschen das mythische Weltbild der Antike, das sich auch in den ntl Schriften findet, erledigt, damit die Vorstellungen von Himmel und Hölle, der Wunderglaube, die Endzeiterwartungen. Damit war für den Marburger aber nicht der Glaube abgetan, nur seine zeitbedingte Einkleidung. Er sah die Theologie vor eine Übersetzungsaufgabe gestellt, „ihre Wahrheit von der mythologischen Vorstellung, in die sie gefasst ist, zu entkleiden“ (aaO). Ihr sei ein modernes Gewand zu geben, „im Falle Bultmanns dasjenige einer an der Philosophie Martin Heideggers geschulten existentialen Interpretation“ (Körtner 1994:24). Bonhoeffer ([1951]1968:162) war das nicht radikal genug: „Ich bin nun der Auffassung, dass die vollen Inhalte einschließlich der ’mythologischen’ Begriffe bestehen bleiben müssen - das Neue Testament ist nicht die mythologische Einkleidung einer allgemeinen Wahrheit!, sondern diese Mythologie (Auferstehung etc.) ist die Sache selbst! - aber dass diese Begriffe nun in einer Weise interpretiert werden müssen, die nicht die Religion als Bedingung des Glaubens (vgl. die ‚Peritome’ bei Paulus!) voraussetzt.“ Bonhoeffer suchte ein völlig neues Lebensverhältnis zum Gegenstand des Glaubens zu finden, das sich von der christlichen Religiosität des 19. und 20. Jahrhunderts unterschied. Für ihn war mehr als nur die Sprache des Glaubens verlorengegangen. In diesem Zusammenhang stellt Körtner relevante Fragen: „Haben Theologie und Kirche im deutschen Sprachraum nach 1945 die von Bonhoeffer diagnostizierte Sprachlosigkeit wirklich überwunden? Ist sie überhaupt auf breiter Front derart grundsätzlich wie bei Bonhoeffer wahrgenommen worden? Hat die schon angesprochene Entmythologisierungsdebatte den Blick für das Ausmaß der Krise christlicher Verkündigung unter den Bedingungen der Moderne nicht eher verstellt als geschärft? Besteht unser Problem heutzutage wirklich nur darin, nicht recht zu wissen, wie wir zeitgemäß über unseren Glauben sprechen können und nicht 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 183 vielmehr darin, über das Was des Glaubens n i c h t w i r k l i c h a u s k u n f t s f ä h i g z u s e i n , weil unser Verhältnis zu ihm gestört ist?“ (Körtner 1994:26; Hervorhebung KE). Dass wir selbst auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen sind, dass die großen Worte der Christenheit so schwer und so fern sind, dass wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen, ist - nach Bonhoeffer - s e l b s t v e r s c h u l d e t : „Das ist unsere eigene Schuld. Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein“ (Bonhoeffer [1951]1968:152). Wo d u r c h konnte kirchliche Verkündigung derart verfallen, dass sie die Grundfesten der Kirche erschüttert? Josuttis sieht die Gesetzlichkeit in der Predigt vorherrschen: „Man „kann nur unglücklich darüber sein, wie wenig evangelisch, wie wenig klar richtend und eindeutig tröstend in dieser Kirche geredet wird“ (Josuttis [1969]1995:94). Die christologische Krise bestätigend weist er nach, dass die Verkündigung der Rechtfertigungsbotschaft kaum noch gelingt und sieht den Verrat an der christlichen Botschaft - in allen theologischen Lagern – so ernst, dass er seine Schrift mit den Worten beschließt, dass der Kirche des Evangeliums das Evangelium erhalten bleiben müsse: „Damit die verlorenen Menschen auch in unserer Zeit in der Kirche nicht betrogen, sondern gerettet werden. Und damit die bedrohten Prediger sich mit ihrer Arbeit nicht den ewigen Tod verdienen“ (:180). Bohren (1979:93-99) sieht darin, dass Gott überhaupt schweigt, Gottes Gericht. Körtner (1994:33) legt dar, dass die Sprachnot des Glaubens nicht bloß die Folge einer moralischen Schuld der Kirche oder der Christen sei. „Mitverursacht wird sie auch durch eine Krise der Theologie, deren Aufgabe doch darin besteht, die Sprachschule des Glaubens zu sein.“ Durch die Religionskritik der Aufklärung geriet die Theologie zunächst in eine Erschütterung ihrer Grundlagen, hat sich dem Neuen dann aber öffnen und seine Einsichten in das theologische Denken einbeziehen können. Nun aber ist das Erbe der Aufklärung durch seine negativen zivilisatorischen Folgen (totalitäre Technik) selber in Frage gestellt. Theologie ist damit ihrerseits in die Krise der Aufklärung hineingerissen. Christentum ist „denkender Glaube“. Es hat bereits von Anfang an das Gespräch mit der 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 184 abendländischen Philosophie gesucht, hat versucht, ihre Verkündigung, mit den Mitteln des philosophischen Denkens darzustellen. „Auf diese Weise geriet das Christentum in ein spannungsvolles Verhältnis zwischen dem Erzählen von Gottes Taten und dem philosophisch geschulten Denken, zwischen Mythos und Metaphysik“ (:34). Körtner sieht christliche Theologie in einer „babylonische(n) Gefangenschaft der Metaphysik“ (ebd.). Die Krise christlicher Verkündigung ist also nicht zuletzt auf eine Krise des theologischen Denkens zurückzuführen. Daraus schließt Körtner: „Die Aufgabe der Theologie ist es darum, nicht zum Ende vernünftigen Denkens, sondern zum Wandel dessen beizutragen, was bislang Metaphysik heißt. Zur Überwindung der technokratischen Gestalt metaphysischen Denkens wird der christliche Glaube jedoch nur beitragen können, wenn sein eigenes Denken neu geboren wird aus der ihm vorausliegenden Sprache der Glaubensüberlieferung, aus der Sprache der Texte der Bibel“ (:38). Paulus geht darüber hinaus: Wir „nehmen gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus“ (2. Kor 10,5). Das Schweigen Gottes in der Predigt ist nicht zuletzt dadurch verursacht, dass die Bibel für uns selbst weithin schweigt. „Gottes Schweigen wird nicht nur in den Institutionen der Kirche, es wird vor allem an der Schrift selbst erfahren“ (Bohren: 1971:40). Körtner ist, was die Schrift angeht, optimistischer „Indem das Schweigen Gottes uns selbst verstummen lässt, zwingt es uns dazu, wieder neu auf sein Wort zu hören, damit unser Glaube aus eben diesem Wort neu geboren werde“ (Körtner:39). Aus der Sprachlosigkeit des Glaubens nunmehr in die Welt religiöser Bilder zu flüchten, ist eine unbrauchbare Strategie. Drewermann z. B. erklärt nicht das Wort, sondern den Traum, das Bild also, zum Ursprung aller Religion, zum vornehmsten Medium der Offenbarung (Drewermann 1984:155). „Das derzeit große Interesse an einer tiefenpsychologischen Interpretation des Christentums und verwandter Spielarten einer neuen Religiosität haben etwas mit der Kraftlosigkeit des Wortes zu tun“ (Körtner 1994:40). Körtner schlägt - im Sinne Bonhoeffers - vor, in einer Zeit des Schweigens Gottes zu warten. Bonhoeffer schrieb: „Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen - aber der Tag wird kommen -, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 185 auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt. ‚Und sie werden sich verwundern und entsetzen über alle dem Guten und über all den Frieden, den ich ihnen geben will’ (Jerem. 33,9). Bis dahin wird die Sache der Christen eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten“ (Bonhoeffer [1951] 1968:153). Das Warten, zu dem auch Körtner ruft, ist nicht teilnahmslos und gänzlich wortlos, „ein gespanntes, tätiges Warten ist gemeint“ (Körtner 1994:41). Da sollen wir so vom Glauben reden, „dass angesichts des Schweigens Gottes die Erinnerung daran wachgehalten wird, dass Gott zu uns Menschen vormals geredet hat und sein in der Vergangenheit ergangenes Wort nicht dementieren“ (ebd.). Da wäre zu fragen, ob wir überhaupt noch vom Dreieinigen zu reden haben. Sprachfähig ist die Kirche doch immer dann gewesen, wenn sie von „seinen großen Taten“ (Apg 2,11) zu reden wusste, was in den Menschen Glauben wirkt. Irgendwie warten wir seit Bonhoeffer, der die zitierten Gedanken im Jahre 1944 schrieb, und werden nun angehalten, weiterhin (oder erneut?) zu warten. Ich habe beim ersten Lesen zu dieser Stelle Körtners an den Rand notiert: „Und während wir warten, sterben die Verdurstenden“. Als Wartende dafür zu sorgen, dass die Bibel und ihre Geschichten von Gott nicht in Vergessenheit geraten, ist angesichts des großen Ziels, Menschen um Gottes willen zu Christus als ihrem Retter zu rufen, zu wenig. Nun gibt es ein Schweigen, in das einzutreten um des Hörens und damit auch um des vollmächtigen Redens willen, wichtig ist. Da kommt es zur Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit und dadurch zu einem neuen Beten. Körtner empfiehlt, solange wie Gott nicht spricht, biblische Geschichten zu erzählen. - Wem, der Gemeinde? Wie wäre es, wenn Gemeindeglieder begännen, zu Nachbarschaftsabenden einzuladen. Es müssen nicht gleich biblische Geschichten erzählt werden, könnte aber dahin führen. In der Region Pyhrn-Eisenwurzen in Oberösterreich hatte sich zu einer Landesausstellung 1998 eine ökumenische Initiative gebildet. Eine ihrer 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 186 Maßnahmen war die Herausgabe des Buches „Leben gewinnen“. Darin berichten Menschen aus der Region kurz, spannend und bewegend aus ihrem Leben. Mit dem Buch wurde zum „Z’samm’sitz’n“ eingeladen. In vielen Orten der Region traf man sich in der Nachbarschaft, las aus dem Buch und sprach darüber. Danach jedoch hätte es weitergehen müssen, was auf anderer Ebene (Vorträge, Seminare) geschah, aber leider nicht auf der Ebene der Nachbarschaften. Das überaus positive Echo aus den Häusern hätte dazu durchaus Anlass gegeben. Gemeindeglieder könnten in Kursen lernen, über ihren Glauben zu sprechen, ohne fromme Worte zu gebrauchen (Eickhoff 2000:70-73). Zurück zu Körtners Empfehlung: Soll die Predigt, solange Gott nicht spricht, unterbleiben? Stimmt etwa die biblische Zusage an die Gemeinde zu unserer Zeit nicht mehr: „Alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Kraft“ (2.Petr 1,3). Körtner (1994:42) sagt es selbst: „Die Weitergabe der Bibel und ihrer Inhalte ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass diese sich selbst wieder neu zur Sprache bringen kann.“ Was Bonhoeffer als die eigentliche Ursache des kirchlichen Sprachverlustes sieht, deutet Körtner nur an. Es ist nach Bonhoeffer eine konkrete Schuld der Kirche, die weniger in der Verflochtenheit von Theologie und Philosophie, als vielmehr darin besteht, dass die Kirche um ihre S e l b s t e r h a l t u n g kämpft, als wäre sie ein Selbstzweck (Bonhoeffer [1951]1968:152). Hier ist der Schreiber von „Widerstand und Ergebung“ Prophet, der die ganz andere Schuldverflochtenheit seiner Kirche für seine Zeit durchschaut und ihr zugleich einen wichtigen Durchblick für ihre zukünftige Existenz öffnet: Gott wird erst dann wieder reden, Kirche wird erst dann ihre Sprache wiedergewinnen, wenn sie „Kirche für andere“ wird. Was Bonhoeffer unter „Kirche für andere“ verstand, lässt Entscheidendes unerwähnt: Dem Doppelgebot der Liebe zufolge hat die Kirche für ihren Herrn da zu sein. Der führt sie zu den „anderen“. Auch die soteriologische Dimension lässt Bonhoeffer vermissen. Wie das „Für-Andere-da-sein“ auszusehen hat, ergibt sich aus ihrem Auftrag, nicht aus menschlichen Erwartungen. Unter dem Vorbehalt, dass wir über Gottes Motive nur in so weit etwas wis- sen können, wie er sich in seinem Wort offenbart, ist zu sagen: Das 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 187 Schweigen Got tes s teh t in e inem ursächl ichen Zusammenhang mi t dem Vers tummen der Gemeinde gegenüber den Menschen , denen das Geschenk des re t tenden Glaubens noch n ich t zu te i l wurde. An diesen Menschen ist Gott leidenschaftlich interessiert, wir dagegen zeigen an ihnen wenig Interesse, womit wir dartun, wie wenig uns Gott interessiert. Gott bricht sein Schweigen, wenn die Gemeinde ihn nicht nur individualistisch als ih ren „einigen Trost im Leben und im Sterben“ anerkennt, sondern ihn als Herrn der Welt erkennt und umkehrt (Amos 5,4), seine Liebe empfangend diese an die Menschen jenseits ihrer Mauern weitergibt, damit ihren Sendungsauftrag wahrnehmend. Solange die Gemeinde auf sich selbst bedacht weiterhin unter sich bleibt und ihren Auftrag verleugnet, wird Kirche ihre Sprachlosigkeit nicht los. Kirche wird in der Welt nun einmal vornehmlich durch ihre Gemeinden erfahren und – weit weniger als sie glaubt - durch ihre Absichtserklärungen in Denkschriften, an die sich nur wenige nach einem Jahr noch erinnern. In u s er Selbsterhaltungsmentalität verloren wir die Menschen vor unseren Toren aus dem Blick. Im Nichtsagen gegenüber der Welt haben wir die Sprache verloren, mit ihr die Sache, die zur Sprache kommen will. Im Verlust der “Sache“ ist Kirche der Kultur nach christlich geblieben, im Herzen aber glaubensarm geworden und - den Glauben betreffend – eben sprachlos. In der Hinwendung an den Ewigen, dadurch, dass wir sein Wort zu uns reden lassen und es der Welt, wie unvollkommen auch immer, weitersagen, bilden sich die Wörter neu, kommt Glaube zurück und mit ihr die Sprache. Wir und die Welt werden wieder erfahren, dass es wahr ist, was die Väter sagten: predicatio verbum dei est verbum dei. Also, warum warten? Worauf? Wann ist das Warten vorbei? Woran werden wir es merken? Der Sprachverlust des Glaubens sei theologisch erst ernstgenommen, sagte Körtner, wenn er als Schweigen Gottes erlitten wird, wir daraufhin verstummen, um neu auf sein Wort zu hören, damit unser Glaube aus dem Wort neu geboren werde (Körtner 1994:38-39). Es gilt im Gegenteil mitten im Schweigen Gottes das Evangelium endlich d e r W e l t zu sagen, weil Gott dadurch sein Schweigen bricht. Sein Evangelium gehört in die Welt, damit Menschen gerettet werden (1.Tim 2,4). Damit kann Kirche nie warten (2. Tim 4,1-2). 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 188 Ihre Verkündigung an die Adresse der Welt wird nach langer Entwöhnung tastend und stammelnd vor sich gehen, weil uns z. Zt. der rechte Glaube und die rechte Sprache tatsächlich fehlen. Dennoch wird es Gott gefallen, bereits durch unser Tasten und Stammeln zu sprechen. Er tut es, sobald wir damit beginnen - a n d i e A d r e s s e d e r W e l t ! Seine Kraft ist in den kämpfenden Schwachen mächtig, und der missionierenden Gemeinde ist Christi Gegenwart verheißen (Mt 28,20)! Das Evangelium den danach Dürstenden stammelnd zu sagen, ist allemal besser, als es ihnen in einer falschen Wartehaltung zu verschweigen. Sie sterben darüber. Für solch ein verordnetes Schweigen der Gemeinde, das ohnehin eher ein bequemes, feiges Verstummen wäre, findet sich in der Schrift kein Anhalt, im Gegenteil: „Predige das Wort, steh dazu, es sei zur Zeit oder zur Unzeit“ (2.Tim 4,2). Stammelnd üben kleine Kinder Sprechen ein. Bei ihnen können wir in die Schule gehen. Anderen erzählen, d a s s man glaubt, w a s man glaubt, w i e e s d a z u k a m und w a s e s u n s b e d e u t e t - das zu stammeln, können wir sofort anfangen. Vielleicht kann der Pfarrer oder die Pfarrerin dazu Hilfestellung geben. Das können Gemeindeglieder sogar in einem Hauskreis einüben. In Windhuk, Namibia, hatte die Lutherische Gemeinde deutscher Sprache eine Vortragswoche über Grundfragen des Glaubens und Lebens geplant. Dazu sollten möglichst alle, die zu ihr gehörten (auch und gerade der Gemeinde und dem Glauben, Entfremdete) eingeladen werden. Als Referent war ich eines Mittags bei einem vornehmen, älteren Ehepaar zu Gast. Sie habe auch Besuche gemacht, erzählte mir die über 70 jährige Dame des Hauses bei Tisch. Einmal habe ein Mann sie gleich an der Tür abgeschmettert: „Kein Interesse!“ „Ja, aber sie gehören doch zu unserer Gemeinde.“ „Haben Sie nicht kapiert? Kein Interesse!“ Rums, die Tür knallte ins Schloss. „Ich ging zur Gartenpforte“, sagte meine Gastgeberin. „Und dann habe ich mich umgedreht. Bin wieder zur Haustür: ‚Das lasse ich mir nicht bieten’, hab ich gedacht. Erneut habe ich geklingelt. Da war er wieder, machte ein böses Gesicht. Ehe er was sagen konnte platzte ich heraus: ‚So können Sie eine Dame nicht behandeln. Ich habe Ihnen etwas Gutes anzubieten, will Ihnen doch nichts nehmen oder verkaufen.’ Er war so verdattert, dass er sagte: ‚Kommse rein!’ Da saß ich nun. Habe ihm die Themen der Vorträge vorgelesen und er müsste doch 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 189 mal etwas für seinen inneren Menschen tun, der braucht nämlich etwas Gültiges und Ewiges. Und so. Ein Wort gab das andere. Ich kam richtig ins Schwitzen. Was soll ich Ihnen sagen“, strahlte mich die eher schüchterne Dame an, „er war gestern Abend im Vortrag, saß hinten in der letzten Reihe.“ Dann sagte sie leise vor sich hin: „Habe gar nicht gewusst, dass ich das kann.“ Ich ergriff meine Papierserviette und schrieb den letzten Satz darauf, um ihn ja nicht zu vergessen. Dass sie über ihren Glauben sprechen konnte, hat sie gemerkt, a l s s i e e s t a t . Vorher wusste sie nicht einmal, dass sie diese Gabe hatte. Wie gut, dass sie nun drauf gekommen war. Wie schade, dass sie erst mit 70 darauf kam. Selbst wenn sie an der Gartenpforte nicht zurückgekehrt wäre, wäre die Sache in ihr weitergegangen, sie hätte nachgedacht: „Wie hätte ich es besser sagen können?“ Sie wäre in einen Prozess der Reflexion, des Abwägens von Für und Wider gekommen. Zugegeben, damit dass der Besuchte schließlich gekommen war, war er noch nicht für das Reich Gottes gewonnen und zum Glauben gelangt, aber eine wesentliche Voraussetzung dazu war gegeben: das Hören auf Gottes Wort. Unsere Gemeinden bergen Goldadern an Begabungen. Wir stoßen auf sie, wenn wir uns senden lassen. Charismen finden ihre Entfaltungsbedingungen, wenn sie in die Sendung eingebunden sind. Was jener Dame widerfuhr, als sie losging, widerfährt der Verkündigung einer Kirche, die ihre Sendung ergreift. Eine der Welt zugewandte Verkündigung stößt auf Widerstand, provoziert Protest, der mit nie gehörten Gegenargumenten kommt. Solche Verkündigung löst aber auch Betroffenheit aus, Nachdenken und Fragen. Kurz: Es kommt zu Ablehnung und Akzeptanz, Tadel und Lob, Schelte und Dank. Das alles formt sich zu dem Echo, dass Prediger und Gemeinde brauchen, um den Glauben anders als bisher zu sagen. Gegenwind wird durch richtige Einstellung zum Aufwind. Sich am Widerspruch und Zuspruch reibend und aufbauend, wird Predigt herausgefordert zu einer neuen Gewissheit und Sprache. Wo missionierende Gemeinde ist, wird das rettende Wort wieder und wieder neu formuliert, artikuliert, Verlorenen verkündigt. Auf diesem Wege werden Wort und Sprache zurückgewonnen. Im Hören auf das Wort u n d im missionarischen Einsatz hat die Gemeinde ihre Sprachschule. So wird sie Predigerin auf den Dächern (Mt 10,27)! Eine Gemeinde, die keine 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 190 sendungsspezifische Interaktion mit ihrer Umwelt hat, bleibt von einer Vielfalt an Lebensimpulsen abgeschnitten. Die Volkskirche in unseren Landen hat den Freikirchen gegenüber einen unübersehbaren Vorteil. Ihr wird das „Missionsfeld“ wie ein Teppich in die Kirche gerollt. Ich denke an die Konfirmanden, die durch herzgewinnenden, missionarischen Unterricht zum lebendigen Glauben zu führen wären, auch zu gewinnen für die sich anschließenden Jugendkreise. In einer Gemeinde sind auf diese Weise 12 Jugendhauskreise innerhalb von 5 Jahren entstanden. Die Eltern der Konfirmanden wären ebenfalls besonders anzusprechen, durch evangelistische Elternvorträge. Bohrens Anfrage gegen unsere Kasualpraxis würde z. B. durch intensive Trauerbegleitung weitgehend überholt, wozu der Pfarrer die Gemeindeglieder auszubilden hat, was seines Amtes ist. Eine Volkskirche, die all diese herausragenden Möglichkeiten verschläft, soll sich nicht wundern, dass sich der Geist von ihr abwendet und Gott zu allem nur noch schweigt. Es werden solche Gedanken gern als evangelikal und fundamentalistisch diffamiert. Da ist man die Infragestellung los und kann in gewohnter Lieblosigkeit Konfirmanden aus der Kirche herauskonfirmieren. Gott mag überall schweigen, in der sendungsorientierten Gemeinde ergreift er das Wort, was sich darin erweist, dass dort Menschen zum Glauben an Christus finden und ihrerseits zu Zeugen seiner Gnade werden. Das ist durch kirchliches Reden, stammelnd oder eloquent, nicht machbar. Das geschieht, wenn Gott sich einmischt. Er mischt sich gerne ein, wo eine Gemeinde beginnt, von der Kanzel oder im Gespräch von Person zu Person, die anzusprechen, an denen der Schöpfer ein besonderes Interesse hat, die, die nicht an ihn glauben. Da wirkt der Heilige Geist, „den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen“ (Apg 5,32). Wenn die Gemeinde ihre Sendung ergriffen hat, Menschen für Christus zu retten, hat sie vom NT her das Recht, sich unter ihnen auch politisch einzumischen. Wir sagten oben bereits: Kirchlicherseits zu politisieren, ohne vom Evangelium erfüllt, missionarisch zu sein, ist Falschmünzerei. * Wir haben im zurückliegenden Kapitel Wahrnehmungen zum Predigtgeschehen beschrieben. Dabei wurde der hohe theologische Anspruch, der 1.3.6. Von der Überzeugung, dass Gott schweigt 191 sich mit der Predigt verbindet, herausgestellt. Anschließend haben wir nach der Wirkung der Predigt gefragt und gesehen: Der Anspruch steht in einem krassen Missverhältnis zur Wirklichkeit, sodass vom „Verfall der christlichen Verkündigung“ gesprochen werden kann. Nach den Gründen fragend, sind wir auf ein Geflecht von Ursachen gestoßen. Viele gehen auf innerki rchl iches Fehlerverha l ten zurück. Wir haben versucht, einige A s p e k t e des Fehlverhaltens i n der Gemeinde darzustellen, das vom Verharmlosen der Botschaft bis zur Festhalten an mentalen Modellen reicht. Sodann haben wir grundsätzlicher nach dem Problemfeld gefragt, auf dem das Wurzelgeflecht innerkirchlichen Fehlverhaltens wuchern und gedeihen konnte. Als entscheidendes theologisches Problem haben wir die C h r i s t o l o g i s c h e K r i s e gesehen. Diese, so hat sich gezeigt, zieht den Verlust der Eschatologie, sowie die Abwertung des persönlichen Heils nach sich. Als Folge davon haben wir die P r e i s g a b e d e r S e n d u n g erkannt, die in starkem Maße zur Predigkrise, zur Lähmung der Gemeinde und zur Ghettoexistenz der Kirche geführt hat. Kirche, die ihre Sendung aufgibt, welche von Ewigkeit her auf Ewigkeit hin die Rettung der Menschen will, beschäftigt sich vor allem mit sich selbst, ist darauf erpicht, sich selbst zu erhalten. Das läuft auf ihre Selbstzerstörung hinaus. Das Wahrnehmen der Predigtkrise hat Theologen zu der Überzeugung geführt, dass Gott - zumindest in der heutigen Predigt - schweigt. * Im folgenden Kapitel, dem biblischen Befund, soll gezeigt werden, welchen Stellenwert d i e S e n d u n g i n d e r H e i l i g e n S c h r i f t einnimmt. „Das Evangelium … ist nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch eine weltüberwindende Macht“ (Kutter 1912:8). 192 2.1.1. Schöpfung als Sendung 177 2. Biblischer Befund Senden um zu retten – Leidenschaft der Trinität 2.1. Die Sendungen Gottes – Freude, Lob und Leid 2.1.1. Schöpfung als Sendung „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. U n d G o t t s p r a c h … “ (Gen 1,1-3a). Wer spricht, sendet eine Botschaft. Der Schöpfer sendet sein Wort. Ihm gelingt, wozu er es sendet (Jes 55,10-11): Das Wort hat ein „Echo“. Das kommt uns in der Schöpfung sichtbar entgegen. Wir haben es täglich mit Gott zu tun, weil wir es täglich mit der Welt zu tun haben. Sie ist Ergebnis des gesendeten Wortes. Der Schöpfungsakt vollzieht sich in immer neuen Sendungen: Achtmal ertönt: „Und Gott sprach …“ Dass ein von Gott gesprochenes Wort ein gesendetes ist, begegnet auch sonst: „Er sandte sein Wort und machte sie gesund …“ (Ps. 107,20). „Der Herr hat ein Wort gesandt wider Jakob …“ (Jes. 9,7). „… so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird … ihm gelingen, wozu ich es sende. (Jes 55,10-11). Mehrfach „ergeht“ ein Wort (1. Sam 3,21; 2. Chr 31,5; Dan 9,23). Gottes Wort ist Botschaft, trägt Botschaft, wird selber zum Botschafter. Im Psalm 147 ist Gottes Wort wie ein Bote beschrieben: „Er sendet sein Gebot auf die Erde, sein Wort läuft schnell. ... Er sendet sein Wort, da schmilzt der Schnee.“ Vielfach heißt es, „das Wort geschah“ (Jes; Jer, Hes. u.a.) oder „das Wort des Herren kam“ (1. Sam 7,4; 2. Sam 24,11; 1. Kön 12,22; 13,20; 16,1; u. ö.). Im NT erinnert die Apg: „Er hat das Wort dem Volk Israel gesandt (‡p™steilen)…“ (10,36). „Ihr Männer, ... uns ist das Wort dieses Heils gesandt (xapestlj)“ (13,26). „Gott sprach“, Gott äußert sich. Er e n t -äußert sich. Die Schöpfung ist nicht Ausfluss seines Wesens, ist nicht göttlicher Natur (von Rad 1956:39). Sie ist gestaltgewordener Gotteswille, „die einzige Kontinuität zwischen ihm und dem Werk ist das Wort, d. h. ‚an sich’ ist kein Kontinuum da; ist das Wort nicht da, so stürzt die Welt ins Bodenlose.“ (Bonhoeffer 1958:21). Unsere Welt hängt am Worte Gottes. Später heißt es vom Sohn: „Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort“ (Hebr 1,3). 2.1.1. Schöpfung als Sendung 178 Weltschaffende Liebe ist am Werk. Schöpfung ist in Artenreichtum, Formen, Farben, Klängen und Bewegung ausgedrückte Gottesliebe. Gegenstand der besonderen Liebe aber ist der Mensch. Nach dessen Fall gibt Gott ihn nicht auf. Er hat für den Gefallenen das besondere Wort, den Namen, der über alle Namen ist. Gott ist es, der in seinem Wort denkt und schafft, „aber eben als der, der dem Geschöpf begegnen will als der Schöpfer“, so Bonhoeffer (1958:22). Das aber sagt nicht alles. Ehe Israel seinen Gott als Schöpfer erkannt hat, kannte es ihn als seinen R e t t e r . Der Vorbau der Urgeschichte vor die Geschichte der Väter erfolgt, nachdem sich das rettende Handeln Jahwes in Israel schon schriftlich niedergeschlagen hatte. Mit dem Vorbau der Urgeschichte, die die Schöpfung beschreibt, bezeugt Israel, dass der Schöpfer sein Retter ist, der Rettergott aber ist von Anfang an der Sendende. Schöpfung als Sprachakt ist Mission, ist gestaltgewordene Sendung. Dass Gott dem Menschen als seinem Schöpfer, in besonderer Weise aber als seinem Retter begegnen will, ist der Grund auch seiner späteren Sendungen. Soll der Mensch erkennen, wer und wie sein Schöpfer ist, dann soll er den Heiligen als seinen Retter d. h. als den Liebenden erkennen. „Wir sollen Gott fürchten und lieben“ (Luther). „Gott ist der Sendende von Anfang an und bis zum Ende hin, die heilige Dreieinigkeit tut ihr Werk sendenderweise, die Trinität macht Mission, wird im Sohn und im Geist Mission, kommt durch Mission zu ihrem Ziel. So verstanden können wir von der Mission nicht hoch, nicht großartig genug reden; denn a l l e s T u n u n d R e d e n G o t t e s s t e h t u n t e r d e m V o r z e i c h e n s e i n e r m i s s i o “ (Bohren 1962:5; Hervorhebung: KE). Steht alles Tun und Reden Gottes unter dem Vorzeichen seiner missio, dann ist die Welt und was darinnen ist, allein von diesem Vorzeichen her zu verstehen. Dass die Schöpfung durch die Sendung des Wortes entstand, besagt zudem, dass es Mission gab bevor es die Kirche gab. Zum Wesen der Gemeinde gehört, dass sie, die eine Mission hat, Ergebnis von Mission ist. Nicht nur die Schöpfung, auch die Kirche ist Ergebnis der Sendung des Wortes. Zum Worte Gottes hat Israel im Alten Bund ein besonderes Verhältnis entwickelt. Staunend jubelt es: „Denn wenn er spricht, so geschieht's; wenn er gebietet, so steht's da“ (Ps 33,9). Der Beter hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt darüber nach Tag und Nacht (Ps 1). Es ist, als spüre er, dass er hier aus der Quelle selber trinkt. Der Psalm 119 besingt das Wort in Liebesliedern und Lobgesängen. 2.1.1. Schöpfung als Sendung 179 „Ich habe Freude an deinen Weisungen, sie sind mir sehr lieb“ (47). „Das ist mein Trost in meinem Elend, dass dein Wort mich erquickt“ (50). „Das Gesetz deines Mundes ist mir lieber als viel tausend Stück Gold und Silber“ (72; s. Verse 97.103.104.105.111.123.130.162). Sendet Gott sein Wort auf die Erschaffung der Welt hin, entspricht dem Schöpfungswunder die Freude und das Gotteslob Israels, der Völker, ja, aller Geschöpfe. Bibl ische Verkündigung kommt aus der Freude und dem Gottes lob, is t Freude und Gotteslob und führt zu ihm hin. Westermann (19684:20) erinnert, dass es im Hebräischen wohl für „loben“ eine Vokabel gibt, aber nicht für „danken.“ Danken ist das Reflektierte, Distanzierte, das, was zur Verpflichtung gerät. Zum Wesen des Lobens dagegen gehört Freiheit, Spontaneität, Freude. „Und dieses Loben ist ein so starker, lebendiger und weiter Begriff, dass er unser ‚Danken’ in sich fasst; das Danken ist hier noch ganz drinnen im Loben“ (:20). „Sprachlich steht beim Dank der Dankende in der Mitte: ‚Ich danke dir!’, das genuine, spontane Loben geschieht in einem Satz, in dem der Gelobte Subjekt ist: ‚du hast getan’ oder ‚du bist …“ (:22). „Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31). Mit der Billigungsformel erweist sich der Schöpfer als Ästhet. Er nimmt die Schöpfung als Ganzes wahr, „alles, was er gemacht hatte“. Er ist, als Israel ihn als den derart Wahrnehmenden erkennt, der von seinem Volk Wahrgenommene. So erweist sich auch Israel als Ästhet. Die Wahrnehmungen seiner Beter und Propheten zur Zeit des AT ist groß und tief. Wir zehren bis heute davon. Gott lobt nicht sich selbst, sondern das Werk seiner Hände. Das „Sehr gut“ ist Lob der Schöpfung. Der Schöpfer freut sich über seine Kreatur (Ps 104,31). Die wiederum bleibt nicht stumm. Hat Gott gesprochen und die Welt geschaffen, beginnt diese ihrerseits zu sprechen: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk. Ein Tag sagt's dem andern, und eine Nacht tut's kund der andern“ (Ps 19,2-3). Freut Gott sich über seine Schöpfung, so freut er sich auch über sein Volk: „Der Herr hat Wohlgefallen an seinem Volk“ (Ps 149,4; Ps 30,8; Spr 3,12). „Denn der Herr wird sich wieder über dich freuen, dir zu gut, wie er sich über deine Väter gefreut hat“ (Deut 30,9). „Er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein, er wird dir vergeben in seiner Liebe und wird über dich mit 2.1.1. Schöpfung als Sendung 180 Jauchzen fröhlich sein“ (Zef 3,17). „Wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen“ (Jes 62,5). „… ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk“ (Jes 65, 18f). Gottes Freude über sein Volk drückt sich darin aus, dass er ihm Gutes tut. „Es soll meine Freude sein, ihnen Gutes zu tun, und ich will sie in diesem Lande einpflanzen, ganz gewiss, von ganzem Herzen und von ganzer Seele“ (Jer 32,41). Gott ist ein gebender Gott. Er gibt! Israel empfängt. Es stehen die Taten Gottes und die Freude sowie das Lob des Volkes in einem unauflöslichen Zusammenhang. Sie verhalten sich zueinander wie Wort und Antwort, Trank und Trinken, Glück und Freude. „Das, was glückselig macht, ist außerhalb der Seele“ (Thomas von Aquin, Piper 1962:31). „Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude“ (Ps 34,6). „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott, den Herrn, dass ich verkündige all dein Tun“ (Ps 73,28). „Das ist meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann“ (Ps 63,6. s. Ps 68,4; Ps 104,24; Jes 9,2; Ps 145, 10; Ps 150,6). Erkennt Israel, dass Gott freundlich ist und seine Güte ewig währt, so erhebt sich im Lobpreis der Königin von Saba gegenüber Salomo die Stimme der Völker zum Gotteslob: „Gelobt sei der Herr, dein Gott, der an dir Wohlgefallen hat, so dass er dich auf den Thron Israels gesetzt hat! Weil der Herr Israel lieb hat ewiglich, hat er dich zum König gesetzt, dass du Recht und Gerechtigkeit übst“ (1. Kön 10,9). Wir sehen neben Israel und der Völkerstimme auch alle anderen Geschöpfe auf Jahwes vielfältige Freudenerweise mit Freude und Lob reagieren. Israel ruft die Schöpfung auf, in das Lob des Schöpfers einzustimmen. Alle Geschöpfe sind mit der gottesdienstlichen Gemeinde zur Freude und zum Lob berufen: „Der Himmel soll sich freuen und die Erde fröhlich sein, das Meer soll brausen und was darinnen ist. Das Feld soll fröhlich sein, alle Bäume im Walde sollen jauchzen (Ps 96,11-12). „Der Herr ist König; des freue sich das Erdreich und seien fröhlich die Inseln, soviel ihrer sind“ (Ps 97,1). Die Ströme sollen frohlocken und alle Berge vor dem Herrn fröhlich sein (Ps 98,8f). Da sollen „alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen“ (Jes 55,12). Nach den Engeln werden die Geschöpfe aufgerufen, ihn zu loben, die Sonne und der Mond, alle leuchtenden Sterne, die Himmel aller Himmel 2.1.1. Schöpfung als Sendung 181 und die Wasser über dem Himmel, die großen Fische und alle Tiefen des Meeres, Feuer, Ha- 2.1.2. Auflehnung gegen das Wort 182 gel, Schnee und Nebel, Sturmwinde, die Berge und alle Hügel, fruchttragende Bäume und alle Zedern, Tiere und alles Vieh, Gewürm und Vögel ... „denn sein Name allein ist hoch, seine Herrlichkeit reicht, so weit Himmel und Erde ist“ (Ps 148,13). Freut sich der Schöpfer an seinem Werk, so löst dieses ebenso bei seinem Volk Freude aus und Lob, ebenso bei den Völkern, ja, bei allen Geschöpfen. 2.1.2. Auflehnung gegen das Wort Wenn Gott spricht, will er Antwort. Er schafft sich das Wesen, das Ohren hat, auf ihn zu hören. Dem Hören auf sein Wort entspricht der Gehorsam. Der Mensch ist in besonderer Weise das responsorische Wesen. „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7). So lesen wir in dem Bericht, in dem Gott auch den Namen Jahwe trägt: Der Mensch ist der aus Staub Genommene hm'êd"a]h'ä-!mi ‘rp'[' - Bonhoeffer merkt an: „Stärker konnten selbst Darwin und Feuerbach nicht reden, als hier geredet ist. Aus einem Stück Erde stammt der Mensch“ (Bonhoeffer 1958:53). Der Mensch ist „aus Erde und Geist“ (:51). Erde ist er, allerdings Erde, die Gott in die Hände nahm, zu seinem Ebenbild formte, in das er seinen Odem einhaucht. So wurde der Mensch eine lebendige Seele `hY")x; vp,n<ïl. ~d"Þa'h'( Näfäsch ist der wichtigste anthropologische Begriff im alten Israel. „Er heißt in der Grundbedeutung Gurgel, Kehle. Also das Organ der Nahrungsaufnahme, das nie zu stillende, immer neu bedürftige, nie zufriedene Organ symbolisiert im Alten Testament den Menschen“ (Seitz 1985:176). Der Schöpfer selbst haucht dem Menschen den Lebensodem ein. Näher kann der Vergängliche dem Ewigen nicht sein. Der Nähe des Menschen zu Gott entspricht die Möglichkeit seiner Gottesferne. Israel weiß um den tiefen Fall. Das Gotteslob ist nicht ungetrübt. Wir leben „jenseits von Eden“ (Gen 4,16). Dem Schöpfungsjubel, der Freude und dem Lob stehen Klage, Anklage, Leiden und Tränen gegenüber. Verkündigen wir den schönen Gott, seine ewige Herrlichkeit, die Wunder, die er tut (Ps 98,1), dann predigen wir vielfach gegen den Augenschein. Neben dem Schönen und Guten existiert das 2.1.2. Auflehnung gegen das Wort 183 Hässliche, das himmelschreiende Böse. Die klassische Gestalt der Metaphysik, die die Einheit des Wahren, Schönen und Guten im Gottesbegriff gegeben sah, ist uns zerbrochen. Gottes Schönheit steht uns nicht ungebrochen vor Augen. Die Schöpfung reflektiert sie wie in einem zerbrochenen Spiegel. Vor Augen ist die Natur, schön und schrecklich zugleich. Sie lässt sich nicht unmittelbar als gute Schöpfung erfahren. Dennoch widerspricht Berkhof (19882:108) dem NT, wenn er von Gott sagt: „Wir finden ihn in der Schöpfung nicht, wenn er sich nicht zuvor in seiner aktiven Gegenwart in der Geschichte, in der hier und jetzt durch sein Wort und seinen Geist gewährten Erfahrung zu erkennen gibt ... Nun, nachdem wir Gott durch seine Machttaten in der Geschichte erkannt haben, können wir sein Handeln auch in seinem Schöpfung und Erhaltung umschließenden Werk erkennen.“ Dagegen steht, was Paulus schreibt: „Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, so daß sie keine Entschuldigung haben. Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert“ (Röm 1,19-21). Mit tè gnwstèn to qeo ist das umstrittene Problem einer theologia naturalis bei Paulus aufgeworfen. Das ist hier nicht näher darzulegen (s. Käsemann 1974:35- 37). Deutlich ist: Paulus erblickt menschliche Schuld nicht in der Unkenntnis, sondern in der Empörung gegen Gott. Die Erkennbarkeit Gottes in der Schöpfung ist von ihm selbst bewirkt. Er verlangt nicht etwas, was er nicht selbst kundgetan hat (s. Michel 1966:63). Der Mensch hat keine Entschuldigung. Der Mensch ist dazu da, den Schöpfer zu ehren, ihn zu loben mit Herzen Mund und Händen. Wir haben davon gesprochen: Die Sprache ist das Instrument des Gotteslobs. Seit dem Abfall des Menschen von Gott ist sie mit Hilfe der Zunge aber auch zu anderem fähig: „Denn jede Art von Tieren und Vögeln und Schlangen und Seetieren wird gezähmt und ist gezähmt vom Menschen, aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes. Mit ihr loben wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes 2.1.2. Auflehnung gegen das Wort 184 gemacht sind. Aus einem Munde kommt Loben und Fluchen. Das soll nicht so sein, liebe Brüder“ (Jak 3, 7ff.). Hier wird Jesu Wort verständlich, dass wir Rechenschaft ablegen müssen über jedes nichtsnutzige Wort, das wir geredet haben (Mt 12,36). Hat Gott uns mit der Sprache ein Instrument geschaffen, seinen Namen zu preisen und „allen Landen“ (Ps 8) zu verkündigen, dann kann es nicht ohne Folgen bleiben, wenn wir das Instrument des Lobes zweckentfremden, es dazu benutzen, uns zu beschimpfen, zu verletzen, Rufmord zu begehen oder auch nur Belanglosigkeiten beständig zu wiederholen. Unsere Welt ist nicht heil. Wollten wir einen liebenden Gott aus der Schönheit der Natur beweisen, so könnte der Gegenbeweis auch angestellt werden, dass er weder ein liebender, noch ein guter Gott, sondern ein Teufel ist. Neben dem Schönen und Barmherzigen findet sich das Hässliche und Grausame. Das Faszinierende und Erschreckende zeigt sich in einer unerlösten Spannung. Sie lässt sich durch uns nicht auflösen. Die Welt geht ihrer Neuschöpfung erst entgegen. Zu wehren ist darum einer Ästhetik der „ideologischen Ganzheitlichkeit“, (Körtner 2001:4). Sie überhöht das Leben und übersieht dabei seine Gebrochenheit und Doppeldeutigkeit. Die Frage, wie der Widerspruch von gut und böse, schön und hässlich, Lob und Leid zu verstehen ist, beantwortet Gen 3,1-24 mit einer Geschichte: Der Sündenfall ist die Auflehnung des Menschen gegen das Wort seines Schöpfers. Die ntl Entsprechung der Auflehnung des Menschen gegen Gottes Wort findet sich im Johannesprolog. Das Wort ward Fleisch in Jesus Christus: „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Bei den Synoptikern erschallt das: „ Kreuzige ihn!“ (Mk 15,13-14; Mt 27,22-23; Lk 23,21). Eingeleitet wird die atl Geschichte vom Sündenfall bereits in Gen 2,15-17, der Erzählung von der „großen Freigabe“: „Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.“ G. von Rad (1956:64-65) kommentiert: „Nur ein Baum ist von den vielen ausgenommen ... War also das Verbot Gottes angesichts der rückhaltlosen Freigabe aller Bäume keinesfalls ein drückendes, so hat es gleichwohl den Menschen in die Entscheidung und den Ernst der Gehorsamsfrage gestellt ... Wie einfach und nüchtern steht unsere Erzählung 2.1.2. Auflehnung gegen das Wort 185 darin den üppigen Mythen der Völker gegenüber, dass sie den Sinn des paradiesischen Lebens ganz in der Gehorsamsfrage Gott gegenüber stehen lässt.“ Die Schlange beabsichtigt den Ungehorsam des Menschen. Zunächst stellt sie nur die Möglichkeit hin, dass der Mensch falsch gehört habe: „Sollte Gott gesagt haben?“ Gott, der gute Schöpfer, hat seinem Geschöpf so etwas doch nicht auferlegt, das wäre ja eine Begrenzung seiner Liebe. „Das Entscheidende dabei ist, dass dem Menschen durch diese Frage nahegelegt wird, selbst hinter das Wort Gottes zurückzugehen und es nun seinerseits aus seinem Verständnis des Wesens Gottes zu begründen. Sollte es diesem Verständnis widersprechen, dann hat sich der Mensch offenbar getäuscht“ (Bonhoeffer 1958:82). Die Gemeinde predigt Gottes Wort in einer gefallenen Welt, zu der sie selber gehört und der sie doch nicht mehr angehört. Dass sie zu ihr gehört, ist sichtbar an ihrer Schwachheit, ihrer Ohnmacht, ihren Defiziten und Sünden. Dass sie ihr dennoch nicht mehr angehört, ist dadurch gegeben, dass sie das Evangelium hat, dass „selig macht alle, die daran glauben“ (Röm 1,16), kraft dessen sie selber glaubt und darum nun nach Jesu Befehl der gefallenen Schöpfung predigt, um den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter den Völkern (Röm 1,5; 16,26). In einer Welt, die nicht heil ist, bringt Gott sein Heil durch die Irrungen und Wirrungen der Menschen hindurch. Seitz (1993:13-18) hat in einer Predigt über Gen 50,15-21 die Verwobenheit des Bösen im Handeln der Brüder Josefs und des Guten, das Gott daraus zu machen gedachte, dargestellt. Er zeigt Gott als den, „der auch das Böse in sein Heilswalten einbezogen und in der wunderbaren Führung alles dessen, was gewesen ist, sein Rettungswort gesprochen hat ... In tiefer Weltlichkeit verborgen, durchwirkt er, ohne den Zusammenhang des menschlichen Tuns zu stören, alle Bereiche des Geschehens, auch die Sünde. Er macht die Planungen des Menschenherzens, ohne sie zu hemmen oder zu entschuldigen, seinen Zielen dienstbar. Dabei bleibt das Wie dieses Ineinanders Geheimnis, das nicht gelüftet wird. Es genügt, dass es von Gott gewolltes und gelenktes Geschehen war: Führung, die in Obhut nahm und ans Ziel geleitete. Erkennet doch, dass der Herr seine Heiligen wunderbar führt!“ (Ps 4,4) (:17). Seitz zitiert in diesem Zusammenhang den Einspruch eines Theologen: „Ich kann für keinen Gott einstehen, der die Bosheit und das Leiden von Menschen benützt und 2.1.2. Auflehnung gegen das Wort 186 benötigt, um Heil zu schaffen. Es widerspricht dies allem, was ich jenem Gott zutraue, der Liebe und Licht ist.“ Gegen den Einspruch jenes Theologen stehen sperri- 2.1.3. Die Sendung Israels 187 ge Worte wie in Amos Kapitel 4 oder 3,6: „Ist etwa ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut?“ - Seitz greift die Attacke auf. Sie sei nicht ohne Bedeutung und könne vor etwas bewahren: „Sie verwehrt uns, aus dem großen Deutewort der Josefsgeschichte, dass Gott auch die Untaten der Menschen in seine Ökonomie einbezieht, einen losgelösten, immer anwendbaren Satz zu machen. Selten hat das himmelschreiende Böse in der Welt einen guten, göttlichen Sinn. Aber im demütigen Nachhinein geht uns manchmal auf, dass Gott unserem persönlichen und gemeinschaftlichen Leben etwas, das ohne ihn und gegen ihn ausgedacht, eingefädelt und zustande gekommen war, umgeplant und in Segen verwandelt hat“ (Seitz 1993:17-18). 2.1.3. Die Sendung Israels Der, der sein Wort sendet zur Erschaffung der Welt, in der nun aber das „himmelschreiende Böse“ Raum gegriffen hat, sendet sein Volk zu den Völkern. Wir haben es oben erwähnt: Der Glaube Israels beginnt nicht mit der Erkenntnis, dass Jahwe der Schöpfer der Welt ist. Wie die atl Forschung gezeigt hat, ist der Jahweglaube Erwählungsglaube, d. h. primär Heilsglaube (von Rad 1965:136-147; 1956:34). Jahwist und Priesterschrift stehen grundsätzlich im Heils- und Erwählungsglauben. „Sie unterbauen aber diesen Glauben durch das Zeugnis, dass dieser Jahwe des Abraham- und Sinaibundes auch der Schöpfer der Welt ist ... Es ist der Weg gezeigt, den Gott mit der Welt gegangen ist, bis es zur Berufung Abrahams und der Bildung der Gemeinde kam und zwar derart, dass Israel im Glauben von dem vorgegebenen Standort der Erwählung zurück bis zur Schöpfung der Welt blickte und von da die Linie auf sich zu, vom äußersten Rand des Protologischen bis zur Mitte des Soteriologischen hinzog“ (von Rad 1956:34). Israels Bekenntnis zu Jahwe als Schöpfer erfolgte also erst aufgrund der Begegnung, die das Volk durch sein rettendes Handeln z. B. im Auszug aus Ägypten oder in der Landnahme erfuhr. „Neben der Heilsgeschichte ist Jahwes Walten in der Natur das andere große Thema der alttestamentlichen Hymnik“ (von Rad [1957]1962:371). Deuterojesaja sieht in der Schöpfung selbst ein Heilsereignis: „Vertrauen stärkend ist der Hinweis auf die Schöpfung deshalb, weil Deuterojesaja offenbar in der Schöpfung selbst ein Heilsereignis sieht. In Jes. 44,24 stellt sich Jahwe vor als ‚dein Erlöser und dein Schöpfer’“ (von Rad [1957]1962:151). Dieses soteriologische Verständnis der Schöpfung findet sich auch Ps 89 und Ps 74. Israel lobt Gott nicht zuerst um der Schöpfung willen. In den Anfängen seiner Geschichte steht das Wissen 2.1.3. Die Sendung Israels 188 um den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sowie die Erinnerung an eine Rettung. Darum wird Gott in Israel „Retter“ genannt. Der Gott der Väter, der das Zwölfstämmevolk erwählt hat, Israels Retter, ist der Schöpfer und Erhalter der Welt. Damit war der Blick Israels in die Weite geführt. D i e W e l t k o m m t i n d e n B l i c k , m i t i h r d i e V ö l k e r . Als die Geschichte Israels mit der Urgeschichte verbunden wird, sind „alle Geschlechter auf Erden“ ins Auge gefasst. „Was hier einsetzt, das nennen wir ‚Heilsgeschichte’“ (Wolff 1965:82). Abraham wird verheißen, dass in ihm die Fülle der Völker gesegnet wird. G. von Rad (1956:16) legt dar, dass die Segensverheißung der Vollmacht der prophetischen Erleuchtung des Jahwisten entstamme. Sie greift weit hinaus auf ein Ende des göttlichen Geschichtsplans ohne ihn zu veranschaulichen. Das Ziel als solches aber ist genannt „und mit ihm der Sinn des Weges angedeutet..., den Gott mit der Berufung Abrahams beschritten hat. - Diese Weissagung, die auf eine jenseits des alten Bundes liegende Erfüllung hindeutet, war dem rückschauenden Blick der neutestamentlichen Zeugen von besonderer Wichtigkeit“ (1956:134), (Apg 3, 25- 26; Röm 4,13; Gal 3,8). Ursprünglich ist es Abraham, der, als er Gott nicht kannte, durch das an ihn ergehende Wort seines Schöpfers gläubig und gehorsam wurde (Gen 15,6; s. Röm 5,10). V e r k ü n d i g u n g a n n i c h t G l a u b e n d e z u s e i n , i s t d e m W o r t e G o t t e s v o n s e i n e m U r s p r u n g h e r w e s e n h a f t e i g e n . Wie wir sehen werden, ist das Werk des Jahwisten nicht nur als Geschichtschreibung, sondern auch stark als Verkündigung und Sendungsrede an Israel zu verstehen (2.3.1.). Volz (1949:15-16) weist darauf hin, dass nicht nur Israel Botschaftsempfänger des göttlichen Prophetenworts ist, sondern die Völkerwelt: „Elia wirkt in das Land des Erzfeindes hinein, Jesaja tritt als Botschafter Gottes vor die äthiopischen Gesandten in Jerusalem, Jeremia bringt das gleiche Wort Gottes in das Quartier der in Jerusalem versammelten fremden Gesandten wie in den heimischen Königs- und Tempelhof. Dieser Prophet wird schon in der Berufung zum ‚Propheten für die Völker’ bestellt und Deuterojesaja wird geradezu der Begründer der Weltmission.“ Eine besondere Zäsur erfährt Israels Glaube durch den Propheten Jeremia. Er sendet den Verbannten in Babylon einen Brief: 2.1.3. Die Sendung Israels 189 „So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl“ (Jer 29,4-7). „Dieser Brief zeigt, wie frei und schöpferisch die große Prophetie war. Noch Amos und Hosea hatten das fremde Land ‚unrein’ genannt; jetzt sagt die Prophetie: jedes Land ist Gottes Land“ (Volz 1949:235). Der Prophet ruft im Namen Jahwes für die feindliche Stadt zum Gebet auf, d. h. für das Volk, dass Jahwes Tempel geschändet und Israel versklavt hatte. Jeremia setzt sich damit in Gegensatz zu allen völkischen Propheten. Diese schreien: „Babel muss sterben, damit wir leben!“ Jeremia setzt dagegen: „Babels Leben ist euer Leben.“ „Es ist die erste und sichtbare Stelle des Alten Testaments, in der die Fürbitte für den Feind von Gott gefordert wird. Angebahnt ist die hohe Gottesart in Abrams Fürbitte für Sodom, in Jeremias Brief findet sie ihren Höhepunkt“ (:236). Dadurch, dass Israel die Schöpfung in einem theologischen Zusammenhang mit der Heilsgeschichte sieht, weist diese über Israel hinaus: „So spricht Gott, der Herr, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Odem gibt und den Geist denen, die auf ihr gehen: Ich, der Herr, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, z u m L i c h t d e r H e i d e n , dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker“ (Jes 42,5-7). Volz sieht bei Deuterojesaja beides nebeneinander: „den Beschluss des Völkerheils als einmaligen eschatologischen Wunderakt Gottes und die Arbeit an der Bekehrung der Völker, den göttlichen Missionswillen und die gottgewollte menschliche Missionstat ... Vollkommen klar ist in 42, 1-4 die Missionsarbeit ausgesprochen, und wir können sagen, dass wir mit diesem Lied am Ursprung der Mission, a n d e r Q u e l l e d e r W e l t m i s s i o n s t e h e n . Die Quelle entspringt aus dem Urstock des göttlichen Missionsbeschlusses, die Mission ist nicht menschliches Werk, weder der Beginn noch die Durchführung“ (Volz 1949:316-317. Hervorhebung KE). 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 190 Auch bei Tritojesaja ist es der Wille des Höchsten, dass die Völker seine Herrlichkeit sehen und sein Volk sie ihnen verkündigt. Wir haben es anfangs schon zitiert (Jes 66,19). Westermann (1970:337) kommentiert: „Die ‚Entronnenen der Völker’, die dort zum Heil eingeladen werden und zu der Erkenntnis kommen, dass Jahwe, der Gott Israels, allein wahrer Gott ist, werden zu Boten Gottes, zu Missionaren, die ‚zu den fernen Inseln’ gesandt sind, um unter den Völkern Gottes Herrlichkeit zu verkünden. Hier ist zum erstenmal ganz eindeutig von Mission in unserem Sinne die Rede ... Man kann nur mit Staunen diese Tatsache konstatieren, dass hier, am Rande des Alten Testaments der Weg Gottes von dem kleinen Raum des erwählten Volkes in die weite Welt hinein schon gesehen ist. Nicht die Vernichtung aller Völker in einem großen Weltgericht ist das Letzte, aber auch nicht der Weg aller Völker zum Zion und ihr Aufgehen in der Zion - Gemeinde, sondern der Weg des Wortes durch die Boten seiner Herrlichkeit zu denen draußen, den Völkern der Welt.“ 2.1.4. Die Sendung des Sohnes Die Schriften des alten Israel „sind von Jesus Christus und jedenfalls von seinen Aposteln und von seiner jungen Gemeinde als ein Buch der Weissagung auf ihn hin gelesen worden, auf den Heiland Israels und der Welt“ (von Rad 1964:329). Das AT ist als das Buch einer „ins Ungeheure anwachsenden Erwartung“ zu lesen (:331). Keine Erfüllung in seiner Geschichte war imstande, diese ungeheure Erwartung zu befriedigen und zur Ruhe zu bringen (:ebd.). Muss das AT deshalb für sich betrachtet als Buch der Weissagung auf Jesus Christus hin gelesen werden? Die historisch-kritische Wissenschaft, die es aus sich selbst und aus seiner religiösen Umwelt heraus interpretiert, gibt hier keine sichere Antwort.1 Ungeachtet dessen ist zu sehen, dass der Christenheit das AT von Anfang an als ein Buch vom kommenden Christus wichtig geworden ist. Häufig greift das NT auf das AT zurück. Jesus selbst tut es vielfach. Da wird von der „Schrift“ gesprochen (Joh 2,22; Röm 11,2 u. ö), von den „Schriften“ (Mt 26,54; Apg 17,2.11; Röm 15,4; 1. Kor 15,3f.), von „Mose“ (Mt 19,7; Röm 10,5) oder von „Mose und den Propheten“ (Lk 24,27) schließlich von „Mose, den Propheten und den Psalmen“: „Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das 1 Die Diskussion um die atl Hermeneutik ist hier nicht aufzunehmen. Preuß ([1984:10-59]) gibt darüber einen Überblick. 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 191 Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden“, (Lk 24,44-45.). Ebenso lesen wir vom „Gesetz“, bzw. vom „Gesetz und den Propheten“ (Joh 10,34; Gal 4,21; Mt 5,17). Das AT wird reichlich zitiert, was sich im alten Nestle/Aland (22. Auflage) am Fettdruck besonders gut erkennen lässt.1 Außerdem gibt es eine Fülle von Anspielungen und Verweisen, die, obwohl sie keine Zitate sind, durch ihre Beiläufigkeit einen selbstverständlichen Bezug des NT zum AT herstellen. Kaum eine atl Schrift bleibt innerhalb des NT nicht erwähnt. Besonders häufig werden Gen, Jes, Kl. Proph. und Pss zitiert. Preuß ist zuzustimmen: „Nicht die Lektüre und die Kenntnis des AT bewirken schon, dass man erkennt, dass Jesus der Christus ist; vielmehr ist ihm gegenüber und gegenüber seinem Anspruch und Zuspruch eine neue eigene Glaubensentscheidung vonnöten, die dann von ihm her (!) auch das AT neu erschließt ... Der auferstandene Christus ist der notwendige Hermeneut des AT für die Christen“ (Preuß 1984:24). Schempf betont, dass Jesus der Erfüller von Gesetz und Evangelium ist. „Das Gesetz erfüllen heißt nicht, zum Gesetz noch etwas hinzutun, damit es vollständig werde, sondern die ganze Absicht des ganzen Gesetzes verwirklichen. Dasselbe gilt von der Verheißung. Die Kirche ist damit nichts anderes als die Erfüllung des Judentums, das NT die Erfüllung des AT ... Das NT offenbart nichts anderes, als was das AT verbirgt“ (Schempf 1960: 9). Wolff sagt, das NT sei der Kontext des AT und das AT sei der Kontext des NT (EvTh, Nr. 8/9, 1956). Bonhoeffer, „nicht als Alttestamentler vom Fach, sondern als ‚Dogmatiker und Prediger’“ (Kuske 1971:11), spricht von „Christus im Alten Testament“ (1975:294-297): „Das Alte Testament muss von der Menschwerdung und Kreuzigung, d. h. der uns geschehenen Offenbarung her gelesen werden. Sonst bleiben wir im jüdischen oder heidnischen Verständnis des Alten Testaments“ (:320). Dass Bonhoeffer damit kein vorschnelles ntl Interpretieren meint, erhellt ein Zitat aus einem Brief an einen Freund: „Wer zu schnell und zu direkt neutestamentlich sein und empfinden will, ist m. E. kein Christ ... Man kann und darf das letzte Wort nicht vor dem vorletzten sprechen. Wir leben im Vorletzten und glauben das Letzte.“ ([1951] 19685: 86). 1 Der Zitatenindex bei der neueren, 26. Auflage, ermöglicht eine Gesamtschau. 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 192 Ähnlich Barth: „Das Alte Testament als solches und für sich sagt nicht, dass und wie sein Rätsel aufgelöst ist“ (KD, I, 2:98). Für sich genommen ist das AT für Barth eine „jüdische Abstraktion.“ Ein abstrakt gelesenes AT weist ins Leere. Anders das wirkliche. „Es bezeugt nicht irgendeine Verborgenheit Gottes, sondern das Vorspiel zu der Verborgenheit Gottes im Stall zu Bethlehem und am Kreuz von Golgatha“ (ebd.). Was Barth das „wirkliche Alte Testament“ nennt, ist das mit den Augen des Christen gelesene. Das NT selber ist voll von Zitaten, Hinweisen, Bezugnahmen aus dem AT. Es versteht sich aus dem Alten und weiß sich doch als das Neue. Jesus hat seine Botschaft vom AT her interpretiert, wie die Urgemeinde überliefert. Alte Verheißungen erfüllen sich. 1. Kor 10,4 wird der Fels, aus dem die Israeliten Wasser schöpften (2. Mose 17,1-7), allegorisch auf Christus hin ausgelegt. Die Väter „haben alle denselben geistlichen Trank getrunken; sie tranken nämlich von dem geistlichen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war Christus.“ In Hebräer 1 werden Psalmenverse auf Christus bezogen. In seiner Untersuchung von kjrÀssw stellt Gerhard Friedrich fest: „Es wird nicht auf das kÐrugma der große Wert gelegt, als ob das Christentum inhaltlich etwas entscheidend Neues gebracht hätte: eine neue Lehre, eine neue Gottesanschauung, einen neuen Kultus oder sonst etwas, sondern die Handlung, das Verkündigen selbst ist das Entscheidende; denn es führt das herbei, worauf die Propheten des AT gewartet haben“ (THWB. III:702-703.). Jesus war nicht gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzulösen. Er war gekommen, sie zu erfüllen (Mt 5,17). Es ging ihm nicht um eine neue Lehre, sondern um die Anknüpfung an die des AT: „Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist's, die von mir zeugt“ (Joh 5,39). „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“ (Joh 5, 46- 47). Die Reflexionszitate bei Matthäus sprechen ihre eigene Sprache. Die Urgemeinde hat das Gottesknechtslied aus Jesaja 53 auf Christus hin gedeutet (Wolff 1949). Erinnert sei an die Pfingstpredigt des Petrus: „Ihr Männer, liebe Brüder, lasst mich freimütig zu euch reden von dem Erzvater David. Er ist gestorben und begraben, und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag. Da er nun ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott verheißen hatte mit einem Eid, dass ein Nachkomme von ihm auf seinem Thron sitzen sollte, hat er's 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 193 vorausgesehen und von der Auferstehung des Christus gesagt: Er ist nicht dem Tod überlassen, und sein Leib hat die Verwesung nicht gesehen. Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen“ (Apg 2,29-32). Christus ist Nachkomme Davids. Das Kommen Jesu, sein Woher, ist nach dem Bekenntnis der Urgemeinde aus den Schriften des Alten Bundes heilsgeschichtlich begründet: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat (Hebr. 1,1-2). „Und damit ist die entscheidende Aussage des Neuen Testaments de deo erreicht“ (Niederwimmer 1983:109). Die im AT beobachtete Reihenfolge „S e n d u n g – F r e u d e – G o t t e s l o b “ findet sich auch im NT im Blick auf die Sendung des Sohnes. „Anders als im Alten Testament ist im Neuen von der Schöpfung kaum und vom Wirken des Geistes in der Schöpfung überhaupt nicht mehr gesprochen. Das hängt freilich damit zusammen, dass der alttestamentliche Glaube an Gott, den Schöpfers des Himmels und der Erde, ganz selbstverständlich vorausgesetzt und auch von niemandem angefochten wird“ (Schweizer 1978:94). Sandte Gott am Anfang sein Wort, um die Welt zu schaffen, so sendet er – als die Zeit erfüllt war – seinen Sohn, um sie zu erlösen (Joh 3,16). Im Hohepriesterlichen Gebet betet der Sohn zum Vater: „Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt“ (Joh 17,18). „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.“ (Gal 4,4f). Johannes beschreibt Jesu Sendung mit den Begriffen der Schöpfung und bekennt ihn als den, durch den alles geschaffen wurde. Er ist das fleischgewordene Wort: „Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist“ (Joh 1,3). Das Ziel seiner Sendung ist die Welt. „Er kam in sein Eigentum!“ (Joh 1,11). Hier beginnt die Heimholung der Welt, die sich in der Ausgießung des Geistes fortsetzen wird. Dazu muss Gott selbst auf die Erde kommen, weil er die Herzen der Menschen will (Mt 22,37). Jesu Sendung besteht in seiner „Selbstentleerung“ (›autèn k™nwsen) im Gegensatz zum Ansichraffen, sie besteht in der Erniedrigung seiner selbst (tape°nwsen ›autèn) (Phil 2,7-8). Der Sohn 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 194 erscheint als Sklave unter den Menschen. Das soteriologische und eschatologische Ziel seiner Mission ist die Gotteskindschaft des Menschen. Das Wort, durch das Gott die Welt erschuf, ist Fleisch geworden (Joh 1,14). Lässt sich vom AT her formulieren: „Das Wort ist Gottes Missionar“, so vom NT her: „Jesus Christus ist der Missionar“ (Margull 1959:10). Er ist es als Gottes Fleisch gewordenes Wort. Wieder ist es Gott, der sich freut. Zunächst freut er sich über den von ihm Gesandten. Er, der allein zu loben ist, ist selbst ein Lobender. Besonders freut er sich über jeden Sünder, der umkehrt, über Verlorene, die gefunden werden (Lk 15). Gott sendet seinen Sohn, an dem er Wohlgefallen - eÇdçkjsa - hat (Mt 3,17; 12,18; 17,5). Dieser ist selber die Frohbotschaft, die er verkündigt ( Lk 4,18-21). Wird sie aufgenommen und es kommt auf Erden zur Umkehr eines Sünders, ist Freude im Himmel (Lk 15,7; 15,6.9; Mt 18,13). Werden die Gaben, die Gott anvertraut, gut verwaltet, geschieht es zu des Herrn Freude (Mt 25,21.23). Wenn Gott als der gute Hirte, das verlorene Schaf gefunden hat, legt er es sich auf die Schulter voller Freude (Lk 15,5). Wie eine Frau, die sich über den verlorenen Groschen freut, den sie wiedergefunden hat (Lk 15,9), so freut sich Gott. Der Vater ist fröhlich über die Heimkehr des verlorenen Sohnes (Lk 15,23-24). Jesus spricht von seiner Freude, die in den Jüngern bleiben soll (Joh 15,11; 17,13). Das Reich Gottes selbst ist Freude (Röm 14,17). Freude geht vom Heiligen Geist aus, denn Freude ist eine Frucht des Geistes (Gal 5,22). Anstatt in seiner Freude zu bleiben, hat Jesus das Kreuz erduldet (Hebr 12,2). Der Seher von Patmos hört eine große Stimme, die aufgrund der Überwindung des Verklägers ausruft: „Darum freut euch, ihr Himmel und die darin wohnen!“ (Offb 12,12). Es findet sich – wie es im AT schon anklingt – auch im NT, dass Gott die Menschen lobt: Im Gleichnis von den anvertrauten Zentnern lobt der Herr die Knechte,: „Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!“ (Mt 25,14-30; par). Paulus erklärt was ein Jude ist: „Der ist ein Jude, der es inwendig verborgen ist, und das ist die Beschneidung des Herzens, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht. Das Lob eines solchen ist nicht von Menschen, sondern von Gott“ (Röm 2,29). Ebenso Paulus: Wenn der Herr kommt, „dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden“ (1.Kor 4,5). In Ewigkeit wird nicht nur der 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 195 Schöpfer gelobt, Gott lobt seine Geschöpfe. Petrus schreibt von den Prüfungen, die die Gemeinde erleiden muss, und fährt fort: „Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist. So wird (sic. eurem Glauben) Lob, Herrlichkeit und Ehre zuteil bei der Offenbarung Jesu Christi“ (1. Pt 1,7. Einh.). Jesu Sendung steht von Anfang an in Zusammenhang mit der carn megljn: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“ (Lk 2,10). Daraufhin lobt die Menge der himmlischen Heerscharen Gott. Die Hirten auf dem Felde „kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten ...“ (Lk 2,20). Wie im AT löst die Gabe Gottes bei den Menschen Freude aus, die sich im Gotteslob äußert. Die Menschen um Jesus, die seine Nähe erleben, seine Vergebung und Rettung erfahren, die das Himmelreich finden, das lauter Freude ist ( Röm 14,17), freuen sich und loben Gott. Die Freude hält auch den Anfechtungen stand, ja diese selbst sind auf dem Fundament der geschehenen Erlösung Grund zur Freude (Jak 1,2). Jesus ist noch nicht geboren, da schon löst seine Nähe Freude aus. Als die schwangere Elisabeth den Gruß der schwangeren Maria vernimmt, ruft sie aus: „Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe (Lk 1,44). Das Volk empfängt Jesus als er in Zion einzieht mit Jubel: „Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten“ (Lk 19,37; Mk 11,9-10; Mt 21,9; Joh 12,13). Für das gefundene Himmelreich verkauft einer vor Freuden alles, was er hat (Mt 13,44). Die Freude der Jünger über den Auferstandenen ist so groß, dass es ihnen den Glauben verschlägt (Lk 24,41). Die Emmausjünger kehren nach der Begegnung mit dem Auferstandenen mit großer Freude nach Jerusalem zurück (Lk 24,52). Der Freude des Täufer ist erfüllt (Joh 3,29). Die Freude der Jünger soll nach Jesu Willen vollkommen sein (Joh 15,11; 16,24; 17,13). Ihre Trauer soll in Freude verwandelt werden (16,20.21). Ihre Freude soll niemand von ihnen nehmen (22). Auch den Heiden hat Gott Gutes getan und ihre Herzen mit Freude erfüllt (14,17). Der Gott der Hoffnung erfüllt mit Freude (Röm 15,13). Weil die Korinther im Glauben stehen, sind Paulus und Timotheus Gehilfen ihrer Freude (2. Kor 1,24). Paulus hat überschwängliche Freude in aller 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 196 Bedrängnis (7,4). In dem Herrn kann man sich allezeit freuen (Phil 4,4). Petrus schreibt, dass die Auserwählten sich freuen werden mit unaussprechlicher und herrlicher Freude (1. Pt 1,8). Selbst darüber, dass sie mit Christus leiden, sollen sie sich freuen. Zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit werden sie Freude und Wonne haben (4,13). Johannes sieht: „Der Herr, unser Gott, der Allmächtige, hat das Reich eingenommen! Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben; denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Braut hat sich bereitet. (Offb 19,6-7). Neben der Freude vieler - seien es Jesu Jünger, die ersten Heiden, die ins Himmelreich drängen oder später die Gemeinde - steht auch im NT das Gotteslob. Die Geburt des Wegbereiters Jesu, Johannes des Täufers, löst bei seinem Vater Zacharias Lob Gottes aus: „Und sein Vater Zacharias wurde vom heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk (Lk 1,68). Als die Kinder im Tempel Jesus schreiend mit „Hosianna dem Sohn Davids!“ begrüßen, entrüsten sich die Hohenpriester und Schriftgelehrten. Jesus verweist sie auf Psalm 8,3: ‚Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet’ (Mt 21,16). Gott ist jedoch nicht nur mit dem Munde zu loben. Wenn die Gemeindeglieder zu Rom einander annehmen, wie auch Christus sie angenommen hat, loben sie Gott mit ihrem Verhalten (Röm 15,7). Der Epheserbrief stellt heraus, dass Gott zu loben sei, weil er „uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus“ (1,3). In Christus sind wir vor Grundlegung der Welt dazu erwählt, heilig und untadelig vor ihm zu sein. „In seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten“ (Eph 1,3-6). Wir sollen etwas sein zum Lob seiner Herrlichkeit (1,12.14). Johannes hört auf Patmos eine Stimme vieler Engel um den Thron, die mit großer Stimme sprachen: „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Offb 5,12-13; 7,12). 2.1.4. Die Sendung des Sohnes 197 Wie sich Gott über die Schöpfung freut und die Schöpfung zum Jubeln über ihren Schöpfer bringt, so verhält es sich auch mit der Sendung des Sohnes. Der Himmel freut sich und mit ihm die Erlösten. Sie loben Gott auf Erden. Wir werden sehen, dass auch die Sendung des Geistes – wenn auch in einem veränderten Sinn - zur Freude Gottes führt und zur Freude und Gotteslob der Menschen. Der Vater hat seine Herrlichkeit auf den Sohn übertragen. Jesus betet: „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind ... denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war“ (Joh 17, 22.24; 1. Petr 1,20-21; 2. Petr 1,17; Offb 5,12). Die Herrlichkeit Gottes verbirgt und offenbart sich in Jesu vollmächtiger Verkündigung, in seinen Zeichen und Wundern. Die äußerste Herrlichkeit des Höchsten erscheint nicht in den erhabensten, sondern offenbart und verbirgt sich zugleich im niedrigsten aller Zeichen, im Kreuz. Die Schönheit Gottes ist nicht – wie eine spätere Zeit glaubte – die der gotischen Kathedralen, die sie aufstrebend in den Himmel transportierte und in die Trinität einschloss. Es ist die Schönheit des liebenden Gottes, der um seines Namens willen in unser reales Elend herunterkam, der gehorsam wurde bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz (Phil 12,8). Seine Sünderliebe ist die Schönheit, die den Lobpreis der Gemeinde wirkt. „Nur in der Nachfolge des Gekreuzigten offenbart sich die wahre Schönheit Gottes, die dçxa des Kreuzes, die uns zum Lob führt“ (Smolik 1990: 20). Die Schönheit Gottes im Sohn ist angesichts von Krippe und Kreuz, den Insignien von Niedrigkeit und Ohnmacht, ohne Glauben nicht wahrnehmbar. Dass der Galgentod des Sohnes tief ins Zentrum des christlichen Glaubens hereingenommen ist, bleibt das große Ärgernis. Das Kreuz ist die Krise des Ästhetischen. Das NT hat das Gottesknechtslied aus Jesaja 53 auf Christus hin gedeutet. Die dort vorgestellte Gestalt ist an Hässlichkeit nicht zu überbieten. „Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet“ (Jes 53,2-3). In der hässlichen Gestalt des Gekreuzigten jedoch verbirgt sich die allerschönste Schönheit: „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen 2.1.5. Die Sendung des Geistes 198 zerschlagen ... der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“ Der Sündlose stirbt für die Sünden der Welt. Im Allerhässlichsten der Allerschönste! „Schönster Herr Jesu“, singt die Gemeinde: „Alle die Schönheit Himmels und der Erde ist gefasst in dir allein“, EG 403. Vor Augen aber ist ein Hässlicher, ein gekreuzigter Leichnam. Der Geist Christi führt zu einer „Ästhetik des Hässlichen“: „Wäre das Schöne nicht, so wäre das Hässliche gar nicht, denn es existiert nur als die Negation desselben. Das Schöne ist die göttliche, ursprüngliche Idee, und das Hässliche, seine Negation, hat eben als solche ein erst sekundäres Dasein. Es erzeugt sich aus und an dem Schönen“ (Rosenkranz [1853]1990:14). 2.1.5. Die Sendung des Geistes Der Geist Gottes begegnet vielfach im AT, schon bei der Erschaffung der Welt: „Der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser“ (Gen 1,2). „Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und all sein Heer durch den Geist seines Mundes“ (Ps 33,6). „Du sendest aus deinen Geist, so werden sie geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde“ (Ps 104,30). „Der Geist Gottes hat mich gemacht, und der Odem des Allmächtigen hat mir das Leben gegeben“ (Hiob 33,4; 32,8). „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7). „So spricht Gott, der Herr, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Odem gibt und den Geist denen, die auf ihr gehen“ (Jes 42,5). Der Geist, der das Wort lebendig macht, ist nicht, wie die Lutherische Tradition glaubte, einseitig an das Wort gebunden. Er lässt sich nicht in die Kirche einsperren. „Wir wissen, dass sein Werk in der Welt zweideutig ist, aber sein Werk in der Kirche ist das auch. Nirgendwo auf unserer Erde finden wir ihn in himmlischer Reinheit. In dem Glaubenden weckt er den Konflikt zwischen Geist und Fleisch, in der Welt den Konflikt zwischen der Herrschaft Christi und menschlicher Selbstherrlichkeit“ (Berkhof [1968]1988:119). Schon im AT fällt die Vielfalt seines Wirkens auf. „Israel hat das Wirken des Geistes zuerst als eine unheimliche, in den gewohnten Alltag unberechenbar einbrechende Macht erlebt, bei der man nicht einmal sicher sagen konnte, ob sie eigentlich gut oder böse, göttlich oder dämonisch war“ (Schweizer 1978: 20). 2.1.5. Die Sendung des Geistes 199 Damit ist ausgesprochen, wie vielfältig, fast verwirrend die Aussagen über den Geist Gottes sind. Da kommt der Geist des Herrn über Saul, dass er in Verzückung gerät und umgewandelt wird in einen anderen Menschen (1. Sam 10,6ff). Eine ganze Prophetenschule gerät in Verzückung (19,19-24). Dem gegenüber staunt Pharao über den klaren Geist des Josef: „Wie könnten wir einen Mann finden, in dem der Geist Gottes ist wie in diesem?“ (Gen 41,38), und David sagt: „Der Geist des Herrn hat durch mich geredet, und sein Wort ist auf meiner Zunge“ (2. Sam 23,2). Wirkt der Geist dort in absonderlicher Weise, so hier ernüchternd und Weisheit verleihend. Über den kommenden Messias sagt der Prophet: „Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“ (Jes 11,2;42,1; 61,1). Der Geist verleiht Simson Kraft, Löwen zu zerreißen (Ri 14,6). Unbefangen wird berichtet, dass Gott einen bösen Geist über die Männer von Sichem und über Saul kommen lässt (Ri 9,23; 1. Sam 16,14; 18,10; 19,9). An solchen verschiedenartigen, teilweise seltsamen Erfahrungen wird Israel deutlich, dass der Geist Gottes nicht einfach Menschengeist oder ein Teil desselben ist. Das Wirken des Geistes wird nicht als Selbsterfahrung, sondern als Fremderfahrung verstanden. Hier steigt nichts aus dem Geist oder der Seele des Menschen empor. Im Bußgebet Israels wird Gottes Geist durch die Worte der Leviten mit dem Propheten gleichgesetzt: „Du hattest viele Jahre Geduld mit ihnen und warntest sie durch deinen Geist in deinen Propheten, aber sie nahmen es nicht zu Ohren. Darum hast du sie gegeben in die Hand der Völker in den Ländern“ (Neh 9,30). Schweizer (1978:21-22.) sieht darin ein Zeichen dafür, dass sich damals schon das Problem gestellt hat, wer als rechter Prophet wirklich vom Geist Gottes bewegt war und wer als falscher Prophet nur seine seelischen Erregungen von sich gab. Die Frage nach der Unterscheidung der Geister hat sich demnach schon im Alten Bund gestellt. Jeremia sagt zum Propheten Hananja in Gegenwart der Priester und des ganzen Volkes, die im Hause des Herrn standen: „Die Propheten, die vor mir und vor dir gewesen sind von alters her, die haben gegen viele Länder und große Königreiche geweissagt von Krieg, von Unheil und Pest. Wenn aber ein Prophet von Heil weissagt - ob ihn der Herr wahrhaftig gesandt hat, wird man daran erkennen, dass sein Wort erfüllt wird“ (Jer 28,8-9). 2.1.5. Die Sendung des Geistes 200 „In der alttestamentlich-prophetischen Erfahrung begegnet Gott dem Menschen als der völlig Unerwartete, dessen Fremdheit und Andersartigkeit gegenüber allem Menschlichen sich ihm als erstes eröffnen ... Er ist nie der Geist des Konformismus, das heißt nicht der Geist, der sich überall anpasst und Angst hat davor, irgendwo aufzufallen. Er ist im Gegenteil der Geist, der den Menschen auf seine eigenen Füße stellt, wenn nötig auch im Unterschied zu sämtlichen Zeitgenossen“ (Schweizer 1978: 24-25). Als Gott die Welt durch die Sendung seines Wortes erschuf, ist der Geist, über den Wassern des Chaos schwebend, gegenwärtig (Gen 1,2). (Über die Unsicherheit gängiger Übersetzungen, s. Berkhof 19882:109). „Die Schöpfung durch das Wort ist nicht denkbar ohne das Wirken des Geistes. Ein geistloses Wort schafft nichts“ (Bohren 1975:37). “Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und all sein Heer durch den Hauch (ruach) seines Mundes“ (Ps 33,6). Sendet Gott seinen Geist, schafft dieser nicht nur das Leben, er erhält es auch: „Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde.“ (Ps 104,30; Pred 3,19-21). Das gilt besonders für den Menschen: „Der Geist Gottes hat mich gemacht, und der Odem des Allmächtigen hat mir das Leben gegeben“ (Hiob 33,4; 32,8; Gen 2,7; 6,3; Jes 42,5).1 So wenig der Mensch über sein Leben verfügt, so verfügt er auch nicht über den Geist: „Wenn er nur an sich dächte, seinen Geist und Odem an sich zöge, so würde alles Fleisch miteinander vergehen, und der Mensch würde wieder zu Staub werden“ (Hiob 34,14-15). Die Fülle der Wirkungen des Geistes ist nur schwer zu überschauen, wie ein Blick in die Konkordanz erhellt. Das AT betont, dass die Kultur des Menschen von Gottes Geist inspiriert ist: Im Blick auf den Ackermann, der sein Feld bestellt, sagt der Prophet: „So unterwies ihn sein Gott und lehrte ihn, wie es recht sei“ (Jes 28,26). Nach Exodus 31,2-5 hat der Geist Gottes Bezalel erfüllt, „mit Weisheit und Verstand und Erkenntnis und mit aller Geschicklichkeit, kunstreich zu arbeiten in Gold, Silber, Kupfer, kunstreich Steine zu schneiden und einzusetzen und kunstreich zu schnitzen in Holz, um jede Arbeit zu vollbringen.“ In die Rechtsprechung schaltet sich der 1 Der Gottesname als Plural ~yhiêl{a/ (Gen 1,26) wurde in der Geschichte der Auslegung verschieden gedeutet. Die moderne jüdische Exegese, wohl um die Einzigartigkeit Gottes nicht in Frage zu stellen, hält ihn, für den pluralis majestatis (Bräumer 1983:55). „Seit Augustin wird der Plural von Auslegern aller Jahrhunderte (zum Beispiel von Beda, Luther und Karl Barth) auf eine Aussage der Heiligen Dreieinigkeit gedeutet“ (ebd.). 2.1.5. Die Sendung des Geistes 201 Geist Gottes ein (4. Mose 11,17), in die Politik (Kyros - Jes 45,1-5;), auch Weisheit kommt vom Geist des Höchsten: „Der Geist ist es in den Menschen und der Odem des Allmächtigen, der sie verständig macht“ (Hiob 32,8; Dan 1,17; 5,11). Wir sahen, ist Gottes Geist an der Schöpfung beteiligt. Auf Jesus kam er wie eine Taube herab, was an jene Taube erinnert, die Noah aus den Fluten des Gerichts die neue Schöpfung anzeigte. Gottes Geist ist schon im AT ein Geist der Erneuerung: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun“ (Hes 36,26-27). Gott spricht zu den toten Gebeinen des Volkes Israel: „Siehe, ich will Odem (ruach) in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet“ (Hes 37,5). Diese Verheißung schaut über das AT hinaus auf die Neuschöpfung und Wiedergeburt des erwählten Volkes, das zunächst noch im Ungehorsam verharrt. Darum verheißt Gott durch den Propheten Joel: „Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch“ (3,1). Der Gottesknecht, der bei Jesaja zu Worte kommt, sagt eine Zukunft an, die in Jesus Gegenwart wird (Jes 61,1-3; Mt 11,5; Lk 4,18-21). Im Kommen Jesu hat die Ausgießung des Geistes auf alles Fleisch begonnen. Die Beziehung zwischen dem Geist und Christus wird im NT in zweifacher, einander ergänzender Weise beschrieben (Berkhof 1988: 18-23). Bei den Synoptikern ist der Geist Jesus vorgeordnet. Er ist der Gesalbte. Der Herr hat ihn mit seinem Geist gesalbt, (Lk 4,18; Apg 10,38). Was Maria empfängt, ist vom Heiligen Geist (Mt 1,20). Der Geist schickt Jesus in die Wüste, und in der Kraft des Geistes kehrt er nach Galiläa zurück (Lk 4,14). Dämonen treibt Jesus in der Kraft des Geistes aus (Mt 12,28). Er jubelt im Heiligen Geist (Lk 10,21). Johannes und Paulus beschreiben die Zuordnung anders. Bei Johannes ist es Gott, (14,26), der den Geist sendet oder Jesus (16,7). Paulus bezeichnet den Geist als den Geist Christi bzw. des Sohnes (Röm 8,9; 2, Kor 3,17; Gal 4,6; Phil 1,19). Beide Weisen sind in Apg 2,33 zusammengesehen: „Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist und empfangen hat den verheißenen heiligen Geist vom Vater, hat er diesen ausgegossen, 2.1.5. Die Sendung des Geistes 202 wie ihr hier seht und hört.“ Berkhof (19882:20) stellt fest: „Jesus kann den Geist nur darum aussenden, weil er selbst zuerst Empfänger und Träger des Geistes ist.“ Der Geist kommt zunächst auf den einen, Jesus. Der Eine gab sein Leben „zu einer Erlösung für viele“ (Mt 20,28). „Wenn er als der Eine sein Werk vollbracht hat, dann hat ein neues Werk zu beginnen: die Wohltat seines stellvertretenden Werkes soll denen zuteil werden, für die es geschehen ist“ ... (Berkhof 19882:21). Die Ausgießung des Geistes ist gegenüber der Fleischwerdung des Wortes eine neue Gottestat. Als das Wort Fleisch ward, wurde Gottes Sohn Mensch. Der Heilige Geist dagegen wurde nicht Fleisch. Er wurde ausgegossen über alles Fleisch: Der Gott des alten und neuen Bundes ist Herr aller Völker, der ganzen Schöpfung (Röm 8,20-23). Der Geist ist nicht darauf zu begrenzen, ein Werkzeug des Werkes Christi zu sein. Er schafft ein Neues und das auf die Neue Schöpfung hin. Durch ihn kommt das Werk Christi der Welt zugute („ausgegossen über alles Fleisch“). Was der Eine begann, setzt der Geist für die vielen, die der eine schon sah (Mt 9,37; 20,28), in neuer, pluriformer Weise fort. Die Sendung des Geistes durch den Vater und den Sohn „schafft eine eigene Welt, eine Welt der Bekehrung, der Erfahrung, der Heili- gung; des Zungenredens, der Prophetie und der Wunder; der Sendung, der Erbauung und der Leitung der Kirche usw. Er setzt Amtsträger, ‚Geistliche’, ein; er organisiert; er erleuchtet, inspiriert, erhält; er tritt für die Heiligen ein und hilft ihrer Schwachheit auf; er durchforscht alle Dinge, sogar die Tiefen Gottes; er leitet in alle Wahrheit; er gewährt eine Vielfalt von Gaben; er überzeugt die Welt, er erklärt die Dinge, die in Kürze kommen werden“ ... (Berkhof 19882: 25- 26). Im Neuen Testament erfüllt sich die Verheißung des Propheten Joel. Gottes Geist wird ausgegossen über alles Fleisch (Apg 2,16; Joel 3,1-5). Jesus nennt ihn den „anderen Tröster“ (Joh 14,16). Damit ist ein Unterschied zwischen dem Sohn und dem Geist benannt. D e r G e i s t h a t a n d e r e s z u t u n , a l s J e s u s t a t . Er verherrlicht Jesus und sein Werk (Joh 16,14). Ist Jesus Fleisch geworden, so ist der Geist ausgegossen über alles Fleisch. „Wenn er als der Eine sein Werk vollbracht hat, dann hat ein neues Werk zu beginnen: die Wohltat seines stellvertretenden Werkes soll denen zuteil werden, für die es geschehen ist, die von Anfang an in seiner corporate personality gemeint und eingeschlossen waren. So geht die Bewegung von dem Einen zu den Vielen. Jesus ist der große pars pro toto“ (Berkhof 19882:21). 2.1.5. Die Sendung des Geistes 203 Das besagt, dass christologisches und pneumatologisches Denken aufeinander bezogen, aber zu unterscheiden sind. Wir sahen: Finden sich im AT auch Klagen, so ist sein Grundton doch Freude und Lobgesang über Gott, über seine Schöpfung, über seine Güte, seine Taten, seine Errettungen. Dem gegenüber ist im NT die Gabe Gottes in Jesus das ewige Leben (Röm 6,23). Er, der gesandt ist, den Verlorenen das ewige Leben zu bringen, wird von denen, die ihm der Vater gibt, mit Freuden begrüßt. Lob brandet auf, das Lob - der „kleinen Herde“ (Lk 12,32) Da nun der Geist gesandt und ausgegossen ist über alles Fleisch, wäre zu erwarten, dass die Freude sich ausweitet und das Lob sich zum vielstimmigen Jubelakkord aufschwingt. Die ntl Texte sind, was die Freude und das Gotteslob im Zusammenhang mit der Geistsendung betrifft, jedoch z u r ü c k h a l t e n d . Das heißt freilich nicht, dass das NT den Zusammenhang nicht kennt. Jesus freut sich im heiligen Geist und preist den, Vater, dass er sein Geheimnis den Weisen und Klugen verborgen hat und den Unmündigen offenbart (Lk 10,21). Inmitten der Verfolgungszeit kamen viele Juden zum Glauben und die Jünger wurden erfüllt von „Freude und heiligem Geist“ (Apg 13,52). Den Thessalonichern schreibt Paulus: „Und ihr seid unserm Beispiel gefolgt und dem des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im heiligen Geist“ (1. Thess 1,6). „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist“ (Röm 14,17). „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes“ (Röm 15,13). Freude ist eine Frucht des Geistes (Gal 5,22). Darum sind die Freude und das Gotteslob auch nicht abhängig von den äußeren Umständen. Im Gefängnis liegend, die Füße im Stock „beteten Paulus und Silas und lobten Gott“ (Apg 16,25). Schweizer (1978:162-164) hört Jesus im Gleichnis vom verlorenen Sohn von dem sprechen, was sich ereignet, wenn der Heilige Geist Wirklichkeit wird. Der Vater verzichtet auf seine Macht gegenüber dem Sohn, weil er sich für die Liebe entschlossen hat. Als der Sohn zum Vater zurückkehrt, läuft dieser ihm entgegen, was zeigt, wie er auf ihn gewartet und ihn immer mit seinem Herzen begleitet hat. „Er lässt ihn mit seinem Schuldbekenntnis nicht einmal ausreden, sondern kann vor 2.1.5. Die Sendung des Geistes 204 lauter Freude nicht genug tun“ (:163-163). Als der zweite Sohn rebelliert, verzichtet der Vater erneut auf seine Macht. Er hat dem Kind gegenüber nichts „als ein Herz, das von Liebe brennt, und sein Wort, mit dem er nur bitten kann.“ Später hängt Jesus ohnmächtig am Kreuz, weil auch er sich, wie der Vater, für die Liebe entschieden hat. „Gottes brennende Liebe kann nur jederzeit bei ihnen sein, bis die Zeit kommt, da sie durchdringen und zum Heimkommen einladen kann. Genau das ist das Geschehen des Heiligen Geistes“ (:164). Der Heilige Geist ist, wie die Liebe des Vaters im Gleichnis, „nur“ liebend da und im Dasein gewaltlos wirkend. Was die Freude und den Jubel betrifft, verstehen wir die Z u r ü c k h a l t u n g im Zusammenhang mit der Sendung des Geistes. Kann Jesus am Kreuz ausrufen „Es i s t vollbracht!“, so ist demgegenüber das Werk des Geistes bestimmt vom - „ N o c h n i c h t “ . Sein Leben für die Erlösung der Welt zu geben und eine übersehbare Schar von Jüngern um sich zu sammeln, ist das eine. Das Doppelwerk Jesu, das Erlösungs- und Jüngerschaftswerk (bezogen auf die Zwölf) ist vollbracht. Das Werk des Geistes, auf der durch den Sohn geschaffenen Grundlage, die Welt zu durchdringen, sie zu gewinnen und zu Gott heimzuholen, ist ein anderes. Das ist noch nicht vollbracht. Die Jünger sind noch nicht in alle Wahrheit geleitet (Jh 16,13; 1. Kor 13,9), die Welt ist noch nicht heimgeholt. Der Geist ist zwar ausgegossen über alles Fleisch, das Fleisch aber begehrt auf gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch (Gal 5,17). Wohl ist auch die Zeit nach der Ausgießung des Geistes bestimmt von Freude und Gewissheit, von Glaube, Liebe, Hoffnung, aber auch von Widerstand, von Kampf und Leid: Paulus ermahnt die Gemeinde, dass sie ihm kämpfen hilft durch ihre Gebete für ihn zu Gott“ (Röm 15,30). Der Gemeinde ist es gegeben um Christi willen, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch um seinetwillen zu leiden. „habt ihr doch denselben Kampf, den ihr an mir gesehen habt und nun von mir hört“ (Phil 1,29-130). Von seinen Gefährten sagt der Apostel, sie hätten mit ihm für das Evangelium gekämpft“ (Phil 4,3). Paulus, Silvanus und Timotheus haben das Evangelium Gottes gesagt „unter viel Kampf“ (1.Thess 2,2). An Timotheus schreibt Paulus: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen“ (1.Tim 6,12). Von sich selbst kann er sagen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe 2.1.5. Die Sendung des Geistes 205 Glauben gehalten“ (2.Tim 4,7). Es gilt auch den Kampf gegen die eigene Sünde zu führen: „Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist“ (Hebr 12,1.4; Jak 4,1). Weltliche Machthaber werden „gegen das Lamm kämpfen, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige, und die mit ihm sind, sind die Berufenen und Auserwählten und Gläubigen“ (Offb 17,14). Die Waffen, die der Gemeinde für ihren Kampf zur Verfügung stehen, entsprechen der Ohnmacht Gottes, der unsichtbaren Gegenwart des Geistes, es sind geistliche Waffen, Waffen des Lichts, als solche aber sind sie mächtiger als die Finsternis: „Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören“ (2. Kor 10,4). „Auch gebt nicht der Sünde eure Glieder hin als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern gebt euch selbst Gott hin, als solche, die tot waren und nun lebendig sind, und eure Glieder Gott als Waffen der Gerechtigkeit“ (Röm 6,13). „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts“ (Röm 13,12). Paulus schildert die Art und Weise des Kampfes: „Wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten, und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben, und doch alles haben“ (2. Kor 6,3-10). Der Kampf geht nicht nur gegen das Fleisch. Im Epheserbrief heißt es:“ „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (6,12; 2,2; Lk 22,31). 2.1.5. Die Sendung des Geistes 206 Noch sind wir im Fleisch. Das Fleisch, auf das der Geist ausgegossen ist, streitet – wie wir sahen - wider den Geist (Gal 5,17). Der Geist zielt auf die Kreuzigung des Fleisches (V24). Geistempfang führt nicht automatisch zu einem geisterfüllten Dasein. „Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln“ (V25). Die Geistbegabten, weil sie nicht unfehlbar sind, bedürfen der Ermahnung. Der Geist schenkt Charismen, Erweise seiner Gnade in Hülle und Fülle. Das wertvollste und schönste seiner Charismen ist „das ewige Leben in Jesus Christus, unserm Herrn“ (Röm 6,23). Die Gabe des ewigen Lebens, Christus, aber will angenommen sein (Joh. 1,11-12; Kol 2,6). Das stürzt den Menschen in seiner „Flucht vor Gott“ (Picard, 1951) in seine tiefste Krise. Das Empfangen des ewigen Lebens geht nicht ohne die metnoia, die ihr Zeichen in der Todestaufe hat. Das Neue kann nur leben, wenn das Alte stirbt. Und was die anderen, zusätzlichen Gaben be- trifft, sie werden uns nicht in den Schoß gelegt. Nach ihnen ist zu streben (1. Kor.12,31). Das Empfangen birgt ein kritisches Element. Man kann Gaben empfangen und - vergraben. Wer seine Gabe – als Kirche oder einzelner Christ – nicht einsetzt, ist unnützer Knecht, wird in die Finsternis geworfen, (Mt 25, 14-30; par.). Schon das Handeln Gottes an Israel im Alten Testament ist für das Volk nicht nur durch Freude und Lob, sondern auch durch Verunsicherung gekennzeichnet. Gott selbst scheint sich zu ändern, gar zu widersprechen. Was bei ihm einmal galt, gilt später nicht mehr. Da wird als Sünde verworfen, was er einst selber geboten hatte. Fällt sich der Gott Israels selber ins Wort? Die Elemente heiliger Unbeständigkeit in seinem Reden und Handeln sind stark. Solche Unbeständigkeit liegt an der Untreue der Menschen. Jakob bekommt den Befehl, hinauf nach Bethel zu ziehen und Gott dort einen Altar zu errichten, dort anzubeten und zu opfern (Gen 35,1). Das wird später in den Königsbüchern als die größte Sünde bezeichnet. Das Opfern auf den Höhen ist Gott ein Gräuel (1. Kön 13,32). Gott soll allein im Tempel angebetet werden. Bei Jeremia aber wird das Pochen auf den Tempel zur Sünde (Jer 7,4). „Merkwürdiges Walten des Geistes. Was einmal Gehorsam war, kann zur Sünde werden. Die Ordnung, ja das Wort selber kann zur Sünde werden, wenn wir es vom Geiste lösen“ (Bohren 1963:171-172). Gott bleibt sich selbst treu. Darum aber 2.1.5. Die Sendung des Geistes 207 zerschlägt er liebgewordene Formen, wenn wir sie benutzen, um damit seine Wesensin- 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 208 halte zu veruntreuen. Wir können die Schrift der Form nach für uns haben, Gottes Geist aber gegen uns. „Machet zu Jüngern!“ lautet der Missionsbefehl. Die Praxis des „Zu-Jüngern- Machens“ ist in der Volkskirche kaum bekannt. Wir haben uns zu lange auf unserem Volkskirchentum ausgeruht: Viele Volksangehörige gehörten durch eine fragwürdig gewordene Taufpraxis zwar zur Kirche und zahlten ihre Kirchensteuern, aber an Christus glauben sie nach eigenem Bekunden nicht. Da sie formal als Christen gelten, war man weit davon entfernt, sie zu Jüngern machen. Auf diese Weise hat die Kirche es gänzlich verlernt. Wenn wir die Zeichen richtig deuten, ist der Herr der Kirche gerade dabei, diese volkskirchliche Form, die er zugelassen und auch gesegnet hat, aufzulösen. Verunsicherung macht sich breit. Die Heilige Schrift verwehrt uns jede Form von Sicherheit. Rechte Kirchen- und Gemeindeleitung zeigt sich nicht in einem Befolgen des biblischen Buchstabens, auch nicht im Befolgen des Buchstabens von Bekenntnisschriften oder Kirchenverfassungen. Bonhoeffer erinnert in Widerstand und Ergebung an Kirkegaard, der zu bedenken gab, dass Luther heute in vielem das Gegenteil von dem sagen würde, was er einmal gesagt hat; um damit für eine veränderte Zeit das zu sagen, was er einst gemeint hat (Bonhoeffer [1951]1968:53-54). Gemeinde ist bestimmt von einer letzten Unsicherheit. Die Alten nannten sie Gottesfurcht (s. Bohren 1963:172). 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde An dieser Stelle ist nicht vom Sendungsauftrag der Gemeinde als solchem zu zu sprechen, befasst sich diese Arbeit doch im Zusammenhang der Verkündigung mit diesem Thema. Die Sendung der Gemeinde, als eine der Sendungen Gottes, ist hier - wie auch die vorstehend behandelten Sendungen - bezogen auf die Freude, das Lob und das durch die Sünde der Gemeinde verursachte Leid. Jesus hat sich dem Vater gegenüber als der Gehorsame erwiesen. Er hat der Versuchung des Teufels widerstanden (Mt 4,1-11), hat von seiner Sendung nicht gelassen (s. 2.2.6.). Nach Mt folgt der Versuchung der Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa. Prophetenworte erfüllen sich (Jes. 8,23; 9,1). Das Licht geht auf über der Finsternis. Es ist der Beginn der Zeit der Predigt des nahe herbeigekommenen Himmelreichs, die zur Umkehr ruft. Dann folgt die Berufung der Jünger durch Jesus. Ehe er sie sendet, behält er sie lange und intensiv bei sich. Sie ziehen mit ihm, hören, 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 209 was er sagt (Mt 5-7), sehen was er tut (Mt 8-9). Zwischendurch sendet Jesus sie schon zu befristeten Einsätzen aus (Lk 6,1-6; 10,1.17-20). Schniewind (19568) spricht vom „Messias des Wortes“ (:37) und vom „Messias der Tat“ (:106). Danach leitet der Messias seine Jünger an, die Menschen mit seinen, Jesu Augen, zu sehen. Er sah sie als Verschmachtete, „zerstreut wie die Schafe die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). Dann zeigt er ihnen die Aufgabe, „die Ernte ist groß“. Dazu braucht das Reich Gottes Arbeiter. Darum ruft Jesus seine Jünger – noch nicht an die Arbeit – sondern in das Gebet um Arbeiter, (V 38). Die, die in seiner Schule waren, die nun Beter sind, die ruft er, gibt ihnen Macht, sendet sie, gebietet und sagt ihnen, wie sie sich in ihrer Sendung verhalten sollen (Mt 10,1-42). Im R u f e n , G e b e n , S e n d e n und G e b i e t e n besteht die Sendungsrede. Jesus schickt seine Jünger wie Schafe unter die Wölfe. Was es heißt, Schafe unter Wölfen zu sein, haben sie sehr bald erfahren. Es gab aber auch beglückende Zeitabschnitte: Von der ersten Gemeinde, die Pfingsten ihren Anfang nahm, heißt es, sie „lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden“ (Apg 2,47). Das Gotteslob und die Rettung der Menschen wirken zusammen, sind aufeinander bezogen, bestimmen das übrige Gemeindeleben. Die Gemeinde, die Gott lobt, ist dieselbe, die den Menschen zuruft: „Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht!“ (Apg 2,40; 2. Kor 5,20). Die ersten Christen wussten sich in der Nachfolge dessen, den der Prophet angekündigt hatte (Jes 42,1-4): „Siehe, das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, und mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat; ich will meinen Geist auf ihn legen, und er soll den Heiden das Recht verkündigen“ (Mt 12,18). Die Gemeinde kennt das Wort Jesu an die Pharisäer, die ihn wegen seines Umgangs mit den Sündern tadelten: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“ (Mt 9,13). Die Sünder zu rufen, ist bis heute ein Gott wohlgefälliges Lob. Gemeinde, dem Dreieinigen zugewandt, ist davon erfüllt, Verlorenen von der Herrlichkeit Gottes zu sagen, ruht doch auf ihnen das suchende Interesse des Himmelreichs. Zu Pfingsten kam der Geist Gottes über die Jünger Jesu. Die Verkündigung des Evangeliums begann - in parrjs°av (Apg 4,31 u.ö.). Ohne über „Doxologie und 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 210 Sendung“ als ein Thema breit zu reflektieren, ohne besondere Aufrufe zum Gotteslob oder zur Mission haben die ersten Christen das Selbstverständliche getan, was Gemeinden tun, wenn sie vom Geist der Freude und Liebe erfüllt sind, sie haben Gott gelobt und missioniert. Missionieren ist im Grunde nichts anderes als ein - im Sinne des Pneumas – begeistertes, doxologisches Nacherzählen der erfahrenen Gottestaten – extra muros ecclesiae: „Wer kann die großen Taten des Herrn alle erzählen und sein Lob genug verkündigen?“ (Ps 106,2). „Mein Mund soll des Herrn Lob verkündigen, und alles Fleisch lobe seinen heiligen Namen immer und ewiglich“ (Ps 145,21). „Das Volk, das ich mir bereitet habe, soll meinen Ruhm verkündigen“ (Jes 43,21). Erfüllt vom Heiligen Geist konnten sie es nicht lassen, von dem zu reden, was sie gehört und gesehen hatten (Apg 4,20; 8,4). Die Verkündigung über den eigenen Gemeindekreis hinaus drängte auf doxologische Sprache (Apg 2,14-36). Sieht die Doxologie vornehmlich Gott als Adressaten, so ergeht das Nacherzählen der Gottestaten eher an den Mitmenschen, wenn auch zwischen beiden „keine strikte Grenze“ zu ziehen ist (Smolik 1990:18). Gemeinsam ist beiden der Beweggrund und der Inhalt: die dçxa Gottes, seine großen Taten (Apg 2,11). Doxologie und missionarische Verkündigung sind theologisch zu unterscheiden, aber in der Praxis nicht zu trennen. Doxologie vollzieht sich selten stumm. Sie ist für Gottes Ohr bestimmt und wird zugleich vom Volk gehört (Apg 16,25; 2,47) zu dem sie regelrecht drängt (Apg 4,20; 8,4; 2. Kor 5,14). Missionarische Verkündigung hat in der Doxologie die Quelle, aus der sie sich speist. Sie spricht – in der Sprache der Hörer – doxologisch (Apg 2,11; 17,22-31) und hat dabei das Gotteslob der Hörenden zum Ziel, „das schöne Geschrei einer neuen Geburt“ (Bohren 1971:279). Die Erretteten sollen seine Werke mit Freuden erzählen (Ps 107,22). Gott zu loben, sowie den Nahen und den Fernen den Gekreuzigten und Auferstandenen zu verkündigen, beides war den Gemeinden der Urchristenheit so selbstverständlich wie das Atmen. Über das Atmen reflektiert und spricht man gewöhnlich nicht. Das geschieht in der Regel unreflektiert. So ist es mit dem Gotteslob und dem Nacherzählen. Ursprünglich ereignet sich beides mehr, als dass ihr Vollzug reflektiert, geplant und methodisch überlegt erfolgt. „Atmen“ wird erst durch Atemnot zum Thema. Asthmakranken bedeutet atmen zu können, Leben und Seligkeit. Luftmangel ist ihnen schmerzlich als 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 211 lebensbedrohend bewusst. Bewusstlose Asthmakranke dagegen nehmen ihre Atemnot nicht wahr. Toten schließlich bereitet selbst Atemlosigkeit keine Not. Die missionslose Gemeinde ist die tote Gemeinde. Auf ihren Lippen ist das Gotteslob entweder zur leblosen Liturgie erstarrt oder zum introvertierten „charismatischen“ Lobpreis verkommen (Jes 29,13; Mt 15,8; Mk 7,6). Die tote Gemeinde nimmt ihre Missionslosigkeit nicht mehr wahr: Sie hat nur den Namen, dass sie lebt (Offb 3,1). Sie bedarf der Auferstehung von den Toten. - Vicedom schreibt: „Wenn die Gemeinde ruht, dann schläft auch das Wort; wenn aber die Gemeinde es bezeugt, dann lebt es, dann wächst es, und die Gemeinde wächst mit … Ihr Zeugnis muss immer auf ein Ziel hin ausgerichtet sein: etliche zu gewinnen … Eine Gemeinde, die nicht das Ziel der Ausbreitung hat, ist keine Gemeinde Jesu Christi“ (Vicedom 1963:9). Theologie ist ihrem Wesen nach Doxologie und Missiologie. „Die Mission war anfangs mehr als eine Funktion, sie war fundamentale Lebensäußerung der Kirche. Die Anfänge einer Missionstheologie sind darum die Anfänge christlicher Theologie überhaupt“ (Kasting 1969:127). Das Selbstverständliche, dass Theologie Doxologie und Missiologie zugleich ist, ist weitgehend verlorengegangen. In der Gemeindepraxis sind Liturgie und Evangelisation oft so weit auseinandergedriftet, dass sie zu Kennzeichen miteinander streitender Lager geworden sind. Das zeigte sich einst in den Spannungen zwischen Bekennender Kirche und Berneuchener Bewegung (Mayer 1994:145) und setzt sich fort im Dissens zwischen evangelistischen Kreisen in der Kirche und der Ev. Michaelsbruderschaft. Darum sind Doxologie und Sendung theologisch zu reflektieren. Der Gemeinde ist Gottes Schönheit zu verkündigen. Wird sie von ihr erfasst, kann sie es nicht lassen, was schon die Apostel nicht lassen konnten, Christus auf den Dächern zu predigen. Auf diese Weise wird die proklamatorische und anbetende Hymnik, die aus unseren Gottesdiensten weitgehend verschwunden ist (Smolik 1990:17) lebendig. Liturgie kann nur im doxologisch - missionarischen Zusammenhang recht getrieben werden. In Abwandlung des bekannten Satzes von Bonhoeffer müssen wir sagen: „Wer nicht um Christi willen die Verlorenen ruft, darf nicht gregorianisch singen.“ Es fiel uns bereits auf, dass im NT relativ wenig über das Gotteslob und die Sendung der Gemeinde im Zusammenhang reflektiert wird. Dabei hat es nie wieder 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 212 zugleich eine derart Gott lobende Gemeinde und solch eine sich daraus ergebende rege Missionstätigkeit gegeben, wie in dieser Zeit. Sie reagierten geradezu spontan auf die Werke Gottes, taten das Selbstverständliche. So wenig, wie jemand zum Atmen ermahnt werden muss, so wenig mussten sie ermahnt werden, Gott zu loben und den Juden wie den Heiden das Evangelium zu verkündigen. „Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund“ (Lk 6,45). Sie lebten glaubwürdig, lobten Gott und fanden dadurch Wohlwollen beim ganzen Volk. Das Ergebnis war, dass der Herr täglich zur Gemeinde hinzufügte, die gerettet wurden. Die Gemeinde war als die lobende Schar missionierendes Werkzeug in der Hand des Sendenden, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Weil sie existentiell im Gotteslob lebte, darum auch in der missio Dei. Ohne etwas von dem gerade Beschriebenen zurückzunehmen, ist das andere auch wahr: Das Leben der Gemeinde ist unsichtbar: „Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ (Kol 3,3). Daraus ist nicht der Schluss zu ziehen, dass sie, was ihre Gestalt und Gestaltung betrifft, in Passivität zu versinken hätte. Das Bild, das die Gemeinde abgibt, lässt von Gottes Schönheit oft wenig erkennen. Es gilt auch hier: Die Kategorie des Schönen ist ein eschatologischer Begriff (s. Röm 8,22-23). Die Gemeinde, in der Gott schön wird, existiert zeichenhaft. Die Schönheit Gottes zeigt sich in Bruchstücken, nicht in Vollkommenheit. Der Auferstandene schilt den Unglauben derer, deren Namen im Himmel geschrieben sind (Lk 10,20), und die Härte ihres Herzens (Mk 16,14). Als er sie vor dem „Sauerteig der Pharisäer“ warnt, verstehen sie nichts. „Und er merkte das und sprach zu ihnen: Was bekümmert ihr euch doch, dass ihr kein Brot habt? Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr noch nicht? Habt ihr noch ein verhärtetes Herz in euch? Habt Augen und seht nicht, und habt Ohren und hört nicht“ (Mk 8,14-18). „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“, fragt Jesus den versunkenen Jünger (Mt 14,31). Vergeblich versuchen die Jünger den mondsüchtigen Knaben zu heilen. Jesus muss ihnen sagen: „O, du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch erdulden?“ (Mt 17,17). Als die Jünger ihn „heimlich“ fragen, warum sie es nicht vermocht hätten, erwiderte Jesus: „Wegen eures Kleinglaubens“. Er muss sie zurechtweisen, als sie die Kinder nicht zu 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 213 ihm lassen wollen (Mt 19,13-15). Petrus, dem der Vater im Himmel offenbart hatte, dass Jesus der Christus ist, will den Herrn von seinem Leidensweg abhalten: „Und Petrus nahm ihn beiseite und fuhr ihn an und sprach: Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht! Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist“ (Mt 16,22f). Für Paulus ist Gemeinde eine Versammlung von Törichten und Schwachen: „Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme“ (1. Kor 1,26-29). Die Briefe des NT legen allesamt Zeugnis davon ab, dass sich die schöne Gemeinde durch den Glauben an das Evangelium nicht automatisch einstellt. Da sind reichlich Mahnungen und Warnungen, Zurechtweisungen und Tadel. Dennoch werden die Gläubigen „Heilige“ genannt. Schlatter fragt, ob die Sünde nur aus der Natur entstehe. „Entsteht sie nicht auch aus unserem geistigen, übernatürlichen Besitz, aus unseren Heiligtümern, nicht nur aus dem Gesetz, sondern ebenso aus dem Evangelium? Es gibt nichts Christliches, was nicht Anlass zur Sünde wurde. Bibel, Kirche, Jesu Kreuz, der Heilige Geist, Sakrament und Pfarramt, Gebet und Theologie, Glaube und Buße – an jeden christlichen Besitz hat sich eine unnennbare Menge von Versündigungen geheftet. Wollen wir deshalb vor dem Christentum fliehen? ... Das neutestamentliche Wort ist nicht Flucht, sondern Überwindung des Bösen“ (Schlatter 1929:51). Gott wird schön in der Gemeinde der Sünder. Praktische Theologie wird schlechte kirchliche Verhältnisse nicht verteidigen. Sie wird die Hässlichkeit der Gemeinde annehmen – sie aber nicht auf sich beruhen lassen. Die Gemeinde hat Verheißung. Wirksam wird die Verheißung, wo sie im Gehorsam ergriffen wird und sich die Gemeinde zu konkreten Handeln führen lässt. Glaube und Verkündigung sind auf Verherrlichung Gottes aus. Der Hässlichkeit der Gemeinde ist nur beizukommen 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 214 durch Verwandlung: „Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden s o verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist“ (2. Kor 3,18). Wenn Gemeinde von der Widerspiegelung der Herrlichkeit Gottes absieht, bleibt ihr nur, sich im Machbaren zu verlieren. So verleugnet sie den Geist. „Zur Norm wird dann nicht das Gleichgestaltet-Werden zum Bilde des Sohnes, sondern das im kirchlichen Alltag Erfolgversprechende. Kirche wird dann zum Postulat, und ihre in der Geistesgegenwart geschenkte Wirklichkeit bleibt ungeschenkt und ungenutzt“ (Bohren 1975:124). Fleischliche Betulichkeit mag Erfolge zeitigen, aber keine Frucht (Gal 5,22-23). „Praktische Theologie als theologische Ästhetik geht gerade da, wo sie das zu Machende bedenkt, primär nicht aus von dem, was sein soll oder zu tun ist; sie theoretisiert zuerst nicht ein zu Leistendes, sondern ein Gegebenes: Praktische Theologie geht aus von der Charis, das heißt ‚Gnade’, aber auch ‚Anmut des Schönen’. Sie geht nicht von einem Sein-Sollenden primär aus, sondern von einem Seienden und Werdenden. Sie reflektiert, was von der Anmut des Schönen wirksam ist, und reflektiert dann unser Wirken im Vorschein der Charis“ (Bohren 1975:145). Wenn Praktische Theologie zu Recht das Gegebene theoretisiert, dieses Gegebene von der Gemeinde aber nicht empfangen wurde, ergibt sich mehr als ein hermeneutisches Problem: Dann sprechen wir aufgrund der zugrunde liegenden Glaubensnot zu fiktiven Gemeinden. Predigen wir wirklich zu Gemeinden, die aus der Gnade leben, vom Geist erfüllt, von der größten und schönsten Gabe und Aufgabe getragen und zusammengehalten? Predigen wir nicht vorwiegend zu Versammlungen von unverbindlichen Individualisten, zu einem Predigpublikum, das sich religiös versorgen lässt oder sich in Aktivitäten verströmt, zu denen es primär gar nicht berufen ist? Wir wissen kaum w a r u m wir predigen, immer weniger auch w a s wir zu predigen haben (1.3.1.) und w o z u wir predigen (1.2.6.1.; 1.3.4.; 3.3.), besonders ist unklar, w e m wir predigen. Wem predigen wir? Kutter (1912: 64-66) spricht davon, dass Pfarrer bloße Gesetzesprediger geworden sind, weil sie entscheidende Unterschiede nicht beachten. Wir seien 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 215 Gesetzesprediger, „welche die großen Heilstatsachen des Evangeliums, die den Forderungen der christlichen Moral zugrunde liegen, gegen diese Forderungen ganz und gar zurückgestellt haben.“ Mit anderen Worten: Wir predigen über die Konsequenzen des Evangeliums, aber kaum noch das Evangelium. Dazu komme, „dass die Notwendigkeit, unsere Texte aus der Bibel zu schöpfen, uns immer wieder in dem, von der Wirklichkeit gänzlich widerlegten Vorurteil erhält, als ständen wir geschlossenen Gemeinden gegenüber, wie dies bei den Aposteln der Fall war ... W a s w i r G e m e i n d e n e n n e n , i s t e t w a s g a n z a n d e r e s , a l s w a s d i e A p o s t e l d a r u n t e r v e r s t a n d e n , nach Inhalt und Form, so dass es durchaus fehlgegriffen ist, wenn wir, um unserer Wirksamkeit den Eindruck der Geschlossenheit zu verschaffen, von unseren ‚Gemeinden’ im biblischen Sinne reden. Wir haben keine Gemeinden, an welche wir die Gebote des christlichen Glaubens ohne weiteres zu richten vermöchten“ (Hervorh. KE). Darum sei, so Kutter, unsere Gewohnheit, an unsere Zuhörer die apostolischen Mahnworte zu richten, ein „äußerst bedenkliches Unternehmen“. Die Prediger einerseits vergessen das totale Quiproquo ("wer für wen?", die Verwechslung einer Person mit einer anderen, KE). Sie übersehen, dass sie anders geartete Hörer vor sich haben, als es zur Zeit des NT gegeben war. Die Hörer andererseits „vermögen es nicht, sich in die Menge hochgespannter und übertriebener Zumutungen, als welche ihnen nun die Predigt erscheinen muss, zu finden.“ „Wir predigen in der doktrinären Voraussetzung – wie namentlich Schleiermacher uns eingeimpft – als seien unsere Zuhörer Christen von der Beschaffenheit derjenigen der apostolischen Gemeinden, wo wir doch ein seltsames Gemisch aller möglichen und unmöglichen Standpunkte, die sich unter der Kanzel zusammenfinden, zu bedienen haben. Wo Geist und Leben eine Gemeinde desselben Glaubens durchdringt, da ist es natürlich höchst angebracht, auf Betätigung dieses Lebens zu dringen, da hat die christliche Moral ihr normales und fruchtbares Wirkungsfeld. Wo aber diese Grundbedingung fehlt, ist auch jedes Moralisieren verfehlt, weil es gerade das übersieht, was doch jeder Ermahnung Sinn und Verstand gibt: die Möglichkeit, die Kraft der Ausführung“ (Kutter 1912:66). Die Apostel, so Kutter an anderer Stelle (1927:113), haben a u s Jesus geredet, nicht ü b e r ihn. „Er allein ist die ‚christlichen Tugenden’; ‚ziehet an den Herrn Jesum’ ist dasselbe wie ‚ziehet an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, 2.1.6. Die Sendung der Gemeinde 216 Geduld’. Al le e th i schen Ermahnungen der Aposte l se tzen Jesus voraus . Die Gemeinden, zu denen sie reden, sind Jesusgemeinden“ (Hervorhebung K.E.). 217 2. 2. Das Ziel der Sendung Jesu: Um Gottes willen Verlorene retten Cur Deus homo? Warum wurde Gott Mensch? Anselms Frage nach dem Warum impliziert ein Wozu. - Gott wurde Mensch, damit die Schöpfung den Schöpfer wieder lobe: „Herr, unser Gott, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Willen waren sie und wurden sie geschaffen“ (Offb 4,11). „Dem aber, der euch stärken kann gemäß meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, durch die das Geheimnis offenbart ist, das seit ewigen Zeiten verschwiegen war, nun aber offenbart und kundgemacht ist durch die Schriften der Propheten nach dem Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden: dem Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit! Amen“ (Röm 16,25-26). Die Gemeinde weiß sich in den großen Zusammenhang von Schöpfung, Erlösung und Parusie gestellt. Sie versteht die Sendung Christi als von Ewigkeit her gesche- hen, ihr zu gut: „Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt“ (1. Petr 1,20-21). Sich selbst erkennt die Gemeinde ebenfalls als von Ewigkeit her erwählt: „Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war …“ (Eph 1,4). Zugleich schaut sie voraus auf das Kommen des Herrn: „Maranata!“ (1. Kor 16,22; Offb 22,20). „Alles an ihm ist Kommen“ predigt ein Pfarrer (Schönberg 2002: 14). Dabei sieht sich die Gemeinde mit der Frohbotschaft auf festen Grund gestellt: das Alte Testament. Es ist ihr wichtig als das Buch der Verheißung auf Christus hin. Aber w o z u ist er gekommen? Dieses vorweg: „Gottes Bund mit Israel, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus sind das eigentliche Thema der Heilsgeschichte. Es geht nicht um eine Ab- straktion, sondern um unser persönliches Heil“ (Schniewind-Michel, 1988:37). Aus diesem Grunde singt die Gemeinde bei uns: „Gottes Sohn ist kommen uns allen zu Frommen hier auf diese Erden in armen Gebärden, dass er uns von Sünde freie und entbinde“ (EG 5,1). 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 218 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche Für seine messianische Aufgabe bezeichnend, redet Jesus von seinem Kommen (rcomai). Er legt dar, w o h e r und w o z u er gekommen ist: Von Gott ist er gekommen (Joh 8,42), zu suchen und zu retten, was verloren ist (Lk 19,10). Das Ziel seiner Sendung ist, u m G o t t e s w i l l e n Verlorene zu retten. Entweder beginnen die Logia Jesu mit der negativen Formel oÇk Úlqon oder mit der positiven Úlqon. „Man kann sie unter dem Begriff der Úlqon-Sprüche zusam-menfassen“ (Schneider, THWB II:664). Die Úlqon-Sprüche führen bei den S y n o p t i k e r n „in das Zentrum der urchristlichen Heilsbotschaft. Sie handeln von Jesus, dem Messias, von Sinn und Wesen seiner Erscheinung, von der Stellung der Menschen ihm gegenüber und von der Entscheidung für seine Verkündigung ... In ihnen spricht sich die Sendungsgewissheit Jesu aus“ (:664). Die Echtheit einzelner Úlqon-Sprüche steht hier nicht zur Debatte. Einige mögen ihre letzte Ausformung durch die Gemeinde bekommen haben. Dennoch ist zu sagen, dass sie dem messianischen Selbstbewusstsein Jesu entstammen und sich daraus erklären (:665). Jesus spricht von sich als dem Menschensohn, in den synoptischen Evangelien ca. 70 mal, 12 mal im Joh. Die Anklänge an den apokalyptischen Menschensohn von Daniel 7, der das Kommen der Gottesherrschaft repräsentiert, sind unüberhörbar. Spätere Reflektionen über den Menschensohn ver- weisen darauf (Mk 13,26; 14,62; Offb 1,13; 1,14). Der Menschensohn ist „nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45, par). Den Menschen in ihrer Selbstbezogenheit zu Diensten zu stehen, ist nicht sein Ziel, sondern ihnen als Erlöser zu dienen. Selbsthingabe zur Erlösung der Vielen ist Sinn seines Kommens. Dabei ist er „gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“ (Mt 9,13). Lukas fügt hinzu: „Ich bin gekommen die Sünder zur U m k e h r zu rufen, (5,32). Zu Zachäus sagt Jesus: „der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ (Lk 19,10). Jesus beschreibt seine Aufgabe: ´na ka± ke² kjrÀxw e¸v toÂto gr xÒlqon, er kam, um zu verkündigen (Mk 1,38 par), Sünder zur Umkehr zu rufen (Mk 2,17; Lk 5,32), eine 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 219 neue Lebensordnung zu schaffen, indem er das von Gott gegebene Gesetz erfüllt (Mt 5,17), aber auch zu bewirken, dass unter den Menschen um der Wahrheit willen Scheidung entsteht (Mt 10,34-37; Lk 12,51-53). Unter dem Protest der Schriftgelehrten setzt sich Jesus mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch (Mk 2,15-17). Durch den Tischsegen sind sie, weil sie vom selben Brot essen, in der Tischgemeinschaft verbunden. Diese bedeutet engste Gemeinschaft überhaupt. „Er vollzieht damit auf Erden, was Bild der eschatologischen Gottesgemeinschaft ist (13,25-29; 14 und 15,23-32)“ (Grundmann 19695:305). Im AT hatte es geheißen „Wohl dem, der nicht sitzt im Kreis der Spötter“ (Ps 1,1). Da muss Jesu Mahlgemeinschaft in den Augen der Schriftgelehrten einer Verachtung der Tora gleichkommen. Jesus zeigt Verständnis für solches Denken und geht erklärend darauf ein: Er setzt sich nicht zu den Zöllnern und Sündern, um einer von ihnen zu werden. Er versteht sich als ihr Arzt (Mk 2,17). Es ist die Sendung Jesu, den Sündern Vergebung zu schenken, sie in die Gottesherrschaft zu rufen. „Wo immer Jesus Sündern seine Gemeinschaft schenkt, sei es durch Tischgemeinschaft, sei es durch die Heilung eines Kranken, sei es durch die Berufung in die Nachfolge, geschieht, ohne das dies ausgesprochen wird, Vergebung von Gott her. ... Vergebung bedeutet nicht nur Tilgung von Schuld, sondern Wiederherstellung von Gemeinschaft, die Wiederaufnahme des Geschöpfes durch seinen Schöpfer als Aufnahme in das Leben der endzeitlichen Herrschaft Gottes.“ (Goppelt 1985;181). In den Zusammenhang der Úlqon-Sprüche gehören auch Rufe der Dämonen, die Jesu Wesen erkennen und in Anrede an ihn den Zweck seines Kommens auf ihre eigene Vernichtung hin deuten. Mk 1,24: „Was willst du von uns, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu vernichten. Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!“ (s. Lk 4,34; Mt 8,29). Der Zweck des Kommens Jesu lässt sich auch an den Úlqon-Sprüchen verdeutlichen, die vom Kommen der Menschen zu Jesus handeln: „Und er ging mit ihnen hinab und trat auf ein ebenes Feld. Und um ihn war eine große Schar seiner Jünger und eine große Menge des Volkes aus ganz Judäa und Jerusalem und aus dem Küstenland von Tyrus und Sidon, die gekommen waren, ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden; und die von unreinen Geistern umgetrieben waren, wurden gesund. Und alles Volk suchte, ihn 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 220 anzurühren; d e n n e s g i n g K r a f t v o n i h m a u s , und er heilte sie alle“ (Lk 6,17-19). êti dÀnamiv par@ aÇto xÐrceto. Die Menschen drängen zu ihm. Sein Kommen ist von Krafttaten begleitet. Jesus kam in der Kraft des Geistes nach Galiläa (Lk 4,14). „Und die Kraft des Herrn war mit ihm, daß er heilen konnte“ (Lk 5,17). Später nennt Paulus das Evangelium von Jesus Christus selbst „eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben“ Röm 1,16). Das Kommen der Menschen zu Jesus ist nicht unbedingt von Bedeutung, wird es aber dann, wenn es ein kultisches Handeln in sich schließt. Auf das rcesqai folgt das proskune²n, das der Messiaswürde Jesu entspricht. Das proskune²n und prosp°ptein ereignet sich bei Menschen - oft sind es einzelne - die in enge Berührung mit Jesus kommen: „Und siehe, ein Aussätziger kam heran und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen“ (Mt 8,2; 9,18; 14,33; 15,25; Mk 5,33). Erinnert sei auch an die mgoi, die aus dem Morgenland gekommen sind, ihn anzubeten (Mt 2,2). Für sich genommen, entspricht auch die kultische Form noch nicht dem Ruf Jesu. Es kommt Jesus nicht auf äußeren Kult, sondern auf die Nachfolge an. Es bedeutet ìp°sw rcesqai die volle Hingabe an ihn. „Es setzt das einfache, aber freudige und willige Kommen zu Jesus voraus, das auf einem klaren Willensentschluss des Menschen beruht“ (THWB, II:666): „Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34; Mt 16,24). Das Kommen der Menschen zu Jesus umfasst das Hören auf sein Wort, das Tun seiner Weisungen und ein Handeln, das ein Sich-Selbst-Verleugnen bedeutet. Lk 14,17 beschreibt die Einladung zum großen Abendmahl: „Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit!“ Dem Ruf aber wird nicht folgegeleistet (14,18). Im Gleichnis von der königlichen Hochzeit, geht es um die gleiche schmerzliche Erfahrung Jesu (Mt 22,1-14). „Der entscheidende Moment aber in jedem Menschenleben ist der, dass der Mensch aus der Situation der Verlorenheit wieder heimfindet zu Gott, der sein Vater ist (Lk 15,20.30)“ (THWB, II:666). 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 221 Jesus liegt daran, dass auch die Kinder zu ihm kommen. Für sie ist er genauso der Verkündiger, der ihnen das Heil bringt (Mt 19,14 par), wie den Erwachsenen. In weiteren synoptischen Elthon-Sprüchen geht es um das eschatologische Kommen des Reiches und des Messias. „Dein Reich komme!“ lautet das Gebetswort, das Jesus seinen Jüngern gibt, (Mt 6,10; Lk 11,2). Wenn das Reich kommt, kommt es in Kraft (Mk 9,1). In der zukünftigen basile°a wird den Menschen, die Jesus nachfolgen, ewiges Leben zuteil: „Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlässt um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfach empfange: jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen - und in der zukünftigen Welt das ewige Leben“ (Mk 10,29-30). Lk 18,29-30 notiert „um des Reiches Gottes willen.“ Nach rabbinischer Anschauung ist der M e s s i a s der Kommende. Er leitet die Heilszeit ein. Der zweifelnde Täufer fragt: „Bist du, der da kommen soll?“ (Mt 11,3; Lk 7,19.20). Beim Einzug in Jerusalem (Mt 21,9 par) jubelt die Volksmenge: „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ (Ps 118,25-26). Jesus i s t der verheißene Messias. Am Ende der Tage wird er kommen in Herrlichkeit und Macht: „Denn es wird geschehen, dass der Menschensohn kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun“ (Mt 16,27). Er kommt auf den Wolken des Himmels (Mt 24,30). Wann Christi Parusie sein wird, ist nicht bestimmt (Mt 24,42 par). Er wird aber plötzlich kommen (Mk 13,36). Dem wird das Auftreten falscher Propheten vorangehen, die mit messianischem Anspruch auftreten (Mt 24,5 par). In einigen Gleichnissen ist vom Kommen Gottes zum G e r i c h t die Rede. Der Herr des Weinbergs kommt, um die bösen Weingärtner, die seine Knechte und seinen Sohn getötet haben, zu richten (Mt 21,40 par). Der unfruchtbare Feigenbaum muss verdorren, weil er keine Frucht trägt (Lk 13,6-7). Das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern (Mt 25,14-30, par) erzählt von der Gemeinde, die das ihr Anvertraute entweder gut verwaltet oder aber vergraben hat. Letztere trifft das Gericht. Der j o h a n n e i s c h e Christus steht mit „den Juden“ in besonderer Auseinandersetzung. Sie erkennen seine Messiaswürde nicht an. Hier haben die 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 222 Úlqon - Sprüche gelegentlich fast polemische Züge und beziehen sich betont auf das Woher des Kommens Jesu: „Da rief Jesus, der im Tempel lehrte: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt“ (7,28). Hier ist erneut ausgesprochen, dass Jesu Kommen von Gott her geschehen ist. Der Wille Gottes steht hinter seinem Kommen. Der Juden sagt er: Wäre Gott euer Vater, so liebtet ihr mich; denn ich bin von Gott ausgegangen und komme von ihm; denn ich bin nicht von selbst gekommen, sondern er hat mich gesandt“ (Joh 8,42). Das Kommen Jesu hat nicht den Zweck, Menschen der Finsternis zu überlassen: „Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe“ (12,46). Die Bedeutung seines Kommens geht über die Errettung einzelner hinaus. Es geht um die Rettung des Kosmos aus der Gottentfremdung: „Wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette“ (12,47). Wer ihn aber verachtet, seine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter, Jesu Wort wird ihn richten am jüngsten Tag (V 48). An Christus scheiden sich die Geister. Die Krisis der Menschen besteht darin, dass das Licht in die Welt gekommen ist, aber sie haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht (3,19). Das Kommen der Menschen zu Jesus ist, wie bei den Synoptikern, verteilt auf das Kommen einzelner (Nikodemus 3,2) oder der großen Menge (3,26; 6,5;.10,41). Jesus lädt zu sich ein, wen nach dem Heil verlangt (7,37). Das Kommen zu ihm bedeutet innere Bereitschaft, sein Jünger zu werden (1,47). Wer kommt, wird nicht hinausgestoßen (6,37), er empfängt ewiges Leben (6,35). Letzte entscheidende Instanz für das Kommen zu Jesus ist nicht der Wille der Menschen, sondern Gott. Nur der, der von Gott gelehrt ist, kommt auch zu ihm (6,45). Niemand kann zu ihm kommen, es sei denn, dass der Vater ihn zieht (6,44) Das Kommen zu Jesus ist von Gott gewirkt. Die Entscheidung des Menschen ist demnach eine von Gott gewirkte. Letztlich steht hinter diesen Aussagen der Gedanke der göttlichen Erwählung: „Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben“ (6,65). Die zu Jesus Gekommenen, sind bereits gerettet, das sind die Glaubenden (5,24). Aus ihrem Munde stammt das Bekenntnis: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 223 bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist“ (11,27) Der zu Jesus gekommene und glaubende Mensch ist wiedergeboren aus dem Geist, seine Herkunft ist im Tiefsten ein Geheimnis: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist“ (3,8). - Es gibt Menschen, die sich weigern, zu Jesus zu gehören. Vornehmlich sind es o³ HIouda²oi die sich ihm widersetzen: „aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet“ (5,40). Die Spannung zwischen 5,40 und 6,44 bleibt unaufgelöst. Die J o h a n n e s b r i e f e kennen neben dem Kommen Christi auch das Kommen des Antichristen als ein Zeichen der letzten Stunde (1. Joh 2,18). Besonderer Nachdruck liegt darauf, dass Jesus ins Fleisch gekommen ist. Hier zeigt sich der Kampf gegen den aufkommenden Doketismus, der Jesu Kommen als nur scheinbar geschehen ansieht: „Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott“ (1.Joh 4,2). Die Apokalypse lebt in der Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi: „Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst. - Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald. - Amen, ja, komm, Herr Jesus!“ (22,17.20). Die Úlqon - Sprüche in den P a u l i n e n handeln vorwiegend vom eschatologischen Kommen Christi, zwei Stellen jedoch vom ersten Kommen. 1. Tim 1,15: „Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.“ Eph 2,17: „Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.“ Die eschatologischen Aussagen des Apostels über das Kommen Christi entsprechen urchristlicher Tradition. Auch Paulus erwartet die baldige Wiederkunft: „Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden“ (1. Kor 4,5; 16,22). Auch der Abendmahlstext enthält einen Hinweis auf Christi Wiederkunft (1. Kor 11,26). Er wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht (1. Thess 5,2), und zwar in 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 224 seiner messianischen Herrlichkeit (2. Thess 1,10). Es kommt das Vollkommene und alles Stückwerk ist zu Ende (1. Kor 13,10). Der Zorn Gottes kommt über die „Kinder des Ungehorsams“ (Kol 3,6; Eph 5,6). Vor dem Tag des Herrn kommt der Abfall und der Mensch der Bosheit wird offenbar (2. Thess 2,3). rcesqai wird von Paulus auch gebraucht, um das Eintreten wichtiger Ereignisse in der Heilsgeschichte zu bezeichnen. Als besonderen Einschnitt in der Heilsgeschichte sieht er „das Kommen des Glaubens“, die Zeit, die statt durch den nçmov  durch die p°stiv bestimmt ist: „Ehe aber der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen auf den Glauben hin, der dann offenbart werden sollte“ (Gal 3,23.19; 4,4). Sonst finden wir im NT vornehmlich einen eschatologischen Gebrauch. Vom Kommen des großen Gerichtstages ist in Apg 2,20 die Rede: „die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe der große Tag der Offenbarung des Herrn kommt. Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden.“ Auf atl. messianische Weissagungen bezogen (Jer 31,31-34) weist der H e b r ä e r b r i e f auf die kommende Heilszeit hin: „Gott tadelt sie und sagt: Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da will ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen“ (Hebr 8,8). „Denn nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben“ (Hebr 10,37). Apg 19,6 mag auf die Vorstellung hindeuten, dass die Heilszeit schon gegenwärtig ist: „Und als Paulus die Hände auf sie legte, kam der heilige Geist auf sie, und sie redeten in Zungen und weissagten.“ Die Fülle der Aussagen über das Wozu des Kommens Jesu haben eine Mitte, um die sich alles andere dreht: Jesus Christus ist gekommen, Sündern zu vergeben, die Welt zu erlösen, nach Gottes Willen. Das ist seine Vollmacht: „Damit ihr aber wisst, daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden die Sünden zu vergeben - sprach er zu dem Gelähmten: Steh auf, hebe dein Bett auf und geh heim! Und er stand auf und ging heim. Als das Volk das sah, fürchtete es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat“ (Mt 9,6-8). Das ist zugleich das Zentrum der Frohbotschaft des NT. Sein Erlösungswerk findet vor dem Horizont der Ewigkeit statt. In alledem hat er die Heiligung des Namens des 2.2.1. Der Gekommene - die Úlqon-Sprüche 225 Vaters, das Kommen des Reiches Gottes zu den Menschen und die Erfüllung des göttlichen Willens im Auge (Mt 6,9-10; Joh 4,34). „Denn das ist der Wille meines 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi 226 Vaters, dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“, Joh 6,40. Das ist das Ziel des Kommens Jesu: um Gottes willen Verlorene retten. Eine neue Zeit ist gekommen, die Zeit des Gesetzes ist abgelöst durch die Zeit des Glaubens, der aber hat Heilsbedeutung. 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi Hanssen ([1970] 1999:13-30) hat eine missionstheologische Studie zum Verständnis der Bergpredigt vorgelegt. Er legt dar, worin die besondere Art der Verkündigung des Evangelisten Matthäus besteht: „Sie geht nicht so sehr von der Verlorenheit des Menschen und seiner Hilfsbedürftigkeit aus - ein verborgener anthropozentrischer Ansatz - sondern sieht in der basieleia primär die Machtergreifung Gottes, der jetzt endlich den Gehorsam der Menschheit fordert, die gerufen wird, seinen Willen zu tun ... Es wäre für die Mission heute viel gewonnen, wenn sie diese Botschaft des Evangelisten hören würde, dass die Mission nicht primär um des Menschen, sondern u m G o t t e s w i l l e n geschieht. Diese Theozentrik ist uns heute bei unserer sich überschlagenden Anthropozentrik bitter notwendig“ (:29-30; Hervorhebung KE). Diese Einsicht ist wichtig und für die folgenden Darlegungen um den Begriff ‡pðlumi im Auge zu behalten, jedoch eingedenk der Tatsache, dass neben dem Motiv der Machtergreifung auch das Motiv des Erbarmens bei Mt seinen Ort hat (9,36). Die Aussage Vicedoms ist neben die von Hanssen zu stellen und zu hören: „Wenn wir uns fragen, warum Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat, dann gibt es darauf nur eine Antwort: Aus seinem Erbarmen mit den Menschen heraus. Gott hat sich der Menschen erbarmt. Darum hat er die Sendung begonnen. Wenn wir von diesem Missionsmotiv nichts wissen, wenn unser Herz davon nicht durchdrungen ist, wird die Mission für uns immer ein Werk bleiben, das in unser Belieben gestellt ist. Die Mission ist aber auch von dem Wesen der Gemeinde her gegeben. Die Gemeinde ist durch das Erbarmen Gottes entstanden.“ (Vicedom 1963:11-12). Wer das NT liest, stößt auf die Tatsache des Verlorengehens, von „Verlorenen“ wird gesprochen. Begriffe dieser Art werden in der Theologie weitgehend verdrängt und darum verschwiegen. Verdrängung ist der Psychologie als Maßnahme bekannt: „Man schiebt einen unangenehmen Inhalt, an den man nicht erinnert sein möchte, 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi 227 solange beiseite, bis er aus dem Bewusstsein restlos ausgestoßen ist … Diesen Vorgang nennt man V e r d r ä n g u n g “ (Remplein 1967:98). „Verdrängung ist ein künstlicher Gedächtnisverlust, eine selbstsuggerierte Amnesie“ (C.G. Jung; zitiert ebd.). Amnesie ist Gedächtnisschwund. Der Versuchung, die Worte der Schrift vom Verlorengehen zu verdrängen, ist um Gottes und des Heils der Menschen willen zu widerstehen. Die Mehrzahl unserer Zeitgenossen leben nach ihren eigenen Worten ohne Glauben an Christus. Die Liebe gebietet, nach ihrem ewigen Schicksal zu fragen. Wenn niemand zum Vater kommt, als allein durch Christus - was ist mit denen, die sich gegen Christus entschieden haben? Spricht Gottes Wort von der Möglichkeit des Verlorengehens, darf kirchliche Verkündigung, die ihrem Wesen nach eine priesterliche ist, dazu nicht schweigen. Kann es Nächstenliebe genannt werden, wenn Christen wider besseres Wissen den Ernst der Dinge nicht sagen? Den Zustand der nicht an Christus Glaubenden wortlos hinzunehmen ist verwerflich. Wir dürfen es uns nicht leicht machen, wo es um den erklärten Willen Gottes in Bezug auf das Heil von Menschen geht. Merz spricht vom „Priesterlichen Dienst im kirchlichen Handeln“ und betont: „Wer sich’s bequem macht, wer den Schwierigkeiten aus dem Wege geht, der kann weder ein Anwalt der Menschen bei Gott, noch ein Bote Gottes an die Menschen sein. Er geht der Not aus dem Wege, in die man eingedrungen sein muss, um den priesterlichen Auftrag zu entdecken, er achtet viel zu wenig auf die Schäden, die nach Abhilfe verlangen“ (Merz 1952:17). Ist es erlaubt, von den Menschen ohne Christus als von Verlorenen zu reden? Die Hl Schrift erlaubt es sich – u m G o t t e s w i l l e n ! Keinem Christen ist erlaubt, zu richten oder sich pharisäisch über Nichtglaubende zu erheben. Was Christen haben, haben auch sie nur empfangen (1. Kor 4,7). Christen waren Verlorene, die ohne ihr Verdienst gefunden und gerettet wurden: „Aus Gnaden seid ihr gerettet worden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, damit sich nicht jemand rühme“ (Eph 2,8-9). Da Christen sich und ihre Rettung allein der Gnade Gottes zu verdanken haben, ist es kaum zu begreifen, dass sie nicht von der unstillbaren Sehnsucht erfüllt sind, dass andere die gleiche Gnade erlangen, der gleichen Rettung teilhaftig werden und 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi 228 damit die gleiche Freude erfahren. Darüber zu reden, andere zu bitten, sich mit Gott versöhnen zu lassen (2.Kor 5,20) - wie können Gemeinden das versäumen? (Apg 4,20). Am Willen Gottes scheint ihnen nicht so sehr gelegen zu sein, wie sie in ihren Gottesdiensten beim Vaterunser vorgeben. Christus, der gekommen ist, das Verlorene zu suchen, sendet seine Gemeinde in die Welt, den Verlorenen das Heil zu verkündigen. Hier wird nicht von oben herab geredet. Hier wird der Ewigkeitsernst deutlich, der dem Evangelium und dem Sendungsauftrag eigen ist. Dem unüberbietbar schönen Evangelium entspricht ein unüberbietbarer Ernst der Frohbotschaft. Im AT wird dem Propheten befohlen, den Gottlosen zu warnen, damit er am Leben bleibe: „Wenn ich dem Gottlosen sage: Du musst des Todes sterben! und du warnst ihn nicht und sagst es ihm nicht, um den Gottlosen vor seinem gottlosen Wege zu warnen, damit er am Leben bleibe, so wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben, aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern“ (Hes 3,16-21; 33,7-9). G o t t w i l l , dass der Gottlose am Leben bleibt. Er vergibt seine Gottlosigkeit, heilt alle Zerstörungen seines Lebens. Sein unbedingter Heilswille wird schon im Alten Bund sichtbar. Zugleich aber ist der Ernst, der damit einhergeht, unüberhörbar. Im NT ist der Heilswille erst recht offenbar. Der Ernst der Sache ist nicht gemildert, sondern verschärft. Religiosität, die sich selbst mehr im Auge hat als Gott, ein bloßes Herr-Herr-Sagen, dem der Gehorsam fehlt, wird als gottlos entlarvt. Jesus weint über Jerusalem (Lk 19,41-42). Er klagt: „Ihr habt nicht gewollt“ (Mt 23,37). Er spricht nicht vom Verlust des irdischen Lebens, sondern von ewiger Verlorenheit. Es ist Unrecht, diesen Ernst zu verschweigen und die Menschen nicht zu warnen, nicht zu mahnen, nicht zu rufen, sich mit Gott versöhnen zu lassen (2. Kor 5,20). Die Heilige Schrift, das Buch unüberbietbarer Barmherzigkeit, spricht mit großem Ernst vom Verlorengehen (s. Oepke, THWB I:393-396). Das biblische Wort Verlorengehen (‡pðlumi) kennt einen unterschiedlichen Gebrauch. Es bedeutet: vernichten, umbringen, töten (Mt 2,13; 27, 20; Mk 3,6 par; 11,18 par; 9,22; Lk 6,9; 1.Kor 1, 19), auch verlieren, einbüßen, (Lk 15,4. 8; Mk. 9,41par), umkommen (Mk 4,38 par; Lk 11,51; 13,3.5.33; 15,17; Mt 26,52; 1.Kor. 10, 9f) und verloren gehen (Lk 15,4.6.24.32). Mt 5,29-30; Mk 2,22 par; Lk 21,18; Apg 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi 229 27,34 zeigen, dass die Bedeutungen ohne scharfe Grenze ineinander übergehen. Diesem eigentlichen Gebrauch des Wortes steht ein übertragener Gebrauch gegenüber, der Diesseitsaussagen, vorwiegend aber Jenseitsaussagen betrifft. Jesus Christus spricht: "Wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten" (Mk 8,35 par). In dem hebräischen Wort steckt ein aktives Moment, das in unserem deutschen Wort „Verlieren“ fehlt und auch im Griechischen nicht immer gegeben ist. Es ist der Gedanke, dass der Verlust auf die eigene Schuld oder den eigenen Willen zurückzuführen ist. Das zitierte Jesuswort meint hier mit dem Begriff „Leben“ sicher auch das Gewinnen oder Verlieren menschlicher Persönlichkeit. Es meint gewiss aber mehr als das. An Christus wird das Leben im Horizont der Ewigkeit gewonnen oder verloren. "Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet?" (Lk 15,4. 8-10. 24). Jesus selbst ist der gute Hirte. Er ist die Frau, die den verlorenen Groschen sucht. In ihm wird das Wesen des Vaters sichtbar, der den verlorenen Sohn entgegenläuft, in die Arme nimmt und küsst. Seine Jünger sendet Jesus zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel (Mt 10,6). Der gute Hirte sendet seine Freunde aus, er macht sie ebenfalls zu Hirten. Dass Jesus gekommen ist, das Verlorene zu suchen, lesen wir in Lk 19,10: "Der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist". Eindeutig sind die folgenden Worte als Jenseitsaussagen zu erkennen: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der den Leib und Seele verderben kann in der Hölle“ (Mt 10,28). - „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16). - „Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen“ (Joh 10,27 f). - „Ich habe sie bewahrt, und keiner von ihnen ist verloren außer dem Sohn des Verderbens“ (Joh 17,12 b). In den Briefen des P a u l u s lesen wir: 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi 230 „Alle, die ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; alle, die unter dem Gesetz gesündigt haben, werden durchs Gesetz verurteilt werden“ (Röm 2,12). - „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verlorengehen; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft“ (1. Kor 1,18). - „Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ (1. Kor 15,17-19). - „Denn wir sind für Gott ein Wohlgeruch Christi unter denen, die gerettet werden, und unter denen, die verlorengehen: diesen ein Geruch des Todes zum Tode, jenen aber ein Geruch des Lebens zum Leben“ (2. Kor 2,15). - „Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden, den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes“ (2. Kor 4,3) – Von den Feinden des Kreuzes Christi sagt der Apostel: „ihr Ende ist die Verdammung“ (‡pðleia-Phil 3,18-19). - „Der Böse aber wird in der Macht des Satans auftreten mit großer Kraft und lügenhaften Zeichen und Wundern und mit jeglicher Verführung zur Ungerechtigkeit bei denen, die verlorengehen, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, dass sie gerettet würden“ (2.Thess 2,9-10). Der Apostel P e t r u s sagt: „Er hat Geduld mit euch und w i l l n i c h t , dass jemand verloren gehe, sondern dass jedermann zur Umkehr finde“ (2. Petr 3,9b). Immer wieder geht es um den Willen Gottes. Darüber hinaus gibt es eine Anzahl von Gleichnissen, die deutlich vom Verlorengehen sprechen. Verlorengehen ist ein wirkliches Scheitern. Es handelt sich nicht einfach um das Erlöschen der leiblichen Existenz. Es geht vielmehr um das ewige Versinken im Hades (Totenreich), um ein hoffnungsloses Todesgeschick. Das Wort vom Verlorengehen, so ernst es ist, verkündigt es doch den ganzen Liebes- und Retterwillen Gottes: "Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde" (Joh 3,17). Hinter dem Wort vom Verlorengehen stehen der Ernst und das Erbarmen Gottes nebeneinander. Seine Liebe erträgt nicht, dass Menschen ohne ihn, ohne wirkliches Leben sind. Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen Sohn für sie gab. Jeder Mensch ist ihm einen Christus wert. Das Wort vom Verlorengehen ist ein Wort der Warnung, hinter dem Gottes suchende Liebe steht. Es ist auch ein Wort voller Schmerz. Weil Gott die Menschen liebt, schmerzt ihn ihre Verlorenheit. Die Schmer- 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi 231 zen, die Christus auf sich nahm, sind Ausdruck der Schmerzen des Vaters. Das „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ zeigt unsere Gottverlassenheit, die Jesus aus Liebe zum Vater und aus Liebe zu uns an unserer statt durchschreitet. Der suchende Gott ist darauf aus, das Verlorene zu finden (Lk 15). Wer nicht wagt, vom Verlorengehen zu sprechen, muss auch den Suchenden, seine Retterliebe, seinen erklärten Willen unterschlagen. Auf diese Weise wird Jesus zum Helfer für ein gelingendes vergängliches Leben umfunktioniert (s. 1.2.4.). Das zerstört den Ernst und die Freude der Botschaft. Es geht nicht darum, Menschen zu richten, sondern sie zu retten. Darum sind sie durch die Gemeinde zu rufen, zu locken, aber auch zu warnen. Warnungen meinen es gut. Verlorene sind nicht Verurteilte. Ihnen gilt das selige „Heute!“ (Hebr 3,15; 4,7). Es sind die Geliebten Gottes, die von Christus Beweinten, Erbeteten, Erhofften. Er gibt die Verlorenen nicht auf. Darum darf es die Gemeinde auch nicht. Ebenso wenig darf sie Verlorene einfach für Gefundene erklären. Hinter diesbezüglichen fadenscheinigen Erklärungen stehen Trägheit, Feigheit und mit verharmlosenden Worten getarnte Lieblosigkeit, die nicht gewillt ist, zu suchen, was verloren ist, also den Willen Gottes, Verlorene zu retten, ignoriert. Sprechen wir vom Verlorengehen als einer ewigen Verwerfung im Gegensatz zum ewigen Leben, drängt sich das Problem „Hölle“ auf. Apokalyptisch ausgemalte Bilder eines ewigen Feuerpfuhls (Dante) haben das, was hier gedacht ist, diskreditiert und eher der Lächerlichkeit preisgegeben. Es gibt viele Höllenwitze. Dem gegenüber erfährt der Begriff „Hölle“ immer dann eine ernste Wiederkehr, wenn er als Metapher für diesseitige Schrecken verwendet wird. Im ersten Weltkrieg sprach man von der Hölle von Verdun, im zweiten war es die Hölle von Stalingrad. Widerfährt uns Schreckliches, sagen wir oft: „Es war die Hölle.“ „Hölle“ im NT (Reike: RGG 3.A.405) bedeutet zum einen Scheol (griech. djv), das Totenreich, die Unterwelt (ˆbussov). Das Spätjudentum zur Zeit Jesu sah die Gerechten gleich nach dem Tode ins Paradies versetzt. Das Totenreich dagegen war der Ort, der in Schatten und Finsternis Zurückgelassenen, die Geenna, die Stätte der Verdammten. Nach dem NT ist die Hölle eine Bezeichnung für die endgültige und radikale Gottesferne, die jedoch vom Menschen ausgeht, wie das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus deutlich zeigt (Lk 16,19-31). Neben verschiedenen physischen Bildern (Ort der Strafe, an dem Tote von Finsternis, 2.2.2. Die Verlorenen - ‡pðlumi 232 Würmern oder Feuer gequält werden (Mt 5,22; 18,8-9, 22,12, 25,41; Mk 9,43.47-48 etc.), wird die Hölle manchmal als ein gottfeindlicher Machtbereich aufgefasst. Sie versucht, durch ihre Tore die Kirche zu verschlingen (Mt 16,18). Vertreter auf Erden (Kind der Hölle) hat sie in den Pharisäern und deren Anhängern (Mt 23,15). Mächte des Verderbens steigen aus der Hölle hervor, um auf der Erde zu wüten (Offb 9,3.11; 11,8). Wird von der Hölle als einer ewigen Strafe gesprochen (Mt 18,8; 25,14.46; Offb 14,11), darf „Ewigkeit“ hier „nicht absolut verstanden werden, sondern muss wie andere derartige Begriffe Gott untergeordnet bleiben“ (Reike ebd.). Einige wenige Stellen im NT weisen auf eine mögliche Versöhnung oder Wiederbringung aller hin (1. Kor 15,24-28; 1. Pt 4,6). Thielicke (1978:596-598) vergleicht den eschatologischen Dualismus mit dem Versuch, diesen aufzulösen, die Liebe Gottes also zu einem monistischen Prinzip zu machen, dass überpolar alle Gegensätze umgreift. Gott würde mit Letzterem einem Prinzip unterstellt, „so dass sich theologisch eine Entmächtigung seiner Personalität und anthropologisch eine Entleerung des Augenblicke in seiner Unbedingtheit ergibt. Durch den eschatologischen Dualismus gewinnt „der jetzige Augenblick der Entscheidung das eschatologische Gewicht der Unbedingtheit“ (:596). Wir haben uns dem biblischen Realismus zu stellen und ihn zur Sprache zu bringen. Vom Wort Gottes geht die Zumutung aus und ist nicht wegzuretuschieren. Ihr darf auch durch falsche Solidarität nicht ausgewichen werden. „Solidarität“, die den Ernst des Evangeliums verschweigt, ist unecht, da sie die Wahrheit unterschlägt. Sie warnt die Geliebten Gottes nicht. Das ist unterlassene Hilfeleistung vor dem Horizont der Ewigkeit. Beschwichtigungsversuche helfen nicht. Sie verschleppen nur das Problem. Außerdem dispensieren sich die Verantwortlichen auf bequeme Weise von ihrer ernsten und teuren Aufgabe. Die besteht darin zu retten (1. Kor 9,19-22). Ohne Christus - so das NT – gehen Menschen, denen das Heil angeboten war, es aber ablehnen, verloren (Mt 23,37; Lk 13,34; Lk 19,41). Unser großes Thema jedoch ist nicht die Verlorenheit der Verlorenen, sondern der Christus Gottes, der gekommen ist, uns Verlorene zu retten. Es geht um die Bewahrung des Menschen im kommenden Gericht. 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 233 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv „Wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem. Den haben sie an das Holz gehängt und getötet. Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten. Und er hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten (kritÑv zðntwn ka± nekròn). Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen“ (Apg 10,39-43). In der Predigt des Petrus kommt alles zusammen: Der Gekreuzigte ist der Auferstandene, der ist der Richter der Lebenden und der Toten. An ihn zu glauben, heißt die Vergebung zu empfangen, die aus dem Gericht rettet. „Die Ankündigung des kommenden Richters bildet die notwendige Voraussetzung für die Predigt von der Rechtfertigung“ (Bohren 1971:251). Eine autobiografische Anmerkung: Als Kind habe ich meiner Mutter einmal 50 Pfennig gestohlen. Sie lagen auf dem Tisch. Es war gerade Jahrmarkt. Dort habe ich das Diebesgut verprasst. Karussell und Riesenrad. Ein kurzes Vergnügen. Als der Rausch verflogen und das Geld verjubelt war, kam die Angst. Am liebsten wäre ich nicht mehr heimgegangen, so entfremdet fühlte ich mich dem geliebten Zuhause. Vermutlich spürte ich dumpf, dass ich nicht nur Geld gestohlen, sondern meiner Mutter Schlimmeres angetan hatte. Nicht nur ein Dieb war ich, sondern einer, der in der Lage war, die Mutter zu quälen. Ein Feuer brannte in mir. Derart schuldig zu sein, mit der Aussicht, bestraft zu werden, war mir so etwas wie der Vorgeschmack der Hölle. Der Heimweg wurde schwer. Ein Kind empfand etwas vom „schrecklichen Warten auf das Gericht“ (Hebr 10,27). Wir durchleiden zu Lebzeiten nicht nur tausend kleine Tode, auch quälende Gerichte. Möglicherweise bergen sie Ahnungen von dem, was kommt. Die Mutter hatte bezahlen müssen, nicht nur mit 50 Pfennig meinen Diebstahl, sondern mit ihrem Schmerz die Untat ihres Kindes. Mit ihrer Traurigkeit bezahlte sie die Erkenntnis, einen Sohn zu haben, der für fünf Groschen ihr Vertrauen missbrauchte und mit ihrer aufkommenden Sorge meine Gedankenlosigkeit. Ich habe das damals alles nicht durchschaut, erinnere mich nur an eines: Als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich ihre Augen. Ich fing an zu weinen. Dann spürte ich, dass 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 234 sich ihre Arme um mich legten. Natürlich konnte ich nicht ermessen, was geschah. Sie hatte bezahlt und ich - wurde umarmt. So unbegreiflich das für mich war, ich kann mich an keine Freude meiner Kindheit erinnern, die an das Glück dieser Stunde heranreicht. Einer hat für alle bezahlt. Alle dürfen nach Hause kommen (Mt 11,28)! Die Schrift kündigt den Tag der großen Schlussabrechnung an. Menschen werden zu Bergen und Felsen sagen: „Fallt über uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes! Denn es ist gekommen der große Tag ihres Zorns, und wer kann bestehen?“ (Offb 6,16-17). Niemand wird dem Richter entfliehen. Wir ahnen es, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Da sind wir wie Kinder, die glauben, etwas existiere nicht, wenn sie davor die Augen verschließen. Wegsehen hilft nicht. Hinsehen hilft. Wie anders verliefe das Leben der Völker, auch das Leben in unseren Gemeinden, wenn wir von Gottes Gericht her denken würden! Tod und Gericht sind die mächtigen Zukunftsgestalten, die ihre Schatten auf die Gegenwart werfen. Die Schatten wirken. Warum sonst die künstlichen Lichter einer angestrengten Diesseitigkeit? Jesus rechnet mit dem Gericht, wie wir mit dem nächsten Morgen. Er geht den Weg zum Kreuz, um das Weltgericht zu eröffnen. Der am Kreuz Gerichtete ist der Richter dieser Welt. Dass die eigene Wahrnehmung des Gerichts eingeschränkt ist, ist mir anhand dieses Abschnitts klar geworden. Ich hielt das Gericht gefühlsmäßig für einen Nebengedanken der Bibel und bin ihm, auch in der Verkündigung, eher ausgewichen, hatte diverse Stellen zwar gelesen und doch – übersehen. Dem gegenüber kulminieren Büchsels Untersuchungen in folgenden zwei Sätzen: „ I n d e r s y n o p t i s c h e n V e r k ü n d i g u n g J e s u s t e h t d e r G e r i c h t s g e d a n k e i m M i t t e l p u n k t . Der Aufruf Jesu zur Buße hat seine Dringlichkeit darin, dass Gottes Gericht über jedem Menschen schwebt“ (THWB III:936, Hervorhebung KE). Der Bergprediger prägt den Ernst des Gerichts ein: „Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig“ (Mt 5,22). Wenn uns das Auge oder die Hand zum Abfall 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 235 verführen, wäre es besser, sie auszureißen oder abzuhauen und dann fortzuwerfen, damit „nicht der ganze Leib in die Hölle fahre“ (Mt 5,29-30). Wir sollen nicht richten, damit wir nicht gerichtet werden (Mt 7,1f). Es werden nicht alle, die „Herr, Herr!“ sagen, gerettet, sondern die den Willen des Vaters im Himmel tun (Mt 7,21- 23). In einer Rede an die Jünger lesen wir: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle“ (Mt 10,28). „Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater“ (Mt 10,33). In den Gleichnissen vom Himmelreich hören wir Jesus sagen: „Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune“ (Mt 13,30; s 13,47-50). In den Wiederkunftsgleichnissen heißt es: „... dann wird der Herr dieses Knechts kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, er wird ihn in Stücke hauen lassen und ihm sein Teil geben bei den Heuchlern; da wird sein Heulen und Zähneklappern“ (Mt 24,48-51). Fünf von zehn Jungfrauen, die alle die Gemeinde repräsentieren, stehen, wenn der Bräutigam kommt, vor verschlossener Tür (Mt 25,1-13). Jesus macht deutlich, dass er unter Glauben den g e l e b t e n Glauben versteht. „Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! … Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben“ (Mt 25,41-46). In der Auseinandersetzung mit dem Volk ist zu lesen: „Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona“ (Mt 12,41-42). Die Auseinandersetzungen mit den Pharisäern sind ebenfalls durch Gerichtsworte gekennzeichnet (Mt 11,32; 23,33). Für Jesus gibt es keine Verdienste, durch die ein Mensch sich vor dem Gericht schützen könnte (Lk 17,10). „Mit dem Herr-Sein Gottes und dem Verpflichtet-Sein 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 236 des Menschen wird restlos ernst gemacht, so dass alle menschlichen Mittel zum Schutz in Gottes Gericht entfallen“ (THWB III:936). Der Maßstab des Gerichts ist das Liebesgebot, nicht eine Summe verschiedener Gebote oder Verbote. Das Bekenntnis des Menschen zu Jesus ist letztlich entscheidend: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater“ (Mt 10,32f.). Über die Art und Weise des Gerichts sagt Jesus nichts. Es liegt zutage, dass es eine Errettung im Gericht aus menschlichem Vermögen oder eigener Leistung nicht geben kann. Errettung gibt es allein durch Vergebung. Der Vergebung und damit der Rettung darf sich der an Christus Glaubende gewiss sein. Gottes Vergebung ist durch und durch Gnade, ein unbegreifliches Wunder. Genau das wird dem Menschen zugesagt, abgesehen von der Schwere seiner Schuld (Mt 18,21-35; 21,32-33. Lk 7,36-48: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“ Seinen Jüngern verspricht Jesus, dass er sich im Gericht zu ihnen bekennen und sie dadurch vor jeder Verurteilung bewahren wird (Mt 10,32). Somit wird das Gericht für die Jünger zu ihrer endgültigen Erlösung. Das Kommen des Reiches Gottes, wird von ihnen im Vaterunser (Mt 6,10) herbeigerufen und durch die Verkündigung des Reiches herbeigepredigt (Mt 24,14). Die Vergebung ist kein „sachlicher Besitz“. Sie ist Gabe, die einem Menschen durch die persönliche Gemeinschaft mit Jesus zuteil wird. Wer von seiner Vergebung lebt, wird selber zur Vergebung bereit sein (Mt 6,12; 18,21-35). Der Empfang der Vergebung und ihre Gewährung an den Nächsten sind untrennbar verbunden. Gottes Gericht für den unbarmherzig Richtenden tritt sonst wieder in Kraft. Jesus vollendet seine Gerichtsverkündigung, in dem er sich zur Gottessohnschaft vor dem Hohenpriester bekennt (Mk 14,62). „An dem Verständnis des Gerichtsgedankens Jesu hängt schlechterdings das Verständnis der Verkündigung und Person Jesu. Gibt es das Gericht Gottes nicht, von dem Jesus zeugt, so kann Jesus samt seiner Verkündigung nur historische, d.h. sich beständig verringernde Bedeutung haben, aber keine für das Verhältnis des Menschen zu Gott. Umgekehrt: Gibt es dies Gericht Gottes, so ist das 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 237 Menschenleben hoffnungslos und unerträglich ohne die Zusage Jesu: Dir s i n d deine Sünden vergeben“ (THWB III:938). Die j o h a n n e i s c h e n Schriften verkündigen den Tag des Gerichts, an dem alle Toten auferstehen (Joh 5,28f.). „Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt“ (1. Joh 4,17). Das Gericht ist dem Sohn übertragen (Joh 5,22. 27). In diese Welt jedoch ist Jesus gekommen, um zu retten und nicht um zu richten: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde“ (8,15; 12,47). „Wenn ich aber richte, so ist mein Richten gerecht; denn ich bin's nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat“ (8,16). Es wird deutlich, dass Jesu Wort in die entscheidende Krisis stellt: „Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage“ (12,48). So hat das Gericht über die Ungläubigen bereits stattgefunden. Es heißt über den Sohn: „Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes“ (3,18). Die Gläubigen dagegen kommen nicht in das Gericht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“ (5,24). Das Gericht über die Welt ist schon vollzogen, ebenso das Gericht über den Teufel: „Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden“ (12,31). Diese Vergegenwärtigung des Gerichts findet sich so nur bei Johannes. „Vor der überzeitlich gültigen Offenbarung Gottes in seinem Sohne verschwindet der Unterschied von Zukunft und Gegenwart: in der Zeit begibt sich das Ewige“ (THWB III: 939). In den johanneischen Gerichtsworten bekommt das Zeitliche seine besondere Bedeutung. Die Stellung zu Jesu Wort und Werk entscheiden in der Jetztzeit über die Ewigkeit des Menschen. Die Offenbarung des Johannes beschreibt erschütternde Gerichtszenarien (Offb 20,11-15), ebenfalls finden sich ernste Gerichtswarnungen an die Gemeinden: „So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 238 wegstoßen von seiner Stätte - wenn du nicht Buße tust“ (2,5). „Tue Buße; wenn aber nicht, so werde ich bald über dich kommen und gegen sie streiten mit dem Schwert meines Mundes (2,16.17a; 2,21-23; s.3, 3; 3,16). Die Eindeutigkeit der Gerichtsaussagen, denen wir oben bei den Synoptikern begegnet sind, findet sich auch in der Verkündigung des P a u l u s . Er spricht vom Gericht nach den Werken (Röm 2,1-11). Allen Menschen gilt Gottes Gericht: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse“ (2. Kor 5,10). Paulus beschreibt den Zorn Gottes als eine jetzt schon offenbare Wirklichkeit (Röm 1,18-25). Seit Adams Sünde liegt Gottes katkrima über der Menschheit (Röm. 5,16.18.19). Jetzt aber ist die Zeit der Umkehr: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ (Röm 2,4). Weil jetzt die Zeit der Umkehr ist, erweist sich die Frage nach der Rechtfertigung als die Hauptfrage eines Menschenlebens. Durch Gottes versöhnende Gnade wird sie gelöst: „Denn es ist hier kein Unterschied: Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit verloren, die Gott ihnen zugedacht hatte und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Röm 3,21-26). Paulus ist sich dessen gewiss, dass die Gläubigen nichts von der Liebe Gottes scheiden wird (Röm 8,31-39), das schließt sogar den Blutschänder von 1. Kor 5,5 ein. Wer sich von der Güte Gottes zur Umkehr leiten ließ und glaubt, ist gerechtfertigt. Es ist nicht die sittliche Erneuerung, die aus der Rechtfertigung folgt, es ist nicht der Geistbesitz, auf die der Apostel diese Gewissheit für die Glaubenden gründet. Er gründet sie auf Christus allein: „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! …“ (Röm 8,33-39). Die Rechtfertigung aus Gnaden und Glauben hat bei Paulus solch ein Gewicht, dass er auch für Gläubige Errettung erwartet, deren Lebenswerk sich im Gericht nicht bewährt: „Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch“ (1. Kor 3,15). Büchsel (THWB III:939, Anm. 68) stellt heraus, dass die Lehre vom Gericht nach den Werken die Voraussetzung der Rechtfertigung durch den Glauben ist. Ohne die 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 239 erstere verliert die letztere ihren Ernst und ihre Tiefe. „Selbstverständlich hebt der Gedanke der Rechtfertigung ohne Werke den Gedanken des Gerichts nach den Werken auf, aber so, dass er ihn als bleibend gültig einschließt, nicht so, dass er ihn als Lüge oder Irrtum ausschließt.“ Die Rechtfertigungslehre des P a u l u s kann nur im Zusammenhang seiner Lehre vom Gericht verstanden werden. „Bei Rechtfertigung, rechtfertigen usw. ist immer an das Gericht Gottes und grundlegend an das Endgericht gedacht“ (Büchsel 1937: 123). Dass Gott richtet, ist für Paulus selbstverständlich (Röm 3,6; 2,3-10) und gehört zum Evangelium (Röm 2,16). „Es ist kein Ansehen der Person vor Gott“ (Röm 12, 11). „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse“ (2. Kor 5,10). Gott gibt noch Zeit. Seine Güte leitet zur Umkehr (Röm 2,4). „Die Frage nach der Rechtfertigung ist deshalb die Hauptfrage des Menschenlebens. Sie wird gelöst durch Gottes versöhnende Gnade“ (Büchsel, THWB III:939). „Die Rechtfertigungslehre des Paulus hat die Lehre vom Weltgericht Gottes zur Voraussetzung und damit auch die Gültigkeit des Gesetzes, der Selbstoffenbarung des Weltrichters. Stünde nicht fest, dass Gott die Welt richten wird, so entstünde die Frage nach einer Rechtfertigung nicht … Weil die Rechtfertigung keine Willkürhandlung Gottes ist, rechtfertigt Gott nicht jeden Beliebigen, sondern den, der sein Wesen aus dem Glauben an Jesus empfangen hat (Röm 3,26)“ (Büchsel 1937:124). P e t r u s ruft zur Furcht vor Gott als dem Richter auf (1. Petr 2,17; 1,17). Das Gericht verschont das Haus Gottes nicht, im Gegenteil: „Denn die Zeit ist da, dass das Gericht anfängt an dem Hause Gottes. Wenn aber zuerst an uns, was wird es für ein Ende nehmen mit denen, die dem Evangelium Gottes nicht glauben?“ (1. Petr 4,17). Durch Gottes Wort sind Himmel und Erde geschaffen und haben in diesem Wort ihren Bestand. „So werden auch der Himmel, der jetzt ist, und die Erde durch dasselbe Wort aufgespart für das Feuer, bewahrt für den Tag des Gerichts und der Verdammnis der gottlosen Menschen“ (2. Petr 3,7). Der Herr aber will nicht, dass jemand verloren gehe, sondern dass jedermann zur Umkehr finde (3,9b). „Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden“ (2. Petr 3,10-13). 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 240 Vor dem Leichtnehmen des göttlichen Gerichts warnt der H e b r ä e r b r i e f : „Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir hinfort kein andres Opfer mehr für die Sünden, sondern nichts als ein schreckliches Warten auf das Gericht und das gierige Feuer, das die Widersacher verzehren wird … Der Herr wird sein Volk richten.’ Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (10,26-31). Dieses Wort richtet sich gegen das Volk Gottes, die Gemeinde Jesu. Unser Gemeindeleben ist kein religiöses Spiel. Es hat eine unfassbar ernst zu nehmende Bedeutung. „Darum, weil wir ein unerschütterliches Reich empfangen, lasst uns dankbar sein und so Gott dienen mit Scheu und Furcht, wie es ihm gefällt; denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (12,28-29). Wir blicken zurück: Als ihm die Geburt des Messias angekündigt wird, erhält Josef die Weisung: „Dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden“ (Mt 1,21). Rettung von den Sünden ist das Höchste, was einem Volk widerfahren kann, denn „Sünde ist der Leute Verderben“ (Spr 14,34). Sünde trennt von Gott. Von ihm getrennt sein ist die Hölle. Das Buch der Bücher, so sahen wir oben, warnt: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit ein jeder empfange, wie er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse“ (2. Kor 5,10). Das ist keine Drohung, sondern eine ernste Aufforderung, die in der Liebe Gottes ihren Quellgrund hat, sich rechtzeitig auf die Tatsache einzustellen, die mit Sicherheit kommt. Weil es ein Gericht gibt, in dem uns unsere Gottlosigkeit verklagt, ist diese mehr zu hassen, als alles. Wenn Christus kommt, um den Erdkreis zu richten, muss sich der Mensch für sein Denken, Reden, Tun und Unterlassen verantworten. Das Gericht befasst sich mit der Lebensgeschichte des Einzelnen und der Geschichte der Völker. Sollte alles Unrecht dieser Welt nie geahndet werden? Wie viel Elend haben allein die Hitlers und Stalins aller Zeiten über Menschen gebracht! Sie haben gezeigt, welch Grauen aus Gottlosigkeit erwächst. Und das bleibt ewig ungesühnt? In welch einem ungerechten Weltenzusammenhang lebten wir dann? Aber Achtung! Es ist uns verwehrt von der Sünde dieser Menschen so zu reden, als wäre sie etwas, was uns selbst nicht betrifft: „In der Nachfolge dessen, der für uns zur Sünde gemacht wurde (2Kor 5,21), wird der Jünger zur Sünde; die Sünde, die er 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 241 erzählt, ist seine Sünde … Für den Prediger heißt das, er kann die Sünde der Väter … nur erzählen als seine Sünde. Von der Sünde Hitlers kann ich predigend nur erzählen als von meiner Sünde“ (Bohren 1971:220-221). Die Weltgeschichte ruft nach dem Weltgericht. Abel wird gegen Kain aufstehen, die Ermordeten gegen ihre Mörder. Unschuldig vergossenes Blut schreit gen Himmel (Gen 4,10). Das Gericht wird im AT begrüßt (Ps 1,5; 7,7; 9,8; 9,17; 89,15; 99,4; 119,84; Prediger 8,5-6; 11,9; 12,14; Jes 1,27; 3,13; 5,16; 34,5; Jer 1,16; 25,31; Hes 5,10; 25,11; 28,26; 39,21; Dan 7,10; 7,26; Mi 6,2; Zef 3,8; Mal 3,5). Gottes Gericht hilft den Unterdrückten, Leidenden und stürzt alle Tyrannen. Gericht ist unausweichlich. Wenn wir - wie die Schrift sagt - allein durch die Gnade und den Glauben an Jesus Christus gerettet werden, es gäbe aber kein künftiges Gericht, welche Bedeutung sollten dann Worte wie Gnade, Glaube, Erlösung, Vergebung, Rettung überhaupt haben? Dann käme es auf die Unterscheidung von Glaube und Unglaube nicht mehr an. Ohne ein künftiges Gericht wäre Kirche - die Gemeinschaft der Glaubenden - ein schwammiges Gebilde. Dann gäbe es kein draußen und kein drinnen. Dann wäre die ganze Welt nur noch Kirche und die bestehende Kirche überflüssig. „Darum sollen wir desto mehr achten auf das Wort, das wir hören, damit wir nicht am Ziel vorbeitreiben. Denn wenn das Wort fest war, das durch die Engel gesagt ist, und jede Übertretung und jeder Ungehorsam den rechten Lohn empfing, wie wollen wir entrinnen, wenn wir ein so großes Heil nicht achten, das seinen Anfang nahm mit der Predigt des Herrn und bei uns bekräftigt wurde durch die, die es gehört haben?“ (Hebr 2,1-3). Das Verharmlosen des Gerichts in ihrer Verkündigung macht auch die Versuche der Kirche, in der Welt mitzureden, harmlos. Sie wird schuldig, wo sie in ihrer Verkündigung den Gerichtshorizont verschweigt. Ist die Furcht vor dem letzten Gericht gewichen, fallen die letzten Hemmungen, was an der Ausbeutung der Mitwelt bis zur Neige abzulesen ist. Wie anders und vollmächtiger würde die Kirche im Zusammenhang des Konziliaren Prozesses (Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung) reden, würde sie nicht nur vor der Zerstörung der Welt, sondern vor Gottes Gericht warnen. Sie würde die Ökologiebewegung auf eine spirituelle Grundlage stellen. Bohren befasst sich in seiner Predigtlehre mit der „Predigt des kommenden Richters“ (1971:251-265): 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 242 „Die Rechtfertigung allein aus dem Glauben wäre ein Widerspruch in sich selber, falls es kein künftiges Gericht mehr gäbe, das Wörtlein ‚allein’ wäre zu streichen, auch würde der Unterschied zwischen Glaube und Unglaube eingeebnet. Die Gnade wäre ein für allemal billig, Heilsgewissheit im Grunde überflüssig. Der Gesetzlichkeit, dem Perfektionismus und Enthusiasmus wären Tür und Tor geöffnet, wenn wir das Gericht im Gekreuzigten nur noch hinter und nicht auch vor uns hätten. Es könnte wohl sein, dass die Misere unserer Predigt ihren Grund in unserer Unfähigkeit hat, der Gemeinde und der Welt den kommenden Richter anzusagen: ‚Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder empfange, je nachdem er im Leibe gehandelt hat, es sei gut oder böse’“ (2Kor 5,10)“ (:251-252). Bohren, der vor der „Perversion der Gerichtspredigt zur Höllenpredigt“ warnt (:254- 256), macht darauf aufmerksam, dass in einer Zeit, in der die Prediger das Gericht Gottes verschweigen, die Schriftsteller zu Gerichtspredigern werden, was er an Stücken von Frisch und Dürrenmatt exemplifiziert (Bohren 1979: 181-187): „Das Phänomen ist merkwürdig: Dichter, die Gott nicht nennen, reden von seinem Gericht, während die Prediger, die von Gott reden, Gottes Zorn verschweigen, Gottes Gericht nicht nennen. Angepasst auch sie, verschweigen die Redner Gottes den Zorn, der offenbar geworden ist und offenbar wird. Darum schreien die Steine und das Papier unserer Schriftsteller“ (:182). Josuttis (1990:57) stellt fest, dass wir vor Augen haben „was in einer Welt ohne Hoffnung und ohne Gottesfurcht geschieht. Sie inszeniert einen Fortschritt, der im Tod enden kann ... Und wer ohne Furcht vor dem letzten Gericht existiert, der wird keine Grenzen respektieren und eben deshalb an seiner eigenen Hybris zugrunde gehen.“ Es gibt nach der Schrift ein schreckliches Erwachen, ein Zu-Spät. Jesus ist gekommen, damit wir gerettet werden, bevor es zu spät ist. Er hat sich an unserer Stelle richten lassen. Sein Kommen zielt auf unsere Bewahrung im Gericht. Seine Verkündigung, seine Seelsorge, seine Wunder, sein Kreuz, seine Auferstehung alles geschieht um des Heils der Menschen willen. Auch das zeitliche Wohl ist in einem gottesfürchtigen Gemeinwesen besser gewährleistet, als in einem, das die Gottesfurcht verloren hat. Die Kirche hat eine große Gabe, das Leben schaffende Wort. Mit der Gabe ist die Aufgabe verbunden, es unverfälscht zu sagen, eÇka°rwv ‡ka°rwv. (2. Tim 4,2). 2.2.3. Der Richter - kritÐv, kr°nw, kr°siv 243 Was bedeutet nun die Tatsache, dass wir auf das Gericht zugehen für die Art und Weise der Verkündigung? Nach Thielicke rühren wir damit an eines der fundamentalsten und auch delikatesten Probleme der Predigt: „Wenn ich nämlich als Prediger diese Voraussetzung, daß der Mensch von Gott entfremdet und daß Gott für ihn insofern eine gefährliche und bedrohende Größe ist, in der ständigen Wiederholung des Verkündigungsgeschehens herausstelle, dann bin im der Gefahr ausgesetzt, zuerst und einleitend Gesetz zu predigen. Konkret heißt das: Ich werde mit der Neigung zu kämpfen haben, zuerst alles „madig“ zu machen, Technik und Wohlfahrtsgesellschaft in ihrer Hohlheit anzuprangern, ungerechte Strukturen im eigenen und im globalen Bereich aufzuweisen, um durch dieses Schauer-Kerygma von allgemeiner Verlorenheit und Erlösungsbedürftigkeit meine Hörer fürs Evangelium vorzuwärmen. Wir kennen diesen Predigertypus, dessen Klischee durch Schwarzweißmalerei charakterisiert ist und in die entsprechenden beiden Teile zerfällt. Es ist der homiletische Querulanten-Typ. Zweifellos gehört es zur Wahrheit und zur Kunst des Predigens, dieser Gefahr nicht zu verfallen und, die kritische Analyse, die ja nicht unterschlagen werden darf, gleichsam in die Nebensätze zu den Hauptsätzen des Evangeliums zu verweisen“ (Thielicke 1973:481). Dafür sieht Thielicke vor allem theologische Gründe. Sie hängen zusammen mit dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium. Das Gesetz geht der Predigt des Evangeliums ja nicht ‚zeitlich’ voran, wenn es Gericht verkündet. „D i e T i e f e d e s G e r i c h t e s w i r d e r s t i m A n g e s i c h t d e s E v a n g e l i u m s s i c h t b a r : dann nämlich, wenn ich erkenne, was aufgewandt wurde und aufgewandt werden musste, um mich meiner Entfremdung zu entreißen. Die Tiefe der Schuld ergibt sich nicht gegenüber dem fordernden Gott, dessen Anspruch ich mich versage, sondern gegenüber der Liebe und dem Opfer Gottes, das ich zurückweise (Joh 15,22-25) (ebd., Hervorhebung KE)“. So kann die Predigt auch nicht früh genug mit dem Positiven der Botschaft einsetzen. Es werden sich beim Hörer die Assoziationen zu den Belastungen des Lebens von selber einstellen, so dass es fast nur „orientierender Stichworte und keiner breiten Ausmalungen bedarf.“ Dieser Effekt werde sich einstellen, wenn der Prediger um das breite Spektrum der Entfremdungs-Problematik weiß und es auch benennt. - In seiner Schrift „Wider die Antinomer“ (19642 [W A 39 I, 445]) verficht Luther denselben Gedanken: „Ich habe freilich gelehrt, lehre auch noch, dass man 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a 244 die Sünder zur Buße reizen solle durch die Predigt oder Betrachtung des Leidens Christi, damit sie sehen, wie groß der Zorn Gottes über die Sünde sei, sodass da keine andere Hilfe dagegen sei, als dass Gottes Sohn dafür sterben müsse“ Hieraus – so Luther – folge nicht der Schluss, dass man das Gesetz wegtun solle, sagt er doch in der gleichen Schrift, dass man die Sünder auch „zur Buße reizen solle und müsse, nicht allein durch die süße Gnade und das Leiden Christi, dass er für uns gestorben ist, sondern auch durch des Gesetzes Schrecken“ (Luther 19642:227). 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a Der Richter der Lebenden und der Toten (Apg 10,42), ist der Retter der Menschen. Er trägt den Würdenamen swtÐr. Andere christologische Titel sind Prophet, Gottesknecht, Davidsohn, Hohepriester, Messias, Menschensohn, Logos, Gottessohn. Christi Wesen und Handeln als Retter erinnert an Gottes Rettungen im A l t e n T e s t a m e n t : „Das AT erzählt am Anfang die Geschichte von einer Rettung (das Buch Exodus als Kern des Pentateuch), das Neue Testament erzählt am Anfang, in den Evangelien, die Geschichte einer Rettung. Dass Gott der Retter Israels ist, bleibt die Grundaussage von Gott im ganzen Alten Testament, auch in Bezug auf das Gottesverhältnis des einzelnen Menschen, wie es die Psalmen zeigen. In allen Teilen des Neuen Testaments wird Christus als der Retter verkündet; ‚es ist in keinem anderen Rettung’ heißt es in der Predigt der ersten Apostel (Apg.4,12). Es ist der rettende Gott, der in der Sendung des Christus gehandelt hat. Dies also ist eine dem Alten und Neuen Testament gemeinsame grundlegende Aussage von Gott. Diese Grundaussage von Gott als dem Retter verbindet Altes und Neues Testament, auch wenn Rettung hier und dort etwas Verschiedenes ist“ (Westermann 1978:192). Westermann hat damit auf eine entscheidende Gemeinsamkeit des Alten und Neuen Testaments aufmerksam gemacht. Die Bedeutung dieser Grundaussage, dass Gott Retter ist, die das Alte und Neue Testament verbindet, ist in der Geschichte von Kirche und Theologie, wie wir noch sehen werden, zu wenig beachtet und darum selten für die kirchliche Verkündigung fruchtbar geworden. Beide Testamente gehen davon aus, dass der Retter des Gottesvolkes der Schöpfer der Welt ist. Das setzt auch Jesus voraus, wenn er vom Schöpfer und seinem Wirken redet. „Das Wirken Gottes, das als ein universales begonnen hat, 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a 245 endet auch als ein universales: von Gott reden heißt vom Ganzen reden“ (:193). Die Botschaft von der Rettung bringt am Anfang des alten wie des neuen Gottesvolkes „eine Gruppe von Menschen auf den Weg als wanderndes Gottesvolk in der Daseinsform der Nachfolge der aus dem sesshaften Dasein Herausgerufenen. Der wandernden Gruppe, die die Errettung aus Ägypten erfuhr und den Weg durch die Wüste geführt wurde, entspricht die wandernde Gruppe der von Jesus herausgerufenen Jünger, die mit ihm zogen … Hier wie dort sind die Nachfolgenden mit ihrer Existenz abhängig von dem, der sie führt. Zur Nachfolge gehört hier wie da das Erfahren von Wundern, von Rettung und Bewahrung. Hier wie dort ist der Gehorsam mit der Nachfolge identisch; es gibt nur die Weisung des Weges, und die eine Sünde ist die des Fortgehens, (Joh 6,61ff)“ (:194). In den Geschichtsbüchern des AT ist der Übergang des wandernden Gottesvolkes zur Sesshaftigkeit beschrieben. Das hat im NT so keine Entsprechung, höchstens in Andeutungen der späten Schriften. Der eigentliche Übergang zur Sesshaftigkeit der Gemeinde Christi vollzieht sich erst in der Kirchengeschichte. Sesshaftigkeit bedeutet, dass das Volk Gottes, bzw. die Christenheit in eine vielfache und wechselnde Beziehung zu den Gemeinwesen um sie herum tritt. Kirche Jesu Christi ist zwar nicht von der Welt, aber in der Welt. In der Welt zu sein bedeutet, die Kirche ist in diese verwickelt und verwoben. Kulturphasen, Wirtschaftsformen, politische Konstellationen, öffentliche Meinungen, Aristokratie, Bürgertum und Bürgerlichkeit wirken auf sie ein, prägen sie, formen sie. (Wie auch die Kirche ihrerseits auf das Staatswesen eingewirkt hat). Sich mit der jeweilig herrschenden Staatsmacht bis zur eigenen Unkenntlichkeit zu verbinden, ist eine der Versuchungen, der die Kirche in ihrer Geschichte zu oft erlegen ist. Da liegt es nahe, dass sie ihren eigentlichen und besonderen Auftrag, den sie für sich selbst und für die Welt von Christus bekommen hat, aus den Augen verliert. Rettung leitet im AT die Geschichte des Volkes Gottes ein und bedeutet in der Folge politische Befreiung. Im Neuen Testament begründet Gottes Rettungstat in Christus eine kultische, jedoch politisch machtlose Gemeinde. Rettung von Sünde und Tod durch Jesus Christus gilt zunächst dem Haus Israel, dann allen Völkern. Im AT wird Gott Retter genannt (s. Cullmann: 19664 255ff.). Die hebräischen Wörter gehören alle der gleichen Wurzel an. Sie werden in der Septuaginta mit swtÐr wiedergegeben. Besonders häufig findet sich der Rettertitel auf Gott bezogen 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a 246 in den Psalmen, z. B.: 24,5; 26,1; 34,3; 61,3. 7; 64,6; 78,9 - häufig auch in den Jesajabüchern, so etwa: 12,2; 17,10; 43,3.11; 45,15.21; 60,16; 62,11; 63,8. Der Rettertitel lässt sich in der gesamten jüdische Literatur ausmachen, (Jer 14,8; Micha 7,7; Hab 3,18; 1. Sam 10,19; Deut 32,15). Männer, die das Volk im Namen Gottes gerettet haben, werden gelegentlich mit dem gleichen Titel bedacht. Mose hat das Volk errettet. Auch Othniel und Ehud, (Ri 3,9.15), sind Führer, von denen es heißt, der Herr habe sie den Israeliten als Retter erweckt. Schließlich wird auch der erwartete Messias als der kommende Retter gesehen: „Das wird ein Zeichen und Zeugnis sein für den Herrn Zebaoth in Ägyptenland. Wenn sie zum Herrn schreien vor den Bedrängern, so wird er ihnen einen Retter senden; der wird ihre Sache führen und sie erretten“ (Jes 19,20). Im H e l l e n i s m u s kommt der Titel des Retters ebenfalls vor, jedoch mit anderen Begriffsinhalten. Götter, Heroen und Herrscher werden als „Heilande“ bezeichnet, wenn sie aus leiblichen Nöten, Krankheit, Siechtum, Gefahren auf See oder im Krieg erretten. Cullmann gibt zu bedenken, dass die Verwendung des Soter- Titels im Heidentum auch seine christliche Verwertung gefördert haben mag. „Aber ebenso, wie der Kyriosname Jesu seinen Ursprung primär im Judentum hat, so schließt sich auch die Soter-Bezeichnung Jesu eher an den alttestamentlich-jüdischen als an den hellenistischen Begriff an.“ (Cullmann [1957]19664:248). Häufig begegnet uns Jesus als swtÐr im N e u e n T e s t a m e n t : „In allen Gemeinden ist Jesus Christus als der Heilbringer verehrt worden“ (Bultmann, 1968:507). Zu seinen Lebzeiten wurde Jesus wahrscheinlich nicht Soter genannt, wenigstens haben wir dafür keine Belege. Später, als ihm dieser Titel zugelegt wird, bezieht er sich auf sein Gesamtwerk „und zwar so, dass er sich vom Glauben an seine Auferstehung und Erhöhung her darstellt“ (Cullmann 1966:249). Jesus wird vornehmlich in den Schriften Soter genannt, die den Würdenamen auch auf Gott beziehen. In den Pastoralbriefen erscheint Gott als Heiland: 1. Tim 1,1; 2,3; 4,10; Ti 1,3; 2,10; 3,4, sodann im Lukasevangelium. Das Magnifikat spricht in der Weise des AT von Gott als dem Heiland: „Mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes“ (1,47), singt Maria, wohingegen es in der Weihnachtsgeschichte heißt: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Kyrios“ (2,11). Die Doxologie am Schluss des Judasbriefes (V 25) richtet sich an den alleinigen Gott 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a 247 unseren Heiland durch Jesus Christus. Im 2. Petrusbrief findet sich die Wendung swtÐrHIjsoÂv Cristçv in Verbindung mit kÀriov (1,1-2. 11; 2,20; 3,2. 18.). Jesus ist der swtÐr, der sein Volk von seiner Sünde erlösen wird, so erklärt Mt 1,21 den Namen. Maria „wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ Das wird später evident: „Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden (Apg 2,42; 2,21). Der Rettungsgedanke zeigt sich auch im Epiphaniewort in 2.Tim 1,9-10: „Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.“ Retter ist Jesus in der erwarteten Epiphanie in der Herrlichkeit: Wir „warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus“ (Tit 2,13). Diese Stelle erinnert durch den Nachsatz an das irdische Werk Jesu, auf dem seine Herrscherstellung beruht: „der sich für uns dahingegeben hat, damit er uns erlöse von aller Gesetzlosigkeit und sich sein Eigentumsvolk reinige.“ Ähnlich Apg 5,31: „Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zum Fürsten und Heiland, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben.“ Das Sühnewerk Christi ist die Voraussetzung seiner Erhöhung zum göttlichen Soter (Cullmann [1957]19664:250-251), wie auch Phil 2,9 deutlich zeigt: „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ A ders als 2. Tim 1,10, wo die Rettungstat Christi bereits erfüllt ist, ist in Phil 3,20 von der Vollendung der Rettung am Ende der Tage die Rede: „Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus.“ Die Aussagen, die das Heil als zukünftig vorstellen, überwiegen ohnehin. Hebr 9,28: So ist „auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil“ (1.Petr 1,5; Act 2,21). 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a 248 Hier liegt kein Gegensatz zu den übrigen Soteraussagen vor, vielmehr eine Spannung, die für das ganze Neue Testament typisch ist: Er, der uns gerettet hat, ist der, der uns am Jüngsten Tag retten wird. Bultmann (19686:81) legt dar, dass Christus in das eschatologische Kerygma hineingehört „jedoch nicht nur als der Richter, sondern eben damit zugleich als d e r R e t t e r für diejenigen, die zur Gemeinde der Glaubenden gehören.“ Er sieht „die swtjr°a bzw. d i e zwÐ a l s g e g e n w ä r t i g e gemeint“ (:511). Dabei verweist Bultmann auf Kol 1,12-14 und vermutet, dass hier „offenbar an die Taufe“ gedacht sei, man erkenne, „dass der „gegenwärtige(n) „Heilsstand als eine Vorausnahme des künftigen Heils“ anzusehen sei, „dass durch die Taufe gesichert“ sei (:512), eine ntl nicht wirklich zu begründende Vermutung. Goppelt ([1976] 19853:177-185) betont das „Heil für die Sünder“ im Gegensatz zu den Gerechten, die sich auf ihre eigene Kraft verlassen: „Die Erzählungen von Jesu Heilswirken unterscheiden durchweg zwischen Sündern und Gerechten und berichten, Jesus habe sich zuerst um die Sünder bemüht, während sein Bußruf bei den Gerechten einsetzte“ (:177). Jesus macht an eindeutigen Beispielen sichtbar, „Was er den ‚Sündern’ bietet“ (:178). Die Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15) erschließen „den zentralen Sinn des Erdenwirkens Jesu“: „Wo immer Jesus Sündern seine Gemeinschaft schenkt, sei es durch Tischgemeinschaft, sei es durch Heilung eines Kranken, sei es durch Berufung in die Nachfolge, geschieht, ohne dass dies ausgesprochen wird, Vergebung von Gott her. Und diese Vergebung ist viel mehr, als dieser traditionelle Begriff von Hause aus sagt: Vergebung bedeutet nicht nur Tilgung von Schuld, sondern Wiederaufnahme in die Gemeinschaft, die Wiederaufnahme des Geschöpfes durch seinen Schöpfer als Aufnahme in das Leben der endzeitlichen Herrschaft Gottes. Die Hingabe der Sünder an die Gemeinschaft mit Jesus aber ist ihre Umkehr in Gottes Herrschaft. Der Sünder hat die ohne Bedingung gewährte Aufnahme immer nur soweit, als er heimkehrt“ (:181). Schniewind ([1927; 1931] 1970:1) hat dargelegt, dass die Herrschaft Gottes, die (basile°a to qeoÂ) der wesentliche Inhalt der Verkündigung Jesu ist. Welche Bedeutung aber hat das Wort von der Herrschaft Gottes, für das Kommen des Reiches selber? Er kommt zu dem Ergebnis: „Im Wort Jesu ist die Herrschaft Gottes bereits Gegenwart … Es ist gegenwärtig in seiner, Jesu Person; in seinem, in Jesu 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a 249 Wort“ (:1-2). Wenn aber die Gottesherrschaft in Jesu Wort schon Gegenwart gewinnt, „so ist der f r e u d i g e Charakter der Predigt Jesu offenbar. J e s u V e r k ü n d i g u n g i s t E v a n g e l i u m , i s t F r e u d e n w o r t “ (:4). Schniewind entdeckt schon im AT „Wurzeln des Evangeliumsgedankens“ (:27-62) Er weist im Verlaufe seiner Schrift nach, dass der ntl Begriff eÇagg™lion schon im AT geprägt ist. Und zwar tönt der Klang bei Deuterojesaja, wie in den Psalmen „in einer ganzen Symphonie: die Königsherrschaft Jahwes, das Heil, die Gerechtigkeit, die neue Wunderzeit, sie k o m m e n ; sie sind jetzt schon d a . Im Wort sind sie schon da, und allen Völkern gilt, was Jahwes Wort und Jahwes Tat bedeuten“ (:61). Deuterojesaja sieht die nächste Zukunft in der Perspektive der Endvollendung. Seine Eschatologie „wirkt im stärksten Maße weiter“ (:62). Das schwingt sich herüber ins NT: „Gerade im Zeitalter des Neuen Testaments wacht die Eschatologie wieder auf. Das Interesse am ‚Wort’ erwacht neu; die Hoffnung auf den kommenden Freudenboten wird von neuem lebendig“ (ebd.). Hier fügt sich Goppelts Aussage nahtlos ein: „In Jesu Person wendet sich Gott selbst, der jetzt seine endzeitliche Herrschaft aufrichtet, dem Menschen zu. Das ist die Basis der ntl. Christologie“ (Goppelt ([1976] 19853:182). Die oben beschriebene „Christologische Krise“ (1.3.1.) hat zur Folge, dass die Gemeinde hierzulande Christus als dem swtÑr nur noch wenig Bedeutung beimisst. Wir erinnern uns an die Feststellung von Seitz. In ihr ging es um „Predigten, die das Christologische in jesulogische Auffassungen umwandeln, die Auferstehung rational-psychologisch deuten und das Evangelium kaum merklich in eine menschlich ansprechende Gesetzlichkeit umwandeln. Mit einem Wort: um Predigten, die zwar den ‚lieben Gott’, aber nicht mehr die Rechtfertigung des von Gott getrennten Menschen aus der unverdient von außen kommenden Gnade in Christus verkündigen“ (Seitz 2003:18). „Christ der Retter ist da!“, die Zentralbotschaft des NT, ist von guten Ausnahmen abgesehen, zur weihnachtlichen Folklore verkommen. Die Hochspannung, die über dieser Weltzeit liegt, ist überlagert von den Sorgen dieser Welt, der Dominanz des Mammons, den vergänglichen Dingen, die auch die Kirche gefangen nehmen. Die Freude, auch der Ernst des NT, die sich mit der Zentralbotschaft verbinden, scheinen verdrängt. Nur für Menschen, die sich als Verlorene wissen, die gerettet wurden, ist 2.2.4. Der Retter - swtÐr, swtjr°a 250 Christus als Retter die Sensation. Um das zu erkennen, müssen sie ins Licht des Evangeliums gestellt werden. Lukas 2,9: „Die Klarheit des Herrn (dçxa qeoÂ) um 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a 251 leuchtete sie und sie fürchteten sich sehr.“ Wer verloren war, wer durch die große Furcht (fçbon m™gan) gegangen ist und das „Fürchtet euch nicht!“ (mÑ fobe²sqe)  vernommen hat, dazu das ¸doÁ gr eÇaggel°zomai Ãm²n carn megljn, den Gottesspruch der Rettung also, wie kann er es lassen, Verlorenen vom Retter zu sagen (Apg 4,20; 2.Kor 5,20)? Zur Ehre Gottes die basile°a  zu verkündigen, zu retten, was verloren ist, dazu ist Christus gesandt, dazu sendet er seine Gemeinde.. Gott will, „dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde“ (1. Tim 2,4-6). Bezzel, der Prediger Kondeszendenz, schreibt über den Dienst Jesu: „Die gesamte Diakonie Jesu will, sucht, begehrt die Seele. Seelen zu erretten hat sie sich in die Wüste geflüchtet, in die Weite gewagt, von der Heimat für die Fremde sich gelöst: zu retten“ (zitiert in Seitz 1960:154). Der letzte Satz kommt nach Seitz einer Zusammenfassung nahe: „Die Seelsorge Jesu zielt auf die Rettung des Menschen, auf jenes Ereignis, das im Neuen Testament mit swtjr°a bezeichnet wird und ganzes, volles Heil, also ‚letzte Rettung’ meint. Es handelt sich infolgedesssen nicht um Rettungen, die vorletzte Art haben, innerweltlich bestimmt sind und vor dem Grabe liegen, obwohl solch vorletztes Heil mitenthalten sein kann und nicht ausgeschlossen zu sein braucht. Letzte Rettung jedoch trägt endgültigen Charakter. In ihr geht es um den Frieden mit Gott und um das Sein bei Christus, das auch im Tode keine Grenze hat“ (:154-155). 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a Während Kraft (dÀnamiv) im gemeingriechischen Sprachgebrauch die einer Person innewohnende Möglichkeit zum Handeln meint, unabhängig von äußeren Hindernissen, bezeichnet xous°a die Möglichkeit zu einem Handeln, insofern sich ihm keine Hindernisse in den Weg stellen. xous°a ist „die von einer höheren Norm oder Instanz gegebene Möglichkeit und damit das Recht, etwas zu tun, das Recht über etwas“ (Foerster THWB II. 559). Je nach Zusammenhang bedeutet dieses Recht: Vollmacht, Erlaubnis oder Freiheit. Vollmacht wird im Rechtsgefüge eines 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a 252 Staates vom König, der Obrigkeit usw. verliehen. xous°a als ordentlich rechtliche Handlungsfreiheit ist von xestin (= es ist erlaubt, es ist rechtmäßig) abgeleitet. In der Septuaginta (ca. 68 Belege) findet sich der Begriff im juristischen und staatlichen Sinn, dann aber als die von Gott gegebene Erlaubnis. Nach dem NT ist xous°a „die Macht, ‚die zu sagen hat’, es eignet sich darum in besonderer Weise dazu, die unsichtbare Macht Gottes auszudrücken, des- sen Wort schöpferische Macht ist“ (:563). Vollmacht, Erlaubnis oder Freiheit haben demnach eine große Nähe zur Machtausübung selbst. Zunächst ist xous°a Gottes absolute Möglichkeit zum Handeln. Das Wort auf Gott bezogen findet sich an zwei Stellen. Sie sprechen von seiner „unwidersprechbaren Freiheit zu handeln“. Einmal Lk 12,5: „Ich will euch aber zeigen, vor wem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch.“ Der Erhöhte sagt zweitens in Apg 1,7: „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat …“ Gottes Vollmacht ist die Macht des Schöpfers: „Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?“ (Röm 9,21). Für Paulus ist der Vorgang der Schöpfung absolute Machttat Gottes und „ihr schärfster Ausdruck, da das Geschaffene sein Dasein dem Schöpfer verdankt und darum schon in seiner Existenz von der xous°a des Schöpfers Zeugnis ablegt“ (THWB II. 564). Im Judasbrief steht xous°a eng verbunden neben krtov „Dem alleinigen Gott, unserm Heiland, sei durch Jesus Christus, unsern Herrn, Ehre und Majestät und Gewalt (krtov) und Macht (xous°a) vor aller Zeit, jetzt und in alle Ewigkeit! Amen“ (V. 25). Entgegen jeder Verniedlichung und Verharmlosung Gottes gibt der Schöpfer auch Verderbensmächten in Natur und Geschichte die Freiheit unheilvoll zu wirken. Foerster spricht von der „eschatologischen Deutung des Weltgeschehens“ (:564): „Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen wurde Macht (xous°a) gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden“ (Offb 6,8). - „Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken auf die Erde, und ihnen wurde Macht (xous°a) gegeben, wie die Skorpione auf Erden Macht (xous°a) haben. 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a 253 Und es wurde ihnen gesagt, sie sollten nicht Schaden tun dem Gras auf Erden noch allem Grünen noch irgendeinem Baum, sondern allein den Menschen, die nicht das Siegel Gottes haben an ihren Stirnen“ (Offb 9,3-4. s. Verse 10 u. 19). Hier ist ausgedrückt, dass xous°a nicht eigene Macht oder Fähigkeit bedeutet. Die Schadensmacht ist z. B. den Skorpionen g e g e b e n . Die entscheidende letzte xous°a über die Plagen hat Gott: „Und die Menschen wurden versengt von der großen Hitze und lästerten den Namen Gottes, der Macht hat über diese Plagen, und bekehrten sich nicht, ihm die Ehre zu geben“ (Offb 16,9). Auch Engel haben die ihnen verliehene Macht von Gott bekommen: „Danach sah ich einen andern Engel herniederfahren vom Himmel, der hatte große Macht, und die Erde wurde erleuchtet von seinem Glanz“ (Offb 18,1). Selbst der Herrschaftsbereich des Satans, seine Vollmacht, ist von Gottes Willen umfasst. Paulus, der sich vor Agrippa und Festus verantwortet, beschreibt, was er von Jesus auf der Straße nach Damaskus vernimmt: „Und ich will dich erretten von deinem Volk und von den Heiden, zu denen ich dich sende, um ihnen die Augen aufzutun, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans (xous°av to Satan‚)‚ zu Gott. So werden sie Vergebung der Sünden empfangen und das Erbteil samt denen, die geheiligt sind durch den Glauben an mich“ (Apg 26,17-18). Später schreibt Paulus von Gott: „Er hat uns errettet von der Macht (k tÒv xous°av) der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich (basile°an) seines lieben Sohnes“ (Kol 1,13). - Beide Male sind Macht und Machtbereich nicht zu trennen. Es ist ein für uns unaufhebbares Geheimnis, „dass die Macht des Bösen, die radikal gottfeindlich ist, sich als solche auswirken darf und doch von Gottes Walten umfasst ist“ (THWB II:564). So heißt es in der Versuchungsgeschichte bei Lukas: „Und der Teufel führte ihn hoch hinauf und zeigte ihm alle Reiche der Welt in einem Augenblick und sprach zu ihm: Alle diese Macht will ich dir geben und ihre Herrlichkeit; denn sie ist mir übergeben, und ich gebe sie, wem ich will“ (Lk 4,5-6). Vom Antichristen, dem „Tier“ in Offb 13, heißt es, dass der Drache, „die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan“ (Offb 12,9), ihm seine Kraft (dÀnamiv), seine Stellung (qrçnov) und dazu xous°an megljn gegeben hat. Ist hier der Drache der Souverän, der Geber der Vollmacht? Es wird klar, dass Gott über die 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a 254 Dauer des bösen Wirkens verfügt und dass nichts ohne seine Erlaubnis geschieht: „Und es wurde ihm ein Maul gegeben, zu reden große Dinge und Lästerungen, und ihm wurde Macht gegeben, es zu tun zweiundvierzig Monate lang“ (Offb 13,5). In dieser Gewissheit spricht Jesus auch im Garten Gethsemane, als die Häscher kommen, ihn zu fangen: „Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht (xous°a) der Finsternis“ (Lk 22,53). Das ist auch der Grund, warum Jesus sich nicht widersetzt. Im Werk und der Person Jesu spielt xous°a eine große Rolle. Er ist d e r B e v o l l m ä c h t i g t e G o t t e s schlechthin. Es geht um die von Gott gegebene Vollmacht und Macht zum Handeln, um Freiheit zur Verwalterschaft in Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters: „Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, daß ich's wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater“ (Joh 10,17.18). Von der Macht, die gänzlich ihm übergeben ist, spricht Jesus als der Auferstandene: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18). Jesus ist nun zum Cristçv und kÀriov in der Königsherrschaft Gottes erhöht. Dasselbe schaut Johannes, der Seher in einem Bild und hört die Stimme im Himmel: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger unserer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott (Offb 12,10). Die universale Herrschaft und Vollmacht Jesu zeigt sich besonders im Verhältnis zu den Menschen. Im Hohepriesterlichen Gebet betet Jesus zum Vater, von sich in der 3. Person redend: „du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast“(Joh 17,2). Zweimal ist im Zusammenhang mit der xous°a Jesu darauf hingewiesen, dass mit seiner Vollmacht auch seine Stellung als R i c h t e r im kommenden Gericht gegeben ist „Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a 255 (dwken aÇto²v xous°an t™kna qeo gen™sqai), denen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12). Die Vollmacht des irdischen Jesus liegt zum e i n e n darin, dass er Sünden vergibt, was nur Gott zusteht (Mk 2,10). Die Schriftgelehrten fragen nach der Kraft (dÀnatai) aus der er das kann. Jesus Antwortet weist auf seine xous°a. Er hat das Recht und die Macht zu vergeben. Die Vollmacht Jesu tritt zum a n d e r n im Zusammenhang seiner Lehre in Erscheinung. Die Menge entsetzt sich (xeplÐssonto) (Mt 7,29). Dazu bemerkt Schniewind: „Sie merkt unmittelbar, hier sei Gottes Gegenwart; dies bedeutet, ‚sich entsetzen’ … So war die Rede auch gemeint. Sie war die Rede des Messias, der Gottes künftige Herrschaft in seinem Worte bringt, und der es verleiht, aus der zukünftigen Gottessohnschaft schon jetzt zu leben; der als der künftige Weltenrichter schon jetzt Gottes Gericht verkündet, aber das Gericht in die Seligpreisung hinaufhebt, der ein neues Dasein der Gegenwart Gottes, des gelingenden Betens, der Sorglosigkeit schenkt. Wehe aber, wer seine Worte verachtet! – Dieser Eindruck der Bergpredigt wird durch das Wort ‚Vollmacht’ bezeichnet“ (Schniewind 1956:105-106). Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten hatten das Recht und die Pflicht, über aller Lehre zu wachen. Nun trat einer auf, der durch sein Wort und seine Tat eine große Bewegung hervorrief, ohne von ihnen dazu einen amtlichen Auftrag, eine Vollmacht, erhalten zu haben. Darum fragten sie: „Aus welcher Vollmacht tust du das? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, daß du das tust?“ (Mk 11,27-28). Schon damals gab es kirchenamtliche Vollmachten, wie heute. Dem gegenüber gab es „Vollmacht von oben“, „eine göttliche Vollmacht, die in Gottes Auftrag und Kraft wurzelte und sich als göttlich an den Gewissen der Menschen bezeugte“ (Christlieb 1976:25). Mehrfach spricht das Volk verwundert und in Furcht über Jesu Vollmacht: „Als das Volk das sah, fürchtete es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat“ (Mt 9,8). „Und sie entsetzten sich alle, so daß sie sich untereinander befragten und sprachen: Was ist das? Eine neue Lehre in Vollmacht! Er gebietet auch den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm!“ (Mk 1,27). „Und es kam eine Furcht über sie alle, und sie redeten miteinander und sprachen: Was ist das für ein Wort? Er 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a 256 gebietet mit Vollmacht und Gewalt (xous°‹ ka± dunmei) den unreinen Geistern, und sie fahren aus“ (Lk 4,36). Zum d r i t t e n kann er in der ihm verliehenen Vollmacht Dämonen austreiben (Mk 3,15; 6,7 par; Lk 10,19). Spätestens hier erweist sich, dass xous°a, als „Macht die zu sagen hat“ mit machtvollem Handeln verbunden ist. Durch ein von Jesus ausgesprochenes Befehlswort müssen Dämonen weichen. Deutlich ist: Jesu 'Exous°a „setzt göttlichen Auftrag und Bevollmächtigung voraus, die zugleich Macht ist, und das Besondere d i e s e r xous°a ist, dass sie von der Verkündigung, dass das Reich Gottes ‚nahe’ ist, nicht zu trennen ist. Indem der Träger dieser xous°a, der Macht zu heilen und Sünden zu vergeben, da ist, ist auch das Reich Gottes da“ (THWB II.:566). Ein besonderes hervorstechendes Interesse an der xous°a Jesu im Zusammenhang seiner Sendung erkennt Scholtissek (1992) beim Evangelisten Markus. Jesu erstes öffentliches Auftreten in Kapernaum (1,21-34) steht ganz unter dem Gesichtspunkt der vollmächtigen Lehre Jesu. „Er offenbart seine messianische Gottessohnschaft (vgl.1, 9-11) in der Einheit von lehrendem und wundertätigem Auftreten. Dabei liegt der Einheitspunkt von Lehre und Wunderwirken Jesu … in der vollmächtigen Sendung Jesu. Die sich in Wort und Tat offenbarende xous°a Jesu ist die herausragende Qualifikation der messianischen Sendung Jesu. Sie ist der ‚nach außen gewandte’ unübersehbare Ausdruck seiner Sendung“ (:281-282). Kommt Johannes dem Täufer eine prophetische Autorität zu, ist die Vollmacht Jesu eine messianische Prädikation. Die messianische Sendung Jesu hat die zeichenhafte Vorwegnahme der kommenden Gottesherrschaft (das ist der Indikativ) und die Antwort des Menschen in Umkehr, Glaube und Nachfolge, (das ist der Imperativ), zum Inhalt (:285). „Ausdruck und Ausweis seiner messianischen Sendung sieht Markus vornehmlich im Vollmachtscharakter des Wirkens Jesu gegeben. Die Erfüllung seiner Sendung führt ihn in die freiwillig gehorsame Lebenshingabe ‚für die vielen’ (10,15; 14,24). Jesu messianisches Amt und seine messianische Exousia bewähren und erweisen sich zuletzt entscheidend in der Treue gegenüber dem Willen Gottes (vgl. die Betonung der Schriftgemäßheit des Leidens Jesu; 14,36). Jesus erfüllt seine messianische Sendung gerade in seiner Lebenshingabe … Jesu Passion widerlegt nicht seine messianische Sendung, sie ist vielmehr der Modus ihrer Bewährung und letztgültigen Realisierung sub contrario. Anspruch, Inhalt 2.2.5. Der Bevollmächtigte - xous°a 257 und Gestalt der messianischen xous°a Jesu weisen sie insgesamt als proprium christianum aus“ (:285-286). 2.2.6. Der Gesandte - ‡post™llw und p™mpw 258 2.2.6. Der Gesandte - ‡post™llw und p™mpw Im NT findet sich ‡post™llw ca. 135 mal und zwar vorwiegend in den Evangelien und der Apostelgeschichte, dort als fester Bestandteil des Sprachgebrauchs. Daneben erscheint p™mpw etwa 80 mal, 33 mal davon im Johannesevangelium. Bei der Verwendung von p™mpw liegt der Ton auf der Sendung als solcher, bei ‡post™llw auf dem mit der Sendung verbundenen Auftrag (THWB: 403). Auf Gott bezogen gebrauchen die Synoptiker nie p™mpein, sondern ‡post™llw. Bei Johannes wechseln die Begriffe jedoch oft. So oft die Hl Schrift vom Senden Gottes spricht, drückt sie damit seine Kondeszendenz aus. Gott gibt sich tief in das Leben seiner Menschen. Dennoch steht er seinen Geschöpfen in Freiheit als der Herr gegenüber. Der Gebende und Sendende zu sein, ist sein innerstes Wesen. Demgegenüber ist der Mensch vor Gott seinem Wesen nach Empfänger und dann - Gesandter. Senden, auf Jesus bezogen, wird im NT zum Schlüsse lwor t . Das zeigt nicht nur das häufige Vorkommen. Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1-12 par) betont den Zusammenhang der Sendung des Sohnes mit der Sendung der Propheten (die Knechte). Der grundlegende Unterschied wird ebenfalls klar. Der Vater, der vorher seine Knechte gesandt hat, sendet nun seinen Sohn. Es nimmt der, der ihn aufnimmt, zugleich den auf, der ihn gesandt hat, und wer ihn ablehnt, lehnt auch den Sendenden ab (Lk 9,48; 10,16 par), den Vater also, der dem Sohn alles in seine Hände gelegt hat (Mt 11,27). Das Bewusstsein seiner göttlichen Sendung spricht sich in der Einheit und Beziehung Jesu zu seinem himmlischen Vater aus, was besonders - wie oben dargestellt - in den Elthonsprüchen zum Ausdruck kommt. „Ich bin gekommen“ bedeutet „ich bin gesandt“. Die, die der Gesandte um sich sammelt und denen er seine Sendung verkündigt, werden wiederum gesendet und darum Gesandte (Apostel) genannt. Das gesamte NT steht in enger Beziehung zu der entscheidenden Sendung des Sohnes. Ohne seine Sendung - gäbe es keine Frohbotschaft, keinen christlichen Glauben, keine lebendige Hoffnung (1. Petr 1,3), kein NT, keine Kirche. Stehen das Leben des irdischen Jesus und damit des auferstandenen Christus unter dem Zeichen der göttlichen missio, so hat diese die zentrale Bedeutung schlechthin. So beschreibt Johannes das Kommen Jesu in Metaphern der Schöpfung: „Alle Dinge sind durch dasselbe (Wort) gemacht, 2.2.6. Der Gesandte - ‡post™llw und p™mpw 259 und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist“ (Joh 1,3). Jesu Sendung ist dem, was er sagt und tut, vorgeordnet. Die Sendung Jesu wird angekündigt: „Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria“ (Lk.1,26; Joh 1,6-7). Jesu Sendung hat ihren Ort in der Heilsgeschichte Gottes: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan“ (Gal 4,4). Die vom Propheten verheißene Sendung erfüllt sich im Gottessohn: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn. Und als er das Buch zutat, gab er's dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn. Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren“, (Lk 4,18-21).“ In ausgeprägter Weise beschreibt J o h a n n e s das Besondere an Jesus. Die Sendung des Sohnes durch den Vater in die Welt kehrt in allen seinen Reden geradezu refrainartig wieder (40mal:3,17; 10,36; 17,18). Jesus ist nicht von sich aus gekommen: „Ich bin von Gott ausgegangen und komme von ihm; denn ich bin nicht von selbst gekommen, sondern er hat mich gesandt“ (Joh 8,42). Darum kennt Jesus den Vater (7,29) und seine Werke zeugen davon, dass ihn der Vater gesandt hat (5,36). Jesus verkündigt darum auch nicht seine eigene Lehre, sondern die Lehre und das Wort dessen, der ihn gesandt hat (7,16; 14. 24). Aufgrund der Sendung des Vaters hat sein Wort göttliche Vollmacht, er redet Gottes Wort (3,34) und sein Gericht ist recht (8,16). Jesus weiß sich von Gott gesandt. Darum ist er ihm g e h o r s a m (5,30; 4,34). Sein einziges Verlangen besteht darin, den Willen dessen zu erfüllen, der ihn gesandt hat (4,34; 6,38-40). Er weiß sich dem Vater so nahe, dass er sagen kann: „Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat“ (12,44- 45). Die Haltung, die Jesus gegenüber eingenommen wird, ist also eine Stellungnahme zu Gott selbst (5,23; 14,24; 15,21-24). Der Glaube, den Jesus von den Menschen fordert, ist ein Glaube an seine Sendung (11,42; 17,8.21.23.25). Zugleich 2.2.6. Der Gesandte - ‡post™llw und p™mpw 260 richtet sich solcher Glaube an den Sohn als Gesandten: „Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (6,29). Seine Passion, die Vollendung seines Werkes, bedeutet die Rückkehr zum Vater: „Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat“ (16,5; 17,11). Wer Jesus hört und dem glaubt, der ihn gesandt hat, der hat das ewige Leben (5,24). Ihn zu erkennen, ist schon das ewige Leben: „Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (17,3). Das Ziel der Sendung Jesu tritt zutage: das Heil der Menschen, die Rettung der Welt: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde (Joh 3,17). Durch die Sendung des Sohnes in die Welt ist Wesentliches vom Geheimnis des einen Gottes (5. Mose 6,4; Joh 17,3) enthüllt: Er hat sich durch die Sendung seines Sohnes als unser Vater offenbart. Darum scheiden sich auch an ihm die Geister. In der Auseinandersetzung mit einem Blindgeborenen sagt er: „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden“ (Joh 9,1-39). In den apostolischen Schriften nimmt die Sendung des Sohnes ebenfalls eine zentrale Stellung ein. Paulus sagt: „Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist“ (Röm 8,3-4). „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, ... damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste (Gal 4,4; Röm 8,15). Gott hat seinen Sohn als Retter und Erlöser gesandt zur Sühne für unsere Sünden, damit wir durch ihn das Leben haben. Das ist der Beweis seiner Liebe zu uns: „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden“ (1. Joh 4,9f). „Und wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt“ (V 14). 2.2.7. Der Gehorsame - ÃpakoÐ 261 Zu einem besonderen Wort, das auf Zweck und Ziel der Sendung weist, wird die Konjunktion ´na. Gott sandte seinen Sohn, d a m i t wir die Kindschaft empfingen (Gal 4,4-5); d a m i t er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste (Gal 4,4); d a m i t die Gerechtigkeit in uns erfüllt würde (Röm 8,3-4); d a m i t alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben (Joh 3,16); d a m i t die Welt durch ihn gerettet werde (Joh 3,17), d a m i t wir durch ihn leben sollen (1.Joh 4,9). Hier wird die ganze Dynamik der Sendung Jesu deutlich, in seiner Lebenshingabe am Kreuz zum Heil der Welt. Schweizer (1970:95) weist darauf hin, dass in vier von ihm untersuchten Sendungsformeln (Gal 4,4f; Röm 8,3f; Joh 3,16f; 1. Joh 4,9f) das Ereignis des Kreuzes festgehalten ist. Die Vorstellung von der Sendung des präexistenten Sohnes vom Himmel sei zwar vorausgesetzt, habe aber (Gal 4,4-5) nur dienende Funktion. Das am Kreuz vollzogene Gottesurteil (Röm 8,3-4) wird zur Hauptaussage. Ähnlich interpretiere Joh 3,16-17 das Heilsereignis der Kreuzigung Jesu (V.14) und erklärte mit der Sendungsformel, dass sich darin die weltrettende Liebe Gottes selbst erwiesen hat. - Ähnliches sieht er auch bei 1. Joh 4,9f. Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1-9) sieht Schweizer nicht nur alles Gewicht darauf gelegt, „dass gezeigt wird, was mit der Kreuzigung Jesu wirklich geschah (was hier freilich Bußruf, nicht Heilsverkündigung bedeutet).“ Er weist daraufhin, dass hier vor allem die Sendung des Sohnes auf der gleichen Ebene wie die der Knechte geschildert ist (aaO). Wenn einzelne Menschen das Heil empfangen, ist Jesu Sendung noch nicht zu ihrem letzten Ziel gekommen. Es geht Jesus um die Aufrichtung des Reiches Gottes. Den Menschen, die ihn festhalten wollen „damit er nicht von ihnen ginge“ sagt er: „Ich muss auch den andern Städten das Evangelium predigen vom Reich Gottes; denn dazu bin ich gesandt“ (Lk 4,43). 2.2.7. Der Gehorsame - ÃpakoÐ Bei der Taufe Jesu ertönt eine Stimme vom Himmel: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“ (Mk 1,11; vgl. Mt 3,17; Lk 3,22). Jesus unterzieht sich der Taufe, tritt in die Gemeinschaft der Sünder, um „alle Gerechtigkeit zu erfüllen“. Nach Cullmann (siehe Bieneck 1951:61) wird Jesus hier als derjenige Sohn dargestellt, dem die Rolle des „Gottesknechtes“ zu übernehmen bestimmt ist. Dass das Urchristentum in Jesus den leidenden Gottesknecht von Jes 53 gesehen hat, hat Wolff gezeigt (1949). Mit dem Leidensgedanken aber ist der Gehorsamsgedanke eng 2.2.7. Der Gehorsame - ÃpakoÐ 262 verbunden (Bieneck:62). Scholtissek (1992:249) hat gezeigt, dass besonders die Passionsgeschichte bei Markus durch das Motiv der Vollmacht Jesu geprägt ist: „Jesus ist zum einen der souveräne und situationsüberlegene Handlungsträger, der alle zukünftigen Ereignisse bis in die Details genau vorhersieht, und zum anderen der gehorsame Messias, der sich dem Willen Gottes gemäß in die Hände der Menschen (9,31) und der Sünder (14,41) ausliefert bzw. ausgeliefert wird und gerade am Ort der denkbaren Erniedrigung und Entstellung (vgl. 15,16- 20.29-32) seine messianische Sendung erfüllt (vgl.15,39).“ So geht es bereits in der Taufe Jesu um „die Darbringung des vollen Gehorsams, den der Sohn dem Vater schuldet“ (Rengstorf [1936]1958:59). „Also einem, der im Vollsinn gehorsam ist, der sich bereit findet, seine Wirksamkeit in der Weise zu beginnen, dass er sich dabei dem Willen Gottes gänzlich unterwirft, dem Willen, der ihn in die Tiefe der Bindungen an die Verschuldeten und auf Gottes Barmherzigkeit Geworfenen führt, wird das bestätigende und besiegelnde Wort zuteil. Durch diesen Schritt sich selbst verlierender Beugung und Unterwerfung erweist er sich als der Sohn“ (Bieneck1951:63). Das Zeugnis vom Gehorsam des Gottessohnes wird ebenso in Mt 4,1-11 deutlich. Jeremias (1971:73) überschreibt seine Untersuchungen über die Versuchungsgeschichte Jesu mit „Das Ja zur Sendung.“ Damit ist ausgesprochen, dass der Versucher es darauf anlegt, Jesu Sendung zu verhindern. Ist ihm das gegenüber Jesus nicht gelungen, so zeigt die „Preisgabe der Sendung“ durch Kirche und Gemeinde (1.3.1.) Züge des Versuchers . Unzählige Gründe werden von Theologie und Gemeinde ins Feld geführt, die darauf angelegt sind, den Sendungsauftrag Jesu, wenn nicht wegzurationalisieren, so aber zu relativieren, was seiner Eliminierung gleichkommt. Jesus steht als Gesandter Gottes im äußersten Kampf gegen den Gegenspieler des Ewigen. Er wird in der Wüste vom Satan versucht, als politischer Messias hervorzutreten. Für Jesus bestand die Versuchung eines politischen Messiastums im Vermeiden des Leidensweges (Mt 16,22). Für die Urgemeinde bestand die Versuchung eines politischen Messiastums später nicht. „Sie hat nicht einen Augenblick daran gedacht, eine Bewegung mit politischen Zielen zu sein. Die Frage nach einem politischen Messias hat keinen ‚Sitz im Leben’ in der Urkirche“ (Jeremias 1971:76). Jesu Gehorsam gegen Gott, durch den er den Versucher abweist, 2.2.7. Der Gehorsame - ÃpakoÐ 263 besteht in seiner Bindung an das Schriftwort. Im Wort erkennt Jesus den Willen Gottes, dem er gehorcht: g™graptai. Die Evangelien berichten, dass Jesus seinen Jüngern gegenüber von seinem Kampf gegen den Satan gesprochen hat (Mt 12,26; Mk 3,23.26; 4,15; Lk 10,18; 13,16; 22,31), ja, dass der Versucher selbst aus dem Jünger spricht, um ihn vom Kreuzesweg abzuhalten (Mt 16,22-23). Das trifft Jesus im Innersten. Der eigene Jünger wird zum satan‚v und skndalon. Jesus bleibt der Gehorsame, auch da, wo das Leiden in seine letzte Phase eintritt. Ein Wort Jesu deutet auf einen Sieg gegenüber Satan, dass dem Wirken Jesu vorausgegangen ist. Schriftgelehrte klagen ihn an: „Er treibt die bösen Geister aus durch ihren Obersten“ Darauf fragt Jesus in Gleichnissen: „Wie kann der Satan den Satan austreiben? Wenn ein Reich mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen. Und wenn ein Haus mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen. Erhebt sich nun der Satan gegen sich selbst und ist mit sich selbst uneins, so kann er nicht bestehen, sondern es ist aus mit ihm. Niemand kann aber in das Haus eines Starken eindringen und seinen Hausrat rauben, wenn er nicht zuvor den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus berauben (Mk 3,22-27). Damit ist ausgesprochen, dass durch Jesus der Satan besiegt, gefesselt ist. Jetzt kann er ihm seinen Besitz rauben. Im Joh wird Jesus als der auf den Vater hörende vorgestellt: „Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. Und ich weiß: sein Gebot ist das ewige Leben. Darum: was ich rede, das rede ich so, wie es mir der Vater gesagt hat“ (Joh 12,49-50). Vollends erweist sich Jesus als der Gehorsame in der entscheidenden Stunde der Passion. Im Gethsemanegebet durchschreitet er die Tiefe der Vaterunser-Bitte: „Dein Wille geschehe!“ Sein Gehorsam hat nichts zu tun mit einer stoischen, unerschütterlichen Eigenschaft, die ihm zur Verfügung stünde. „Jesus muss in dieser schwersten Anfechtung, von der die Evangelien berichten, einen äußersten Kampf führen, um in der Haltung der Unterordnung unter den Willen des Vaters und der Leidensbereitschaft zu bleiben“ (Bieneck 1951:66). Johannes stellt heraus, dass der Gehorsam Jesu a u s s e i n e r L i e b e z u m V a t e r kommt, die wiederum ihre Quelle in der Liebe des Vaters zu ihm, dem Sohn, hat: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 2.2.7. Der Gehorsame - ÃpakoÐ 264 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde“ (Joh 15,9-11). Am Jakobsbrunnen sagt er zu seinen Jüngern, dass er davon lebt, den Willen des Vaters zu tun: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk“ (Joh 4,34). Seinem Gehorsam gegen Gott, der ihn in den Kampf mit den Mächten des Verführers stürzt, eignet eine die Welt rettende Dynamik. Zum Zeichen dafür heilte er in der dÀnamiv kur°ou (Lk 5,17; 6,19). Jesus weiß sich vom Vater geliebt. Aus Liebe zu ihm hält er seines Vaters Gebote. Aus Liebe zu ihm ist er gehorsam. Die Welt soll erkennen, dass er den Vater liebt. Er tut, wie ihm der Vater geboten hat (Joh 14,31). „Die Liebe Jesu ist wie alle echte Sohnesliebe Gehorsam“ (Büchsel 1937:70). Nachfolge Jesu ist darum ein im Liebesgehorsam mit dem Auferstandenen Unterwegssein. Das wird uns unten noch beschäftigen (3.2.6.). Auch Bultmann ([1926]1964) sieht im zweiten Teil des Liebesgebotes eine Gehorsamsforderung, „indem ich den Nächsten liebe, bewähre ich meinen Gehorsam gegen Gott. Es gibt also keinen Gehorsam gegen Gott sozusagen im luftleeren Raume, keinen Gehorsam losgelöst von der konkreten Situation, in der ich als Mensch unter Menschen stehe, keinen Gehorsam, der sich direkt auf Gott richtet“ (:99). Heute sind wir es, die davon leben, dass Christus gehorsam war: „Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten“ (Röm 5,19). Darum ist das Evangelium eine dÀnamiv qeo (Röm 1,16), das Wort vom Kreuz ist denen die gerettet werden, eine Gotteskraft (1. Kor 1,18), seine Dynamis ist in den Schwachen mächtig (2. Kor 12,9). Im Christushymnus sagt Paulus: „Er erniedrigte sich selbst und ward g e h o r s a m bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“ (Phil 2,8). Der Hymnus (2,6-11) betont das Kommen Christi nicht von Gott her als den Sendenden, er spricht von Jesus her, von dem, was e r ist und tut, von seiner Selbstentäußerung (›autèn k™nwsen) als Präexistenter, von s e i n e m G e h o r s a m gegenüber dem Vater. „Jesus war wirklicher Mensch; aber er war im Gegensatz zu allen anderen ‚gehorsam’. Wird er in der synoptischen Überlieferung als der Gerechte 2.2.7. Der Gehorsame - ÃpakoÐ 265 schlechthin gesehen, so hier als der Gehorsame“ (Goppelt 1985:402). Der Gesandte ist der Gehorsame. Damit ist nicht auf 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj 266 eine sittliche Qualität Jesu abgehoben. Sein Gehorsam zeigt sich im Vollzug der Sendung. Aufgrund seines Gehorsams hat Gott ihn, der sich selbst erniedrigt hat, erhöht „und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,9-11). „In dem kyrios ist das erlösende Handeln Jesu präsent“ (:414). Ihre Erlösung haben die Menschen dem Senden Gottes und dem Gehorsam des Sohnes gleicherweise zu verdanken. Es war ein Gehorsam bis zum Tode, „ja, bis zum Tode am Kreuz“ (Phil 2,8). Die Kreuzestheologie des Paulus scheint auf. Er hat sie nicht nur als theologische Lehre vertreten. Er hat sie gelebt. Bis ins Leibliche hinein sieht er sein Leben vom Kreuz bestimmt: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde“ (2. Kor 4,10; s. 2. Kor 6,4-10). Damit wird deutlich, dass auch Paulus seinen Gehorsam Jesus gegenüber nicht als einen Gehorsam aus blinder Pflichterfüllung versteht, sondern aus seiner personhaften Verbindung mit seinem Herrn. 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj In Jesusbüchern (Schlatter 1923a; Bultmann [1926] 1964; Bornkamm 1956; Stauffer 1959; de Boor 1963; Braun [1969] 1973) wird das Doppelgebot der Liebe behandelt, auch die Feindesliebe, aber Jesus selbst wird kaum als der Liebende beschrieben. Das hat einmal darin den Grund, dass es so gut wie keine Hinweise oder Logien gibt, die wörtliche Liebeserklärungen Jesu an Menschen enthalten. Die Ausnahmen sind schnell genannt: Im Zusammenhang mit dem reichen Jüngling haben wir den Hinweis: „Jesus sah ihn an und liebte ihn“ (Mk 10,21). In den Abschiedsreden (Joh 15,9) heißt es: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch“ (:12). Jesu Liebeserklärungen an die Menschen ergehen kaum in Sätzen, in denen sich die Vokabel „Liebe“ findet. Sie ergehen in Worten und Taten der Liebe. Zum anderen tut die diskursive Struktur unseres Denkens ein Übriges. Es kann nur von einer Teilvorstellung zu einer anderen mit logischer Notwendigkeit fortschreiten. Der, an den wir glauben, ist aber so nicht zu beschreiben. Glaube ist personhaft, darum, in aller Gebrochenheit, auf ganzheitliche Schau angewiesen. „Das theologische Denken ist infolge dieser seiner Struktur gewissermaßen ein ‚fremdes’ Medium, in das die Aussagen des Glaubens transportiert werden 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj 267 müssen. So wird es auf Grund der Eigengesetzlichkeit dieser Denkstruktur immer wieder zu Verbiegungen dessen kommen, dem jene Struktur sich erkennend nähert.“ (Thielicke 1973:3-4). Im Zusammenhang der Beschreibung des Wesens Gottes als Liebe schreibt Härle (20002: 247): „Von Gottes Wesen können Menschen immer nur bestimmte Aspekte und Dimensionen erfassen, aber niemals das Ganze. Und insofern bleibt es ein Geheimnis. Dieses Geheimnis kann einer Person begegnen, sie anrühren, ihr Leben erfassen und bestimmen – dem menschlichen Zugriff wird es sich immer entziehen.“ Haben wir über Jesu Kommen gesprochen, über sein Suchen nach den Verlorenen, über sein Richteramt, über ihn als den Retter, über seine Vollmacht, über die Dynamik seiner Sendung und seinen Gehorsam, war das Entscheidende unausgesprochen gegenwärtig: J e s u s i s t d e r g r o ß e L i e b e n d e ! Dass er das ist, ist nicht etwas von den übrigen Beschreibungen seiner Person Isoliertes, sondern betrifft sie alle. Die Sendung Jesu ist ein Handeln Gottes aus Liebe zu den Menschen. Der Begriff der S e n d u n g J e s u rückt so sehr an den der L i e b e G o t t e s heran, dass sie zu Synonymbegriffen verschmelzen (Eickhoff 1992:112). Gerade darin ist die Liebe Gottes offenbart, dass er seinen Sohn gesandt hat (1. Joh 4,9-10). Der Wortbefund des AT beschreibt „Liebe“ in vielfältiger Weise, als Liebe zu Personen (Gen 29,18; 1. Sam 18,3; 2. Sam 1,26), zu Sachen (s. TRE 21, 1991:128- 133), Gottes Liebe zu seinem Volk (Hosea 3,1, 11,1; 14,5); zu Recht und Gerechtigkeit (Jes 61,8; Ps 11,7), Liebe zu Gott (Ex 20,6; Deut 6,5), Liebe zum Nächsten (Lev 19,18). Liebe zeichnet sich aus als spontanes Gefühl, das zur Selbsthingabe drängt oder bei Dingen zu deren Bemächtigung. Liebe in diesem Sinne ist eine den Menschen gegebene Seelenkraft. Gott soll geliebt werden mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und ganzer Kraft (5. Mose 6,5). Jahwes Liebe dagegen richtet sich so gut wie kaum auf einzelne Personen. „Was das AT von der Liebe Gottes zu sagen hat, bewegt sich vorwiegend in völkischen Gedankengängen und hat dort seinen natürlichen Boden“ (Quell, THWB I:30). Die Liebesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk ist eingebettet im Bundesgedanken. Die Liebe Gottes zu Israel (5. Mose 7,12-13) beruht nicht auf göttlichem Trieb, sondern ist Wille. So gilt umgekehrt „die Liebe zu Gott und dem Nächsten (5. Mose 6,5; Lev 19,18), die den Israeliten geboten wird, ist nicht Rausch, sondern Tat“ (Stauffer, 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj 268 THWB I:38). Gott lieben heißt, an ihm Gefallen haben und zu ihm streben. Zum Propheten Jeremia sagt Gott: „Geh hin und predige öffentlich der Stadt Jerusalem und sprich: So spricht der Herr: Ich gedenke der Treue deiner Jugend und der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir folgtest in der Wüste ...“ (Jer 2,2; Ps 91,14). Wie die Septuaginta gebraucht auch das NT vorwiegend ‡gpj und ‡gap‚n. Die Sendung Jesu ist bereits ein Ausdruck der Liebe Gottes: „D i e L i e b e G o t t e s w u r d e u n t e r u n s d a d u r c h o f f e n b a r t , d a s s G o t t s e i n e n e i n z i g e n S o h n i n d i e W e l t g e s a n d t h a t , damit wir durch ihn leben. Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er u n s g e l i e b t und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden g e s a n d t hat“ (1.Joh 4,9-10; Joh 3,16-17). Aus Liebe hat Gott seinen Sohn gesandt. „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch (Joh 15,9). Dort, wo das Wort „Liebe“ expressis verbis nicht erscheint, steht es doch hinter der Sendung Jesu schlechthin. Christus ist der Geliebte des Vaters (Kol 1,13; Eph 1,6). Stauffer schreibt im Blick auf die Sicht des Paulus: “Der große Beweisgang des Römerbriefs zum Thema der neuen Weltzeit, die nun angebrochen ist, gipfelt nicht umsonst in dem Hymnus, der, hinausführend über die Liebe der Erwählten zu Gott, weiterschreitet zur Liebe Christi und zur Ruhe kommt in der Gewissheit tÒv ‡gpjv to qeo tÒv n Cristþ HIjso tþ kur°û Ómòn (R 8,28.31 ff)“ (Stauffer THWB I:49). „Das Liebeswerk Gottes kommt in Christi Liebeswerk zur Offenbarung und Durchsetzung“ (ebd.). „Die ewige Gottesliebe wird in der Christusliebe zum weltwendenden Ereignis“ (ebd.). Paulus spricht davon gern in Verbalform und dann immer im Aorist (‡gapÐsantov ) Röm 8,37; 2. Thess 2,16; Gal 2,20). Die Liebe drängt uns (2. Kor 5,14), ist ausgegossen in unsere Herzen (Röm 5,5). „Der Sinn des paulinischen Begriffs der ‡gpj to qeo ist deutlich. Sie ist die Richtung des souveränen Gotteswillens auf die Menschenwelt und ihre Rettung“ (aaO: 50). Von Anbeginn ist dieses, das Werk der Liebe, das Ziel, dass Gott anstrebt. Seit den Tagen Abrahams hat sich Gott ein Volk ersehen, das frei von der Knechtschaft des Gesetzes ist. Dieses Volk hat er sich durch die Entsendung des Sohnes und zuletzt des Geistes geschaffen. Der Geist aber ist der Geist der Liebe (Gal 5,22). 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj 269 Im Munde Jesu erscheint Liebe zunächst als die neue Forderung. In zwei Sätzen fasst er den Sinn der alten und neuen Gerechtigkeit zusammen: „Das höchste Gebot ist das: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Das andre ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als dieses“ (Mk 12,28-31; Mt 22,40). Damit steht Jesus in der Tradition seines Volkes, fordert Liebe aber mit einer Ausschließlichkeit „dass alle andern Gebote darin aufgehen, dass alle Gerechtigkeit in der Liebe ihr Maß finden muss. Auch für Jesus ist die Liebe eine Sache des Willens und der Tat. Aber er verlangt die Entscheidung und Bereitschaft für Gott und Gott allein mit einer Unbedingtheit, dass die Hörer zurückschrecken“ (THWB I:45). Es geht um ein radikales Entweder-Oder (Mt 6,24). Bultmann ([1926] 1964:96) stellt heraus, dass die Liebesforderung nicht durch den Humanitätsgedanken begründet ist, sondern „im Gedanken des Gehorsams, des Verzichts auf den eigenen Anspruch.“ Die beiden Gebote, Gott zu lieben und den Nächsten „sind nicht etwa identisch, sodass die Nächstenliebe ohne weiteres die Liebe zu Gott wäre“ (:98). Die Nächstenliebe kann nicht mit einem Seitenblick auf Gott geübt werde. Es geht um die Liebe, nicht als ein Gefühl, „sondern um eine bestimmte Haltung des Willens“ (:101). „Es heißt, d u s o l l s t lieben; der Wille ist angeredet, d. h. der Mensch ist angeredet unter der Voraussetzung, dass er durch Gott in die Entscheidung gestellt ist und sich durch eine freie Tat zu entscheiden hat. Nur wenn Liebe als Gefühl gedacht ist, ist es sinnlos, Liebe zu gebieten; das G e b o t der Liebe zeigt, dass Liebe als Haltung des Willens gemeint ist“ (:102). Ist in der Septuaginta, bzw. dem NT die Agape das tragende Wort, so ist es im außerbiblischen Griechisch der Begriff Eros. Agape ist die gebende Liebe, Eros die begehrende. Letztere nimmt in Platons „Gastmahl“ (1957:142-196) breiten Raum ein, wird doch während des Gastmahls auf den Eros eine Lobrede gehalten. Die Rede des Pausanias unterscheidet zwischen dem Eros der gemeinen und dem der himmlischen Aphrodite. Stärker als bei Plato wurde im Neuplatonismus (z. B. von Plotin) das Erosverständnis zur religiösen Philosophie entwickelt. Das Erosverständnis des Neuplatonismus beeinflusste das Christentum, hier in besonderer Weise Augustin. Dieser versucht eine Synthese von Eros und Agape herzustellen. 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj 270 Für Nygren ([1930/37] 19542) sind Eros und Agape nicht zu vereinbaren. Für ihn ist das Eindringen des Eros in das christliche Liebesverständnis verhängnisvoll. Im Zentrum des christlichen Liebesverständnisses stehe die Agape, die Liebe Gottes. Setzt 1.Joh 4,16 Gott mit der Agape in eins, gibt diese Identifikation dem Vorrang der Agape ihren „höchsten Ausdruck“ (:97). Gottes Liebe sei unmotiviert und spontan (:82). Sie hat ihren Grund im Wesen Gottes (:101). So ist auch die Nächstenliebe nach Nygren von Gottes Liebe nicht unterschieden. Nicht der Mensch, sondern Gott oder Christus ist das eigentliche Subjekt der Nächstenliebe (:84-85). Nygren weist es von sich, das „wie dich selbst“ im Liebesgebot als Gebot der Selbstliebe zu verstehen. Die Selbstliebe hindere daran, sich Gottvöllig hinzugeben, sie verschließe das Herz vor dem Nächsten (:147). Stauffer (1959) verweist darauf, dass das Doppelgebot in Mk 12, 28-30 positiv formuliert ist: „Hier wird nicht verboten, sondern gefordert, hier wird nicht unterdrückt, sondern aufgerufen zu schöpferischem Tun“ (:41). Da man Liebe nicht befehlen könne, sei hier die Gehorsamsmoral, die Gesetzgebung etc. am Ende ihrer Weisheit – „und genau an dieser Stelle beginnt die Neue Moral“ (ebd.). Das Doppelgebot sei kein Gebot, sondern ein Programm, keine Nova Lex, sondern „ die Magna Charta einer schöpferischen Freiheit, der Jesus zwei große Ziele setzt: Gottesliebe und Menschenliebe“ (ebd.). So befreit die Liebe zu Gott und dem Nächsten von jedem anderen Gebot oder Verbot, das ihr entgegensteht (:44). „Es ist kein anderes Gebot größer als diese“ (Mk 12,31). Dieser kritische Schlusssatz Jesu richtet sich grundsätzlich gegen jedes Gebot, „das mit der Gottes- und Nächstenliebe in Widerspruch steht“: „Jesus zerhaut den gordischen Knoten, einmal für allemal. Jedes Religionsgesetz, jedes Sittengesetz, jedes Strafgesetz, jeder Militärbefehl, jeder Treueid, jede Gehorsamspflicht in aller Welt und aller Zukunft ist durch das Liebesgebot relativiert … Der Mensch hat in den Augen Jesu eine gewaltige Reserve an gutem Willen und moralischer Energie, an Stoßkraft und Widerstandsfähigkeit, an Hingabe, Mut und Opferbereitschaft, der Mensch in allen Berufen, Ständen und Parteien, Nationen und Religionen“ (:45-46). Stauffer zeigt, dass das Gebot der Nächstenliebe in den johanneischen Schriften nicht vorkomme, sondern die Liebe zum christlichen Bruder und Glaubensgenossen (:47). Die Liebe sei eine innerkirchliche Angelegenheit geworden. Die Kirche spricht: Habt nicht lieb die Welt (1. Joh 2,15). Nach Stauffer triumphiert hier der Geist der 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj 271 qumranischen Ordensregel. Er habe „den Geist Jesu von Nazareth aus den Mauern der johanneischen Schule vertrieben“ (:47). Mit e i n e r Forderungen tritt Jesus in Gegensatz zur atl Tradition, mit der der Feindesliebe (Mt 5,43; Lk 6,32f). Es ist die Forderung einer neuen Zeit: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist ... Ich aber sage euch ...“ (Mt 5,21.43). Die neue Zeit, als neue Weltlage, hat Gott durch die Sendung Jesu geschaffen. Jesus verkündigt die Liebe und Barmherzigkeit Gottes „als ein unerhörtes Ereignis, das den Grund seiner Möglichkeit allein in Gott hat, den Menschen aber eben jetzt in eine völlig neue Situation hineinstellt. Jesus bringt die Vergebung der Sünden, und wer diese Vergebung erfahren hat, in dem wird eine ganz neue, überquellende Liebe entbunden“ (aaO:47). Die Liebe Gottes führt zur Hingabe seines Sohnes, deren Ziel Rettung und neues Leben der Menschen ist. Die Liebe Gottes ist nach Paulus im wahrsten Sinne des Wortes Feindesliebe: „Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind“ (Röm 5,10). Der Ursprung der Rettungstat Gottes ist sein Liebeswille. Gott, weil er Retter ist, will, „dass alle Menschen gerettet (swqÒnai) werden“ (1. Tim 2,4-6). Jetzt zu seiner Zeit soll das gepredigt werden. Jetzt ist seine Zeit. Wann sonst? Die Grundlage der frohen Botschaft ist die Liebe des Vaters zum Sohn (Mk 12,6; Joh 15,9). Die Liebe des Schöpfers kommt dadurch zu den Menschen, dass Jesus sie, die Gott von Natur aus Feind sind, herzlich liebt: den Jüngling (Mk 10,21) Lazarus und seine Schwestern (Joh 11,3.5. 36), die Sünder (Lk 15,2; Mt 9,9ff) und die Seinen in der Welt (Joh 13,1). Seine Sünderliebe besiegelt Jesus mit dem Kreuzestod. In seiner Hingabe hat er jeden Menschen geliebt, lange bevor das bewusst werden konnte (Gal 2,20; Röm 5,6-8). Das Ziel der Liebe Jesu ist der Loskauf der Menschheit aus der Gewalt des Bösen: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Die Liebe Gottes, die uns mit Gott versöhnt und zu einem neuen Leben fähig macht, begegnet uns in Christus (Röm 5,8-11; Eph 2,4-6). Die Botschaft des NT zielt immer darauf, dass die Menschen die Liebe Gottes in Christus ergreifen, in ihr bleiben und so von ihr umgestaltet werden. Das Wunder der 2.2.8. Der Liebende - ‡gpj 272 Umgestaltung durch die überwältigende Liebe Gottes sehen wir bei der Geschichte der Sünderin (Lk 7,36-40), bei dem Zöllner Zachäus, bei Petrus (Lk 5,8). „Das Ziel des göttlichen Liebeswerkes ist der neue Mensch“ (THWB I: 50). 273 2. 3. Verkündigung im Zeichen der Sendung Im AT wie im NT finden sich Sendungsreden. Sie wenden sich an die Übermittler einer Botschaft und richten sich nicht an die Adressaten derselben. Wohl ist die biblische Botschaft für die Welt als Adressaten lebensentscheidend. Darum enthält das NT verschiedentlich auch eine direkte Missionsschrift, wie z. B. das Johannesevangelium (es ist geschrieben „damit ihr glaubt“ ´na pisteÀ[v]jte, Joh 20,31) oder sie enthält Missionspredigten (Apg 2,14-36; Apg 17,22-31), auch Teile einer evangelistischen Rede (Apg 10,34-43). Im Eigentlichen aber wendet sich die Bibel an Gottes Volk im AT oder im NT mit der Absicht, es zu sammeln, zu stärken und zuzurüsten für die Sendung in die Welt zur Rettung von Menschen und zum Segen der Völker. Die Bibel als Sendungsrede ist für das Ohr der Boten bestimmt mit dem Ziel, dass sie die ihnen anvertraute Botschaft „auf den Dächern“ predigen (Mt 10,27). Sendungsreden beginnen mit der Berufung der Botschafter. Ihnen wird in der Regel gegeben, was sie für die Sendung brauchen: Verheißungen, Gaben und Anweisungen (Mt 10,1; Mk 6,7-8; Lk 9,1-2). Die Sendungsrede Jesu an die Jünger in Mt 10 weist ein einfaches Schema auf: „Er r i e f seine zwölf Jünger zu sich und g a b ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen“ (Mt 10,1). „Diese Zwölf s a n d t e Jesus aus, g e b o t ihnen und sprach …“ (5). R u f e n , G e b e n , S e n d e n und G e b i e t e n sind die vier Säulen auf denen Jesu Sendungsrede ruht, wobei das Gebieten die Form von seelsorglicher Paränese hat. Er sendet sie, das Nahen des Reiches Gottes zu verkündigen. Damit schickt er sie zugleich in einen Kampf mit der gottfeindlichen Macht (s. Mk 6,7; Mt 10,8; Lk. 9,1; 10,3; 2. s. Tim 2,3-5). Die Botschaft wird nicht überall angenommen. Die Botschafter werden verfolgt, bedroht, vor Gericht gestellt. Um in diesem Kampf bestehen zu können, ist es wichtig, sich berufen zu wissen, als Berufene gesandt zu sein und Vollmacht zu haben. Es kommt weiters darauf an, gehorsam zu sein gegenüber dem Sendenden und seinen Anweisungen. Es gilt, den Inhalt der Botschaft unverfälscht zu übermitteln und mit der verliehenen Kraft verantwortlich umzugehen. Die Sendungsrede Jesu enthält darum auch Anweisungen, Mahnungen (17.28) und Warnungen (23.37). 274 Kehrt das Muster R u f e n , G e b e n , S e n d e n und G e b i e t e n auch bei allen Sendungen im AT nicht schematisch wieder, findet es sich doch im Ganzen der 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 275 atl Botschaft. Von daher ist zu fragen, ob sich nicht für das gesamte AT die Tendenz ausmachen lässt, Sendungsrede an Israel zu sein? Israel hat eine Botschaft Gottes an die Völker. Menschen aus seinen Reihen stehen auf, die Israel im Namen Gottes rufen, Botschafter für die Völker zu sein. 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede Im AT kommt das Wort Senden überaus häufig vor. In der Septuaginta findet sich ‡post™llein mehr als 700 Mal. Zugrunde liegt die hebräische Wurzel xlf. Der Ton liegt auf der Tatsache der Sendung verbunden mit der Person des Sendenden. Der Gesandte selbst tritt in den Hintergrund. Bei der Berufung des Jesaja (6,8) lässt sich das gut erkennen: Der Prophet hört die Stimme des Herrn: “Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?” Wnl'_-%l,yE) ymiäW xl;Þv.a, ymiî-ta,. Adonai braucht jemanden, den er bevollmächtigen, als seinen Wortführer aussenden kann. „An diesem Punkte wird auch am deutlichsten, was das Charakteristikum von xlf in allen seinen Bedeutungen ist: das Willensmäßige und Bewusste in einer zielstrebigen Handlung” (THWB I:400). Es wird also weniger eine Aussage über die Sendung, sondern vielmehr über den Sendenden und sein Anliegen gemacht und doch ist es der Gesandte, der den Sendenden verkörpert. Wir haben von der Sendung Israels gesprochen (2.1.3.). Israel hat die Schöpfung in einem theologischen Zusammenhang mit der eigenen Heilsgeschichte erkannt. Dadurch sah es sich über sich selbst hinausgewiesen. Nach Jes 66,19 ist der Wille Gottes, dass die Völker seine Herrlichkeit sehen und sein Volk sie ihnen verkündigt: Und ich will ein Zeichen unter ihnen aufrichten und einige von ihnen, die errettet sind, zu den Völkern senden, ... wo man nichts von mir gehört hat und die meine Herrlichkeit nicht gesehen haben; und sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkündigen. Jes 42,5-7 hatte vom Gottesknecht gesprochen: „Ich, der Herr, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, z u m L i c h t d e r H e i d e n , dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.“ 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 276 Das AT, von der Geschichte Gottes mit Israel handelnd, ist davon durchdrungen, dass es nicht allein um Israel und seinen Gott geht, sondern um Gottes Volk in seiner Begegnung mit den Völkern und seiner Bedeutung für sie. Israel erkennt sich als Segensträger, gesandt zu den Heiden, es ist ohne die Bedeutung, die es für die Völker hat, nicht zu denken. Unsere Frage, ob das AT als Sendungsrede an Israel gelten kann, wollen wir an das Zeugnis jenes Unbekannten richten, den die atl Wissenschaft den „Jahwisten“ nennt1 (zum Folgenden s. Wolff 1965:78-93). Was er bezeugt, bildet die literarische Grundlage des Pentateuch und entstand wohl in der Zeit des davidisch – salomonischen Großreichs im 10. Jahrhundert vor Christus. Durch die Begegnung mit Jahwe beginnt Israel die durch die Verwirrung der Sprachen durcheinander geratene Völkergeschichte als eine Einheit zu verstehen. Die Mitte, um die sich alles dreht, ist das Wort Gottes an Abraham: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“ (Gen 12,3). Wir sahen, dass von Rad (1956:16) davon spricht, dass diese Segensverheißung der Vollmacht der prophetischen Erleuchtung des Jahwisten entstamme. Das Zeugnis des Jahwisten selbst setzt früher ein „zur Zeit, da Gott, der Herr Erde und Himmel machte“ (Gen 2,4b). Nach Vorbemerkungen beginnt der Jahwist mit dem Bericht von der Erschaffung des Menschen. Um dessen Geschichte geht es ihm. Mit der Segensverheißung an Abraham für alle Geschlechter auf Erden, sieht er die Geschichte Israels mit der der Weltgeschichte verknüpft. „Er ist offenbar der tiefen Überzeugung, dass man die Bedeutung der Geschichte Israels nur dann recht erfassen kann, wenn man von vornherein die ganze Menschheitsgeschichte im Auge hat. Die Tragweite dessen, was Gott in und mit Israel getan hat, ist nur im Rahmen der Weltgeschichte zu ermessen“ (Wolff 1965:80). Die vorausgehenden Einschnitte in der Geschichte der Menschheit (Sündenfall, Brudermord, Sintflut, Sprachverwirrung) sind als Phasen eines großen Gesprächs Gottes mit der Menschheit zu begreifen. Es setzt ein mit Gottes Schenken und Verfügen (Gen 2,8- 16.17), was vom Menschen mit Dank (2,23; 4,3-4), Misstrauen (3,1-6) und Hybris 1 Die Diskussion, die die Existenz eines Jahwisten zunehmend bestreitet, ist hier nicht zu führen. Siehe dazu: Gertz, Schmidt, Witte (Hg.), 2002. Abschied vom Jahwisten: Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion. Berlin/New York: Walter de Gruyter. 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 277 (4,5-8; 6,1-4) beantwortet wird, worauf Gottes richterliche Eingriffe folgen und „neue Verfügungen seiner Geduld und Huld (3,21; 4,15) eine neue Zukunft zu eröffnen“ (Wolff 1965:81). Nach der Sprachverwirrung und Zerstreuung der Menschheit wird aus der Völkerwelt einer berufen: Abraham. Er soll zum Volk werden, das zum Segen werden wird für alle Geschlechter auf Erden. H i e r s e t z t d i e H e i l s g e s c h i c h t e G o t t e s m i t d e r W e l t e i n , in die Israel nicht nur unentrinnbar verflochten ist, sondern in der es eine besondere Rolle spielt Bis zu dieser Stelle war in der Menschheitsgeschichte des Jahwisten vom Segen nie die Rede. Im Gegenteil, es fällt in der Vorgeschichte fünf Mal das Wort „fluchen“. Die Schlange wird verflucht (Gen 3,14), der Ackerboden (3,17), Kain (4,11) Noah verflucht Kanaan (9,25). Nach der Sintflut sagt Gott, dass er die Erde nicht mehr verfluchen wolle (8,21). Zwar hatte der Jahwist Gott als den Geber guter Gabe verkündigt, der Mensch aber missbraucht die Gaben, wie er der Weisung und der Warnung seines Schöpfers misstraut. Diesem Menschen, der den Fluch Gottes auf sein Leben gezogen hat, den Fluch, der so weit geht, dass er des Todes sterben muss (Gen 2,17), diesem Menschen gilt der Segen. Segen heißt demgegenüber nicht nur Mehrung des Lebens (das auch: „Ich will dich zum großen Volke machen“), es weist auf ein neues Leben, das – wir reden neutestamentlich – den Tod nicht mehr kennt. Wenn das AT auch von der Auferstehung noch nichts weiß, höchstens ahnt (Ps 16,10), so ist der Hinweis auf das neue Leben doch in der Segensverheißung an Abraham angelegt. „Wird Heilsgeschichte als Segensgeschichte bezeichnet, so ist sie damit als Geschichte einer neuen Lebensmöglichkeit der Menschheit angesagt“ (Wolff 1965:86). Wolff drückt damit aus, dass Segnen eine Weise des Sagens ist, eines Sagens des Gottes Israels, das Leben schenkt. „Im Laufe des Alten Testaments wird bis zu seinem Ziel im Neuen noch immer deutlicher, dass Heilsgeschichte neue Lebensmöglichkeit für die Welt ist als Verkündigungsgeschichte, als Geschichte der Anrede des Menschen im Namen des Gottes Israels“ (:86). Mit alledem sind nicht einfach Geschichten erzählt oder Geschichte dargestellt. Wann immer und wo immer Israel von der Verheißung an seinen Stammvater liest, die auf den Segen der Völker zielt, muss es diese Botschaft nicht nur als Erinnerung an Gottes Schenken, sondern als Ruf, ein Segen zu sein, verstehen. Die 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 278 Berufungsgeschichte Abrahams bedeutet für das lesende und diese Geschichte memorierende Israel dessen eigene Berufung, an die Völker gewiesen, zu ihnen gesandt zu sein. Nach der Berufung kommt als G a b e die Verheißung: „Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein“ (Gen 12,2-3). Fortan erweist sich Gott gegenüber seinem Volk als G e b e n d e r (2.Mose 16,29; 5.Mose 4,1; 5.Mose 8,18; 5.Mose 9,6; 5.Mose 19,8; Ps 68,12; Ps 84,12; Ps 127,2; Jes 40,29 u. ö.). Trotz des Ungehorsams des Volkes gegen seine Berufung, steht Gott zu seinen Verheißungen. Immer wieder ruft er sein Volk, gibt, sendet, gebietet, mahnt und warnt. Verstreut über die Geschichte Israels finden sich die Kennzeichen des Musters, das wir in der Sendungsrede Jesu an seine Jünger gesehen haben (Mt 10). Wie die Botschaft konkret lautet, wird dem Abraham bei seiner Berufung nicht gesagt. So liegt auch das Ziel der Heilsgeschichte für die Geschichte der Welt für den Jahwisten in der Zukunft. Was konkret gemeint ist, wird sich im Verlaufe der Heilsgeschichte herausstellen. „Sein Werk will dem dienen, dass zunächst Israel erkennt, was ihm in seiner Geschichte von Gott her zugedacht ist“ (Wolff 1965:87). Eines steht von Anfang an fest: Israels Geschichte ist Segensgeschichte allen Völkern zu gut, den bisherigen Sünden aller und nachfolgenden Flüchen zum Trotz. Von der Gewissheit her, dass in Israel der Segen für alle Geschlechter auf Erden bereitet wird, ist Weltgeschichte erstmals als E i n h e i t gesehen. Weltgeschichte wird in seinen äußerst diffusen Geschehnissen durch die Heilsgeschichte überhaupt erst erkennbar. Wie aber kommt der Segen Abrahams zu den Völkern? Hier ist vor allem auf die Stellen zu verweisen, in denen die Segensverheißung von Gen 12,3 wiederkehrt. In Gen 18 z. B. bittet Abraham, der Israel repräsentiert, für das vom Untergang bedrohte Sodom, das für die Welt steht. Nicht der Fromme und Gerechte wird den Frevlern gegenübergestellt, sondern der Empfänger der Segensverheißung. „Nicht seine Qualität, sondern allein der Zuspruch Gottes bevollmächtigt ihn. So setzt sich denn Abraham in einer nicht-enden-wollenden Kette der Fürbitte für die gerichtsreife Stadt ein“ (:88). F ü r b i t t e n d , mit Gott um sie ringend, soll Israel für die Völker eintreten. Es weiß nun vom Übergewicht des Rettungswillens Gottes über der großen Masse derer, die eigentlich zu verfluchen 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 279 wären. Dieses Motiv der Fürbitte kehrt im Blick auf die Stadt Babylon wieder: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl“ (Jer 29,7). Eine weitere Stelle, in der an die Verheißung Abrahams erinnert wird, ist Ex 12,29-32. Nach dem Sterben der Erstgeburt in Ägypten, bittet Pharao Mose und Aaron: „Nehmt auch mit euch eure Schafe und Rinder, wie ihr gesagt habt. Geht hin und b i t t e t a u c h u m S e g e n f ü r m i c h “ (32). Wieder ist der Jahwist bei seinem Thema: Israel, dass seinem Gott gehorsam dient, bewirkt auch für seinen Feind Ägypten den Segen. Der Segensträger brachte einst mit einer Lüge Plagen über Pharao (Gen 12,12-20). Wolff (1965:90) kommentiert zu recht: „Solche Stücke sind kräftige Mahnungen für die Leser. Sie weisen darauf hin, wie wenig Israel das Gottesvolk ist, das im Bunde mit seinem Gott lebt, wie sehr es in Gefahr steht, die universale Segensmacht zu verscherzen, deren Zeuge es sein soll.“ Auch hier wird Israel an seine Berufung erinnert, Verheißungsträger zu sein. Das ist seine Sendung. Jahwe tut seinem Volk seinen Willen kund. Er gibt ihm sein Gesetz, die zehn Gebote (Ex 20,1-17). Auch diese, das stellt sich heraus, sind Israel nicht nur im Blick auf den innervölkischen Gebrauch verkündigt worden: „Sieh, ich hab euch gelehrt Gebote und Rechte, … dass ihr danach tun sollt im Lande, in das ihr kommen werdet, um es einzunehmen. So haltet sie nun und tut sie! Denn dadurch werdet ihr als weise und verständig gelten bei allen Völkern, dass, wenn sie alle diese Gebote hören, sie sagen müssen: Ei, was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk! Denn wo ist so ein herrliches Volk, dem ein Gott so nahe ist wie uns der Herr, unser Gott, sooft wir ihn anrufen? Und wo ist so ein großes Volk, das so gerechte Ordnungen und Gebote hat wie dies ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege?“ (Deut 5,5-8). Jahwe hat Israel nicht um seiner großen Tugenden willen erwählt. Es erweist sich, dass Israel sich vor Gott nie auf seine eigene Gerechtigkeit berufen kann: „So wisse nun, daß der Herr, dein Gott, dir nicht um deiner Gerechtigkeit willen dies gute Land zum Besitz gibt, da du doch ein halsstarriges Volk bist. Denke daran und vergiss nicht, wie du den Herrn, deinen Gott, erzürntest in der Wüste. Von dem Tage an, als du aus Ägyptenland zogst, bis ihr gekommen seid an diesen Ort, seid ihr u n g e h o r s a m gewesen dem Herrn“ (Deut 9,6-7). 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 280 Das Thema „Gehorsam – Ungehorsam“ begleitet die Geschichte, die Gott mit Israel und durch Israel mit den Völkern hat. Trotz des Ungehorsams Israel geht die Segensverheißung nicht unter. In Zeiten des Gehorsams ist alle Welt begierig, von Gottes Weisheit zu hören, Salomo, der König, war „größer an Reichtum und Weisheit als alle Könige auf Erden. Und alle Welt begehrte, Salomo zu sehen, damit sie die Weisheit hörten, die ihm Gott in sein Herz gegeben hatte“ (1. Kön 10,23-24). Dann aber tat der König Israels „was dem Herrn missfiel, und folgte nicht völlig dem Herrn wie sein Vater David“ (1. Kön 11,6). Die Heilsgeschichte Gottes mit Israel ist von Seiten des erwählten Volkes immer auch eine Geschichte seines Ungehorsams. Israels Untreue spielt sich vor den Augen der Völker ab: „Alle Völker werden sagen: Warum hat der Herr an diesem Lande so gehandelt? Was ist das für ein großer, grimmiger Zorn? Dann wird man sagen: Darum, weil sie den Bund des Herrn, des Gottes ihrer Väter, verlassen haben, den er mit ihnen schloss, als er sie aus Ägyptenland führte“ (Deut 29,23-24). In der Gehorsamsfrage geht es für den Verheißungsträger um Leben und Tod: „Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse. Wenn du gehorchst den Geboten des Herrn, deines Gottes, die ich dir heute gebiete, daß du den Herrn, deinen Gott, liebst und wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst, so wirst du leben und dich mehren, und der Herr, dein Gott, wird dich segnen in dem Lande, in das du ziehst, es einzunehmen. Wendet sich aber dein Herz und du gehorchst nicht, sondern lässt dich verführen, daß du andere Götter anbetest und ihnen dienst, so verkünde ich euch heute, daß ihr umkommen und nicht lange in dem Lande bleiben werdet, in das du über den Jordan ziehst, es einzunehmen“ (Deut 30,15-18). Das Wort vom Segen geht durch alle Irrungen und Wirrungen weiter. Bei Jes 19,24- 25 taucht es wieder auf: „Zu der Zeit wird Israel der dritte sein mit den Ägyptern und Assyrern, ein Segen mitten auf Erden; denn der Herr Zebaoth wird sie segnen und sprechen: Gesegnet bist du, Ägypten, mein Volk, und du, Assur, meiner Hände Werk, und du, Israel, mein Erbe!“ Es kommt das Thema „Heilsgeschichte – Weltgeschichte“ in immer neuer Weise zur Sprache: „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 281 Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herr Wort von Jerusalem“ (Jes 2,2-3. s. auch Hag 2, 1-9; Jes 60; Ps 2). Die Heiden, zu denen Israel gesandt ist, kommen ihrerseits „zum Haus des Gottes Jakobs“. Sie holen sich gewissermaßen den ihnen zugesprochenen Segen, wie später der Heide, Kornelius, Boten zum Christen, Petrus, schicken muss, damit dieser sich aufmacht, um den Heiden das Evangelium zu verkündigen (Apg 10). Die Segenslinie setzt sich fort und geht schließlich auf den Gottesknecht zu. Nach dem vergeblichen Suchen nach den zehn Gerechten in Sodom ist er der eine, der für die Schuldigen eintritt, der die Schuld der vielen trägt, der für die Gottlosen Israels und der Völker sein Leben in den Tod gibt (Jes 53,12). „Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken“ (Jes 52,14-15). Paulus schreibt den Galatern: „Die Schrift aber hat es vorausgesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht. Darum verkündigte sie dem Abraham (1. Mose 12,3): ‚In dir sollen alle Heiden gesegnet werden.’ So werden nun die, die aus dem Glauben sind, gesegnet mit dem gläubigen Abraham“ (Gal 3,8-9). Paulus sieht, wie sich die Verheißung an Abraham erfüllt. Er sieht, wie die Heilsgeschichte auf den zugelaufen ist, der Israel vom Fluch des Gesetzes befreit. Christus ist die Erfüllung der Verheißung, durch ihn kommt der Segen Abrahams zu den Heiden: „Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns; denn es steht geschrieben (5. Mose 21,23): ‚Verflucht ist jeder, der am Holz hängt’, damit der Segen Abrahams unter die Heiden komme in Christus Jesus und wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben“ (Gal 3,13-14). Paulus ist im Blick auf Christus klar: Auf ihn, der das Leben ist und neues Leben schenkt, ist die Segensverheißung Abrahams angelegt: „Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 282 genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium, für das ich eingesetzt bin als Prediger und Apostel und Lehrer“ (2. Tim 1,9-11). Paulus übernimmt hier gewissermaßen die Segensstafette, die Israel von Abraham her überkommen ist und gibt sie sogleich an Timotheus weiter: „Dieses kostbare Gut, das dir anvertraut ist, bewahre durch den heiligen Geist, der in uns wohnt“ (14). Dann folgt die Mahnung an Timotheus die Stafette seinerseits weiterzugeben: „Und was du von mir gehört hast vor vielen Zeugen, das befiehl treuen Menschen an, die tüchtig sind, auch andere zu lehren“ (2. Tim 2,2). Wenn auch das Zeugnis des Jahwisten nicht überall als Sendungsrede zu erken- nen ist - dazu ist Israel selbst und dazu sind die Dinge, die es betrifft, zu sehr im Werden - so wirft doch die Segensverheißung für alle Völker das entscheidende Licht aus der Tiefe der Anfänge des Gottesvolkes über seine eigene Geschichte. Das Licht der Segensverheißung strahlt aus zu den Propheten, zum Gottesknecht, bis zum neuen Bund, betrifft unsere Gegenwart und Zukunft bis zur Vollendung der Welt mit der Heimholung aller Völker in die „heilige Stadt“: „Und d i e V ö l k e r werden wandeln in ihrem Licht; und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in sie bringen“ (Offb 21,24). Die Völker von Offenbarung 21,24 sind all jene „Geschlechter auf Erden“ von Gen 12,3. Im Zeugnis des Jahwisten finden sich eindeutige Merkmale von Sendungsreden. So ist denn auch das Gebetsbuch Israels, voller Gedanken an die Völker, wie folgende Auswahl zeigt: „Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker regieren, wie es recht ist“ (Ps 9,9). „Ich will deinen Namen kundmachen von Kind zu Kindeskind; darum werden dir danken die Völker immer und ewig“ (45,18). „Schlagt froh in die Hände, alle Völker, und jauchzet Gott mit fröhlichem Schall!“ (47,2). „Gott ist König über die Völker, Gott sitzt auf seinem heiligen Thron. Die Fürsten der Völker sind versammelt als Volk des Gottes Abrahams; denn Gott gehören die Starken auf Erden; er ist hoch erhaben“ (47,9-10). „Lobet, ihr Völker, unsern Gott, lasst seinen Ruhm weit erschallen“ (66,8). „Es danken dir, Gott, die Völker, es danken dir alle Völker“ (Ps 67,4). „Die Völker freuen sich und jauchzen, dass du die Menschen recht richtest und regierst die Völker auf Erden“ (67,5). „Alle Könige sollen vor ihm niederfallen und alle Völker ihm dienen“ (Ps 72,11). „Sein Name bleibe ewiglich; solange die Sonne währt, blühe 2.3.1. Jahwist – Merkmale einer Sendungsrede 283 sein Name. Und durch ihn sollen gesegnet sein alle Völker, und sie werden ihn preisen“ (72,17). „Alle Völker, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir anbeten, Herr, und deinen Namen ehren“ (Ps 86,9). „Lobet den Herrn, alle Heiden! Preiset ihn, alle Völker!“ (Ps 117,1). 2.3.2. Jona – Sendungsrede in Reinkultur 284 2.3.2. Jona – Sendungsrede in Reinkultur „In Zion finden alle Völker Heil und Frieden“. So sind die ersten fünf Verse von Jesaja 2 in der Lutherbibel überschrieben, wird doch die Bedeutung des Hauses Jakobs mit herrlichen Worten dargestellt: „… alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“ (Jes 2,1-5). Der Blick ist fest auf den Herrn gerichtet und darauf, dass auch die Völker Heil und Frieden in ihm haben. Nach dieser Darstellung jedoch kommt das große „Aber!“ „ A b e r du hast dein Volk, das Haus Jakob, verstoßen; denn sie treiben Wahrsagerei wie die im Osten und sind Zeichendeuter wie die Philister … Ihr Land ist voll Silber und Gold, und ihrer Schätze ist kein Ende; ihr Land ist voll Rosse, und ihrer Wagen ist kein Ende. Auch ist ihr Land voll Götzen; sie beten an ihrer Hände Werk, das ihre Finger gemacht haben“ (Jes 2,6-8). Das schöne Thema, dass alle Völker in Zion Heil und Frieden finden, kann nicht fortgeführt werden: „A b e r d e i n V o l k …“ Zwischen Israel und den heidnischen Völkern ist kein Unterschied: „Auch ist ihr Land voll Götzen.“ Eine solche Kirche kann schlecht Botschafterin Gottes für die Heiden sein. Israel spielt sich in negativer Weise mit seinem Ungehorsam in den Vordergrund des Heilshandelns Gottes mit der Welt. Dass Gott darauf eingeht, es nicht verwirft, liegt an seiner Langmut und Barmherzigkeit, die selbst in den Gerichten noch das Heil Israels sucht, um seine Heilsgeschichte mit den Völkern voranzubringen. Die Beschäftigung mit den Propheten des AT zeigt eine Fülle von Gerichtsworten an Gottes Volk. Da ist so viel Unglaube, Ungehorsam, Freveltat dessen es sich schuldig macht, dass die Völker darüber aus dem Blick zu geraten scheinen. Es mutet zeitweilig an wie die Beschäftigung der Kirche unserer Tage mit sich selbst, die kein ernsthaftes Schauen auf den eigentlichen Auftrag zulässt. Und 2.3.2. Jona – Sendungsrede in Reinkultur 285 doch bricht dann, die Szene erhellend, ein Gotteswort auf, das den Blick wieder weitet: „Und ich will ein Zeichen unter ihnen aufrichten und einige von ihnen, die errettet sind, zu den Völkern senden, ... zu den fernen Inseln, wo man nichts von mir gehört hat und die meine Herrlichkeit nicht gesehen haben; und sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkündigen“ (Jes 66,19). Es sei an Westermanns Kommentar erinnert: „Hier ist zum erstenmal ganz eindeutig von Mission in unserem Sinne die Rede ...“ (Westermann 1970:337). Beauftragt Gott Propheten, dann sendet er sie. Zur Sendung gehört, dass die Gesendeten gehorchen, hingehen und ausrichten, wozu sie gesandt sind: „Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk“ (Jes 6,8-9; Jer 1,7). Charakteristikum falscher Propheten ist, dass sie „nicht gesandt“, von Gott nicht beauftragt sind (Jer, 14,14; 23,21.32; 27,15; 29,9). Ist ein Prophet gesandt, ist ihm Vollmacht gegeben, Gehorsam zu fordern: „Jeremia sprach zu allen Oberen und zu allem Volk: Der Herr hat mich gesandt, dass ich dies alles, was ihr gehört habt, weissagen sollte gegen dies Haus und gegen diese Stadt. So bessert nun eure Wege und euer Tun und gehorcht der Stimme des Herrn, eures Gottes, dann wird den Herrn auch gereuen das Übel, das er gegen euch geredet hat“ (Jer 26,12-13.). Hört das Volk nicht auf die Gesandten, dann sagt Gott: „Sie wollen m i c h nicht hören“ (Jer 7,25-26). Auch unabhängig von menschlichen Boten sendet Gott, z. B. sein Wort (Ps 107,20; 147,15; Jes 55,11). Er sendet seine Güte und Treue (Ps 57,4) und eine Erlösung seinem Volk“ (Ps 111,9). Gott sendet Boten, um sein Volk vor dem letzten Gericht zu retten: „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt“ (Mal 3,23). Geht der Charakter der prophetischen Verkündigung, Sendungsrede an Israel zu sein, durch den Ungehorsam Israels zeitweilig unter, so haben wir im P r o p h e t e n J o n a eine prophetische Schrift, die sich mit genau diesem Thema befasst. Hier haben wir eine Sendungsrede in „Reinkultur“. Die Verfasserschaft der Schrift liegt im Dunkeln. Die Jonageschichte wird zu recht zu den Propheten gezählt, nicht nur, weil Jonas Berufung typisch für 2.3.2. Jona – Sendungsrede in Reinkultur 286 Prophetenberufungen ist, sondern weil die Botschaft selbst ein klärendes Wort zur Lage spricht, ein prophetisches Charakteristikum. Die Botschaft des Verfassers erweist sich als Bußruf an Israel zum Gehorsam gegen Gottes Auftrag, ein Licht der Heiden zu sein, zurückzukehren. In der Erzählung wird die Geschichte Gottes mit Israel in einem für Israel – und für die Kirche Jesu Christi - erschütterndem Geschehen dargestellt. Wolff stellt Indizien zusammen, die auf ein typologisches Verständnis der Geschichte weisen. „In diesem Jona soll sich jeder Zeitgenosse in Israel wiederfinden“ (Wolff 1959:23). Welches Ziel verfolgt Gott mit den Völkern? Das ist die Frage, vor die die Erzählung Israel stellt und es damit an Gottes Wort an Abraham erinnert (Gen 12,1-3). Hat Israel dieses Wort und das von Jes 2,1-5 vergessen? Wohl soll Jona der Stadt Ninive Gottes Gericht verkündigen, aber zu dem Zweck, eben dieses von ihnen abzuwenden. Der Erzähler scheint Jeremia 18,7-8 gut zu kennen: „Bald rede ich über ein Volk und Königreich, dass ich es ausreißen, einreißen und zerstören will; wenn es sich aber bekehrt von seiner Bosheit, gegen die ich rede, so reut mich auch das Unheil, das ich ihm gedachte zu tun“ (s. Jer 26,3.13.19). Genau dieses Thema liegt in Jona 3 vor. Von Gott mit der Gerichtsbotschaft zur Rettung Ninives gesandt, versucht sich Jona seinem Auftrag zu entziehen. Er flieht auf einem Schiff in die Gegenrichtung nach Tarsis. Die Begegnung mit den heidnischen Matrosen an Bord zeigt ihn in einem schlechten Licht. Mitten im bedrohlichen Sturm schläft der Israelit, schläft Israel. „Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Ob vielleicht dieser Gott an uns gedenken will, dass wir nicht verderben.“ So wird der sich in den Schlaf Flüchtende, durch die Stimme des heidnischen Schiffsherrn geweckt. Nach seiner Herkunft gefragt, zeigt Jona seine „Kennkarte“ und seine Religionszugehörigkeit: „Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat.“ „Das ist starres rezitierendes Reden, hinter dem wahrscheinlich ebenso wenig echte Furcht steht wie hinter heutiger Angabe von Konfessionszugehörigkeit“ (Wolff 1959:29). „So sehr können Bekenntnis und Verhalten, Kopf und Herz bei einem Menschen auseinanderfallen. Der Jona auf dem Schiff ist ein frommer Gottloser, ein in die Gottlosigkeit abgeglittener Frommer, dem von Gott nichts geblieben ist als ein bisschen Katechismuswissen und die Sprache Kanaans. Und Jona ist nur ein 2.3.2. Jona – Sendungsrede in Reinkultur 287 Spiegel, den ein unbekannter Prediger des fünften oder vierten Jahrhunderts vor Christus … seinem Volk vorhält, damit es sich wieder erkenne: ein Volk, eine Gemeinde, eine Kirche von frommen Gottlosen, für die Gott nur noch eine Phrase ist, eine Ideologie zur Verklärung der traurigen politischen und religiösen Lage“ (Lange 1968:9). Dagegen fürchten die Seeleute sich mit großer Furcht (Jona 1,10). Schließlich wird Jona ins Meer geworfen. „Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte“ (2,1). Da, in der Tiefe, in die Gott ihn stürzt, findet Jona, der den Heiden die Umkehr verkündigen sollte, selber zur Umkehr: „Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach: Ich rief zu dem Herr in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme“ (2,3). Hier betet Jona mit Worten des Psalms 120,1. „Du warfest mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich“ (2,4). Das stammt aus Psalm 42,8. So geht es weiter und gipfelt im Lobpreis Gottes: „Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott!“ (103,4). „Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land“ (2,11). Jona wird erneut nach Ninive gesandt. Gehorsam geworden verkündigt er der Stadt den Untergang (1,2). Aus sicherer Entfernung, will er zuschauen (4,5). Aber Ninive tut Buße. Der heidnische König lässt ein großes Fasten ausrufen. „Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat's nicht“ (3,10). Die Geschichte kommt zu ihrem Höhepunkt. Jona wird zornig, dass Gott sich über die heidnische Stadt erbarmt (4,1): „Ach, Herr, … ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen“ (2,2). Jona spricht eine Erinnerung an Gen 34,6 aus. Er hatte die Barmherzigkeit Gottes gerade selber empfangen, war umgekehrt, und - ist zornig darüber, dass Gott mit den Heiden ebenso barmherzig verfährt. „Aber der Herr sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? (4,4). Es folgt die Gleichnishandlung Gottes, der einen schattenspenden Rizinusbaum wachsen und alsbald wieder verdorren lässt. Jona hat Mitleid mit dem Baum. Gott spricht zu ihm: „Dich jammert die Staude, um die du dich nicht gemüht hast, hast sie auch nicht aufgezogen, die in einer Nacht ward und 2.3.2. Jona – Sendungsrede in Reinkultur 288 in einer Nacht verdarb, und m i c h s o l l t e n i c h t j a m m e r n N i n i v e , eine so große Stadt, in der mehr als hundertundzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?“ (4,10-11). Die Botschaft an Israel liegt zu Tage: Gott will die Völker retten und nicht vernichten. Israel hat er in den Dienst dieser Rettung gestellt. Das ist die Aufgabe, die Israel mitten in der heidnischen Umwelt hat: „Es soll das ihm anvertraute Gotteswort dazu rein bewahren, um es gehorsam auch unter die Völker zu tragen und so dem weltweiten Rettungswillen Gottes gern zu dienen. Das ist seine große und unausweichliche Aufgabe. Das ist das eigentliche Ziel seiner Erwählung“ (Wolff 1959:31). Der Vorwurf an Israel lautet: „Du erfüllst deine Aufgabe nicht!“ Die Heiden fürchten Gott mehr als Israel, was die Matrosen und dann der heidnische König mit seiner Bußfertigkeit zeigen. Die Völkerwelt soll erkennen, dass auf Sünde Untergang folgt. Das gilt es, ihr zu verkündigen. „Jona bringt es kaum über die Lippen, und wenn, so doch nicht, um die Umkehr zum Leben zu erwecken. Er ist ähnlich unwillig wie wir Christen des Atomzeitalters, den unaufhebbaren Zusammenhang von Sünde und Untergang in der Völkerwelt beim Namen zu nennen“ (:32). Nicht nur die Heidenwelt, sondern Gottes Volk ist zur Umkehr gerufen. „Ihr seid als Boten des Wortes erwählt zum Heil der ganzen Völkerwelt und aller Kreatur“ (aaO). Gott nennt 120 000 Menschen, „dazu auch viele Tiere“. Die Kreatur ist einbezogen. „Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden“, so sagt es Paulus später (Röm 8,19). Wolff (1959:32) aktualisiert: „An dem seidenen Faden des gehörten und weitergegebenen Gotteswortes, das Erweckung und Umkehr wirkt, hängt nicht nur das Leben des einzelnen, nicht nur das Leben des Gottesvolkes, sondern das Leben der Völkerwelt und aller Geschöpfe auf Erden. Dieser gewaltige Zusammenhang sollte dem Menschen des Atomzeitalters nicht verborgen bleiben.“ Gott ist auf das Heil der Völker aus, die keine Orientierung haben, „die nicht wissen, was rechts oder links ist“ und auf das Heil der Kreatur, „darum ist das Gottesvolk mit seiner Botschaft in Marsch gesetzt. Will es heute wirklich so stumm, schläfrig und verdrossen wie jener Jona sein?“ (:32) Im NT meldet sich der zu Wort, der mehr ist als Jona. Hieß es einst aus dem Munde Gottes „und mich sollte nicht jammern Ninive“, so heißt es nun über den 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 1. Evangelisieren 289 Sohn: „Als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). So, wie Jona im Bauch des Fisches war, wird jener „drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein“ (Mt 12,40). Er, der Gekreuzigte und Auferstandene, sendet seine Jünger zunächst zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel (Mt 10,6), dann zu den Völkern der Welt (Mt 28,18-20). 2.3.3. Die Verkündigung Jesu 2.3.3.1. Evangelisieren „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der Herr nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes“ (Jes 52,7-10). Im Alten Bund bildet sich vor, was im Neuen alles überstrahlt: Die Verkündigung des Evangeliums durch Jesus Christus. Die Füße des Boten, der die Freudenbotschaft bringt, werden besungen. Durch den Mund des Herolds ruft Gott über Zion den Sieg aus. Die nach Babel Verschleppten kehren zurück. Die neue Zeit hat begonnen. Hier wird die Erlösung Israels, die Neuschaffung der Welt, das Anbrechen der eschatologischen Zeit nicht prophezeit, sondern proklamiert. „Das Heil erscheint mit dem verkündigten Wort“ (THWB II 706). Mit seinem Wort hat Gott die Welt geschaffen. Es ist sein Wort, mit dem er geschichtsmächtig regiert. Was für die Völker gilt, gilt ebenso für das übermächtige Babylon. Es ist für Jahwe „wie ein Tropfen am Eimer, wie ein Sandkorn auf der Waage“ (Jes 40,15). Die Wächter auf den Mauern, die in die Ferne spähen, sehen den heraneilenden Boten als erste, hören das erlösende Wort, jubeln, geben es weiter. Es läuft durch die Stadt. Man sendet neue Boten aus. Die tragen es durch die Lande: „Jahwe ist König!“ „Siehe da, euer Gott!“ Die neue Zeit beginnt auch für die Völkerwelt. Jahwe ist nicht nur Israels, er ist auch der Heiden Gott. Aus dem Kontext des Deuterojesaja ist der Psalm 96 entstanden: 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 1. Evangelisieren 290 „Singet dem Herrn ein neues Lied; singet dem Herrn, alle Welt! Singet dem Herrn und lobet seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil! Erzählet unter den Heiden von seiner Herrlichkeit, unter allen Völkern von seinen Wundern! ... Betet an den Herrn in heiligem Schmuck; es fürchte ihn alle Welt! Sagt unter den Heiden: Der Herr ist König.“ Worte, die im Neuen Bund begegnen, - dikaiosÀnj  (Ps 40,10), swtjr°a  (Jes 52,7; Ps 95,2), e¸rÐnj (Jes 52,7) - hier haben sie ihren besonderen Ort. Sie brechen hervor mit eruptiver Kraft. Auch im palästinensischen Judentum lebendig bleibend, weisen sie uns ins Neue Testament. Die Verkündigung des Evangeliums ist die Verkündigung des Namens, d.h. der Person Jesu. „Jesus ist der Freudenbote der erwarteten Endzeit ... Die Botschaft schafft die neue Zeit, sie ermöglicht die Zeichen der messianischen Erfüllung. Das Wort führt die Gottesherrschaft herbei“ (Friedrich, THWB II:715). Johannes der Täufer, obwohl Bußprediger, war auch Evangelist: „Mit vielem andern mehr ermahnte er das Volk und verkündigte ihm das Heil“ (eÇjggel°zeto Lk 3,18). Gehört er auch noch ins Alte Testament (Mt 9,11), so wird seine Geburt vom Engel als Evangelium verkündigt. Er ist als der, der dem Herrn vorangeht, Gottes Prophet: „Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest“ (Lk 1, 76). Er ist bereits der Anfang der Frohbotschaft: „Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Wie geschrieben steht im Propheten Jesaja: ‚Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bereiten soll’“ (Mk 1,1-2). Der Täufer, aufgrund des eigenen Schicksals über Jesus unsicher geworden, hört im Gefängnis von dessen Werken. Er lässt ihn fragen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ Jesu Antwort: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“ (Mt 11, 5-6; Lk 7,22). Jesus antwortet mit Worten aus Jes 35,5 und 61,1, mit den Einfügungen „Aussätzige werden rein“ und „Tote werden auferweckt“. Jetzt wird die eschatologische Freudenbotschaft verkündigt, die seit den Tagen des Deuterojesaja erwartet wird. Sie geht einher mit messianischen Zeichen. Lukas überliefert Jesu Predigt in der Synagoge von Nazareth: Jesus 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 1. Evangelisieren 291 „ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf und wollte lesen. Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht (Jesaja 61,1-2): ‚Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; e r h a t m i c h g e s a n d t , z u p r e d i g e n (eÇaggel°sas- qai) den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen (kjrÀxai) das Gnadenjahr des Herrn.’ Und als er das Buch zutat, gab er's dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn. Und er fing an, zu ihnen zu reden (l™gein): Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren“ (Lk 4,16-21). „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren! Dadurch, dass ihr es hört, ist es geschehen.“ Damals und eben dadurch war Jesus Evangelist: Er hat uns gezeigt, was Evangelium ist im Unterschied von jeder anderen Lehre. „Dadurch, dass ihr es hört, dadurch dass es euch gesagt wird, ist es geschehen. Was denn? ‚Der Kerker ging auf, die Gefesselten sind frei, die Blinden sehen, die Verschuldeten sind rein’ Warum? ‚Vor euren Ohren ist es geschehen.’ Er sprach es und es ward! Das ist das Evangelium, das gebende Wort, dasjenige Wort, das ist, was es sagt, und schafft, was es verheißt“ (Schlatter 1929:157). Das ist etwas Neues, neu gegenüber der Zeit des Alten Bundes. In der Evangelisation Jesu fallen Gegenwart und Zukunft zusammen. Das Zukünftige ist jetzt schon da. Von daher formuliert Schlatter einen gewichtigen Satz: „Nur derjenige kann evangelisieren, dessen Wort die schaffende Gabe ist“ (ebd.). Da ist Absolution mehr als eine Verheißung, kein theoretisches Thema, sondern gegenwärtiges Ereignis. Die über einen Menschen ausgesprochene Vergebung ist das augenblickliche Ende seiner auf ihn lastenden Schuld. Jesus hat keinen gedanklichen Gott, über den sich trefflich theologisieren lässt. Jesus hat nur einen einzigen Gedanken: Gott! „Er hat einen lebendigen, einen gegenwärtigen, einen wirkenden, einen gnädigen Gott. Den hat er. An den denkt er nicht nur; in ihm lebt er, von ihm spricht er nicht nur. Der wirkt, der regiert, darum verkündet er Gottes Reich (:158). Damit ist der Inhalt des Evangeliums bestimmt: „im Evangelium ist nicht vom Menschen die Rede, sondern von Gott“ (:160). Schlatter erklärt: „Darum waren die Nazarener nicht erfreut, im Gegenteil, sehr geärgert; denn der Mensch wünscht natürlich, dass zunächst von ihm die Rede ist. Er ist sich selbst so 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 1. Evangelisieren 292 teuer! Sein Glücksbedürfnis, sein Jagen nach Leben, nach Erkennen, sein Durst nach Macht: unerschöpflich rinnen die Quellen, füllen uns alle unsere Sinnen – und nun ist im Evangelium von alle dem zunächst nicht die Rede ... Das Evangelium ist nicht ... Erfüllung meiner Begehrung, meiner Bedürfnisse, mögen sie noch so tief gefasst sein. Bildet euch das nicht ein, ihr lieben Närrchen! Nicht von euch ist im Evangelium die Rede! Denn wenn das Evangelium hörbar wird, ist von einem die Rede und von einem allein: von Gott und seinem Willen und seinem Werk“ (:159). Die Sendung Jesu besteht darin, die Königsherrschaft Gottes zu verkündigen. Damit wird der Mensch gerufen zum Glauben und zum Gehorsam. eÇaggel°zesqai ist Synonym für kjrÀssein, wie Lk 4,43-44 ausweist: „Er sprach aber zu ihnen: Ich muss auch den andern Städten das Evangelium predigen (eÇaggeli- sasqa°), vom Reich Gottes; denn dazu bin ich gesandt. Und er predigte (kjrÀsswn) in den Synagogen Judäas“ (Mk 1,38; Lk 8,1). Die Wirksamkeit Jesu wird Lk 8,1 zusammenfassend geschildert: „Und es begab sich danach, dass er durch Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte (kjrÀsswn ka± eÇaggelizçmenov) das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm.“ Ähnlich später Paulus: „Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen“ (1. Kor 1,17). So sehr Jesus auf dem Boden des AT steht und darum auch eigentlich nichts Neues verkündigt, so ist doch - wie wir sahen - etwas Neues da. „Jesus spricht nicht mehr als Prophet von dem Kommenden, sondern von der Erfüllung der Erwartung und Verheißung … Er ruft Lk 4,18ff wie ein Herold das Jahr des Herrn, die messianische Zeit aus. Wenn das Jobeljahr von Herolden mit Posaunenstößen im ganzen Lande bekannt gemacht wird, dann beginnt es, dann tun sich die Türen der Gefängnisse auf und die Schulden sind erlassen. Die Predigt ist solch ein Posaunenstoß. Er hat zur Folge, dass das verkündete Wort Wirklichkeit wird, denn das göttliche Wort ist eine schaffende Kraft und gibt, was es ankündigt“ (THWB III:705). Jesu Leben ist Verkündigung der Frohbotschaft. Die Ankündigung seiner Geburt ist Evangelium: ¸doÁ gr eÇaggel°zomai Ãm²n carn megljn  (Lk 2,10), so auch die Ankündigung seines „Vorläufers“ Johannes des Täufers (Lk 1,19). Das war der Grund der Menschwerdung Jesu: „... er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 1. Evangelisieren 293 waren“ (Eph 2,17). „Sein Erscheinen, nicht nur seine Predigt, sein ganzes Werk wird mit eÇaggel°sesqai bezeichnet“ (THW II:716). Was Juden und Heiden betrifft, sagt der Schreiber des Epheserbriefes über das Kommen Jesu: Er „versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet“ (2, 16). Jesus ist der Frieden und seine Erscheinung ist Friedensproklamation: „Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und uns, den Nahen“ (2,17). Seine besondere Mission besteht darin, dass er Frieden zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen selbst herstellt: „Er hat das Wort den Israeliten gesandt, indem er den Frieden verkündete durch Jesus Christus; dieser ist der Herr aller“ (Apg 10,36). Auch den Toten ist die Frohbotschaft verkündigt worden: „So ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt“ (1. Pt 3,19; 4,6). Das Wort „Evangelisieren“ kommt in deutschen Bibelübersetzungen des NT kaum vor. Das jedoch ist eine „optische Täuschung“. Luther und andere, haben falsch übersetzt und so ein entscheidendes Verb aus deutschen Bibeln verbannt. kjrÀssw oder eÇaggel°zomai steht im Urtext. „Predigen“ heißt beides bei Luther. Da denken wir – unserer Tradition gemäß - gleich an den Mann oder die Frau im Talar, die hinter Kirchenmauern zu Christen reden. In Wahrheit handelt es sich bei den zugrunde liegenden Worten um „Straßenpredigt“, Verkündigung an „Hecken und Zäunen“. Vornehmlich geht es um Verkündigung an Menschen, denen das Evangelium fremd ist. Dass auch die Gemeinde das evangelistische Wort zur Stärkung und Klärung des eigenen Glaubens braucht, kommt hinzu. Friedrich hat den Tatbestand dargestellt (THWB III:701-714): „Wenn wir heute von der Ausrichtung des Gotteswortes durch Menschen an Menschen sprechen, so steht uns nur der Ausdruck ‚predigen’ zur Verfügung, und mit ‚predigen’ hat Luther – von wenigen Ausnahmen abgesehen – stets kjrÀssein übersetzt. Das NT ist lebendiger und mannigfaltiger in seinen Ausdrucksformen, als wir in unserer kirchlichen Sprache heute geworden sind. Friedrich nennt 33 verschiedene Verben, die den Vorgang des Verkündigens im weitesten Sinne ausdrücken: „Dass wir heute fast ausschließlich nur noch das Wort ‚predigen’ kennen, ist nicht nur ein Mangel der Sprache, sondern auch ein Zeichen dafür, dass uns vieles verloren gegangen ist, was in der Urchristenheit lebendige Wirklichkeit war“ (:702). Wenn wir das Wort kjrÀssein, abgesehen von den 33 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 1. Evangelisieren 294 anderen Verben, mit ‚predigen’ übersetzen, treffen wir nicht mehr den Sinngehalt. kjrÀssein - das ist: ein Ereignis wird proklamiert, ausgerufen. Predigt im Sinne des Kerygmas ist also „nicht ein aufklärender Vortrag über das Wesen des Reiches Gottes“ (:710). „Tue das Werk eines Evangelisten!“ ruft Paulus dem Timotheus zu (2. Tim 4,5). Luther aber übersetzt: „Tue das Werk eines Predigers des Evangeliums.“ Wieder denken wir an den Mann im Talar. Diese Fehlübersetzungen haben bei uns eine ver- heerende Wirkungsgeschichte: Die Volkskirche ist so gut wie ohne Evangelisten und Evangelisation. Die Mehrzahl ihrer Glieder lebt wie Heiden, sie fühlen sich so und handeln auch so. Ich komme aus einer solchen „evangelischen“ Familientradition und möchte mir einen autobiografischen Seitenblick erlauben: Als 17jähriger stieß ich zum Jungmännerkreis der evangelischen Gemeinde. Als ich als 20jähriger zu Hause erklärte, ich wolle meinen handwerklichen Beruf aufgeben und Theologie studieren, löste das helles Entsetzen aus: „Wenn du das tust, wirst du unser Haus nie mehr betreten!“ „Schrecklich, sie haben ihn fertig gemacht!“ Die Lieben, die das riefen, waren selbstverständlich Mitglieder in der evangelischen Kirche, von dieser aber nie wirklich erreicht. In der Volkskirche wird die Gabe des Evangelisten vergraben. Dabei kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Geist der Gemeinde Jesu Christi in der Volkskirche die Gabe der Evangelisation in reichem Maße gegeben hat. Dort aber verkümmert sie, wird nicht in Anspruch genommen, weil sie nicht gewollt und gesucht, geschweige denn die Begabten zugerüstet werden zum rettenden Dienst. Das ist eine Brüskierung des Heiligen Geistes in der Volkskirche. Dabei sollten Pfarrer, Gemeindeleiter, samt allen anderen Gemeindegliedern – welche Gabe sie auch haben – im Dienste der missio dei stehend, nichts sehnlicher erstreben, als dass das Evangelium sich in der sie umgebenden Gesellschaft ausbreitet. Gott liebt auf besondere Weise die, die nicht an ihn glauben. Dass ihnen die gute Nachricht verkündigt wird, dazu hat Christus neben dem evangelistischen Charisma auch alle anderen Gaben gegeben und die Dienste der Kirche gestiftet. So sind Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht, Diakonie, soziales Engagement, Kirchenleitung, eben alle Dienste einer Kirche daran zu messen, in welchem Maße sie sich vom Sendungsauftrag her verstehen. 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 1. Evangelisieren 295 Predigt im Sinne des Kerygmas ist Proklamation, macht Gott schön, erfreut des Menschen Herz, bittet die Menschen: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2.Kor 5,20). 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 296 2.3.3.2. Lehren - im Kontext der Sendung Jesus, der Missionar und Evangelist war zugleich auch Lehrer. Er war Lehrer in einem anderen Sinne, als in dem, der heute unsere Schulen und Hochschulen bestimmt. Unser Lehrverständnis beruht darauf, Wissen weiterzugeben, unabhängig davon, ob der Schüler oder Student sich mit seinem Leben darauf einlassen möchte oder nicht. Unser Lehren ist intellektuell und unverbindlich. Anders ist es in der Heiligen Schrift. Schon in der Septuaginta bezeichnet didskein „die konkreten Willenskundgebungen Gottes … Überall, wo das Wort erscheint, hat es ein besonderes Kennzeichen darin, dass es sich nicht nur an die Einsicht, sondern vor allem an den Willen wendet. Das didskein der LXX erhebt stets den Anspruch auf den ganzen Menschen und nicht nur auf gewisse Seiten an ihm … Der Totalitätsanspruch, der damit in didskein erscheint, machte es besonders geeignet, zu dem Wort zu werden, in dem Gott seinen Willen vor sein Volk hinstellte, um es diesem Willen unterzuordnen und es nach ihm zu gestalten“ (Rengstorf, THWB II, 139-140). didskein gehört zu den Handlungen Jesu, die in den Evangelien besonders herausgestellt werden. Besonders häufig lehrt er in den Synagogen. Auch hier gilt: "Das Neue ... ist die radikale Überwindung des intellektuellen Moments am didskein, das für den außerbiblischen Sprachgebrauch charakteristisch ist." (:144). Eine besondere Bedeutung, der wir hier nachgehen wollen, bekommt das Lehren durch Mt. didskein findet sich im Missionsbefehl (Mt 28,18-20). In diesem sieht Michel (1950/51:21) „den Schlüssel zum Verständnis des ganzen Buches.“ Zum Herzstück des Missionsbefehls gehört zum einen der Befehl zu taufen, der nichts anderes darstellt als den Befehl zu Evangelisieren. Welcher Jude oder Grieche hätte sich taufen lassen, wenn er nicht zuvor evangelisiert und dadurch zum Glauben an Jesus Christus gekommen wäre? Der Sitz im Leben der ntl Taufe ist die evangelistische Verkündigung, als Gespräch oder öffentliche Rede. Taufen ohne evangelistischen Kontext verkehrt das bedeutungsvolle Geschehen in einen leeren Ritus, in den leicht eine magische Kraft (ex opere operato) hineingeheimnist wird. Hier schlägt die vernichtende „billige Gnade“ vor der Bonhoeffer warnt, gnadenlos zu. Neben dem Befehl zu taufen steht das didskontev aÇtoÁv tjre²n mitten im Sendungsbefehl: W i e J e s u s s e l b s t , s o l e h r t a u c h d i e 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 297 K i r c h e i m K o n t e x t d e r S e n d u n g! Ihre Situation ist immer eine missionarische. Die Lehre als Zentralstück des Missionsbefehls ist vornehmlich missionstheologisch zu verstehen. Nach Mt steht die Lehre im Dienste der Sendung. Eine besondere Zusammenstellung der Lehre Jesu, ihren Inhalt betreffend, findet sich in der B e r g p r e d i g t (Mt 5-7). Sie hat - zusammen mit dem Liebesgebot - ihren besonderen Platz im Missionsbefehl, geht es in diesem doch darum, a l l e s zu lehren (pnta). Mit dem pnta i s t a l le Lehre in den Sendungsbefehl geste l l t ! Hanssen ([1970] 1999:13-30) hat, wie wir sahen, eine missionstheologische Studie zum Verständnis der Bergpredigt vorgelegt. In dem ersten von vier Hauptteilen beschreibt er die Bedeutung der Didaché Jesu nach dem Missionsbefehl (Mt 28). Der u n i v e r s a l e C h a r a k t e r der Didaché Jesu ist in Mt 28 unübersehbar: „Alle qnj, d. h. alle Menschen, auch die, die nicht zum Volke Gottes gehören, sollen durch die Lehre Jesu zu Jüngern gemacht werden“ (:14). Genauso universal versteht auch die BP ihre Botschaft. Sie sieht die Jünger als Salz der Erde und Licht der Welt. „In dieser Universalität gründet die Mission, die allein berechtigt, die Menschheit unter den Gehorsam des Glaubens’ zu stellen“ (ebd.). Kähler (1937:78) sagt: „Die unterschiedslose Mission ‚allen Völkern’ bringt den vollendeten Universalismus der Heilsoffenbarung zur Geltung. Das heißt die Bestimmung der Offenbarung für die ganze Menschheit.“ Sodann geht es um den e s c h a t o l o g i s c h e n C h a r a k t e r der Didaché Jesu. „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, sagt der Menschensohn (Mt 28,18; Dan 7,13-14). Es ist ein eschatologisches Faktum, dass das Reich des Menschensohnes e i n a u ß e r w e l t l i c h e s R e i c h i s t , d a s d e n W e l t r e i c h e n g e g e n ü b e r s t e h t . In dieser Außer- oder Überweltlichkeit ist der universale Anspruch Jesu geradezu begründet (‚darum’, Mt 28,19). Universalität meint nicht, dass ein Teil der Menschheit die Weltherrschaft über einen anderen errichtet. Solch ein Missverständnis kann nur durch eine Didaché und ihr zufolge durch eine Lebensform vermieden werden, die „schlechterdings außer- bzw. überweltlich ist“ (Hanssen ([1970] 1999:16). Echt kann Universalität nur sein, wenn sie eschatologisch verstanden ist. Die Bergpredigt selbst gründet sich auf das eschatologische Kommen Jesu (Mt 5,17 Úlqon : 9,13; 10,34; 20,28). Die Formel 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 298 „bis dass es alles geschehe“ (Mt 5,18; 24,35; Apk 1,1; Dan 2,28-29.45) ist ebenfalls eschatologischen Ursprungs. Es kann kein echt theologisches Verständnis der Didaché Jesu geben, „ohne dass das im Hintergrund liegende Problem der ‚Eschatologie’ hinreichend geklärt ist. Gerade an dieser Stelle werden sich die Geister scheiden“ (ebd). Schließlich geht es um den e k k l e s i o l o g i s c h e n C h a r a k t e r der Didaché Jesu. Nach Dan 7,14 ist dem Menschensohn Macht, Ehre und Reich gegeben, dass ihm alle Völker und Leute aus vielen Sprachen dienen sollten. Darauf nimmt Mt 28,18 Bezug. Zum Menschensohn gehört die basile°a, die Königsherrschaft, und zu einem König gehört sein Volk. Diese Königsherrschaft ist wiederum eschatologisch, außerweltlich verstanden. Sie ist eine nahe herbei gekommene (Mt 4,17) und zu-gleich eine herbei zu bittende basile°a (Mt 6,10). Sie ist in der Gemeinde Jesu, in der Kirche, schon gegenwärtig. Deshalb ist der Missionsbefehl für den Menschensohn gleichzeitig „Taufbefehl“. Die Zugehörigkeit zur Kirche beschreibt der Auferstandene mit dem Begriff maqjteÀein. „Die Gemeinde Jesu ist die Schar derer, die alles, was Jesus befohlen hat, lernt und dann auch hält (Mt 28, 19-20)“ (:17). So sind Kirche und Didaché Jesu in einen unauflöslichen Zusammenhang gestellt: „In der Didache Jesu gewinnt die Kirche gleichsam Profil und Gestalt. Das ist eine Erkenntnis von grundsätzlicher Bedeutung. Der einzelne gehört nur insofern, als er zur Gemeinde, zur Kirche, gehört, auch zum Menschensohn. Es gibt kein Verhältnis des einzelnen zum Menschensohn an der Gemeinde vorbei, sondern nur durch sie hindurch. Die Didache Jesu bewegt also nicht die Frage, ob das Individuum den Ansprüchen der Gemeinde gewachsen ist, ob es also das ‚Gesetz halten’ kann, wie das sooft in einer individualistischen protestantischen Ethik der Fall ist, sondern sie fragt, wie die Gemeinde Jesu, die Kirche, in rechter Weise das außerweltliche Reich des Menschensohnes auf Erden als himmlisches Reich repräsentieren kann. Die Bergpredigt hat es also mit der Gemeinde und nicht mit dem – noch so frommen – Individuum zu tun“(:17). Im zweiten Teil zeigt Hanssen in einem e r s t e n S c h r i t t , dass das Herzstück der Bergpredigt das Gebot der Feindesliebe ist (5,44). Das Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18) galt nicht gegenüber allen Menschen, sondern bezog sich auf die Genossen des Jahwebundes. Dieser engere Begriff des „Nächsten“ wird in der Bergpredigt gesprengt. „Ist sogar der Feind mit in die Liebe eingeschlossen, dann gilt das Gebot 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 299 der Nächstenliebe hinfort allen Menschen. Die Grenze des jüdischen Volkes wird überschritten, die Liebe wird universal verstanden“ (:19). Im z w e i t e n S c h r i t t ist herausgestellt, dass das Gebot der Nächstenliebe bei Mt eine größere Rolle spielt als bei den anderen Evangelisten. In Kap 19,19 (reicher Jüngling) und 22,39 begegnet es wiederum. Den reichen Jüngling weist Jesus an die zweite Tafel des Dekalogs und fügt das Gebot der Nächstenliebe hinzu. Es schält sich heraus, dass der Evangelist das Gebot der Nächstenliebe genauso verstand: als Zusammenfassung des zweiten Teils des Dekalogs. Damit stellt er das Gebot der Feindesliebe, das, wie wir sahen, in dem der Nächstenliebe nun enthalten ist, „in den großen theologischen Zusammenhang der rechten Gesetzeserfüllung, um es auf diese Weise theologisch grundsätzlich zu begründen.“ Im d r i t t e n S c h r i t t wird Mt 22,34-40 herangezogen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.’ Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.’ In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Das Gebot der Nächstenliebe wird dem Gebot der Gottesliebe angefügt. Dass in den beiden Geboten das ganze Gesetz und die Propheten hängen zeigt: Auch das Gebot der Gottesliebe gehört für den Evangelisten, wie das der Nächstenliebe, zur Erfüllung des Gesetzes. Das findet sich mit dem zweiten Kapitel der Bergpredigt voll bestätigt. Es richtet die Aufmerksamkeit vom Nächsten weg und richtet sie hin zu Gott. Mt 7 beginnt mit der Perikope vom „Richten“ Noch einmal klingt danach das Thema „Gebet“ an (7,7-11). Das sind keine zufälligen Anordnungen. Hier ist vom Verhältnis der Gemeinde zum Nichtchristen, zu den Heiden, die Rede. Sinn macht das alles, wenn 7,7-11 auf die Frage antwortete, wer in das Reich Gottes kommt. „Wer kommt ins Reich Gottes? Antwort: Jeder, der nur anklopft, denn Gott gibt den Heilsbesitz (‡gaq) jedem, der nur bittet. So wie Gott soll nun auch die christliche Gemeinde die Tür weit öffnen und den Nichtchristen nicht durch ein falsches Richten die Tür versperren. 7,7-11 begründet also den Verzicht auf das Richten im göttlichen Heilshandeln. 7,6 warnt dann aber nachdrücklich vor einem libertinistischen Missverständnis dieses Verzichtes“ (Hanssen 1999: 22). Der Evangelist versteht die Bergpredigt als eine Auslegung des Doppelgebotes der Liebe. Diese Liebe ist für ihn die Erfüllung des Gesetzes. 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 300 Damit sind wir beim dritten Hauptteil: „Das Doppelgebot der Liebe als Erfüllung des Gesetzes.“ Wie der Evangelist die Didache Jesu eschatologisch begründet, so auch das Gesetzesverständnis. „Eschatologie ist aber als Botschaft von der Inthronisation des Menschensohnes letztlich Christologie. Das Gesetz, aber auch die BP können also nur christologisch ausgelegt werden. Jede andere, etwa innerweltliche Auslegung verfehlt die Intention des Evangelisten“ (:25). Beim Verbum g°nesqai (5,18) handelt es sich um einen Zentralbegriff der apokalyptischen Sprache (Dan 7,28; Mt 24,6, Apk 1,1.19; 4,1; 22,6). Folgerichtig versteht der Evangelist das AT als Weissagung (s. Mt 11,13 und die Reflexionszitate), die nun erfüllt wird und führt darum das Schema „Verheißung - Erfüllung“ ein. Die Schrift als Verheißung und Jesu Wort und Tat als Erfüllung gehören durch die geweissagte Sache zusammen und sind durch die dazwischenliegende eschatologische Weltenwende gleichzeitig streng zu unterscheiden: „Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis e s alles geschieht“ (Mt 5,18). Damit ist das eigentliche theologische Auslegungsproblem der BP im Blick. Was ist dieses e s ? Was ist die „Sache“, die geweissagt ist und nun geschehen soll? Ist es das Gesetz, das „geschehen“ soll? Eine schwierige Formulierung. Hanssen fragt, inwiefern sich das Gesetz eigentlich ereignen kann (g°nesqai), wie es „geschehen“ könne. Was ist es, das das Gesetz eigentlich weissagt (11,13) und dadurch intendiert? Antwort: D i e G e m e i n d e G o t t e s ! „Das Gesetz ist kein Selbstzweck, die Gebote sind nicht dazu da, dass sie gehalten werden ... genauso wenig wie etwa ein Fahrplan dazu da ist, Lokomotivführer und Reisende durch Abfahrtszeiten zu drangsalieren. Das Gesetz intendiert vielmehr die Gemeinde, es will gemeinsames Leben ermöglichen. Deshalb lässt es sich auch in dem Doppelgebot der Liebe zusammenfassen, denn auch die Liebe intendiert Gemeinschaft (:27) Die Frage, die das Gesetz beantwortet, ist also, wie rechte Gemeinde aussieht. „Die Bergpredigt will unter diesem ekklesiologischen Aspekt gelesen und verstanden werden. Die Gemeinde Gottes also ist die ‚Sache’, die geweissagt wurde und nun in der christlichen Gemeinde ihre Erfüllung gefunden hat“ (:27). 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 301 Auch das Judentum sieht im Doppelgebot der Liebe die Zusammenfassung des Gesetzes (Dtn 6,5). Es beantwortet die Frage nach der wahren Liebe mit dem Hinweis auf das Gesetz. Die Christenheit aber beantwortet die Frage nach der Liebe mit dem Hinweis auf das Werk des Christus als eschatologischem Heilsereignis. Jesus hat das Gesetz nicht aufgelöst, sondern dadurch erfüllt, dass er die Gemeinde, das Ziel des Gesetzes, „auf eine völlig neue, eschatologische, außerweltliche und damit unzerstörbare Grundlage stellte. Die Didache Jesu wird also in Mt 5,17 genauso wie in Mt 28,18-20 in seiner eschatologischen Sendung begründet“ (:28). Bei Mt liegt ein völlig neues Gesetzesverständnis vor. „Dadurch, dass das Doppelgebot der Liebe und damit die Existenz der Gemeinde auf die eschatologische Sendung des Menschensohnes begründet wurde, war das Gesetz relativiert. Es war hinfort nicht mehr die absolute Offenbarung des göttlichen Willens. An seine Stelle konnte nun in der kirchlichen Lehrpraxis die Bergpredigt treten“ (:28). Dabei ist die BP nicht etwa ein anderes Gesetz gleicher Art. Sie ist mit dem alten Gesetz nicht vergleichbar. Ihre Aufgabe ist nicht, das allgemeine menschliche Zusammenleben zu regeln und zu ordnen. Ihre Aufgabe ist vielmehr „die Außerweltlichkeit, den eschatologischen Ursprung und damit die Andersartigkeit der christlichen Gemeinde zum Ausdruck zu bringen“ (ebd.). Dadurch, dass die BP Infragestellung jeglicher menschlicher Ordnung ist, bekommt sie universale Bedeutung. „Damit ist nun auch der Weg für eine christliche Heidenmission geöffnet: die jeweiligen Ordnungen und Gesetze fremder, heidnischer Völker sind hinfort nicht mehr wie bisher unüberwindbare Schranken für die Ausbreitung der biblischen Botschaft. Der Missionsbefehl (Mt 28,18-20) zeigt, wie viel dem Evangelisten gerade an dieser Universalität der Didache Jesu lag“ (:28). Es zeigt sich, dass der Missionsbefehl der Schlüssel zur Theologie des ganzen Evangeliums des Matthäus ist, er bietet zugleich einen geeigneten Ausgangspunkt für das Verständnis der BP. In einem kurzen vierten Hauptteil befasst sich Hanssen mit der „Bedeutung der Didache Jesu für die Mission“ (:29). Bisher wurde die Didache Jesu und damit auch die BP von der missionstheologischen Fragestellung her verstanden. Fällt nicht auch umgekehrt von der Didache Jesu her ein Licht auf die Mission? 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 302 In heutiger Missionspraxis hat der Kerygmabegriff zentrale Bedeutung. Er fehlt jedoch im Missionsbefehl. Aus welchem Grund? Er ist möglicherweise als integraler Bestandteil der Taufe anzusehen, sodass er selbst unerwähnt bleiben kann: Ohne Kerygma, ohne evangelistische Verkündigung ist keine Taufe. Es kann jedoch auch sein, dass der Evangelist „lehren“ und „verkündigen“ nicht scharf unterscheidet, da es sich um eine Art Inthronisationstext handelt und um eine Weisung, die Herrschaft des Menschensohnes unter allen Völkern zu proklamieren. Da ist der Verkündigungscharakter, die Missionsrede des Lehrens unübersehbar. Wir sahen oben bereits, worin die besondere Art der Verkündigung des Evangelisten besteht und erinnern noch einmal an die entscheidenden Sätze Hanssens: „Sie geht nicht so sehr von der Verlorenheit des Menschen und seiner Hilfsbedürftigkeit aus - ein verborgener anthropozentrischer Ansatz - sondern sieht in der basieleia primär die Machtergreifung Gottes, der jetzt endlich den Gehorsam der Menschheit fordert, die gerufen wird, seinen Willen zu tun ... So gesehen ist die Lehre gerade das Zentrum der Verkündigung. Es wäre für die Mission heute viel gewonnen, wenn sie diese Botschaft des Evangelisten hören würde, dass die Mission nicht primär um des Menschen, sondern um Gottes willen geschieht. Diese Theozentrik ist uns heute bei unserer sich überschlagenden Anthropozentrik bitter notwendig“ (:29-30). Nach der BP ist die Gemeinde „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“. Sie ist im Geiste der missionarischen Dimension konzipiert. Nun realisiere sich die Sendung der Gemeinde, nach Hanssen, nicht dadurch, dass sie die Botschaft „zentrifugal“ ausbreite. „Sie ist vielmehr in zentripedaler Weise die Stadt auf dem Berge, die nicht verborgen bleiben kann (5,14), die dadurch, dass sie die Bergpredigt verwirklicht, das Lob Gottes unter den Menschen provoziert“ (30). Das versucht der Verfasser zu erhärten: Das „Gehet hin“ (28,19) solle nicht zu stark betont werden. Das zeige auch der übrige Sprachgebrauch beim Evangelisten (2,8; 9,13; 11,4; 17,27; 18,12; 21,6; 2,15; 25,16; 26,14; 27,66; 27,7.11). „So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (5,16), ist für Hanssen ein starker Hinweis: „Die Gemeinde weist also gerade dadurch, dass sie den Willen Gottes tut, über sich hinaus, eben auf Gott. Es ist deshalb überaus charakteristisch, dass Matthäus uns Jesus selbst primär als Bergprediger vor Augen malt, bevor er auf die Wundertaten und andere Überlieferungen zu sprechen kommt. Das Tun des 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 303 Willens Gottes ist selbst eine missionarische Tat, die, ob sie es will oder nicht, die Umwelt verändert“ (ebd.). Wir blicken zurück: Es kann nicht nachdrücklich genug vom universalen, eschatologischen und ekklesiologischen Charakter der Didaché Jesu gesprochen werden. Da Jesu Lehre im Kontext und unter dem Vorzeichen seiner Sendung steht, verwundert es, dass Hanssen den so te r io logischen Charakter der Didaché zwar nicht übersieht, aber doch nicht herausstellt. Wir hatten oben - Schniewind zitierend gesagt (2.2.4.): Wenn die Gottesherrschaft in Jesu Wort schon Gegenwart gewinnt, „so ist der freudige Charakter der Predigt Jesu offenbar. Jesu Verkünd igung i s t Evange l ium, i s t F reudenwor t “ ([1927; 1931] 1970:4). Es sind alle Menschen unter den Herrschaftsanspruch Jesu gestellt, ihnen steht das neue Leben, das in der BP seine Gestalt findet, offen. „Wer anklopft, dem wird aufgetan.“ Der U n i v e r s a l i s m u s bestimmt das Ziel und die Aufgabe der kirchlichen Gemeinschaft. Schlatter vermerkt in seiner Ethik: „Am Universalismus des Wortes Jesu, der uns den Dienst an unsrem Volk aufträgt, gewinnen wir das Recht und die Pflicht, seinen Namen in die Öffentlichkeit hineinzulegen und Gottes Willen allen zu zeigen, damit allen die Sünde erspart und allen der Dienst Gottes geschenkt sei“ (Schlatter 1924:163). Daraus ergibt sich für Schlatter das andere: „Aber aus demselben Universalismus Jesu entstand auch sein Individualismus, mit dem er jeden Einzelnen zu sich zieht, und daraus folgt unser Recht und unsre Pflicht, das Wort jedem so zu sagen, dass es ihn persönlich bewegt, und erst dann unsre Arbeit für getan zu halten, wenn der Einzelne in seinem eigenen Lebensakt die Gebundenheit an Gott empfangen hat ... Wir arbeiten in jedem Moment für unser ganzes Volk, ja für die Menschheit, und in jedem Moment für das persönliche Wohl derer, mit denen wir verkehren. Beide Ziele wechseln nicht miteinander ab, sondern werden beständig durch eine und dieselbe Handlung realisiert. Als sich Jesus der Samariterin offenbarte, sagte er der ganzen Welt das Evangelium, und als er sich Jerusalem als seinen König anbot, sagte er es jedem Einzelnen zu seinem eigenen Heil“ (:163-164). E s c h a t o l o g i s c h bedeutet: Die Ewigkeit Gottes soll zur Ewigkeit aller Menschen werden. Der Kirche ist mit ihrem Auftrag kein Winkeldasein zugewiesen. Als eschatologische Größe ist Kirche hochpolitisch (Mt 24,14). 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 304 E k k l e s i o l o g i s c h bedeutet, dass der Gemeinde ein neues Leben ermöglicht wird. „Es gibt kein Verhältnis des einzelnen zum Menschensohn an der Gemeinde vorbei, sondern nur durch sie hindurch ... Die Bergpredigt hat es also mit der Gemeinde und nicht mit dem - noch so frommen – Individuum zu tun“ (Hanssen [1970] 1999:17). Die Betonung der Gemeinde als G e m e i n s c h a f t , nicht als einer Ansammlung von Individuen verdient Beachtung. Sie ist eine missionarische Gemeinschaft des Doppelgebotes der Liebe, die Feinde nicht ausgrenzt, sie segnet, für sie betet und sich doch vor libertinistischem Missverständnis schützt (Mt 7,6). Für Hanssen ist der Missionsbefehl gleichzeitig „Taufbefehl“. Hier gilt jedoch auch der Umkehrschluss, den er nicht zieht: Der Taufbefehl ist ein Missionsbefehl, spezifischer: ein „Evangelisationsbefehl“ (Eickhoff 1992: 83-84). Das ist – wie wir sahen - durch einen Hinweis auf den Sitz im Leben des Missionsauftrages zu erhellen: Einem Taufbefehl unterstellt zu sein, ist eines, Menschen zur damaligen Zeit zu finden, die darin einwilligen, sich taufen zu lassen, ein anderes. Diese Bereitschaft wird durch das vernommene evangelistische Wort gewirkt: „Der Herr tat der Lydia das Herz auf“ (Apg 14,16). Juden und Griechen haben sich taufen lassen, wenn sie vom Kerygma des Christus getroffen und überwunden worden waren (Apg 2,37f; 8,4-6; 8,35-36; 10,34-48; 16,14-15; 30-33 u.ö.). So ist auch heute die Hauptaufgabe der Kirche nicht, Taufriten an Säuglingen zu vollziehen. Die Hauptaufgabe der Kirche ist, dass sie sich Christus und dem Sendungsauftrag stellt. In ihrer Praxis setzt sie – in der Volkskirche jedenfalls ist das gang und gäbe – den Sendungsauftrag durch einen theologischen Taschenspielertrick außer Kraft. Es wird der Missionsbefehl hochoffiziell agendarisch in einen „Taufbefehl“ verfälscht,1 der als solcher unmittelbar vor dem Taufakt zu verlesen ist. So macht sich die Kirche selbst glauben, den Missionsbefehl ernstgenommen zu haben, wenn sie die Taufhandlung z. B. an Säuglingen vollzieht. In Wirklichkeit aber „tauft“ sie u n t e r U m g e h u n g d e s M i s s i o n s b e f e h l s , weil sie es in der Regel unterlässt, alles zu tun, dass die vor einer erhofften späteren Bekehrung Getauften, auch zum Glauben finden. Im Gegenteil, Evangelisation wurde nach meinen persönlichen Erfahrungen, solange ich in der Kirche in Deutschland und Österreich diene, eher diffamiert als ernsthaft betrieben. Die Kirche spricht gern von der „vorlaufenden 1 Taufagende der Evangelischen Kirche A. B. Österreich. 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 2. Lehren - im Kontext der Sendung 305 Gnade“, tut aber wenig bis nichts für den seelenrettenden nachfolgenden Glauben. Dieser ist ein Werk des Geistes, der sich mit dem evangelistischen Wort verbindet. Wird dieses zu verkündigen aber für unnötig erachtet, kommen die Getauften nicht zu dem Glauben, der sie rettet. Zur eigenen Rechtfertigung wird auf die Institution des schulischen Religionsunterrichts verwiesen, von dem Dantine (o. J.) in seinem erwähnten Aufsatz „Religionsunterricht als Zeugendienst“ (Manuskript) erklärte, dass die Kirche nicht versuchen dürfe, den Re- 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 306 ligionsunterricht als trojanisches Pferd für kirchliche Mission zu benutzen. Man weiß nicht, was man soll und was man will. Was den kirchlichen Konfirmandenunterricht betrifft, (der in Österreich innerhalb von 6 Monaten abgewickelt wird), bekommt man von den Betroffenen, den Konfirmanden, selten positive Rückmeldungen. Kraftlos zu sein ist nicht Schicksal der Kirche, sondern konkrete Schuld, die darin besteht, dass sie ihren Sendungsauftrag „phantasiereich“ umgeht. Die Sendung der Gemeinde realisiert sich nach Hanssen nicht dadurch, dass sie nach Mt die Botschaft „zentrifugal“ ausbreitet. Sie sei in zentripedaler Weise die Stadt auf dem Berge, (5,14), die dadurch, dass sie die Bergpredigt verwirkliche, das Lob Gottes unter den Menschen provoziere (:30). Dieses trifft für Mt zu, jedoch nicht ausschließlich. Der Evangelist weiß auch von der „zentrifugalen“ Ausbreitung der Botschaft. Das „Gehet hin“ im Munde Jesu ist im Vollsinn des Wortes zu verstehen, wie auch die Aussendungsrede Mt 10 zeigt: „Geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ So hat es Jesus auch gehalten: „Und Jesus g i n g ringsum in alle Städte und Dörfer (Mt 9,35). 2.3.3.3. Senden „Und er setzte zwölf ein, die er auch Apostel nannte, dass sie bei ihm sein sollten und dass er sie aussendete zu predigen und dass sie Vollmacht hätten, die bösen Geister auszutreiben“ (Mk 3,14-15). Mit dieser Vorankündigung der Sendung sind bereits die entscheidenden Phasen im Jüngerschaftswerk Jesu erfasst. Blicken wir zunächst auf die Bezeichnung: Er nannte die Zwölf auch „Apostel“, d. h. „Gesandte“ (grch.) oder „Missionare“ (lat.). „Ohne einen Sendungsauftrag verliert der Jüngerkreis letztlich einen erkennbaren Sinn. Jesus wollte keine esoterische Sondergemeinde sammeln, sondern ganz Israel zur Umkehr rufen“ (Riesner 1981:454). Er hat alle Jünger, welche Charismen sich im Einzelnen auch einmal bei ihnen herausstellen werden, als Gesandte gesehen und gewollt (:460-461). Jüngerexistenz steht von Anfang an unter dem Vorzeichen der Sendung. Hat sich der Apostelbegriff, was die Zwölf betrifft, auch verselbstständigt und dort zum Eigennamen entwickelt, so haftet doch am Begriff des Jüngers von Anfang an als besonderes Kennzeichen das Missionarische und zwar sprachlich, wie 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 307 auch der Sache nach. Die Kirche Jesu Christi kann nur eine apostolische, eine durch und durch missionarische Kirche sein. Er setzte sie ein, „dass sie bei ihm sein sollten.“ Riesner (1981:430) legt dar: „Nach übereinstimmender Aussage aller drei Synoptiker wurden die Jünger erst zu eigener Verkündigungsarbeit ausgesandt, nachdem sie Jesus einige Zeit be- gleitet hatten. Das weist auf einen historischen Tatbestand zurück, denn auch das sicher echte Rätselwort von den ‚Menschenfischern’ (Mt 4,19 / Mk 1,17 / Lk 5,10b) unterscheidet zwischen der Nachfolge einerseits und der neuen Berufsaufgabe der Jünger als Verkündiger andererseits als zwei unterschiedlichen Funktionen. Bevor sie an der Verkündigung Jesu mitbeteiligt werden konnte, benötigten sie eine Zeit, in der sie sich ganz der Aufgabe widmeten … durch Hören und Sehen zu l e r n e n . “ Sie, die das Johannesevangelium „seine Freunde“ nennt (Joh 15,14), leben mit ihm in enger Gemeinschaft. Sie sehen, wie er lebt, hören, wie und was er betet, was er einzelnen sagt und was er der Menge verkündigt, nehmen wahr, wie er mit Sündern umgeht und mit Pharisäern, mit Ausgestoßenen oder mit Kindern. Das „Bei-Ihm- Sein“ beschreibt die Phase der Sammlung und Zurüstung. Sagt er ihnen später „Macht zu Jüngern!“, so werden sie sich an die Zeit erinnern, als sie bei ihm waren. Da hatte er s i e zu Jüngern gemacht. Als sie lange genug bei ihm waren, sandte er sie aus zu predigen, also zu sein, was sie dem Namen nach schon waren, Apostel, Gesandte, Missionare. Wir erinnern: Beim Predigen ist nicht an Kanzelreden gedacht, predigen (kjrÀssein) meint die evangelistische Verkündigung draußen in der Welt. Dazu ist die Vollmacht, böse Geister auszutreiben, unerlässlich, sind wir doch beim Unglauben nicht mit bloßen Denkfehlern von Menschen konfrontiert, die argumentativ zu beseitigen wären. Wir stoßen auf Bindungen an gottfeindliche Mächte. In der Begegnung mit diesen Mächten bedarf es der Vollmacht Jesu. Solche Vollmacht ist der kampflosen, introvertierten Gemeindepredigt nicht verheißen. Vollmacht, die böse Geister austreibt, gibt er für die Predigt der sendungsorientierten Gemeinde und ihren Einsatz an der missionarischen Front. Diese kann quer durch die Gemeinde verlaufen. Wo auch immer: Jesus sendet seine Jünger in den Kampf, in die Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod. Für diesen Kampf verleiht er Vollmacht. Kirche, die das Feld den Mächten (Eph 6) kampflos überlässt, bleibt vollmachtslos. 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 308 Bevor wir uns den Sendungsreden selbst zuwenden, blicken wir auf den Horizont, vor dem sie ergehen: Jesu Sendungen bekommen ihre besondere Dringlichkeit angesichts der Naherwartung in seiner Verkündigung. J. Jeremias spricht von einer „Gnadenfrist“, die es zu nutzen gilt: „Echte prophetische Botschaft hat zwei Seiten, die unlöslich zusammengehören: sie ist Heilsverkündigung und Unheilsverkündigung. Das hat tiefe Gründe: Gnade und Gericht gehören zusammen. So hat auch Jesus nicht nur den gnadenreichen Anbruch der Heilszeit angekündigt, sondern ebenso die ihrer Volloffenbarung vorangehende Katastrophe. Die Frohbotschaft ergeht in der letzten Gnadenfrist vor dem Unheil“ (Jeremias 1971:124). In den Sendungsreden stoßen wir auf das Wort von der Ernte (Lk 10,2; Mt 9,37-38), dass sich als Bild für das Gericht in der atl Apokalyptik findet (Jes 9,2; 18,5; Jer. 51,33; Hos 6,11; Joel 4,13) und als solches im NT übernommen ist. Wir kennen es aus der Gerichtspredigt des Täufers (Mt 3,10.12; Lk 3,9.19), aus der Predigt Jesu und aus der Offenbarung (Mt 13,30. 39; Mk 4,9; Offb 14,15). Die Sendung erfolgt - das verleiht ihr den unbedingten Ernst - angesichts des kommenden Gerichts, ja, die Zeit ist schon jetzt da: „Sagt ihr nicht selber: Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte? Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf und seht auf die Felder, denn sie sind reif zur Ernte“ (Joh 4,35). In den Synoptikern finden sich zwei Apokalypsen, in deren Horizont die gesamte Verkündigung Jesu einschließlich seiner Sendungsreden zu sehen und zu verstehen sind: Die breiteste Ausführung über das, was kommt, bietet die Markusapokalypse (13,1-37 par.). Matthäus, der sie aufgreift (24,1-25,46), hat sie durch Angliederung neuer Stoffe erweitert. Bei Lukas (21,5-36) ist sie erheblich umgestaltet. Mk 13 schildert die Fluch- und Notzeit in drei Abschnitte: Zunächst die Geburtswehen: Pseudomessiasse treten auf, dazu Kriege, Erdbeben, Hungersnot, Verfolgungen (5-13): Sodann ist von „Gräuel der Verwüstung“ die Rede, Flucht soll ergriffen werden, Lügenpropheten werden kommen, die Zeichen und Wunder tun (14-23). Schließlich lesen wir vom Zusammenbruch des Kosmos und von der Parusie des Menschensohnes „in den Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit“ (24-27). Die zweite synoptische Apokalypse findet sich in Lk 17,20. Während Jesus in Mk 13 betont, man solle auf die Zeichen achten, die das Kommende ankündigen, 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 309 sagt er Lk 17,24, dass das Ende plötzlich komme, wie ein Blitz, wie die Sintflut (26- 27), wie das Feuer und der Schwefel, der auf Sodom und Gomorrha fiel. Vor solchem Horizont also beruft Jesus seine Jünger und vollzieht deren Sendung. Ein Sympathisant will ihm nachfolgen, möchte aber vorher seinen Vater begraben. Jesus verwehrt es ihm. Ein anderer will Jesus nachfolgen, aber vorher Abschied feiern. Jesus sagt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ (Lk 9,59-62). Warum diese Schroffheit? Der Grund ist mit einem harten Satz angegeben: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“ (V. 60). „Außerhalb der Basileia gibt es nur Tod und Tote. Die Existenz im alten Äon, die Existenz unter der Schuld, verdient den Namen Leben nicht. Das Leben hat begonnen, in die Welt des Todes einzudringen, bald wird es sich in seiner Fülle offenbaren. J e d e S t u n d e i s t k o s t b a r . Die Toten müssen in die Welt des Lebens gerufen werden, ehe es zu spät ist“ (Jeremias 1971:133; Hervorhebung KE). Jesus sieht die drohende Katastrophe nicht in weiter Ferne liegen, sondern denkt an eine Gefahr, die die Menschen, zu denen er spricht, unmittelbar bedroht. Jeremias fragt angesichts der Parusieverzögerung: „Müssen wir nicht zugeben, dass die Naherwartung des Endes eine unerfüllt gebliebene Erwartung Jesu gewesen ist?“ (:139). Das ist unumwunden zuzugeben. Es geht Jesus jedoch nicht um apokalyptische Spekulationen, sondern um geistliche Urteile. „Ihr Grundton ist: die Stunde der Erfüllung ist angebrochen, die Königsherrschaft Gottes manifestiert sich schon hier und jetzt … nutzt die Zeit, eh es zu spät ist; es geht um Tod oder Leben. Wenn man dieses geistliche Urteil auf einen Satz bringen will, dann ist es der, dass Gott eine letzte Gnadenfrist geschenkt hat. E s i s t d i e w i c h t i g s t e F u n k t i o n d e r E s c h a t o l o g i e , d a s s s i e d a s W i s s e n u m d i e G n a d e n f r i s t w a c h h ä l t (:139-140; Hervorhebung. KE). Nach Jesu Worten kann Gott Notzeiten „um der Auserwählten willen“ verkürzen (Lk 18,7-8; Mk 13,20). Aber er kann auch umgekehrt die Bitte erhören: „Lass ihn noch dieses Jahr“. Er kann die Gnadenfrist verlängern (Lk 13,6-9). „Jesus rechnet also damit, dass Gott den eigenen heiligen Willen aufhebt. Diese Worte gehören zu dem Gewaltigsten, was Jesus gesagt hat … Alle menschliche Existenz in ihrer stündlichen 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 310 Bedrohung durch die Katastrophe lebt von der Gnadenfrist: ’Lass ihn noch dieses Jahr … ob er vielleicht Frucht bringe’ (Lk 13,8f)“ (:140). Wir stoßen hier auf den Tatbestand, der Jona erzürnt hat, Ninive aber das Leben rettete: „Bald drohe ich einem Volk oder einem Reich, es auszureißen, niederzureißen und zu vernichten. Kehrt aber das Volk, dem ich gedroht habe, um von seinem bösen Tun, so reut mich das Unheil, das ich ihm zugedacht hatte“ (Jer 18,7-8). Im Gleichnis vom großen Abendmahl (Lk 14,16-20) wird deutlich, welche Schwierigkeiten die Geladenen mit dem außerweltlichen Charakter des Heils haben. Nicht die großen Sünden sind es, die sie hindern, die Einladung anzunehmen, sondern die innerweltlichen Bindungen (Acker, Ochsen, Familie). Den Menschen außerhalb und innerhalb der Gemeinde kann nur durch die Verkündigung des nahenden Gottesreiches und die Herrlichkeit des Kommenden die Vergänglichkeit des Irdischen bewusst gemacht werden, damit sie klug werden (Mt 25,1-13). Es ist alles Reden und Handeln Jesu, besonderer aber die Aussendungsreden von der nahenden Königsherrschaft bestimmt, die Heil für die einen, Verderben für die anderen bedeutet. Die Sendungsreden stellen eine Beauftragung der Kirche im Horizont des nahenden Gerichts und der Vollendung dar. Sie sind damit unter einen Ernst, eine Spannung und Dringlichkeit gestellt, die größer nicht sein können. Zu den Sendungsreden selbst: Wir finden sie bei allen Synoptikern: Der Bericht des Markus steht in 6,7-13; Lukas hat zwei Berichte 9,1-6 und 10,1-16, die Aussendung der Siebzig bzw. Zweiundsiebzig, in die wohl Stoffe aus der Logienquelle eingegangen sind. Matthäus hat die Fassung des Markus und Q zusammengenommen, jedenfalls finden wir Motive aus beiden in der Sendungsrede Mt 9,36-11,1 vor. Bei Mk 6,7-13; Lk 9,1-6 und Mt 9,36-11,1 finden wir das Schema, dass wir als typisch für eine Sendungsrede ermittelt hatten: Sendung beginnt mit dem Ruf, setzt sich fort in der Gabe, bzw. der Begabung und Zurüstung. Dann erst erfolgt das eigentliche Senden, begleitet von helfenden Anweisungen und Befehlen. R u f e n , G e b e n , S e n d e n und G e b i e t e n . Das sind die vier Maßnahmen, auf denen Jesu Sendung ruht. Die Diskussion um die Geschichtlichkeit der Berufung und Aussendung der Zwölf ist hier nicht aufzunehmen. Der These von Wellhausen, dass die Zwölf nicht in die Geschichte Jesu gehören, dass es sich vielmehr um „die Repräsentanten der 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 311 ältesten Gemeinde“ handele, widersprechen Jeremias (1971:224) und andere.1 Jeremias geht von einer Ur-Instruktion aus, die allen vier Aussendungsreden zugrunde liegt. Sie steht in Mk 6,8-11; Lk 10,4-11, Mt 10,9-14. Nach Mk 6,7 und Lk 10,1 sendet Jesus seine Jünger „je zwei und zwei“. In Prediger 4,9 lesen wir „So ist's ja besser zu zweien als allein.“ Gemäß Deut 19,15 hat man im israelischen Rechtswesen festgelegt, dass „durch zweier oder dreier Zeugen Mund“ eine Sache gültig sein soll. Die Aufgabe der Gesendeten ist, „zu predigen und dass sie V o l l m a c h t hätten, die bösen Geister auszutreiben“ (Mk 3,14-15). „Sie sollen den Anbruch der Heilszeit ankündigen und sie sollen den Einbruch in das Reich Satans durch Austreibung der Dämonen vollziehen. Das heißt, sie haben dieselbe Verkündigung auszurichten wie Jesus selber, und sie haben sie auf dieselbe Weise auszurichten wie er: in Wort und Tat. Beides gehört auch bei ihnen zusammen. Das Wort allein ist leerer Schall, die Tat allein kann Teufelswerk sein. Erst in Wort und Tat zusammen manifestiert sich die Königsherrschaft“ (Jeremias 1971:227). In den Sendungsreden, hier besonders in Mt 9,36-11,1, finden sich Motive, die ohne ihren missiologischen Kontext, als individualistische - seelsorgliche Anweisungen erscheinen, die sich als Themen für eine ethische Vortragsreihe trefflich eigen: Macht Kranke gesund; häuft keinen Besitz an; übt den Friedensgruß; seid klug und ohne Falsch; vom Umgang mit bösen Menschen; die öffentliche Predigt; die rechte Gottesfurcht; Bekennermut, Familienstreit um des Glaubens willen usw.. – Dadurch jedoch, dass sie im Kontext, d. h. unter dem Vorzeichen der Sendung stehen, bekommen sie eine völlig andere Bedeutung. Sie sind keine Lebenshilfen für christliche Privatleute. Sie sind Weisungen für eine verschworene Missionsgemeinschaft, die in feindliches Gebiet vorstößt und einen Sieg auszurufen hat. Sie gewinnen ihre höchst verbindliche Bedeutung als Teile einer Sendungsrede, sind um der zu verkündigenden Botschaft willen unbedingt zu beachten. Die Vollmacht, die die Boten erhalten, entspricht der Größe ihres Auftrags. Dazu gehört, dass die bösen Mächte weichen müssen. Am Sieg Christi über den Satan haben seine Boten teil: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes 1 Listen derer, die für die Geschichtlichkeit der Jüngeraussendung eintreten, finden sich bei Riesner (1981: 453), Wenzelmann (1994:98) und Wilkens (2002:310). 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 312 austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Mt 12,28). Diese Vollmacht wird nun auch den Jüngern gegeben. Sie haben Macht über Dämonen und Krankheiten. Auf diese Weise setzt sich das Reich Gottes gegen das Reich des Satans durch. Da sind Krankenheilungen nicht als Reparaturen an einer Art von Maschinenschaden (Hanssen 1999: 49) am vergänglichen Äon zu verstehen, sondern als zeichenhafte Gegenwart des „neuen Äons“. Das bedeutet nicht, dass jeder Christ in der Lage sein muss, Kranke zu heilen. Dennoch ist so viel gesagt „dass Krankenheilung zu den unaufgebbaren Aufgaben und auch Begabungen der christlichen Kirche gehört, so dass eine Kirche, die die Krankenheilung in ihrer Mitte nicht kennt, selbst krank ist“ (:50). Auch ist es ein Unterschied, ob Christen allgemein zur Klugheit aufgefordert werden oder ob angesichts eines Kampfgeschehens dazu gerufen wird, klug zu sein. Alle Konkretionen gewinnen durch die Tatsache, dass hier Jünger wie Schafe unter Wölfen gesandt sind, mit einer Botschaft in der es um ewiges Leben oder ewiges Verderben geht, ihre besondere Dramatik. Wir haben längst erkannt, dass die Texte des NT als Sendungsrede zu verstehen sind, steht die Gemeinde doch unter dem Vorzeichen der Sendung. Da kann christli- che Homiletik auch nicht mehr die Lehre von der Verkündigung an eine Gemeinde im Ghetto sein. Sie ist vielmehr Lehre von der Verkündigung als Sendungsrede, als Kampfhandlung (3.1.1.) und Zurüstung zum missionarischen Dienst an die sendungsorientierte Gemeinde. Sendet Jesus seine Boten wie Schafe unter die Wölfe, schickt er sie in einen Kampf mit menschlichen Gegnern und überirdischen Mächten, in dem die Gewissheit wichtig ist, vom Herrn gerufen, gesendet und begabt zu sein. D a z u hat er geboten, wie sie sich verhalten sollen. Sie sollen „nichts mit auf den Weg nehmen“ z. B. keinen Stab (Lk 9,3). „Jesu Verbot macht sie als Boten der Gottesherrschaft wehrlos“ (Wilkens 2000:311). So sollen sich nicht belasten mit Brot, Geld, Mantel oder einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit. Es mag das „Sorget nicht“ des Bergpredigers dahinter stehen (Mt 6,31-32). Sie sollen unterwegs niemanden grüßen (Lk 10,4). „Jeder Gruß im Orient ist mit einem theatralischen Redeschwall verbunden. Die Gottesherrschaft verbietet jeden Zeitverlust“ (:312). Schlatter meint, dass Jesus den zeremoniellen Gruß verwirft, weil er, wie bei 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 313 flüchtigen Begegnungen üblich, zum nichtigen Geschwätz führt. „Die Segensworte, die die Jünger sprechen, sollen ihnen als eine ernste Sache gelten, worüber Gottes Verheißung steht“ (Schlatter 19542:220). Im Kontext der Sendung bekommt e¸rÐnj einen deutlich anderen Inhalt, „insofern e¸rÐnj nicht nur das Wohlbefinden, sondern das eschatologische Heilsein des ganzen Menschen umschließt“ (Grundmann 19695:209). Unmittelbar nach dem Verbot des gebräuchlichen Grüßens heißt es: „Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst: Friede sei diesem Hause!“ (Lk 10,5). Jesus misst dem ~Alïv' offensichtlich eine neue Bedeutung zu: „Der zugesprochene Friede ist Heilsansage, Heilsanbruch. Er wirkt wie eine Heilskraft, die bei dem Aufnahmewilligen bleibt und im Falle der Ablehnung auf den Jünger zurückkommt (V 6)“ (Wenzelmann 1994:100). Die Tatsache, dass das Evangelium die kommende Gottesherrschaft verkündigt, macht deutlich, dass die Menschheitsfragen nicht auf innerweltliche Weise zu lösen sind, dass aber die Hilfe Gottes da ist für alle, die sich sein Handeln gefallen lassen. Dieses Motiv wird in Lk 10,17-20 betont. Zweiundsiebzig ausgesandte Jünger kommen voll Freude zurück, weil Ihnen die bösen Geister in Jesu Namen untertan waren. Jesus sagt daraufhin: „Darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Jesus will, dass die Freude der Jünger in einem lebendigen Rechtfertigungsglauben gründet. Die Freude über eine Heilung oder eine Dämonenaustreibung ist so vergänglich, wie die Heilung selbst. Die Freude darüber, dass sich ihr Glaube als nützlich und erfolgreich in menschlichen Daseinsschwierigkeiten erweist, ist nicht das Ziel seiner Sendung. „Gottesglaube im Dienst des Menschen, das ist die große Perversion des Glaubens. Sie wird durch unser Schriftwort abgelehnt. Der Gottesglaube soll dem Zugriff menschlichen Nützlichkeitsdenkens entzogen werden. An dieser Stelle hat das Wort heute nichts an Aktualität eingebüßt; denn wer wollte bestreiten, dass die Freude über soziale oder medizinische Erfolge in der christlichen Kirche oft größer ist als über die Rechtfertigung des Sünders, die man kaum noch zu verkündigen wagt“ (Hanssen 1999:63). Hanssen sieht in dieser Wanderpredigerexistenz eine „Verwirklichung einer außerweltlichen, eschatologischen Existenz, die sich nicht aus Reisenotwendigkeiten, sondern aus dem Inhalt des eschatologischen Evangeliums ergibt, dass die Ankunft 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 314 des außergewöhnlichen Gottes ankündigt“ (:54). Ist der Botendienst eschatologisches Geschehen, so ist er Vorwegnahme des Dienstes der Engel, nach Offb 14,6-7: „Und ich sah einen andern Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, allen Nationen und Stämmen und Sprachen und Völkern. Und er sprach mit großer Stimme: Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen! Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserquellen!“ Von denen, die im Verlaufe der Sendung der Boten und deren Verkündigung der Stimme des guten Hirten folgen, heißt es in Joh 17,16, dass sie nicht von dieser Welt sind. Hier ist nicht auf eine besondere Heiligkeit der sich sammelnden Herde verwiesen, sie ist nicht himmlisch. Das Nicht-von-dieser-Welt-sein gilt im Blick auf das an sie ergehenden Wort: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben.“ (V 14). Unter dem Wort, in der Nachfolge Jesu, hört die Gemeinde auf, Welt wie alle Welt zu sein und doch gilt ihre Mission ganz und gar der Welt: „Fragen wir, wohin solcher Weg und diese Nachfolge führen, wird sehr merkwürdig geantwortet. Joh 17,15 sagt: ‚Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst’, 17,18 fährt fort: ‚Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe ich sie in die Welt gesandt.’ Der Platz und die Aufgabe der Kirche ist also die Welt. Anders als in dieser Sendung kann sie nicht sein, was sie sein soll“ (Käsemann ([1960] 1970:284). Die Sendung durch den A u f e r s t a n d e n e n (Mt 28,16-20) geht in der vorliegenden Form wohl auf Matthäus zurück, wobei – wie Wilkens zeigt (2003:154- 155) - das Auftragswort des Auferstandenen (V.18b-20a) aus judenchristlicher Tradition übernommen ist. Der Bericht von der Sendung ist eingebettet in die Ostergeschichte. Hier atmet alles noch die Dramatik des Wunders. Wir lesen vom Glanz des Engels, der den Stein vom Grabe rollt, begleitet von der Todesangst der Wachen. Wir sehen die Frauen, „sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen“ (V. 8). Furcht und Freude zugleich befällt die Erschütterten. „Alle Erzählungen über die Vorgänge in den Ostertagen heben hervor, dass die Botschaft, Jesus sei auferstanden, die Jünger bedrückte. Der Gedanke wird ausdrücklich abgelehnt, dass sie sich mit starker Hoffnung und Jubel rasch der 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 315 Botschaft, er sei auferstanden ergeben. Das Ungeheure des Wunders macht es schwer, von der Auferstehung zu reden“ (Schlatter 1957:794-795). Der Auferstandene erscheint den Frauen. Sie „umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder“. Der Griff nach Jesu Füßen gibt die Gewissheit der körperlichen Wirklichkeit, der Gedanke an eine Erscheinung wird abgewehrt (Schlatter aaO). Dann der Bericht von dem Verbreiten des Gerüchts durch die Ältesten, der Leichnam Jesu sei von den Jüngern gestohlen worden. Unglaube, Ablehnung und Feindschaft begleitet die Geschichte des Christus von Anfang an bis zuletzt. Die Perikope des Sendungsbefehls beginnt mit der Erscheinung des Auferstandenen. Diese führt in die Anbetung: ka± ¸dçntev aÇtèn prosekÀekÀnjsan (V 17). Wahre Anbetung präpar ier t zur Sendung, macht sendungsbere i t und dami t potent ie l l und aktue l l sendungsfähig . Die sendungsorientierte Gemeinde erwächst nicht aus der appellativen Rede, sondern aus einer Verkündigung, die den Auferstandenen vergegenwärtigend in die Anbetung führt. Nicht von der veranstalteten, aber von der wirklichen Anbetung zur Sendung ist es nur e i n Schritt. Anbetung ohne Sendung dagegen nimmt den Charakter von Geplärr von Liedern an, das Jahwe nicht hören mag (Amos 5,23). Sendung ohne Anbetung wiederum wird zur gesetzlichen Veranstaltung ohne Vollmacht, der bald Kraft und Atem ausgehen, mag man vor Eifer und Ehrgeiz noch so brennen. Sendungsorientierte Gemeinde wächst aus dem Wort, aus der Begegnung mit dem Auferstandenen. Die einen fallen nieder; „einige aber zweifelten“ (V. 17). Dass Jünger Jesu zweifeln, war zur Zeit des irdischen Jesus nicht selten und wiederholt sich nun gegenüber dem Auferstandenen. „Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ (V.18). Vollmacht war ihm in seinen Erdentagen schon gegeben, Vollmacht in seinem Wort, in seinen Zeichen, in Vergebung der Sünden, im Heilandsruf, über die Gewalt der Dämonen (Mt 7,28-29; 9,6, 11,28; Mk 1,22.27). „Jetzt aber, in der Auferstehung, ist Jesus eingesetzt in die Macht und Herrschaft des Menschensohnes“ (Schniewind 1956:279). Der Auferstandene, das ist hier herausgestellt, ist der Menschensohn von Dan 7: 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 316 „… es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, daß ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende“ (Dan 7,13-14). Die Herrschaft des Menschensohns umschließt alle Völker. Seine Herrschaft währt ewig. „Mit stärkster Energie spricht Mat. aus, dass das Ziel des Verkehrs Jesu mit den Jüngern die Erneuerung ihrer Sendung ist“ (Schlatter 1957:797). HEdçqj moi p‚sa xous°a. Hier ist ein für allemal die Frage nach Jesus Christus beantwortet: Er ist der, dem alle Vollmacht gegeben ist. Er ist der Wirkende. Er hat Macht über das, was auf Erden geschieht, weil er sie im Himmel hat. Der Sendungsauftrag weitet sich aus auf die Menschheit. Alle Völker sollen zu Jüngern gemacht werden. Zum Jünger wird ein Mensch dadurch, dass er durch Wort und Geist zum Glauben an Christus findet, dass er die Taufe als Zeichen der Vergebung seiner Sünde empfängt und gelehrt wird, alles zu halten, was Jesus befohlen hat. So erweist sich erneut: Der „Taufbefehl“ ist Befehl zur evangelistischen Verkündigung. „Die Tätigkeit der Apostel besteht aber nicht nur in der zur Umkehr berufenden Predigt, die in der Taufe ihr Ziel erreicht, sondern weiter in der bleibenden Leitung der Gemeinde. Aus dem bptisma, zu dem das eÇaggel°zesqai führt, entsteht die Gemeinschaft der Getauften mit den Aposteln und in dieser hat das didskein seine Stelle, das die Getauften über das von Jesus Gebotene unterweist“ (Schlatter 1957:799). Gehorsam gegenüber dem Wort ist das Wesensmerkmal der Gemeinde und aller, die sich zu ihr rufen lassen. Zum Gehorsam aber führt die Lehre: Lehret sie h a l t e n , alles, was ich euch befohlen habe. Lehre in der Gemeinde ist gekennzeichnet von Verbindlichkeit. Sie greift ein in das Leben aller, weil Christus der Herr ist. Die Taufe soll im „Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“ vollzogen werden. Hier ist nicht eine Formel gemeint, kein neues Dogma (Schniewind 1956:280). Es sprach schon das AT vom Geist Gottes als der Gegenwart Gottes selbst und vom Messias Menschensohn. Hier erweist sich einmal mehr das NT als Erfüllung des AT. Von den ersten Anfängen der Christengemeinde ist das Bekenntnis zu Vater, Sohn und Geist lebendig (2. Kor 13,13; Eph 4,4-6; 1. Petr 1,2). 2.3.3. Die Verkündigung Jesu: 3. Senden 317 „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“( 20). Im Kontext der Sendung empfängt die Gemeinde die Verheißung seiner Gegenwart. Einer Gemeinde, die sich der Sendung verweigert, entzieht sich der Geist und damit die Gegenwart Christi. 2.3.4. Heiliger Geist und Verkündigung 318 2.3.4. Heiliger Geist und Verkündigung „Es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen“ (Apg 2,1-4). Das Feuer ist angezündet. Der, von dem der Täufer sprach, dass er kommen und mit Geist und Feuer taufen werde (Mt 3,11), der, der selber sagte „Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber, als daß es schon brennte!“ (Lk 12,49) - er hat sein Werk getan. „Jetzt ist es angezündet. Seit Pfingsten brennt es auf der Erde“ (Lüthi 1958:33). Der gewaltige Wind, der Heilige Geist „setzte sich auf einen jeden von ihnen“. Es erschienen ihnen Zungen, wie vom Feuer. „So sind sie zur Kirche geworden. Der erste Tag der Kirche Christi bricht hier an“ (aaO). Jeder Einzelne ist in seiner Besonderheit ernstgenommen. Und zugleich werden sie eins, werden eine Gemeinde, werden die eine Kirche Jesu Christi auf Erden. „Und nun, was tut diese Kirche?“ fragt Lüthi (:33). „Bis jetzt sind sie gesessen, haben gewartet wir wissen nicht wie manche Stunde.“ Was tun die Menschen, wenn der Heilige Geist auf sie kommt. Sie sitzen sie nicht mehr und warten. „Sie fingen an“ heißt es. Da ist man gespannt darauf, was es denn wohl sein mag, w a s sie anfingen. Eindrücklich wird es von Lukas beschrieben: Sie „fingen an - z u p r e d i g e n ! “ Das ist es, was denen widerfährt, die der Heilige Geist erfüllt. Darum die Feuerzungen! Der Geist drängt zur Predigt. Sie können es nicht für sich behalten. Sie verkündigen die Wohltaten dessen, der sie „berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht (1. Petr 2,9). Christus zu verkündigen ist allem Tun der Kirche vorgeordnet: Sie, die den Heiligen Geist hat, hat zu predigen. Sie hat nicht zu predigen, was ihr beliebt, nicht, was Menschengeist oder Zeitgeist ihr eingeben. Ausdrücklich heißt es: „wie der Geist ihnen gab auszusprechen“. Hier wirken sie beide zusammen, der Geist und die vom Geist Erfüllten. Das ist das Zusammenspiel, die erwähnte „Theonome Reziprozität“. Und w a s predigen sie? Wie gab es ihnen der Geist auszusprechen? „Wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden“ (Apg 2,11). Daran wird die geisterfüllte Predigt erkannt, sie hat die großen Gottestaten zum Inhalt und zielt auf alle Menschen, damit sie ihrerseits den Geist empfangen, umkehren (Apg 2,38), um selber Zeugen der Gnade zu werden. 2.3.4. Heiliger Geist und Verkündigung 319 Was bedeutet es für die Kirche und ihre Verkündigung, dass Gott von seinem Geist ausgegossen hat „über alles Fleisch“ (Apg 2,17)? Hat alles Fleisch nun den Heiligen Geist als festen Besitz? Das kann nicht gemeint sein, stellt doch die Pfingstpredigt von den großen Gottestaten die anwesenden Hörer ins Gericht: „An jenem Pfingstmorgen ereignet sich im Tempel von Jerusalem ein Stück jüngstes Gericht. Der Heilige Geist bewirkt unter den im Tempel Anwesenden Scheidung und Entscheidung. Es gibt jetzt hier solche, die den Heiligen Geist empfangen, und welche, die ihn nicht empfangen. Während die einen mit lauter Stimme Gottes Taten preisen und während viele diesen Lobpreis in ihrer Sprache hören, sich entsetzen und fragen, was das wohl werden wolle (12), das Wort gern annahmen und sich schließlich taufen ließen (41) – gibt es andere, die vom gewaltigen Brausen, von den Zungen zerteilt wie vom Feuer und vom Heiligen Geist selber rein nichts gemerkt haben“ (Lüthi 1958:40). Gott ist es, der zur Gemeinde hinzutut (Apg 2,47). Gott ist es, der die Herzen auftut (Apg 16,14). Dabei aber bedient er sich der predigenden Gemeinde als Werkzeug. Wenn vielen von denen extra muros ecclesiae das Evangelium verkündigt wird, dann werden auch viele von ihnen gerettet und hinzugetan. Wenn die Gemeinde sich dazu aber nicht aufmacht, wie sollen die Menschen dann selig werden? Nicht nur für Israel gilt, was Paulus sagt: „Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?“ (Röm10,14). Wer den Heiligen Geist hat, wird in irgendeiner Weise wenn nicht ein Prediger, so doch ein Zeuge, eine Zeugin der Gnade Gottes. Oft ist die am Bett ihres Kindes betende Mutter die erste Priesterin und Predigerin im Leben des kleinen Erdenbürgers. Sie ist es kraft des Heiligen Geistes. „Ich brauche zum Predigen vor allem den Heiligen Geist.“ Der Satz aus Bohrens Predigtlehre (1971:66) ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Er sagt, dass vor allem anderen der Geist am Zustandekommen der Predigt beteiligt ist. Er handelt in Gemeinschaft und zugleich in Freiheit von denen, die predigen. Diese dagegen sind auf ihn angewiesen, sie verfügen nicht über den Geist, weder naturhaft, noch durch den Glauben, noch durch besondere Segnungen, sei es die Ordination oder die in charismatischen Kreisen reklamierte Geistestaufe. „Wir können über den Geist in uns nicht verfügen“ (Berkhof 19882:109). Das gilt trotz der Tatsache, dass der Geist durch den Glauben in uns wohnt (Röm 8,9. 11; 1.Kor 3,16; 2.Tim 1,14). Alle 2.3.4. Heiliger Geist und Verkündigung 320 Predigtbemühungen gehen ins Leere, wenn der Geist sie nicht begleitet und bestätigt. Damit ist festgehalten, dass der Geist nicht ein Geist der bloßen Innerlichkeit ist, wie ihn die lutherische und reformierte Tradition zunehmend verstand (Bohren 1971:67- 68). So sehr der Geist auch in den Christen wohnt, so sehr er sie führt und in alle Wahrheit leitet (Joh 16,13), so sehr er im Inneren der Gläubigen sein Werk hat, stärkt, tröstet, lehrt und erinnert (Joh 14,26), so ist er zugleich der, der die Gemeinde sendet. Die Bewegung des Geistes geht wie Feuer von innen nach außen, von den Einzelnen zu den Vielen, vom Herzensinnern führt er in die Gemeinschaft der Heiligen, von der Gemeinschaft führt er in die Welt, hin zu allem Fleisch, wo der Geist bereits wirkt. Der Geist will die Gemeinde vor allem dort haben, wohin die Bewegung Gottes geht, zu denen draußen, zu allen Völkern, zur Welt, zu allem Fleisch. kceò ‡pè to pneÀmatçv mou p± p‚san srka. Haenchen (1968:142) sieht hier angedeutet „dass die Fülle des Geistes bei Gott bleibt und der Mensch nur daran Anteil bekommt. p‚san srka meint im Urtext nicht den Menschen überhaupt … damit würde die entscheidende Wende der Korneliusgeschichte (10,44; 11,18) vorweggenommen.“ Gerade aber die Korneliusgeschichte zeigt, wie der Heilige Geist unter den Heiden wirksam ist. Christus entäußerte sich selbst, der Geist wird ausgegossen. Da kann das Wirken des Geistes nicht auf die Kirche eingegrenzt werden. Wir können aus den Entäußerungen Gottes keine bloßen Verinnerlichungen ableiten. Das Innerliche hat seine hohe Bedeutung. Der Schreiber des Epheserbriefes geht auf die Knie und betet, die Gemeinde möge stark werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen (3,16). Dennoch ist der Geist kein Geist der bloßen Innerlichkeit. Der Geist sendet die Gemeinde des Priestertums aller Gläubigen, „allem Fleisch“ den Auferstandenen zu verkündigen. So ist es auch der Geist, auf den die Gemeinde vor der Ausübung des Sendungsauftrags warten musste. Sie musste warten, bis sie die Kraft aus der Höhe empfing (Lk 24,49; Apg.1,8). Was aber – so fragten wir oben (1.2.5.) - wenn alles Fleisch schon etwas vom Geist hat, aber nicht das Wort, weil die Kirche des Wortes es für unnötig erachtet, Mittel und Wege zu finden, es allen kund zu tun? Dann ist das Salz der Erde salzlos geworden und wird zertreten (Mt 5,13). Gott ist zwar in der Lage, aus Steinen Abrahams Kinder zu erwecken (Mt 3,9; Lk 3,8), dennoch ist es seine Verheißung 2.3.4. Heiliger Geist und Verkündigung 321 und sein Wille, dass der Geist das Wort lebendig macht, dass die Jünger in der Welt verkündigen (Mt 10,20; 1. Kor 2,4). „Da sprach Jesus ... zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!“ (Joh 20,21-22). Der Geist, der ein Geist der Sendung ist, ist der Gemeinde für die Sendung gegeben, ebenso sind es die Gaben des Geistes. Die Welt ist der Raum des ausgegossen Geistes, in die einzutreten die charismatische Gemeinde berufen ist, damit sie das Wort verkündige – allem Fleisch. In einer Kirche in den USA sah ich nach dem Gottesdienst über der Ausgangstür den Schriftzug: „Sie betreten jetzt das Missionsfeld“. Dieser Satz ist unter einer doppelten Voraussetzung zu akzeptieren. Zum einen: Die Gemeinde muss wissen, dass sie für den Geist der Wahrheit ebenfalls Missionsfeld ist. Sie hat zwar den Geist, ist aber noch nicht in alle Wahrheit geleitet (Joh 16,13). Zum anderen: Die Gemeinde darf wissen, dass der Geist nicht nur ihr gegeben ist, sondern auch in den Korneliusmenschen jenseits ihrer Ausgangstür wirkt (Apg 10). Sie tritt nicht in ein Niemandsland. Wohin auch immer: Sie kommt in ein vom Geist präpariertes Missionsfeld, wo der Geist seit Pfingsten schon wirkt. Dabei fallen religiöser Zeitgeist und Heiliger Geist nicht zusammen. Die Gemeinde braucht die Gabe der Unterscheidung der Geister (Körtner 2002:37-38). Das Fleisch weiß von sich aus nichts über den Geist. Wird es von ihm berührt, setzt es sich gegen ihn zur Wehr, was die Gemeinde aus eigener Erfahrung kennt (Gal 5,17). Dennoch: Der Geist ist ausgegossen. Er wirkt in souveräner Weise auch in der Welt, hat dort seine Wirkungsgeschichte (Berkhof (19882:115-120). Diese Tatsache bedeutet für die Gemeinde Kampf und verheißt ihr zugleich, dass ihre Verkündigung des Wortes - durch den Geist lebendig gemacht – Menschen zum rettenden Glauben führt (Röm 1,16). Ohne den Geist hat die Gemeinde mit ihrer Botschaft und der Glaube an Christus in dieser Welt keine Chance. Die Ausbreitung der Botschaft vom hässlichen Gekreuzigten, durch eine Gemeinde der Schwachen, in einer Welt, die Schönheit, Stärke und Mündigkeit erstrebt, ist nur durch ein verborgenes Wirken, durch die Kraft des Heiligen Geistes zu erklären. Wi wir ob sahen, ist die G meinde auf den Geist angewiesen. Er, der das Wort lebendig macht zur Rettung aller, die daran glauben (Röm 1,16), begibt sich - was die Verkündigung des Wortes betrifft - im Sinne einer t h e o n o m e n 2.3.4. Heiliger Geist und Verkündigung 322 I n t e r d e p e n d e n z seinerseits in eine relative Abhängigkeit von der Gemeinde. Sie hat das Wort, das die Welt nicht kennt. In seiner Selbstentäußerung wartet der Geist darauf, dass die Gemeinde es dort, wo der Geist, schon wirkt, zur Sprache bringt (2.Petr 1,21). Das ist die doppelte Kondeszendenz des Geistes: Er mischt sich unter alles Fleisch in der Erwartung, dass die geisterfüllte Gemeinde das Wort nun auch jenseits ihrer Ausgangstür „allem Fleisch“ verkündigt. „Das Neue Testament bezeugt uns einmütig, dass der Heilige Geist bei denen und an denen und durch die schöpferisch wirkt, die sich senden lassen. Aber nun geht durch unsere Gemeinden eine hoffnungslose Klage, dass wir den Heiligen Geist nicht so hätten wie die Urgemeinde, und dabei bleibt man sitzen in Klage, Selbstbeschauung und Selbstmitleid. Wird aber der Heilige Geist denen geschenkt, die unterwegs sind, können wir nicht auf irgendwelche pfingstliche Ereignisse warten, ehe wir uns in Bewegung setzen ... Und das heißt, unsere Gemeinde muss etwas tun, Schritte und Schrittlein zu der Welt hin, in der sie lebt. Sie kann diese Schritte und Schrittlein aber nicht tun, solange sie in sich selber uneins bleibt“ (Bohren 1963:191). Was ist von einer Gemeinde zu halten, die womöglich den Geist als ihren Beistand (parkljtov) gerade noch hinter Kirchenmauern liturgisch besungen hat, aber jenseits dieser Mauern, in der sie seines Beistandes besonders bedarf und in dem der Geist darauf drängt, sich durch das Wort zu bezeugen, verstummt? Kann sie den Geist der Sendung als Beistand für sich reklamieren und seine Gegenwart erfahren, wenn sie sich nicht senden lässt? Man mag einwenden, dass Jesus der Gemeinde seine Gegenwart grundsätzlich zugesagt habe (Mt 28,20). Dabei wird übersehen: Das Wort des Auferstandenen „Ich bin bei euch alle Tage“ ergeht an die Jünger im Kontext des Missionsbefehls. Der missionierenden Gemeinde verheißt er seine Gegenwart. Der introvertierten, ihre Gaben vergrabenden dagegen, gilt das Gerichtswort (Mt 25,14-30; (Lk 19,12-27), nicht die Verheißung. Wie steht es mit der Zusage Jesu in Mt 18,20, wonach er unter zweien oder dreien, die in seinem Namen zusammenkommen, gegenwärtig ist? „Zwei oder drei“ ist im AT terminus technicus für Zeugenschaft: „Durch zweier oder dreier Zeugen Mund soll eine Sache gültig sein“ (5. Mose 19,15; Mt 18,16). Der Jesusname, in dem sie zusammen sind, bedeutet überdies „Gott rettet“ (Mt 1,21). Wo 2.3.5. Apostolische Verkündigung – eine Tautologie 309 zwei oder drei Zeugen i m N a m e n d e r G o t t e s r e t t u n g zusammen sind, ist der Kirche Jesu Gegenwart verheißen, die seit Pfingsten seine Gegenwart im Hl Geist ist. Dass der Geist zu betrüben ist, steht darum auch im Zusammenhang mit dem Wort, das die Gemeinde verkündigt: „Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören. Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung“ (Eph 4,29-30). Was ist, wenn die Gemeinde im Raum der Sendung verstummt? Ist der Geist dann wirkungslos? „Als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Und einige Pharisäer in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien“ (Lk 19,37-40). 2.3.5. Apostolische Verkündigung – eine Tautologie Der Hinweis, dass apostolische Verkündigung im Zeichen der Sendung steht, ist tautologisch. Was Apostel sagen und tun, steht unter dem Vorzeichen der Sendung, sonst wären sie keine Apostel. So dreht sich bei ihnen auch alles um die Predigt der frohen Botschaft und die mitfolgenden Zeichen (Mk 16,20). Die Voraussetzung ihrer Verkündigung ist das Kommen Jesu selbst, seine Verkündigung als „Messias des Wortes“ und „Messias der Tat“ (Schniewind 19568:37-124). Dazu kommt, dass Jesus sie persönlich berufen hat, sie mit Vollmacht begabt, sie gesandt und ihnen gebieterisch wie parakletisch Anweisung für ihr Wirken gegeben hat (Mt 10 par). Zunächst gilt ihre Sendung nur dem Volk Israel. Im Befehl des Auferstandenen (Mt 28) wird sie erweitert und gilt nun, entsprechend der Abrahamverheißung, allen Völkern. Der Sendung der Jünger durch Jesus kommt eine Bedeutung zu, die heilsgeschichtlichen Rang besitzt. Unbegreiflich ist also, dass es bei uns zur Preisgabe der Sendung durch die Gemeinde kommen konnte. Ohne die Sendung der Boten fiele die Verheißung, die Gott dem Abraham gab, dahin. Ebenso ist es nahezu unbegreiflich, dass Jesus das Weiterwirken seiner Erlösungstat für die Welt in die Hände der Apostel legt und von ihrem Gehorsam anhängig macht. Paulus stellt im Römerbrief solche Erwägungen an: „Wie sollen sie aber predigen, 2.3.5. Apostolische Verkündigung – eine Tautologie 310 wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): ‚Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen (eÇaggelizom™nwn [t] ‡ga- q )!’“ (Röm 10,15). Das Wort aus Jes 52,7 wird hier auf die Boten des Evangeliums angewandt. Wie wir sahen zogen nach Lk 9,1-6 die zwölf Jünger schon zu Jesu Lebzeiten evangelisierend und heilend umher: „Er rief aber die Zwölf zusammen und gab ihnen Gewalt und Macht über alle bösen Geister, und dass sie Krankheiten heilen konnten, und sandte sie aus, zu predigen das Reich Gottes und die Kranken zu heilen.“ eÇaggel°zomai als Synonym für kjrÀssein, ist verbunden mit didskein (Apg 5,42; 15,35), lale²n (Apg 8,25; 11,19.), diamartÀresqai (Apg 8,25), maqjteÀein (Apg 14,21), ‡gg™llein (1. Pt 1,12), katagg™llein (Apg 16,17). eÇaggel°zesqai steht nicht allein für Reden und Predigen. Es ist Verkündigung in Kraft, Vollmacht, in Zeichen und Wundern. Das Wort ist wirkungskräftig (Mt 4,23; 9,35; 11,5; Lk 9,6; Apg 8,4-8; 10,36; 14,8-18; 16,17ff; Röm 15,16-20; 2. Kor 12,12; Gal 3,5). Die evangelisierende Tätigkeit der Apostel setzt sich nach Pfingsten fort: „Sie hörten nicht auf, alle Tage im Tempel und hier und dort in den Häusern zu lehren und zu predigen ( didskontev ka± eÇaggelizçmenoi) das Evangelium von Jesus Christus“ (Apg 5,42). Dabei konnte die Verfolgung der Christen die Verbreitung des Evangeliums nicht hindern, im Gegenteil: „Es erhob sich aber an diesem Tag eine große Verfolgung über die Gemeinde in Jerusalem; da zerstreuten sich alle in die Länder Judäa und Samarien, außer den Aposteln. ... Die nun zerstreut worden waren, zogen umher und predigten das Wort (eÇaggelizçmenoi tèn lçgon)“ (Apg 8,1.4). Der Hinweis, dass es sich bei denen, die in der Diaspora evangelisierten, nicht um die Apostel selber handelte, kann zum e i n e n als Indiz für ihre durch die Ausgießung des Heiligen Geistes gewonnene parrjs°a gelten (Apg 4,31). Sie evangelisierten in der Zeit ihrer Verfolgung mit Freimut. Der Hinweis zeigt zum a n d e r e n , wie sehr die Gemeinde im Worte Gottes lebte, vom Evangelium erfüllt u n d befähigt, es den Volksgenossen zu verkündigen. Besondere Erwähnung, als Evangelist tätig gewesen zu sein, findet Philippus (Apg 8,12.35.40), der einst zu den Diakonen gezählt worden war, die bei der Versorgung der Witwen „zu Tische dienten“ (Ag 6,1-7). Jetzt aber heißt es von ihm: eÇjggel°zeto tv pçleiv psas (V 2.3.5. Apostolische Verkündigung – eine Tautologie 311 40). Er war ein apostolischer Diakon, Diakonat unter dem Vorzeichen der Sendung. Ergeht die Botschaft zunächst an die „Allernächsten“, an die Juden, kommen bald auch die Griechen in den Blick: “Es waren aber einige unter ihnen, Männer aus Zypern und Kyrene, die kamen nach Antiochia und redeten auch zu den Griechen und predigten das Evangelium vom Herrn Jesus“ (Ag 6,20). Der Apostel Paulus wird zum Evangelisten für die Heiden (Ag. 14,7. 15. 21; 16,10; 17,18; Röm 15,20; 1. Kor 15,1.2; 2. Kor 10,16; 11,7; Gl 1,8. 11; 4,13). Er bezeugt selbst, dass er sich berufen weiß, den Heiden das Evangelium zu bringen: „Als es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen hat, dass er seinen Sohn offenbarte in mir, damit ich ihn durchs Evangelium verkündigen sollte unter den Heiden, da besprach ich mich nicht erst mit Fleisch und Blut ...“ (Gal 1,15f.). „Wie bezeichnet Paulus das Wort, mit dem er das Christusgeschehen missionarisch und pastoral vertritt?“ fragt Goppelt ([1976]1985:437). Das Charakteristische des Paulus tritt zutage, wenn wir seine Begrifflichkeit mit der der Apg vergleichen. Das Wirken des Paulus und der übrigen Missionare kennzeichnet die Apg ziemlich gleich häufig mit eÇaggel°zomai (Apg 13,32; 14,15.21; 15,35; 16,10), didskein (18,11; 20,20; 21,28; 28,31), marture²n (13,22; 14,3; 23,11), kjrÀssein (19,13; 20,25; 28,31) und parakale²n (11,23; 20,2). Bei Paulus tritt dagegen eÇaggel°zomai mit etwa 20 Stellen signifikant in den Vordergrund. Noch öfter findet sich das Substantiv eÇagg™lion (57mal). In der Apg begegnet es nur zweimal und im übrigen NT 15mal. An zweiter Stelle folgt bei Paulus kjrÀssein (15mal). Im Vergleich zur Apg treten didskein und marture²n auffällig zurück. Dagegen sind parakale²n (44mal) und das Substantiv parkljsiv sehr häufig anzutreffen (22mal, 12 davon im 2. Kor). parakale²n wird ergänzt mit nouqete²n (6mal, sonst noch 1mal). Wenn es zulässig ist, aus der Statistik der Verkündigungsterminologie Schlüsse zu ziehen, müssen wir sagen, dass sich Paulus als Herold, als Evangelist, der eine gute Botschaft zu vermelden hat, versteht. Zugleich ist er Seelsorger, der die Gemeinde Jesu, ihr Zuspruch erteilend, persönlich anredet. eÇaggel°zomai ist Missionsterminus. Schniewind hat erkannt: 2.3.5. Apostolische Verkündigung – eine Tautologie 312 „Die Vokabel Evangelium hat bei Paulus in erster Linie die Bedeutung: die Evangelisation, d. h. die Verkündigung, Ausrichtung der guten Botschaft. Erst in zweiter Linie steht die Bedeutung ...: der Inhalt der Verkündigung … Zum Evangelisieren hat ihn Christus gesandt, wie ein ‚Muss’ steht das Evangelium hinter ihm. ‚Wehe mir, wenn ich es nicht ausrichte!’ ‚Ein Schuldner bin ich den Griechen und den Barbaren … In der Sendung des Evangeliums vollendet sich Gottes Tat“ (Kraus [Schniewind] 1965:81). Paulus evangelisiert, damit sich Menschen bekehren (pistr™fein) von den falschen Göttern zum lebendigen Gott (Apg 14,15). Er wendet sich dabei nicht allein an Nichtchristen, sondern auch an Christen. So schreibt der Apostel an die Gemeinde in Rom: „Darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen (eÇaggel°sasqai) (1,15). „Paulus macht keinen Unterschied. Gott spricht selbst bei der Predigt, und er wendet sich nicht an Christen oder an Heiden, sondern er spricht zum Menschen als solchem und offenbart sich ihm in Gnade und Gericht durch das Wort“ (Friedrich, THWB II:717). Nach dem Eph, der von Schlier ([1957]1968) und M. Barth (1961) Paulus zugeschrieben wird, ist Verkündigen des Evangeliums des Apostels criv: „Mir, dem Allergeringsten unter allen Heiligen, ist die Gnade gegeben worden, den Heiden zu verkündigen den unausforschlichen Reichtum Christi“ (Eph 3,8). Mit eÇaggel°zesqai bezeichnet der apostolische Schreiber seine gesamte Tätigkeit, Christus hat ihn nicht gesandt zu taufen, sondern zu evangelisieren (1. Kor 1,17). Wie die Propheten (Jer 1,1-9; 20,9; Am 3,8; Hes 3,17-21) steht er unter einer ‡ngkj, unter einem ihm von Gott auferlegten Zwang: „Denn dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!“ (1. Kor 9,16). Er m u s s das Evangelium verkündigen. Dabei passt er sich den Menschen in großer Freiheit an: „Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich mich doch selbst jedermann zum Knechte gemacht, damit ich m ö g l i c h s t v i e l e g e w i n n e . … Ich bin allen alles geworden, d a m i t i c h a u f a l l e W e i s e e i n i g e r e t t e “ ( 1. Kor 9,19-22). Inhalt der Verkündigung ist Jesus Christus (Gal 1,16; Apg 5,42; 8,35; 11,20; 17,18; und öfter). Christus ist die Königsherrschaft Gottes in Person. Er ist die aÇtobasile°a . „Das Evangelium ist keine neue Lehre; neu ist das, was durch 2.3.5. Apostolische Verkündigung – eine Tautologie 313 die Botschaft geschaffen ist und geschaffen wird. W i l l m a n d e n I n h a l t d e s E v a n g e l i u m s k u r z m i t e i n e m W o r t z u s a m m e n f a s s e n , s o l a u t e t e r : J e s u s C h r i s t u s “ (THWB II:728). Dabei ist die Frage, ob es sich bei eÇagg™lion to Cristo um einen Gen obj oder Gen subj handelt von untergeordneter Bedeutung. „Die Unterschiede, die wir zu machen pflegen, fallen für Paulus weg. Objekt und Subjekt der Predigt ist Christus, und der Irdische und Erhöhte sind für ihn eins … Es kann sachlich beides in ihm enthalten sein, vielleicht ist einmal das eine, dann wieder das andere stärker betont“ (ebd.). Freude herrscht, wo die Botschaft verkündigt wird (Apg 8,8). Sie wirkt Rettung: „Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, (di@ oÆ ka± süzesqe) wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt“ (1. Kor 15,1f). Das Evangelium ist édèv swtjr°av  (Apg 16,17), es bewirkt die Wiedergeburt: „Denn ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt (1. Pt 1,23-25). Es ist nicht Menschenwort, nicht das Wort der Kirche an Unkirchliche, sondern Gottes lebendiges, ewiges, heilbringendes Wort. eÇaggel°zesqai heißt, das Heil anbieten, es ist Mitteilung der swter°a. Es ist der Weg der swter°a Apg 16,17). Petrus bezeugt: „Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, die für euch bestimmt ist, und haben geforscht, auf welche und was für eine Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit danach“ (1. Pt 1,10-11). So hat die Verkündigung des Evangeliums auch das AT zum Inhalt: „Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus“ (Apg 8,35; 3,32f). Das Wort Gottes schafft die Wiedergeburt: „Ihr seid neu geboren worden, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen: aus Gottes Wort, das lebt und das bleibt. Denn alles Sterbliche ist wie Gras, und all seine Schönheit ist wie die Blume im Gras. Das Gras verdorrt, und die Blume verwelkt; doch das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Dieses Wort ist das Evangelium, das euch verkündet worden ist“ (1. Pt 1,23-24). 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 314 3. Fo lgerung Predigen als Sammlung z u r Sendung 3.1. Das erneuerte Predigtamt 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen Schweizer (1959:7) beginnt sein Buch „Gemeinde und Gemeindeordnung im Neuen Testament“ mit dem Satz: „Die neutestamentliche Gemeindeordnung gibt es nicht.“ Damit ist ausgesprochen, dass sich in den Schriften des NT unterschiedliche Vorstellungen von Gemeinde finden. Was von Anfang an sichtbar wurde, hat sich bis heute erhalten. Darum schreibt Jetter über die gegenwärtige kirchliche Situation mit Recht: „Denn es gibt weder die Theologie noch die Gemeinde, sondern beides nur in großer Vielgestaltigkeit. Und beides steht einander auch nicht einfach säuberlich gegenüber. Jede Art von Gemeinde verkörpert ja selber auf Schritt und Tritt eine Theologie, eine bestimmte theologische Konzeption, wahrscheinlich mehrere, vielleicht … sogar gegensätzliche theologische Konzeptionen ...“ (Jetter 1964:13). Wir würden das NT gesetzlich missverstehen, würden wir aus ihm eine einzige, für uns und alle Zeiten verbindliche Gemeindeform herausfiltern wollen. „Denn schon im NT ist die Ordnung der Gemeinde in Jerusalem nicht Gesetz für diejenige in Korinth“ (Schweizer 1959:7). Daraus ergibt sich für Schweizer folgerichtig: „Die neutestamentlichen Aussagen über die Ordnung der Gemeinde sind als Evangelium zu lesen. Das heißt: diese ist zu sehen als ein Stück Verkündigung, in der sich das Zeugnis der Gemeinde ausdrückt wie in ihrer Predigt“ (:8). Eine Gemeinde predigt also nicht nur durch das, was sie sagt, sondern auch durch das, was sie ist, wie sie lebt, eben auch durch ihre Form, ihre Gestalt und Ordnung. Mehr noch: „Es mag Zeiten geben, in denen solche Verkündigung besser und aufmerksamer von der Welt gehört wird als alle Worte“ (ebd.). Hinter der Ordnung, die sich eine Gemeinde gibt, ist „das theologische Anliegen zu erkennen, um dessentwillen sie sich so und nicht anders geordnet hat“ (ebd.). Nach der Ordnung der Gemeinde zu fragen, heißt also, nach dem Verständnis zu fragen, das sie von sich selber hat. Aus ihrem theologischen Anliegen ergibt sich ihr homiletisches Verständnis. Die Theologie bestimmt die 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 315 Ekklesiologie und beide bestimmen Inhalt und Form der Predigt. Das gilt auch angesichts der Tatsache, dass in der Regel die Predigtpraxis ihrer Theorie vorausgeht. „Die Theorie der Predigt entsteht aus der Praxis, indem sie über eine vorgefundene Praxis Rechenschaft ablegt und sie kritisch reflektiert“ (Müller 1996:171). Schweizer (1962) hat die Vielfalt und die Einheit der ntl Gemeinde untersucht. Ihre Einheit besteht in der starken Betonung ihrer Geschichtlichkeit: „Sie ist als Fortsetzung Israels gesehen und ihr Weg durch die Zeit bis hin zur Parusie ist besonders wichtig“ (:151). Wenn sie auf die ihr gestellte Missionsaufgabe schaut, „dann hat sie einen Weg vor sich, auf dem sie der erhöhte Herr begleiten und ihr in der Verfolgung die Kraft des Geistes schenken wird“ (:149). Schaut sie dagegen auf die Begegnungen mit dem Auferstandenen, auf die Gegenwart des erhöhten Christus im Mahl, auf die Wirkungen des Hl Geistes, „dann weiß sie, dass sie schon in der Erfüllung aller Verheißung lebt“ (ebd.). Die Gemeinde ist die Schar, die dem Erhöhten angehört, „in ihrem Glauben und Leben grundsätzlich schon der Zeit und Geschichte entnommen, in ihrem Einssein mit dem himmlischen Herrn schon der unvergänglichen Welt teilhaftig und eben darin mitten in der Welt Zeuge als Licht in der Finsternis“ (:151). Sind die Gemeinden des NT, so verschieden sie auch sein mögen, geschichtlich als Fortsetzung Israels gesehen „mitten in der Welt Zeuge als Licht in der Finsternis“, dann ist auf ein zweites sie Einendes gewiesen: U n t e r d e m V o r z e i c h e n d e r S e n d u n g s t e h e n s i e a l l e , wie ihnen allen - schon von Israel her - das Doppelgebot der Liebe gilt. Damit ist die Situation jeder Gemeinde als die des K a m p f e s beschrieben (Joh 3,19; 2. Kor 6,14). Dadurch, dass sie als Fortsetzung Israels, Jesus nachfolgen, sind sie in den Widerstreit „Licht gegen Finsternis“ gestellt. „Das Evangelium wird daher zum Kampf, eben, weil es Evangelium ist“ (Schlatter 1929:164). Die Gemeinde steht in der Nachfolge dessen, von dem es heißt: „Und Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen“ (Mt 9,35). - Hanssen sieht in diesem Summarium „ein recht bedeutsames, wenn auch oft übersehenes Wesensmerkmal der öffentlichen Wirksamkeit Jesu.“ Der, 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 316 auf den die Kirche zurückzuführen ist, war ein „eschatologischer Wanderprediger“ (R. Otto, zitiert in Hanssen 1963:2). Was das Summarium nicht nennt, aber ahnen lässt, ist der Kampf, in dem Jesus steht, wovon die Evangelien ausführlich berichten. Das war schon zu Beginn seines Erdendaseins angekündigt worden: „Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34). Neben den zusammenfassenden Berichten von Mt 4,23 und 9,35 wird die Situation des Kampfes für die Jünger besonders in der Aussendungsrede Mt 10 erkennbar. Jesus sendet sie wie Schafe mitten unter die Wölfe. Wie ihr Herr werden auch seine Jünger unterwegs sein und im Kampfe stehen. Die Dynamik der Sendung Jesu, die Auseinandersetzung bildet sich in der Jüngerexistenz ab, in der Gemeinde und ihren Diensten. „Der Jünger steht nicht über dem Meister …“ (Mt 10,24-25). Nach 2. Kor 5,17-20 hat Gott uns durch Christus das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Ist Jesus mit dem Evangelium auf Widerstand gestoßen, wird es auch seiner Kirche so ergehen. Ausgerechnet die schönste Botschaft unter dem Himmel, dass Gott sich mit uns selber versöhnt hat, erfährt den erbittertsten Widerspruch. Da ist die Versuchung groß, das Evangelium und sich selbst um eines falschen Friedens willen zu verbiegen. „Weh euch, wenn euch jedermann wohlredet! Denn das gleiche haben ihre Väter den falschen Propheten getan“ (Lk 6,26). Das Amt, das die Versöhnung predigt, ist ein streitbares Amt. Jesus stand im Kampf gegen die Mächte der Finsternis (Mt 4,1-11), gegen eine pharisäische, selbstgerechte Frömmigkeit (Mt 23,1-36), gegen den Kleinglauben und die Verführbarkeit der eigenen Jünger (Mt 16,23). Der Widerstand kam von außen und von innen. Die Christusnachfolge ist vom gleichen Kampf bestimmt. Die Frage, wen das kirchliche Amt repräsentiert, ist vom NT klar beantwortet. Die Jünger bitten an Christi Statt: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ „Amtsträger im eigentlichen Sinne ist nur Jesus Christus selbst“ (Schweizer 1959:172). Würde das Amt die Gemeinde darstellen, stünde sie sich in ihm selbst gegenüber. Nein, das geistliche Amt „repräsentiert nicht die Gemeinde, sondern den Dienst Christi an der Gemeinde und in der Welt“ (Andersen [1956]1961:109). Wie wollte 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 317 jemand in diesem spannungsreichen, dynamischen Amt auch sonst bestehen?1 Schon Vilmar wusste offensichtlich, wovon er redete: „Wer in einer Gemeinde oder in einer größeren Anzahl von Gemeinden gestanden hat mit der Aufgabe, dieser Gemeinde oder diesen Gemeinden ein Hirte zu sein – wer gesehen hat, welche Zweifel hier zu lösen, welche Anweisungen zu geben, welche Warnungen zu erteilen, welche Drohungen zu verkündigen, welche Kämpfe zu schlichten, welche Anfechtungen zurückzuschlagen, welche Versuchungen zu besiegen, welcher Hunger und Durst nach dem Worte des Lebens zu befriedigen, welche Gewissheit des Trostes zu gewähren, welche Zuversicht der Sündenvergebung zu geben ist … der weiß mit der unzweifelhaftesten einfachsten Gewissheit, dass er nur auf eine Quelle der Lösung dieser Zweifel und Kämpfe, auf eine Quelle dieser Siege über Welt, Sünde, Tod und Teufel, und zwar unmittelbar auf diese eine Quelle zurückzugehen hat“ (Vilmar ([1876] 1968:90). Die Quelle, von der Vilmar spricht, ist Christus der Herr, der den selbst in Sünden verstrickten Menschen in diesem Dienst an seiner statt in das Amt des Wortes und Sakramentes gesetzt hat. „Wäre dieses Amt nicht unmittelbar des Herrn Christi Amt, Sein direktes Mandat, Sein Befehl, das Amt würde den Träger erdrücken oder der Träger würde das Amt von sich werfen“ (:91). Aus der Tatsache, dass Christus Herr ist, ist für Amtsinhaber nicht abzuleiten, dass sie ihn auch in der Herrscherrolle zu vertreten hätten. Christus kommt im Wort. Vor Augen ist er niedrig und gering. Seine Herrschaft besteht im Dienen, darin z. B., dass er den Seinen die Füße wäscht. „Absichtlich überspitzt könnte man sagen, dass das Pfarramt u n t e r der Gemeinde steht, wie Christus tiefer unten gewesen ist, als seine Kirche es jemals war“ (Wingren 1959:137). Jesu Dienst war von einer Sendung bestimmt, die nichts Statisches kannte, weder inhaltlich noch formal. Jesus verstand sein Kommen als den Einbruch in das „Haus des Starken“ (Mt 12,25-30). Wir haben gesehen (2.2), dass sich die besondere Dynamik der Sendung Jesu aus seinem Auftrag ergab. Der Retter und 1 Das Augsburger Bekenntnis formuliert, dass das Predigtamt weder nur eine Funktion noch die bloße Frage einer Kirchenordnung ist (CA V, BSLK 1930:57): „Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament gegeben, dadurch er als durch Mittel den heiligen Geist gibt.“ G o t t hat das Predigtamt eingesetzt, nicht die Kirche. Die Apologie betont, dass die in das Amt der Kirche Berufenen p e r s ö n l i c h Christus repräsentieren (Apol VII, BSLK 1930:240: „repraesentant Christi personam“): sie verkünden das Wort Christi und reichen die Sakramente „an Christi statt“ („Christi vice et loco“: ebd.). 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 318 Richter war als der Gehorsame und Liebende gekommen, die Verlorenen zu suchen. Damit stand er im Kampf gegen Satan (Mt 4,1-11). Es wird ein Amt, das sich legitim auf Jesus Christus bezieht, prinzipiell nicht statisch oder verbürgerlicht sein können. Ist dieses Amt aber vor allem Predigtamt, so ist Predigt, in diesen Kampf verwickelt, ein Kampfgeschehen. Für Luther gehören zur rechten Vorbereitung der Predigt „die drei Voraussetzungen der Theologischen Existenz: oratio, meditatio, tentatio“ (Müller 1996:62). Die Anfechtung stellt den Prediger in die Auseinandersetzung gegen den Teufel, der der Reformator auch Positives abgewinnen kann: „Denn sobald Gottes Wort aufgeht durch dich, so wird dich der Teufel heimsuchen, dich zum rechten Doctor zu machen und durch seine Anfechtung zu lehren, Gottes Wort zu suchen und zu lieben“ (zitiert in Müller1996:63). Die ernste Seite des Kampfes gegen den Satan liegt darin, dass dieser die Seelen, die für Christus gewonnen sind, ihm wieder entreißen will. Damit geht es in der Predigt um den letzten Ernst: „Die Predigt hat es darum mit Gott und Teufel zu tun und muss deshalb von Sünde und Gnade, von Glaube und Unglaube handeln (ebd.:65). Auf die Predigt als Kampfgeschehen hat vor allem Wingren hingewiesen: „Das Amt steht in dem Kampf zwischen Gott und dem Satan; das gilt für jedes Amt, für das Amt des Pfarrers ebenso wie für jedes Amt; denn sie alle stehen im Kampf … Diese Kampfsituation macht das Amt zu einer unbedingt erforderlichen Einrichtung; denn im Kampf sind Befehl und Auftrag unerlässlich: Wo es noch einen Satan gibt, da muss es auch das göttliche Regiment geben. Diese Kampfsituation wird auch überall da vorausgesetzt, wo von dem guten Hirten … die Rede ist“ (Wingren 1959:138). Dass auch die Gemeinde in den Kampf mit den Mächten gestellt ist, sagt der Schreiber des Epheserbriefes (6,12). Es ist zu fragen, was das für das Pfarramt in unseren völlig anders gearteten Verhältnissen praktisch bedeuten kann. Dazu ist der Dienst Jesu näher ins Auge zu fassen. „Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Mt 4,17). Die durch Jesus verkündigte Gottesherrschaft „bedeutet eine unabsehbare Krise und Infragestellung des alten, von Gott erwählten Gottesvolkes, aber … nicht seine Aufhebung“ (Hanssen 1963:6). Jesus, der Wanderprediger, hat die kirchlichen Institutionen und Funktionen seines 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 319 Volkes nicht abgelehnt, sondern sich polar auf sie bezogen. Er hat keine Gemeinde gegründet, hat am gottesdienstlichen Leben teilgenommen, hat die großen Feste mitgefeiert (Passah, Laubhütten). Wenn er den Sabbat auch anders auslegte als die Pharisäer und Schriftgelehrten, so hat er ihn doch gehalten. Einen geheilten Aussätzigen schickt er, wie das Gesetz vorschreibt, zum Priester (Mt 8,4), usw. „Das alles konnte und musste er tun, weil er in der Schrift und in der Geschichte seines Volkes Gott am Wirken sah. Das ‚neue Handeln’ kann deshalb nur richtig verstanden werden, wenn es stets auf das frühere Handeln Gottes bezogen wird. Diese Tatsache bringt das Leben Jesu in eine eigentümliche, eben polare Spannung“ (Hanssen 1963:6). Das Umherziehen Jesu und seiner Jünger als Wanderprediger setzt eine Lösung aus den gesellschaftlichen Bindungen voraus. Der Menschensohn ist heimatlos. Er hat nicht, da er sein Haupt hinlege (Mt 8,2). Ihm darin gleich zu tun, ist Voraussetzung der Nachfolge (Mt 8,19-22). Er holt seine Jünger aus ihren Familien und Berufen: „Jesus sieht den scharfen, unaufhebbaren Gegensatz zwischen der Welt Gottes und unserer gegenwärtigen Welt“ (Hanssen 1963:3). Sein neues Handeln ist ein gelebter Protest gegen die Gestalt dieser Welt: „Das Wesen dieser Welt vergeht“ (1. Kor 7,31). Es ist unübersehbar, dass sich die Königsherrschaft Gottes in einem Kampf gegen die Herrschaft Satans befindet, um sich gegen diese durchzusetzen. Entsprechend ist das Urteil Jesu über seine Zuhörer: „Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?“ (Mt 12,34; 7,11). Diese Sicht Jesu bestimmt folgerichtig auch sein Verhältnis zu den weltlichen Dingen. Hanssen verweist auf drei Zeichen des ganz anderen Weltverhältnisses: Menschliches W i s s e n und Gelehrsamkeit werden entwertet (Mt 11,25.26; Joh 3,27; Mt 13,11), ebenso die menschlichen M a c h t (Mt 20,25- 28) und menschlicher B e s i t z (Mt 6,24; 19,23-26). Dennoch sind das Alte und das Neue nicht beziehungslos nebeneinander gestellt. Jesus zieht sich aus der Welt nicht zurück. Er gründet keinen Orden ähnlich wie die Qumrangemeinde. I n d e r W e l t k ä m p f t e r u m d i e R e t t u n g d e r W e l t . Mitten unter den Menschen kämpft er nicht gegen, sondern um die Menschen. Noch am Kreuz bittet er für seine Gegner. Gott ist 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 320 dabei, die Macht zu ergreifen, das bedeutet, das er alle anderen Kräfte entmachtet und überwindet. Darum kann sich Jesus nicht aus der Welt zurückziehen. Die Basileia ist nahe herbeigekommen, er ist die Autobasileia (Mt 12,28). Von dem Neuen, das gekommen ist und kommt, ist Jesu Predigt bestimmt. Er wirft sich in die Auseinandersetzung: „Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis um das Heil der Welt zwingt gleichzeitig zur Auseinandersetzung mit dieser eben verlassenen Welt und fordert deshalb gebieterisch einen engen Kontakt mit eben dieser Welt“ (Hanssen 1963:5). „Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Oder wie kann jemand in das Haus eines Starken eindringen und ihm seinen Hausrat rauben, wenn er nicht zuvor den Starken fesselt?“ Mt 12,25-30). Wir finden im NT also zwei Bereiche vor, die nicht zu harmonisieren sind, das Reich Gottes und das Reich der Welt. Die Spannung ist nicht aufzulösen. Kirchliche Theologie hat versucht, sie dogmatisch durch die „Zwei - Reiche - Lehre“ zu erfassen. Dass hier die Gefahr vorliegt, beide Bereiche unberechtigterweise zu versöhnen, darauf hat Thielicke aufmerksam gemacht. Er führt aus, dass die Forderungen der Bergpredigt für die neue Welt Gottes gelten, aber ohne Sinn und Verstand in unsere Welt übertragen, teilweise zerstörerisch wirken können. Das radikale Gebot scheitert gewissermaßen an der Welt. „Die Tatsache, dass in diesem Scheitern des radikalen Gebotes an unserer Welt recht eigentlich ein umgekehrtes Scheitern, nämlich das Scheitern der Welt an diesem Gebot zum Ausdruck kommt, und sich hier also eine entscheidende Infragestellung unserer Welt meldet … tritt bei Luther verhängnisvollerweise zurück und hat durch ihre Nichtbeachtung wesentlich dazu beigetragen, dass man von Luther ein eigengesetzliches Weltreich begründet wähnen und ihn zum Vater der Säkularisation machen konnte“ (Thielicke [1958] 19724:591). Von daher liegt die Auffassung nahe, dass sich der Gegensatz „Kirche und Welt“ durch Christus aufgehoben habe. So steht in der Studie des ÖRK (Margull 1965:44-45): „Leiden und Auferstehung Christi sind der Exodus für alle Menschen. Jetzt ist die ganze Menschheit aus der Gefangenschaft herausgeführt und in den Bund Gottes gebracht worden. Durch die Auferstehung des Neuen 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 321 Menschen, Christus Jesus, ist jeder Mensch zu einem Glied der neuen Menschheit geworden“ (ebd.). Hier ist in einer Schrift zur Frage missionarischer Gemeinde ein Gedanke formuliert, der Mission nach biblischem Verständnis überflüssig macht. Eine Kirche, die sich nicht mehr im Gegensatz zur Welt sieht, wird ein Amtsverständnis entwickeln, das die Sendung im soteriologischen Sinne nicht mehr kennt. Nach biblischem Verständnis hat die Kirche darauf zu achten, dass sie sich ihre Salzkraft erhält. Das Salz aber muss heraus aus ihrem kirchlichen Fass und hinein in die Welt. „Für sich bleibend, für sich gelassen, hört sie auf, Kirche zu sein … Es ist der unaufhaltsame Tod wahrscheinlich für beide, zum mindesten für die Kirche, wenn Welt und Kirche sich schiedlich, friedlich trennen, wie das offenkundig heute der Fall ist“ (Käsemann [1960] 1970:287). Anstatt in einem geistlichen Kampf gegen die Mächte zu stehen, anstatt sich in die Sendung zu stellen, für die Rettung der Menschen zu kämpfen, passt sich die Kirche der Welt an, bzw. erklärt sie die Welt quasi zur Kirche. So kämpft sie mit der Welt wohl für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“, unterlässt es aber, dafür zu kämpfen, dass die Menschen von dem ganz anderen Frieden erfahren, den Frieden mit Gott (Röm 5,1). Die Gemeinde hat das Amt, das die Versöhnung predigt, ein Amt der Niedrigkeit, des Leidens und des Kampfes. Das NT hat für unser Amtsverständnis keinen Begriff. Es hätten sich aus dem weltlichen Raum durchaus Worte angeboten, wie leitourg°a, timÐ, t™lov oder ‡rcÐ (Schweizer [1959] 19622:154-155). Diesen Begriffen aber weicht das NT geflissentlich aus, „weil damit ein Herrschaftsverhältnis vorausgesetzt und anerkannt werden müsste, das in der Ordnung der Kirche keinen Platz hat, ja etwa in Mt 20,25 f.; 23,11; 1. Kor. 3,5 und 1. Petr 5,3 der Polemik gegen Herrschaftsansprüche und Machtpositionen in der Gemeinde unterliegt“ (Käsemann [1960] 1970, I.:109). Wo in der Lutherbibel „Amt“ erscheint, steht im Urtext gewöhnlich „diakon°a“. Nach dem NT gibt es in der Gemeinde kein herrschendes Amt. Dafür gibt es lauter missionarische Dienste. 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 322 Gibt es im NT kein Wort für unseren Amtsbegriff,1 „findet sich doch in der paulinischen und unmittelbar nachpaulinischen Theologie ein Begriff, der Wesen und Aufgabe aller kirchlichen Dienste und Funktionen theologisch präzis und umfassend beschreibt, nämlich Charisma“ (Käsemann ebd.). „Nach dem NT gibt es kein Amt, das nicht ein Charisma zur Grundlage hätte“ (Stählin [1956] 1961). Man kann auch mit Hanssen (1963:9) sagen: „Das eine Amt verwirklicht sich in der Mannigfaltigkeit der Ämter.“ Diese aber stehen unter dem Vorzeichen der Sendung. Wer die Differenzierung des Pfarramtes in mannigfache Ämter, die einander nicht untergeordnet, sondern nebengeordnet sind, wer dazu das Pfarramt nicht implizit in Jesu Sendung eingeschlossen versteht, hat es nicht verstanden. Für seine Sendungsabsicht verleiht Gott Gaben, unterschiedlich im Maß „jedem nach seiner Tüchtigkeit“ (Mt 25,14-15). Davon spricht auch Paulus (Röm 12,3). Durch die verschiedenen Gnadengaben kommt es zu einer echten Gliederung des Leibes Christi, der eben d a d u r c h seinem großen Auftrag nachkommen kann, dass er viele verschiedene Glieder mit verschiedenen Charismen hat, ausgerichtet auf e i n Ziel. „Es ist diese charismatische Seite des Predigtdienstes, der ja nur als Kampf gegen die Macht der Finsternis verstanden werden kann, der die Jünger bei aller Distanz vor der Welt in eine lebhafte Auseinandersetzung mit ihr und um sie führt“ (Hanssen 1963:4-5). Die Jünger müssen die Auseinandersetzung, in die sie gestellt sind, nicht aus eigener Vollmacht bewältigen. In der Sendungsrede von Mt 10,1 steht ausdrücklich: Jesus „gab ihnen Macht (xous°an) über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.“ Wenn sie um ihres Glaubens willen angeklagt werden, ist ihnen zugesagt: „sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“ (Mt 10,19-20). Und was die Mittel, die im Kampfe zu verwendeten Waffen betrifft, ist klar, dass ihre Vollmacht nicht nur mit 1 Schott (RGG I.:338) weist darauf hin, dass die Rede vom „Amt“ sich nicht in allen Konfessionen findet, „ja, dass strenggenommen nur die Lutheraner eine Lehre vom A. haben, während an der entsprechenden Stelle die Calvinisten von Ämtern, die römischen Katholiken und die Orthodoxen, in ihrer Weise auch die Anglikaner, von der Hierachie handeln.“ 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 323 innerweltlichen Kräften (Bildung, Psychologie, Rhetorik etc.) zu tun hat. „Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören“ (2. Kor 9,4). Als es darauf ankommt, in Vollmacht zu handeln, sind die Jünger jedoch kraftlos. Sie können einen Dämon nicht austreiben. Auf ihre Frage, warum sie es nicht konnten, antwortet Jesus: „Wegen eures Kleinglaubens. Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: ‚Heb dich dorthin!’, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein“ (Mt 17,19-20). Mit diesem Wort weist Jesus über diese Weltzeit hinaus auf die Vollendung. Immer wieder hat es Christen in Vollmacht gegeben, und es gibt sie noch. Ihre Krafttaten sind, wie die sjme²a Jesu auch, Zeichen der neuen Welt, wie aber auch ein entsprechendes Leben zu solch einem Zeichen wird. Das macht Jesus u. a. deutlich an der Frage der Ehelosigkeit. „Um des Himmelreichs willen“ haben sich welche zur Ehe unfähig gemacht. „Wer es fassen kann, der fasse es!“ (Mt 19,3-12). Ein Verzicht auf ein zeichenhaftes Leben in der Nachfolge Jesu, das sich auch in einem entsprechenden Lebenswandel ausdrückt, führt zu einer gefährlichen „Intellektualisierung des Glaubens und zu einer unstatthaften Vorherrschaft des Denkens, die nicht nur zum Wirken Jesu im Widerspruch steht – der vor solchen zeichenhaften Lebensordnungen nicht zurückschreckte -, sondern auch unübersehbare, verhängnisvolle Folgen für die praktische Gestaltung der Frömmigkeit eines jeden Christen hat, die auf einer Verwirklichung in dieser Welt dringt, ohne jedoch von dieser Welt zu sein“ (Hanssen 1963:7). Hier beantwortet sich schon zum Teil die Frage nach dem d y n a m i s c h e n P r e d i g t a m t h e u t e . Prediger und Predigerinnen des Neuen Bundes, die so leben, als wäre in ihrem Leben nichts neu geworden, sind eher vollmachtslos. Und die Gemeinde, die sich nicht dem Sendungsauftrag stellt, die nicht den Kampf führt, der ihr aufgetragen ist, ist dummes Salz und weit davon entfernt ein Zeichen der ewigen Welt in dieser vergänglichen zu sein. Haftet nach ntl Verständnis an der Verkündigung die Situation des Kampfes und des Unterwegsseins, dann ist Predigt ein Agieren i n und Reagieren a u f Situationen des wandernden, streitbaren Gottesvolkes. Die panopl°a von Epheser 6,11 beschreibt Waffen des Angriffs und der Verteidigung. Da ist das 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 324 Predigtgeschehen, weil im Kampf verwickelt, kaum denkbar als eine Kreisbewegung an der Dressurleine einer sich wiederholenden Perikopenreihe. In einen Kampf gestellt, absolvieren wir nicht ein vorgeschriebenes Programm, da die Situationen ständig wechseln. Dass das fleischgewordene Wort auch in der Predigt Fleisch werde, dass es in die konkrete Kampfessituation der Gemeinde mitten in der Welt komme, darum geht es in der Predigt, die sich als Sendungsrede versteht. Die Tatsache also, dass das Predigtamt, den eschatologischen Wanderprediger repräsentiert, hat grundlegende Bedeutung für das Predigtgeschehen. Dabei machen nicht ein theologischer Amtsbegriff und seine Anerkennung, auch nicht eine theologische Ausbildung, auch nicht irgendwelche Notwendigkeiten in der Gemeinde den Amtsträger, sondern die charismatische Berufung, wobei festzuhalten ist, dass der theologische Amtsbegriff und die charismatische Berufung keine Gegensätze sein müssen. „Ein Charisma haben heißt für Paulus deshalb Anteil am Leben, an der Gnade, am Geist haben, weil Charisma der spezifische Anteil des einzelnen an der Herrschaft und Herrlichkeit Christi ist und dieser spezifische Anteil am Herrn sich in einem spezifischen Dienst und einer spezifischen Berufung erweist. Denn es gibt keine göttliche Gabe, die nicht Aufgabe wäre, keine Gnade, die nicht aktivierte. Dienst ist nicht bloß Konsequenz, sondern Erscheinung und Realität der Gnade“ (Käsemann [1960] 1970, I.:111). Daran, dass dem Charisma in unseren Kirchen nur wenig Bedeutung beigemessen wird, sind die Gemeinden nicht nur schwer erkrankt. Sie stellen sich damit gegen den erklärten Willen Gottes und geraten unter das Gericht. Hier zeigt sich das Elend einer Kirche im Ghetto, geht es doch in den Gaben um die Ausstattung der Kirche für ihre Sendung in die Welt. In den theologischen Fakultäten werden Studierende als Gemeindeglieder und Charismenträger eher selten wahrgenommen. Über ihre charismatische Verschiedenheit wird oft hinweggegangen. Es müsste den Fakultäten und Kirchenleitungen von höchstem Interesse sein, die Charismen der jungen Leute zu erkennen und bewusst zu machen, um darauf im Studium dezidiert eingehen zu können. Dergleichen ist nicht oft zu erkennen. Es ist auch auf das Kriterium hinzuweisen, aufgrund derer junge Theologinnen und Theologen in Zeiten einer „Theologenschwemme“ eine 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 325 Pfarrstelle bekommen oder nicht. Die Verantwortlichen übergehen die Charismenlehre des NT. Wer am besten theologischen Wissensstoff wiedergeben kann, wird als fürs Pfarramt tüchtig angesehen. Andere kommen auf die Warteliste. Das Charisma der Wiedergabe theologischen Wissens aber suchen wir in den ntl Charismenlisten vergeblich. Kirchenleitungen versündigen sich damit gegen den Geist der Schrift. Wir haben hilfreiche theologische Arbeiten über die Ämter und Charismen der Gemeinde. Die, die ihre Forschungsergebnisse vorlegen, müssen sich missachtet vorkommen, weil ihre Entdeckungen für die Kirchen- bzw. Gemeindeleitungen keinerlei Bedeutung haben. Es ist, als seien die prophetischen Denker unserer Kirche und die Kirchenverantwortlichen durch Weltenräume voneinander getrennt. Warum treiben wir an den Fakultäten Theologie, forschen, erkennen und - reagieren dann nicht auf das Erkannte? Kirche ist zu einem Organismus verfallen, der nichts Entscheidendes mehr lernt. Es ist, als forschen und erkennen wir zum Schein, als wäre alles nur ein groß angelegtes, unbedeutendes Spiel. Was für Kirchenleitungen sind das, die nicht daran denken, aus der Schrift Erforschtes und Erkanntes zu prüfen und - wo es geistlich ist - sich daraufhin zum Guten zu verändern? Ecclesia semper reformanda! Seitz brachte in einem Gespräch den Gedanken ein, ein kleines Institut zu installieren, in dem einige Theologen die wichtigsten kirchenleitungsrelevanten Erscheinungen lesen und so aufbereiten, dass diese den überlasteten Oberkirchenräten zugänglich werden. Luther hat die Trägheit für eine der größten Sünden gehalten. Im Großen Katechismus bringt er die Akidia in Zusammenhang mit dem Hören und Vergessen des Wortes: „Desgleichen sind auch zu strafen die ekligen Geister, welche, wenn sie eine Predigt oder zwei gehört haben, sind sie es satt und überdrüssig, als die es nun selbst wohl können und keines Meisters mehr bedürfen. Denn das ist eben die Sünde, so man bisher unter die Todsünden gezählt hat und heißet die Akedia, das ist Trägheit oder Überdruss, eine feindselige, schädliche Plage, damit der Teufel vieler Herzen bezaubert und betrügt, auf dass er uns übereile und das Wort Gottes wieder heimlich entziehe“ (M. Luther, Gr. Katechismus). Von der Sünde der Trägheit sind wir bei oft exzessiver Geschäftigkeit in hohem Maße befallen. Wir tun in der Kirche sehr viel, von dem uns nie etwas 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 326 aufgetragen wurde. Das aber, wofür ein klarer Befehl vorliegt, gehört häufig zu den Marginalien. Möglicherweise wiegen die kirchlichen Unterlassungssünden schwerer als ihre Handlungssünden. Predigt ist nach innen und außen ein Kampfgeschehen. Es gibt auch einen Kampf, ein Widerstreben gegen den Willen Gottes – in den Herzen der Christen. Barth fragt: „Was ist – von dem in Jesus Christus auf den Plan getretenen neuen Menschen her gesehen – die Sünde?“ Seine Antwort gleicht der Luthers aufs Wort: „… des Menschen Sünde ist des Menschen Trägheit … Auch Schläfrigkeit, Faulheit, Schwerfälligkeit, Rückständigkeit … Gemeint ist das böse, das schlechthin verbotene und verwerfliche U n t e r l a s s e n “ (KD IV/2:452). Sünde hat die Gestalt „des verbotenen und verwerflichen Übergriffs nicht nur, sondern auch die des verbotenen und verwerflichen Zurückbleibens und Versagens“ (:455). Das ist nach Barth das Tun des im Tode Jesu Christi überwundenen alten Menschen. Der aber ist auch in Christen wirksam, wie das simul iustus et peccator der Reformatoren sagt. Die Sünde als Trägheit, so Barth, kristallisiere sich in der Ablehnung des Menschen Jesus als Christus (ebd.). Davor ist auch und gerade der religiöse Mensch nicht gefeit. Im Gegenteil. „Flucht in die Religion, d.h. Flucht vor Gott in die gläubige Verehrung eines ihm kongenialen höheren Wesens ist vielmehr die reinste, die reifste, die eigentliche Möglichkeit, nach der er in seiner Trägheit greift … Gewichtig und wuchtig wird seine Ablehnung Gottes sogar dann und erst dann, wenn sie in irgendeiner letzten gesammelten Andacht vollzogen wird“ (:456). In solcher Andacht aber handelt es sich gerade um die Ablehnung und Unschädlichmachung Gottes. Weiß Gott „viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod“ (EG 302,5), finden wir viele Weisen, uns vor seinen Befehlen religiös aus dem Staube zu machen. Weder das einzelne Gemeindeglied, noch die einzelne Gemeinde, noch die Kirche Jesu Christi auf Erden sind neutrale Orte. Sie sind Schauplätze eines Machtkampfes. „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Eph 6,12). 3.1.1. Predigt als Kampfgeschehen 327 Zur Situation des Kampfes gehören Niederlagen: „Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen“ (Lk 19,41). Der Wunsch, dass die Predigt angenommen wird und viel Frucht bringt, begleitet wohl alle, die zu predigen haben. Einige wenige haben ja auch Erfolg. Ihre gute Predigt zieht an. Die Menschen kommen. Erfolge aber sind im NT nicht das, was als Regel verheißen ist. Das Gleichnis vom vierfachen Acker spricht für sich (Mk 4,1-9). Von dem ausgestreuten Samen geht viel verloren. Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1-12) werden die Boten getötet. In der Aussendungsrede prophezeit Jesus den Jüngern ein ähnliches Schicksal (Mt 10,16). Mit der Möglichkeit des Martyriums hat nicht die laue (Offb 3,16), aber sendungsorientierte Gemeinde besonders zu rechnen. Wer die Tränen Jesu über Jerusalem wahrnimmt „begegnet der Traurigkeit Gottes“ (Deichgräber:1978:47). Was Jesus bewegt, „ist vor allem das Wissen um die Katastrophe, in die jeder Mensch hineinstürzt, der die Liebe Gottes abweist. Jesu Tränen gelten dem bitteren Schicksal der Stadt, die sich gegen den Herrschaftsanspruch der göttlichen Liebe wehrt“ (ebd.). Deichgräber legt den Gedanken nahe, dass der weinende Christus nicht nur als vergangenes geschichtliches Ereignis zu betrachten ist: „Ich sehe die Tränen Jesu und ich sehe in ihnen den Schmerz Gottes über meinen Unglauben, über meine Unbußfertigkeit, über meine Feindschaft gegen die göttliche Einladung“ (ebd.). „Wenn der Missionar teilhat an der Sendung Jesu, dann wird er auch an seiner Enttäuschung teilhaben müssen. Er wird den Schmerz Gottes über den Unglauben der Menschen mittragen müssen. Dabei wird er die göttliche Enttäuschung nicht ohne weiteres mit seinen eigenen enttäuschenden Erfahrungen in eins setzen dürfen. Jesu Kummer kommt ja nicht aus enttäuschtem Ehrgeiz. Wenn das, was den Missionar bekümmert, nichts anderes ist als der Ärger über das Scheitern ehrgeiziger Pläne, dann ist er vom Schmerz Gottes weit entfernt … wenn der Missionar seinem Herrn ähnlich werden will, dann wird er gerade den beruflichen Ehrgeiz in den Tod geben (:48). 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 328 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten Wir sahen, dass die Gemeinde Christi in den Widerstreit von „Licht und Finsternis“ gestellt ist. Das andere aber ist dies: Von Christus ihr Licht empfangend, wird sie selbst zum „Licht der Welt“ (Mt 5,14-16). Licht strahlt aus und zieht an. Die Dynamik der sendungsorientierten Gemeinde zeigt sich darum in zwei Bewegungen. Obwohl diese in entgegengesetzte Richtungen weisen, widersprechen sie sich nicht. Sie ergänzen sich. Die Gemeinde, die zu den Menschen geht, ist, wie Seitz (1985:16) ausführt, mit dem Bild einer G e s a n d t s c h a f t zu beschreiben: „Eine Gesandtschaft vertritt ein Staatswesen auf dem Territorium eines anderen, das Reich Gottes auf dem Territorium der Reiche der Welt. Das ist ihr Auftrag.“ Dem Begriff der Gesandtschaft liegt das altsemitische Botenrecht zugrunde (z.B. 1. Sam 25,40; 2. Sam 10,1-5). Es fand in rabbinischer Zeit zu dem Grundsatz: „Der Gesandte eines Menschen ist wie dieser selbst“ (Roloff 1978:432). Davon ist in ntl Zeit nichts weggenommen: „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk 10,16). „Der Bevollmächtigte ist rechtlich und persönlich der Repräsentant seines Auftraggebers. Er ist durch die ihm erteilte Sendung berechtigt und verpflichtet, in selbständiger Entscheidung dessen Interessen zu vertreten. Die Sendung gilt nur in seiner Abwesenheit und erlischt im Augenblick der Rückkehr des Gesandten zu ihm“ (Roloff ebd.). Die Gemeinde als Gesandtschaft Christi hat seine Interessen zu vertreten. Sein Hauptinteresse ist um seines Namens willen die Rettung der Menschen. Ein anderes Hauptinteresse kann eine Gemeinde, die sich zu recht nach seinem Namen nennt, ebenfalls nicht haben. Sie hat einen klaren Auftrag. „Aber dieser gliedert sich nun in eine Reihe von Aufgaben. Dadurch wird er konkret … An die Lebensorte der Menschen gehen … Ihnen dort in jeder Beziehung beistehen … Sie vor die Wirklichkeit Gottes stellen … Sie in einer Zeugnisgemeinschaft sammeln … Ihnen das Dasein für andere zutrauen“ (Seitz 1985:16-17). „An die Lebensorte der Menschen gehen“ steht am Anfang. Damit ist an das „Gehet hin“ (Mt 28,19) erinnert. Die Menschenfischerkirche Christi verharrt nicht im sicheren Hafen ihrer Kirchlichkeit. Sie begibt sich auf die hohe See, zu den Fischgründen, dorthin, wo die Menschen sind. Das ist die z e n t r i f u g a l e 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 329 Bewegung der Gemeinde. Wer nicht zu den Lebensorten geht, kann dort auch niemandem in jeder Beziehung beistehen. Die Gemeinde ist keine geschlossene Gesellschaft. Der zentrifugalen Bewegung steht die z e n t r i p e d a l e gegenüber. Die Gemeinde als Gesandtschaft ist zugleich S t a d t a u f d e m B e r g e . Sie kennt keinen Zaun zwischen den Nahen und Fernen (Eph 2,14). Sie zieht an. Menschen kommen zu ihr. Realisiert sich die Sendung der Gemeinde also einerseits dadurch, dass sie die Botschaft ausbreitet, verwirklicht sie diese ebenso dadurch, dass sie Jung und Alt anzieht. Um an Hanssens Auslegung zur Bergpredigt zu erinnern: Sie ist „in zentripedaler Weise die Stadt auf dem Berge, die nicht verborgen bleiben kann (5,14), die dadurch, dass sie die Bergpredigt verwirklicht, das Lob Gottes unter den Menschen provoziert“ (Hanssen 1999:30). Sendungsorientierte Gemeinde i s t beides, Gesandtschaft und Stadt auf dem Berge und soll, was sie ist, beständig w e r d e n . Darauf zielt die Predigt, dass die Gemeinde wird, was sie von ihrer Berufung her schon ist. Seitz verweist auf die Verfassung der bayerischen Landeskirche, die in Art. 1,2 sagt: „Alle Kirchenglieder … tragen die Verantwortung für die rechte Lehre und für die zeit- und sachgemäße Erfüllung des Auftrags der Kirche“ (:17). „Sie versteht sich also als eine Kirche des ‚Priestertums aller Gläubigen’“ (ebd.). „Nun ist es kein Geheimnis, dass es sich tatsächlich ganz anders verhält. Nur ein winziger Prozentsatz der Kirchenmitglieder trägt den Auftrag der Kirche aktiv mit, macht sich über ihn Gedanken oder vertritt ihn bewusst. Die Mehrzahl gehört einer Bedienungskirche an, die mit der Totalrolle des Pfarrers und der Delegation der gemeindlichen Dienste an ein Heer von Hauptamtlichen zufrieden sind oder sich darunter gebeugt haben. Zwischen Verfassung und Wirklichkeit besteht also ein Widerspruch“ (Seitz 1985:17). Wer im NT nach Wesen, Gabe, Aufgabe und Ziel der Gemeinde Jesu forscht, nimmt erst recht Widersprüchliches wahr: Auf der einen Seite Christus, der die Gemeinde zu den Menschen sendet und ihr ein vollmächtiges Leben anbietet, das Menschen anzieht und dem gegenüber introvertierte Gemeinden in Landes- und Freikirchen, wohin man blickt, Gemeinden, die von biblischen Grundsätzen abweichen. Als Salz der Erde und Licht der Welt (Mt 5,13-16) sind sie dazu bestimmt, denen vor ihren Toren zugewandt zu sein (Mt 28,19; Mk 16,15). Diesen 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 330 Menschen, nicht nur sich selbst, sollen sie das Evangelium predigen (Mk 13,10; Lk 24,47), ist es doch eine „Kraft Gottes“, die auf e i n bestimmtes Ziel hin wirkt: die Rettung der von Gott Geliebten (Röm 1,16; 1. Kor 1,18; 2,5; 2. Kor 4,7; 1. Thess 1,5). Alle anderen Ziele sind dem untergeordnet. Der, den der Vater gesandt hat, zu suchen und zu retten, was verloren ist (Lk 19,10), sendet seine Gemeinde zum gleichen Zweck (Joh 20,21-23). Der Missionstheologe Freytag (1961:218) kommentiert: „Da wird die ganze Botschaft der Schrift mit einem einzigen Wort umschlossen: S e n d u n g .“ Die gesellschaftliche Relevanz, die sich aus der Sendung ergibt, ist nicht zu überbieten. Das zeigt das Zusammenleben der Urgemeinde (Apg 2,42-47). Menschen, die an den glauben, der die Gottlosen gerecht macht, brauchen zwar selbst weiterhin die Zusage des Evangeliums, müssen sich aber grundsätzlich nicht mehr darum sorgen, das Heil zu erringen. Die Frage nach ihrer ewigen Zukunft ist von höchster Stelle positiv beantwortet. Die von sich selbst Befreiten sind nun frei für Gott und die Menschen. Wird unser vergängliches Dasein dagegen als „letzte Gelegenheit“ betrachtet (Gronemeyer 1996), wird die Solidarität behindert, auch unter Christen, wenn sie die Ewigkeitshoffnung verloren haben (s. 1.3.2.). „Diesseitigkeit desolidarisiert“ (Zulehner 1995:71). Wohingegen die Gewissheit, die vom Charisma des ewigen Lebens lebt, zur Nächstenliebe befreit. Es kommt zur „Solidarität mit den Sündern“ (Buchtitel von Markus Barth 1961). Die Sendung Christi und die der Gemeinde, sind nicht dasselbe, wie auch Christi Kreuz und ihr Kreuz nicht dasselbe sind. Die Gemeinde kann die Welt nicht erlösen. Keine Gemeinde, auch kein Christ kann die Welt oder nur einen Menschen vom ewigen Verderben erretten. Es gibt nur einen Erlöser und Mittler (1. Tim. 2,5). Die Gemeinde aber ist berufen, den Erlöser zu bezeugen und die Botschaft von der geschehenen Erlösung zu verkündigen. Mit allem, was sie ausmacht (Gottesdienst, Leitung, Bibelstunde, Chöre, Diakonie, Seelsorge, Hauskreise, Büro, Raumpflege etc.) ist sie gerufen, sich auf ihre Sendung hin zu sammeln. „Die ‚Sammlung’ der Gemeinde ist kein Selbstzweck, sondern sie erfolgt um ihrer ‚Sendung’ willen“ (Bäumler 1984:19). Die Sammlung geschieht um der zu gewinnenden Kraft willen in der Ausübung der ihr verliehenen Vollmacht. Die Sammlung ist sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet, 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 331 ist „Sammlung z u r Sendung“. Kein Wettläufer geht an den Start, sammelt Gedanken und Kräfte für den Lauf, um dann im Startloch sitzen zu bleiben. Er läuft. Im Laufen bleibt er gesammelt. Sammlung ist die Voraussetzung zur Sendung. Ohne sie mangelt es an Kraft, und die Vollmacht wird nicht wahrgenommen, damit aber wird das Ziel verfehlt. In der Sammlung hingegen zu verharren, ohne zu laufen, ist das Gegenteil von dem, was Jesus gelebt hat und was er von seiner Gemeinde wollte. In der ökumenischen Diskussion lautete das Schema „Sammlung und Sendung“ (Ratzmann 1980:147). Dass es eine Sendung ohne Sammlung nicht geben kann, ist evident. Zu kritisieren ist nicht der Gebrauch des Begriffs „Sammlung“, sondern des Bindewortes „und“. Die Kopula verfälscht den entscheidenden missionstheologischen Ansatz. Ratzmann pointiert: „Im Schema ‚Sammlung und Sendung’ scheint den Versammelten eine eigenständige, dem Gesandtsein gleichberechtigte Rolle zuerkannt worden zu sein“ (:147). Im Ev. Gesangbuch erscheint die Rubrik erneut „Sammlung und Sendung“, als gäbe es die Sammlung als eigenständige Größe, der sich die Kontemplativen verschreiben und daneben eine Sendung für die missionarisch Gesinnten. Nein! Die Begriffe sind aufeinander bezogen als „Sammlung z u r Sendung“ und im eschatologischen Sinne als „Sendung z u r Sammlung“, denn alle Sendung sammelt, sie sammelt die Gemeinde die „Braut des Lammes“ (Offb 21,2.9; 22,17) (s.3.3.8.). Nicht die Gemeinde trägt die Sendung, sie wird vielmehr von dem getragen, der sie sendet. Sie sei, wie der Epheserbrief es ausdrückt „an den Beinen gestiefelt, bereit, einzutreten für das Evangelium des Friedens“ (6,15). M. Barth (1961: 177-178) schreibt: „Die gewagte Redeweise von dem ‚Beschuhtsein mit dem Evangelium des Friedens’ … soll wohl andeuten, dass nicht die Heiligen das Evangelium in die Welt tragen, sondern dass in Wirklichkeit sie selbst vom Evangelium getragen werden. Das Evangelium, das sie vernehmen, macht etwas aus ihnen, was sie vorher nicht waren. Sie geraten in Bewegung, sie wagen es hinauszugehen und sie halten unerschütterlich stand. Sie sind alle durch Wort und Geist beauftragt und bevollmächtigt, als wohlgerüstete Soldaten in der Welt ihren Platz zu behaupten (6,10-20). Nichts ist von diesem Auftrag ausgenommen, keine Situation, keine Zeiten und keine Personen.“ 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 332 Hanssen (1999:13) spricht von der „ ’ m i s s i o n s t h e o l o g i s c h e n ’ D i m e n s i o n a l l e r b i b l i s c h e n A u s s a g e n “ (Hervorhebung KE). Bleibt diese unbeachtet, wird die biblische Botschaft nicht nur verkürzt, sie wird schwer beschädigt: „Mission ist nicht ein kirchliches Werk unter anderem, das die Kirche ebenso gut lassen könnte; sie ist vielmehr ein unaufgebbares Wesensmerkmal der Kirche“ (ebd.). Zu 1. Thess 1,2-10 (: 44) ergänzt Hanssen: „Wenn Mission nicht ein Werk der Kirche unter vielen ist, sondern zu ihrem Wesen und Auftrag gehört, so ist die Mission der Sache nach in jedem Schriftwort und damit in jeder Predigt enthalten.“ Vicedom ([19602] 2002: 32) urteilt in gleicher Weise. Die Mission ist nicht ein spezielles Werk Gottes unter anderen. Nach der Gesamtkonzeption der Schrift wird Gott nur e i n e Intention zugeschrieben: „Die Menschen zu retten.“ Die Gemeinde muss von dieser ihrer Gabe und Aufgabe her verstanden werden. „Die r u f e n d e Kirche lebt selber von ihrem G e r u f e n s e i n “ (Eichholz 1937:261). „Die Kirche ist eine Funktion des Apostolats“ (Hoekendijk 1964:122). Seitz (1985:34) versteht Evangelisation „als Dimension des gesamten kirchlichen Handelns.“ Als eine Frucht der Mission Gottes, steht die Gemeinde - wie oben herausgestellt - u n t e r d e m V o r z e i c h e n d e r S e n d u n g . Unter diesem Vorzeichen zu leben hat Konsequenzen. Diese betreffen alles, was zum Glauben und Leben des Leibes Christi gehört. Von der soteriologisch verstandenen Sendung her ergibt sich die besondere Dynamik, Würde und Bedeutung der Gemeinde und des Predigtamtes: Im Kontext der Sendung (!) verleiht Jesus der Jüngergemeinde Vollmacht zum Reden und Handeln (Mt 10,1), das ist die Dynamik. Wie der Vater Jesus sendet, „zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10), so sendet Jesus die Jünger zu eben diesem Ziel (Joh 20,21); das ist die Würde. Das Predigen des Evangeliums an die Adresse der Welt führt die Geschichte der Welt zu ihrer Vollendung (Mt 24,14); das ist die Bedeutung. Gemeinden dagegen, die sich der Sendung verweigern, stellen ihr Licht, ihr Schönstes, unter den Scheffel, vergraben das anvertraute Pfund, anstatt es zu vermehren. Sie machen sich der Unterschlagung des Schönsten schuldig. Sie verfallen dem Gericht (Lk 19,12-27). Wir brauchen uns nur ein Szenario vorzustellen, das dieser Situation in etwa entspricht: In einem Volk herrscht bedrohlicher Mangel an Nahrung. Da wird aus dem Ausland so viel zur 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 333 Verfügung gestellt, dass alle genug bekommen könnten, um zu leben. Einer Gruppe wird die Verteilung an alle anvertraut. Die Auserwählten aber behalten, was sie empfingen, für sich. Sie essen und trinken allerdings, da sie an einer seltsamen Appetitlosigkeit leiden, kaum selber davon. Deshalb denken sie nicht daran, die rettenden Lebensmittel weiterzugeben. Um sie herum verhungert das Volk. Die zur Verteilung Eingesetzten machen sich unterlassener Hilfeleistung schuldig, böser Unterschlagung. Sie fragen nach sich selbst, tun, was ihnen gefällt und haben kein Auge und kein Herz für die Not der Verhungernden. Jedes unabhängige Gericht würde sie verurteilen. Eine Gemeinde, die vor lauter Beschäftigung mit sich selbst das Evangelium nicht zu den nach Ewigkeit hungernden Menschen bringt, ist gedankenlos, egois- tisch und korrupt. Korrupt ion ist nach dem Duden (1996) „Bestechung, Bestechl ichkei t , [Si t ten]verfal l , -verderbnis“ . Wir sahen (2.2.7.), dass Jeremias (1971:73) seine Untersuchungen über die Versuchungsgeschichte Jesu mit „ D a s J a z u r S e n d u n g “ überschrieben hat. Der Versucher legt es darauf an, Jesus mit lockenden Angeboten zu verführen. Das sind - B e s t e c h u n g s v e r s u c h e , um Jesu Sendung zu verhindern. Jesus erwies sich als unbestechlich (Mt 4,1-11). So wurde er zum „Anfänger und Vollender des Glaubens“ weil er „obwohl er hätte Freude haben können, d a s K r e u z e r d u l d e t e u n d d i e S c h a n d e g e r i n g a c h t e t e und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes“ (Hebr 12,2). Alles, was die Gemeinde an ihrer Sendung hindert, trägt dämonische Züge. Die Mehrzahl unserer Gemeinden macht sich, da sie die Sendung preisgibt, der Unterschlagung des Schönsten schuldig. Sie möchte durchaus einen Christus, aber einen Christus ohne Kreuz und das bedeutet – ohne Sendungsauftrag. Wer danach fragt, wer das größte Interesse an einem Jesus ohne Kreuz hat, muss nicht lange forschen, vermag doch der eigene Jünger dem Versucher seine Stimme zu leihen (Mt 16,22-23). Das Brot des Lebens (Joh 6,34.48), das für die Welt gegeben wurde, für sich zu behalten, während andere verhungern, ist ungeheuerlich. Das ist hierzulande in den Gemeinden oft der Fall. Das NT ruft uns zur Umkehr, zur entschlossenen Abkehr davon, das Schönste zu unterschlagen. Um Jesu willen: Wir sind gerufen umzukehren zur soteriologisch 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 334 zu verstehenden Nächstenliebe: Das seelenrettende Evangelium sagen, nicht unterschlagen. Umkehr in diesem Zusammenhang beginnt mit der Erkenntnis des Willens Gottes und dem Wahrnehmen eigener Unterlassungssünden; Umkehr ist Sinnesänderung und führt nach allem Erschrecken über sich selbst zur „Freude der Buße“ (Schniewind 1956). Nicht nur für die Umkehr des Einzelnen gilt, was Schniewind sagt: „Umkehr ist Freude! Bei Jesus ist, nun anders als beim Täufer, der Bußruf schrankenlos Evangelium, Freudenwort. Umkehr ist Freude, Gott recht geben ist Freude … Es ist Freude, dass von Gott her die Dinge zurecht gebracht werden, die verwirrt und verkehrt waren“ ( Schniewind [1935] 1966:13-14). Umkehr beflügelt, setzt Kräfte frei für die Nächstenliebe „in jeder Beziehung“. Dafür ist der missionarische Pfarrer, Theologieprofessor und Waisenhausgründer A. H. Franke ein bekanntes Beispiel (Franke 1966). Missionarisch zu werden bedeutet den entschlossenen Exodus der Gemeinde aus ihrer in sich gekehrten Krüppelexistenz. Es geht um Liebesgehorsams gegen den Dreieinigen Gott. Riecker (1973:9) formuliert praktisch und fragt: „Was ist eigentlich die Aufgabe einer christlichen Gruppe?“ Dabei denkt er an irgendeinen Zusammenschluss von gläubigen Christen: „Viele meinen, ihre Gruppe habe ihre Aufgabe in sich selbst, und es genüge, das Leben der Gruppe zu erhalten, damit sich Gott in ihr verherrliche; Mission sei ihr nicht mehr aufgetragen. Das andere Extrem ist wieder das, dass man meint: Nur Mission ist überhaupt der Zweck einer christlichen Gruppe und ihre Existenz nur ein Mittel zu diesem Zweck. Ich bin der Überzeugung, dass beides zusammengehört. Eine christliche Gruppe hat ja Auftrag und Eigenrecht zu leben, dieses Leben zu stärken und zu vertiefen … Aber wo lediglich nur das der Fall ist, da ist die Sache göttlich nicht in Ordnung. Wir sind nicht dazu da, um Leben zu pflegen, sondern um es weiterzutragen.“ Unsere Gemeinden sind sich über ihr Wesen und folglich über ihr Unwesen nicht im Klaren. Die Wahrnehmung ist gestört. Das Verleugnen der Sendung beruht nicht nur auf einem Mangel an Erkenntnis. Es beruht auf konkreter Schuld: auf Trägheit im Denken und Handeln, auf ein sich Schämen, Christus als den Retter für alle, die an ihn glauben, zu verkündigen (Röm 1,16) und nicht zuletzt auf Feigheit (Weish 17,10). Als Träge, sich Schämende und Feiglinge verstehen wir 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 335 durchaus, uns theologisch herauszureden. Dazu kommt ein Mangel an biblischem Wissen. Die Tradition, von der sich die Gemeinden bestimmen lassen, steht über dem Wort. Es wäre also ungerecht, jedem Pfarrer, jeder Pfarrerin, jeder Gemeindeleitung, die dem Missionarischen bisher nichts abgewinnen konnten, Korruption als bewusste Haltung zu unterstellen. Sie sind in der Tradition einer missionslosen Kirche aufgewachsen. Sie kennen nichts anderes. Das Verleugnen der Sendung beruht eben auch auf mangelnder Schriftkenntnis und beträchtlicher Hilflosigkeit. Im Deutschen Pfarrerblatt (Heft 1/2003) meldet sich Hering, mit einem Aufsatz zu Wort: „’Mission’ – wie geht das?“ Die Synode der EKD hatte „Mission“ zum Thema gemacht (1999). „Wenn da nicht diese Unsicherheit wäre, die das ganze Land ergriffen hat: ‚Mission ja – aber wie?’“ Ob man vielleicht bei Freikirchlern in die Lehre gehen sollte, sinniert der Autor. Ein Landesbischof habe sich auch schon geäußert: „Es ist ja mit Händen zu greifen, dass es uns als ‚Kirche des Wortes’ weithin buchstäblich die Sprache verschlagen hat.“ Hering bestätigt: „Mich persönlich hat es erwischt bei der bedrückenden Einsicht. Ich fühle mich überhaupt nicht ausgebildet, einladend auf (nicht-christliche) Menschen zuzugehen und ihnen verständlich das Evangelium zu bezeugen.“ Dann mahnend, die Kirchen hätten nun eine Absichtserklärung in ökumenischer Weite abgegeben. Auf die Kleinarbeit, die Institutionalisierung der Absichtserklärung käme es jetzt an. Geschieht, was wir tun und diskutieren „wirklich auch in missionarischer Absicht? Es wäre dann folgerichtig, alles kirchliche Arbeiten dem Auftrag unseres Herrn neu zu unterstellen: ‚Geht hin in alle Welt und fangt wieder hier in Deutschland an!’“ 1 Es bedarf keiner großen Phantasie zu erkennen, welche F o l g e n der missionarische Tiefschlaf unserer Kirchen auch für die W e l t g e s c h i c h t e hat. Während wir schlafwandeln, sind andere agitatorisch unterwegs. Der Islam steht nicht mehr nur v o r unserer Tür. Er lebt unter uns, nicht passiv und still, sondern sendungsbewusst und laut. 1985 fragt Seitz: „Wird ein von innen her ausgehöhltes Christentum mit dem sanften Angriff des Hinduismus und dem harten Zugriff des Islam fertig werden?“ (Seitz 1985:14). Bei uns indessen schließen sich Pfarrer und 1 Reaktionen auf die EKD-Synode, 1999, in Leipzig, hat Werth (2004:319-325) zusammengestellt. 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 336 Priester populistisch der Meinung an, wir beteten ohnehin zum gleichen Gott. Hier zeigt Kirche erneut, dass sie ihren Hang, sich willig dem hinzugeben, was öffentliche Meinung ist, noch immer nicht überwunden hat. War es populär, nationalsozialistisch zu sein, gab es flugs Kirchenleute, die mit den braunen Wölfen heulten. Als sich im Westen Sympathie für den Kommunismus abzeichnete, waren willfährige Theologen zur Stelle. Heute nun – es ist opportun - hätten Christen und Muslime den gleichen Gott. So sagte es uns am Ewigkeitssonntag 2004 ein katholischer Priester im „Wort zum Sonntag“ des Ersten Deutschen Fernsehens. Freytag (1961:57) zeigt, dass die Entstehung des Islam zwei Grundzüge hat: „Der erste ist die Missionslosigkeit der Kirche. Die nachchristliche Religion entsteht dadurch, dass sich die Kirche auf sich selbst zurückzieht ... Das zweite, was man am Islam ablesen kann, ist, dass die Entstehung der nachchristlichen Religionen nur zu verstehen ist, wenn man in Betracht zieht, dass die Kirche der Umgebung nicht im Vollbesitz der biblischen Botschaft war. Aus der verkürzten Botschaft der Kirche entsteht die nachchristliche Religion … Die Entstehung der nachchristlichen Religion ist nicht denkbar ohne die Missionslosigkeit der Kirche und ohne die Verkürzung der biblischen Botschaft.“ „Dass die Kirche der Umgebung nicht im Vollbesitz der biblischen Botschaft war“ hat Schlatter (1929:225-243) dargelegt: „Die Entwicklung des jüdischen Christentums zum Islam.“ Er spricht von einem Christentum, das den Islam hervorbrachte, bzw. geschaffen hat. Mohammed war auf ein jüdisch-christliches Schrumpfchristentum gestoßen, das wohl Jesus, aber weder die Apostel, noch die Gemeinde kannte: „Da der Apostel fehlt, fehlt die Kirche. Das vom Propheten verkündete Gesetz unterwirft sich zwar alle und vereint sie im selben Bekenntnis und im selben Ritus. Aber eine Gemeinde, die ein Eigenleben hätte, einen eigenen Beruf besäße und ein Werk auf Erden auszuführen berufen wäre, entsteht nicht“ (:233) Mohammed findet also ein Christentum ohne Sendungsbewusstsein, ohne Auftrag vor: „Die Aufgabe der Gläubigen ist erschöpft, wenn sie das Bekenntnis, das ihnen der Prophet vorsagte, wiederholen und das Recht, das er ihnen setzte vollstrecken. Dadurch bereiten sie sich für das kommende Gericht und empfangen dann für ihre Erfüllung des Gesetzes das selige Leben “ (ebd.). Die Parallele zur 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 337 Gesetzesreligion und gleichzeitigem Auftragsverlust unserer heutigen Gemeinde ist unübersehbar. „Wo die Apostel und die Kirche fehlen, da fehlt notwendig auch der Geist“ (:235). So hat Mohammed den durch Jesus verheißenen Parakleten auf einen neuen Propheten gedeutet und diese Verheißung – auf sich bezogen. In diesem Zusammenhang ist auch Baumann (2003) aufschlussreich. Der Jesus ohne Kreuz hat im Koran willkommene Aufnahme gefunden (Bauschke 2001). Mit dem Aufkommen nachchristlicher Religion ist nur der Teil der Folgen beschrieben, den die Missionslosigkeit der Kirche im Diesseits hat. Das Reich Gottes weist ins Eschaton, in die neue Welt, geht doch die Bedeutung der Gemeinde über diese Weltzeit hinaus. An der Missionslosigkeit unserer Gemeinden kann sich nichts ändern, wenn sie und ihre Theologen irrtümlicherweise davon überzeugt sind, im Prinzip schon alles zu wissen und darum auch so gut wie alles, richtig zu machen. Seitz (1985: 69) stellt von Gemeindegliedern fest: „Immer mehr Menschen wissen immer weniger vom Glauben. Kaum jemals war das Bild von Gott unter den zur Kirche Gehörenden so unzureichend wie heute. Die einfachsten Sachverhalte sind nicht mehr bekannt.“ Solche „zur Kirche Gehörenden“ aber sitzen auch in den Presbyterien und Synoden und treffen dort weitgehende Entscheidungen über geistliche Dinge, wie missionarische Jugendprojekte, Gemeindeaufbau, Evangelisationen, Dinge also, über die ihnen z. T. jede Kenntnis und tiefere Einsicht fehlt. So werden, erfahrungsgemäß die hoffnungsvollsten Vorschläge, Ansätze und Initiativen mit dem Hinweis auf mangelnde Finanzen abgeschmettert: „Was kostet das?“ ist eine beliebte Killerfrage. Ein Wissen um das, was Gott offenbart hat, biblische Inhalte, die zum Glauben einladen, sind wenig bekannt. Ignoranz gegenüber der Heiligen Schrift legt sich wie Mehltau über die kirchliche Landschaft. Es fehlt „die Lust am Text und die Leidenschaft zum Wort“ (Bohren 1979:94). Gemeinden, die aufgrund fehlender Leidenschaft zum Wort eine mangelnde Schriftkenntnis haben, tragen zwangsläufig sektenhafte Züge. Nach dem dritten Abend eines Glaubensseminars sagte mir ein Presbyter, erschüttert und aufgebracht: „Sie haben mir heute meinen Glauben zerstört.“ Da war es an mir, erschüttert zu sein, war ich doch gekommen, zum Glauben zu rufen, Glauben zu stärken. Auf meine verzagte Rückfrage, wie er das meine, zählte er seine 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 338 Verdienste auf, die er sich in der Kirche erworben hatte, mit dem Hinweis, er habe fest geglaubt, dass ihm das mit der ewigen Seligkeit belohnt würde. Er war all die Jahre mit sich und seiner Selbsterlösung beschäftigt gewesen, einer aus dem Heer von engagierten Gemeindegliedern, die fleißig sind, vom rechtfertigenden Glauben aber nichts mehr wissen und sich in Selbstgerechtigkeit um sich selber drehen. „Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes“ (Mt 22,29). Viele Gemeindeglieder ohne Schriftkenntnis sind in kräftigen Irrtümern gefangen. Leben sie nicht aus der Schrift, dann leben sie aus anderen Quellen, die die Wahrheit nicht vermitteln. Niemand trägt die Wahrheit in sich. Sie liegt, wie unser Heil, außerhalb von uns. Die Wahrheit, die nach uns greift, um uns zu verändern, finden wir in der Heiligen Schrift. Wird die Schrift aber in der Gemeinde nicht gelesen, mag sie sich lutherisch, reformiert oder anders nennen, sie ist auf dem Wege, eine heidnische Kultgemeinschaft zu werden. Ein anderes Beispiel: Ein Presbyterium, das jahrelang versäumt, das Bibelstudium der ihm Anvertrauten zu fördern, gerät in Erregung. Junge Leute der Gemeinde hatten zum Glauben gefunden. Regelmäßig treffen sie sich nun zum Singen, Bibellesen und Gebet im evangelischen Gemeindehaus. Sie können es nicht lassen, ihre Glaubenserfahrungen den Freunden, Schulkameraden und eigenen Eltern zu bezeugen. Anstatt froh zu sein, werden die Presbyter nervös: „Wir dulden im Gemeindehaus keine Sektierer!“ - Hier wird die Kirche auf den Kopf gestellt. Die, die aus dem Wort leben, werden als Sektierer gebrandmarkt, währen diejenigen, die diese Quelle bislang eher gemieden haben, zu Hütern des Glaubens avancieren. Gemeindeglieder, die das Suchen in der Schrift für überflüssig halten, sind jene „U n m ü n d i g e n “ aus Epheser 4,14, die sich „von jedem Wind irgendeiner Lehre … bewegen und umhertreiben“ lassen. Wenn dann auch noch geistlich Unmündige eine Gemeinde leiten, haben wir die Situation von Mt 15,14, wo ein Blinder einen Blinden führt, und beide in eine Grube fallen. Die Presbyter handelten subjektiv gesehen „guten Glaubens“. Solche Verirrungen haben ihre Ursache darin, dass der Gemeinde ihre Berufung und Begabung nie verkündigt wurde. Die Heiligen wurden nie zum Dienst zugerüstet. 3.1.2. Abkehr von der Unterschlagung des Schönsten 339 Sie gelangten darum nicht zum „vollen Maß der Fülle Christi“ (Eph 4,13). Das volks- 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 339 kirchliche Pfarramt, das sich zu oft als Instrument der Glaubensbehinderung und Gabenvernichtung erweist, ist an seinen faulen Früchten zu erkennen (Lk 6,43). Der Pfarrer als Solist seiner Gemeinde ist nicht in der Lage, die Aufgabe der Zurüstung der Heiligen allein zu bewältigen. Nach Eph 4,11-12 ist diese fünf Gabenträgern zugewiesen, eine Zahl, die nicht gesetzlich zu verstehen ist. Lastet alles auf einem, werden der Glaube und die Gaben schwer beschädigt, mit ihnen die der Gemeinde anvertraute Sendung. Die Kirche der Reformation ist in dem Maße eine Kirche der „Korruption“, wie sie das Evangelium sich selber predigt und es, ihre Gaben vergrabend, der Welt weitgehend vorenthält. 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle Im Jahre 1959 hält Bohren, als Professor an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, ein Referat. Er zitiert Fragen und Voten von Theologiestudenten: „Ein Kreis von älteren Semestern bejaht den Dienst der Verkündigung voll und ganz, muss aber die Frage stellen: ‚Können wir in dieser Kirche noch Pfarrer sein?’ Sie formulieren radikal: ‚Nach unserer theologischen Erkenntnis erscheint uns das Beharren auf dem Amt des volkskirchlichen Pfarrers als Ungehorsam gegen den Auftrag des Herrn. Es kann heute nicht mehr um eine bloße Reinigung dieses Amtes von einer Reihe von Missständen gehen, sondern ehrlich um eine grundsätzliche Neubesinnung auf die Form der Verkündigung durch die ganze Gemeinde. Dabei ist allein nach dem Auftrag des Herrn und nicht nach den religiösen und moralischen Bedürfnissen von Gemeinde und Öffentlichkeit zu fragen’“ (Bohren 1959:29). Wahrscheinlich haben sich die damals so radikal Formulierenden gebeugt und sich den Irrtümern der übermächtigen Institution angepasst. Wie will man in unseren kirchlichen Verhältnissen dem „Ungehorsam gegen den Auftrag des Herrn“ entkommen? Die geschichtlich gewordene Gestalt der Gemeinden scheint sich als unveränderbar zu erweisen. Sie ist es nicht! Protest müsste von Gemeindegliedern kommen. Sie aber sind in der Regel geistlich unmündig geblieben und sich darum der Dramatik nicht bewusst. Ein gottwidriger Zustand wird als gottgegeben angesehen. Sie haben nie etwas anderes gesehen, und in der Bibel kennen sie sich oft nicht aus. Bohren spricht 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 340 von der „Kollektivsünde der Gemeinde, dass sie sich ein Bild macht vom Pfarrer ...“ (:29). Hat die Gemeinde Schuld? Ist ihr das Bild vom Pfarrer als Alleskönner nicht von den Kirchenleitungen vermittelt worden, auch bei den Einführungen und Ordinationen? Die Gemeinde hat ihre feste Vorstellung davon, wie ein Pfarrer zu sein hat, und wird aufgrund dieses Bildes - zu seiner Peinigerin. Der Betroffene ist der Geschundene und Missbrauchte. Aber anstatt zu protestieren oder gar zu streiken, gefällt er sich in der „herausragenden“ Rolle, in der man ihn sieht. „Lasst mich den Löwen auch noch spielen!“ lässt Shakespeare (1962:128) den ehrgeizigen Weber Zettel sagen, der sich in alle möglichen Rollen drängt. Dem sind Pastoren und Pastorinnen oft ähnlich. Sie möchten gern jede Rolle spielen, glauben darin zu dienen, aber es ist eher - ein heimliches Herrschen. Man will der große Meister sein. Ein rechter Meister ist, der nicht - sich verzettelnd - alles selber macht, sondern andere zum Zuge kommen lässt. Meister bilden Lehrlinge aus, damit d i e s e Gesellen und Meister werden. Dieses kluge Modell ist in unseren Gemeinden nicht angekommen. Als sei da der großer Verhinderer am Werk, so mutet es an. Die Eitelkeit des Pfarrers und die Trägheit der Gemeinde spielen unbewusst zusammen in einem bösen Spiel. „Lasst mich den Löwen auch noch spielen!“ „Braver Löwe!“ schmeichelt die Gemeinde, „tust alles, was eigentlich wir zu lernen und zu tun hätten.“ So tanzen sie, einander in ihrer Entfaltung gegenseitig schwer behindernd, den todbringenden Reigen in der geschlossenen Gesellschaft, die sich zu Unrecht „Gemeinde“ nennt. An der Schrift gemessen ist sie Gemeinde, wenn sie sich mit ihren Gliedern in die Sendung des Himmelreiches zur ewigen Rettung der Menschen stellt und niemand dem andern die Rolle stiehlt. Statt das Priestertum aller Gläubigen mit allen Kräften durchzusetzen, leiten wir unsere Gemeinden weiterhin nach dem hierarchischen Priesterbild. Der Solist ist überfordert und die Gemeinde dazu verurteilt, unter ihren Möglichkeiten dahinzudümpeln. Die als sendungsorientiertes Volk Gottes gedachte Gemeinde, die unter die Wölfe gesandten Schafe (Mt 10,16) gleichen „eher Mastgänsen, die sich stopfen lassen. Aber sehen wir zu: die Gemeinde, die in ihrer Kirchlichkeit und Tradition, in ihrer Frömmigkeit und ihrem Brauchtum sitzen bleibt, ist das Produkt einer falschen Predigt!“ (Bohren 1963:190). 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 341 Wir brauchen Leitbilder, die, sich an den apostolischen Hinweisen (Eph 4; Röm 12; 1. Kor 12-14) orientierend, der Missionssituation unserer Zeit entsprechen. „Die alten Leitbilder fahrenlassend, müssen wir nach dem fragen, was der Herr heute mit seiner Gemeinde will. Die Gemeinde gehört dem Heute und nicht der Welt von gestern.“ (Bohren 1959:31). Was die kirchliche Welt von Gestern betrifft, wird vom Pfarrer als vom „Korken in der Flasche“ gesprochen. Es ist der, „der die Gaben der Gemeindeglieder (wie ein Korken in der Flasche) eher blockiert als fördert. Der Pastor, der ebenso unter der Last und Fülle des Amtes seufzt, wie er es sich entschieden verbittet, wenn etwas daran geändert werden soll. Das ist in vielen, wenn auch nicht in allen Fällen der Pastor des 20. Jahrhunderts“ (Herbst 2001:36). - Die Apostolatstheologie sprach vom „morphologischen Fundamentalismus“, der sich der Kirche und ihrer Glieder bemächtigt habe. War die Kirche auf das Problem eines biblischen Fundamentalismus aufmerksam geworden, hat sie die Problematik eines „morphologischen Fundamentalismus“ geflissentlich übersehen. In der Studie „Mission als Strukturprinzip“ (Margull1965:128) hat der Ökumenische Rat der Kirchen das Phänomen erklärt: „Im weitesten Sinne kennzeichnet ‚morphologisch’ in Verbindung mit ‚Fundamentalismus’ eine schroffe und starre Haltung gegenüber der m o r p h e (Struktur, Form, Gestalt), die dem „Fundamentalismus“ hinsichtlich der Bibel ähnlich ist. Man setzt bewusst (oder noch häufiger unbewusst) voraus, dass die bestehenden gemeindlichen (und allgemein kirchlichen) F o r m e n ein für allemal festgesetzt sind; man lässt ihren historischen Charakter und damit ihre Wandelbarkeit außer Acht.“ Man mag die Verlautbarungen der Apostolatstheologie für „Schnee von gestern“ halten. In Wahrheit scheint bei uns die kirchliche Welt stehengeblieben zu sein. Der Schnee ist nicht geschmolzen, eher vergletschert. Unsere Gemeinden sind im morphologischen Fundamentalismus erstarrt, eine Erstarrung, die durch „Gottesdienste in moderner Form“ nicht zu überwinden ist. Hätten sich die Kirchen der Reformation von ihrem biblischen Sendungsauftrag her verstanden, sie hätten sich angesichts wandelnder Verhältnisse selber gewandelt, um der Ausbreitung des Evangeliums unter den Menschen willen. Die Herausforderung der Sendung erhält eine Gemeinde wach und flexibel. Dadurch, dass sich die Gemeinden dieser Herausforderung nicht 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 342 gestellt haben und in ihrer Kirchlichkeit sitzengeblieben sind, wurden sie starr, träge, harmlos. Ihnen fehlt die Auseinandersetzung, die missionarische Herauforderung. So haben wir eine introvertierte Mentalität entwickelt, die als höchstes Ziel die V e r s o r g u n g d e r G l ä u b i g e n anstrebt. Die nimmt den versorgenden Pfarrer derart in Anspruch, dass er zum Nachdenken über den Sinn und zur Wahrnehmung der weitgehenden Vergeblichkeit seiner Anstrengungen nicht kommt. Der Begriff „Versorgung“ stammt aus dem Kontext von Unmündigen und Schwerbehinderten. Gemeindeglieder sind, anstatt Subjekte gemeindlichen Handelns zu sein, Objekte kirchlicher Versorgung geworden. Der Apostel dagegen spricht von Königen und Priestern, wenn er an Gemeindeglieder denkt: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1. Petr 2,9; s. Offb 1,6!). Welch eine Dynamik wird der Pfarrerberuf gewinnen, wenn die Amtsträger werden, was das NT für sie vorgesehen hat, nicht Versorger von geistlich Unmündigen, sondern die Lehrer von Königen und Priestern. Man kann es nicht laut genug ausrufen: Die protestantischen Kirchen im deutschsprachigen Raum befinden sich in der Falle einer Gaben vernichtenden Pfarrerzentriertheit. Wir kennen nichts anderes, haben uns daran gewöhnt. Unbewusst, darum besonders wirksam, werden die Gemeindeglieder infolge des pfarrerzentrierten Systems in Unwissenheit über Gottes Wort gehalten. Ist Gemeinde Versorgungsanstalt, gehört es zur Tragik der in geistlicher Unmündigkeit Gehaltenen, dass ihnen der eigene Zustand verborgen bleibt. Das Volk wurde im Säuglingsalter in die Gefangenschaft der Kirche hineingetauft. Religions- und Konfirmandenunterricht hat die meisten auch nicht geistlich mündig gemacht. Inzwischen Erwachsen geworden sind viele ausgetreten, weil sie nie zu einem persönlichen Glauben an Christus gefunden haben. Andere haben in der „babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ Heimatgefühle entwickelt, sie lieben, was sie in geistlicher Unmündigkeit hält, klammern sich an ein System, das Christen weitgehend geistlich unterdrückt und verhindert, dass Menschen im Wirkungsradius der Gemeinde für das Gottesreich gewonnen werden. 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 343 Theologische Unmündigkeit zeigt sich darin, dass selbst Gebildete unter der Schriftwidrigkeit und dem Unsinn des kirchlichen Systems zwar dumpf leiden, es aber dennoch seltsam ergeben hinnehmen. Das unbiblische, pfarrerzentrierte System, das von den Reformatoren von Rom übernommen und nie überwunden wurde, wirkt sich verheerend aus. Was die katholische Kirche seit dem 2. Vatikanum und besonders aufgrund ihres Priestermangels in ihrer Praxis zu überwinden sucht1, wird durch die Kirchen der Reformation weiterhin gepflegt. Ich sehe drei Faktoren, die einer Änderung zum Positiven im Wege stehen: 1. Da s V e r h ä l t n i s v o n t h e o l o g i s c h e r T h e o r i e u n d P r a x i s wird zu wenig bedacht. Wir müssen „nach dem fragen, was der Herr heute mit seiner Gemeinde will“ lasen wir bei Bohren (1959:31). Hier verbirgt sich ein entscheidender Mangel. De facto setzen wir eine kirchliche Praxis ohne Theologie in Szene. Das gerade Vorhandene wird zum Maßstab der Theoriebildung erhoben, in dem man sich auf die Interessen und Bedürfnisse der Menschen beruft. „Das kirchliche Amt wird primär in seinem gesellschaftlichen Zusammenhang verstanden und unmittelbar von den Funktionen her begründet, die ihm aus der Gesellschaft zuwachsen … Gefragt wird weniger nach den Inhalten des Glaubens und mehr nach den Erwartungen und Interessen der Menschen, weniger nach Theologie und mehr nach den Ergebnissen der empirischen Wissenschaften“ (Greive 1975:8). Greive setzt sich mit der Auffassung auseinander, dass für die Frage nach der Theorie des kirchlichen Handelns theologische Antworten nicht mehr entscheidend sind. Er beobachtet, dass diese Auffassung „von Theologen vertreten wird, die unmittelbar in der kirchlichen Praxis stehen und dem ganzen Druck der Aufgaben ausgesetzt sind“ (:13). Verhindert der Druck der Aufgaben theologisches Fragen, dann eben auch das Finden von theologischen Antworten. Die Fülle der Aufgaben hemmt z. B. intensives Lesen und Forschen in der Schrift. Nach seiner feierlichen Einführung in das Gemeindepfarramt findet sich der Amtsträger, sofern er kein Funktionär sein möchte, in einer Falle wieder, die ihn mit zähen Fäden in eine gottwidrige Situation verstrickt. Er wird sie hinnehmen, an ihr wird er, sollte er geistliche Ziele haben, leiden, aber irgendwann wird er 1 Siehe: Zulehner, Lobinger, Neuner, (2003): „Leutepriester in lebendigen Gemeinden“. 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 344 sich im Sinne einer Pfarramtsautomatik arrangieren. Der Wille Gottes spielt in der Gemeindearbeit nur eine untergeordnete Rolle, kommt man doch schon vor lauter Geschäftigkeit nicht dazu, nach ihm zu fragen. Viele gehen davon aus, dass sie Gottes Willen schon kennen, als würde man darüber verfügen. Also wird nicht mehr gefragt, aufs Wort wird nicht gehört. Nimmt man es wahr, wird es selten im Gemeindealltag umgesetzt (Mt 13,19-23). Wir sind Meister im Verdrängen. Das geschieht „zum Teil unbewusst“ (Greive 1975:13). Auf Anfrage hat man zwar eine theologische Theorie parat, faktisch jedoch herrscht ein empirisches Denken, „das die Bedürfnisse der Menschen unkritisch zum Kriterium erhebt. Faktisch kommt es zu einer Suspension der theologischen Reflexion, was Pragmatismus zur Folge hat“ (ebd.). An Formalorthodoxie fehlt es nicht. Sofern der Pfarrer noch eine theologische Theorie für seinen Dienst vertritt, wird sie nicht praktisch. Das hat Konsequenzen für das Bewusstsein der Amtsinhaber. Greive sieht sie entweder einer „Sektenmentalität“ verfallen oder unter der Relevanzkrise des Glaubens leiden. Spürt aber der Pfarrer/die Pfarrerin die Bedeutungslosigkeit des eigenen Glaubens und Handelns, erhöht sich der seelische Druck. Dazu kommt die Krise der Predigt, in die uns eine exegetische Methode geführt hat, die mit geradezu fundamentalistischem Eifer betrieben wurde. „Blinder Eifer schadet nur“ sagt das Sprichwort. So ist e i n Ergebnis dieser Methode der Verlust der Gegenständlichkeit der Welt. „Indem sich die historisch-kritische Methode mit existentialer Interpretation korrigiert und also von der Historie abstrahiert, verliert sie mit dem Historischen die Leibhaftigkeit Jesu. Die Christologie bekommt einen doketischen Zug. Ein Sprachereignis ist schlecht zu betasten. Im Nicht-ernst- Nehmen der Geschichte erweist sich der Doketismus. Mit der Entgegenständlichkeit der Geschichte verliert man alsbald auch die Gegenständlichkeit der Welt“ (Bohren 1969:86-87). 2. Einer der Faktoren, mittels derer wir uns einer Änderung zum Positiven widersetzen, sind unsere V e r d r ä n g u n g s m e c h a n i s m e n . Der Psychotherapeut Dr. Eberhard Rieth machte mich in einem Gespräch darauf aufmerksam, dass es die infantilen Anteile einer Person sind, die sich gegen Selbsterkenntnis und Veränderung wehren. Für Kirchenleute bedeutet das: Es kommt aus Unreife zu frommen Tarnungen, zur Errichtung religiöser Fassaden, 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 345 hinter denen wir unsere Defizite verbergen. Dadurch schützen wir uns vor der Einsicht, Veränderung überhaupt nötig zu haben. In der Kirche wird über vieles geredet, was zu verbessern wäre. Wenn es jedoch darauf ankommt, weigert man sich, eindeutige Diagnosen zu stellen und sich auf Therapien einzulassen. Dr. Rieth erzählte, dass er mit Theologen über einen längeren Zeitraum über Möglichkeiten des missionarischen Gemeindeaufbaus gearbeitet habe. Das Resümee des Psychologen: „Sie wollen bewusst missionarischen Gemeindeaufbau und tun unbewusst alles, um ihn zu verhindern.“ Die Kategorie des Unbewussten spielt eine übermächtige Rolle. Unsere Pseudofrömmigkeit gaukelt uns vor, wir wüssten Bescheid und trügen relevanten Faktoren Rechnung. Den eigentlichen Schaden nehmen wir aber nicht wahr. Aus Wahrnehmungsverweigerung resultiert Wirklichkeitsverlust. Gemeindetheologen, die Gabenentdecker sein sollten, sind – ohne es zu merken - Gabenverhinderer. Sie, weithin in Selbstwertproblemen gefangen, klammern sich an ihr Amt, an die Kirchenordnung, und sind so für hilfreiche Veränderungen nicht zu haben. Darauf angesprochen – z. B. in Pfarrkonferenzen – reagieren sie aggressiv. Würden sie doch offen ihre Minderwertigkeitsgefühle benennen - das würde das Tor zur Freiheit öffnen. Weil sich die beamteten Pfarrer der Selbsterkenntnis in der Regel jedoch verweigern, bleibt alles, wie es ist. Die Amtsautorität gibt eine Pseudosicherheit. Der Talar dient zur äußeren Absicherung. Das Persönliche solle verschwinden, so wurde ich über die Wichtigkeit und Bedeutung des Talars aufgeklärt. Jesus will aber gerade an das Persönliche heran. Den pharisäischen Heuchlern hat er bedeutet, dass das Innere wichtig ist und nicht das Äußere (Mt 23,25). In der Gemeinde hat der Pastor nach wie vor eine gewisse Medizinmann- Funktion, ein magisch-ehrfürchtiges Image, wird er doch in den Schwellensituationen des Lebens gebraucht. Das möchte er sich erhalten. Dass er für das Leben der Menschen unbedeutend ist, nimmt er nicht wahr. Den Fluch der Pfarrerzentriertheit abzuschütteln, ist darum schwer, weil viele Amtsträger verbal zwar dagegen wettern, aber unbewusst alles tun, um sich ihre Rolle zu erhalten. Ein Sich-den-Realitäten-Stellen, eine ehrliche Diagnose, würde die Veränderung einleiten. Das NT und mit ihm den Vorrang des Sendungsauftrags zur Kenntnis zu 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 346 nehmen, sich an den ersten Artikel und dritten Artikel heranzuwagen, die Ausbildung ihrer Pfarrer ändern, ihr Amtsverständnis auf biblische Standards hin zu korrigieren, d. h. konsequent die Pfarrerzentriertheit zu überwinden ebenso das Sakramentsverständnis zu überprüfen, das oft die Medizinmannfunktion bedingt, sind die Aufgaben der Zukunft. 3. Der nächste Faktor, der eine Änderung zum Positiven verhindert, lehnt sich an den zweiten an. Er besteht in einem g e s t ö r t e n V e r h ä l t n i s z u m B e r e i c h d e s G e s c h ö p f l i c h - M e n s c h l i c h e n . So sehr sich unsere Gemeinden auch geistlich verstehen möchten, so bleibt doch auch im Leben eines Christen vieles natürlichen Abläufen und Gesetzmäßigkeiten unterworfen, mehr als wir gemeinhin ahnen. Zum Beispiel lassen sich Irritationen auf der Beziehungsebene kaum dadurch lösen, dass man versucht, sie nur betend zu bewältigen. Wir sollten mehr von den Gedanken des Schöpfers, insbesondere im Blick auf das eigene seelische Geschehen, verstehen lernen. Unser eigenes Gewordensein gilt es zu durchschauen. Über Ursachen des Gelingens oder Misslingens von Gruppenprozessen sollten wir Klarheit haben. Des Weiteren brauchen wir Kenntnisse über Fragen des Managements. Kurz, wir sind gut beraten, uns um Einsichten in unsere persönliche Natur, sowie in die natürlichen Gesetzmäßigkeiten überhaupt zu bemühen. Es gilt, verdeckten Selbstbetrug zu durchschauen und gleichzeitig Wissen über gottgewollte Persönlichkeitsentwicklungen und Gemeindestrukturen zu gewinnen. Das Problem besteht im Ausklammern des ersten Artikels. Dinge, die zum Bereich der Schöpfung gehören, werden nicht angeschaut. Schlatter sah hierin Nachwirkungen von Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Die Vernunft nicht leugnend, fragte der Königsberger, was sie leiste. „Die Wirklichkeit zeigt sich dem Menschen nicht so, wie sie an sich selber sein mag, sondern nur so, wie sie ihm aufgrund der besonderen Art seines Erkenntnisvermögens erscheint. Wir erfassen nicht die Dinge an sich, sondern nur die Dinge als Erscheinungen“ (Weischedel [1966]1998:185). Was ist aber, wenn die Dinge an sich unerforschlich bleiben, wir nur Erscheinungen sehen und deuten? Kant, der religiöse Gedanken für Dogmatismus erklärte, verfiel seinerseits einem eigenen Dogmatismus: „Aus dem Kritizismus entstand ein neues Dogma negativer Art“ (Schlatter 1923:121). 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 347 „Der gefährliche Punkt kam weder Kant noch seinen Zeitgenossen zum Bewusstsein. Geht uns nicht die Welt verloren? … Die Abstraktion ersetzt vollständig den Blick auf die Realität … Erscheinung hat immer etwas vom Schein an sich … Gab es denn überhaupt noch Wissenschaft, überhaupt noch ein Urteil, das Bejahung und Verneinung war? Wir kommen in einen permanenten Schwebezustand, stehen in einer radikalen und unüberwindlichen Ignoranz“ (:120). Von Ignoranz im Blick auf die Realitäten sind unsere Gemeinden samt ihren Amtsträgern betroffen. Wir begeben uns damit der Möglichkeit zu erkennen, wie das Evangelium Probleme löst: Es ist Gottes e r h e l l e n d e Güte, die zur Umkehr leitet! (Röm 2,4). Vor der Umkehr liegt das ungeliebte Hinschauen, das zur Einsicht in das Fehlverhalten führt. Diese Einsicht ist durch das Licht des Evangeliums zu gewinnen. Nach Römer 1,20 haben selbst Heiden keine Entschuldigung: „Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, w e n n m a n s i e w a h r n i m m t , so dass sie keine Entschuldigung haben.“ Wir hätten Heiden gegenüber den Vorteil, die Dinge ins Licht des Evangeliums zu stellen. Zu gern aber werden die kritischen Dinge fromm zugedeckt und dem Licht entzogen. Ein Bischof, auf Probleme seiner Kirche angesprochen, antwortet: "In meiner Bibel steht ‚Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig’.“ Da ist ein Hinsehen nicht mehr möglich, es wird „bibelfest“ für unnötig erklärt. Da fügt sich ein Erlebnis Bohrens (2003:26) ein: „Ich wollte einmal einen Pfarrer auf seine Predigten ansprechen, das Gespräch könnte ihm helfen zu besserer Predigt. Er sagte, dass er vor jeder Predigt viel bete und entzog sich auf diese Weise aller Kritik.“ Die Probleme werden fromm bemäntelt, mit unzutreffenden Bibelzitaten abgetan. Theologen, die, gegen die Schändung der Natur protestierend auf die Straße gehen, möchten die Schändungen derselben an sich selbst und durch sich selbst am liebsten übersehen. Diese zu erkennen, bereitet Unbehagen und nötigt zur eigenen Umkehr. Gegen andere zu demonstrieren ist leicht. Selber umzukehren ist schwer. Pseudoreligiöse Vorzeichen hindern uns daran, die Fehlentwicklungen der Gemeinde in den Blick zu bekommen. Anstatt die Realitäten zu sehen und aufzuarbeiten, werden sie leichter Hand mit „Vergebung“ zugedeckt, einer Vergebung, der keine Umkehr und kein Aufarbeiten folgt. 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 348 Vergebung statt Aufarbeitung? Das ist schlecht! Wir brauchen Einblicke in unsere Tricks, Gott unseren Vorstellungen von Gemeinde anzupassen, ihn für unsere Zwecke zu missbrauchen. Schlimm ist jenes Verharmlosen, das Probleme schön redet. Ein anderer Bischof, die Predigtkrise seiner Kirche ignorierend, sagte mir: „Solange in unserer Kirche das Evangelium gepredigt wird, habe ich um sie keine Sorge.“ Auf meinen Einwurf, dass es – wie alle Welt weiß - längst nicht mehr gepredigt werde, unsere Kirche doch vielmehr wegen ihrer Predigt in ihrer tiefen Krise sei, erfolgte nur ein „Ach, nicht doch!“ begleitet von einer Handbewegung, als wolle er eine lästige Fliege verjagen. Die Managementtheorie spricht hier von „Killergesten“. Der Bereich der kirchlichen Wirklichkeit wird nicht wahrgenommen. Man „gibt die Natur preis als unfähig, uns Gott zu bezeugen und macht dadurch, dass sie die Natur zur Gewissheit Gottes in einen Gegensatz bringt, den ganzen konkreten Inhalt des Lebens religiös wertlos“ (Schlatter 1923:128). Neben der Einsicht in die natürlichen Abläufe, Reaktionen, Verhaltensmuster unseres Inneren, neben der Kenntnis unserer eigenen Seele, brauchen wir vor allem Einsicht in das Wirken und Wollen des Heiligen Geistes, Kenntnis über den Zweck seiner Gaben, über das Wesen und den Auftrag der Gemeinde. Denn den Fluch der Pastorenzentriertheit endlich loszuwerden, ist d a s Gebot Gottes für unsere Kirche. Wenn Theologen endlich den Dienst der Zurüstung der Heiligen übernehmen, werden Kräfte und Gaben aus ihrem Schlaf erweckt und wirksam. Man wird es bald nicht mehr wagen, die „Heiligen“ „Laien“ zu nennen. Die Heiligen werden im Sinne biblischer Herzensbildung gelehrt, sie erfahren, was die Ältesten von Ephesus durch Paulus erfuhren: „Ich habe euch nichts vorenthalten, was nützlich ist, dass ich's euch nicht verkündigt und gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern“ (Apg 20,20). Die Gemeinde, die mit dem Anvertrauten in treuer Haushalterschaft umgeht, ist für die Begegnung mit ihren Zeitgenossen vorbereitet. Als solche drängt es sie zu den Menschen. Sie geht in die verwundete und verlorene Welt, die unter ihrem eigenen Dach und zugleich vor ihrer Haustür beginnt. „Denn die Liebe Christi drängt uns“ Ó gr ‡gpj to Cristo sun™cei Óm‚v (2. Kor 5,14). 3.1.3. Abkehr von der Gaben vernichtenden Pfarrerfalle 349 sun™cei ist mehr als ein Drängen, es heißt auch zusammenhalten, aufrechterhalten, in Ord- 3.1.4. Charismen haben Entfaltungsbedingungen 350 nung halten, festhalten, gefangen halten, auch quälen, sun™comai tini bedeutet ganz hingenommen werden von etwas (Bauer 19715:1562). Die Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen (Röm 5,5). Sie setzt in Bewegung. Von ihr lässt sich die mündige Gemeinde leiten in ihrem Denken und Reden, in ihrem Beten und Tun. 3.1.4. Charismen haben Entfaltungsbedingungen Charismen – so sahen wir (1.2.3.) - haben En t fa l tungsbed ingungen! Zu ihnen gehört zum einen, dass sie b e t ä t i g t werden müssen. Wenn die Glieder an einem Leib nicht nach ihrer spezifischen Beschaffenheit gebraucht werden, verkümmern sie. Ein Kranker, der seine Beine lange nicht betätigt hat, muss das Laufen wieder lernen. Das nicht Betätigen eines Gliedes beeinträchtigt es nicht nur schwer, es schwächt den gesamten Leib. Charismen brauchen, um sich betätigen zu können, einer ihrer Verschiedenheit entsprechende Zurüstung, Einübung und Ausübung im angemessenen Betätigungsfeld. Zum anderen: Charismen sind aufe inander angewiesen . Sie sind es, weil die Missionsaufgabe einer Gemeinde nicht von Einzelgängern, sondern nur in der Gemeinschaft und im Zusammenspiel aller Gaben recht ausgeführt werden kann. Die Wirkung von isoliert eingesetzten Gaben verpufft größtenteils, eben weil sie nicht mit den anderen in der Sendung Hand in Hand gehen. Eph 4,15-16 spricht davon, dass am Christusleib „ein Glied am andern hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft ...“ Die Gemeinde unter dem Vorzeichen der Sendung ist mit einem Mannschaftssport vergleichbar, wo alle aufeinander angewiesen sind und die Uneigennützlichkeit eines Spielers mehr einbringt als die isolierte Einzelleistung. Jedes Charisma ist auf das Zusammenspiel mit allen anderen angelegt und angewiesen. Es gedeiht, wenn es in einem Netz von Kommunikation, Gespräch und Interaktion verwoben ist. Das Charisma braucht die Berührung mit den anderen, die Bestätigung und die Begrenzung durch die vielen. Da geht es um gegenseitige Hilfestellung, um ein Zuarbeiten und Ergänzen, Er-mutigen und Korrigieren als positv-kritische Begleitung. Das Charisma bedarf der Arbeits- und Lebensgemeinschaft. Charismen spielen zusammen wie die Organe und Glieder an einem Leib. Sie arbeiten zusammen in einer geistlich-geistigen Gütergemeinschaft. Der 3.1.4. Charismen haben Entfaltungsbedingungen 351 gegenseitige Austausch erlöst das isolierte Charisma aus seiner Einzelhaft, macht es zum wichtigen Teil im Ganzen und begrenzt es zugleich. Machen wie es an einem Beispiel fest: Jemand ist mit dem apostolischen Charisma begabt und möchte mit seiner Kraft und seinem Ideenreichtum eine Gemeinde gründen. Der Evangelist tritt ihm mit Begeisterung an die Seite. Der Prophet aber ruft: „Halt!“ Er ist ein Prüfer, er hinterfragt, bohrt in die Tiefe: „Was treibt euch eigentlich? Ist es wirklich der Hl Geist oder ein – unheiliger Geist? Ist hier nicht auch Seelisches beteiligt? Geht es euch nur um ein spannendes Spiel, das ihr für euch und durch das ihr gewinnen wollt oder um einen Einsatz für den ihr in Gottes Namen eurer Leben opfern würdet?“ Der Seelsorger versucht beides miteinander zu verbinden, die Begeisterung des Apostels und Evangelisten mit der schroffen Mahnung des Propheten. Seine Frage lautet: Wie werden wir beiden gerecht? Müssen der Apostel und Evangelist wirklich alles Seelische ausmerzen? Gehört die Psyche nicht auch dazu? Beide Teile sehen doch etwas Göttliches.“ Der Lehrer denkt anders: „Wie lässt sich das Vorhaben pädagogisch vermitteln? Wie können viele in den Lernprozess einbezogen werden?“ Alle fünf bewegen sich für den Kybernetiker noch im Bereich der Theorie. Dieser als Steuermann, als Manager ist von einem Einzigen bewegt: „Wie sind die Gedanken und Vorhaben am besten in die Praxis umzusetzen? „Umsetzung“ –lautet das Hauptwort des von Gott begabten Managers. Seine Gabe ist wie alle anderen Charismen eine Gottesgabe. Der Manager aber braucht bei der Umsetzung der Pläne wiederum den Apostel, Evangelisten, den Propheten, Seelsorger und Lehrer. Sodann: Charismen, in der Verschiedenheit ihrer Aufgaben, sind darauf angelegt, gemeinsam in die e i n e R i c h t u n g zu streben, die der Sendungsbefehl vorgibt. Sie sind damit zugleich auf die E i n h e i t der Gemeinde angewiesen. Alle Charismen stehen unter dem sie einenden Vorzeichen der Sendung Christi, für die sie vom Geber aller Gaben gegeben. Was bedeutet z. B. die Gabe des Evangelisten, wenn sie sich nicht mit der des Seelsorger, des Lehrers, des Kybernetikers verbindet? Ohne diese Gaben hilft der Evangelist, dem eine spirituelle Geburtshelfertätigkeit zusprechen ist, zwar „geistliche Säuglinge“ zur Welt zu bringen. Diese werden jedoch unterentwickelt bleiben, wenn sie nicht bekommen, was sie zur geistlichen Reife führt „zum vollen Maß der Fülle 3.1.4. Charismen haben Entfaltungsbedingungen 352 Christi“ (Eph 4,13). Das kann der Evangelist schwerlich leisten, dazu hat der Geist andre Gaben gegeben. Nur aufgrund des sendungsorientierten Zusammenwirkens aller Charismen können Christen „wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus“ (Eph 4,15). Werden sie durch andere Charismen ernährt, großgezogen, dann werden sie reifen und ihrerseits Frucht bringen. Andernfalls werden sie geistlich verkrüppelt sterben. Mir steht ein beeindruckendes evangelistisches Werk vor Augen, die Billy Graham Association. Man mag von Grahams Verkündigung denken, was man will: Er hat aus seinem Charisma nur im Zusammenspiel mit vielen anderen das größt Mögliche herausgeholt, was denkbar ist. Weil sich andere Geistbegabte mit ihm verbunden haben, Seelsorger und Lehrer, sodann Kybernetiker, d. h. Steuermänner, organisatorisch begabte Managerinnen und Manager (1. Kor 12,28 kubernÐseiv) und die vielen praktisch begabten Helferinnen und Helfer, ist ein Werk entstanden, das seinesgleichen in der christlichen Welt sucht. Ähnliches ist von der Willow-Creek-Gemeinde bei Chicago zu sagen. Hier ziehen die unterschiedlichsten Charismen an e i n e m Strang, sie wollen, gemäß dem Sendungsbefehl, Nichtchristen zu Missionaren machen. Da will sich offenbar kein einziges Charisma verselbständigen, keines sich auf Kosten der anderen verwirklichen. Sie haben sich alle einbinden lassen in dasselbe Joch des Herrn, der nur eine einzige Richtung kennt: um Gottes willen Verlorene retten! Gerade dadurch kommt es zur Verwirklichung der einzelnen Gaben. Das gehört zum Geheimnis der Gemeinde. In u ser n n sind eher die Einzelkämpfer am Werk, deren Wirkung unter ihren Möglichkeiten bleibt, weil sie gern ihr eigenes Imperium errichten wollen. Der eine zieht in Richtung Liturgie, will da seine Interessen durchsetzen. Der andere ist evangelistisch bestimmt und tritt in Konkurrenz mit dem Chorleiter. Einem liegt das Seelsorgliche, dem anderen das Organisatorische am Herzen. Sie hassen sich fast, so unterschiedlich empfinden sie sich gepolt. Es lebt aber doch der Leib von der Verschiedenheit seiner Glieder. Dass sie gerade in ihrer Vielfalt zusammengehören und in eine, von Christus bestimmte Richtung zu ziehen haben, ist vielen unserer begabten Gemeindeglieder nie klar geworden. Sie verhalten sich wie ein Gespann, in dem jedes Pferd in eine andere Richtung 3.1.5. Viele Charismen – e i n Ziel 353 strebt. So ist der Vielspänner, bei einem Maximum an Bewegung, zum Stillstand verurteil, wenn er nicht gar durch den Konkurrenzkampf zerrissen wird. Alles geschieht zum Schaden derer, die für das Gottesreich gewonnen werden sollten, es nun aber nicht werden. Die Gemeinde ist ja nicht zu ihnen hin unterwegs, hat es dagegen nur mit sich selbst, ihren internen Interessen und oft auch ihren Spannungen zu tun. Vom Geist Begabte missbrauchen so ihr Charisma für selbstsüchtige Zwecke. Andere vergraben es. Wieder andere werden durch die Gemeindeleitung massiv daran gehindert, ihre Gabe zu gebrauchen. Kennt die Gemeinde aber ihre Berufung, weiß sie, wozu sie begabt und herausgefordert ist, dann werden die vielfältigen Charismen in der Beachtung ihrer Entfaltungsbedingungen gedeihen und Frucht bringen. 3.1.5. Viele Charismen – e i n Ziel Alles hängt daran, Kirche von ihrer Sendung als ihrem Vorzeichen her zu begreifen. Wie die aufgehende Sonne eine Landschaft verändert, so verändert das Vorzeichen der Sendung das Bild der Gemeinde. Sie erscheint in einem neuen Licht. Die tatsächliche Gestalt der Gemeinde verändert sich, wenn sie anfängt, konkrete Schritte des Gehorsams im Sinne ihres Herrn, im Blick auf ihre Sendung zu tun. - Wie aber findet die Gemeinde dazu, ihre Sendung zu verwirklichen? Vor allem braucht sie die Predigt, die ihr verkündigt, wer sie ist und was sie werden kann: Gemeinschaft der Heiligen (tòn ƒg°wn, Eph 4,12), reich beschenkt mit Gaben für die Sendung. Sie braucht die Predigt des dritten Glaubensartikels, der allerdings, ohne in den ersten beiden gegründet zu sein, in der Luft hängt. Gemeinden, die sich in dürftiger Verfassung wähnen, bergen in Wahrheit oft Goldadern an Begabungen. Sie gleichen einem Land, das über große Bodenschätze verfügt, aber in Armut lebt, weil die Schätze nicht gehoben werden. So ist auch jedes Glied in unseren Gemeinden ein „Goldstück“, eine Kostbarkeit in Gottes Augen, vom Geist begabt (Eph 4,1; 1.Petr 4,10). Wir sind nicht nur „teuer erkauft“ (1.Kor 6,20) und darum wertvoll. Wir sind zugleich für den Dreieinigen als Zeugen seiner Gnade wichtig. Aber die Gemeinde weiß oft nicht, dass sie dazu gesandt und dafür mit Gaben beschenkt ist. Es wird ihr oft nicht verkündigt und für die Mehrzahl ihrer Charismen gibt es in der geistvergessenen Gemeinde keine Verwendung. So sterben die Christen fruchtlos, 3.1.5. Viele Charismen – e i n Ziel 354 ohne „zum vollen Maß der Fülle Christi“ (Eph 4,13) gefunden zu haben, und ihre Gaben wandern ungenutzt mit ihnen ins Grab. Der Gemeinde dagegen, die mit ihrem Gabenreichtum wirksam wird, kommt für die Sendung eine Schlüsselrolle zu. Steht alles Tun und Reden Gottes unter dem Vorzeichen seiner missio, dann haben auch die Gaben, die er schenkt, das e i n e Ziel: Sie sind als Instrumente der Sendung gegeben, als Hilfsmittel zur Rettung der Menschen. Liebelt (2000:179-180) hat darauf hingewiesen, dass Charisma semantisch mit Charis verbunden ist – und noch mehr als das: „Der Charismabegriff steht in einem unmittelbaren theologischen Bezug zum Heilshandeln Gottes. Charisma signifiziert das göttliche Heilshandeln im Blick auf das Heil und das Wohl der Menschen ... Dieses Charismaverständnis liegt sämtlichen ntl. Charisma-Stellen zugrunde, so dass prinzipiell von einer einheitlichen soteriologischen Grundbedeutung des Charisma-Begriffs bei Paulus gesprochen werden muss.“ Wie alle Charismen des historischen Jesus im Dienste seines Heilshandelns an der Welt standen, so stehen die Charismen der Gemeindeglieder im Dienst der Sendung. Käsemann stellt die rhetorische Frage, ob die Christen, die Glieder des Christusleibes auch alle Charismatiker sind. „Die Frage stellen, heißt, sie zu bejahen. Das folgt schon aus der Definition von Charisma als Konkretion und Individuation der Gnade oder des Geistes, da ja jeder Christ an Gnade und Geist Anteil hat, weiter aus der Beschreibung des Christusleibes, welche diesen aus lauter Charismen und Charismatikern gebildet sein lässt. In ihm gibt es keine passive Mitgliedschaft“ (Käsemann [1960] 1970:117). „Jedem einzelnen von uns aber ist die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi gegeben worden“ (Eph 4,7). D. h. alle sind begabt und werden gebraucht! Nichts achtet und stärkt ein bisher übersehenes Gemeindeglied mehr, als wenn man ihm bedeutet, dass es gebraucht wird und man ihm dann auch Gelegenheit bietet, sich über die eigene Gabe klar zu werden und sie in die Gemeinde einzubringen. D i e b e s o n d e r e V e r a n t w o r t u n g d e s g e i s t l i c h e n A m t e s b e s t e h t d a r i n , E n t d e c k e r u n d E n t w i c k l e r d e r G a b e n d e r G e m e i n d e z u s e i n ! Amtsträger sollen nicht nur predigen, sie sollen Prediger hervorbringen. Gaben wollen entfaltet und eingesetzt werden. Der Geber 3.1.5. Viele Charismen – e i n Ziel 355 der Gaben hat ihre Vervielfältigung befohlen (Lk 19,11-26). Alle Amtsträger gehen dem Tag entgegen, an dem ihnen gesagt wird: „Gib Rechenschaft über deine Verwaltung! - tÒv o¸konom°av sou“ (Lk 16,2). Wer zum Glauben gekommen ist, ist es nicht nur für sich und seine eigene ewige Seligkeit. Er ist es, damit auch andere etwas von seinem Glauben haben, das Christuszeugnis nämlich in Wort und Tat. Den mit ihren Charismen ausgestatteten Gemeindegliedern ist zu predigen, dass ihre Gaben nicht nur ihnen zu ihrer Freude gegeben sind. Sie gehören um des Dienstes willen der sendungsorientierten Gemeinde. Existieren die einzelnen Glieder des Leibes nicht für sich selbst, sondern dienen dem Ganzen und das Ganze dem einen Ziel, so schöpfen sie gerade dadurch die eigenen Möglichkeiten aus. Gleichzeitig beschränken sie sich auf das ihnen gegebene Maß, bleiben in den ihnen gesetzten Grenzen. Wo sich in der Gemeinde Glieder mit ihrer Gabe verselbständigen oder eine herrschende Rolle einnehmen, wie in der Pastorenzentriertheit üblich, existieren sie gegen den Leib und wirken zerstörerisch. Ein übergroßes Auge, Ohr oder Bein ist ein Krankheitssymptom, unter dem der Leib leidet. Dominiert e i n Gemeindeglied den Gemeindeleib, kann sich der über die Möglichkeiten und Grenzen dieses einen hinaus nicht entwickeln. Der Leib wird durch die Dominanz des einen schwer behindert. Unsere Gemeinden leiden unter einer ekklesiogenen Elephantiasis, (Elephantiasis = eine Lymphkrankheit, welche die Beine eines Betroffenen zu einer Größe anschwellen lässt, dass sie Elefantenbeinen ähneln). Der Leib wird unbeweglich, denn die Übergröße eines Gliedes lähmt die übrigen Glieder. Diesem Bild entspricht die pfarrerzentrierte Gemeinde. Die Pfarrer als Solisten, die die Gemeinde in ihrer Entwicklung behindern, sind nur scheinbar die besonders und allseits Begabten. Sie werden für etwas gehalten, was sie nicht sind. In vielen der ihnen übertragenen Aufgaben sind sie Laien. Es ist „das Ideal und die Schablone des stets und überall sachverständigen Pastors und Theologen“ zu zerbrechen (Käsemann [1960]1970:120). Das Theologiestudium allein macht den seelsorglich Unbegabten nicht zum guten Seelsorger und den zur Predigt Unbegabten nicht zum guten Prediger. Den pädagogisch Untalentierten macht es nicht zu einem guten Lehrer. Es macht aus dem zur Leitung Untauglichen nicht einen guten Gemeindeleiter. In den Bänken 3.1.5. Viele Charismen – e i n Ziel 356 aber sitzen in der Regel Männer und Frauen, denen das Charisma der Seelsorge, der Predigt, der Lehre oder Leitung gegeben ist. Eine Gemeinde, die ich erlebt habe, hatte einen Pfarrer ohne Predigtgabe. Dafür war er ein guter Seelsorger. Und nun das Irrationale: In der Gemeinde gab es predigtbegabte Christen, einen Ingenieur, einen Steuerberater, zwei Lehrer. Die k o n n t e n predigen, aber durften nicht, der Pfarrer konnte n i c h t , aber musste. Und keiner lacht! Oder, was näher läge, keiner weint. Man lacht und weint nicht, weil niemand den Irrsinn merkt. Darum geschieht auch nichts. Man lässt die Dinge laufen ungeachtet der Folgen, die der Missstand für die Menschen, vor allem auch für die Jugendlichen der Gemeinde mit sich bringt. Was müsste geschehen? Zunächst müssten die mit der Gabe der Predigt gefördert und für den Dienst der Verkündigung befähigt werden. Danach sind sie zu berufen und zu ordinieren. Zurüstung der Begabten zum – auch und gerade - ehrenamtlichen Dienst ist die hohe Aufgabe und Verantwortung des Trägers des geistlichen Amtes. Wo dieser die Zurüstung nicht leisten kann, hat er nach Predigtlehrern unter der ihm bekannten Pfarrerschaft Ausschau zu halten und diese zu bitten, Predigtkurse durchzuführen. Daran können sich predigtbegabte Männer und Frauen aus anderen Gemeinden beteiligen. Der Amtsträger darf sich der Differenzierung des einen Amtes in vielfäl t ige Dienste nicht entziehen. Das derzeitige Amt ist zum Schaden vieler von seiner entscheidenden Aufgabe weit abgerückt. Nicht zuletzt zeigt hier eine verfehlte Theologenausbildung ihre Resultate. Nach ihr ist der Pfarrer nach wie vor die Hauptperson in der Gemeinde. Er soll alles sein und will es oft auch. An der Rolle, die er im Gottesdienst spielt, ist das Elend exemplarisch zu verdeutlichen. Um in Begriffen der Theaterbranche zu sprechen: Er ist Regisseur und Hauptdarsteller zugleich. Die Gemeindeglieder als Komparsen dürfen singen. Ansonsten bilden sie lediglich die Kulisse für den Hauptdarsteller. Wem diese Skurrilität einmal aufgegangen ist, kann nur den Kopf schütteln, wenn er sieht, wie sich der Pfarrer eine Stunde lang vor den Augen seiner Gemeinde abrackert, oft bis er schwitzt, und die schweigende Mehrheit sitzt da und schaut zu. „Dass der Verbi Divini Minister überhaupt beinahe als einziges aktives Glied im Gemeindegottesdienst auftritt, ist auf alle Fälle eine 3.1.5. Viele Charismen – e i n Ziel 357 schreckliche Verzerrung dessen, was das N.T. hier meint“ (Schweizer 1946:80). Das wurde vor 60 Jahren geschrieben, geändert aber hat sich nichts. Im NT finden sich wenige Angaben über die Gottesdienste in den Anfängen der Christenheit. Die einzige direkte Beschreibung, die wir haben, vermittelt uns das Bild eines Gottesdienstes voller Lebendigkeit durch die Beteiligung vieler: „Wie ist es denn nun, liebe Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung!“ (1.Kor 14,26). Nicht nur dem einen Amtsträger, d e r G e m e i n d e i s t i m G o t t e s d i e n s t d a s W o r t z u g e b e n ! Schon v o r der Predigt könnte die Gemeinde im Gottesdienst berichten: Freude oder Leid, was hat die vergangene Woche an Erfahrungen im Glauben gebracht, an Hinweisen auf den lebendigen Gott? Gab es Ermutigendes, gab es Bedrückendes? Hat jemand ein besonderes Gebetanliegen? „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6,2). Wie soll das gehen, wenn wir uns am gottesdienstlichen Ort nichts mitteilen können? Selbstverständlich sollte sein, dass die Gemeinde auch n a c h der Predigt das Wort ergreift. Sie gibt Echo auf das Gehörte, ergänzt, fragt. Da wird der Gottesdienst zeitlich zwar etwas länger als bisher. Der Begriff „Langeweile“ aber wird sich mit ihm nicht mehr verbinden. Die Erfahrung zeigt, dass solche Versammlungen besonders auch Jugendliche und Kinder faszinieren und inspirieren. So wenig jedem Pfarrer, der Theologie studiert hat, die Gabe der Predigt gegeben ist, genauso wenig verfügen Pfarrer aufgrund ihres Studiums über die Gabe der Leitung. Pfarrer ohne die Leitungsgabe sind hilflos, was die Führung der Gemeinde betrifft. Das ist ihnen nicht anzulasten. Niemand kann dafür, wenn er eine Gabe nicht hat. Die Schuld des Amtsträgers liegt i. d. R. in seiner Eitelkeit, die ihn daran hindert, sich nach zur Leitung fähigen Gemeindegliedern umzuschauen und mit ihnen zu kooperieren. So machen die zur Leitung Unbegabten verheerende Führungsfehler. Gemeinden drehen sich im Kreis, weil sie nicht zielführend geleitet werden. Wem das Leitungscharisma nicht gegeben ist, der muss bereit sein, sich von dazu Begabten beraten und helfen zu lassen und sich selber weiterzubilden. Oft verhindert die Angst des Amtsinhabers, sein Image könnte Schaden leiden, das Erblühen einer Gemeinde und damit den Segen, zu 3.1.5. Viele Charismen – e i n Ziel 358 dem sie bestimmt ist. Unsere Amtsträger machen lieber alles selbst und – weil sie nicht für alles begabt sein können – zu vieles davon denkbar schlecht. Die Gemeinde kommt mit ihren Gaben nicht zum Zuge. Bestbegabte Gemeindeglieder welken im Schatten des vermeintlichen Alleskönners dahin, eine Tragödie, die oft niemand bemerkt. Wir haben der üblichen Pfarrerrolle entschlossen abzusagen. Dazu gehören der Mut und die Demut die eigenen Defizite zu sehen. Es ist nicht schlimm, als Pfarrer eine wichtige Gabe nicht zu haben. Schlimm ist, daraus keine konstruktiven Schlussfolgerungen zu ziehen und nach denen zu schauen, die die Lücke schließen können. Wir haben uns davon abzukehren, dass eine einzige Person die vielen entscheidenden Dienste in Verkennung biblischer Grundsätze und bar jeder Vernunft allein auszuüben versucht. Ist die Gemeinde Stadt auf dem Berge, dann sollen a l l e Lichter zum Lobe Gottes leuchten, nicht nur das des Pfarrers oder der Pfarrerin. „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,14). Man beachte den Plural! Es sind nicht nur Pfarrer versucht, sich mit ihrer amtlichen Sonderstellung, unentbehrlich zu machen und Macht auszuüben. Paulus unterbricht denn auch seinen Gedankengang über die Charismen in dem er allen Gemeindegliedern schreibt: „Und ich will euch einen noch besseren Weg zeigen“ (1. Kor 12,31). Die höchsten Gaben werden fragwürdig, wenn sie sich nicht als Dienstgaben im Kontext der Liebe verstehen. Die Versuchung, statt in Liebe zu dienen, heimlich zu herrschen, befällt fast alle, besonders die besonders Begabten: „Indem der Geist den einzelnen begabt und indem der einzelne ein endliches Wesen und ein Sünder ist, neigt der Geistbegabte dazu, seine Gabe absolut zu setzen und damit den eigenen Horizont zu kanonisieren, ihn zum Gesetz für alle Horizonte zu machen. Jeder Charismatiker hat darum eine gewisse Neigung zum Papsttum. Fast möchte man sagen: Jedes Charisma bekommt sehr leicht etwas Päpstliches. Es tendiert auf Unfehlbarkeit und will möglichst keine Bischöfe neben sich haben … So liegt in dieser Tendenz zur Absolutsetzung des Charismas ein Verrat am Charisma selbst und die Gefährdung des Charismatikers …“ (Bohren 1975:80). 3.1.6. Ein Ensemble predigt 359 Weil ein Einzelner nicht alle Gaben besitzen, geschweige denn betätigen kann, warnt Paulus vor Selbstüberschätzung: „Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat“ (Röm 12,3). Gemeindeleiter sind bei uns jedoch in die Rolle gedrängt, mehr von sich zu halten, als sich’s gebührt. Ihnen sind fast alle pastoralen Dienste zugewiesen, als wäre einer alle Glieder in einer Person. Entweder werden in Zukunft die Lasten auf alle Glieder der Gemeinde verteilt oder wir schleppen uns weiter als lahme Kirche dahin. 3.1.6. Ein Ensemble predigt Schniewind ([1937]1988:18) hat festgestellt, dass alle Charismen W o r t c h a r i s m e n sind: „Alle Gaben des Geistes aber sind Gaben des Wortes: sie zielen nur darauf, dass das Wort Gottes in ganz bestimmte Lebenslagen hinein gesagt werden kann und in ihnen zur Verwirklichung gelangt.“ Sind alle Geistesgaben „Gaben des Wortes“, so sind die Begabten zunächst durch das Wort für ihre Aufgaben tüchtig zu machen. Dazu kommt die Vorbildfunktion der Leitungspersonen. Paulus legt Wert auf Nachahmung guter Vorbilder (1. Kor 4,16: mimjta°). Wir haben gesehen: Nach den Charismenlisten von Röm 12; 1. Kor 12 und Eph 4 wird die Gemeinde, durch ein E n s e m b l e v o n g e i s t l i c h e n F ü h r u n g s p e r s o n e n gelehrt, geführt, zugerüstet „zum Werk des Dienstes.“ So lesen wir es auch in 1. Tim 5,17: „Die Ältesten, die der Gemeinde gut vorstehen, die halte man zwiefacher Ehre wert, besonders, die sich mühen im Wort und in der Lehre“. Hier müht sich in der Gemeinde nicht einer allein! Es sind mehrere. Die G r u p p e d e r V e r k ü n d i g e r ermöglicht eine konstruktive Pluralität, (im Gegensatz zum destruktiven Pluralismus). Einseitiger Lehre ist zu wehren. Einseitige Ernährung macht krank. Ein Organismus braucht gesunde Mischkost. Verschiedene Organe und Glieder benötigen für ihre jeweiligen Aufgaben unterschiedliche Aufbaustoffe, so auch die Gemeinde als Leib. Käsemann stellt fest: „Nach 1. Kor. 12,20 gibt es kein Privileg eines einzelnen Charismatikers gegenüber dem Christusleibe. Es gibt auch nicht das Privileg offizieller Verkündigung nur durch jeweils einen einzigen Beauftragten. Für die paulinische Gemeinde ist die Vielfalt der charismatischen Verkündigung 3.1.6. Ein Ensemble predigt 360 konstitutiv, wobei alle in verschiedener Weise, untereinander abgestuft und gegeneinander abgegrenzt, das Gotteswort tragen und die Gemeinde erbauen“ (Käsemann [1960] 1970:124). Ein V e r k ü n d i g u n g s t e a m wäre ein wichtiger Schritt nach vorn. Das ist der Gemeinde in der Ökumene nicht fremd. Schweizer (1946:136) berichtet: „Sehr schön hat das die Gemeinde in Neuguinea verstanden … Da kommen die Verantwortlichen zusammen, beraten, was der Gemeinde zu hören not ist, suchen gemeinsam den biblischen Text und geben erst, wenn die Hauptgedanken der Predigt festgelegt sind, einem unter ihnen den Auftrag zur Verkündigung. Ähnliches geschieht aber auch in der Schweiz, in Neßlau und anderswo.“ Wir sagten, dass die Aufgabe der Amtsträger darin besteht, G a b e n e n t d e c k e r zu werden. Das bedeutet in der Praxis: Einen weitsichtigen Prediger und seine Presbyter bewegt die Frage: „Wo sind die unentdeckten Prediger in der Gemeinde? Welchen Gemeindegliedern ist die Gabe der Verkündigung gegeben?“ Solche Fragen wurden bereits vor uns bewegt. Der Tübinger Stadtpfarrer und Theologieprofessor Karl Fezer berichtete 1925 sogar von Predigtkandidaten, „die den Übergang von der wissenschaftlichen zur praktischen Theologie, namentlich den zur Predigt, als einen Bruch empfanden, so dass die Frage stets neu für sie wach wurde, ob nicht ein frommer, lebenserfahrener Laienchrist für die Predigtaufgabe tauglicher sei als ein wissenschaftlich ausgebildeter Theologe“ (:V). Um die Gaben herauszufinden, muss man die Menschen kennen. Da ist der Amtsträger auf seine Mitverantwortlichen angewiesen. Sind geeignete Gemeindeglieder gefunden, gilt es, sie zum Mitmachen zu gewinnen. Sind sie gewonnen, folgt die Zurüstung zum Predigdienst. Das muss der einzige Prediger der Gemeinde nicht allein bewerkstelligen. Er könnte z. B. einen geeigneten Kollegen aus der Umgebung zu einem homiletischen Seminar einladen. Ein guter Hauskreisleiter ist von der Frage bewegt: „Welche Gemeindeglieder sind von ihrer Gabe her potentielle Hauskreisleiter?“ Gleiches gilt für Seelsorger, Gabenkoordinatoren (Kybernetiker) usw. Konsequent ist nach den s p e z i f i s c h e n C h a r i s m e n aller Glieder zu suchen und zu fragen. Auch für die Pfarrer und Presbyter wäre das nachzuholen, sind sie sich doch über ihre eigene Gabe oft auch nicht im Klaren. Die unterschiedlichen Charismen wollen 3.1.6. Ein Ensemble predigt 361 sorgfältig beachtet sein. Jeder und jede soll der Aufgabe zugeordnet werden, die seiner oder ihrer Gabe entspricht. Es bedarf der gründlichen Vorbereitung auf den Dienst am Wort. Nicht alles, aber manches geschieht durch „learning by doing“. Die zur Predigt Begabten sind durch den Theologen, sofern dieser sich aufs Predigen versteht, an den Verkündigungsdienst heranzuführen, z. B. durch eine gemeinsame Predigtwerkstatt. Verschiedene Landeskirchen bieten eine Lektoren- bzw. Prädikantenausbildung an, die auf ehrenamtliche Prediger und Predigerinnen abzielt. Darf überhaupt jemand, der kein Theologiestudium abgeschlossen hat, auf regelmäßiger Basis zum Predigtamt zugelassen werden? – Dazu ist zu sagen: Die Predigtkrise unserer Kirche ist eine T h e o l o g e n k r i s e . Theologen sind es, denen die Predigt von der Rechtfertigung nicht gelingt. Sie sind es, deren Predigten die Menschen meiden. Das wirft Fragen nach dem Theologiestudium und der Predigtgabe der Hauptamtlichen auf, nicht vorderhand nach der Qualifikation von Gemeindegliedern mit dem Charisma der Predigt. Wie schlecht die Predigten überlasteter Theologen zwangsläufig sind, wie inflationär die „Kirche des Wortes“ das Wort in unserer Zeit verbraucht, ist schmerzhaft evident und in Predigtmanuskripten aktenkundig. Hören wir auch in diesem Zusammenhang den Praktischen Theologen aus Heidelberg: „Wir haben in Heidelberg jahrelang uns mit der Predigtanalyse beschäftigt, haben versucht, den Prediger beim Wort zu nehmen; nicht so sehr darauf zu hören, was er sagen will, sondern was er wirklich sagt. Das Ergebnis der Lektüre unzähliger Predigten: das Evange l ium wird in der heu t igen evange l i s chen Pred ig t in der Rege l ve r schwiegen . Man möchte es sagen, bringt es aber nicht zur Welt. Und da stellt sich die Frage, was das für ein Gebilde sei: eine Kirche ohne Evangelium? Darüber wird in unseren Kreisen kaum nachgedacht“ (Bohren 1983:344; Hervorhebung KE). Wenn man das Evangelium sagen möchte, aber nicht zur Welt bringt, liegt das nicht einfach an der Unfähigkeit derer, die zu predigen haben. Oft liegt es am Zeitmangel und auch an der mangelnden Kraft. Sie müssen beständig geben und finden oft nicht dazu, selber zu empfangen. Mir sind Pfarrer im Amt begegnet, die z.B. zum Lesen eines theologischen oder sonst erbauenden Buches seit Jahren nicht mehr gekommen waren. Sie zeigten sich geistig und geistlich ausgelaugt. 3.1.6. Ein Ensemble predigt 362 Wenn da die Last, predigen zu müssen, auf mehreren Schultern läge, könnte für Pfarrer und Gemeinde eine völlig neue Situation entstehen. Solche erforderlichen Änderungen kirchenleitend und synodal umzusetzen, kann so schwer nicht sein. Unsere Predigt hat sich zu Schleiermachers „Kunstpredigt“ hin entwickelt, die ein Einzelner nicht zu leisten vermag: „Die erbauende Wirksamkeit im christlichen Kultus beruht überwiegend auf der Mitteilung des zum Gedanken gewordenen frommen Selbstbewusstseins und es kann eine Theorie darüber nur geben, sofern diese Mitteilung als Kunst angesehen werden kann … K u n s t in gewissem Sinne muss in jeder zusammenhängenden Folge von Gedanken sein … Da Kultus in das Gebiet der Kunst fällt und aus Kunstelementen zusammengesetzt ist: so ist die Theorie des Kultus im allgemeinen die religiöse Kunstlehre“ (Schleiermacher [19103] 1961: 108; Hervorhebung im Original). Sonntag für Sonntag eine Predigt vorzubereiten, die ein Kunstwerk darstellt, ist für einen einzelnen Prediger im Zeitalter der Massenmedien und der zu verkraftenden Informationsfülle nicht zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist Rössler Recht zu geben, wenn er es für eine kaum erträgliche Belastung hält, wenn „in jeder Predigt, Sonntag für Sonntag ... der Prediger das Höchste und Letzte, die Offenbarung, das Heilsgeschehen präsentieren“ soll. Immer stehe alles auf dem Spiel (1966:21), (siehe oben 1.1.2.). Solange der Prediger oder die Predigerin den Dienst der Verkündigung allein zu bewältigen hat, können wir mit herzbewegenden und –verändernden Predigten kaum rechnen, ist doch die Zeit, die ihnen in der Woche zur Verfügung steht mit zu vielen Aufgaben angefüllt. Wie soll da nebenbei noch eine vollmächtige Predigt entstehen. Unser System lässt vollmächtige Predigten nicht zu, denn zu ihrer Entstehung bedarf es der qualifizierten Stille, des anhaltenden Gebets, der gründlichen Exegese, viel Zeit für das Nachdenken und die Meditation, sodass etwas vom Inneren des Predigers oder der Predigerin in die Verkündigung einfließen kann. Eine flink zusammengeschusterte Predigt hat selten positive, zumeist negative Wirkung. Wir stellen die E n s e m b l e p r e d i g t des Neuen Testaments dagegen. Sie darf auch ein Kunstwerk sein, aber eines, das seine geistliche Kraft aus dem Empfangen, aus dem Gebet, aus der Stille schöpft und das gottgewollte Ziel im Auge hat. Zu solcher Vorbereitung braucht es eben viel Zeit. Nach Lk 16,8 sind 3.1.6. Ein Ensemble predigt 363 die „Kinder dieser Welt klüger als die Kinder des Lichts.“ So schreibt uns Reiner Kunze (1981:55), der Dichter, von seinen Verlegern und Lesern bedrängt, folgendes ins Stammbuch: SCHREIBTISCH AM FENSTER, UND ES SCHNEIT Vögel sichern länger als sie Futter aufnehmen Und wieder verharre ich reglos Euren Tadel dass ich Zeit vergeude weise ich zurück Stille häuft sich an um mich, die Erde fürs gedicht Im frühling werden wir Verse haben und vögel Es ist, als wolle Kunze sagen: „Wartet ab, was die Stille, die ich mir nehme, bewirkt.“ Auch Predigten, die des Hörens wert sind, werden in der Stille geboren. Wir sagten, dass ein Theologiestudium aus einem für die Predigt Unbegabten nicht einen guten Prediger macht. Hoffentlich aber macht es einen guten Theologen! Auf gute Theologen können wir keinesfalls verzichten. Im Gegenteil, sie werden in ihrer neuen Rolle als Lehrer der Heiligen Schrift, die sie doch in der Ursprache kennen, und als Gabenentdecker und Ausbilder wichtiger denn je. „Der Unterschied zwischen Theologen und Nichttheologen ist ... für das Amt nicht wesentlich. Ob der Amtsträger ein Theologe im Sinne einer akademischen Ausbildung ist und die anderen Gemeindeglieder Nichttheologen, ist kein Unterschied von letzter Wichtigkeit. Es ist förderlich und selbstverständlich dringend erwünscht, dass die Amtsträger ausgebildete Theologen sind. Doch das ist keine notwendige Bedingung für die Führung des Amtes. Es könnte einmal sein, dass die Kirche keine ausgebildeten Theologen mehr hätte; deshalb braucht sie nicht auf Träger des Amtes zu verzichten, solange sie gläubige und in der Heilswirklichkeit Gottes erfahrene Gemeindeglieder hat“ (Sommerlath 1954:21). Wir haben sie oft noch nicht, aber brauchen sie dringend - Theologen für die Aus- und Weiterbildung der Partner im Predigtamt, für die Zurüstung von 3.1.6. Ein Ensemble predigt 364 Dienstgruppenleitern und anderen ehrenamtlichen Amtsträgern in der Gemeinde. Wann werden die Studenten und Vikare endlich dazu ausgebildet? Nach seiner Ausbildung wird das Verkündigungsteam öffentlich berufen. Die gewonnenen und geschulten ehrenamtlichen Predigerinnen und Prediger, sowie der hauptamtliche Theologe oder die Theologin, haben zur Vorbereitung der Predigt nun 4 – 5 Wochen Zeit! Wenn diese Zeit nicht verspielt, sondern für die Predigt genutzt wird, welch einen Unterschied zu heutigen Predigten wird die Gemeinde erfahren! In allem geht es um eine geistlich notwenige Maßnahme, also um mehr als nur um eine strukturelle Veränderung. Bohren sagte Teilnehmern des Generalkonvents der pommerschen Kirche: „Wenn die Statistiker weissagen und Ihre Kirche zum Aussterben verurteilen, müssen Sie sich für das Predigen besser vorbereiten und früher damit anfangen. Verstehen Sie das nicht vordergründig: Entdecken wir uns als im Gericht des Kommenden stehend, dürfen wir uns nicht mit Korrekturen begnügen. Ein bisschen besser machen nützt da nichts. Im Gericht gibt es nur eine Rettung: Umkehr zu den Wurzeln, zu deutsch: ‚radikal!’. Die Theologie muss zur Gemeinde umkehren, und die Prediger müssen zur Theologie umkehren. Das ist ein Muss höherer Ordnung. Wo ich Predigern und Predigerinnen begegne, die Frucht bringen, ist dies auch ein Resultat fleißigen Studiums und geistlicher Übung. Früher mit der Predigtvorbereitung anfangen, meint etwas Spirituelles, etwas, das wir nur im Miteinander erfahren …“ (Bohren 2005:1). Welch eine Chance für die Gemeinde, endlich Predigten solcher Art zu hören! Da ist weit Besseres zu erwarten, als Hauptamtliche zuwege bringen, die nur 4 – 5 Stunden zur Vorbereitung erübrigen können. Eine Predigt will nicht nur gut vorbereitet, sie will verinnerlicht sein, damit sie nicht nur aus Büchern, sondern aus dem Wort ins Herz und aus dem Herzen zur Gemeinde kommt. Es sei daran erinnert, dass die Predigt ein Kampfgeschehen darstellt, das der Konzentration aller geistlichen Kräfte bedarf. Zur Predigt brauchen wir Liebe zum Wort, Liebe zur Gemeinde und – noch einmal - viel Zeit. „Wir müssen uns das Evangelium einverleiben, es trinken wie Kinder die Milch, sonst können wir es nicht predigen und mit unserem Leben und Sterben bezeugen“ (:5). Das Evangelium einverleiben ergibt in der Regel eine gute Predigt. Die Gemeinde freut sich. Sie kommt gern, will das Gute keinesfalls versäumen. So etwas wie eine Körpersprache der Gemeinde regt sich da im Gottesdienst, froh gespannte Erwartung ist in den 3.1.6. Ein Ensemble predigt 365 Gesichtern zu lesen. Die Freude der Gemeinde über die Predigt, das positive Echo, hat für die Predigenden eine beflügelnde Wirkung. Predigen wird ihnen zur Lust, ist nicht mehr - wie vorher oft - eine Qual. Bisher wird denen, die predigen, nicht viel Zeit gegönnt. Nicht zuletzt darum sind ihre Predigten schlecht. Unter dem Zeitmangel der Pfarrer, die oft die Prioritäten nicht richtig setzen, leidet ihre Liebe zum Wort und zur Gemeinde. Die Gesandtschaft des Höchsten ist gelähmt, die Stadt auf dem Berge liegt im Nebel. Diese Notlage ruft nach Lösungen, nach der Überwindung der unseligen Pfarrerzentriertheit, nach dem Verwirklichen des allgemeinen Priestertums. Die Lösungen müssen nicht erfunden, nur wiedergefunden werden. Auch Eichholz warnt vor dem E i n m a n n s y s t e m : „Dass ein einzelner die Fülle der Charismen in sich vereinigt, ist nach 1. Kor. 12 nicht denkbar. Dass von jedem sozusagen alles verlangt wird, ist eine Überforderung. Das Einmannsystem zerbricht in 1. Kor. 12 an der angebotenen Fülle der Charismen, an dem umfassenden (alle Christen umfassenden) Ruf zum Dienst, der hier herausspringt ... Die Grundfrage dürfte sein, ob wir 1. Kor. 12 a l s A n g e b o t gehört haben: ob wir schlechterdings alles im Zeichen des Dienstes zu sehen anfangen und uns selbst in das Ganze der Gemeinde einfügen können (Eichholz 1959:22). Das sind klare Sätze, vor vielen Jahren gesprochen. Zu solchen Erkenntnissen kommen Verkündiger, die Leser der Schrift sind. Wieviel von der aus der Schrift gewonnenen Klarheit allerdings gewagt wird, wenn es angesichts der verfahrenen Gemeindesituation zur Umsetzung kommen müsste, erhellen die dürftigen Anmerkungen zur Praxis. Eichholz fragt: „ob unsere Verkündigung zum vielfältigen Zeugendienst Mut macht: zu Zeichen des Glaubens und der Liebe? Wir brauchen solche Zeichen ... untereinander nicht so groß zu schreiben, wir sollen es nicht einmal. Aber das Entscheidende kann sich in kleinen, unscheinbaren Dingen verbergen: in einem guten Wort, das einer dem anderen sagt ...“ (:23). Da hatte ein Berg gekreißt und - eine Maus geboren. Statt eine durchgreifende Reform zu fordern, eine Erneuerung an Haupt und Gliedern, versandet der große biblische Entwurf „in einem guten Wort, das einer dem anderen sagt“. Einmal mehr zeigt sich die Macht mentaler Modelle. Offensichtlich gehört zum 3.1.6. Ein Ensemble predigt 366 Gemeindeverständnis der Schrift neben dem Lesen derselben auch die Anschauung. Wer einmal Gemeinde auf dem Feld der Ökumene gesehen hat, die nach biblischem Beispiel durch eine Gruppe charismatisch Begabter gelehrt und geleitet wird, erkennt eher, dass w i r uns auf einem Holzweg befinden. Er erkennt aber auch eher, welche Schritte zu wagen, welche Wege zu gehen sind, die zu vollmächtiger Gemeinde führen. Dort regiert neben Wort und Geist eine große Portion an gesundem Hausverstand, was kein Gegensatz ist. Das Pleroma des Geistes drängt auf Mündigkeit und Betätigung aller Gemeindeglieder im Gottesdienst. Schlatter (1956:388) erinnert daran, dass die gottesdienstliche Versammlung in Korinth „Raum für Gespräche“ hatte. „Fragen werden in der Gemeinde gestellt und von den Lehrenden beantwortet.“ Müller (1996:182) weist daraufhin, dass das Gespräch die Urform der Predigt ist. Die Kanzelrede aber lässt den Gesprächscharakter vermissen und erscheint als „Kanzelmonolog“. Müller fragt: „Ist sie aus diesem Grunde vielleicht obsolet geworden, eine nur historisch zu begründende Sonderform der Verkündigung?“ (ebd.). Schleiermacher ([1910]1961:§284-285) bezeichnet die Predigt, wie sie in der Form der Kanzelrede begegnet, als etwas Zufälliges: „So sehr es auch dem Geist der evangelischen Kirche gemäß ist, die religiöse Rede als den eigentlichen Kern des Kultus anzusehen: so ist doch die gegenwärtig unter uns herrschende Form derselben, wie wir sie eigentlich durch den Ausdruck P r e d i g t bezeichnen, in dieser Bestimmtheit nur etwas Zufälliges. Da die Disziplin, welche wir Homiletik nennen, gewöhnlich diese Form als feststehend voraussetzt, und alle Regeln hauptsächlich auf diese bezieht: so wäre es besser, diese Beschränktheit fahren zu lassen, und den Gegenstand auf eine allgemeinere und freiere Weise zu behandeln.“ Drängt das Pleroma des Geistes auf Mündigkeit und Betätigung aller Gemeindeglieder im Gottesdienst, dann gehört dazu, dass sie dort auch zu Worte kommen. Im Geist gemäßen Gottesdienst geben die Glieder Antwort, fügen nach der Predigt zum dargelegten Reichtum hinzu, was sie zu bezeugen haben. Dabei geht es nicht um eine Predigtnachbesprechung, sondern um eine Fortsetzung der Predigt. So ist es offensichtlich anfangs gewesen: „Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung“ (1. Kor 14,26). Solch ein Beitrag kann auch - 3.1.6. Ein Ensemble predigt 367 die Predigt für einen Moment unterbrechend - zwischendurch gegeben werden. Auf diese Weise wird der gemeinschaftsstiftende Charakter der Evangeliumsverkündigung erfahren. Man muss das erlebt haben, um zu wissen, wie lebendig es wird. Da schaut niemand mehr auf die Uhr und sehnt das Ende der Veranstaltung herbei. Im Gegenteil, man möchte nach Beendigung des Gottesdienstes am liebsten noch weitermachen. Reimer (2004:171) gibt das Votum eines jungen Gemeindegliedes wieder, dass in seiner Gemeinde solche Gottesdienste erlebt: „Früher hielt ich kaum eine Stunde Gottesdienst aus. Ich dachte ans Mittagessen, an den Ausflug, an manches andere, heute komme ich erst gar nicht dazu. Es ist einfach zu spannend, wenn Gott im Gottesdienst wirkt.“ Der Gottesdienst, von dem hier die Rede ist, hat zunächst einen „freien Teil“, der an das korinthische Gottesdienstmodell erinnert: „Ein wesentlicher Teil des Gottesdienstes wird dem freien Wirken des Geistes überlassen. So entstehen Räume, in denen man prophetisch reden wie auch missionarisch motivieren kann. Auch kann hier Evangelisation und Seelsorge stattfinden. In einem ‚typischen’ Sonntagsgottesdienst in meiner Gemeinde nimmt solch ein ‚freier’ Teil etwa eine Stunde Zeit in Anspruch. Alle Gemeindeglieder werden ermutigt, aus ihren Erfahrungen mit Gott zu berichten. Menschen gehen nach vorne, die über ihre ersten Erfahrungen mit den Gaben des Geistes berichten. Andere erzählen von ihrer Not. Wieder andere wollen den Willen Gottes für ihr Leben erkennen. Im Austausch wird berichtet, füreinander gebetet und Worte Gottes gehört. Gewirkt vom Heiligen Geist entsteht eine Atmosphäre des Lernens, wie man sie sonst nur unter Kindern in Familien erleben kann“ (:172). 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 368 Landeskirchliche Gemeinden sollten von solchen freikirchlichen Erfahrungen lernen. Man wird die Dinge nicht von heute auf morgen ändern. In einem steifen lutherischen Gottesdienst sollte man damit beginnen, statt auf die Kanzel zu steigen „von unten“ zu predigen. Während der Predigt sollten relevante Fragen an die Gemeinde gerichtet werden, den Leuten Gelegenheit gegeben zu antworten. Das jagt die Steifheit fort. Das ist zu wiederholen, zur Gewohnheit werden zu lassen und weiterzuentwickeln. Die Weiterentwicklung könnte auf den oben beschriebenen „freien Teil“ vor der Predigt hinauslaufen. Das alles setzt geeignete Predigträume voraus. (Für Kathedralen gebrauche man tragbare Mikrophone). Zwingli bezieht sich, vom charisma prophetikon kommend, auf 1. Kor 14,26: „Wir sehen hier deutlich, dass das Wort Gottes ursprünglich ganz anders als heute übermittelt wurde; denn nicht nur die Propheten der Reihe nach, sondern auch die einfachen Leute auf der Bank durften in der Kirche das Wort sprechen, das ihnen der Geist eingegeben hatte. Wäre dieser Modus nie untergegangen, dann hätten niemals so viele Irrtümer in der Kirche aufkommen können … Allmählich kam es dahin, dass das, was der ärgste Schwätzer auf der Kanzel, der doch für den Propheten bestimmten Stätte, von sich gab, für eine Gottesstimme gehalten wurde …“ (Zwingli zitiert in Kraus 1986:9-10). Wir, die wir diesen Modus nicht mehr kennen, wären geneigt zu sagen, dass der Gottesdienst mit seiner Verkündigung verflache, wenn andere, als die dazu Ausgebildeten, zu Worte kämen. Das Gegenteil ist richtig. Der Heilige Geist ist ein Geist des Pleromas, der Fülle. Er äußert sich gern in den vielen, die genauso wie die, denen das Predigtamt obliegt, den Geist und seine Gaben empfangen haben. 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert Die Gemeinde, die sich mit allen Gaben und Kräften auf ihre Sendung konzentriert, engt sich dadurch nicht etwa ein. Im Gegenteil, sie erweitert ihre Existenz und Wirkung. Die Konzentration der Gaben und Kräfte auf e i n e n Punkt lässt Vielfalt erst voll wirksam werden. Die Bescheidung, die sich auf die Sendungsaufgabe beschränkt, erlangt eine Wirkung in die Tiefe, die erst recht Weite ermöglicht, ohne dass es zur Verflachung kommt. Wer sich aber im Vielerlei von tatsächlichen oder eingebildeten Wichtigkeiten verliert, dem geht das Wesentliche verloren. Das Geheimnis des Erblühens der Gaben liegt in einer 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 369 g e h e i l i g t e n E i n s e i t i g k e i t , in ihrer Konzentration auf die Sendung. Weil die Lupe viele Strahlen der Sonne auf einen Punkt konzentriert, ist sie in der Lage, ein Feuer zu entfachen, einen Flächenbrand. Würden sich die Kirchen der Reformation von ihrer Sendung her verstanden haben, hätten sie alle Kräfte und Gaben für diese mobilisiert. Für einen Kampf, der Menschenleben rettet, fasst jedes Volk, jede Gemeinschaft, jede Gruppe, z.B. das Rote Kreuz, alle Energie, auch alle Ressourcen zusammen und konzentriert sie auf diesen einen dramatischen Punkt. Weil die Kirche ihren Auftrag jedoch verlor, zerstreut sie ihre ohnehin kleine Kraft in viele Richtungen. Ihre Dynamik verpufft weitgehend wirkungslos. Die verschiedenartigen Gaben bedürfen einer ihrer Verschiedenheit entsprechende Z u r ü s t u n g . Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer etc. verkündigen und lehren zwar das gleiche Evangelium. Sie verkündigen und lehren es aber, ihrem jeweiligen Charisma gemäß, verschieden. Das heißt, einer predigt oder lehrt apostolisch, ein anderer prophetisch usw. Üben sie zudem Leitung aus, ist auch diese ihrem besonderem Charisma gemäß. Das Beispiel eines Lehrbetriebs kann helfen, zu verstehen: Da lehrt eine Gruppe von fachlich unterschiedlichen Meistern und Gesellen die Lehrlinge. Diese sollen ihren Fähigkeiten entsprechend ausgebildet werden. Kein Meister, kein Geselle allein wird jedoch jedem Auszubildenden gerecht. Der Fachmann an der Maschine inspiriert besonders die, die sich für Maschinen interessieren, der Werkzeugmacher weckt das Interesse der dafür Begabten, der Fachmann für Konstruktionszeichnungen jene, die dafür Talent besitzen. Jeder bekommt zwar von jedem etwas mit. Die Begabung, Maschinen zu konstruieren aber wird vornehmlich durch den Maschinenkonstrukteur geweckt und ausgebildet. Verglichen mit einem Lehrbetrieb, sieht es in der Kirche so aus: Da beschäftigt der große Betrieb nur e i n e n Meister. Der hat für die Ausbildung aller zu sorgen, aber - er bildet nicht aus, macht alles selbst und die Auszubildenden schauen frustriert zu. Der kirchliche „Betriebsleiter“ ist seelsorglich kompetent. Er fühlt sich aber für alle anderen Bereiche auch noch zuständig, obwohl er davon wenig versteht. Die Auszubildenden bleiben unausgebildet. Gottgegebene Talente werden abgewürgt. Den Begabten geschieht 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 370 schweres Unrecht. Der Verlust für die Gemeinde und die von ihr zu erreichende Menschen liegt auf der Hand. Gemeindeglieder brauchen differenzierte Zurüstung, eine den unterschiedlichen Begabungen entsprechende Unterweisung. Dazu werden „Gesellen“ gebraucht, mündige Mitarbeiter. Darum heißt es: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende“ (Mt 9, 38). Eine spezifische Gabe braucht die ihr entsprechende, spezifische Aufgabe. Die Gaben wollen c h a r i s m e n s p e z i f i s c h entfaltet und betätigt sein. Sie brauchen Freisetzung aus den Fesseln kirchlicher Ignoranz und Struktur. Das macht sie fähig für ihr Zusammenspiel. „Ein mit Instrumenten reich besetztes Orchester wird hier sichtbar“ schreibt Eichholz (1959:13). Das ist ein schönes Gemeindebild, das aber zu wenig aussagt. Zunächst ist evident: Die Geiger haben ihre Fertigkeit nicht bei einem Pianisten erworben, sondern beim Geigenlehrer. Flötisten wurden, was sie sind, nicht durch einen Schlagzeuger, sondern durch einen Meister im Flötenspiel. „Vorgesehen ist das Miteinander und Füreinander: die Einheit des Ganzen. Vorgesehen ist der Zusammenklang der Instrumente, kein Solistentum ...“ (ebd.). Wir fragen: Zusammenklang w o z u ? Das Orchester „Gemeinde“ spielt zur Ehre Gottes für Menschen. Sein Bestreben geht allerdings über den Zusammenklang der Instrumente hinaus. Es ist ein Zusammenspiel, das darauf aus ist, die Hörenden zu gewinnen (1. Kor 9,20-22), im Orchester des Reiches Gottes mitzuspielen. Das Orchester „Gemeinde“ ist auf weit mehr angelegt als auf ein gelungenes Miteinander. Das Zusammenspiel dient dem Zweck der Rettung von Menschen. Darum sprechen wir vom sendungsorientierten Zusammenspiel (3.3.7.). Eine Gemeindepraxis, die sich darin erschöpft, kommunikativ zu sein, geht an ihrem Ziel vorbei. Im NT finden sich unterschiedliche Charismenlisten. In der von 1. Kor 12, 28- 31 fehlen die Evangelisten und Hirten von Eph 4,11, dafür werden Wundertäter, dann Gaben, gesund zu machen, zu helfen, zu leiten (Kybernetik, Management, Koordination, V. 28) genannt und mancherlei Zungenrede. In Römer 12, 6-8 finden sich die Gaben des Ermahnens, des Gebens, der Barmherzigkeit. Die Unterschiedlichkeit der Listen bewahrt davor, diese gesetzlich als abgeschlossen zu betrachten. Sie sind offen. „Der Spiritus ist ein C r e a t o r Spiritus. S c h ö p f e r l i c h ruft Gott Gaben auf, schenkt Gott Fähigkeiten, weist den 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 371 Menschen Funktionen zu“ (Eichholz 1959:13). Neue Zeiten bringen neue Herausforderungen, diese verlangen nach neuen Gaben, die der Geist gibt. Die Charismenlisten legen Zeugnis davon ab, dass das NT weit davon entfernt ist, irgendeiner Uniformität das Wort zu reden. Es geht aber darum, dass Verschiedene eins werden, ein Leib, ohne dass sie aufhören, sich als Glieder zu unterscheiden. „Die Pluriformität der Kirche ist für ihre Funktion lebenswichtig. Die Vielfalt ihrer Glieder, Gruppen und Begabungen gibt ihr den Charakter der Durchlässigkeit zu dem sie umgebenden Kosmos und macht deutlich, was es um den in seinem irdischen Regnum präsenten Christus … ist. Er bemächtigt sich jedes Standes, aller vorhandenen Fähigkeiten und Schwächen seiner Glieder und benutzt die verschiedenen Ausprägungen seiner Nachfolge, um die Welt zeichenhaft zu durchdringen, statt sich von ihr zu isolieren … Gerade aus dieser Perspektive heraus ist die Rede vom Christusleib die ekklesiologische Formel geworden, mit welcher sich die hellenistische Christenheit zur Weltmission anschickte“ (Käsemann 1974:323-324). Unter den Charismen bzw. Charismenträger, die wir aufgelistet finden, wählen wir exemplarisch die fünf aus dem Epheserbrief. Dazu ist ein Blick auf den Zusammenhang unerlässlich, woraus erhellt, wozu sie eingesetzt sind: „Der hinabgefahren ist, das ist derselbe, der aufgefahren ist über alle Himmel, damit er alles erfülle. Und er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi, damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus …“ (Eph 4,10-15). Schon in Eph 1,10 ist die Gemeinde mit der Absicht Gottes gesehen „dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist.“ Schlier ([1957]1968:65) betont, dass alle Welt in Christus ihr Haupt hat und als ihm unterworfene Welt geeint und aufgerichtet, d. h. auf ihn ausgerichtet wird. In der Gemeinde, als seinem Leib, ist das bereits bekannt und anerkannt. Das 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 372 Hauptsein Christi kommt in der Gemeinde, seinem Leib, zur Auswirkung. „In seinem Leib heißt aber immer auch: durch seinen Leib, sofern Christus nun durch die Kirche das ihm unterworfene und unterstehende All in sich einbezieht oder sich unterworfen hält“ (ebd.). Die Gemeinde, die vor Grundlegung der Welt erwählt ist (Eph 1,4), spielt im Heilsplan Gottes mit der Welt eine Schlüsselrolle. Der erhöhte Christus gab „die Träger unterschiedlich zugeteilter Gnade, der Zurüstung der Heiligen wegen in den Dienst, um den Leib, seinen Leib, die Kirche, aufzubauen … Doch solche Erbauung des Leibes Christi durch seine Gnadenwalter ist nicht das letzte Ziel, das Christus im Sinn hat. Die Erbauung der Ki rche i s t n icht Se lbs tzweck. Sie geschieht v ie lmehr um des Al ls wi l len“ (Schlier [1957] 1968:202-203, Hervorhebung KE). Das Ziel, die mündige Gemeinde (4,14), weist also über sich hinaus. „Die Erbauung der Kirche ist immer auch die Erbauung des Alls und umgekehrt“ (:206). Das geschieht in zweifacher Weise: „Einmal so – und das betrifft die Menschen und die ihnen anvertraute Welt -, dass sie in seinem Leib in das Pleroma hineingezogen werden und nun als in seinem Pleroma wiederum andere hineinziehen. Zweitens aber so – und das betrifft die ‚Mächte’ -, dass sie in der Ohnmacht ihrer Bindung durch Christus gehalten werden und ihm unterworfen bleiben bis zu ihrer Vernichtung, 1. Kor 15,24ff.“ (:206-207). Der Dienst der Gabenträger ist in einem weit größeren Zusammenhang als den des Gemeindeaufbaus zur Verlebendigung der Kirche zu sehen. Ihr Dienst und der Aufbau der Gemeinde hat kosmische, heilsgeschichtliche Bedeutung. Damit ist keiner ecclesia triumphans auf Erden das Wort geredet, und doch ist es wichtig, dass die Gemeinde weiß, wer sie ist und welche Würde ihr durch ihre Berufung für diese Welt durch Gott zuteil wurde. Durch die von Christus in den Dienst genommenen Gabenträger und ihre Aufgabe, die Heiligen zum Dienst zu befähigen, hat die Gemeinde vom NT her gesehen den Status einer biblisch-theologischen Ausbildungsstätte. Die Gemeinde ist Gottes theologische Fakultät, eine geistliche Lehrwerkstatt im Sinne der Jüngerschaft Jesu. Es geht dabei nicht allein um die eine Sageweise, die Predigt im Gottesdienst. Sie allein kann die notwenige Zurüstung nicht leisten. Alle anderen Weisen der Vermittlung von Kompetenz, Fachwissen und Fähigkeiten, 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 373 die Lehre in einem Gemeindeseminar zum Thema „Persönliches Bibellesen mit Gewinn?“, der Lektorenkursus auf Kirchenkreisebene, das persönliche Lehrgespräch, die Schulung der Jungscharleiter und Kindergottesdiensthelfer, das Erarbeiten hilfreicher Literatur, die Predigtwerkstatt, das alles ist hier mitgedacht. Die Heiligen sollen auf vielfältige Weise zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dass man den Gemeinden die theologische und praktische Zurüstung ihrer Glieder zum Dienste bisher oft vorenthalten und außerhalb von ihr angesiedelt hat, ist nicht als Fortschritt zu werten. Die unterschiedlichen Charismen können inhaltlich gesehen nicht mit Sicherheit scharf umrissen dargestellt werden. Jede Neigung zu einer mechanischen Unterscheidung ist hier aufzugeben. Hat jeder Charismenträger auch sein besonderes Charisma, so hat er doch zusätzlich von der einen oder anderen Gabe etwas abbekommen. Dennoch lässt sich aufgrund der Gesamtheit der Schriften mehr als ein ungefähres Bild erstellen. Dazu kommen heutige Erfahrungen besonders aus den jungen Gemeinden der Ökumene, die uns dazu verhelfen, die ntl Hinweise besser zu verstehen. Es heben sich die Charismenträger also nicht lupenrein voneinander ab. Ein apostolisch begabter Gemeindeleiter hat meistens auch etwas vom Lehrer oder Propheten und umgekehrt. Evangelisten sind oft auch seelsorglich begabt und manche Seelsorger evangelistisch. Es gibt offensichtlich auch Multitalente, die neben einer besonders hervortretenden Gabe mehrere andere haben. Es sei daran erinnert, dass die Charismen W o r t c h a r i s m e n sind. Andere Gaben werden im Epheserbrief übergangen. „Im kirchlichsten Brief des Paulus, dem Brief an die Epheser, wird nur den Dienern des Wortes die Ehre besonderer Erwähnung zuteil! Nach diesem Brief machen weder der Papst noch ein historisches Episkopat, weder eine synodal-presbyterianische noch eine demokratisch-kongregationalistische Gemeindeverfassung die Kirche zur Kirche, sondern allein die Gottesgabe der Prediger und Lehrer des Evangeliums“ (Barth 1961:246). Noch einmal sei an die Unvollständigkeit der Listen, auch der von Eph 4,11 erinnert. Die herausgestellten Gabenträger sind mit ihren Diensten dahingehend zu verstehen, dass diese mit und in der Gemeinde zu einem sendungsorient ier ten Zusammenspiel a l ler Gemeindegl ieder gelangen. Sie gehören alle zu e i n e m Leib mit e i n e m Ziel. Das Erreichen der 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 374 gemeindeinternen Ziele, die Einheit und das Zusammenspiel der Glieder und Gaben für die Sendung, ist entscheidend, weil nur dadurch die vollmächtige, nach außen gerichtete Gemeinde Wirklichkeit wird. Dazu bedarf es neben den jetzt zu nennenden z. B. des Charismas der leitenden Koordination, das ist das charisma kyberneseos (kubernÐseiv 1. Kor 12,28). 3.1.7.1. Apostolisch An erster Stelle der Liste in Eph 4,11 werden „Apostel“ genannt. Hier ist nicht an „die Zwölf“ zu denken. „Die Zwölf“ als Augenzeugen Jesu, sind Apostel im exklusiven Sinn und der Geschichte zuzurechnen. Sie sind religionsgeschichtlich singulär, d. h. sie haben - wie auch die Propheten des AT (von Rad 1962:142) -, weder Vorgänger noch Nachfolger. Dagegen das Apostolische an sich, das Charisma also, in die Vergangenheit zu verbannen, wäre willkürlich. „Apostel“ heißt schlicht „Gesandter“ und ist, sprachlich gesehen, die griechische Entsprechung zum vom Lateinischen abgeleiteten „Missionar“. Im NT werden über die Zwölf hinaus auch andere Personen „Apostel“ genannt. So erfahren wir in Gal 1,17-19 und 1. Kor 15,1-11, dass es in Jerusalem Apostel gab. Zu ihnen gehörten wahrscheinlich Androikus und Junias (Röm 16,7). Bereits von Harnack (1924:332-333) weist darauf hin, dass bei Matthäus, Markus und Johannes der Begriff „Apostel“ kein besonderer Name für den engeren Jüngerkreis Jesu ist. Mit einer Ausnahme heißen diese die „Zwölf“. Paulus dagegen gebraucht den Terminus „die Zwölf“ niemals. „Apostel sind auch andere … ja der Begriff lässt eine feste Abgeschlossenheit überhaupt nicht zu; denn wie Gott Propheten und Lehrer ‚in die Kirche stellt’, so stellt er auch Apostel als den ersten Stand in dieselbe; diese charismatischen Berufsstände sind numerisch unbeschränkt, denn sie folgen den Bedürfnissen, wie Gott es erkennt“ (von Harnack 1924:335). Eine Ausbildung des Apostolats sieht Roloff (1978:435) in Antiochia und seinem syrischen Hinterland: „Es handelt sich um einen pneumatisch-charismatisch begründeten Apostolat mit klarer Ausrichtung auf die Mission.“ Paulus könnte für die Beschreibung des apostolischen Charismas als Typos gelten. Nicht geht es dabei um ein zu installierendes Amt, sondern um den Dienst, 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 375 des sendungsbewussten Pioniers. Das apostolische Begabungsspektrum ist breit und nicht auf ein einziges Charisma einzuengen. Zunächst aber sei auf eine Verhaltensweise aufmerksam gemacht, die einen Wesenszug aller geistlichen Gabenträger beschreibt. Wir stoßen darauf in der Abschiedsrede des Paulus an die Ältesten von Ephesus: „Ihr wisst, wie ich mich vom ersten Tag an, als ich in die Provinz Asien gekommen bin, die ganze Zeit bei euch verhalten habe, wie ich dem Herrn gedient habe in aller Demut und mit Tränen und unter Anfechtungen, die mir durch die Nachstellungen der Juden widerfahren sind. Ich habe euch n i c h t s v o r e n t h a l t e n , was nützlich ist, dass ich's euch nicht verkündigt und gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern ...“ (Apg 20,18-21). Er hat verkündigt (‡nagge²lai) und gelehrt (didxai). Wie ein Prophet, auch wie ein Evangelist ist er unter ihnen gewesen, zugleich wie ein Seelsorger und Lehrer. Dabei hat er ihnen n i c h t s v o r e n t h a l t e n , hat alles, was er zu geben hatte, an sie weitergegeben. Das erinnert an die Abschiedsreden Jesu (Joh 15,15): „alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.“ Der Apostel hatte die Ältesten „zugerüstet zum Werk des Dienstes“. So haben wir es auch bei Jesus gesehen, der die Jünger, ehe er sie sandte, bei sich behielt, sie in sein Herz schauen ließ, sie in Wort und Tat lehrte und einwies in den künftigen Dienst. Das Entscheidende an jeder, so auch an der apostolischen Verkündigung, besteht darin, dass sie statt in erster Linie zu fordern, zunächst beschenkt. Sie enthält nichts vor. Vilmar ([1876] 1968:4-5) schrieb zu seiner Zeit: „Niemand hat allein für sich die Theologie; wer sie hat, hat sie nur mit Anderen und für Andere … Ein Theolog, welcher seine Theologie für sich behält, allein für sich hat, ist ein Widerspruch mit sich selbst; er ist kein Theolog, er hat keine Theologie … Das Wißen von Gott, welches sich Theologie nennt, ist zugleich ein Reden von Gott. Und das Reden von Gott geht hinaus in die Welt, in das Leben der Menschen.“ Der Theologe, der Leiter, Prediger, Gabenträger gibt großherzig alles weiter, was er selbst empfing. Dadurch ist die Gemeinde v o r allem Dienst, zu dem sie gerufen ist, zunächst die Empfangende. Nachdem sie empfangen und sich das Empfangene zu Eigen gemacht hat, werden Forderungen zu Herausforderungen 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 376 und Förderungen, da sie sich auf die Gaben beziehen – als echte Paränese, die nichts Gesetzliches kennt. Nehmen wir Paulus als Typos des apostolischen Charismatikers, können wir sagen: Ein Apostel hat ein durch Christus gewonnenes Sendungsbewusstsein (1. Kor 9,16), er ist eine Persönlichkeit mit Einblick in und Weitblick für das Reich Gottes (Röm 11,33-36). Er ist in der Schrift gegründet, theologisch versiert und weiß seinen Standpunkt überzeugend zu vertreten (Röm 4,1-25). Das Kleine ernstnehmend, sieht der Apostel die großen Zusammenhänge und Aufgaben (Röm 5,1-5). Er ist mutig, lässt sich lieber angreifen und verletzen, als seinen Glauben zu verleugnen (2. Kor 11,23-31). Wo immer der Kleinkram des Lebens und Dienstes nach ihm greift, verstrickt er sich darin nicht (2. Tim 2,4). Er vereinigt Apostolisches, Prophetisches, Evangelistisches in seiner Person (1. Kor 9), kümmert sich seelsorglich um einzelne und ist ein Lehrer (1. Thess 2,1-12). Seine Rede besteht nicht nur aus Worten, sondern in Kraft (1.Kor 2,4). Auch von der Architektur des Gemeindeaufbaus versteht er einiges (1.Kor 3,10). Der Apostel, der auch etwas Prophetisches hat, ist hellwach, wenn sich in der Gemeinde Fehlentwicklungen anbahnen. Er mischt sich ein, ist selbstlos der Sache Jesu hingegeben (1. Kor 1,10-31). Da er durch Verkündigung und Lehre in besonderem Maße Leitung ausübt, prägt er die ihm anvertrauten Menschen. Diese, weil sie nicht alle dem Charisma nach apostolisch begabt sind, sind lediglich durch einzelne Züge im Begabungsspektrum des apostolischen Lehrers angesprochen und zugerüstet. Apostolische Persönlichkeiten in unserer Zeit gründen gern Gemeinden, christliche Werke, Bibelschulen, Missionsgesellschaften etc. Sie sind nicht diejenigen, die Angefangenes auch weiterführen (Apg 20,31-32). Dazu bedarf es anderer Begabungen. Nach Reimer (2004:75) „erscheint der Apostel als einer, der die Gemeinde ‚pflanzt’ (1. Kor 2,6), sie geistlich ‚befestigt’ (Röm 1,11) und diese dann zur Übernahme missionarischer Verantwortung erzieht. Er ist vor allem anderen ein Gemeindegründer, Missionar und Missionsstratege.“ Apostolisch Begabte sprechen alle Gemeindeglieder an, wenn auch auf je verschiedene Weise. Besonders aber werden die unter den Gemeindegliedern 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 377 berührt, die ebenfalls eine apostolische Gabe haben. Apostel erwecken die Gabe künftiger Apostel. 3.1.7.2. Prophetisch „Es kann der Aufmerksamkeit wacher Christen nicht verborgen bleiben, dass in der Verkündigung der Kirche ein gefährlicher Notstand eingetreten ist: der Ausfall prophetischer Predigt“ (Kraus 1986:7). Mit diesen Worten beginnt der Alttestamentler sein Buch „Prophetie heute!“ Der Prophet, wie wir ihn aus dem AT kennen, ist Gerichtsprediger, Mahner und Warner. „Das Amt des Propheten ist das Bußamt. Darin sind sich alle Propheten einig“ (Volz [1938]1949:228). Er ist aber auch der Bote, der das Volk tröstet (Jes 40,1). Vorwiegend jedoch stellt er sich im Namen Gottes gegen das Volk, wo immer es Gott gegenüber ungehorsam ist. Er sieht die Abgründe, in die das Volk fällt, wenn es seine Richtung nicht ändert. Darum predigt er die Umkehr. Er predigt Gericht, meistens, um gerade dieses von seinem Volk abzuwenden. Von Propheten gilt: „Was die Menschen insgeheim beunruhigt, - das ist ihnen gleichgültig; wo die Menschen ruhig und sicher dahinleben, - da werden sie von schreckhaften Gesichten aufgewühlt. Wo die Menschen reden und sich ereifern, - da schweigen sie gelassen, und wo die Menschen bequem schweigen, da erheben sie ihre Stimme zu Wehrufen, die über die Jahrhunderte weg zu uns herhallen“ (von Rad 1974:217). Diesem Charakter des atl Propheten entspricht Johannes der Täufer im NT. Paulus sieht die Botschaft des Propheten eher aufbauend, tröstend, aber auch herzandringend ermahnend, wofür in 1. Kor 14,3 das parkljsin steht. Ein biblischer Prophet ist kein Vorhersager, kein mantischer Seher, der wie ein Wahrsager in die Zukunft blickt. Wenn er auch Zukünftiges anzusagen hat, so ist das höchstens e i n Aspekt innerhalb seines gesamten Auftrags. Er ist auch kein Ausleger heiliger Schriften, etwa der Torah, der allgemeine Weisungen und Weisheiten ausbreitet, die wenig oder nur rein zufällig mit dem Leben der Gemeinde oder der einzelnen Hörer etwas zu tun haben. Dieses Missverständnis des Prophetischen „wurzelt in der Synagoge und hat dann in unabschätzbaren Ausmaßen die Tradition der Kirche bestimmt: die Propheten als Ausleger der 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 378 Torah (Weisung)“ (Kraus 1986:12). Die Propheten des AT müssen neben den Offenbarungen, die ihnen gegeben waren, eine tiefe Kenntnis der Religionsgeschichte, der Geschichte und der Zeit ihres Volkes gehabt haben, sehen und sagen sie doch Dinge, die genau davon Zeugnis ablegen. Der Prophet verkündet, was ihm Gott offenbart hat (1. Kor 14,26.30). Gelegentlich gehören zur prophetischen Rede die Weissagungen für die Zukunft (Apg 11,27-28; s. Offb). Die besondere Aufgabe des ntl Propheten jedoch besteht darin, die gegenwärtige Situation im Licht des Willens Gottes zu zeigen, der Gemeinde Weisungen des Herrn kundzutun, auch sie zu ermutigen und zu trösten. Der prophetischen Gabe misst Paulus die höchste Bedeutung bei (1. Kor 14,1). In diesem Zusammenhang ist auch auf das nouqetoÂntev ›autoÁv hinzuweisen, das Mahnen, Zurechtweisen, um verkehrtes Verhalten zu ändern. Anders als der Zungenredner, spricht der Prophet mit verständlichen Worten. Das dient der Erbauung der Gemeinde (1. Kor 12,1 - 14,40). Die prophetische Rede soll von der Gemeinde geprüft werden (1. Thess 5,20-21). Die Situation und das, worauf sie hinausgeht, im Lichte des Willens Gottes aufgedeckt zu bekommen, ist von besonderer Bedeutung. Die Gemeinde erhält dadurch Orientierung über ihren Weg, ihren Zustand, ihre eigene Entwicklung. Das ist auch für ihre Existenz als Christengemeinde innerhalb der Bürgergemeinde wichtig. Wo in Politik und Gesellschaft Unrecht geschieht, wird der Prophet nicht schweigen. Er wird der Gemeinde die Augen öffnen. Den prophetisch Begabten jeden Sonntag zu hören, könnte zur Politisierung, auch zur übertriebenen Selbstbetrachtung verleiten. Die prophetische Stimme nie zu hören, bedeutet hingegen, die Gemeinde ungehindert mögliche Irrwege gehen zu lassen, auch die politischen Missstände innerhalb der Gesellschaft schweigend zu tolerieren. Die Gemeinde soll auch dem politischen Übel widerstehen. Es ist nicht von ungefähr, dass Paulus die ganze Gemeinde aufruft, sich am meisten um die prophetische Gabe zu bemühen (1. Kor 14,1). Der Lehrer lehrt die Gemeinde, auch die, die sich auf Irrwegen befindet. Er nimmt etwaige Fehlentwicklungen möglicherweise von sich aus nicht wahr – er ist kein Prophet. „Die didaskal°a ist Belehrung, die profjte°a Anrede in die praktische Situation hinein. Der Lehrer schaut in die Vergangenheit und gibt aufgrund 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 379 des damals Geschehenen oder Gesprochenen die Weisung für die Gegenwart. Der Blick des Propheten dagegen ist in die Zukunft gerichtet und von der ihm geschenkten Schau aus ordnet er den Weg der Gemeinde.“ (Friedrich, THWB VI:856). Schaut der Lehrer in die Vergangenheit, um Weisungen für die Gegenwart zu geben, versorgt der Hirte die Gemeindeglieder mit Trost, Hilfe, innerer Heilung und ermutigt die Gemeinde unabhängig davon, auf welchen Wegen sie sich befindet. Lehrer und Hirten brauchen darum, wie die ganze Gemeinde zu ihrer Orientierung die Stimme der Propheten. Merz sieht im Propheten einen Kämpfer: „Der Prophet muss in die Welt, in die Öffentlichkeit gehen, er muss den Kampf wagen, er muss dem Gegner entgegentreten, er kann nicht ohne ‚Feind’ sein. Er ist verpflichtet, die Unterschiede scharf hervorzuheben, er muss mit dem Finger auf den deuten, der wider Gott steht … Er nimmt in gewissem Sinn das Weltgericht vorweg, indem er Gott den Herrn als Richter in die Gegenwart hineinruft“ (Merz 1952:12). Zugleich muss der Prophet „etwas Priesterliches haben, sonst bekommt er etwas Agitatorisches oder Fanatisches“ (:8). Schon im AT gibt es Lügenpropheten. Das setzt sich im NT fort (Apg 13,6). Der Bergprediger sagt: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen …“ (Mt 7,15-16). Ragaz ([1945] 1971) nimmt die Formulierung „reißende Wölfe“ wörtlich: „Sie zerreißen die Einheit der Gemeinde Christi, indem sie ihre eigene Wahrheit als die allein gültige ausgeben und im besten Falle einen Teil der Wahrheit zur ganzen machen. Damit erregen sie Verwirrung, Zwiespalt und Streit“ (:181). Die Schafkleider seien eine wichtige Form der Heuchelei (:182). Besonders in der Endzeit werden falsche Propheten auftreten (Mt 24,11). Sie sind in der Lage, im Namen Jesu große Taten zu tun (Mt 7,22-23), was ihre Verführungsmöglichkeit erhöht. Sie reden dem Volk nach dem Munde, sind Heilspropheten, die kein Wort von Gott haben und darum die Gemeinde mit ihren angenehmen Vorhersagen verführen. Ihnen und ihren Botschaften gegenüber bedarf es der Gabe der Unterscheidung der Geister (1. Kor 12,10). Falsche Propheten sind an ihren Früchten zu erkennen (Mt 7, 15.23). Mit guten Früchten 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 380 sind keine Erfolge oder große Taten in Jesu Namen gemeint. Große Taten sind machbar mit Begabung und Geschick. Gute Früchte sind der Machbarkeit entzogen. Sie wachsen heran durch die Verbindung mit dem Weinstock: Christus. (Joh 15,5). Wenn wir auch keinen absoluten Maßstab für die Beurteilung von Propheten haben, so zeichnet sich der echte Prophet dadurch aus, dass er selber gute Frucht bringt (Gal 5,19-24). Er deckt der Gemeinde ihre Sünden und Unterlassungen auf, überführt sie eventueller Irrtümer, ruft zur Umkehr. „Durch seine Verkündigung kommt es zur Erkenntnis der Sünde und zur Beugung vor Gott (1 K 14,25)“ (THWB VI:858). Propheten sprechen alle Glieder der Gemeinde an. Besonders aber werden die unter ihnen berührt, die ebenfalls eine prophetische Gabe haben. Propheten erwecken und prägen künftige Propheten. 3.1.7.3. Evangelistisch Wenn Evangelisten im Gottesdienst das Wort ergreifen, denken sie an den einen Mann oder die eine Frau unter den Hörern, die zum Glauben noch keinen Zugang gefunden haben. Diese mit der Predigt zu erreichen, ist ihr vornehmstes Anliegen. Evangelisten sind davon erfüllt, die Schönheit des Dreieinigen zu verkündigen, um Nichtglaubende zum Glauben einzuladen, sie zu locken, zu rufen. Gern sprechen Sie diese direkt an: „Vielleicht ist einigen das, was ich sage, sehr fremd und fern. Ich kann es verstehen. Mir ging es auch einmal so. Aber bedenken Sie doch …“ Der Evangelist ist ein Pontifex, ein Brückenbauer für die, für Christus zu Gewinnenden. Seine Freude und Leidenschaft besteht darin, das Kerygma zu predigen. Dabei muss er, wie Merz (1952:8) betont, „etwas Priesterliches haben, sonst bekommt er etwas Propagandistisches.“ Mehr als ein Nebeneffekt jedoch ist, dass auch die glaubende Gemeinde durch das Kerygma des Evangelisten aufgebaut wird. „Es tut gut, es wieder einmal so einfach und klar gehört zu haben“, ist das Echo, dass oft aus der Gemeinde dem Evangelisten entgegenkommt. Ist die kerygmatische Predigt für Zweifelnde, Fragende, Suchende ein Locken und Rufen zu Christus hin, so stellt sie für die Gläubigen so etwas wie eine erneuerte Liebeserklärung Gottes an ihre Adresse dar. Zum Wesen von Liebeserklärungen gehört, dass sie wiederholt werden. Auch 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 381 wenn sie schon oft vernommen wurden, die Liebe braucht die von Herzen kommende Liebeserklärung, immer wieder. Die glaubende Gemeinde braucht die Liebeserklärungen Gottes, sie braucht Evangelisation. „Gerade die Briefe, die das Kerygma am deutlichsten predigen, wie etwa der 1. Petrusbrief und andere, sind doch an christliche Gemeinden in Bedrängnis gerichtet“ (Wingren 1959:23-24). Mir ist ein Pfarrer bekannt, evangelistisch nicht begabt, auch hat er kein Predigtteam mit einem Evangelisten. Er hilft sich dadurch, dass er in Abständen einen evangelistisch begabten Kollegen aus der Nachbarschaft zur Sonntagspredigt einlädt. Dieser hat die Gabe am Schluss seiner Predigt unspektakulär und natürlich im Namen derer, die es für sich jetzt möchten, ein Gebet der Lebenshingabe zu sprechen. So führt er sie aus ihrer Unsicherheit durch ein Gebet, in dem sie „Danke!“ für das Geschenk des ewigen Lebens in Christus sagen, zur Gewissheit des Heils, ohne die es keinen fröhlichen Glauben und kaum geistliches Wachstum gibt. Die Gemeindeglieder, die das Geschenk des Glaubens schon angenommen haben, begleiten das besondere Gebet der neuen Freunde in stiller Fürbitte. Es ist unerlässlich, solche Gelegenheiten der Lebenshingabe an Christus immer wieder einmal zu geben. „Jesus hat nicht nur das Himmelreich gepredigt, sondern auch die Umkehr. Der Menschenfischer darf sich nicht zufrieden geben, wenn die Fische beißen. Er muss sie auch herausziehen. Der Kyrios will die Menschen in seinem Reich haben und darum befiehlt er: ’Nötigt sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde!’ (Lk 14,23). Auch das gehört zur Gestalt der Predigt, dass sie etwas Fangendes und Herausziehendes hat“ (Bohren [1963] 1969:47). Was wir als das Entscheidende an der apostolischen Verkündigung festgestellt haben, nämlich dass sie in erster Linie nicht fordert, sondern beschenkt, gilt in besonderer Weise auch für die evangelistische. Ein fordernder Evangelist ist ein Widerspruch in sich selbst. Er hat nicht zu fordern, sondern zu geben, den Samen des Wortes Gottes zu säen. Zugleich gilt, dass er oft erntet, was andere vor ihm gesät haben, eine betende Mutter, ein betender Vater am Bett des Kindes. Ein fordernder Evangelist ist wie ein Landwirt, der ohne gesät zu haben vom Acker verlangt, dass er ihm Früchte bringt. Auch die sogen. „Entscheidung“ des Menschen ist nicht etwas, was die Evangelisation zu fordern hat, sondern was sie bewirkt. Ist aber gesät und beginnen Menschen auf das Wort zu hören und darauf 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 382 einzugehen, soll der Evangelist auch herzlich bitten, wie Petrus in Apg 2,40: „Auch mit vielen andern Worten bezeugte er das und ermahnte sie und sprach: Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht!“ Dabei ist das diemartÀrato wichtig. Es bedeutet feierlich bezeugen, vor Gott und Menschen beschwören, versichern, inständig bitten (s. Apg 20,24; 2. Tim 4,1). In der Volkskirche wird, wie wir sahen (2.3.3.1.), die Gabe des Evangelisten oft vergraben, d. h. manche, die vom Geist her zu Evangelisten berufen sind - in welch großen oder kleinen Rahmen auch immer - werden von ihrer Kirche daran gehindert, ihre Berufung zu ergreifen und zu leben, da sie in der Regel nur in der Gemeinde ergriffen und gelebt werden kann und soll. Würde jemand vom Geist getrieben, notgedrungen außerhalb seiner Gemeinde evangelistisch tätig werden, er würde von dieser wohl bald der Sektiererei geziehen. Manch ein evangelistischer Wildwuchs, den es ja gibt, auch das Entstehen mancher Sekte hat ihre Ursache in der missionslosen Gemeinde. Eine besondere evangelistische Bedeutung könnte der Kasual r e d e zukommen, wenn nicht die Kasual p r a x i s der Verkündigung ins Wort fiele. Darauf hat Bohren, seiner Zeit weit voraus, hingewiesen und gefragt, „ob wir in und mit unserer Kasualpraxis Kirche Jesu Christi seien, oder ob die Kirche sich in ihrer Kasualpraxis fort und fort verleugne und auflöse“ (Bohren 19795:21-22). Evangelisten lassen nicht nur die aufhorchen, die sich von der Gemeinde fernhalten. Ihre Verkündigung ist für die Gemeinde wichtig. In besonderer Weise aber werden zusätzlich die unter den Gemeindegliedern angesprochen, die eine evangelistische Gabe haben. In diesen klingen die inneren Saiten ihres noch unentdeckten Charismas an. Evangelistische Verkündigung schafft künftige Evangelisten. 3.1.7.4. Seelsorglich Mit seelsorglichem Dienst meinen wir den Hirtendienst von Epheser 4, 11 und in unserem Zusammenhang, da es sich um die seelsorgliche Predigt handelt, die cura generalis, die Seelsorge an der Gemeinde im Unterschied von der cura spezialis, der persönlichen Seelsorge. In den Heilsplan Gottes mit der Welt gestellt, ist Seelsorge nicht nur eine Angelegenheit zwischen Individuen. Gott ist „Herr des Himmels und der Erde“ (Mt 11,25). Als „Gott der Seele“ wird er nicht 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 383 bezeichnet. „Seelsorge ist nicht Seelenbedienung, ist vielmehr Konfrontation des Menschen mit dem Reich Gottes“ (Bohren 1969:101). Seelsorgliche Predigt, auch die Ausbildung zur Seelsorge gehören zu den Diensten, die eingespannt in Gottes Sendungsabsichten, am Kommen des Reiches mitwirken. Das gilt auch für die Seelsorge, die von Mensch zu Mensch geschieht. Sie ist, weil sie neben aller wichtigen Lebenshilfe auch Verkündigung ist, in die Heilsgeschichte von ihrem Anfang bis zu ihrer Vollendung eingebunden. Die seelsorgliche P r e d i g t hat einerseits Einzelne vor sich, wie sie zugleich die Gemeinde als Ganze vor sich weiß, die mit ihrem Auftrag unterwegs ist. Der Gemeindehorizont der seelsorglichen Predigt ist die Wirklichkeit von 1. Kor 12- 14, wo Paulus die Zusammengehörigkeit aller Glieder zu dem einen Leib Christi reflektiert und die Liebe zu der größten aller Gaben zählt. „Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele … Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer.“ (1. Kor 12, 12-14.20). Die seelsorgliche Predigt geht davon aus, dass nicht nur einzelne, sondern die Gemeinde als Ganze so etwas wie eine Seele hat. Jede Gemeinde hat ihr eigenes Gesicht, ihren eigenen Charakter, ihr eigenes Gepräge. Sie hat ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Menschen, ihre eigenen Freuden, ihre eigenen Nöte und Probleme. Oft spricht sie sogar ihre eigene Sprache, die jemand aus einer Nachbargemeinde nicht sofort versteht. Wir haben gesehen, dass die Gemeinde, ihrem Herrn folgend, in einen Kampf gestellt ist. Es sind besonders die Seelsorger, die der Gemeinde und besonders den künftigen Hirten unter den Gemeindegliedern, für den Kampf das nötige Rüstzeug zu geben haben. Vilmar ([1876] 1968:6) sagt: „Dass den künftigen Hirten auch Waffen müssen in die Hand gegeben werden, die Diebe und Mörder und den Wolf von der Herde abzuwehren … versteht sich von selbst … aber wenn der künftige Hirte nicht erfährt, wer der Wolf ist, wer die Diebe und Mörder sind, wozu dann die Waffen? Wenn der künftige Hirte nicht einmal Schafe zu hüten und zu weiden angewiesen wird und lernt, oder sogar nicht weiß, dass er Schafe zu hüten habe, dass er ein Hirte sein wird, wozu dann Waffen? … Und immer noch gibt es viele, sehr 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 384 viele unter den Jüngern der Theologie, welche nicht wissen … dass sie Hirten werden und eine Herde weiden sollen, für welche sie mit ihrem Leben einzustehen haben.“ Wer die Gabe der Seelsorge hat, hat sie im Zusammenhang mit der Gabe des Hörens und Sehens, sonst könnte er nicht wissen, was die Gemeinde braucht. Die seelsorgliche Predigt weiß mit Problemen behutsam umzugehen, ohne unkritisch zu sein, hilft bei der Lösung mit. Sie spricht über Wunden der Seele, zeigt Wege zur Heilung und heilt. Wie ein verantwortlicher Arzt, der die Krankheit eines Leibes, die sich an einzelnen Organen manifestiert, ganzheitlich sieht, ist der seelsorglich Predigende bei allem Eingehen auf einzelne Glieder ganzheitlich auf den Christusleib bezogen. In einer Gemeinde hatte der Pfarrer die gut gemeinte, aber üble Angewohnheit jeden und jede zwangsverpflichtend in den Dienst zu stellen. Niemand unter den Mitarbeitern wagte z. B. noch einen Verbesserungsvorschlag zu machen, weil er postwendend aufgefordert wurde, es doch gleich selber zu tun. Ein seelsorglich begabtes Gemeindeglied sprach den Pfarrer daraufhin an und es ergab sich ein fruchtbares Gespräch und eine diesbezüglich zum Besseren veränderte Situation. „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied (1. Kor 12,26-27). Merz (1952) beschreibt „das Priesterliche im Kirchlichen Handeln“. Seine Definition des Priesterlichen trifft vornehmlich auf den Seelsorger zu. Mit den Worten Barths beschreibt er das Wesen des Priesters: „’Gottes Sache in der Welt vertreten und doch nicht gegen die Welt Krieg führen, die Welt lieb haben und doch Gott ganz treu sein – mit der Welt leiden und für ihre Not das offene Ohr haben, aber darüber hinaus gleichzeitig das lösende Wort von der Hilfe, auf das sie wartet – die Welt empor tragen zu Gott und Gott hinein in die Welt – ein Anwalt der Menschen sein bei Gott und ein Bote Gottes, der Frieden bringt an die Menschen …’ Um Anwalt bei Gott sein zu können, drängt es ihn von der Welt weg in die Einsamkeit vor Gott“ (Merz 1952:13). Die seelsorgliche Predigt macht der Gemeinde die Vatergüte Gottes bewusst, zeigt, was ihr von Gott gegeben ist, erinnert sie an die Gaben, mit denen sie 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 385 wuchern kann, stärkt damit ein auf den Geist Gottes bezogenes Bewusstsein. Gemeinden ohne seelsorgliche Predigt leben dagegen eher bewusstlos. Sie wissen oft nicht, was ihnen Gott an Gaben und Möglichkeiten geschenkt hat (2. Petr 1,3). Dass jedem, der oder die an Christus glauben, der Heilige Geist gegeben ist, auch dem glaubenden Kind, gehört meistens nicht zum Selbstbewusstsein der Gemeinde. Es wird ihr nicht gesagt. Sie ist reich beschenkt, aber sie wird über ihren Reichtum nicht in Kenntnis gesetzt. So werden ihr Freude, Vollmacht und Segen vorenthalten. Die Gemeinde existiert dann wie jene Frau aus Hamburg, von der die Presse berichtete. Sie habe in Abfalleimern herumgesucht, ob nicht dieser oder jener Müll noch einen Wert für sie haben könnte. Dabei war sie die reichste Frau ihrer Straße. Ihr gehörten mehrere der großen Mietshäuser. Ihr Reichtum war ihr nicht bewusst. Die vielfache Millionärin hatte, senil geworden, ihren Reichtum vergessen, lebte unter ihrer Würde, jenseits all ihrer Möglichkeiten. Nach ihrem Tod kam es heraus. Sie war reich, aber lebte bettelarm. Was den Reichtum, die Fülle des Geistes betrifft, lebt das reiche, arme Weiblein Gemeinde ohne seelsorgliche Predigt ohne die von Gott gegebenen Möglichkeiten, sucht scheinbar Brauchbares in den Abfällen dieser Welt. Anstatt, dass die Prediger vor ihr den Reichtum Christi ausbreiten, wird ihr eher bescheinigt, wie jämmerlich sie sei. Anders die seelsorgliche Predigt. Sie spricht der Gemeinde zu, was ihr gegeben ist, der Heilige Geist, Kraft aus der Höhe, die Gegenwart des Auferstandenen. Sie sagt der Gemeinde, dass sie zum Segen gesetzt ist, darum in der Kraft Gottes zu Großem fähig und beauftragt, zur ewigen Rettung von Menschen und das zur Ehre Gottes.. So wunderbar, so wichtig ist die Gemeinde! Die seelsorgliche Verkündigung tröstet, spricht das Erbarmen Jesu in die Nöte der Christen hinein. Wer die Gabe der Seelsorge hat und predigt, sollte nach Sorg, dreierlei gut kennen: Gottes Wort, die Gemeinde, zu der er spricht, und die Zeit, in der er oder sie lebt. Leben seelsorgliche Gemeindeglieder aus dem Wort, erfahren sie selber Seelsorge Gottes. „In der ständigen persönlichen Begegnung mit dem richtenden und aufrichtenden Wort der Bibel wird man zu Zeugen der menschensuchenden Barmherzigkeit Gottes … Ein Leben im Gebet, ein Leben aus der Schrift, ein 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 386 Leben in verbindlicher Gemeinschaft – das sind elementare Bausteine für fruchtbaren Dienst in Seelsorge und Verkündigung“ (Sorg 1984:40). Kasualreden sind zur Kategorie evangelistischer, aber auch seelsorglicher Verkündigung zu rechnen. Dabei ist nicht zu verschweigen, dass die hier geübte kirchliche Seelsorge Gottes Wort vielfach zu Dekorationszwecken missbraucht: „Schauen wir sie nur an, diese kirchlichen Dekorateure, schauen wir uns selber an! Smart lächeln wir bei der Taufe, verklären die Geburt. Feierlich vollziehen wir den Ritus der Mannbarkeit bei der Konfirmation. Hinter weißen Nelken stehend, segnen wir Ehen ein, trösten am Grab, auch wenn niemand trauert, immer photogen, ernst oder lächelnd, immer im Schaufenster, Bibelsprüche an die Rändern des Lebens heftend, wie Blumen ins Knopfloch, servile Lakaien der Religion, bestrebt, dem Publikum zu dienen. Jesus Christus aber spricht: ‚Kehret um, das Reich der Himmel ist genaht!’“ (Bohren 1969:105). So sehr es diese Seite der Kasualpraxis gibt, so wird die Ausschließlichkeit dieser Kritik denen nicht gerecht, die sich bei den Kasualien nicht dem „Publikum“ sondern ihrem Herrn und seinem Wort verpflichtet wissen. Auch finden sich unter den Menschen immer wieder auch Christen, denen das Wort Gottes anlässlich des sie betreffenden Ereignisses Entscheidendes bedeutet. Auch Seelsorger haben allen in der Gemeinde etwas zu sagen. In besonderer Weise aber werden die angesprochen, die ebenfalls die Gabe der Seelsorge haben. Seelsorger erwecken durch ihren Dienst künftige Seelsorger. 3.1.7.5. Didaktisch Wenn auch allen Charismen eine Weise des Lehrens eignet, so erscheint die Lehrgabe dennoch als eigenes Charisma und Aufgabe. Ihren besonderen Charakter gewinnt die Lehre durch Mt 28,20. DidacÐ erscheint – wie wir sahen (2.3.3.2.) im Kontext des Missionsbefehls. Lehre zielt nicht nur auf den Kopf, sondern auf das Herz, auf Hand und Fuß, d. h. auf die praktische Anwendung des Evangeliums. Lehren gehört zu dem tjre²n, beobachten, im Auge behalten, genau befolgen, behüten, bewahren, festhalten. Das Wort bezeichnet nach Barth 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 387 „die spezifisch e x e g e t i s c h e Substanz der apostolischen, der in der Gemeinde und durch sie in der Welt ausgerichtete Christuspredigt. Gerade indem auch das apostolische didskein in seiner Weise C h r i s t u s predigt ist, bekommt und hat es den Charakter des Bußrufs (Act. 5,31), der ihm ja schon als das didskein Jesu selbst eigentümlich ist“ (KD IV/2:223). Eine Lehrpredigt ist vor allem Christuspredigt, Lehre im apostolischen Zusammenhang, also dem Kontext der Sendung. Lehre nach dem NT ist Sendungsrede, ist sie doch darauf aus, die Gemeinde zu bauen zu dem Ziel der Sendung. Lukas hat sein Evangelium geschrieben, damit der Leser (Theophilus) erkennt, wie zuverlässig all das ist, worin er unterrichtet worden ist (Lk 1,4). Nach Merz (1952:14) muss sich der Lehrer bemühen, „die Wahrheit in ihrem ganzen Umfang zu erkennen und in ihrer Strenge und Genauigkeit festzuhalten.“ Es könne nicht anders sein, „als dass er um dieser Bemühung willen ‚grundsätzlich’ wird, prinzipiell, er muss den Verdacht auf sich nehmen, er sei ein orthodoxer Pedant.“ Sorg (1984:48) legt dar, es sei „nicht zu übersehen, dass die evangelische Kirche in den letzten Jahrzehnten durch die nahezu überall zu beobachtende Ausklammerung der Lehrpredigt ihren Mitgliedern Entscheidendes schuldig geblieben ist.“ Die Gemeinde soll bereit sein „zur Verantwortung vor jedermann“ (1. Ptr. 3,15). Dazu braucht sie geistliches Urteilsvermögen. Wie soll sie das ohne biblische Lehre bekommen? Luther (1962:53-62) sprach davon, dass die Gemeinde das Recht und die Pflicht habe, Predigten zu beurteilen. Wie aber kann sie das, wenn sie nicht gelehrt wird, selbst in der Schrift zu lesen und diese zu studieren? - „Lehren in der Predigt ist das Gegenteil von einem kühlen, sachlich neutralen, distanzierten Informieren und Referieren über Sachverhalte … Lehren in der Predigt hat es mit einem ‚Sachverhalt’ zu tun, der randvoll von Dynamis und Exusia ist … Diese Sache hat es mit dem Umstürzendsten, Aufregendsten, Erschütterndsten und Beseligendsten zu tun, was es je in der Welt gegeben hat oder geben kann“ (Schütz, zitiert in Sorg 1984:50). Lehre besteht nicht in der unverbindlichen Darlegung von religiösen Erkenntnissen. Lehre im NT ist verbindlich. Gott sendet sein Wort, aber er spricht es nicht in den Wind. Biblische Didache spricht den Willen derer an, die hören, sie enthält „den Ruf zur praktischen Entscheidung für oder gegen Gottes Willen“ (Rengstorf THWB II:143). Sie geht zu Herzen, d. h. sie ist nicht nur auf Bildung 3.1.7. Charismenspezifisch und sendungsorientiert 388 aus, sondern auf Herzensbildung. Sie trifft die Menschen in ihrem Inneren, um sie auf einen befreienden Gehorsam gegenüber Christi Wort hin zu verändern. Biblische Lehre entfaltet vor der Gemeinde den Liebeswillen Gottes. Die Lehre wendet sich an die Gemeinde als dem Leib Christi, der eine hohe Aufgabe hat. Biblische Lehre begeistert die Gemeinde, dazu ihre Gaben zu gebrauchen. Der Lehrer weiß, dass die Güte Gottes die Gemeinde zur Umkehr leitet (Röm 2,4), die aber predigt er zielbewusst und mit Entschiedenheit. „Lehret sie h a l t e n alles, was ich euch befohlen habe!“ hatte Jesus den Jüngern gesagt (Mt 28,2). Seine Lehre charakterisiert er damit als B e f e h l , nicht als Einsicht in fromme Gedanken, die man hört und vergisst. So will er auch das Lehren seiner Jünger verstanden wissen. Sie haben mit dem Befehl zu lehren, wiederum Befehle an die Adresse der Gemeinde zu überbringen. Es lässt sich zurückhaltender nicht sagen: didskontev aÇtoÁv t j r e ² n pnta êsa neteilmjn Ãm²n . In Kol 3,16 wird didskein mit nouqete²n fast synonym gebraucht. Beides zielt auf ein Verhalten, das dem Willen des Herrn entsprechend gelebt werden soll. „Wenn jemand das Verständnis schwer wird und er fragt, was jetzt Gottes Wille sei, dann muss Unterricht für ihn vorhanden sein. Wenn sein Wille schwankt und ihm die Sünde naht, dann hat die zurechtweisende Warnung ihren Ort. Beides muss die Gemeinde immer bei der Hand haben; sie muss dem Antwort geben können, der mit seiner Frage nicht zurechtkommt, und muss für den die Warnung haben, den ein sündlicher Antrieb blenden will“ (Schlatter 1963:302). 3.1.8. Ausüben heißt Ausbilden 389 Biblische Lehrer werden über die Predigt hinaus, die sie im Wechsel mit anderen halten, alles tun, um die Gemeinde zu einer die Bibel lesende Schar heranzubilden. Zur Tradition der Evangelischen hatte es gehört, den Kleinen und Großen Katechismus Martin Luthers in der familiären Hausandacht zu lesen. Christen mit dem Charisma der Lehre, werden Mittel und Wege finden, solche oder ähnliche Tradition wieder aufleben zu lassen. Was für alle Verkündigungscharismen gilt, gilt auch für die Didaché: Sie gibt, sie teilt aus, sie beschenkt. Die Gemeinde empfängt. Gottes Geschenke allerdings wollen angenommen werden. Das ist die Herausforderung an die Gemeinde. Biblische Lehrer werden neben dem Gottesdienst auch für die Zurüstung von Hauskreisleitern und anderen Führungspersonen gebraucht. In vielen Ländern, auch in deutschen Freikirchen, haben Gemeinden Sonntagsschulen, d. h. neben der Unterweisung von Kindern und Jugendlichen, biblische Erwachsenenbildung. Vielfach bilden sie das Rückgrat der Gemeinden, wird sie hier doch gelehrt und dadurch erbaut. Die Sonntagsschule findet vor oder nach dem Gottesdienst statt, sodass kein zusätzlicher Tag belegt werden muss. Der verantwortliche Lehrer kann nicht alle Sonntagsschulgruppen selber unterrichten. Er hat gewissermaßen eine rektorale Aufgabe, er lehrt und betreut die Sonntagsschullehrer. Die mit der Lehrgabe Ausgestatteten sprechen alle Gemeindeglieder an. Aber auch für die Lehrer gilt: In besonderer Weise werden zusätzlich die angesprochen, die ebenfalls die Gabe der Lehre haben. Geistliche Lehrer wirken dahingehend, dass aus ihrem Dienst, die künftigen geistlichen Lehrer hervorgehen. 3.1.8. Ausüben heißt Ausbilden! Wir haben uns vom pfarrherrlichen Solistentum zu trennen. Gemeinde ist als Missionsmannschaft gedacht, als Missionsstation, die von Christus geführt, den kirchlichen Raum verlässt, zu den Menschen vor ihren Toren geht, um sie von ihrem Herrn zu begeistern, damit sie sich einreihen, mitmachen und wiederum andere rufen, an Christus zu glauben. Die Pfarrerzentriertheit ist jedoch in einem Maße zur Selbstverständlichkeit geworden, dass es besonderer Anstrengungen bedarf, dieses Verhängnis zu überwinden. Das aber würde sich ungemein lohnen. Unsere theologisch ausgebildeten Amtsträger sind zu wertvoll, um sie im System einer unsinnigen Pfarrerzentrierung verschleißen zu lassen. 3.1.8. Ausüben heißt Ausbilden 390 Nicht nur die Gemeinde, das geistliche Amt selbst leidet unter dem kirchlichen System. Es ist beschädigt. Der Beruf bzw. Dienst des Pfarrers soll nicht in Frage gestellt werden. Es geht nicht darum, sein Amt gegenüber dem Priestertum aller Gläubigen abzuwerten. Im Gegenteil. Es geht um die Aufwertung, sowohl des einen, als auch des anderen. Es geht darum, beides, das geistliche Amt und das allgemeine Priestertum, aufeinander zu beziehen und ihr Verhältnis richtig zu bestimmen. Nach lutherischer Auffassung kann das geistliche Amt nicht einfach im allgemeinen Priestertum aufgehen. Das Amt, das ein Dienst ist, der Christus repräsentiert, steht der Gemeinde gegenüber. So kann sich auch nicht jeder und jede eines Dienstes bemächtigen, sondern es bedarf einer Berufung – rite vocatus – vor dem Angesicht Gottes, vor versammelter Gemeinde. Verstehen sich unsere theologisch ausgebildeten Amtsträger als Gabenentdecker und Ausbilder der Gemeindeglieder, finden sie zu ihrem Amtsauftrag, zu dem sie berufen sind. Die katholische Kirche, der gegenüber wir einst das Allgemeine Priestertum als unsere evangelische Domäne herausgestellt haben, ist dabei, uns diesbezüglich zu übertreffen. In ihr spricht man von „Leutepriestern“, von Laien, die als Team zu priesterlichen Diensten geweiht werden (Zulehner u. a. 2003). Und die Begabten mit ihren Begabungen? Sie zu entdecken, zum Dienst zuzurüsten und zu berufen, versetzt sie in den Stand der ihnen zugedachten Würde. Die Gemeinde wird lebendig. Durch sie werden die Menschen vor ihren Toren erreicht und gesegnet. Gemeindeglieder sind eine solche Kostbarkeit, vom Geist begabt und berufen, dass es ungeheuerlich wäre, sie mit ihren Charismen weiterhin zu ignorieren und ihnen die Berufung zu verwehren. Pfarrer/innen profitieren von der Berufung der Gemeindeglieder besonders. Sie müssen nicht mehr allein predigen. Sie werden Begabten das Predigen lehren. Das läuft - wie wir sahen - auf ein Predigtamt hinaus, das von einer G r u p p e wahrgenommen wird, zur Entlastung für die Solisten! Ebenso hat es ein Pfarrer nicht länger nötig, nur selber Bibelstunden zu halten. Er wird andere lehren, wie man diese hält.1 Das läuft auf ein Studienleiterteam hinaus: Der Amtsträger wird 1 Bibelstunden, die einst zu vielen Gemeinden gehörten, sind fast überall abgeschafft. Dem Solisten fehlen dazu Zeit und Kraft. Das Studium der Schrift wurde unwichtig. Das Nachlassen des persönlichen Bibellesens gehört in diesen Zusammenhang. Das Heranbilden von Bibellehren in der Gemeinde ist eine neue, hohe Aufgabe. Allerdings ist unter einer Bibelstunde nicht der 3.1.8. Ausüben heißt Ausbilden 391 zum Lehrer der Bibellehrer! Bald wird er u. U. durch den Begabtesten dieser Lehrer ersetzt. Die Aufgabe des Pfarrers ist nicht, einen Hauskreis zu leiten oder allein Seelsorger zu sein, Konfirmanden zu unterrichten oder zu taufen, Paare zu trauen oder Tote zu beerdigen. All diese Dienste sind Gemeindedienste, die das Pfarramt nicht an sich zu binden, sondern auf Gemeindeglieder zu übertragen hat. Der Pfarrer hat diese Dienste nicht allein auszuüben. E r h a t d a z u a u s z u b i l d e n . Verwalter werden Gestalter, Ausüber werden zu Ausbildern. Bohren ([1960]1979) hat das bereits vor Jahren gefordert, aber zunächst wenig Resonanz gefunden. In kleinen Gemeinden mag der Pfarrer die Kasualien weiterhin versehen, wenn er so weise ist, Gemeindeglieder, die in den Hauskreisen bzw. Dienstgruppen sind, mit einzubinden. So muss z. B. eine intensive nachgehende Seelsorge und Trauerbegleitung nach einer Beerdigung unbedingt gewährleistet sein. Das kann einer allein niemals schaffen. Dazu sind die „zugerüsteten Heiligen“ da, am besten Hauskreismitglieder. Mit diesen Dingen müssen sich die kirchen- bzw. gemeindeleitenden Gremien befassen. Als „Seelsorger“ für zunächst 4000, dann 8000 Seelen in Uelzen, einer Niedersächsischen Gemeinde, hatte ich viele Trauerbesuche zu machen. Es lag mir daran, nicht nur über die Beisetzung zu sprechen und Worte des Trostes zu finden. Oft gingen die Gespräche tief, habe ich doch leise aber deutlich, den Hinterbliebenen elementare Fragen gestellt: „Wo ist Ihr Vater denn nun? Was denken Sie? Gibt es eine Ewigkeit? Gibt es Gott oder nicht?“ Ich bin bis heute erstaunt, wie dankbar die Menschen waren, dass solche Fragen zur Sprache kamen und die Trauernden nicht nur mit religiösen Redewendungen allein gelassen wurden. Die Gespräche waren oft derart bewegend, dass ich wusste: „Hierher muss ich in der nächsten Woche unbedingt wieder zurückkehren!“ Nach einer Woche aber hatte ich inzwischen wieder etliche solcher Begegnungen. Ich kam in Not. Da ist der Gedanke geboren: „Könnte ich doch geistlich mündige Gemeindeglieder zu solchen Gesprächen mitnehmen, die das Begonnene weiterführen!“ Der Pfarrer macht auch nicht mehr allein einen Krankenbesuch, sondern er nimmt ein Gemeindeglied mit, das auf diese Weise in das Gespräch mit Kranken eingeführt wird. Hat der „Lehrling“ genug Erfahrung gesammelt, wird er auf Monolog eines Dauerredners zu verstehen, sondern das Gespräch über der Bibel im Zusammenhang ganzer Bücher des AT oder der Evangelien bzw. Briefe und der Offenbarung des NT, zu dem die Teilnehmer v o r b e r e i t e t ( ! ) kommen. 3.1.8. Ausüben heißt Ausbilden 392 gleiche Weise für andere zum Lehrer. Vielen Pfarrern mag solch ein Ansinnen zunächst als Zumutung erscheinen. Das zeigt jedoch nur, wie sehr sich ihr Amtsverständnis von den Vorstellungen des NT unterscheidet. Ist das Pfarramt dazu gesetzt, Charismenträger zu finden und für die ihnen entsprechenden Dienste zuzurüsten und zu berufen, muss darauf geachtet werden, dass es in keinem Dienstbereich doch wieder Subsolisten gibt, von denen erneut das Wohl und Wehe eines Bereiches abhängt. Um der Gabenvielfalt, aber auch um der Entlastung eines jeden willen, müssen Dienstgruppen gebildet werden, eingedenk der Tatsache, dass der Begriff „Amt“ im NT auf diakon°a zurückgeht. Eine Gruppe, je nach Größe der Gemeinde können es auch mehrere sein, wird für den Dienstbereich „Taufe, Eltern und Paten“ gebildet. Sie treffen sich in einem Hauskreis. Dieser Gruppe ist das Amt übertragen, Taufgespräche mit Eltern zu führen und die Kinder zu taufen. Anschließend obliegt ihnen die Aufgabe, sich um die Täuflinge, deren Eltern und Paten zu kümmern. Solche n a c h g e h e n d e F ü r s o r g e nach der Amtshandlung ist das Einlösen eines Versprechens, hatte man doch bei der Taufansprache wissen lassen, Gott sei ein fürsorglicher Gott. In der pfarrerzentrierten Gemeinde sind solche Worte leere Versprechungen. Das muss der Vergangenheit angehören. Zu dem Dienst „Taufe, Eltern und Paten“ werden die Teilnehmer der Dienstgruppen vom Pfarrer bzw. seinen Partnern im Amt ausgebildet und begleitet, vor der Gemeinde berufen und eingesetzt. Eine oder auch mehrere Gruppen werden für den Dienst „Sterbende begleiten, Trauernde trösten“ ausgebildet. Gemeindeglieder sind es, die sich in einem Hauskreis treffen und – wenn die Notwendigkeit gegeben ist – Sterbenden beizustehen. Im Todesfall führen sie das Trauergespräch in der Familie. Sie führen die Beerdigung durch und helfen den Hinterbliebenen in der Trauerzeit. Weil sich eine Gruppe von Gemeindegliedern dieser Aufgabe annimmt, stehen endlich Menschen bereit, die sich der Witwen, Witwer und Waisen hinterher annehmen können. Niemand, der Trost braucht und in Anspruch nehmen will, bleibt nun allein. Trauerbegleitung als nachgehende Seelsorge findet im alten System kaum statt. Endlich aber hält die Gemeinde, was sie predigend verspricht, dass Gott tröstet. Gott tröstet durch Boten und Botinnen, die er sendet. Dienstgruppen für Paare, die heiraten wollen, werden gebildet, für Kinder, Konfirmanden und ihre Eltern, für Jugendliche, für die Senioren. Für Krankenbesuche wird eine Dienstgruppe ins Leben gerufen, die als Hauskreis in 3.1.8. Ausüben heißt Ausbilden 393 die Gemeinde integriert ist und diese spezielle Aufgabe versieht. Zur ihr gehören jene, denen der Besuch von Kranken ein Herzensanliegen ist. Wir denken nur noch in Teams und in Gruppenämter, nie mehr im Einmannsystem. Nun liegt auf der Hand, dass der Pfarrer die Aufgabe, Gemeindeglieder zu den vielfältigen Aufgaben zuzurüsten, allein nicht leisten kann. Er kann es schon darum nicht, weil ihm selber nicht alle Gaben gegeben sind. Es können aber gaben- und aufgabenspezifische Dienstgruppen gebildet werden, in denen man sich an das Erlernen bestimmter Dinge heranmacht. Diese Gruppen können in Absprache mit der Gemeindeleitung einen Nachbarpfarrer, Arzt, Psychologen, Pädagogen usw. zu bestimmten Themen einladen. Zu manchen Fertigkeiten kommt man überhaupt erst in der Praxis. Nun höre ich den Einwand aus der evangelischen Diaspora (die neuen Bundesländern zum Beispiel oder das vorwiegend katholische Österreich), in der die Gemeinden eine solche Größe, wie hier vorgestellt, gar nicht haben, dass sich das alles bei ihnen darum nicht verwirklichen lasse. Dem ist zu entgegnen: Die hier vorgestellten geistlichen Gesetzmäßigkeiten sind von der Größe der Gemeinden grundsätzlich nicht abhängig, wie auch die Naturgesetze in kleinen Räumen genauso gelten, wie in großen. Nichts hindert eine Diasporagemeinde die Dinge auf ihre kleineren Verhältnisse zuzuschneiden, ist doch schon dort Gemeinde, wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind (Mt 18,20). Epheser 4,11-12 ist in jedem Fall genau zu lesen: Die Leitungsgaben sind nicht dazu gesetzt, den Gemeindegliedern die Dienste aus der Hand zu nehmen. Im Gegenteil. Die Leitungspersonen befähigen und berufen die Gemeindeglieder zur Ausübung ihrer Dienste. Die Gaben und Aufgaben, verfolgen e i n Ziel: Zum Lobe des Höchsten Menschen zu gewinnen für das Gottesreich. 3.1.9. Alle sind wertvoll und werden gebraucht 394 3.1.9. Alle sind wertvoll und werden gebraucht Wir sahen: Gemeinde, die Gottes Wort ernstnimmt, erkennt, dass jedes ihrer Glieder eine Gabe hat (Eph 4,7), die dringend benötigt wird. Rebell (1990:95) hat die Gemeindekonzeption des Paulus weniger von Begriffen (z. B. ecclesia), sondern von zusammenhängenden Texten her untersucht. Das Ergebnis: „ J e d e r i s t w e r t v o l l u n d w i r d g e b r a u c h t . “ Unsere Gemeinden, reich an Goldadern von Begabungen, haben die in ihr liegenden Schätze zu entdecken und fruchtbar werden zu lassen. Das geht nicht ohne Selbsthingabe und Opfer: „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,1-2). Mit diesen Worten beginnt der paränetische Teil des Römerbriefs. Paulus zieht aus dem dogmatischen Teil in den Kapiteln 1-8 die ethischen, gemeinderelevanten Konsequenzen. (9-11 sind Exkurs). Die Gemeinde ist als Leib gesehen und angeredet: „Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele e i n L e i b i n C h r i s t u s , aber untereinander ist einer des andern Glied“ (:4-5). Die Forderung, die Leiber Gott als Opfer hinzugeben, ist eine Weiterführung von Römer 6,12-18 und erinnert an die Worte Jesu: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34-35). Die sðmata sollen als Opfer dargebracht werden. Für Paulus ist sòma der entscheidende anthropologische Begriff, zu dem andere Begriffe kommen, wie „Fleisch“ und „Seele“. Fordert Paulus die Opferung des Leibes, meint er die Hingabe des ganzen Menschen an Gott. Hier geht es nicht um einen Teilverzicht auf bestimmte Verhaltensweisen oder Tätigkeiten. Christus greift nach dem ganzen Menschen, damit er nicht mehr unter der Herrschaft und in der Abhängigkeit der Sünde, sondern unter der Herrschaft des Geistes Jesu steht (Röm 8,14). „Das Erbarmen Gottes mahnt zum Opfer. Es drängt nicht zur Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung des Menschen, sondern zur Selbstaufgabe und Selbstentwirklichung. Das Erbarmen Gottes fordert unser 3.1.9. Alle sind wertvoll und werden gebraucht 395 Leben. Und zwar nicht so, dass wir etwas davon zurückbehalten, sondern so, dass wir es Gott zur Verfügung stellen und selbst keine Verfügung mehr darüber haben“ (Schlier, zitiert in Rebell 1990:98). Was als Opfer zu Gottes Eigentum gehört, ist lebendig und heilig. Der Dreieinige hat seine Hand darauf gelegt: „Das Wunder, dass es nun heilige Menschenleiber gibt, ist von dem anderen nicht trennbar, dass im Christus geheiligte Menschen entstehen; denn der Mensch ist nichts ohne seinen Leib“ (Schlatter 1935:332). Eine überraschende „Bestätigung“ dieser Herausforderung ergibt sich aus Erkenntnissen der modernen Bindungsforschung. So sind nach Grawe (2004:192- 371) z. B. 40 % der Bevölkerung von ihrer Kindheit her „unsicher gebunden“. Das hat Auswirkungen auf ihr soziales Verhalten, auf ihre Beziehungsfähigkeit, Belastbarkeit usw. Zum Aufarbeiten solcher und anderer Störungen bedarf es Partner, die den anderen nicht moralisierend abwerten. Paulus spricht von der logikÑ latre°a. Nicht nur ein kultisch zu zelebrierender Gottesdienst ist der rechte, „sondern sich in seinen konkreten Lebensbezügen an Gott preisgeben; Gott nicht nur dienen zu festgesetzten Zeiten an festgesetzten Orten, sondern in der Hingabe der ganzen Existenz“ (Rebell 1990:99). Diese Hingabe kann nicht anders gelebt werden als in der engen Verbindung mit dem Leib Christ i , mit der Gemeinde. Private Opfer im Alleingang sind nicht vorgesehen. Sie können jedoch da geschehen, wo Christen in Lagern oder Haftanstalten isoliert leben müssen. Dort sind sie durch den Heiligen Geist mit Christus und seiner Gemeinde verbunden. Im Normalfall ist an die feste Eingliederung in die Gemeinde gedacht. Die Teilhabe an der sendungsorientierten Gemeinde ist nicht billig zu haben. Jeder, der zu ihr gehören möchte, hat einen Preis zu zahlen: sich selbst. Dadurch aber wird das eigene Leben nicht eng, sondern weit. Es verliert nicht, sondern gewinnt: Würde, Erfahrung, Lebensfreude. Es wird Einzelnen eine Identität zuteil, die er oder sie allein niemals haben könnte. Ein Christ, der ohne Gemeinde existieren will, ist dagegen wie ein amputiertes, allein geistlich nicht lebensfähiges Glied. Anders ist es in Röm 12,6-21, wo es vor Lebendigkeit sprudelt. Da wird nach Gaben und Aufgaben unterschieden. Jeder findet im 3.1.9. Alle sind wertvoll und werden gebraucht 396 Verbund der vielfältigen Aufgaben seine eigene Gabe und Aufgabe heraus, kann sie leben und soll sie leben. Das ist die „Selbstverwirklichung“ zu der jeder findet, der sich an Christus verliert und in seine Gemeinde stellt. „Jeder wird ermuntert, genau das zu tun, was ihm möglich ist, aber keiner wird überfordert. Damit ist klar, dass Gemeinde – gemäß paulinischer Vorstellung – aus unverwechselbaren, profilierten Mitarbeitern zusammengesetzt ist. Das Selbstopfer führt keineswegs dazu, dass der einzelne seine Konturen verliert und im Miteinander untergeht; genau das Gegenteil ist der Fall: Das Selbstopfer führt zum Aufbau einer kraftvollen und zugleich hingabefähigen Persönlichkeit, in äußerster Zuspitzung formuliert: Selbstopfer ist Selbstfindung“ (Rebell 1990:103). Zur Gemeinde zu gehören, die Gesandtschaft Jesu ist, Licht der Welt und Stadt auf dem Berge, ist höchste Erfüllung. Ohne dass die vielen Gaben sich auf den Leib mit seinem Sendungsziel beziehen, schwirren sie wie in einem luftleeren Raum, haben keine Anbindung, sind unverbindlich, ohne Ort. Da sind z. B. welche, denen A n b e t u n g und Liturgie das Wichtigste sind. Ohne dass sie sich vom Leib mit seiner Sendung her verstehen, haben sie die gesetzliche Neigung, sich und ihr Begehren absolut zu setzen und ihre Meinung gegen alle anderen durchsetzen zu wollen. In Wahrheit sind sie dazu berufen, sich dem Ganzen der Gemeinde in der Sendung Christi zu unterstellen. Da tauschen sie ihren Anspruch zu herrschen in den Wunsch, dem Herrn der Gemeinde in der Sendung zu dienen. Was wäre umgekehrt die sendungsorientierte Gemeinde ohne Anbetung? Was will sie geben, ohne dass sie empfängt? Rechte Anbeter geben die empfangene Liebe an jene weiter, denen sie noch unbekannt ist, hängt daran doch deren ewiges Heil. - Da sind die d i a k o n i s c h Begabten, die Christsein zu recht als tätige Liebe verstehen. Auch sie sind zu rufen, sich nicht zu verselbständigen, sondern sich mit ihrem Charisma in Christi Sendung zu stellen. Das Ziel ist, sie entsprechend ihrer Gabe zuzurüsten, zu ermutigen, den diakonischen Dienst im missionarischen Kontext wahrzunehmen. Die sendungsorientierte Gemeinde wird oft durch ihre Diakonie nach außen glaubwürdig. Aber was wäre eine diakonische Gemeinde, die stumm bliebe, ohne missionarische Liebe zu den für Christus noch zu Gewinnenden? (1. Kor 9,19-22). – 3.1.10. „Brief an die Gemeinde“ – eine Zusammenfassung 397 Da sind die kybernetisch, seelsorglich, künstlerisch und anders Begabten. Sie alle sind in Christi Sendung gerufen, um ihm in der missionarischen Gemeinde mit ihren Talenten zu dienen. Zeichen der Fehlentwicklung ist ein Dasein auf dem Abstellgleis einer introvertierten Gemeinde, wo die Gaben unentfaltet bleiben oder ein isoliertes Eigendasein führen. Viele Gemeinden wissen mit den Gaben ihrer Glieder nichts anzufangen. Sie wissen nicht, wozu sie als Gemeinde da sind und können darum keine begabten Leute gebrauchen. Die der Gemeinde gegebenen Kräfte, die auf den gemeinsamen Auftrag hin entworfen sind, werden aufgrund ihrer Unterdrückung frustriert. Sie richten sich nach innen und vielfach gegeneinander. In den Gemeinden ist oft Streit um Kleinigkeiten, weil das große Ziel nicht vor Augen steht. Die Männer und Frauen im Presbyterium sind zu lehren, was es mit dem Amt eines Presbyters oder einer Presbyterin angesichts der Ewigkeit auf sich hat. Sie wissen oft nicht, dass das Dasein ihrer Gemeinde so wichtig ist, dass sie als Leitungspersonen einst zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sind darüber aufzuklären, welche Verantwortung, sie mit ihrem Dienst vor dem Herrn der Gemeinde auf sich genommen haben. Presbyteriale Leiterinnen und Leiter brauchen Gottesfurcht und Liebe zu Gott, ein seinem Wort gegenüber gehorsames Herz. 3.1.10. „Brief an die Gemeinde“ – eine Zusammenfassung Nach allem drängt sich die Frage auf: Wollen die Gemeindeglieder solch eine Gemeinde? Hat man sich nicht zu sehr an den alten Zustand gewöhnt? Wollen sie nicht alle den Pfarrer in seiner alles dominierenden Rolle sehen? Verlangen sie nicht, dass nur er ihre Kinder tauft und konfirmiert, Trauungen vornimmt, Kranke, Jubilare und Sterbende besucht, die Toten beerdigt? Es wird bei den eher distanzierten Gemeindegliedern so sein, aber auch die „Kerngemeinde“ hat sich an die Passivität gewöhnt und scheut oft jede Herausforderung. Bald aber werden alle verspüren, um wie viel mehr sie von ihrer Kirche haben, wenn viele den Dienst der Gemeinde tragen, der in Wirklichkeit die Gemeinde trägt. Wenn es zu der neuen Weise keine Alternative gibt, ist die Umgewöhnung leichter als man denkt. Um die Gemeindeglieder in die neue Gemeindesituation einzuführen, um ihnen zu helfen, sich darin zurechtzufinden, sollte zu einer 3.1.10. „Brief an die Gemeinde“ – eine Zusammenfassung 398 Gemeindeversammlung eingeladen werden, wozu der nachfolgende Brief schon vorweg Grundsätzliches erklärt. (Der Brief mag als Zusammenfassung des oben Dargelegten gelten). L i e b e G e m e i n d e g l i e d e r ! Wie Sie vielleicht gehört haben, steht unsere Kirchengemeinde mitten in einer Reform. Es hat sich erwiesen, dass bei 2150 Seelen umfassende Seelsorge durch nur einen Pfarrer nicht geleistet werden kann. So hat unser Presbyterium in Absprache und mit Zustimmung unserer Kirchenleitung folgende Maßnahmen eingeleitet, um auf eine Neuordnung hinzuwirken: Nach erfolgter 2jähriger Ausbildung in einem unserer praktisch-theologischen Kurse und nach Bewährung in der Leitung eines Hauskreises sind folgende Damen und Herren unserer Gemeinde zu „Partnern im Pfarramt“ berufen und eingesegnet worden: (Es folgen die Namen und Adressen). Die Amtspartner sind, ihrem Dienstbereich entsprechend, berechtigt, im Gottesdienst zu predigen, Hausgottesdienste zu halten, Amtshandlungen vorzunehmen, Sakramente zu verwalten. Sie werden im engen Kontakt mit dem Presbyterium und mir unterrichten, taufen, konfirmieren, trauen, beerdigen, Trauernde begleiten und anderweitig Seelsorge üben. Wenn Sie eine Amtshandlung wünschen, wenden Sie sich bitte an das Kirchenbüro, das ihnen einen Amtspartner vermittelt. Diese sind meistens Presbyter bzw. Leiter oder Leiterinnen eines unserer Kurse, Teams oder Hauskreise. Es wird dem Pfarramt die vollzogene Amtshandlung gemeldet, damit sie ordnungsgemäß ins Kirchenbuch eingetragen wird. Die Sakramen e (Taufe und Abendmahl) werden vornehmlich weiterhin im Hauptgottesdienst gefeiert. Für die Leitung der Mahlfeier in Hauskreisen wurden die Leiter ausgebildet und ordiniert. Uns liegt daran, dass das Abendmahl würdig gefeiert und der Einsetzung gemäß geführt wird. Der oder die dazu Ordinierte muss öffentlich für jeden zugänglich handeln. Sie werden sich fragen: "Was tut unser Pfarrer nun noch den ganzen Tag?" Meine Rolle ist in hohem Maße die eines A u s b i l d e r s der Gemeindeglieder und eines B e r a t e r s der Amtspartner geworden. Zu bestimmten Diensten ausgebildete Gemeindeglieder werden in Zukunft einen wesentlichen Teil der Aufgaben übernehmen, die ich früher allein bewältigen musste. 3.1.10. „Brief an die Gemeinde“ – eine Zusammenfassung 399 Inzwischen liegt auch die Predigtaufgabe auf mehreren Schultern. Wir haben ein V e r k ü n d i g u n g s t e a m , sodass ich selber nicht mehr jeden Sonntag predige. Der Predigdienst wird neben mir von vier weiteren Gemeindegliedern getan. Sie haben dazu eine Ausbildung absolviert und sind in ihr Amt feierlich eingeführt worden. Sie werden durch mich in ihrem Dienst unterstützt und begleitet. Nun hat jeder fünf Wochen Zeit für die Predigtvorbereitung, die alle sehr ernstnehmen. Ich hatte früher fünf Stunden zur Verfügung. Wir haben eine 14tägige „Predigtwerkstatt“ eingerichtet. Da werden Entwürfe für Predigten besprochen und diskutiert, wobei wir Bibeltexte auslegen und meditieren, aber auch die konkrete Situation unserer Gemeinde bedenken, in die hinein Gottes Wort zu verkündigen ist. Die Predigtwerkstatt ist auch für interessierte Gemeindeglieder offen, die selber nicht predigen. Ihre Beiträge sind, wir erleben es, wertvoll und darum sehr erwünscht. Eine andere Gruppe ist in Zusammenarbeit mit den Predigtpartnern für die Gestaltung des Gottesdienstes zuständig. Des Weiteren kümmere ich mich mit anderen Amtspartnern um die Aus- und Weiterbildung sowie die Begleitung der Hauskreisleiter und anderer Mitarbeiter. Einige sind für die Seniorenarbeit, andere für den Unterricht der Konfirmanden auszubilden und zu begleiten, andere für den Kindergottesdienst, für die Jungscharen und Jugendkreise. Auch ein Team, das Kranke besucht, steht bereit, ebenso Verantwortliche für Kreativitäten (Sport, Wandern, Musik, Künstlergruppen). Einer meiner Schwerpunkte liegt im Presbyterium, das sich statt alle 2 Monate nun 14tägig trifft. Sonst könnten wir die Aufgaben nicht bewältigen. Es besteht bei uns vorwiegend aus Leuten, die für die einzelnen Dienstbereiche verantwortlich sind. Ebenso bleibt mir die theologische und praktische Schulung und Begleitung von Leitern der verschiedenen Kreise vorbehalten. Wir haben Teams für Öffentlichkeitsaufgaben und Außenkontakte. Dazu gehören unser Besuchsdienst, die Gruppe für evangelistische Unternehmungen und ein Team für Weltmission. Ein Team für „Sterbebegleitung, Beerdigung und Trauerhilfe“ ist gerade im Entstehen. Ein Konfirmandenteam, das kürzlich gebildet wurde, ist auch für die Eltern da. Teams haben sich für Kinderkreise, Jungscharen und Senioren gebildet. Andere für Taufeltern und diakonische Aufgaben sind in der Entwicklung. Auch ein Wartungsteam haben wir, das sich der Belange der Instandhaltung unserer 3.1.10. „Brief an die Gemeinde“ – eine Zusammenfassung 400 Räume annimmt, und das wichtige Büroteam. Unsere Teams tun ihren Dienst unter der Leitung des Presbyteriums selbständig und in Eigenverantwortung. Mit alledem wollen wir nicht nur die Begabungen in der Gemeinde fördern und einsetzen. Das natürlich auch. Wir sehen unseren Auftrag darin, möglichst alle Menschen in unserem Ort mit dem zusammenzubringen, der uns geschaffen und erlöst hat, damit wir fröhlich leben, ihn möglichst vielen bezeugen und - in Frieden sterben können. Das bekannt zu machen, erfordert die Hilfe vieler. Das Presbyterium, die Hauskreisleiter, alle Mitarbeiter und ich sind gewiss, dass Sie bald erfahren, wieviel wirksamer wir nun einzelnen Familien und Personen zur Verfügung stehen können. Das trifft besonders für die Begleitung Trauernder zu. Es gehört zur Aufgabe der Hauskreise, sich um Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben, zu kümmern, wenn es gewünscht wird. Durch die Fülle der Aufgaben, die bisher auf mir allein lasteten, bin ich zu letzterem nie gekommen. Dieser Zustand ist mit unserer Gemeindereform endlich überwunden. Eine Freude für uns wäre, wenn auch Sie sich an einem unserer interessanten Hauskreise beteiligen oder sich in einer unserer Dienstgruppen engagieren würden. Wir brauchen Sie! Auf Ihre Rückmeldung, Ihre Beiträge und Vorschläge sind wir gespannt. Heute in einer Woche, am Freitag dem ..., haben wir um 19.30 Uhr im Gemeindehaus eine Gemeindeversammlung, auf der wir Ihnen unsere Neuordnung genauer erläutern möchten. Auf Ihr Kommen freuen sich das Presbyterium, alle Amtspartner, Mitarbeiter und Ihr Pfarrer ... 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 401 3.2. Predigt als Sendungsrede 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden Nach allem liegt auf der Hand: Die Gesandtschaft und Stadt auf dem Berge hat e i n a n d e r e s V e r k ü n d i g u n g s v e r s t ä n d n i s als eine Gemeinde, die sich selbst genügt. Die sendungsorientierte Gemeinde vermeidet unverbindliches Reden, das sich unentwegt an einzelne wendet oder gruppenegoistisches Wohlergehen im Auge hat. Sie versteht Predigt nicht mehr als Aufgabe eines überlasteten Solisten, als folgenloses, gemeindeinternes Selbstgespräch. Statt unverbindlich und individua- listisch zu sein, erhält die Verkündigung dadurch Verbindlichkeit, dass alle Vielfältigkeit des Gemeindelebens auf das e i n e Gemeindeziel gerichtet ist: Empfangen und Geben, Zurüstung der Gemeinde auf ihre Sendung hin. Die Gabe, Christus, und die von ihm gestellte Aufgabe, die Sendung, wenn sie konkret angenommen wird, fügen die einzelnen Glieder zusammen zum verbindlichen Christusleib, um den die Gedanken des Paulus so intensiv kreisen. „Nicht Gleichheit, sondern Einheit, nicht Verdrängung der anderen Gaben zugunsten der einen und Bevorzugung der einen Leistung zum Schaden der Gemeinschaft, sondern U n t e r o r d n u n g a l l e K r ä f t e u n t e r d a s Z i e l d e r G e m e i n d e ergibt die Richtung, in die Paulus die Korinther bringen will“ (Schlatter 1956:344, Hervorhebung KE). Paulus spricht von der Gemeinde als dem Leib Christi. „Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus“ (1. Kor 12,12). Schlatter liegt daran, dass Paulus hier nicht etwa ein Gleichnis formt „das als Schmuckstück seine Mahnung belebe und im gewissen Maß verdeutliche“ (:345). Zwischen der Gemeinde und dem Leib bestehe eine reale Ähnlichkeit. „Derselbe Wille Gottes, der den Leib schuf, gibt auch dem Lebenszusammenhang, der die Gemeinde eint, die höchste Realität, da der eine Herr durch den einen Geist alle in sich und dadurch miteinander verbindet“ (ebd.). Der Begriff „Leib“ beschreibt nicht nur, wie die Glieder aneinander gebunden sind, sondern das Verhältnis, in dem sie zu Christus stehen. „Als die, die der Geist des Christus und Gottes bewegt, sind sie seine Versichtbarung, nicht nur die Empfänger seiner Gaben, sondern auch die Träger 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 402 seines Wir-kens in der Welt, wie der Geist in den Gliedern des Leibes die Werkzeuge hat, durch die er seinen Willen vollbringt“ (ebd.:345-346). Dass die Gemeinde Leib ist, ist nicht bildlich gemeint, sondern wirklich. Allem Doketismus ist gewehrt. Ein homiletischer Grundbegriff im Blick auf die Gemeinde ist o¸kodomÐ. Auf Erbauung zielt die Predigt ab (1. Kor 14,12; vgl. 4,5,17,26 und Röm 14,19). „Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die G e m e i n d e (1. Kor 14,4). Abgesehen von der Glossolalie steht fest, „dass der terminus ‚aufbauen’ im Neuen Testament i m m e r e i n e G e m e i n s c h a f t im Auge hat, nicht ein einziges Mal das religiöse Privatleben eines Individuums“ (Wingren 1959:41). Der Begriff „Erbauung“ hat schon sehr früh die zentrale Stellung, die er bei Paulus hatte, verloren. Daran habe auch die Reformation nichts geändert. Erst im Pietismus taucht er wieder auf „und da ist der Erdrutsch in individualistische Richtung bereits geschehen“ (ebd.). Der Kirchengedanke sei zerfressen, die ecclesiola eine Sammlung einzelner Individuen, der Gottesdienst habe nun die Aufgabe, das Individuum zu erbauen. „Und in demselben Augenblick, in dem das Individuum in das Zentrum ge- kommen ist, im selben Augenblick kommt mit einer gewissen inneren Notwendigkeit d a s G e f ü h l in das Zentrum: Man ist erbaut, wenn man sich erbaut fühlt, und – dies ist die Konsequenz – man gibt den Gottesdienst auf, wenn man sich nicht erbaut fühlt. Geht man in urchristlicher Weise von der Gemeinschaft aus, dann kann nicht leicht die Erstarrung des Gefühls bei einem einzelnen Individuum während des Gottesdienstes die Erbauung aufheben, die Erbauung der G e m e i n d e , während dagegen die bewusste und egozentrisch-fromme Preisgabe des Gemeindegottesdienstes ein Beiseiteschieben gerade der Erbauung ist, ein Zerreißen der Gemeinschaft“ (:41-42). Die egozentrisch-fromme Grundeinstellung, den zerstörerischen Individualismus gilt es zu überwinden. Das ist legitim allein dadurch möglich, dass die Individuen sich darin einig werden, sich dem Sendungsauftrag im Gehorsam zu stellen. Die hohe Gabe, Christus und die von ihm gestellte Aufgabe, die Sendung, fügt die einzelnen Glieder zusammen zu dem C h r i s t u s l e i b als verbindliche Größe. Der ist dann nicht mehr nur eine Ansammlung von Individuen, ist nicht mehr 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 403 Predigtpublikum, sondern tatsächlicher Leib, da er sich im Sinne seines Auftraggebers sammelt, um in der Sendung zusammenzustehen. Das verändert die Verkündigung der Gemeinde in hohem Maße. Aus der Predigt, die sich an ein Publikum von einzelnen, zusammengewürfelten, unverbindlichen Gliedern wendet, wird Verkündigung an eine verbindliche Gemeinschaft unter dem Vorzeichen der Sendung, da ist sie Zuspruch und Anspruch an eine Lebensgemeinschaft zur Ehre Gottes und der Rettung der Menschen, wobei das Wohl der Menschen nie zu kurz kommt oder gar gering geachtet wird. Dabei sei daran erinnert, dass vor der Aufgabe die Gabe steht: Evangelium und Charisma! Das bedeutet Gabe und Begabung in Hülle und Fülle. Sendung in der Heiligen Schrift beginnt damit, dass den Gesandten, allen Gemeindegliedern also, Charismen gegeben sind. Die Gabe kommt vor der Aufgabe. Das ist der sendungsorientierten Gemeinde von so großer Bedeutung, dass es in ihr zu einem homiletischen Kennzeichen wird, den Geber und seine Gaben in die Mitte der Verkündigung zu stellen. Dadurch erhält die Predigt ihren evangelischen Charakter, überwindet die Gesetzlichkeit und versteht die Paränese als Evangelium. Di Predigt bekommt gaben- und aufgabenrelevanten Sachverstand. Aus indi- vidualisierender „Seelenbedienung“ (Bohren 1963:190) wird verbindliche, zielgerichtete S e n d u n g s r e d e a n d i e G e m e i n d e a l s d e m L e i b C h r i s t i . Käsemann (1957:6) stellt heraus, „dass die dem Offenbarungsempfänger gemäße Existenzform in der Zeit einzig die Wanderschaft sein kann.“ Das durch die Wüste ziehende Israel wird als Antityp der Christenheit herausgestellt. Diese nennt Käsemann „Genossenschaft Christi“. Nicht auf dem Einzelnen ruht der Blick. „Sofern nun die Offenbarung überhaupt den Einzelnen trifft, erfolgt das durch das Medium der Genossenschaft, trifft sie ihn als Glied des Volkes“ (:7). „Nur in der Verbundenheit mit Christi Genossen gibt es für den Einzelnen Leben, Glauben und Vorwärtsschreiten auf dem Wege der Wanderschaft. Sowie jemand sich seiner Gliedschaft nicht mehr völlig bewusst ist und sich vom Gottesvolk zu isolieren beginnt, muss er zugleich die Verheißung dahintengelassen und das Ziel aufgegeben haben … Das bedeutet, dass dem Ungehorsam … die Existenzform der Isolation eigentümlich ist und dass solche Existenzform den Ungehorsamen als unter göttlichem Fluch befindlich erweist“ (:8). 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 404 Dem stehen Ansichten gegenüber, die das Gefühl anrühren und im ersten Moment auch einleuchten. Bei Licht besehen aber gehorchen sie dem individualistischen Muster, das die Tatsache außer Acht lässt, dass die Gemeinde ein verbindlicher Leib ist, der einen Auftrag bekommen hat, dass sie ein wanderndes Gottesvolk ist, dass am Anfang eine Verheißung bekam und damit auf einen „genossenschaftlichen“ Weg gestellt ist und ein gemeinsames Ziel kennt. Im Internet stoße ich auf homiletische Ausführungen von Engelsberger (2001). Zum Thema „Ansprechend predigen“ schreibt er unter „Hörerinnen und Hörer“: „Es hat sich die Hörgewohnheit unserer Predigthörer verändert, damit auch ihre Erwartung. Fast niemand mehr erwartet eine gestandene, gar eine ‚gewaltige’ öffentliche Rede. Niemand mehr erwartet eine „Kanzelrede“. Gesucht ist das sehr persönliche Gespräch, die in diesem öffentlichen Geschehen verborgene persönliche Seelsorge. Verkündigung wird in der Erwartung der mediengeprägten Menschen, der mehr und mehr sich als Individuen fühlenden Menschen eine sehr intime Geschichte zwischen dem, der spricht und dem, der hört. - Ich weiß, ich muss gleich bei diesem Menschen sein. Ich will innerhalb weniger Sekunden Vertrautheit schaffen und Nähe, sonst geht er mir verloren. Ich darf ihm nie ein Hindernis, ich muss ihm Brücke sein, und das eigentlich sofort. Also werde ich reden mit ihm, als ob er mir gegenüber säße. All s Salbadern, Worthülsen-Produzieren, theologische Richtigkeiten aufsagen muss ich vergessen. Alles mir Fremde muss abfallen. Ich bin ein Werkzeug … Ich will das taugliche Werkzeug sein, "Evangelium" damit 150 Einzelnen, im Rundfunk oder Fernsehen damit hunderttausenden von Einzelnen zuzusprechen. Alle Zahlen will ich vergessen und an den Einen denken, der mir gegenüber sitzt, zu dem ich mich heraus lehne, bei dem ich gleich sein will und für den ich alles geben will, was in mir ist … - eben jetzt gebe ich alles, was in mir ist an Einfällen, Fantasie, Sehnsucht, Glauben, Elend, Wissen. Briefe, die mit 45 Pfennig frankiert sind, Massendrucksachen öffne ich schon lange nicht mehr. Ich schließe von mir auf andere: Auch sie wollen keine Massendrucksachen, sie wollen ihren ganz eigenen Brief.“ Dem Rundfunksprecher ist zuzustimmen: Die Hunderttausende sind als Einzelne anzusprechen. Völlig anders aber verhält es sich in der Gemeinde, die sich von Christus her als den sie Sendenden versteht. Sie ist als Leib anzusprechen, als verschworene Gemeinschaft, die durch ihren Herrn in den Kampf gestellt ist, Menschen für das Reich zu gewinnen. Die Gemeinde ausschließlich als 150 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 405 Einzelne zu sehen, offenbart, wie weit wir uns vom biblischen Verständnis, dass die Gemeinde ein Leib ist, entfern haben. In den homiletischen Ausführungen Engelsbergers ist nur ein aus lauter Einzelwesen bestehendes Predigtpublikum im Blick. Da wundert es nicht, dass die Hörererwartung des Einzelnen zum bestimmenden Kanon wird. Entsprechend sieht sich der Prediger gegenüber dem einzelnen, hilfsbedürftigen Hörer, in einer beherrschenden Rolle. 24mal findet sich in dem kurzen Text die Personalpronomen in der ersten Person „ich“, „mir“„mich“. Er, der die Zahlen vergessen will, übersieht den Leib. Außer der Predigt als Ansprache an den Einzelnen und der Predigt als Massendrucksache übersieht er die entscheidende ntl Weise, die die Gemeinde als Leib in der Sendung Christi versteht, als Genossenschaft des wandernden Gottesvolks, in der der Einzelne nicht zu kurz kommt. In ihr wird seiner geistlichen Existenz, Glied am Christusleib zu sein, erst Rechnung getragen. I einem Team von Predigern mit verschiedenen Charismen, hat die seelsorgliche Predigt ihren Platz. Sie wird auch dort über einzelne Glieder hinaus den Leib und über den Leib die einzelnen Glieder ansprechen. Eine Predigt jedoch, die sich Sonntag für Sonntag seelsorglich bewusst nur an Einzelne wendet, schreibt die Atomisierung der Gemeinde fort. Wie wir oben sahen, spricht Hanssen (1999:13) von der „missionstheologischen“ Dimension aller biblischen Aussagen. Wird diese nicht beachtet, wird die Botschaft verkürzt. „Wenn Mission nicht ein Werk der Kirche unter vielen ist, sondern zu ihrem Wesen und Auftrag gehört, so ist die Mission der Sache nach in jedem Schriftwort und damit in jeder Predigt enthalten“ (:44). Ist die Mission der Sache nach in jedem Schriftwort und damit in jeder Predigt enthalten, ist Predigt im Blick auf die glaubende Gemeinde einmal mehr als S e n d u n g s r e d e definiert. Hört Predigt auf, sich in individualistischer Seelenpflege zu erschöpfen, kommt Weite in den Blick, das Gottesreich! Predigt als Sendungsrede bedeutet: Sie richtet sich an die Gemeinde, erbaut sie, meint aber mehr als sie. Sie schaut auf die Versammlung und doch über sie hinaus, auf den, der sie sendet und auf die, zu denen sie gesandt ist. Predigt als Sendungsrede ist zu allererst vom Indikativ bestimmt. Die Gemeinde ist zu beschenken. Aufgrund des Indikativs erfolgt der Imperativ. Die Gemeinde auf Christus den 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 406 Geber, sie auf ihre v i e l f ä l t i g e n Gaben und ihre e i n e Aufgabe anzusprechen, bedeutet Ermutigung, Zurüstung zum Dienst. Predigt als Sendungsrede richtet sich nicht an ein zusammengewürfeltes Predigtpublikum, sondern an die Gemeinde als Leib. „Der Leib hebt die Privatheit der Glieder auf“ (Eichholz 1937:268). Geht es der Predigt immer nur um die Erbauung von Einzelnen, gerät die Gemeinde mit ihrem Sendungsziel aus dem Blick. Predigt als Sendungsrede schaut auf das Ganze und wird gerade dadurch den einzelnen Gliedern gerecht, deren Wesen es ist, Teil eines leibhaften Ganzen zu sein. In der Gemeinschaft der Gesandten erfährt der Einzelne seine persönliche Bestimmung. Hier entfaltet er sich seinem Wesen gemäß, wird mit seinen Gaben für das Ganze und somit für die Sendung wichtig. Es „will der Heilige Geist an allen wirken, um sie zu einzelnen zu machen; an den einzelnen, um sie zur Gemeinde zu sammeln und an der Gemeinde, um sie zum Dienst und Opfer an die Gesamtheit zu senden“ (Seitz 1978:157). Da sich Verkündigung als Sendungsrede an die Gemeinde als den Christusleib wendet und nicht an „den Hörer“, geht es in dieser Arbeit nicht um die in der einschlägigen homiletischen Literatur behandelte Predigt.1 Es geht darum, d i e „ N o r m a l p r e d i g t “ a l s M i s s v e r s t ä n d n i s k i r c h l i c h e r V e r k ü n d i g u n g z u e r k e n n e n u n d - z u ü b e r w i n d e n . Die bei uns gepflegte Predigt geht – weil sie durchweg unverbindlich ist - gewöhnlich ins Leere. Bohren (1989:10) beklagt ihre Unverbindlichkeit. Die Predigt mag gut sein, sie mag schlecht sein, sie ist mit einem Pfeil zu vergleichen, den ein Schütze blindlings in die Luft schießt, ohne gemeinderelevantes Ziel, ohne seine Flugbahn weiter zu verfolgen. Der Pfeil gerät ins Trudeln, fällt unbeachtet zu Boden und verkommt. Dass das Wort gelegentlich dennoch jemanden streift, auch heilsam trifft, ist der Macht und Souveränität des Geistes zuzuschreiben. Wer predigt, wird dem Bibelwort gerecht werden wollen, wird das Ziel des Textes beachten. Aber am nächsten Sonntag ist ein neuer Text mit einem neuen Ziel fällig. Wir sahen oben, wie verwirrend das für Prediger und Gemeinde ist. Ein auf ein Ganzes gerichtetes Ziel gibt es nicht. Die verschiedenen Predigtziele 1 Diese sieht durchweg den einzelnen Hörer als Gegenüber. So schreibt Bohren (1971:443).kurz und knapp: „Der Hörer ist der Adressat der Predigt“. 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 407 gehen in verschiedene Richtungen anstatt einer einzigen zu folgen. Woche für Woche in eine neue Richtung schauen zu müssen, verdreht der Gemeinde den Kopf. Geht es – nach Epheser 4 - um apostolische, prophetische, evangelistische, seelsorgliche und lehrhafte Verkündigung mit der Absicht, dass die Gemeinde das Potential ihrer Gaben für die Sendung erkennt und entfaltet, so geht es bei aller Vielfalt um e i n e Richtung. Darum kommt alles darauf an, dass die Gemeinde ihrem Herrn folgend, in der einen Richtung unterwegs ist. Verstehen wir die Predigt als Sendungsrede, bedeutet das keine thematische Engführung, im Gegenteil. Die eine Blickrichtung bündelt viele Teilaspekte, wie das am Leben Jesu und der Apostel und am gesamten NT deutlich wird. Jesus hat viel gesagt und getan. Alles aber war auf e i n e s gerichtet, auf die Sendung des Vaters zur Rettung und Vollendung der Welt. Mit dem Wort und der Tat der Gemeinde kann es nicht anders sein. Sie ist mit allen, was zu ihr gehört, einschließlich ihrer Predigt, auf e i n Ziel gerichtet. Das macht den Unterschied zur bisherigen unverbindlichen Predigtweise aus, die die Gemeinde in die Vereinzelung treibt und hält. Hat die Gemeinde im Auge, Stadt auf dem Berge zu sein, so zündet sie alle verfügbaren Lichter an. Je heller die Stadt, desto deutlicher scheint sie in der Finsternis und zieht Menschen an. Sie ist daran interessiert, dass das Evangelium in ihren Reihen und darüber hinaus Heil und Heilung wirkt. So sind gesunde Familien nicht nur um ihrer selbst willen wichtig. Sie sind es um der Sendung willen. In biblisch geführten Gemeinden der Ökumene habe ich Seminarangebote erlebt, die darauf aus waren, Familien zu stärken: „Wie werden wir bessere Ehemänner?“ „Wie werden wir Väter nach dem Herzen Gottes?“ Das geschah um der Sendung willen. Biblische Lehre, die das eine konkrete Ziel im Auge hat, führt tief in die Lebenspraxis und bestimmt den Alltag der Gemeindeglieder. Wir erinnern an Eph 4-6. Da war die apostolische Predigt, die der Gemeinde das Sendungsziel vor Augen hält, dann die prophetische Verkündigung, die der Gemeinde den notwendigen Durchblick für ihre Zeit und Situation vermittelt. Des weiteren ist die evangelistische Verkündigung wichtig. Sie weckt geistlich Tote auf, wendet sich an Ablehnende, Zweifelnde und Suchende außerhalb und innerhalb der Gemeinde. Zugleich aber ist sie auch lebensnotwendig für die Glaubenden. Die seelsorgliche Predigt ist ebenso lebensnotwendig. Es ist nicht 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 408 nur die Predigt, die nach Möller ([1983] 1990) den Gott allen Trostes hören, den Verstummten zu Wort kommen und den Erschöpften aufatmen lässt. Das auch. Sie hat dabei das Reich Gottes im Auge, das Wohl der ganzen Gemeinde und weiterblickend das Heil der Welt. So weitschauend ist biblische Seelsorge im Kontext der Sendung (cura generalis). Schließlich ist da die Verkündigung der Lehrer. Sie betreiben mehr als Erwachsenenbildung. Biblische Lehre meint Bildung und Herzensbildung zugleich, ist doch Glaube „nicht allein eine gewisse Erkenntnis“, sondern auch „ein herzliches Vertrauen“ (Heidelberger Katechismus, Frage 21), nicht nur Information, sondern Formung der Gemeinde. Biblische Lehre fördert das persönliche Bibellesen der Glieder, vermittelt Glaubenskunde, Lebenskunde im Kontext der Sendung. Diese fünf Predigtweisen richten sich, wie der Epheserbrief verdeutlicht, auf e i n Ziel innerhalb ihres e i n e n Auftrags: Da ist von der Zurüstung zum Dienst und der Erbauung des Leibes die Rede, dass alle zum vollen Maß der Fülle Christi führt. Das alles geschieht nicht zum Selbstzweck. Darum wird es konkret: Unmündigkeit soll überwunden werden (4,14), Lüge und Zorn abgelegt (25.26). Die Epheser sollen nicht mehr stehlen (28), sich nicht in faulem Geschwätz ergehen (29). Gute Ehen und Familien werden angestrebt (5,21 - 6,9). Für den Kampf wird der Gemeinde die ganze Waffenrüstung gegeben (6,10-17), so kann sie, darauf geht alles hinaus, d a s E v a n g e l i u m d e s F r i e d e n s t r e i b e n , (6,15) kann sich durch den Glauben vor den Attacken des Bösen schützen, damit sie das Schwert des Geistes, das Wortes Gottes, als „Angriffswaffe“ recht führt. Ist Predigt Sendungsrede, rückt auch die P r e d i g t l e h r e in ein neues Licht. „Das Predigtverständnis entscheidet über die Art und Weise einer Predigtlehre“ (Bohren 1971:48). Wir kommen mit herkömmlichen Homiletiken nicht mehr aus. Sie mögen Predigt als „Freiheit vom Hörer“ verstehen, wie Thurneysen oder als „vom Hörer herausgefordert“, wie Lange (Bohren 1971: 444-452), die herkömmliche Homiletik hat bis in unsere Tage den einzelnen Hörer im Auge (Müller 1996: 282-293) und nicht, wie es biblisch wäre, die Gemeinde als leibhaftige Gesandtschaft. Darum fehlt der herkömmlichen Homiletik die zielgerichtete Eindeutigkeit, die nicht durch viele einzelne Textpredigten zu gewinnen ist, sondern vom Vorzeichen der Sendung her, unter dem die Texte 3.2.1. Das Missverständnis der Predigt überwinden 409 stehen und die der Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Gesandtschaft und Stadt auf dem Berge auszulegen sind. Es fehlt die Ausrichtung auf Christus als Gabe und als den Sendenden, sodann auf die Sendung als Gabe und Aufgabe an die Gemeinde. Biblische Texte sind anders zu lesen, auszulegen und zu predigen, wenn sie vom Vorzeichen der Sendung her 3.2.2. Beschenkende Predigt 410 verstanden werden, als wenn dieses Verständnis fehlt und die Prediger lediglich daraufhin gelehrt werden, Individuen anzusprechen. Gemeinden, die zu den Menschen extra muros ecclesiae unterwegs sind, die also herausgefordert werden, Freud und Leid, Erfüllung und Anfechtung, Erfolg und Misserfolg durch die missionarische Herausforderung in besonderer Weise zu verkraften, brauchen andere Predigten als Gemeindeglieder, die in ihrer Kirchlichkeit sitzen bleibend lediglich für sich selbst individuell aufgebaut werden wollen und damit ihren Auftrag sabotieren. Das wird in künftigen Homiletiken zu berücksichtigen sein. Wir sahen bereits oben, Homiletik ist bei uns eher eine Hilfe zum g e m e i n d e i n t e r n e n S e l b s t g e s p r ä c h . Eine Homiletik, die die Predigtsituation nicht von der Sendung her begreift, bzw. die Sendung nur marginal behandelt, verkennt das biblische Anliegen und geht an der vom NT geschauten Wirklichkeit vorbei. 3.2.2. Beschenkende Predigt „Vorzeichen der Sendung“ oder „Verkündigung als Sendungsrede“, das mag die Vorstellung hervorrufen, als befände sich die Gemeinde nun unter Dauerdruck. Weit gefehlt! Wir wiederholen uns diesbezüglich bewusst: Den Sendungen Gottes geht sein Beschenken voraus. Der ntl Gemeinde gibt Gott seinen Sohn. Er ist das Geschenk, das ihre Sendung begründet. Als später der Sohn die Jünger sendet, heißt es: „Er g a b ihnen Vollmacht“ (Mt 10,1). Vor der Sendung steht die Gabe, das Empfangen, dem folgt die Sammlung, dann erst die Sendung. Predigt als Sendungsrede ist von der Gabe Gottes in seinem Sohn Jesus, von der Frohbotschaft bestimmt. Sie ist darum voller Staunen, Freude und Jubel über die Herrlichkeit des Gebers. Ein Exempel ist der Epheserbrief. Da wird der Gemeinde, die weit davon entfernt ist, einem Idealbild zu entsprechen, drei Kapitel lang die Schönheit Gottes in Jesus Christus und zugleich die Schönheit der Gemeinde vor Augen gestellt. Ihr Reichtum der vor den Ephesern ausgebreitet wird, dreht sich um die Einzigartigkeit Jesu. 28mal erscheint in den drei ersten Kapiteln „Jesus“ oder „Jesus Christus“ bzw. „Christus Jesus“. Der Reichtum in Jesus wird vor der Gemeinde aus 3.2.2. Beschenkende Predigt 411 breitet. So werden Freude und Anbetung geweckt. Gottes große Tat wird von allen Seiten mit allen Facetten beschrieben. Wieder und wieder wird das Geschenkte angeschaut, Jubel, Lob und Dank hervorrufend: Unser Gott ist ein gebender Gott. Er gibt sich uns in seinem Sohn und er gibt viele Gaben, geistliche und natürliche! Die Schar der Glaubenden steht staunend da und empfängt. Zugleich nimmt der Schreiber die Gemeinde in die Weite des Evangeliums hinein: In Christus soll alles zusammengefasst werden, was im Himmel und auf Erden ist (1,10). Den kommenden Zeiten soll der überschwängliche Reichtum seiner Gnade erzeigt werden (2,7). Der Zaun zwischen dem atl Gottesvolk und den Heiden ist nämlich abgebrochen (2,14). Die Heiden sind Miterben, Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium (3,6). Keine Appelle finden sich da, lauter Indikative. Nur einmal die Aufforderung, daran zurückzudenken, dass sie einst Heiden waren, keine Hoffnung hatten und ohne Gott in der Welt waren (2,11). Der Imperativ unterbricht die Doxologie in keiner Weise, zielt er doch auf das jubelnde „ J e t z t a b e r . “ Jetzt aber sind sie, die fern waren, Nahe geworden durch das Blut Christi (13). Die ephesischen Gemeinden sind junge, zarte Pflänzchen. Der Briefschreiber bittet den Vater, dass er ihnen Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in ihren Herzen wohne und sie in der Liebe eingewurzelt und gegründet sind (3,16-17). Er umgibt sie mit seiner Fürbitte und lässt es sie wissen, dass und was er für sie betet. Dann kommt ab Kapitel 4 der ermahnende Teil des Briefes und doch, immer wieder der Rückbezug auf die Gabe Christi (4,7-12). Gründet die Doxologie im gebenden Gott, so wecken das Empfangen der Gabe des Christus und der Gnadengaben zum Dienst das Verlangen und die Verantwortung zum Weitersagen und Weiterreichen. Damit kommt am Ende des Briefes die Situation des geistlichen Kampfes in den Blick. Die ganze Waffenrüstung Gottes (panopl°a to qeoÂ) wird der Gemeinde dargeboten, Waffen der Verteidigung und des Schutzes (der Schild des Glaubens) und des Angriffs (das Schwert des Geistes, das Wort Gottes), soll doch, wie wir schon sahen, das Evangelium des Friedens getrieben werden. Ein erneuter Sendungsbefehl nach dem Beispiel Jesu erfolgt nicht, der steht im Raum der 3.2.2. Beschenkende Predigt 412 Gemeinden, sind sie doch auf Grund dieses Befehls entstanden. Paulus aber beteiligt bereits die jungen Gemeinden, die sehr der Fürbitte und des Zuspruchs bedürfen, existentiell an seiner Mission: „Betet allezeit mit Bitten und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit im Gebet für alle Heiligen und für mich, dass mir das Wort gegeben werde, wenn ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu verkündigen, dessen Bote ich bin in Ketten, dass ich mit Freimut davon rede, wie ich es muss (6,18-20). Nur die Gemeinde, die empfängt, kann auch geben, und sie gibt gern. Von Gottes Herrlichkeit erfüllt, kann sie es nicht lassen, von dem zu reden, was sie gesehen und gehört hat (Apg 4,20). Hat jemals einer einen großen Gewinn gemacht, ohne die Lust zu verspüren, davon zu erzählen (Lk 15,6.9)? Als die, die aus Jesu Fülle nimmt „Gnade um Gnade“ (Joh 1,16), wird die Gemeinde für die Mitmenschen vor ihren Toren wichtig und wertvoll (Mt 5,13-16). Zu ihnen unterwegs, bringt sie ihnen das Schönste, ist sie doch „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ (1. Kor 4,1). Aus der Fülle teilt sie aus, damit auch andere zum Glauben finden und selber als Glieder der Gemeinde zu Zeugen der Gnade werden. Durch Weitergabe vermehrt die Gemeinde das ihr Anvertraute (Mt 25,14- 30). Nicht die appellierende Predigt wirkt missionarische Gesinnung, sondern die, die Gott verherrlicht. G e m e i n d e p r e d i g t a l s S e n d u n g s r e d e kommt aus der Anbetung und führt zu ihr hin. Auf diese Weise wirkt sie missionarische Gesinnung und missionarisches Handeln unter den Gemeindegliedern und v e r b i n d e t s i e z u r G e m e i n s c h a f t v o n Z e u g e n d e r G n a d e G o t t e s . Die Gemeinde ist ein Schöpfungswerk Gottes und seines Geistes, Abbild der an sie ergehenden Verkündigung (creatura verbi). Die als Sendungsrede verstandene Predigt fordert nicht, was sie nicht vorher schenkt. Sie gibt Kraft, bevor sie zum Einsatz der Kräfte ruft, sie rüstet den Leib Christi für den Dienst, bildet aus, stärkt, tröstet, ermutigt, ermahnt. Die sendungsorientierte Gemeinde ist der von Ewigkeit her vorgesehene Raum der Entfaltung und Ausübung der Charismen. Predigt als Sendungsrede tut den mit Charismen Begabten gut, sie stehen auf und rufen: „Wach auf, mein Herz, und singe, dem Schöpfer aller Dinge, dem Geber aller Gaben, die wir empfangen haben“ (EG:446,1). Predigt als Sendungsrede kann darum auf Appelle weitgehend 3.2.2. Beschenkende Predigt 413 verzichten. Die Reben am Weinstock werden um der Frucht willen wohl gereinigt und beschnitten (Joh 15,1-5), aber nicht unter Druck gesetzt, etwas zu erbringen, was ihnen nicht gegeben ist. Wir greifen voraus: Will die Predigt als Sendungsrede nicht verpuffen, sondern ausrichten, wozu sie ergeht, braucht die Gemeinde eine m i s s i o n a r i s c h e I n f r a s t r u k t u r (3.3.7.). Das ist das System bzw. Zusammenspiel von Dienstgruppen und Hauskreisen oder Hausgemeinden, von dem wir noch handeln werden. Die missionarische Infrastruktur ermöglicht, das Gehörte in die Lebenspraxis umzusetzen und zu verwirklichen. Will die sendungsorientierte Gemeinde im Sinne des Auftrags wirken - ist sie auf Einheit angewiesen (Joh 17,11. 21f. 23; Apg 1,14. 2,46. 4,24; Eph 4,1.13; Kol 3,15; Phil 1,27. 2,2; 1. Petr 3,10). Predigt als Sendungsrede wird die Dreieinigkeit ihres Gottes als die Voraussetzung ihrer Einheit verkünden. Die Einheit ist zum einen um des Zeugnisses gegenüber der Welt von Wichtigkeit (Joh 17,23). Zum anderen: Nur im Z u s a m m e n s p i e l sind die verschieden begabten Glieder am Leib positiv wirksam. Indem sie konstruktive Pluralität aktiv fördert, wehrt die Gemeinde jedem destruktiven Pluralismus, der ein Zusammenspiel unmöglich macht. Pluralität und Pluralismus sind zu unterscheiden. Seitz gibt eine gute Beschreibung beider: „Wenn wir im Fundamentalen einig wären, könnten wir plural sein, ohne uns beständig zu verletzen. Unter Pluralität verstehen wir … das Nebeneinander von verschiedenen Ausdrucksformen innerhalb einer Einheit. Dagegen bezeichnet Pluralismus die alternative Verschiedenheit von Standpunkten aufgrund abwesender Einheit …“ (Seitz 1978:222). Die Einheit der Gemeinde hat ihre ewigkeitliche Entsprechung im dreieinigen Gott. Auf ihn ist sie bezogen, die Einheit ist vorgegeben und doch ist die Gemeinde, will sie Stadt auf dem Berge sein, immer wieder zur Gabe und damit zur Verwirklichung dieser Einheit hinzuführen. 3.2.3. Gewinnende Predigt 414 3.2.3. Gewinnende Predigt Seit einigen Jahren ist der Name Willow Creek im kirchlichen Raum deutscher Sprache so etwas wie ein Geheimtipp. Die Gemeinde von Bloomington in der Nähe von Chicago, erscheint in mancher Hinsicht als vorbildlich: Eine große Schar an Mitarbeitern, der zeitgemäße Gottesdienst, die Dienstgruppen, die vielen Angebote für Jung und Alt sich im Sinne der Beteiligung an der Sendung einzubringen, all das hat eine Gemeinde geschaffen, die ihresgleichen sucht. Was ist ihr Geheimnis? Megagemeinden gibt es auch anderswo. Sie sind meistens solange lebendig, wie ihr Gründer lebendig ist. Die einst große Kirche des John Wimber in Kalifornien ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die charismatische Figur, an der alles hing, weilt nicht mehr unter den Lebenden. Es ist, als habe die kalifornische Gemeinde beschlossen, ihm darin zu folgen. Wird es der Willow - Gemeinde einst auch so ergehen? Einer ihrer Gründer und jetziger Seniorpastor, Bill Hybels, ist eine Person, die anzieht. Was wird sein, wenn er dort nicht mehr ist? Nun, die Gemeinde wird nicht allein durch begabte Einzelpersonen zusammengehalten. Es ist der Sendende, der Sendungsauftrag, dem in heiliger Einseitigkeit nachgegangen wird, der die vielen Menschen zusammenhält. Sie tun vieles und Verschiedenes, aber alles dient dem einen. Jemand sagte mir kurz und bündig: „Wir möchten, dass aus Atheisten Missionare werden. That’s it!“ Individuellen Seelenfrieden zu verbreiten, genügt ihnen offenbar nicht. Sie möchten die Schar der Zeugen der Gnade vergrößern. Wie aber geschieht das? Wodurch werden dort Atheisten zu Missionaren? Das „Ambiente“, die missionarische Infrastruktur, die Angebote und Möglichkeiten sich selber sinnvoll einzubringen, sind äußerst hilfreich. Entscheidend aber sind - die Predigten. Es gibt Gottesdienste für Suchende. Diese werden von Gemeindegliedern mitgebracht. Kommen sie zum Glauben, werden die Neuen in die Gemeinde sensibel integriert, finden zur geistlichen Reife und werden so im Rahmen ihrer besonderen Gabe und Neigung1 zu Missionaren in der sendungsorientierten Gemeinde. Die mitarbeitenden Christen haben i h r e n 1 Um die Gaben und Neigungen neuer Gemeindeglieder herauszufinden, haben sie ein hilfreiches Verfahren entwickelt. 3.2.3. Gewinnende Predigt 415 eigenen Gottesdienst. Dort werden sie durch Wort und Sakrament gestärkt, erfahren Anerkennung, bekommen neue Kraft, Ausrichtung, werden ermutigt. Langeweile, ein Begriff, der bei uns an der „Predigt“ geradezu klebt, kommt dort nicht einmal als Gedanke auf. Was haben die Predigten in Willow - Creek, die viel Gutes bewirken, was unsere Predigten nicht haben? Dass unsere Pastoren theologisch und homiletisch schlechter ausgebildet wurden, als die Prediger dort, lässt sich nicht nachweisen. Ein struktureller Vorteil gegenüber unseren Gemeinden ist freilich gegeben: Die Last der Predigt ruht dort auf mehreren Schultern. Man hat ein Predigt-, ein Lehr- Team. Dadurch kann viel Zeit kann auf die Vorbereitung verwendet werden! Das ist ein wichtiger Unterschied. Was die eigentliche Wirkung der Predigten jedoch ausmacht, liegt noch einmal auf einer anderen Ebene: D i e P r e d i g t e n s i n d h e r z g e w i n n e n d u n d h e r z e r n e u e r n d ! Man hört sie und vergisst die Zeit, ist bewegt, möchte singen, Gott loben oder nur still „Danke!“ sagen. Menschen erleben Predigten zum Aufatmen! Predigten, die zu Herzen gehen, zeugen davon, dass sie von Herzen kommen, vom Herzen Gottes zuerst, der die, die predigen, mit Liebe erfüllt. Wie anders gäbe es herzerneuernde Predigt? Liebe zu Gott und den Menschen ist spürbar. Dazu kommt: Die liebevoll aufgebaute Gemeinde hält in der Praxis, was die Predigt verspricht. Die große Gemeinde ist so feingliederig strukturiert, dass nicht nur niemand übersehen wird, sondern ein jeder und eine jede die ihm oder ihr angemessene Aufgabe findet. Verkündigen Landeskirchler dagegen das Evangelium von der Liebe Gottes, straft eine lieblose Gemeindestruktur ihre Predigt meistens Lügen. Nicht nur das Wort predigt, die Gestalt einer Gemeinde predigt mit. Oft fällt die Praxis unserer Gemeinden ihren Predigten ins Wort. Es ist die Praxis, die dem Gesagten widerspricht. Einfach sind die Predigten in der Gemeinde in Bloomington, tief und stark. Sie treffen die schlichten Leute, wie auch die Gebildeten in gleicher Weise ins Herz. Die Einfachheit der Predigten zeigt dem Kundigen: viel Kraft und Zeit wurde in die Vorbereitung investiert. Herzgewinnende und herzerneuernde Verkündigung ist das Geheimnis jeder lebendigen Gemeinde. Das gilt auch für die Landes- und Freikirchen. Wir werden 3.2.3. Gewinnende Predigt 416 mit unseren Reformplänen und Veränderungsgedanken wenig ausrichten, wenn wir die Herzen der Menschen nicht erreichen. Hybels scheint sich dessen bewusst zu sein. Er hat, als Navigationshilfe für Leiter, ein Buch geschrieben: „Mutig führen“ (2002). Ich stoße beim Lesen mehrfach auf das Wörtlein „Herz“. Als es mir bewusst wird, will ich es wissen und finde das Wort ca. 60mal auf knapp 170 Seiten. „Herz“ „ist einer der häufigsten anthropologischen Begriffe im AT; mehr als 850mal kommt das Wort vor“ (Wolff 1971:9). Es ist zunächst einfach O r g a n d e s m e n s c h l i c h e n K ö r p e r s (1. Sam 25,37-38; Hos 13,8; Jer 4,19. 23,9; Psalm 38,11). Das Herz ist aber auch O r g a n d e s G e f ü h l s u n d G e m ü t s . Ein Leidender betet in Ps 25,27: „Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten!“ Der Beter erfährt Erweiterung seines Herzens: „Ich eile voran auf dem Weg deiner Gebote, denn mein Herz machst du weit“ (Ps 119,32). Einmal spricht die Schrift vom Herzen Jesu: „ … ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (Mt 11,29). Das Herz ist O r g a n d e r E r k e n n t n i s : „Des Klugen Herz sucht Erkenntnis“ (Spr 15,14). Salomos Weisheit besteht darin, dass er um ein „hörendes Herz“ bittet und nicht um ein langes Leben oder um Reichtum (1. Kö 3,9-12). Parallel für die vernehmende Vernunft stehen Herz und Ohr: „Ein verständiges Herz erwirbt Einsicht, und das Ohr der Weisen sucht Erkenntnis“ (Spr 18,15). Das Herz kann „zur Schatzkammer des Wissens und der Erinnerung“ werden (Wolff 1971:19): „Mein Herz hält dir vor dein Wort: ‚Ihr sollt mein Antlitz suchen“. darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz“ (Ps 27,8). Schließlich ist das menschliche Herz O r g a n d e s W i l l e n s . “Der Hebräer kann sprachlich schwer unterscheiden zwischen ‚erkennen’ und ‚erwählen’, zwischen ‚hören’ und ‚gehorchen’. Die sprachliche Schwierigkeit folgt aber aus der sachlichen Unmöglichkeit einer Trennung von Theorie und Praxis. So ist denn auch das Herz zugleich Ort des Denkens und des Wollens“ (Wolff 1971:22). Das Herz des Menschen erreichen, bedeutet seinen Willen erreichen, ihn dazu bringen zu hören und das Gehörte gern zu tun. Das Herz ist der Ort der Entschlüsse: „Denn du, Herr Zebaoth, du Gott Israels, hast das Ohr deines Knechts geöffnet und gesagt: Ich will dir ein Haus bauen. Darum hat dein Knecht sich ein Herz gefasst, dass er dies Gebet zu dir gebetet hat“ (2. Sam 7,27). 3.2.3. Gewinnende Predigt 417 „’Zu Herzen reden’ heißt also alttestamentlich: zum Entschluss bewegen’“ (:23). An die Hingabe des Willens denkt das bekannte Wort in Sprüche 23,26: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen.“ Das beschnittene Herz ist das Herz, das sich bereitwillig an Gott hingibt (Deut. 10,16). Der Gebrauch des Wortes im NT schließt sich dem im AT an. Das Herz ist als das zentrale Organ, Mittelpunkt des inneren Lebens des Menschen „wo alle seelischen und geistigen Kräfte und Funktionen ihren Sitz oder Ursprung haben“ (THWB III.:614). Die Empfindungen, Affekte, Begierden und Leidenschaften wohnen im menschlichen Herzen: Freude: Apg 2,26 u. ö. Schmerz und Leid: Joh 16,6; 14,1 u. ö. Liebe: 2. Kor 7,3; 6,11; Phil 1,7. Wunsch und Verlangen: Röm 10,1; Lk 24,32. Begierde: Röm 1,24; Jak 3,14; Mt 5,28; 6,21. Das Herz ist „Sitz des Verstandes, der Quellort der Gedanken und Erwägungen … Sitz des Willens, die Quelle der Entschlüsse … Daher fasst sich in der kard°a d a s g a n z e i n n e r e W e s e n d e s M e n s c h e n zusammen im Gegensatz zur Außenseite dem prçswpon …“ (:615). Das Herz repräsentiert das innerste Ich des Menschen. Vor allen Dingen ist es „die eine zentrale Stelle im Menschen, an die Gott sich wendet, in der das religiöse Leben wurzelt, die die sittliche Haltung bestimmt“ (ebd.). Herzbewegend zu predigen, zielt nicht auf eine „Religion der bloßen Innerlichkeit“. Ist es das Wort Gottes, das wir verkündigen, wird es in der Kraft des Heiligen Geistes das Innere treffend, Wirkung im Äußeren zeigen. Verfügbar ist es nicht. Dennoch gilt: Während die Gemeinde der Botschaft lauscht, ist nicht nur wichtig, was sie hört, sondern, was sie spürt. Das Herz ist nach biblischem Befund ambivalent, „ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen?“ (Jer 17,9). Calvin meinte, es sei eine Götzenfabrik (Bohren 1979:33). Herzen können in die richtige, aber auch in die falsche Richtung bewegt werden. Darum möchte man meinen: „Prediger, die das Herz treffen, müssen vor allem authentisch sein.“ So sehr dieser Satz in sich selber richtig ist, so ist die Glaubwürdigkeit eines Predigers keine Garantie für die erhoffte Wirkung. Und tritt die erhoffte Wirkung ein, geschieht es ebenfalls nicht aufgrund einer irdischen Authentizität. Die Wirkung des Wortes ist vor allem Gottes, danach erst des Menschen Sache. Der, der es predigt, tut selbst gut daran, 3.2.3. Gewinnende Predigt 418 sich für sich selbst zu erinnern: Wer anderen predigt, predigt sich selber zum Heil oder 3.2.4. Verbindliche Predigt 419 zum Gericht: „Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde“ (1. Kor 9,27). Dennoch sind die, die predigen, nicht die Entscheidenden. D i e r e f o r m a t o r i s c h e P r e d i g t h a t i m W o r t u n d i m G e i s t i h r e K r a f t u n d i h r e M i t t e , nicht im Gottesverhältnis gläubiger Prediger oder Predigerinnen. So kann ein Prediger voller Glauben bewirken, dass Berge versetzt werden. Er wäre nichts, hätte er – die Liebe nicht (1. Kor 13). Für alle, die predigen, entscheidet sich alles an der Liebe. Die ‡gpj aber haben Prediger von sich aus nicht. Sie ist Gabe, die von oben kommt: „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). Um mehr als um die Liebe und um den Geist (Lk 11,13) können Prediger nicht bitten, um weniger dürfen sie nicht bitten. So sind sie in das Tun des Geistes verwickelt: Theonome Reziprozität. „Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis, und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts“, 1. Kor 13,1-3. Walther Lüthi, der Schweizer Theologe, betete, wenn er auf die Kanzel stieg: „Herr, lass mich die Gemeinde lieben!“ Hier liegt eine Weichenstellung. Schon nach solch einem Stoßgebet, wird der Ton ein anderer. Sorgen wir uns liebend um das Heil der Menschen, denen wir predigen, sind wir kaum noch besorgt, dass w i r gut ankommen. Die Leute spüren, ob es uns um Gott geht und um sie oder vor allem um uns. Das Thema „Vollmacht“ drängt sich in unsere Erörterungen. 3.2.4. Verbindliche Predigt „Das Hauptproblem der Predigt scheint mir in der Frage zu liegen, was nach ihr geschieht, und das ist immer schon die Frage, was in ihr geschieht.“ So schreibt Bohren (1989:10) im Vorwort zu einem Predigtband. Zuvor beklagt er „die U n v e r b i n d l i c h k e i t d e r P r e d i g t einer Kirche auf Kirchensteuerbasis“ (Hervorhebung KE). „Die Diskrepanz zwischen der geistschenkenden Predigt des Apostels und in der Anrede an den einzelnen versickernden Predigt von heute ist mir ein zunehmender Schmerz“ (ebd.). 3.2.4. Verbindliche Predigt 420 Was in und nach der Predigt geschieht, ist auch die Frage danach, was vor ihr geschieht und was um sie herum geschieht. Welch einer Gemeinde wird gepredigt? Im Normalfall ereignet sich das Predigtgeschehen isoliert vom sonstigen Leben der Gemeinde. Es ist zu fragen, w a s e i n e P r e d i g t v e r b i n d l i c h m a c h t ? Die Gemeinde braucht die Konkretion, die sie zusammenführt und zusammenhält. Das ist Christus mit der sie einenden Aufgabe. Lebt sie atomisiert, ist Individualismus also Trumpf, stößt jede, auch die verbindlich gedachte Predigt ins Leere. Verbindlich kann eine Predigt nur sein, wenn die Gemeinde als Leib verbindlich existiert. Das ist nur möglich, wenn sie vor Christus als ihren Auftraggeber steht und sich als solche um ihre gemeinsame Aufgabe sammelt. – Acht unserer Enkelkinder spielten bei uns im herbstlichen, laubbedeckten Garten. Irgendwann kam Streit auf. Es machte allen keinen Spaß. Da rief die Großmutter sie zusammen: „Wer hilft mir, die bunten Weinblätter zu sammeln, damit wir sie aneinander binden?“ Sofort war aller Streit verflogen. Ein intensives Sammeln begann. Alle halfen nach Kräften an der schönen Aufgabe mit. Sie waren begeistert. Ein regelrechter Corpsgeist hatte die Kleinen erfasst. V e r b i n d l i c h k e i t e n t s t e h t a n d e r k o n k r e t e n A u f g a b e . Ohne Aufgabe keine Verbindlichkeit! Je größer die Liebe zum Auftraggeber und das Ernstnehmen der Aufgabe, desto größer der Wille verbindlich zu sein. Die uns gestellte Aufgabe erfordert eine geistliche Ordnung, einen festen Rhythmus, möglichst im täglichen geistlichen Leben, mindestens aber im Wochenablauf. Eine Verbindlichkeit um der Verbindlichkeit willen genügt nicht, wenn nicht Größeres sie herausfordert. Was aber ist größer, als sein Leben einzusetzen für die eine Aufgabe, um Gottes willen, Verlorene zu retten Mit unserem theologischen Verständnis geht das Verständnis von Gemeinde einher. Die Theologie bestimmt die Ekklesiologie. Das Gemeindeverständnis schlägt sich im Gemeindeleben und in der Struktur der Gemeinde nieder. Die theologische Theorie bestimmt den Inhalt, den Stellenwert der Predigt, sogar die Art und Weise wie sie zustande kommt. Die meisten Gemeinden lassen aufgrund der Pfarrerzentriertheit und notorischen Missionslosigkeit verbindliche Predigt nicht zu. Noch einmal: Verbindlichkeit entsteht an der konkreten Aufgabe. 3.2.4. Verbindliche Predigt 421 Prediger und Predigerinnen haben keine Vorstellung davon, was nach ihrer Predigt geschehen könnte. Es bleibt in der Regel das, was nach der Predigt geschehen soll, dem einzelnen Gemeindeglied überlassen. Nach der Predigt sind nicht einfach einzelne in ihre Privatsphäre entlassen. Der Gemeinde als Leib ist zugesprochen, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein (Mt 5,13f). Der Erweckungsprediger Spurgeon sprach die Christen auf ihre ureigenste Aufgabe hin an. Nachfolgend das Beispiel einer verbindlichen Sendungsrede, ein Ausschnitt aus einer Predigt über Psalm 1,4. Diese stark vom Gesetz bestimmte Passage ist erst dann richtig verstanden, wenn sie im Kontext von Spurgeons positiven Predigten des Evangeliums gelesen wird. „Viele Leute bilden sich ein, wenn sie nur keine bestimmten Sünden begingen, so sei alles in bester Ordnung. - Nun will ich mitten in meine Predigt eine kleine Predigt einschalten über den Text: ‚Fluchet der Stadt Meros’, sprach der Engel des Herrn; ‚fluchet ihren Bürgern, dass sie nicht kamen dem Herrn zu Hilfe, zu Hilfe dem Herrn unter den Helden’ (Richter 5, 23). Erstens: Was hat Meros getan? Nichts. Zweitens: Wird Meros verflucht? Ja, mit Bitterkeit verflucht. Warum? Weil sie nichts getan hat. Ja, ja; weil sie nichts getan hat. ‚Flucht ihren Bürgern’ für das, was sie nicht getan haben, dafür, ‚dass sie nicht kamen dem Herrn zu Hilfe, zu Hilfe dem Herrn unter den Helden.’ Stritt Meros wider Gott? Nein. Setzte denn Meros einen Helm auf und ergriff sie Schild und Speer, um auszuziehen wider den Höchsten? Nein. Was hat Meros getan? Nichts. Und wird verflucht? Ja, schrecklich verflucht, samt ihren Bürgern, darum, ‚dass sie nicht kamen dem Herrn zu Hilfe, zu Hilfe dem Herrn unter den Helden.’ Predigt euch diese Predigt, wenn ihr heimkommt; erweitert sie und führt sie aus! Vielleicht, wenn ihr darüber sitzt und sinnt, werdet ihr sagen: ‚Meros! Ja, das bin ich. Ich kämpfe nicht wider Gott, ich bin kein Feind Christi, ich verfolge die Seinen nicht, ja, ich liebe vielmehr seine Knechte, ich gehe gern hinauf in sein Haus, um sein Wort zu hören. Ich wäre nicht glücklich, wenn ich mich sonntags nicht an heiliger Stätte erquickt hätte. Aber doch bin ich in jenen Worten gemeint, denn ich kam nicht zu Hilfe dem Herrn unter den Helden. Ich tue nichts. Ich bin ein unnützer Müßiggänger. Ich bin ein unfruchtbarer Baum.’ Bedenkt doch, dass ihr alsdann verflucht seid, ja, arg verflucht. Nicht für das, was ihr getan habt, sondern für das, was ihr nicht getan habt. Nicht für das, was ihr tut, sondern für das, was ihr nicht tut. Und das ist einer der schrecklichen Flüche über die Gottlosen: Sie bringen keine Frucht zu ihrer Zeit. 3.2.4. Verbindliche Predigt 422 Ja, schaut auf viele unter euch. Wozu seid ihr nütze in der Welt? In euren Familien seid ihr wohl die Hauptstütze und des Lebens Mittelpunkt. Gott gebe seinen Segen dazu, dass ihr eure Kinder gut erzieht. Wozu aber seid ihr nütze in der Gemeinde Gottes? Ihr hört regelmäßig seit Jahren die Predigt und setzt euch dahin, wo vielleicht ein anderer armer Sünder sich bekehrt hätte, wäre er an eurer Stelle gewesen. Freilich sitzt ihr da und hört auf die Predigt, ja, aber was habt ihr davon, wenn diese Predigt euch zum Gericht wird? Ihr seid freilich auch bei der Herde, aber wie, wenn ihr ein schwarzes Schaf unter den weißen Lämmern seid! Was tut ihr für Christus? Wie viel seid ihr wert? Seid ihr auch ein Stein geworden in seinem geistlichen Tempel? Habt ihr auch nur so viel getan wie jenes Weib, welches das alabasterne Salbglas über sein Haupt ausgoss? Ihr habt gar nichts für ihn getan. Er hat euch genährt und auferzogen, und ihr habt gar nichts für ihn getan. ‚Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn’ (Jes. I, 3), ihr aber kennt nichts und achtet nichts. Siehe, der Herr wird heutigen Tages mit euch rechten, nicht um das, was ihr getan, sondern um das, was ihr unterlassen habt“ (zitiert in Thielicke 1961:247-248). Ohne verbindliche Rede legt sich über Predigtgeschehen und Gemeinde eine Atmosphäre des Scheinbaren, des Unwirklichen. Der hohe Zuspruch, Salz und Licht zu sein, ist aus der Sphäre des Unverbindlichen herauszuführen. „Eine Predigt kommt erst im Amen der Gemeinde zum Ziel, und dieses ‚Amen’ vollendet sich im Leben der Gemeinde, in der Freiheit der Befreiten. Wo dieses ‚Amen’ fehlt, wo eine Predigt kein Echo hat, da wird sie durch Schweigen fertig gemacht ... Jedes Stück der Predigt ist daraufhin zu befragen, ob es dem Leiten und Führen des Geistes diene“, (Bohren 1989:10- 11). Leiten und Führen setzt konkrete Ziele und beschreibbare Wege voraus. Wie soll eine Predigt verbindlich sein, wenn die Gemeinde als eine Ansammlung von untereinander getrennt lebenden Individuen existiert, die von einem Weg oder einem Ziel ihrer Gemeinde nichts wissen, obwohl sie im Gottesdienst sind? In einer Gemeinde, die unverbindlich lebt, kann es schwerlich verbindliche Predigten geben. Der Salz- und Lichtcharakter der Gemeinde als Ganzer wird deutlich, wenn sie sich konkret um ihren Auftrag sammelt. Das kann damit beginnen, dass sich Hauskreise bilden, die nicht sich selber meinen, Hauskreise als Jüngerschaftskurse, in denen Vergessenes eingeübt wird: Wir erarbeiten unsre persönliche Glaubensbiografie und beginnen, sie außerhalb unseres Kreises im 3.2.4. Verbindliche Predigt 423 Bekanntenkreis zu erzählen. Wir sprechen über Einwände gegen den Glauben und wie wir ihnen im Glaubensgespräch begegnen. Bald wird die Gemeinde eine Struktur entwickeln, die ihrer missionarischen Existenz entspricht („Mission als Strukturprinzip). Wie anders als konkret kann sich die Predigt mit ihrem „Amen“ im Leben der Gemeinde vollenden. Konkretes Handeln der sendungsorientierten Gemeinde zeigt sich durchaus auch in einfachen Lebensäußerungen: Eine Frau ist von der Osterpredigt so erfüllt, dass sie nicht anders kann, als ihrer skeptischen Freundin einen begeisterten Brief zu schreiben, nicht von der Predigt, sondern vom Auferstandenen. - Die Bekannte eines Gemeindegliedes bittet darum, sie möge für ihren 14jährigen Sohn, der ihr Sorgen bereite, beten. Daraufhin die Christin: „Du kennst deinen Sohn viel besser als ich. Bete du selbst für ihn.“ „Ich bin nicht religiös, ich kann das nicht.“ „Wenn du möchtest, helfe ich dir dabei. Wir können es gemeinsam tun.“ Nach einem Jahr gehörte die „Unreligiöse“ fest zur Gemeinde. – In einem Gottesdienst höre ich den Pfarrer sagen, ihn habe ein Gemeindeglied angerufen: „Herr Pfarrer, mein Nachbar hat Probleme. Er braucht geistlichen Zuspruch. Würden Sie ihn bitte besuchen!“ Der Pfarrer lehnte dankend ab: „Er ist i h r Nachbar. So ist es auch ihre Aufgabe, ihm zu helfen.“ Szenen aus einer missionarischen Gemeinde. Existiert die Gemeinde als Leib, bestehen alle Voraussetzungen für Verleiblichung. Ist sie in der Sendung untereinander verbunden, bestehen alle Voraussetzungen für Verbindlichkeit. Auf die Umsetzung des Verkündigten in die Praxis kommt es letztendlich an. Stellt die Gemeinde jedoch nur eine Ansammlung von christlichen Individuen dar, ist die Umsetzung des verkündigten Wortes im Blick auf die Gemeinde als Leib, schlechterdings unmöglich. Die Predigt findet im Leben einer Gemeinde schwerlich zu einer Verbindlichkeit, wenn dieser der Leibcharakter fehlt, sie, neutestamentlich betrachtet, nur scheinbar Gemeinde ist. Ohne auf den Leib bezogen, ohne in die Gemeinde als Leib integriert zu sein, verselbständigen, ja verabsolutieren sich die Glieder als Einzelwesen, die je für sich – „leiblos“ - existieren. Darum verhallt auch die Predigt, aufs Ganze gesehen, wirkungslos und wird schnell vergessen. Das Wort trifft nur auf von einander getrennte Einzelne. Da ist kein zusammengefügter Leib, an dem ein Glied am anderen hängt durch alle Gelenke (Eph 4,16). Der Leib 3.2.4. Verbindliche Predigt 424 ist zerstückelt in von einander isolierte Glieder. Ohne Leib keine Verleiblichung. Ohne Auftrag keine Verbindlichkeit. Verbindlichkeit ist ein anderes Wort für Treue. Alle Welt lebt von der Treue Gottes, von der Verbindlichkeit, die er uns gegenüber eingegangen ist: Da ist die Treue des S c h ö p f e r s in der Schöpfung. Sie ist verlässlich, berechenbar: Die Sonne geht pünktlich auf. Die Jahreszeiten stellen sich seit Menschengedenken rechtzeitig ein. Menschen kommen, Menschen gehen, die Welt ist gehalten, umgeben, umwoben von Gottes Treue. Da ist die Treue des E r l ö s e r s . Die Gemeinde kann sich des Heils durch den Gekreuzigten und Auferstandenen gewiss sein. Durch alle Irrungen und Wirrungen unseres Lebens hindurch hält er an uns fest. Darum ist unter uns Ge- wissheit möglich. „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn« (Röm 8,38-39). „Sind wir untreu, so bleibt er doch treu; denn er kann sich selbst nicht verleugnen“ (2. Tim 2,13). In der Offenbarung des Johannes ist es der Name Jesu, der uns Treue verheißt: »Und der darauf saß, hieß: Treu und Wahrhaftig« (Offb 19,11). Da ist die Treue des H e i l i g e n G e i s t e s . Er ist der Paraklet, der für uns eintritt, der Anwalt, der Tröster, der, in dem Jesus bei uns ist. Der Heilige Geist ist es, der uns die ständige Gegenwart Gottes verbürgt. Die Gemeinde ist nicht allein. Die Seinen sind nicht als Waisen in dieser Welt zurückgelassen (Joh 14,18). Wie uns die Luft von allen Seiten umgibt, so umgibt uns der Geist Gottes von allen Seiten. In ihm und durch ihn ist uns die Liebe und Zuwendung des dreieinigen Gottes unablässig nahe. Das widerfährt uns aufgrund seiner unverbrüchlichen Treue. Die liebevolle Gemeinde ist eine offene Gemeinde, zu der jeder kommen und zu der jeder ohne Bedingungen gehören darf. „Kommt her zu mir a l l e , die ihr mühselig und beladen seid!“ (Mt 11,28). Jesu Einladung ist an keine Voraussetzung gebunden, an keine Bedingung geknüpft. Es darf auch jeder mitarbeiten. Die Mitarbeit jedoch bedarf bestimmter Ordnungen und Absprachen. Durch Gottes 3.2.5. Aktuell statt institutionell 425 Treue ist die Gemeinde mit Gott verbunden und darum untereinander verbindlich. Es ist wichtig, dass alle Glieder den Ruf zur Treue von Gott her verstehen. Gott ist sich zu der kleinsten Treue nicht zu schade. Die kleine, konkrete Treue stellt also nicht nur ein nützliches Verhalten dar. Sie ist geistlich zu verstehen, als ein Ausdruck des Wesens Gottes. Zu seiner Treue befreit und ruft er uns. Auf ihr liegt seine Verheißung: „Meine Augen sehen nach den Treuen im Lande“ (Ps 101,6). „Wer im Geringsten treu ist, ist auch im Großen treu (Lk 16,10). Wo wir die elementare Bedeutung solcher Treue entdecken, wird die Gemeinde zu hilfreichen Vereinbarungen finden, die alle einhalten können. Wenn eine Gemeinde ihre Glieder im Sinne eines kirchlichen Entertainments lediglich unterhält, geht das ohne Verbindlichkeit dieser Glieder. Will die Gemeinde als ein Teil des Leibes Christi aber ihre Aufgabe erfüllen, ist Verbindlichkeit unter den Gliedern unerlässliche Voraussetzung. Ein Leib kann nur lebensfähig sein, wenn die einzelnen Glieder mit ihm verbunden sind und in der Ausübung ihrer Aufgaben zuverlässig und treu. Es ist überraschend, welch Auswirkung die Treue im Kleinen hat, wenn sie auf das große Ziel der Gemeinde gerichtet ist: Das Miteinander wird schön, weil man sich aufeinander verlassen kann. Die Gemeindearbeit wird müheloser. Durch Verbindlichkeit wird die Konzentration der Kräfte spürbar gefördert. Die Gemeinschaft der Mitarbeiter und mit ihr die Gemeinde werden durch Verbindlichkeit in die dem Evangelium gemäße Freiheit geführt. 3.2.5. Aktuell statt institutionell Wir erinnern uns: Jesus war ein eschatologischer Wanderprediger. Das Unterwegssein haftet an der Christenheit, also auch an ihrer Verkündigung. Gemeinde ist unterwegs. Käsemann überschreibt seine Untersuchung zum Hebräerbrief mit „Das wandernde Gottesvolk“ (1957). W o h i n ist das wandernde Gottesvolk unterwegs? „So lasst uns nun zu ihm (Jesus) hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen“ (Hebr 13,13). Hier geht es nicht allein um die Scheidung von der ungläubigen Judenschaft. Vor dem Lager hing er am Kreuz für die ganze Welt. Darum sollen die an Jesus glaubenden Hebräer „durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (13,15). Die Gemeinde, die hier keine 3.2.5. Aktuell statt institutionell 426 bleibende Stadt hat, sondern die zukünftige sucht, zieht als wanderndes Gottesvolk durch die Welt. Der Welt gegenüber ist das lobende Bekennen des Namens Jesu an der Tagesordnung. Nun hat sich das wandernde Gottesvolk inzwischen Kirchen aus Stein gebaut, um sich dort, zu sehr abgeschlossen von der Welt, wie in einem Ghetto zu versammeln. Aus dem wandernden ist ein sesshaftes Volk geworden, ein religiöser Wanderverein, der nicht mehr wandert, sondern von den Berichten über Wanderungen der Vorfahren lebt, ohne selbst noch zu wissen, was Wandern eigentlich ist. Unsere Kirchenleute leben aus einer Tradition, die sie selber nicht mehr verstehen. Während einer Vortragswoche in Österreich wohne ich im Hause eines evangelischen Presbyters. In einem Vortrag sage ich, dass es gut wäre, wenn wir Christen wieder die Bibel lesen würden, möglichst täglich. Danach sitzen wir noch zusammen. Mein Gastgeber hat neben seinem Sessel einen kräftigen Stoß an Zeitungen gestapelt. Auf den Vortrag zu sprechen kommend, bemerkt er irritiert aber höflich, ob es nicht ein wenig fanatisch wäre, täglich die Bibel zu lesen. Ob er täglich die Zeitung lese, frage ich, auf den Stapel deutend. „Natürlich!“ Auf meine Frage, ob das nicht auch ein wenig fanatisch wäre, rief er: „Das ist doch etwas anderes!“ Zur Tradition seiner Kirche gehört, dass Evangelische um der Freiheit des Bibellesens willen lieber Haus und Hof verließen, als auf Gottes Wort zu verzichten. Sie kämpften um die private Hausandacht (Barton 1981:13). Ein Presbyter unserer Tage aber möchte nicht fanatisch sein. Weiß sich die Gemeinde als Teil des wandernden Gottesvolks, dann ist ihre Verkündigung ein Reagieren auf Situationen der Wanderschaft. Es kann ihre Verkündigung darum schlecht das Abschreiten eines sich wiederholenden Perikopenkreises sein. Egal, an welchem Ort ihrer Wanderung sich die Gemeinde bewegt, sie wird nicht ablassen, die Menschen, auf die sie trifft, ins Reich Gottes zu rufen. Die neuen Menschen, die neuen Situationen, die sich ergeben, verlangen nach einer immer neuen Ausrichtung und Artikulierung der einen Botschaft. So lernt die Kirche, die Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen allein aus Gnaden und Glauben selber immer wieder neu zu sagen. Schweizer (1959:176-187) sieht in der Gemeindeordnung eine „Manifestation des Geistes“. Es ist der Geist der Sendung und des Pleromas. So denkt Schweizer 3.2.5. Aktuell statt institutionell 427 zunächst auch an die einander zugeordneten Dienste der leitenden Gabenträger (Apostel, Propheten, Evangelisten, Lehrer etc.). Sodann wird die Ordnung als Manifestation des Geistes im Gemeindegottesdienst sichtbar. Für den Gottesdienst fehlen im NT alle religiösen, kultischen Begriffe. Er ist nicht als heiliges Geschehen vom profanen Alltag geschieden. Wir wissen - mit der Ausnahme von 1. Kor 14, 26 - nicht, was in diesen Versammlungen im Einzelnen vorgegangen ist. „Deutlich ist nur, dass sie geprägt waren von der Fülle der Gaben“ (:202). Nur in der Missionspredigt oder in besonderen Fällen (Apg 20) kommt es vor, dass ein Einzelner spricht. Gottesdienstformen, die den unseren ähneln, finden sich nur in der Spätzeit der Pastoralbriefe, aber auch dort steht allen Männern das freie Wort zu (1. Tim 2,8-12). Es gab nach der Gemeindebildung in ntl Zeit vielleicht schon Gottesdienstordnungen. Möglicherweise gab es auch die Schriftlesung. „Wo das christliche Lesewesen zuerst greifbar wird (Justin, Apol. I, 67 …) ist es mit der synagogalen Leseordnung … verwandt. Daher vertritt die Mehrzahl der Forscher die These, dass die Schriftlesung im christlichen Gottesdienst in der Erbfolge der Synagoge steht …“ (RGG3:220-221). Im NT findet sich keine Spur von atl Lesungen. Mit Sicherheit gab es keine vorgeschlagenen Predigttexte, die exegesiert, zur Predigt verarbeitet und dann gehalten oder als Predigt in Briefform versendet wurden. Die Anlässe zu predigen oder Briefe zu schreiben, waren nicht – wie bei uns – vorwiegend institutionell begründet, sondern aktuell. Auf eine Perikopenordnung für Predigttexte, die – wie bei uns – einen sich ständig alle sechs Jahre wiederholenden Kreis abschreitet, kann eine Kirche nur kommen, wenn sie sesshaft geworden, nicht mehr den Rettungsauftrag kennt. Da wird die institutionelle Ordnung beherrschend und ist dann in der Tat auch hilfreich. Ohne Ordnung geht es nicht. Aber die Gemeinde wird, wie z. B. eine Firma, nicht von einer Ordnung, sondern von ihrer Auftragslage her bestimmt. Ordnungen haben dienende Funktion, sie stehen im Dienste des Auftrags. Die Hinwendung zu ihrer Aufgabe ist es, was die Gemeinde bewegt und die ihr verheißene Dynamik entfaltet. I n s t i t u t i o n e l l - nach damals übertragen – heißt: Paulus sitzt da, hat einen Text und macht dazu eine Ausarbeitung in Form einer Predigt mit 3.2.5. Aktuell statt institutionell 428 allgemeinen Richtigkeiten, die er, was die konkrete Gemeindesituation betrifft, blind nach Korinth schickt - ein fast lächerlicher Gedanke. Die Schreiber der biblischen Bücher oder Briefe fühlten sich zu keiner Zeit als Vortragende religiöser Abhandlungen, die dazu da sind, die Gemeinde mit unverbindlichen Erläuterungen zu versorgen. In keinem der Briefe heißt es etwa: „Ich habe gestern den Propheten Jesaja gelesen. Dazu sind mir einige Gedanken gekommen, die ich euch - wie es unsere Kirchenordnung vorschreibt - jetzt mitteile.“ Das wäre institutionell. A k t u e l l ist dagegen das situationsbezogene Wort zur Lage. Die Evangelisten überliefern uns Jesus als Situationsprediger, der gerade dadurch, dass er in konkrete Lebenslagen hineinspricht, über diese hinaus für uns Bedeutung hat: Dass Kirche als Menschenfischerkirche gedacht ist, erfahren wir, als Jesus Fischer in seine Nachfolge ruft (Mk 1,16-20). Dass Jesus Macht über Dämonen hat, wird nicht in einem Referat dargelegt, sondern durch die Heilung eines Besessenen verkündigt (Mk 1,21-28). So verhält es sich mit der Botschaft, dass Jesus Kranke heilt. Sie wird uns in Heilungsgeschichten übermittelt. Seine Vollmacht, Sünden zu vergeben, erfahren ein Gichtbrüchiger, seine Freunde und das Volk, als Jesus Sünde vergibt und sein Vergebungswort mit der Heilung des Gichtbrüchigen unterstreicht (Mk 2,1-12). Dass er gekommen ist, Sünder zu rufen und nicht die Gerechten, wird anlässlich eines Gastmahls mit Zöllnern und Sündern vermittelt (Mk 2,13-17). Wir denken an das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“, (Lk 15,11-32). Das ist keine Rede ins Blaue hinein, kein theoretischer Vortrag über das Auf und Ab eines Menschenlebens. Lukas führt es mit genauer Situationsangabe ein, an der das Gleichnis haftet: „Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten …“ (Lk 15,1-2). Die Anwesenden erfahren das, was Jesus erzählt, im Augenblick des Hörens. Sünder erleben ihren Freispruch. Pharisäer und Schriftgelehrte hören eine Mahnung, hinter der das Werben des himmlischen Vaters auch um ihre Herzen unverkennbar ist. Situationsbezogenheit meint nicht Anpassung um jeden Preis, wie: „Was hättet ihr denn gern?“ Es geht nicht um etwas, was die Gemeinde möchte, sondern um das, was sie von Gott her braucht. Das ist nicht immer das, was sie will oder ihr gefällt. Verkündiger reden nicht, um Menschen zu gefallen (1. Thess 2,3-4). 3.2.5. Aktuell statt institutionell 429 Aktuelle Verkündigung findet sich in den Evangelien und den anderen Schriften des NT. Im 1. Kor schreibt Paulus: „Es ist mir bekannt geworden über euch, liebe Brüder, durch die Leute der Chloë, dass Streit unter euch ist“ (1. Kor 1,11). Streit in einer Gemeinde ist belanglos, wenn diese introvertiert ihr Dasein fristet. Dramatisch aber wird Streit, wenn er das Erreichen des hohen Ziels verhindert. Paulus war Konkretes aus der Gemeinde von Korinth zu Ohren gekommen. Darauf bezieht er sich in seinem Brief. Durch die Situation in Erinnerung gerufen, fallen ihm Texte aus dem AT ein (1,19; 1,31; 2,9.16 u. ö). Sie werden ausgelegt, streng auf die Situation bezogen. Paulus hat kein Interesse daran, eine allgemeine Abhandlung zum Thema „Streit“ zu schreiben. Er will um der gefährdeten Sendung und der unaufgebbaren Einheit der Gemeinde willen einen Streit schlichten. Schweizer ([1959] 19622:203) stellt für den ntl Gottesdienst fest: „Im Namen des Erhöhten tritt der Prophet der Gemeinde gegenüber und spricht sein Vollmachtswort in die konkreten Fragen und Verhältnisse hinein.“ Wird im NT in der Regel auf konkrete Situationen reagiert, tut sich eine andere Verkündigungswelt als die in der Volkskirche auf. Einen Text nach einer Perikopenreihe zu wählen, ist schwer denkbar. Bei uns dagegen klingt es stolz von der Kanzel: „Das vorgeschlagene Gotteswort nach der Ordnung unserer Kirche steht geschrieben …“ Die Lage der Gemeinde scheint weniger wichtig als eine künstliche Ordnung. Natürlich kann man auch bei vorgeschlagenen Texten auf die Gemeindesituation eingehen. Oft kommt aber dann das Anliegen des Bibelwortes zu kurz oder dieses wird, um es „passend“ zu machen, verbogen. Für Josuttis ist es „schon erstaunlich, dass die Textbindung von den Predigern so widerspruchslos akzeptiert wird. Ein wirklicher Gottesmann würde die kirchliche Regelung auch immer als erhebliche Kränkung seines religiösen Bewusstseins erfahren. Während man heute eher den Eindruck gewinnen kann, die Prediger seien für das Vorhandensein des Textes dankbar, weil ihnen damit die Bemühung um eine persönliche Gottesbeziehung erspart bleibt“ (Josuttis 1988:45). Der Bibel geht es um den konkreten Willen Gottes für die je konkrete Gemeinde: Welches Wort braucht sie j e t z t ? Wohin muss - aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten - die nächste und übernächste Predigt zielen? Biblisch predigen heißt, konkret und situationsbezogen predigen! Verkündigung ist keine Fahrt ins Blaue! 3.2.5. Aktuell statt institutionell 430 „Jede Gemeinde hat ihre bestimmte geistliche Gestalt. Sie hat ein bestimmtes Gesicht, denn sie hat eine bestimmte Geschichte. Sie ist geprägt durch bestimmte Erfahrungen mit dem lebendigen Gott und mit dem Versucher und Verkläger. Von Wilhelm Löhe wird berichtet, dass er fremde Besucher seiner Dorfpredigten am liebsten aus dem Gottesdienst ausgeschlossen hätte. Er war der Meinung, dass diese bestimmte Predigt an diesem bestimmten Sonntag nur eben diese Gemeinde in Neuendettelsau recht verstehen könne und niemand sonst“ (Fischer 1963:32). Natürlich widerspricht Löhe’s Exklusivität der Grundsatz „Alle sind eingeladen und dürfen kommen“. Ist Predigt im NT das konkrete Wort zur Lage, ist zu bedenken, dass man nicht immer ein neues Wort zur Lage haben kann, weil eine Situation nicht im Wochentakt wechselt, sondern mitunter einen längeren Zeitraum bestimmt. Eine gebetsmüde Gemeinde kann durch eine einzige Predigt über das Gebet kaum verändert werden. Da bedarf es einer Predigtreihe zum Thema „Beten“ mit Erfahrungsaustausch, praktischen Hilfen usw. Auf eine vorhergehende Predigt wird Bezug genommen: „Wie ist es euch damit ergangen? Welche Erfahrungen sind gemacht worden?“ Der Gemeinde ist das Wort zu erteilen! Da verjagt nicht ein Thema das andere. Die Gemeinde bleibt bei der angesprochenen Sache, bis diese eingeübt und eine andere Situation eingetreten ist, die entsprechenden Zuspruch und Anspruch braucht. Barth hat geirrt, als er Situationsbezogenheit rigoros ablehnte. Aber eine Gefahr mag er zu recht gesehen haben: Situation nötigt zur Anpassung. Da kann es sein, dass ein Prediger nicht nur auf sie ein-, sondern in ihr aufgeht, gar in ihr untergeht. Es ist darum wichtig, jede Situation aus der Perspektive Gottes zu sehen, die ihr das Eigengewicht nimmt, es manchmal aber auch verstärkt. Ob eine Situation aggressionsgeladen ist oder freundlich, der Herrschaftsanspruch Gottes in Verkündigung der Gnade oder in Ankündigung des Gerichts gilt ihr auf jeden Fall. Verkündiger haben sich nicht dem Anspruch der Situation zu beugen, den Menschen oder der Mehrheit. August Vilmar (1861) warnte einst vor Majoritätenherrschaft, Massenwillkür und Kopfzahlrecht. Er nannte es das „ R e c h t d e r L ü g e “ , meinend, dass hier der Lüge gar zu leicht ein Recht eingeräumt werden könne (Vilmar 1928:52). Schiller fragt in Demetrius: „Was ist 3.2.5. Aktuell statt institutionell 431 die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen … Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Der Staat muss untergehen, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet“ (Schillers o. J.:656-657). Die Situation – jedenfalls in der Gemeinde Jesu - hat den Anspruch Gottes anzuerkennen. Situationsbezogene Verkündigung schafft selber Situation. Am Rande sei vermerkt: Dass Barths Rigorosität gelegentlich skurrile Formen annahm, macht eine Szene aus den Lebenserinnerungen Stählins deutlich: „Einmal, als ich mit meiner Frau bei Barths eingeladen war, sagte er: ‚Ich bin ja immer in der Kirche, aber Ihre Predigten sind schauderhaft; ich möchte jedes Mal auf die Bank springen und eine Gegenpredigt halten.’ Was denn so schauderhaft sei an meinen Predigten, wollte ich wissen. ‚Sie nehmen immer Rücksicht auf die Gemeinde und wollen die Gemeinde anreden; das geht sie gar nichts an, wer da ist. Sie sollen objektiv das Wort Gottes verkündigen!’ Ich erwiderte, Karl Barth habe doch sicher als Bauernpfarrer in Safenwil anders gepredigt als in einem akademischen Gottesdienst in Münster. Das bestritt er aufs heftigste und behauptete, nein, er habe nie einen Unterschied gemacht. Worauf sich seine Frau einschaltete: ‚Karli, das glaubst’ ja selber nicht!’“ (Nicoll 2000:243). Verkündigung unter dem Vorzeichen der Sendung, kann nur als situationsbezogen gedacht werden. Situationslose Verkündigung gleitet in unkonkrete Abhandlungen ab, verbleibt im Unverbindlichen, wirkt langweilig. Das konkrete Wort zur Lage aber ist spannend. Man stelle sich vor, in welcher Spannung die Korinther beim Vorlesen der an sie gerichteten Briefe waren. So geht es der situationsbezogenen Verkündigung bis heute. „Im Predigen ringt sozusagen Gott selber Brust an Brust mit der Gemeinde um den Gehorsam ihres Glaubens“ (Fischer 1963:31). Gleichzeitig liegt Paulus daran, dass der von außen Kommende, der Randsiedler oder Heide der Maßstab ist, „an dem die ganze Verkündigung gemessen werden muss“ (Schweizer 1959:206). Er bezieht sich auf 1. Kor 14,16- 25. Eine Sprache, die nur die Eingeweihten erbaut, ist unmöglich. 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod 432 Auf der anderen Seite ist es der Gottesdienst der glaubenden Gemeinde. Sie lebt als Schar der Gerechtfertigten von der Vergebung. Darum gibt es im Gemeindegottesdienst des NT auch kein Sündenbekenntnis, „jedenfalls kein regelmäßig im Sonntagsgottesdienst abzulegendes“ (:ebd.). Das bedeutet nicht, dass die Gemeinde nicht von ihrer Unvollkommenheit wüsste. Zu deutlich wird auch konkret von den Sünden der Gemeinde gesprochen. Dennoch wird nicht das Geringste davon sichtbar, „dass der Gottesdienst so etwas wie eine Wiederholung des Heilsdramas mit Gesetzesverkündigung, Sündenbekenntnis, Gnadenzuspruch und Absolution gewesen wäre“ (:206-207). „ … der Ton ist völlig anders als in einer Gemeinde, die allsonntäglich vom Sündenbekenntnis bis zur Absolution geführt wird. Die Gemeinde hat gehört, dass Gottes Tat geschehen ist. Das ist für sie derart zentral, dass sie nie mehr so tun kann als begänne alles jeden Sonntag wieder von vorn … Sie schaut nicht zurück voller Zerknirschung. Sie hat der Sünde abgesagt, indem sie ihr Leben auf die Gnadentat Gottes baut und darum eben nicht mehr Zeit und Möglichkeit hat, sich pharisäisch um die eigenen guten, oder büsserhaft um die eigenen bösen Werke zu drehen.“ (Schweizer 1959:207). 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod „Wie macht sich die Kirche für Jesus bereit?“ fragt Schlatter (1936b: 22) in einer Auslegung zu Mt 25,14-30. Sie ist nicht bereit, „wenn sie das vom Herrn Empfangene nur bewahrt, nicht aber vermehrt.“ Jesus macht es „zum Merkmal der Kirche, dass sie wächst, weil sie für ihn wirbt und das, was sie hat, an die austeilt, die es nicht haben“ (ebd.). Er hat seinen Knechten seine Gaben gegeben „Dies tat er, damit sie das Seine vermehren“ (ebd.). Als Jesus zum Kreuz ging, glich Gottes Herrschaft dem kleinsten Samen „aber dieser wäre kein lebendiger Same, wenn er nicht das Wachstum schüfe, und Gottes königliches Wirken in Gnade und Gericht würde nicht durch Jesus geschehen, wenn es stillstände“ (:23). Die Gemeinde, die ihr Pfund vergräbt, ist von ihrem Herrn selbst gewarnt: „Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus“ (Mt 25,14-30). Der verworfene Knecht repräsentiert eine Kirche, die die Gaben ihres Herrn vergräbt, sie nicht zur Entfaltung und Vermehrung des Reiches Gottes einsetzt. Schlatter sagt über den ungehorsamen Knecht, er habe nur dafür gesorgt, dass das Talent ihm nicht entwendet wird, nicht dafür, dass es wachse. Eine Fürsorge, die sich 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod 433 darum dreht, dass die Gemeinde nur in ihrem Bestand bewahrt bleibt, entspricht nicht dem Willen ihres Herrn. Schlatter (1936b:27-28) schreibt über den Knecht: „Sein Christenstand blieb seine eigene Angelegenheit; vielleicht heftete er an ihn die größten Hoffnungen und griff für sich nach dem ewigen Leben, aber das, was ihn dabei bewegte, war sein eigensüchtiges Begehren. Im Gleichnis vom Weinstock hat Jesus denselben Vorgang an der Rebe dargestellt, die keine Frucht bringt, obwohl sie aus dem Weinstock wuchs, und im Spruch vom Salz und vom Licht sprach er dieselbe Warnung aus mit dem Salz, das nicht salzt, und der Lampe, die unter den Scheffel gestellt wird. Die wiederholte Warnung zeigt, wie ernst Jesus die Gefahr nahm, dass die Eigensucht der Kirche das von ihm Empfangene unwirksam mache.“ Die introvertierte Gemeinde, die ihr Interesse lediglich auf sich selbst richtet, zieht Gottes Gericht auf sich. Sie wird der Finsternis übergeben. „Wir haben … weder in der Gemeinde noch in der Theologie mehr Grund und Recht zur religiösen Nabelschau. Glaube meint christlich mindestens nicht zuerst Gläubigkeit, sondern Gehorsam, der sich senden lässt“ (Käsemann [1960] 1970:288). Gehorsam gegenüber dem Wort ist eine Kategorie, die in der Praktischen Theologie kaum Beachtung findet. Rösslers „Grundriss der Praktischen Theologie“ (1986), Bohrens „Predigtlehre“ (1974), Hirschler „biblisch predigen“ (1992) oder Lämmermanns „Einleitung in die Praktische Theologie“ (2001) lassen „Gehorsam“ im Sachregister vermissen. Welches Thema aber hätte größere Relevanz für eine Praktische Theologie als Gehorsam? Bonhoeffer ([1937] 1976:28-52) konstatiert: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt“ (:35). Über die besondere Sicht Stauffers wird noch zu reden sein. Im Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13) erkennt Schlatter (1936b: 10-22) zweierlei christliche Hoffnung, eine aufweckende und eine lähmende. Die Brautgemeinde wartet auf das Kommen ihres Herrn. Nicht die Hochzeit selbst macht Jesus zum Bild der Gemeinde, sondern das, w a s a m V o r a b e n d d e s F e s t e s g e s c h i e h t (:10). Das Merkmal der Gemeinde ist, dass sie auf Christus hofft. Die Brautjungfern wissen, dass der Bräutigam kommt, kennen aber nicht die Stunde. Wer sind die klugen, wer die törichten Brautjungfern? Diese Frage legt Jesus vor! Denen, die seiner Verheißung glauben und auf ihn hoffen, sagt er „dass sie das missbrauchen können, was er ihnen gab, wodurch ihnen ihre 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod 434 Hoffnung nicht den Beginn, sondern den Verlust des Lebens bringt“ (:19). „Wir haben erlebt, wie unheilvoll der gelehrte, aber nicht geglaubte Glaube wirkt, und ebenso unheilvoll wirkt zwar die gelehrte, aber nicht gehoffte Hoffnung“ (ebd.). Es ist ein wirkliches Hoffen, von dem Jesus spricht, aber eines, dass eigene Beseligung und Vollendung will und darüber vergisst, den Willen des Christus zu tun. Die Törichten verlangen nur nach ihrer eigenen Seligkeit. Sie leben in der Zukunft und lassen die Gegenwart leer. „Davon, wie wir die Gegenwart benutzen, nicht, wie wir uns die Zukunft vorstellen, hängt die Erfüllung unserer Hoffnung ab“ (:20). Es geht nicht darum, in die Zukunft hinein zu spekulieren, sondern darum, wie die Gemeinde die Gegenwart nutzt. Die Törichten sind nicht bereit, haben zur rechten Zeit nicht empfangen, wessen sie bedürfen, wenn der Bräutigam kommt. „Die Bereitschaft erwirbt sich der Jünger nicht dadurch, dass er einer gesetzlichen Vorschrift genügt, die ihm sagt: tue das und lass jenes. Er wird durch die Gemeinschaft mit Jesus zum Freien gemacht, der die Liebe empfing, die weiß, wodurch er den Herrn zu ehren vermag“ (Schlatter 1936b::21). Besonders ist im Gleichnis hervorgehoben, dass jeder Christ selbst für seine Lampe zu sorgen hat. Die Teilhabe an der Gemeinde hat nicht die Macht, das Leben zu verbürgen. Ein gemeinsames Leben gibt es nur dadurch, dass jedes einzelne Glied am Leibe Christi auch lebt. „Du selbst sei bereit! Das hat Jesus, eben als er die neue und ganze Gemeinschaft schuf, mit dem größten Ernst gesagt“ (:22). „Die, die durch ihre Hoffnung nicht weise wurden und deshalb zu spät erwachen, trennt der Spruch des Christus: ‚Ich kenne euch nicht!’ von der Gemeinschaft. Er kennzeichnet damit seinen Willen als den, der königlich waltet. Die draußen stehen, verfügen nicht über die Teilnahme am Fest. Es ist auch nicht die Kirche, die ewiges Leben austeilt. Ihre Fürbitte hat keine zwingende Macht. Der Christus baut die Gemeinde selbst, sowohl jetzt, da er sie durch sein Wort sammelt, als dann, wenn er sein königliches Werk vollbringt. Der, den er kennt, ist sein“ (:22). Der, der im Festsaal des Königs kein hochzeitliches Kleid trägt, mag einen einzelnen Christen, wie auch eine Gemeinde repräsentieren (Mt 22,1-14). Da ist jemand im Königssaal, der nicht das Recht hat, dort zu sein, weil ihm das Zeichen der Zugehörigkeit fehlt. Nach S c h n i e w i n d ist das, was von Gottes Herrschaft 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod 435 ausschließt, „das freudlose Verharren in der eigenen Art, gerade auch in der eigenen Frömmigkeit ... die den Freudenruf Gottes überhört, Gottes Evangelium, seine Freudenbotschaft, die in Jesus Person geworden ist und von den Propheten und Aposteln ausgerichtet wird“ (Schniewind 1937:215). Gollwitzer (19522:157-158) schreibt in seiner Auslegung von Lukas 13,22-30: „… es kann einer auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Volke Gottes meinen, eine Garantie für den Einlass in das Reich Gottes zu haben und doch nicht hereinkommen. Die unnachgiebige Härte, dass in dem Gleichnis der Hauswirt die Tür verschlossen hält, muss erschrecken. Ist das der Gott der Liebe, den Jesus verkündigt? Ja, das ist er! So ungerührt und unbarmherzig kann er dem verzweifelten Schreien und Klopfen derer, die noch draußen stehen, sein ‚Ich kenne euch nicht!’ entgegenhalten (vergl. Matth. 25,12; 7,23). Mit allen Mitteln hat man in der neueren Theologiegeschichte versucht, diese Worte vom unbarmherzigen Gott als Missverständnis der Jünger oder Einmischung ihrer zeitbedingten, untermenschlichen Vorstellungen aus dem Evangelium auszumerzen. Aber das so gereinigte Evangelium war nicht mehr die Botschaft Jesu, sondern die Botschaft der Moderne: der geheimnislose ‚liebe Gott’ des menschlichen Wunsches. Die Wahrheit ist, dass der gleiche wirkliche Jesus, der die Gegenwart der bedingungslos offenstehenden Liebe Gottes verkündigt hat, mit gleichem Ernst Gott im Bilde dieses unerbittlichen Hauswirtes schilderte. Wer diesen Gegensatz streicht, dem fällt damit der E r n s t und die D r i n g l i c h k e i t des Evangeliums weg. Der Gott der Liebe o h n e Gericht ist nicht der uns persönlich Gegenüberstehende. Solche Liebe ohne Gericht kommt nicht aus der Freiheit seiner Entscheidung. Darum kennt sie kein Zuspät. Die Botschaft von der Gnade ist dann eine Aufforderung zum Schlaf, weil ja immer noch Zeit ist. - Das wahre Evangelium aber bringt durch die Botschaft von der Gnade den Menschen in Bewegung: J e t z t ist die Gnade da, darum ergreife sie j e t z t ! Der Herr, der sie jetzt gibt, kann eines Tages sein Z u s p ä t sprechen. Es ist letzte Zeit!“ Entweder macht die Gemeinde ernst damit, dass sie unter dem Vorzeichen der Sendung und damit des Segens steht, oder sie steht unter dem Vorzeichen des Gerichts, dann ist sie verflucht. Eine dritte Möglichkeit hat sie nicht. „Der Gottesdienst darf nicht länger zur bloßen Seelenbedienung degradiert werden. Er muss zur Sendung werden, denn die Gemeinde versammelt sich ja nur, um wieder auseinander zugehen. Sie kommt im Namen des Herrn Jesus zusammen, um eben diesen Namen hinauszutragen in die Welt. In ihrer Versammlung beginnt, was für alle Welt kommen soll: der Friede als 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod 436 Überwindung der Angst, das Sichbeugen aller Knie vor dem erhöhten Christus (Phil. 2, 11). Darum löst sich ihre Versammlung immer wieder auf in die Zerstreuung hinein, in die Welt, die dem Christus gehört … (2. Petr. 3, 12)“ (Bohren 1963:190). Die Gemeinde von Sardes hat den Namen, dass sie lebt und ist tot (Offb 3,1). Es ist also möglich, dass eine Gemeinde, beim physischen Fortbestand, gestorben ist. Ephesus hat die erste Liebe verlassen, wird zur Umkehr gerufen, zum Tun der ersten Werke. „Wenn aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte - wenn du nicht Buße tust“ (3,5). Laodicea ist lau. Darum sagt der Erhöhte „werde ich dich ausspeien aus meinem Munde“ (3,16). Das ist ein Bild der Verwerfung. Hier ist eine Gemeinde, von der Christus sich trennt. Sie war einer Fehleinschätzung ihrer selbst und ihrer Lage erlegen: „Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts! und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß“ (3,17). Aber kann sich die Gemeinde nicht auf die Verheißung berufen, dass sie durch die Mächte der Unterwelt nicht überwältigt werden soll (Mt 16,18)? Es ist mit dieser Verheißung wie mit allen anderen auch: Wer die Verheißung hat, muss den Gehorsam wollen, denn Verheißungen werden im Gehorsam ergriffen. Abraham war von Jahwe verheißen worden: „Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein“ (Gen 12,2). Die Abrahamsverheißung war an keine Bedingung geknüpft und doch war sie nur in Schritten des Gehorsams zu ergreifen: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will“ (V.1). Man kann die Erfüllung einer Verheißung nicht ohne Gehorsam haben. Die Gemeinde, die z. B. den Sendungsauftrag nicht ausführt macht für sich alle Segensverheißungen zunichte, die sich daran knüpfen. Die Nähe zu Jesus, dem Erhöhten und Wiederkommenden, die Abhängigkeit von und der Blickkontakt zu ihm – der bewusste Gehorsam, darin drückt sich das Wesen des Glaubens des einzelnen Christen und der Gemeinde aus; so wie Kinder immer wieder den Blickkontakt zu den Eltern suchen, besonders im neuen, unbekannten Umfeld und Situationen. Es ist offensichtlich: Jesus verlangt, dass die Gemeinde ihm und seinem Worte folgt, dass sie tut, was er ihr sagt. Das Tun oder nicht Tun seines Wortes ist nicht in das Belieben der Gemeinde gestellt. 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod 437 Wenn Jesus von den Seinen Gehorsam fordert, ist es allerdings ein anderer Gehorsam als der, den man im Judentum kannte. Er will keinen Gehorsam um des Gehorsams willen, sondern einen Gehorsam aus Liebe zu Gott und zu den Menschen. Darauf hat Stauffer (1961) hingewiesen und eine Theologendiskussion ausgelöst. In der jesuanischen Botschaft von der neuen Moral kommen die Worte Gehorsam und gehorchen überhaupt nicht vor. Selbstverständlich darf man aus dieser lexikalischen Fehlanzeige nicht den voreiligen Schluss ziehen, dass etwa die Idee des Gehorsams in der Praxis und Verkündigung Jesu keine Rolle spiele. Aber die Tatsache bleibt, dass Jesus nach dem einmütigen Zeugnis der Vier Evangelien die Vokabeln Gehorsam und gehorchen mit aller Konsequenz vermeidet. Jesus von Nazareth liebt diese Worte nicht“ (Stauffer 1959:17). Diese Tatsache sei umso auffälliger, so Stauffer, als der Begriff des Gehorsams ein Fundamentalbegriff der atl und spätjüdischen, auch der paulinischen und kirchlichen Ethik sei. Dagegen betont Riesner (1981:427), es durchziehe Jesu Worte „die Erwartung eines unbedingten Gehorsams, der weit über das im rabbinischen Lehrer-Schüler - Verhältnis Übliche hinausgeht.“ Man dürfe sich nicht davon täuschen lassen, dass der Begriff ‚gehorchen’ ÃpakoÀein in Jesus-Worten fehle. „Vielmehr erklärt sich dieses Fehlen aus der semitischen Prägung der synoptischen Jesus-Logien. Da es im Semitischen keinen Begriff für ‚Gehorsam’ gibt, musste Jesus hier … auf Umschreibungen u. ä. zurückgreifen“ (ebd.). Stauffer (1959:17) schreibt, dass im Gegensatz zum Sprachgebrauch Jesu der Terminus Gehorsam ein Lieblingsbegriff des Paulus sei. Er schwelge geradezu in der rabbinischen Gehorsamsideologie. Die paulinische Gehorsamsethik habe mit Jesus nichts zu tun. - In seiner Jesusbegeisterung übersieht Stauffer, dass Paulus den Gehorsam der Gemeinde nicht an das Gesetz, sondern an Christus und die Gnade bindet. So betont Käsemann ([1960]19706 I:294) in seiner Auslegung zu Phil 2,12-18, dass die Freiheit des Christen sich als eine Freiheit von sich selbst bekundet, „also als Gehorsam.“ „Der von Gott beschlagnahmte Mensch wird in seinem gottgesetzten Gehorsam Werkzeug des Heils in dieser Welt. Gottes Wille wirkt durch ihn, die Gnade verleiblicht sich in der nova oboedientia“ (ebd.). 3.2.6. Gehorsam als Frage von Leben oder Tod 438 Dennoch ist der Hinweis Stauffers (1959:19) zu hören. Mit Recht hat er etwas gegen das „Ideal des christlichen Befehlsempfängers.“ Er begehrt auf gegen einen Untertanengehorsam, nach der Weise „Befehl ist Befehl“. Solche „Gehorsamethik“ ist gegen Missbrauch nicht geschützt. Ferdinand Höss, Lagerkommandant von Auschwitz, war der klassische Befehlsempfänger, „der durch eine pervertierte Gehorsamsmoral zu dem skrupellosesten Millionenmörder der Menschheitsgeschichte geworden ist“ (:21-22). Jesus hat solch einen Begriff des Gehorsams geächtet. Ein Gehorsam, der nicht aus der Liebe zu Gott oder Jesus kommt, sondern aus einer Untertanengesinnung, will Jesus nicht. Er greift - wie Gott - nach dem Herzen. Er will Liebesgehorsam, der aus der Beziehung zu ihm erwächst. Alles andere ist ein falsches Gehorchen, das sich lediglich dem Stärkeren beugt, das sich duckt und das Befohlene als jemand tut, dem von Herzen danach gar nicht ist. Stauffer sagt auf die Frage, warum Jesus das Wort Gehorsam nicht sagt: „Weil das Wort Gehorsam die Sache nicht trifft, um die es Jesus geht. Und was ist das für eine Sache, um die es ihm geht? Die Antwort ist so einfach wie möglich: Die Liebe. Jesus verkündigt die Liebe zu Gott und dem Nächsten (M[k] 12,29-31) Die Liebe aber, die Jesus verkündet, ist eine Liebe aus ganzem Herzen – und das Herz lässt sich nicht befehlen. Der Gott Jesu von Nazareth will das Herz des Menschen, er will Menschen mit Herz und keine Befehlsempfänger. Jesus selber liebt nicht auf Befehl. Auch seine Jünger sollen nicht auf Befehl lieben … In summa: Die Botschaft Jesu ist ein Aufruf, dem Gott zu dienen, dem Jesus von Nazareth dient, ihm aus Liebe zu dienen, mit ganzem Herzen zu dienen, ihm ganz allein. Jesus gesteht keiner menschlichen Instanz das Recht zu, im Namen Gottes Gehorsam zu fordern, keiner. Dum tacet clamat!“ (Stauffer 1961:35-36). So können wir auch das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern (Mt 25,14-30) nur als Ruf, die Liebe zu Gott und zu Jesus persönlich zu empfangen, verstehen: „Weil die Knechte die Empfangenden sind, sind sie auch die Wirkenden. Wieder hat Jesus das Empfangen und das Wirken zu einer festen Einheit verbunden. Nicht aus sich selbst, sondern als die Empfangenden sind sie die Wir- 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 439 kenden. Darum stehen sie unter dem Satz: ‚Getrennt von mir, ohne dass ich der Gebende und Wirkende bin, könnt ihr nichts tun’. Nun aber, da sie empfangen haben, ist es auch eine unzerbrechliche Notwendigkeit, dass sie die Wirkenden seien“ (Schlatter 1936:24). 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft Was ist Vollmacht? Was geschieht, wenn jemand Vollmacht hat? xous°a ist die Freiheit, das Recht, im Namen eines Auftraggebers zu handeln, zu bestimmen, zu verfügen. xous°a, so sahen wir (2.2.5.), ist „die von einer höheren Norm oder Instanz gegebene Möglichkeit und damit das Recht, etwas zu tun, das Recht über etwas“ (Foerster THWB II. 559). Je nach Zusammenhang bedeutet dieses Recht: Vollmacht, Erlaubnis oder Freiheit. xous°a ist auch die Fähigkeit zu handeln, das Vermögen, die Macht. Wer Vollmacht hat, besitzt Machtvollkommenheit, Befugnis, hat Herrschergewalt, Amtsgewalt (Bauer 1971:550-551). In der Vollmacht geht es um das Recht, im Namen eines Auftraggebers zu handeln. Hat die jüdische Gemeinde Vollmacht erlebt, als der Rebbe zu ihr sprach? Der Rebbe Elimelech lehrte vor der Gemeinde. Gebannt saßen sie da, vergaßen die Welt, vergaßen ihren Alltag, vergaßen ihre Frauen und Kinder. Denn seine Worte waren wie loderndes Feuer, ihre Glut verzehrte den Raum und die Anwesenden. Wenn sie noch zu einer Vorstellung fähig gewesen wären, so hätten sie gewusst, dass er sie in das Paradies geführt hatte. Wie Edelsteine fügten sich seine Worte zu einem kostbaren, funkelnden Diadem. Und das Diadem krönte das Haupt der Welt. Sprach der Rebbe Elimelech noch in dieser, in dieser unteren Welt? Er sprach von der Einrichtung des »mischkan«, des Zeltes, worin Gott wohnt, wo seine Schechina ruht zwischen den beiden Cherubim. Verborgen hinter Toren und Vorhängen, damit keiner sagen könnte, er hätte etwas mit seinen irdischen Augen wahrgenommen ... Die Stimme des Erzählers trug, verborgen hinter dem Feuer, in dem die Worte brannten, einen stillen Sang, ein unhörbares Lied. Und man wusste, dieses Lied erzählte die Geschichte des Lebens von jedem der Anwesenden. Und jeder vernahm sein Leben und dachte, der Rebbe spreche nur zu ihm ... Und die Gemeinde sah die Zusammenhänge, bis ins Letzte, und erlebte ihr Leben als ewiges Leben“ (Weinreb, 19852:9). „Wenn sie noch zu einer Vorstellung fähig gewesen wären, so hätten sie gewusst, dass er sie in das Paradies geführt hatte.“ Wir ahnen, was Vollmacht sein könnte. 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 440 Menschen werden in das Paradies geführt, sie kommen der Ewigkeit nahe oder die Ewigkeit ihnen. Vollmacht vergegenwärtigt den Ewigen. Der Soziologe P. Berger (1972:82-86) schildert eine Szene, der er Bedeutung für jedes Menschenkind beimisst, eine Szene, die zum Gleichnis für Vollmacht werden kann: Ein Kind wacht auf in der Nacht. Es hat einen schweren Traum gehabt. Nun kommt es zu sich. Im Zimmer ist es dunkel, und in der Dunkelheit ist es allein. Panische Furcht will hereinbrechen. Das kleine Wesen hat große Angst. Es schreit nach der Mutter. Ein Licht geht an. Sein warmer Schein verscheucht die Dunkelheit. Die Mutter tritt ans Bett, nimmt ihr Kind, legt beide Arme um das zitternde Geschöpf und sagt: „Ich bin da. Ich bin bei dir. Alles ist gut.“ Das Kind wird ruhig. Die Mutter hatte gesagt: „Ich bin da.“ Wir wissen, dass der Gottesname eine ähnliche Bedeutung hat. „Jahwe“ übersetzt Luther mit „Ich bin, der ich bin.“ Das lässt sich auch übersetzen mit: „Ich bin da!“ Wenn Mütter ihren Kindern nachts zuflüstern: „Ich bin da!“, sprechen sie ihnen unbewusst - den Gottesnamen ins Ohr. In jeder Nacht flüstert es auf den Kontinenten in allen Sprachen: „Ich bin da!“ So muss selbst die Mutter, die Gott nicht kennt, ihrem Kind in der Finsternis mit diesem Wort Frieden bringen. Das Kind weiß sich geborgen. Es hat gehört, was ihm Geborgenheit schenkt. „Ich bin da“. Das ist zugleich der Name, der Heil zu den Menschen bringt. Berger sagt, dass solche Worte, von Müttern oder Vätern gesprochen, Urvertrauen in die Seele des Kindes legen, das es zum Leben fähig macht. Die Rolle, die Eltern durch solche Worte im Leben ihrer Kinder einnehmen, sei die von Hohenpriestern. Wir könnten die Worte der Mutter (oder des Vaters) in eine kosmische Aussage übersetzen: Vertraue dem Sein! Im Mittelpunkt der Menschwerdung steht ein Erlebnis des Vertrauens in die Ordnung der Wirklichkeit. Eine Mutter hat die Vollmacht, ihr Kind nicht nur momentan zu trösten, sondern ihm den Grund für das Urvertrauen zu legen, wodurch es leben kann. Hier ist eine Metapher für die Vollmacht der Predigt! Da tritt die Mutter der Angst ihres Kindes entgegen. Ihre Gegenwart verscheucht die Dämonen der Nacht. Ein kleines Kind hört die Worte des geliebten Menschen, der auf seiner Bettkante sitzt. Es ist getröstet. Wenn Prediger Vollmacht haben, schließt sich der Himmel auf, Kräfte der Ewigkeit dringen in die Versammlung. Da verkündigt 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 441 jemand den Sohn Gottes und plötzlich erfahren die Menschen: Er i s t da! Er schenkt, was sein Wort sagt. Wovon es redet, das geschieht. Das nahe gekommene Himmelreich ist – wie wir sagten - nicht nur bloß Gegenstand, sondern G e g e n w a r t . Man stelle sich vor, es säße eine fremde Frau beim Kind auf der Bettkante. Die könnte dieselben tröstenden Worte sagen, sie hülfen nicht. Im Gegenteil, das Kind würde um so lauter nach der Mutter schreien. Da holt die Fremde ein Bild von der Mutter und zeigt es dem Kind. Auch das tröstet nicht. Die Frau fängt an über die Mutter Geschichten zu erzählen. Das Kind hört nicht auf zu schreien. Es ruft gequält nach der Mutter. Ihm helfen keine Bilder von ihr, keine Geschichten. Ihm hilft nur die Mutter. Vollmacht heißt: Prediger reden nicht ü b e r den Ewigen, sie bringen ihn. Sie erzählen keine Geschichten über das Brot des Lebens. Sie reichen es. Vollmacht heißt: Menschen kommen mit Sünden beladen, müssen sich beugen und gehen - befreit. Da haben sie nicht eine Predigt über die Rechtfertigung vernommen, sie haben ihre Rechtfertigung erfahren. Bei vollmächtiger Predigt sitzt Gott auf der Bettkante. Wird Gott nicht als der Gegenwärtige erfahren, quälen wir die Seelen. Vielleicht kommen die Leute darum nicht mehr. Ohne Vollmacht können Predigten richtig sein, unter Mühen entstanden und engagiert vorgetragen - sie bewirken nichts. Das Eigentliche der Predigt, die Gottesgegenwart, hat sich der Höchste selber vorbehalten. Das Geheimnis schützt sich selbst. Jesus hatte Vollmacht. Wenn er sprach, war Gott kein Predigtobjekt, das sich betrachten ließ. Umgekehrt: Jeder wusste sich unter G o t t e s Augen gestellt, was nicht nur lieblich ist. Schon bei seiner Geburt heißt es: „Die Klarheit des Herrn umleuchtete sie, und - sie fürchteten sich sehr“ (Lukas 2,9). In die Gottesfurcht spricht der Bote des Himmels sein: „Fürchtet euch nicht.“ Es gilt Erschrockenen! Matthäus berichtet am Schluss der Bergpredigt: „Als Jesus diese Rede vollendet hatte, e n t s e t z t e sich das Volk über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten“ xeplÐssonto o³ ícloi p± tÞ dida- 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 442 cÞ aÇto (Mt 7,28-29). Gottes Gegenwart verursacht Schrecken, Gottesfurcht. Vollmächtige Predigt löst nicht nur Freude aus, sondern auch Entsetzen. Pastor Busch (1968:149-151) fragt: „Was fehlt denn unserer Predigt, die so gut und so sicher und so zeitnah ist - und die trotz aller Bemühungen am Menschen vorbeiredet und keine Bewegung schafft? Dieses fehlt ihr: Es fehlt ihr die Angst, dass Hörer und Prediger in die Hölle kommen könnten ... Wir müssen wieder gefährlich werden für die Gewissen. Wir müssen wieder Sünde Sünde nennen und nicht ein ‚Problem’ ... Nur der Prediger wird die Gewissen treffen können, dessen eigenes Gewissen erschrocken ist von der Tiefe seiner Sünde und vor der Heiligkeit Gottes und der selber das Blut Jesu als köstliche Heilung erfahren hat.“ Mose hatte viel mit Gott erlebt: Die Befreiung aus Ägypten, die zehn guten Weisungen vom Sinai, und er hatte Gottes Namen erfahren. Aber ihn verlangt nach mehr. Er will Gottes Herrlichkeit sehen! (Ex 33). Darum soll es gehen, wenn wir predigen, dass die Menschen Gottes Herrlichkeit erleben. Dazu müssen wir sie zuvor selber geschaut haben. Um sie zu schauen, gilt es, sein Angesicht zu suchen. Von Gott reden kann man leicht. Aber dass er sich zeigt, dass seine Gegenwart erfahren wird, darin besteht Vollmacht. Was würde aus Menschen werden, wenn wir so predigten, dass sie die Herrlichkeit Gottes sähen?! Dazu brauchen wir Vollmacht und Kraft. - Warum erfahren wir die Gegenwart Gottes so selten in der Predigt? Warum sind wir vollmachtslos? Hören wir auf einen Prediger des 19. Jahrhunderts: „Was helfen Talente, Philosophie, Redekunst, selbst Rechtgläubigkeit, wenn die Zeichen nicht folgen? Wie können die von Gott gesandt sein, die keine Menschen zu Gott führen? Propheten, deren Worte keine Kraft haben, Sämänner, deren Same verdirbt, Fischer, die nichts fangen ... - sind das Gottes Leute? Lieber sei ein Straßenkehrer oder ein Kaminkehrer, als dass du als unfruchtbarer Baum im Pfarramt stehst. Die niedrigste Arbeit nützt doch der Menschheit etwas, aber der Unglückliche, der auf der Kanzel steht und doch niemals Gott durch Bekehrungen preist, ist ein Nichts und schlimmer als ein Nichts; er ist ein Schadenstifter. Es gibt ja Zeiten der Dürre und magere Jahre, die die fetten aufzehren, aber in der Hauptsache gibt es doch Frucht zur Ehre Gottes, und die zeitweilige Unfruchtbarkeit füllt die Seele mit unaussprechlichem Schmerz.“ (Spurgeon 1896:36). 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 443 Der Text ist dem Buch „Ratschläge für Prediger“ entnommen. Spurgeon sieht - wie selbstverständlich - in einem Prediger des Evangeliums jemanden, dem es darauf ankommt, Menschen zu Gott zu führen: „Wie können die von Gott gesandt sein, die keine Menschen zu Gott führen?“ Könnte dass ein Grund für unsere Vollmachtlosigkeit sein, dass uns das Selbstverständliche, Menschen zu Gott zu führen, als Selbstverständnis eines Predigers abhanden gekommen ist? Denn dass uns Vollmacht und Kraft so schmerzlich fehlen, muss Gründe haben. Die Kirche hat ein Energieproblem, ähnlich wie die Bürgergesellschaft unserer Tage: Wir existieren in einem Universum der unerschöpflichen Energien. Unsere Sonne, der Energie spendende Feuerball, gießt ihre Wärme aus barmherziger Entfernung auf die Erde herab. Unzählige solcher Glutgiganten durchziehen unsere Milchstraße. Kosmos - das ist pure Energie. Wir aber schauen besorgt ins All: Wie kommen wir da heran? - Wir stecken in einer Energiekrise. Von Jesus heißt es: „Und alles Volk suchte, ihn anzurühren; denn es ging Kraft (dÀnamiv) von ihm aus, und er heilte sie alle“ (Lk 6,19). Das Wort breitete sich aus durch die Kraft (krtov) des Herrn (Apg 19,20). Wir hören von Krafttaten, Zeichen und Wundern, die im Zusammenhang mit dem gepre- digten Wort stehen. Wir aber stehen da, reden viel, predigen gebetsmühlenartig Sonntag für Sonntag, aber – nichts geschieht. Uns fehlt die Kraft. Die Christenheit unserer Tage steht vor einer ähnlichen Frage, wie die Menschheit mit dem Energieproblem: Wie kommen wir an die so notwendige Kraft heran? Auch den Aposteln stand diese Kraft zur Verfügung. Paulus erinnert die Korinther: „Mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft“ (dunmewv), (1. Kor 2,4-5). Jesus, die Apostel, die Urgemeinde, sie alle hatten Vollmacht, Auftrag, Erlaubnis, Recht und Befehl zu heilen und besaßen auch die Kraft dazu. Wie bekommen wir etwas von der Energie, die der irdische Jesus schon vor seiner Auferstehung besaß, die er seinen Jüngern verlieh und die den Jüngern nach seiner Auferstehung wie selbstverständlich gegeben war? Die Christenschar, deren Herr Kraft hat und dem alle Vollmacht gegeben ist, erweist sich heute weitgehend als kraftlos. - Warum? Bohren stellt fest, dass anhand des NT geprüft werden müsse, 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 444 „ob unsere Predigt Gottes Wort sei, wirklich sei, oder schlichter, ob die Auslegungen und Moralreden, die so korrekt auf unsern Kanzeln gehalten werden, auch Predigten seien. Der Herr ist der gleiche, seine Kraft ist die gleiche. Wir predigen den Gekreuzigten. Wir wollen auch den Glauben predigen. Warum bezeugt sich Gott nicht, warum wirkt er nicht? Warum gleicht heute unsere Predigt wohl viel mehr der Predigt der Schriftgelehrten als der Predigt der Apostel? Warum ist dann unsere Predigt offensichtlich zum Dienst des Buchstabens geworden und nicht Dienst des Geistes? … Diese Fragen sind Gerichtsfragen. Sie richten unsere Predigt“ (Bohren [1963]1969:21). xous°a und dÀnamiv sind zu unterscheiden, aber nicht voneinander zu trennen. In Lk 9,1 wird den Jüngern beides zugleich verliehen: dwken aÇto²v dÀnamin ka± xous°an. Zur Verkündigung bedarf es der Vollmacht und der Kraft. Gibt es zwar zur xous°a auch die dÀnamiv, so ist doch zu deutlich, dass zu Krafttaten in Jesu Namen auch Menschen fähig sind, ohne dass die Kraft, die sie dazu haben, aus der Gemeinschaft mit dem Herrn kommt (Mt 7,23). Es gibt eine Vollmacht des Satans. Auch bei den Feinden Gottes gibt es Zeichen und Wunder: „Denn es werden falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, (sjme²a megla ka± t™rata) so dass sie, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten verführten“ (Mt 24,24). Der Antichrist hat Kraft, er „wird in der Macht (xous°a) des Satans auftreten mit großer Kraft (n psÛ dunmei) und lügenhaften Zeichen und Wundern und mit jeglicher Verführung zur Ungerechtigkeit bei denen, die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, dass sie gerettet würden“ (2. Thess 2,9-10; s. Offb 13,2; 17,13). Vollmacht ist nicht mit Erfolg zu verwechseln. Erfolge sind machbar. Mit Begabung und Geschick lässt sich auch ohne Vollmacht, sogar in einem Leben im Ungehorsam, scheinbar eine Menge tun. Der Bergprediger spricht von derart „Erfolgreichen“. Sie haben in seinem Namen geweissagt, Dämonen ausgetrieben, große Taten getan. Jesus nennt sie „Übeltäter“. Er hat sie nicht „erkannt. „Erfolg“ ist kein biblisches Wort. Die Schrift spricht von Frucht und meint damit Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit. (Gal 5,22-23). Früchte sind nicht machbar. Sie wachsen in der Verbindung mit 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 445 Christus, dem Weinstock. Nicht an ihren Gaben oder Erfolgen sind seine Leute zu erkennen, sondern an den genannten Früchten. Jesus kann in der ihm verliehenen Vollmacht Dämonen austreiben (Mk 3,15; 6,7 par; Lk 10,19). Wir haben oben gesehen (2.2.5.), dass sich spätestens hier erweist, dass xous°a, als „Macht die zusagen hat“ mit machtvollem Handeln verbunden ist. Durch ein von Jesus ausgesprochenes Befehlswort müssen Dämonen weichen. Wir knüpfen an vorher Gesagtes an: Das ist überhaupt das Zeichen, dass Jesus die Herrschaft Gottes brachte: „Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Mt 12,28). Jesus ist der Menschensohn von Daniel 7. Darauf bezieht sich Mt 28,18: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Nach seiner Auferstehung ist er eingesetzt als der Menschensohn, der die Herrschaft hat. Schon in seinen Erdentagen konnte er in dieser Vollmacht wirken. Jesu Vollmacht aber hängt zusammen mit seinem Gehorsam: „Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat …“ (Joh 4,34). Er predigt nicht wie ihre Schriftgelehrten. Er predigt wie die Propheten und ist doch mehr als sie. Er sagt nicht, wie diese: „So spricht der Herr“, sondern „Wer diese m e i n e Worte hört“ (Mt 7,24.26). „Gerade der vollkommene Gehorsam, der das Leben Jesu kennzeichnet, ist seine Freiheit und Macht: seine Vollmacht. So spricht bereits die kommende Erhöhung aus seinen Worten“ (Schniewind/Michel 1988:12). „Exousia – das heißt: die volle Macht Gottes. Und die Kirche soll diese Macht haben! Es ist die Vollmacht des ewigen Richters selbst: die Vollmacht seines Geistes. Gottes eigene Macht, die stärker ist als alle Macht des Feindes, als alle Macht, die sich ihm entgegenstellt: die Macht Gottes, die im Himmel bannt und löst – die Macht gibt er seiner Gemeinde. Gottes eigene Macht in ihrer Fülle wird uns anvertraut! Wer sollte sich nicht fürchten?!“ (Schniewind/Michel 1988:9). Die Kirche soll diese Macht haben! Sie hat sie aber nicht. Wo ist sie und wie wird sie ihrer teilhaftig? Es ist G o t t e s Kraft, nicht die unsere. Es ist uns verwehrt, in ein spiritualistisch-magisches Sakramentsverständnis auszuweichen und so zu tun, als sei die Kraft sakramental an das Wort gebunden, ob wir das nun sehen oder nicht. 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 446 „Es ist ein Possenspiel, wenn man die Kraft Gottes so verinnerlicht und unsichtbar macht, dass sie überhaupt nicht mehr da ist“ (Bohren 1969:14-15). Bohrens Erörterungen in diesem Zusammenhang (1969:7-30) gehen darauf hinaus, dass die Vollmacht e r b e t e n sein will und, dass der Prediger - wie Jesus - durch die Wüste der Anfechtung müsse. Schon im AT habe Gott sein Volk durch Wüstenzeiten geführt. „Es gibt also in der Bibel eine Vorbereitungszeit für das Wirken im Geist und in der Kraft: die Zeit in der Wüste!“ (:27). An anderer Stelle betont Bohren (1993:44), dass die Fürbitte der Gemeinde für den Prediger „weithin über Macht und Ohnmacht des Predigens“ entscheide. So sehr dem zuzustimmen ist, so ist doch das Gebet nicht alles, gibt es doch auch ein Beten, auf dem keine Verheißung ruht (Mt 6,7; Jak 4,3). Der Heilige Geist, der uns das Himmelreich gegenwärtig macht, ist unverfügbar. Er teilt sich mit oder entzieht sich, wo er will. Und doch ist er kein Geist der Willkür. Er will in der Tat gebeten sein. Zum Gebet aber gehört der Gehorsam. Es ist wahr: Wir brauchen in erster Linie keine Prediger, die nur gut reden können, sondern die gut schweigen können, schweigen vor Gott und hören auf sein Wort. Wer die Stille sucht, vernimmt Gott am ehesten. „Was euch gesagt wird in das Ohr, d a s predigt auf den Dächern“, so legt es Jesus den Jüngern ans Herz (Mt 10,27). Wer Gottes leise Stimme hört, hat etwas zu sagen. Kraft gewinnt, wer sich im Schweigen übt. „Schweigen ist die Sprache der Ewigkeit“ (von Le Fort). Schweigen aber ist das Schwerste von allem. Unsere laut gewordene Welt hält Stille nicht mehr aus. Vielen ist sie gar unerträglich. In der Stille werden die Stimmen laut, die in uns rumoren, und der Feind mit seinen Einflüsterungen ist nicht weit. In der Wüste des Schweigens wurde auch für Jesus die Stimme des Versuchers vernehmbar. „Die Stille und das Schweigen aushalten, heißt, zuerst den zum Schweigen zu bringen, der in der Wüste das Wort führt, heißt ihn so zum Schweigen bringen, dass er seinen Platz für die Engel räumt“ (Bohren 1973:83). Es gilt, schweigen zu lernen, damit das Reden vollmächtig wird, denn Prediger und Gemeinde sind vielleicht noch nie so kraftlos und gebetsmüde gewesen, wie in dieser Zeit der uns überflutenden Medien. Dazu kommt die Beanspruchung einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft, die den Atem raubt. „Ihr streitet und kämpft“ schreibt Jakobus „und habt nichts, weil ihr nicht bittet“ (4,1- 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 447 3). Schon damals erklang das Klagelied über die Gebetsarmut der Gemeinde. Sie hat nicht, weil sie nicht bittet. Das mag für uns und unsere Situation der Kraftlosigkeit ebenfalls gelten. Hier ist allen, die zum Gebet mahnen, zuzustimmen. Der Schreiber führt dann aber eine Beobachtung hinzu: „ihr bittet und empfangt nichts, weil ihr in übler Absicht bittet, nämlich damit ihr's für eure Gelüste (Ódona²v - [Hedonismus]) vergeuden könnt“. Demnach liegt es nicht n u r an der Gebetsarmut der Gemeinde, dass sie nichts empfängt. Sicher beten mehr, als wir ahnen, um Vollmacht. Wie schnell aber steht ehrsüchtiger Wille, das Gelüste dahinter, persönlich erfolgreich zu sein. Da ist das Soli Deo Gloria zerstört. Wir sagten oben, es habe Konsequenzen, dass die Gemeinde unter dem Vorzeichen der Sendung lebt. Diese betreffen die gesamte Gemeinde mit all ihren Diensten. Vor allem aber betrifft es die Verkündigung. Dass die Gemeinde ihre Sendung ernstnimmt und wahrnimmt, hat für Menschen Ewigkeitsbedeutung, so sensibel und bedeutungsvoll ist die Gehorsamsfrage im Zusammenhang mit der Sendung. Wenn eine Gemeinde ihre Sendung n i c h t wahrnimmt, zugleich aber um Vollmacht bittet, bittet sie „in übler Absicht“. Sie will Vollmacht losgelöst von der Sendung, obwohl im NT die Gabe der Vollmacht an der Sendung haftet. I m K o n t e x t d e r S e n d u n g s r e d e n w i r d V o l l m a c h t v e r l i e h e n ! Stiehlt sich die Gemeinde aus ihrer Missionsaufgabe fort, ändert sie eigenmächtig ihr Vorzeichen; nicht die Sendung ist es dann mehr, sondern die üble Absicht, für sich selbst etwas herausschlagen zu wollen. Das Gebet solch einer Gemeinde wird den Arm Gottes nicht bewegen. Gebet ist keine Wunderwaffe für alle Fälle. Gebet und Gehorsam gehen miteinander. Gebet und Ungehorsam - das verträgt sich nicht: „Wir, wir haben gesündigt und sind ungehorsam gewesen, darum hast du nicht vergeben. Du hast dich in Zorn gehüllt und uns verfolgt und ohne Erbarmen getötet. Du hast dich mit einer Wolke verdeckt, dass kein Gebet hindurch konnte“ (Klgl 3,42-44). Miskotte vergleicht die Mission der Kirche mit Israels Auszug aus Ägypten, dem Durchzug durchs Rote Meer, dem Wandern durch die Wüste. „Vollmacht und Hindurchzug“ überschreibt er ein Kapitel. Die Vollmacht, so sagt er, bleibe zwar erhaben über alle Macht „zugleich aber erfährt die Wirkung der Vollmacht 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 448 erst in dem Hindurchzug ihre Entfaltung“ (Miskotte 1963:308). Ohne eine gehorsame, zu den Menschen gehende Kirche zu sein, werden wir vollmachtslos bleiben. Da wird auch das Gebet um Vollmacht keine Erhörung finden. Wofür brauchen wir Vollmacht, wenn nicht für die Sendung, für den Kampf gegen die Mächte, für die Begegnung mit den im Unglauben gebundenen Menschen? Ohne Sendung bleiben nur die geistlose Selbsterhaltung, das religiöse Entertainment und alles Machbare. Dafür stellt Christus seine Vollmacht nicht zur Verfügung. Die Vollmacht der Predigt wird durch dunmeiv, durch Krafttaten bestätigt: Beides geht zusammen, die Predigt und die Zeichen (Mt 4,23, s. auch 9,35): „Er rief aber die Zwölf zusammen und gab ihnen Gewalt und Macht über alle bösen Geister, und dass sie Krankheiten heilen konnten, und sandte sie aus, z u p r e d i g e n d a s R e i c h G o t t e s u n d d i e K r a n k e n z u h e i l e n … Und sie gingen hinaus und zogen von Dorf zu Dorf, predigten das Evangelium und machten gesund an allen Orten“ (Lk 9,1-6). Und dann der Markusschluss: „Sie aber zogen aus und predigten an allen Orten. Und der Herr wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen“ (Mk 16,20). - Auch nach der Auferstehung liegt bei den Jüngern die Kraft im Wort, das die Menschen überwindet: „Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung des Herrn ...“ (Apg 4,33). Diese Kraft wird in Krafttaten manifest: „Durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volk“, 5,12. Fragen wir, bei welcher Tätigkeit diese Zeichen und Wunder geschahen, dann lautet die Antwort: Sie geschahen im Vollzug ihres Sendungsauftrags zur Rettung der Menschen. Wenn Paulus nach Korinth zurückkehrt, ist der Maßstab, mit dem er die Korinther misst, nicht die Dogmatik, nicht das Reden: „Ich werde jedoch bald zu euch kommen und werde nicht auf die Worte der Aufgeblähten achten, sondern auf ihre Kraft, denn nicht auf Worten beruht das Reich Gottes, sondern auf Kraft“ (1. Kor. 4,19). Wir können mit Sicherheit annehmen, dass Paulus seinen Dienst darum in Vollmacht und Kraft ausüben konnte, weil er, der große Theologe, missionarisch und darin gehorsam war. Hätte er sich in eine bürgerliche Existenz als Gemeindepastor begeben, der seinen Dienst nach Vorschrift tut, ohne um die 3.2.7. Vollmacht – und die Frage der Kraft 449 Rettung der Seelen zu ringen und die Gemeinde zur Sendung zuzurüsten, ihn hätten Vollmacht und Kraft bald verlassen. Wer sich kundig macht über Zeichen und Wunder in den vergangenen Jahrhunderten bis heute, wird bald herausfinden, dass sie dort geschahen und geschehen, wo ein ernstes Ringen um die ewige Rettung von Menschen zu beobachten war und ist. Christoph Blumhardt, der begnadete Theologe, war – ähnlich wie Paulus – durch und durch Missionar. Auf einem christlichen Kongress in Manila habe ich in einer Arbeitsgruppe eine chinesische Theologieprofessorin aus Hongkong erlebt. Sie berichtete, dass sie vormittags in der Universität Vorlesungen hält und nachmittags mit Studenten und Studentinnen in Slumgebiete geht. Dort würden sie den Menschen in ihren sozialen Nöten helfen, auch bei Behörden für ihre persönlichen Rechte kämpfen, sie würden mit den Mitgliedern einer christlichen Slumgemeinde missionieren und Menschen die Hände auflegen, für sie beten, damit die Kranken geheilt werden, was oftmals geschähe. Sie erlebe in den Slums nicht nur die Hölle, sondern zeichenhaft oft ein Stück Himmel auf Erden. Käse ann ([1960] 1970:113) weist darauf hin, dass sich die Theologie des Paulus „als radikal kritische Theologie“ zeigt. „Ihre kritische Kraft ist das Evangelium, das die Selbstbehauptung und Selbstrechtfertigung des frommen, ja des geistbegabten Menschen zerschlägt: Der Himmel kommt auf die Erde, wenn Gnade G e h o r s a m u n d V e r a n t w o r t u n g schafft und als Begründung einzig des Dienstes erkannt wird“ (Hervorhebung KE). 3.3. Predigen führt 450 3. 3. Predigen führt „Du musst weniger schön reden in deinen Predigten, sondern führen. Deine Hörer wollen angeleitet werden. Wer führt, der hat ein Ziel. Hast du ein Ziel? Führst du? Oder predigst du nur?“ (Reimer 2004:9). Der, dem diese Lektion erteilt wurde, hatte so etwas in seiner theologischen Ausbildung nie gehört (ebd.). Die Frage nach dem Predigtziel, also die Absicht, die Gemeinde durch die Verkündigung zu führen, ist nicht neu. Fezer (1925) blickt auf eine breite Diskussion darüber zurück. Was die homiletische Theorie betrifft, sieht er eine „charakteristische Zwiespältigkeit in der Bestimmung des Predigtbegriffs“ (:27- 52). Er verweist er auf eine Gruppe von Theologen (Vinet, Nitsch, Achelis, Baumgarten, Hering, Kleinert, Sachße, Niebergall, Wurster, Meyer), deren Auffassung er „missionarisch-pädagogisch-seelsorgerisch“ oder „erziehenwollend“ nennt. Nach ihr „ist die ganze Predigtarbeit ein Werk, das an der Gemeinde geschieht, und zwar in der Weise, dass die einzelne Predigt (idealiter) jedes mal ein klar umrissenes, jeweils außerhalb der betreffenden Predigt selbst in der Frömmigkeit der betreffenden Gemeinde gelegenes Ziel bewusst und methodisch sicher durch Evangeliumsverkündigung zu erreichen suchen soll“ (:29). Neben dieser „erziehenwollenden“ Predigt beschreibt Fezer eine Gruppe, die eine „absichtsvolle Leitung und Zurechtweisung“ (:41) ausdrücklich n i c h t üben will, sondern - in der Gefolgschaft Schleiermachers - eine „künstlerisch darstellende“ Auffassung der Predigt vertritt (Schweizer, Palmer, Bassermann, Krauß, Spitta, Smend, Eckert). Die Predigt soll nichts anderes sein „als eine Darstellung des in der Gemeinde vorhandenen religiösen Lebens durch den Prediger als Mund der Gemeinde ohne Abzweckung auf ein außerhalb der jeweiligen Predigt selbst in der Frömmigkeit der Gemeinde gelegenes Ziel“ (Fezer: 39). Gegenüber solch klaren - wenn auch gegensätzlichen - Positionen, herrscht unter uns eher eine diffuse Auffassung darüber, was die Predigt ist und was sie soll. Sie ist selten erziehend bzw. führend oder künstlerisch darstellend. Kunstwerke unter den Predigten sind genauso rar wie zielgerichtete Verkündigung. Bohren (1979:22) sagte: „Möglicherweise hängt die Resignation so vieler Prediger daran, dass man nicht mehr weiß, was man tut, wenn man predigt. Wer nicht weiß, was predigen ist, wird auch nicht wissen, was predigen soll“ (s. 1.3.4.). 3.3. Predigen führt 451 Die diffuse Auffassung gilt es zu überwinden. Wir stellen die entscheidende Frage: Soll die Predigt erziehen, also führen oder nur darstellen? Die e rz iehende Predigt geht von einem M a n g e l der Gemeinde aus. Sie will etwas für die Gemeinde bewirken, was diese noch nicht hat, die dars te l lende dagegen vom vorhandenen B e s i t z (beati possidentes). Nach Fezer sind diese beiden Begriffe der Predigt aber nicht grundsätzlich verschieden. Er sieht ein „verkehrt Anthropozentrische(s)“ beider Auffassungen, gehen sie doch - Besitz hier, Mangel dort - von der Gemeinde aus (:63-64). Er dagegen möchte Predigt „s t r e n g t h e o z e n t r i s c h “ fassen: „die Predigt ist das Bemühen eines Menschen, durch freie Rede dazu mitzuwirken, dass der im Schriftwort uns seine Gemeinschaft schenkende Gott einem Kreis von andern Menschen gemeinsam durch den Hl. Geist gegenwärtig werde“ (:77; im Original hervorgehoben). Natürlich ist Gottes Gegenwart nicht herstellbar: „Wenn da eine Gemeinschaft entstehen soll zwischen Gott und uns: die stellen wir nicht her, die stellt er her. Da liegt bei ihm die actio und bei uns erst die reactio“ (Fezer 1925:82). Zu der reactio bemerkt Fezer (:104): „Und was sich dann in einer solchen Kirche an liturgischen Bestrebungen regt (und es wird sich viel regen, weil man anzubeten und zu danken und Gott mit Bitten zu preisen hat), ist hoch willkommen.“ Fezer erwartet von der Predigt, die vor Gott stellt, mit Recht „liturgische Bestrebungen“, also von Herzen kommende Anbetung. Dass die Gegenwart Gottes „missionarische Bestrebungen“, also von Herzen kommende Retterliebe als reactio der Gemeinde nach sich zieht, ist nicht in seinem Blick. Auch übersieht Fezer, dass der sein Wort sendende Gott schon im Alten Bund mit eben diesem Wort ein „Wozu“ im Auge hat, ein Ziel kennt, (Jes 55,11, [s.1.2.3.]). Es kann also gerade die „streng theozentrische“ Predigt von einem Ziel gar nicht absehen, gehört es doch zur Aufgabe derer die predigen, G o t t e s Ziele in seinem Wort für die konkrete Situation der Gemeinde auszumachen und zu verkündigen. Dabei ist es von größter Wichtigkeit, dass die Theozentrik nicht aufgegeben und unter der Hand zur Anthropozentrik wird. Wir berühren hier die schwere Hypothek, die die Christenheit bereits bald nach ihren Anfängen mit sich trägt. Kutter (1926) sieht Paulus schon in den Briefen an die Korinther und Galater um 3.3. Predigen führt 452 die Mittelpunktstellung Gottes ringend gegen die „chr i s t l iche Rel ig ion mit dem Menschen a ls Mi t t e lpunkt“ (:51). In einem Bild beschreibt der Schweizer Theologe das Problem: „Der Kreis zieht sich in die Ellipse auseinander, der Mittelpunkt wird in zwei Brennpunkte verwandelt: Nicht mehr Gott im Menschen, sondern Gott u n d Mensch ... (:52). „So entstand die christliche Religion. Gott und Mensch nur in Beziehung zueinander, zwei Brennpunkte, ... wovon freilich der menschliche, weil der Mensch ja vor allem von seiner eigenen Realität erfüllt ist, weitaus der wichtigere war“ (:53). „Es gibt keinen Gott mehr um seiner selbst willen, es gibt nur noch einen Gott um des Menschen willen“ (:54). Der Mensch, sei es der fromme oder der gottlose, ist i. d. R. das Thema numero eins kirchlicher Verkündigung. Sei es in unserem Denken, sei es in unserem Fühlen, wir gehen von uns aus, der Mensch als Mitte, Gott als Mittel. Hier trifft uns nach wie vor der Ruf Jesu: metanoe²te! „Denkt um! Kehrt um!“(Mt 4,17). In „Not und Gewissheit“ (1927:24) schildert Kutter das Umdenken: „Christus lebt in m i r , das war die alte Welt - C h r i s t u s lebt in mir, das war die neue.“ Vorher war ihm das bloße Gefäß wichtiger als der Inhalt (:28-29). „Warum hat mich das: C h r i s t u s lebt in mir, weggerufen von dem anderen: Christus lebt in m i r ... die Betonung ist eine ganz andere, und damit der Sinn, die Bedeutung des Satzes. Dort geht mir C h r i s t u s auf, hier geht Christus i n m i r unter. Dort bin ich Christi, hier ist er mein. Dort diene ich ihm, hier dient er mir“ (:30). Bohren (1962:13) bringt den Gegensatz von Anthropozentrik und Theozentrik für die Homiletik auf den Punkt: Man solle einmal beachten, „wie beredt heute die Prediger zu reden wissen über das, was wir sind und tun, und wie unendlich dürftig ihre Aussagen sind über das, was Gott ist und heute tut.“ Er schlägt vor, die Predigt nach dem zu befragen, was sie über Gottes gegenwärtige Taten aussagt und das rot anzustreichen, und mit grau, was sie über Menschenwerk aussagt. „Ich fürchte, dass dann das Bild, die Optik der Predigt vorwiegend grau aussieht.“ Wiederholt erinnert Fezer an Luther. Dieser hatte 1544 zur Einweihung der Schlosskirche zu Torgau gepredigt, dass im Gottesdienst „unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“ (WA 49, 588.). Dieser Satz wird seit der Liturgik des 19. Jahrhunderts die „Torgauer Formel“ genannt, sieht man hier doch Luthers 3.3. Predigen führt 453 Gottesdienstverständnis kurz zusammengefasst.1 Wir finden also auch beim Reformator die Auffassung, die sich von den beiden eingangs genannten darin unterscheidet, dass sie auf Gott gerichtet ist. Vom Reden Gottes in der theozentrischen Predigt erwartet er die Reaktion der Gemeinde, eben Gebet und Lobgesang. Über das Loben und Danken sagt Luther in der Auslegung des 117. Psalms (1530), dass wir „erstlich im Herzen solches erkennen und gläuben, dass wir alles von ihm haben, und er unser Gott sei; darnach erausfahren, und Solchs mit dem Munde frei bekennen f u r d e r W e l t , predigen, ruhmen, loben und danken, das ist der recht einige Gottesdienst, das rechte priesterliche Ampt und das liebe angenehme Opfer …“ (zitiert in Gottschick 1887:40; Hervorhebung KE). Das Gotteslob erschöpft sich nach Luther also nicht im Singen von Liedern, sondern vollzieht sich im Bekennen Gottes vor der Welt! In seiner Vorrede zur Deutschen Messe von 1526 (1952:93-94) sagt der Reformator – im Gegensatz zur späteren Einschätzung Schleiermachers - dass unter dem Volk im Gottesdienst viele sind „die noch nicht glauben oder Christen sind“. Da handele es sich um „eine öffentliche Anreizung zum Glauben.“ Auch hier ist eine deutliche Zielangabe und die Bezeichnung „missionarisch-pädagogisch-seelsorgerisch“ anzuwenden. Luthers „Dritte Weise des Gottesdienstes“ (:94) trägt Kennzeichen der „Zurüstung zum Dienst“ nach Epheser 4,12. Die Vorstellung einer Zurüstung im Blick auf den Dienst der Gemeinde in der Sendung ist ihm dagegen eher fremd. Fezer erinnert neben Luther auch an Barth. Dieser schrieb in „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ (1922:177), es sei zu bedenken: „dass es mit unsrer Aufgabe so steht, dass von Gott nur Gott s e l b e r reden kann. Die Aufgabe der Theologie ist das Wort Gottes. Das bedeutet die sichere N i e d e r l a g e a l l e r Theologie und a l l e r Theologen … Wir müssen uns klar sein darüber, dass wir, und wenn wir Luther oder Calvin wären und welchen Weg wir auch einschlagen mögen, so wenig ans Ziel kommen werden wie Mose in das gelobte Land gekommen ist. So gewiss wir irgendeinen Weg gehen müssen und so gewiss es sich wahrhaftig lohnt, wählerisch zu sein und nicht den ersten besten Weg zu gehen, so gewiss 1 Das 2. Vatikanische Konzil formuliert ähnlich: „[…] in der Liturgie spricht Gott zu seinem Volk; in ihr verkündet Christus noch immer die Frohe Botschaft. Das Volk aber antwortet mit Gesang und Gebet“ (Sacrosanctum Concilium 33, in Rahner / Vorgrimler 198014: 62). 3.3. Predigen führt 454 müssen wir bedenken, dass das Ziel unsrer Wege das ist, d a s s G o t t s e l b e r r e d e “ (Hervorhebung KE). Auch Barth hat ein Predigtziel, nicht um die führende oder die darstellende Predigt geht es ihm, sondern – wie bei Fezer - darum, dass Gott selber rede. In der jüngeren homiletischen Literatur gibt es ebenfalls Hinweise auf das Ziel der Predigt. Hummel gab im Jahre 1971 Aufsätze zum Thema „Aufgabe der Predigt“ heraus, von F. Niebergall „Die moderne Predigt“ aus dem Jahre 1905 über Thurneysen „Die Aufgabe der Predigt“ (1921) bis zu Moltmann „Wort Gottes und Sprache“ (1965). Hier findet sich eher Grundsätzliches zur Predigt. Dem Thema „Ziel der Predigt“ stellen sich nur wenige. Dem gegenüber ist die Predigt nach Wingren (1959:10) der Weg zur Rettung der Menschheit. „Wo das Wort ist, da ist Gott, da führt Gott gegen den Satan jenen Kampf, der seit den Tagen der Urgeschichte im Gange ist und der mit der Befreiung des Menschen enden wird“ (:57). Für Lange (1968:88) soll Predigt ein Reden mit dem Hörer über sein Leben sein. Nach Bohren (1971:104-105) ist Predigt Anleitung zum Gebet. Seitz (1978:11) fragt danach, ob die Predigt den Bedürfnissen der Menschen in einer veränderten Welt entspricht. „Wo müsste sie es tun, und wo darf sie es nicht?“ Weiters ist für ihn die Intention des Bibeltextes das Predigtziel. Es soll das zum Ausdruck kommen, „was Gott in der Bindung an diesen Text bei der Gemeinde von heute unbedingt erreichen will“ (:32). Winkler (1997:97) spricht vom Predigtziel im Blick auf den Skopus eines Textes. Es kann auch das Ziel mit dem Thema identisch sein. Müller (1996:237-255) spricht von der theologischen Auslegung der Situation: „Die Homiletik versteht Situationserfahrung als Wahrnehmung der Lage im Leben mit anderen, die zugleich vom christlichen Glauben wie von der allgemein-menschlichen Lebenserfahrung geprägt ist“ (:241). * Die aus den USA kommende New Homilet ic mit ihrer Methode „Performing the Scriptures“ sei besonders erwähnt. Für sie setzt sich Nicol (20052) unter dem Stichwort „Dramaturgische Homiletik“ im deutschsprachigen Raum ein: „Bei dem erneuerten Predigen geht es nicht mehr darum, eine Wahrheit des Glaubens zu erklären (deduktiv), sondern Erfahrungen des Glaubens zu teilen (induktiv). In dieser Spur hat New Homiletic Alternativen zur diskursiven 3.3. Predigen führt 455 Predigt entwickelt. Kern aller Versuche ist ein prinzipiell anderes Modell von Predigt: Predigt als gestaltete Bewegung (plottet mobility). Nicht mehr darum geht es, den Hörenden eine Wahrheit mitzuteilen, sondern sie in eine Bewegung hineinzunehmen, in der sie selbst Erfahrungen gewinnen können. Paradigma der Predigt ist nicht länger die akademische Vorlesung mit Thesen und Argumenten, sondern der Film mit seinen bewegten Bildern“ (:25). Die New Homiletic hat Impulse von den Predigten der Bürgerrechtsbewegung der Africanamericans unter M. L. King in den 60ger Jahren aufgenommen: „Schwarz- amerikanisches Predigen (African American Preaching) ist inzwischen zu einem der anregendsten Phänomene von New Homiletic geworden“ (Nicol:24). Am Anfang der Bürgerrechtsbewegung standen natürlich keine homiletischen Erwägungen, sondern einige Mutige, die geistlich wie politisch wach, sehend und mündig geworden waren. Sie gründeten zu Beginn des 20. Jh. die Civil Rights Movement, die für die Entrechteten eintrat. Ein großes Hindernis dieser Bewegung war neben der Bosheit der Weißen, die Unmündigkeit der Unterdrückten selbst. Es gab zwei Gruppen, die Wachen und die Schläfer, die Mutigen und die Eingeschüchterten. Der Kampf ging zuallererst darum, dass die Schläfer und Eingeschüchterten erkannten, worum es ging, ums Wachwerden, ums Mutigwerden, ums Mündigwerden. Nur dann war der Kampf zu führen und zu gewinnen. Der Kampf wurde gewonnen. Lischer (1995:218, in Nicol (20052) berichtet in diesem Zusammenhang von einem bewegenden Szenario, nachdem höchstrichterliches Urteil die Rassentrennung in den Bussen endgültig aufgehoben hatte: Bei einem Gottesdienst sollte der einzige weiße Pastor der Stadt … die Epistel lesen: 1Kor 13, das Hohe Lied der Liebe … Als der Pastor zu den Worten kam ‚Als ich ein Kind war, redet ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, legte ich ab, was kindlich war’, da brach die Gemeinde in spontanen Applaus und Beifallsrufe aus“ (:48) Dazu Nicol: „Hier hatten die schwarzen Menschen und der weiße Pastor im Spiegel des Bibelwortes erkannt, wie sie selbst mündig geworden waren“ (ebd.). Nun gibt es zwei Möglichkeiten, dieses Geschehen zu interpretieren. Die New Homiletic spinnt daraus einen brauchbaren homiletischen Faden. Wird sie damit aber dem Drama, das sich vor aller Welt abspielte, gerecht? Nicol wirbt für eine 3.3. Predigen führt 456 „Dramaturgische Homiletik“ und weiß die beschriebene Szene ebenfalls homiletisch zu gebrauchen. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn nicht in der homiletischen Begeisterung das Besondere, die Pointe des Geschehens übersehen würde. Das Besondere an Kings Predigtweise - so heißt es - sei die Darstellung biblischer Texte gewesen. „Performing the Scriptures“ ruft uns die New Homiletic in einem ihrer Hauptvertreter - Lischer - zu. Nein, das Besondere an Kings Predigten war ihr aktueller Anlass! Da war die Not, die Verlorenheit der Schwarzen, die Ungerechtigkeit, die sie zu Menschen zweiter Klasse degradierte. Die Führer der Bürgerrechtsbewegung begannen ihr eigenes Leiden in den biblischen Geschichten von Mose, Josua, Samson, dem leidenden Gottesknecht und Jesus wiederzuerkennen, wohnten sie doch, Moses ähnlich, wie Verbannte in ihrem eigenen Land. „Kings Lieblingserzählung ist die wechselnde illuminierende Geschichte vom Exodus und der Versklavung des schwarzen Volkes in Afrika. Sie wiederholt dessen Deportation in ein fremdes Land, dessen fortwährende Demütigung unter den amerikanischen Pharaonen und die jetzt aufgebrochene Freiheitsbewegung, die unter ihnen im Gange ist … Diese Lieblingserzählung bildet das Grundmuster und die Atmosphäre für viele von Kings Predigten … die Erschöpfung durch die Gefangenschaft, das Gefühl eines Übergangs, die kontrollierte Wut und Hoffnung auf Befreiung, welche freudvoll auf den Höhepunkten seiner Predigten vorausgenommen wird, - all das gibt seinen Predigten die von der Exodusgeschichte nahegelegte Struktur“ (Lischer 1995:142). Zum Besonderen an Kings Predigten gehört sodann ein „belehrendes Prinzip“, wie Lischer es nennt, nämlich d ie Liebe als dominierendes Thema. „Wir werden einzig durch die Liebe überwinden“ (:143) Die Befreiung kann nur stattfinden, „wenn das Vehikel der Befreiung, die christliche Bügerrechtsbewegung, geführt von der schwarzen Kirche, völlig ausgerichtet ist auf das liebende Wesen des Amtes Christi und auf den erlösenden Charakter seines Todes“ (:ebd.). Die Liebe ist in der Bewegung darum nicht Gegenstand ausgewählter Texte, sondern durchdringt als Thema jeden Text und damit auch jede Predigt. Zum Besonderen an den Predigten gehört weiters die persönliche Betroffenheit des Predigers King und seiner Mitstreiter, ihr Anteilnehmen und 3.3. Predigen führt 457 Aufbegehren. Nicht zuletzt brannten ihre Herzen und waren erfüllt von Gott, der auf das Recht aller Menschen schaut. „Wären wir einfach erfüllt und getrieben, so müssten unsere Predigten einfach wirken“ schrieb einst Barth an Thurneysen ([1913-1921], 1973:83). Es schält sich heraus: Die „Dramaturgische Homiletik“ - reicht an die tatsächliche Dramatik der Bürgerrechtsbewegung nicht heran. „Dramaturgische Homiletik“ - das führt bestenfalls zu sonntäglichen spirituellen Events. Sie richtet sich, wie Nicol durchgehend formuliert, nicht etwa an die sendungsorientierte Gemeinde, sondern an „Hörerinnen und Hörer“, mit dem Wunsch, dass sie Gott erleben möchten. Dazu bedarf es bekanntlich der Gabe der Unterscheidung der Geister. Es könnte sonst sein, dass - wenn die Dramaturgie gelingt - lediglich der Unterhaltungswert einer Predigt steigt oder die Gemeinde gar irregeführt wird. Nach wie vor gilt: Es kommt, auch bei Performing the Sciptures, auf die Inhalte an und auf die tatsächliche (unverfügbare) Gottesgegenwart! Die Bürgerrechtler werden sich kaum über eine dramaturgische Homiletik Gedanken gemacht haben. Die „neue“ Predigtweise ergab sich aus ihrer dramatischen Situation, waren sie doch in ein tatsächliches Drama verwickelt. Sie steckten in tiefer Not. Um ein menschenwürdiges Leben ging es. Da war an keine Performance gedacht, da war schwerem Unrecht im zivilen Ungehorsam zu widerstehen. Ein Kampf war entbrannt, der Predigten notgedrungen dramatisch und zur geistlichen Kampfansage werden ließ. Performing the Scriptures ohne vergleichbare Not verkommt dagegen zu einem Schauspiel. Bei allem Positiven, das über die New Homiletic zu sagen ist, ihr fehlt, wie auch uns, ein dramatischer Anlass, ähnlich dem, der jene Bürgerrechtsbewegung überhaupt entstehen ließ. Würden wir allerdings aufs Wort achten, gingen uns die Augen für einen dramatischen Anlass auf. Der Anlass für eine „spirituelle Bürgerrechtsbewegung“ ist gegeben, für e ine Bewegung näml ich, d ie s ich s tark macht für d ie Menschen, d ie das Evangel ium nicht kennen! Schreibt Paulus an Christen: „Unser Bürgerrecht (pol°teuma) ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus“ (Phil 3,20), so steht besonders dieses Bürgerrecht a l l e n Menschen zu. Weil Gott der Gott aller ist und Christus für alle starb und auferstand, gibt es für alle das 3.3. Predigen führt 458 Bürgerrecht auf das himmlische Jerusalem, ein Recht auf das Evangelium. Sie müssten nur wach werden, die Menschen, ihr Bürgerrecht kennen, es für sich beanspruchen. Da ist die Gemeinde gerufen, die Menschen auf ihr Bürgerrecht im Himmel hin anzusprechen. Paulus weiß davon: „Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen“ (Röm 1,14). Hier spricht nicht allein das individuelle „Ich“ des Apostels, sondern das kollektive „Ich“ der Gemeinde. Sie schuldet der Welt, weil diese es nicht kennt, das Evangelium. Darum ist die Gemeinde vom NT her gerufen, sich als geistliche Bürgerrechtsbewegung für die Rettung der Menschen an ihrem Ort stark zu machen. Für die Menschen hat sie zu kämpfen, um sie hat sie zu ringen. War die Bügerrechtsbewegung in den USA Vehikel der Befreiung der Unterdrückten, so ist die Bestimmung der Gemeinde, Vehikel der Befreiung für die im Unglauben Gefangenen zu sein. „Ist das nicht aber Zwangsbelückung?“, könnte gefragt werden. „Die Menschen fordern ihr Bürgerrecht auf die Ewigkeit in der Regel nicht ein.“ Sie fordern es nicht ein, weil sie es nicht können, weil sie nach dem Urteil der Schrift geistlich tot sind, wie es Paulus den Christen im Blick auf ihre Zeit ohne die Vergebung Christi bescheinigt (Eph 2,1; Kol 2,3). Geistlich Tote können nur durch das Gotteswort aus ihrem Todesschlaf erweckt werden. Dieses Wort hat die Kirche. Jede Gemeinde hat das Wort. Uns aber kennzeichnet eine jahrhundertelang gepflegte Wahrnehmungsverweigerung. Wir s e h e n nicht mehr die Not der Menschen, die ohne Christus leben, ohne Glauben, ohne Ewigkeitshoffnung, die Not der Verlorenen. Darum sind wir Kirche ohne Auftrag geworden, Kirche ohne ewigkeitliches Ziel. Daherrührt letztendlich auch die Ziellosigkeit all unseres Predigens und unserer Predigt, in der Preisgabe unserer eigentlichen Sendung. Als J e s u s das Volk sah, jammerte es ihn (Mt 9,36). Um die Menschen zu erlösen, die verschmachtet sind, wie Schafe, die keinen Hirten haben, war er gekommen. Weil er das fest im Auge hatte, war all sein Reden und Tun folgerichtig z i e l g e r i c h t e t . Diese Menschen aber existieren unter uns im zerstörerischen Unglauben, weil die Kirche - von Ausnahmen abgesehen - ihnen das Evangelium nicht bringt. So wird durch die Kirche der Name Gottes gelästert. Es spielt sich 3.3. Predigen führt 459 ein unerkanntes Drama ab: Die meisten Menschen fristen ihr Dasein, ohne von der Liebe Gottes je wirklich gehört zu haben. Diese Dramatik scheint der Dramaturgischen Homiletik nicht gegenwärtig. Sie sieht ihre Aufgabe nicht darin, die Gemeinde zu ihrer Sendung zu rufen und zu befähigen, damit sie zur geistlichen Bürgerrechtsbewegung, zum Vehikel der Befreiung für die im Unglauben Gefangenen wird. Sie sieht Predigtpublikum, „Hörerinnen und Hörer“, keine sendungsorientierte Gemeinde und reiht sich damit - trotz aller Unterschiede - in die Reihe aller anderen Homiletiken ein. Nach dem NT herrscht ein Machtkampf (Eph 6). Solange eine Dramaturgische Homiletik das Dramatische nicht erkennt, dass sich zwischen Himmel und Erde um die Menschen ereignet, wird auch sie nichts Bleibendes bewirken. Dass sich die Gemeinde als eine geistliche Bürgerrechtsbewegung für die zu Rettenden versteht, für sie eintritt, um sie kämpft, sie um Gottes willen nie verloren gibt, ist das Ziel biblischer Verkündigung. D a z u s o l l d i e P r e d i g t f ü h r e n , das ist – wie wir sahen (2.2) – das Gefälle aller biblischer Texte: um Got tes wi l l en Verlorene re t ten . Dass sich solche Predigt dann auch der Dramaturgischen Homiletik bedienen darf, muss nicht ausdrückliche Erwähnung finden. Wir sagten schon an anderer Stelle (1.1.): „Alles zu tun, was der Rezeption der Predigt dient, ist eine Frage der christlichen Nächstenliebe. Da sind die Hilfen der Dramaturgischen Homiletik hoch willkommen.“ Aber es muss die Predigt sein, die aus der Not Gottes um die Menschen geboren ist, aus der Not, dass die Vielen Christus nicht kennen. Es muss die Predigt an die Gemeinde als einer geistlichen Bürgerrechtsbewegung zur Rettung der Menschen sein, die Predigt von Botinnen und Boten, die sich nicht nur in einer neuen homiletischen Kunst verstehen, sondern sich von Gott zur glühenden Retterliebe entzünden lassen. * In der jüngeren homiletischen Literatur haben wir vorwiegend die Vorstellung von Gemeinde, die sich in einer je bestimmten Situation befindet, die wahrzunehmen und auf die zu reagieren ist. Immer aber handelt es sich um das Predigtpublikum, das als ganzes mehr oder weniger ziellos vor sich hin lebt, wo man zwar Predigt- oder Themenziele kennt, sich z. T. auch um die Erfassung der Situation müht, auch Texte dramaturgisch ins Bild setzt, jedoch von dem einen, 3.3. Predigen führt 460 alle Glieder verbindenden Gemeindeziel der Sendung und einem entsprechenden homiletischen Weg, nichts weiß. Wir aber fragen nach dem generellen Ziel Gottes mit der Gemeinde: Christi Ruf und die Orientierung der Gemeinde an seinen Liebeswillen stellt sie auf den einen Weg und hält sie auf diesem Weg, der zum Heil derer führt, die noch keine Jünger Christi sind. Die Christuspredigt wird in Zuspruch und Anspruch zur Wegweisung, Wegbegleitung und Zurüstung der Gemeinde in der missio Dei. Das ist die theologia viatorum der sendungsorientierten Schar. Dieser, von Christus bestimmte Weg, verwehrt der Gemeinde, auf der Stelle zu treten oder lediglich auf menschliche Nöte und Forderungen zu reagieren. Christi Weg führt und evangelische Predigt hält sie auf ihr eschatologisch - soteriologisches Sendungsziel hin in Bewegung. Unterwegs stellen sich Hindernisse ein. Anfechtungen kommen, Verfehlungen, Erfolg wechselt mit Misserfolg, Hoffnung mit Resignation, Siege mit Niederlagen. Alles das begegnet auf dem Wege der missio. Darauf ist auch mit strukturellen Maßnahmen zu reagieren, besonders aber mit der Predigt. Zum Beispiel: Man ist dabei, sich zu verzetteln, das Ziel aus den Augen zu verlieren. Da wird die Predigt bzw. eine Predigtreihe das gemeinsame Leitbild vor der Gemeinde neu entfalten. Oder: Es entsteht ein Konflikt; daraufhin muss im Sinne eines geistlichen Konfliktmanagements gepredigt, im Lichte des Friedefürsten zu Aussprachen ermahnt, zur gegenseitigen Vergebung gerufen werden, geht es doch um die Einheit der Gemeinde, von der Gott seinen Segen in der Sendung abhängig macht. Oder: Die Liebe zu den Menschen vor den Toren der Kirche erlahmt; darauf ist verkündigend, evtl. in einer Predigtreihe, zu reagieren. Gehegte Hoffnungen werden enttäuscht. Da wird die Predigt Mut machen und verheißungsorientiert, aber auch mahnend, zum Gehorsam rufend. Auf solche Situationen zu reagieren bedeutet, dass die Prediger und Presbyter sorgfältig zu wählen haben: Welchen T e x t , mit welchem Skopus, welches T h e m a braucht die Gemeinde aufgrund der eingetretenen Lage j e t z t ? D m könnte e tge ngehal en werden, dass das genau die Predigt sei, der Fezer falsche Anthropozentrik vorwirft. Ist hier nicht der Verzweckung des Evangeliums das Wort geredet? Paulus wollte doch nichts zu verkündigen wissen als Jesus Christus, den Gekreuzigten (1. Kor 2,1-2). 3.3. Predigen führt 461 Hat Paulus „nur“ den Gekreuzigten gepredigt, so geschah das doch nicht geschichtslos, nicht ohne Situationsbezug! Er verkündigte den Gekreuzigten in konkrete Situationen hinein (3.2.5.). Dass das Wort Fleisch wurde (Joh 1,14), ist auch und gerade homiletisch von Bedeutung. Wir können die Geschichtlichkeit der Gemeinde – ihren Ort, ihre Zeit und Situation - nicht übergehen. Wir verkündigen auf dem Wege, den wir uns nicht selbst erwählt haben. Sprach Barth unklar von „irgendeinem“ Weg, den wir gehen müssten, so kennt die Schrift dagegen einen k l a r b e s t i m m t e n W e g . Wir meinen darum auch nicht, wie Barth, noch wählerisch sein zu können. Die Liebe zu Gott und den Menschen hat keine andere Wahl, als den Weg zu gehen, auf den der sendende Christus die Gemeinde stellt, zu den Menschen extra muros ecclesiae. Schleiermachers künstlerisch darstellende Predigt ist durch den Sendungsauftrag der Gemeinde ad absurdum geführt. Fezer (1925:77) wollte theozentrisch predigen, damit Gott gegenwärtig werde. Die Verheißung der Gegenwart Jesu aber ergeht im Kontext des Miss ionsbefehl s , Mt 28,20b, (s. 2.3.4.). Auf dem Weg der Sendung dürfen wir - theozentrisch predigend - Christus an seine Verheißung erinnernd, die Gegenwart Gottes erbitten. Wenn nun in der Gemeinde die Liebe zu den Menschen vor den Toren der Kirche erlahmt, wird in der Predigt nicht etwa Druck gemacht. Es wird der Auferstandene in seiner Liebe zu allen Menschen der Gemeinde vor Augen gemalt, gezeigt, wie er den Verlorenen nachgeht. Dabei ist Jesus nicht gesetzlich als Vorbild zu verkündigen, sondern als der „C h r i s t u s in euch“ (Kol 1,27-28; Gal 2,20). Hier gilt: „Er selbst, der dich ruft, vollbringt, wozu er dich gerufen hat“ (Thomas 19806:7). „C h r i s t u s in euch“ ist die Dynamik der Gemeinde, die ihrem Herrn verfügbar lebt und sich darum nicht gesetzlich abringen muss, was nur geschenkweise empfangen wird, dass nicht sie über sich selbst, sondern dass C h r i s t u s i n i h r herrscht. Die Predigtziele sind demnach nicht direkt anzugehen, sondern, wie im Eph, über den „Umweg“ der Christusverkündigung. Wenn im Folgenden Ziele beschrieben werden, zu denen christozentrische Text- bzw. Themapredigten die Gemeinde führt, werden diese von Zeit zu Zeit zu wiederholen sein. Da ist Fezer Recht zu geben: 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 462 „Angesichts des lebendigen Gottes stehen, vor dem lebendigen Christus stehen, êv stin e¸kñn to qeoÂ, ist eine Erfahrung, die man nicht genug machen kann (vgl. Ps. 27,4) … Gott zu schauen, wenn Gott in seinem Wort ihm dies selber gewährt, wird ein Mensch nicht müde. Das ist immer eine visio beatifica. Denn Gott ist wirklich der fascinans“ (:102). Bei ihren Zielen ist die missionierende Gemeinde nie ein für allemal angekommen. Hier ist Barth zuzustimmen, dass wir „so wenig ans Ziel kommen werden wie Mose in das gelobte Land gekommen ist“. Umso mehr sind die Sendungsziele fest im Auge zu behalten, wie auch die sendungsorientierte Gemeinde ihr generelles Ziel, Missionsgemeinde in der Nachfolge Jesu zu sein, wenn sie es erreicht, stets neu vor sich hat. Sie bedarf allewege der christozentrischen Predigt. „Wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampf rüsten?“ (1. Kor 14,8). Die christozentrische Predigt führt auf den Weg der Sendung und behält auf dem Weg der Sendung, dem Weg des Kampfes und - der Verheißung der Gegenwart des Auferstandenen. 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott Bilder von Kalkutta hatte ich schon gesehen und wusste, dass dort Menschen auf der Straße wohnen. Aber dass es so viele sind … Straßenzüge, rechts und links voller Leute, Familien, die dort leben ohne ein Dach über dem Kopf, Straße für Straße. Die Menschen waren mir fremd und fern, obwohl ich mitten unter ihnen war. Dann kam ich mir selber fremd vor, mit meiner Kultur, die so ganz anders ist, mit meinem Glauben, den hier wohl wenige kannten. An einem Tag sehe ich wie Hunderte, Tausende von Menschen in die Fluten des Seitenarms des Ganges steigen. „Warum tun sie das?“ frage ich meinen hinduistischen Begleiter. „Unsere Götter fordern es.“ - Mehrere Male muss ich so fragen, einmal sogar als ich Bettler ohne Arme und Beine sehe. Sie hatten sich verstümmeln lassen. - „Die Götter fordern es.“ - F o r d e r u n g ist das Prinzip der Religionen. Von Glasenapp (1961:12) definiert: „Religion ist der im Denken, Fühlen, Wollen und Handeln betätigte Glaube an das Dasein übernatürlicher persönlicher oder unpersönlicher Mächte, von denen sich der Mensch abhängig fühlt, die er für sich zu gewinnen sucht oder zu denen er sich zu erheben trachtet.“ Die 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 463 nichtchristlichen Völker kennen kein Evangelium. Schlatter (1929: 254) bemerkt darum: „ … die Völker, denen wir das Evangelium bringen, sind alle Nomisten; sie suchen sich alle die Berührung mit Gott durch den Vollzug eines heiligen Gesetzes zu verschaffen. I n a l l e n a u ß e r c h r i s t l i c h e n R e l i g i o n e n i s t d a s G e s e t z d e r H a u p t b e g r i f f … der ihnen den Anteil an Gott erreichbar machen soll“ (Hervorhebung KE). Bei allem Rätselhaften, das wir dort finden, beherrschend ist das Gesetz. Sein Grundprinzip lautet: Forderung. Unser säkularisiertes, christliches Abendland steht dem nicht nach. Auch die westeuropäische Leistungsgesellschaft besteht aus dem Forderungsprinzip. Darum schwelt in der Tiefe einer hinduistischen, muslimischen oder europäischen Seele die Angst: „Weh mir, wenn ich dem Gesetz der Forderungen nicht entspreche.“ Ein absoluter Imperativ gehört zum Wesen religiöser oder areligiöser Götzen. Er lautet: „Handle! Leiste! Gib!“ Die selbstgemachten Götter – n e h m e n . Sie nehmen die Menschen regelrecht aus. Im NT lese ich, der Menschensohn sei gekommen, dass er g e b e - sein Leben als Lösegeld für viele (Mk 10,45). Das ist „Gottes Wesen, dass er gibt“ (Gogarten 1948:74). Sein Wesen, wie die Heilige Schrift es bezeugt, lässt sich gegenüber den heidnischen Göttern mit dem Satz ausdrücken: E r g i b t . „ Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden“ (Jes 40,29). „Er gibt Speise“ (Hiob 36,31; Ps 111,5; 136,25; 145,15). Darum kann Jesus auf die Fürsorge des Schöpfers verweisen und sagen: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“ (Mt 6,25). Zu geben entspricht dem innersten Wesen Gottes. Er gibt, wovon der Mensch lebt. „Denn so spricht der Herr, der den Himmel geschaffen hat - er ist Gott; der die Erde bereitet und gemacht hat - er hat sie gegründet; er hat sie nicht geschaffen, dass sie leer sein soll, sondern sie bereitet, dass man auf ihr wohnen solle: Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr“ (Jes 45,18). „Das Land das ich dir geben werde“ (3.Mose 23,10; 25,2; 4. Mose 15,2; 20,12; 27,12; 5. Mose 32,49). „Seinen Freunden gibt er es im Schlaf“ (Ps 127,2). „Der Herr gibt Gnade und 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 464 Ehre“ (Ps 84,12). Schenken ist d a s Charakteristikum des Ewigen. Als Gott Himmel und Erde erschafft, heißt es: „Und Gott sprach: ‚Es werde!’“ Die Schöpfung ist im Fluss als eine creatio continua und als solche Erweis des fortwährenden Gebens. E r g i b t . Das ist sein Wesen, sein Geheimnis. Er gibt mehr als der Mensch für sein irdisches Leben braucht: „Ein Sohn ist uns gegeben“ (Jes 9,5). „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben“ (Jer 31,33). „Ich will ihnen ein anderes Herz geben“ (Hes 11,19). „Bittet, so wird euch gegeben“ (Mt 7,7). „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab“ (Joh 3,16). „Kein anderer Name unter dem Himmel ist gegeben, darin wir sollen selig werden“ (Apg 4,12). Beim Abendmahl heißt es: „Das ist mein Leib, für euch gegeben.“ „Er hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben“ (2.Kor 4,6). Er hat „sich selbst für unsre Sünden dahingegeben (Gal 1,4). Im Blick auf Gott fließt die heilige Schrift über von Worten wie „Gabe“, „geben“, „hingegeben“. Alle Gabe aber gipfelt in dem einen: „Der seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn f ü r u n s a l l e d a h i n g e g e b e n . Sollte er uns mit ihm nicht alles s c h e n k e n ?“ (Röm 8,32). Er ist die Gabe aller Gaben. Gott gibt sich selbst. Er gibt seinen Sohn, mit ihm gibt er das ewige Leben. Und Gottes Geist gibt die Fülle der Charismen. Wir sahen: Die Forderungen und Mahnungen der Schrift beziehen sich stets auf Gottes vorhergehende Gabe. Gott fordert nicht, was er nicht vorher schenkt. Käsemann ([1969]1970:116) bemerkt: „Paulus hat nicht nur die Haustafeln, sondern seine gesamte Paränese vom Charisma her begründet.“ Gott gibt. Nur eines will er dem Menschen nehmen, das, was ihn belastet und zerstört, die Schuld: „Gib mir deine größte Schande, ich gebe dir dafür meinen größten Schatz.“ Indem er die Schuld nimmt, gibt er Vergebung der Sünden. Das nannte Luther den seligen Tausch. Der vollzieht sich unter dem Hören des Wortes und durch das vom Wort gewirkte Vertrauen. „’Das ist erfüllt vor euren Ohren! Dadurch, dass ihr es hört, ist es geschehen.’ Das sagte Jesus zur Gemeinde, in der er aufgewachsen war; er sagte es in der Stunde, als er sich von Nazareth schied. Eben damals war er Evangelist und hat uns gezeigt, was Evangelium ist im Unterschied von jeder anderen Lehre. Dadurch, dass ihr es hört, dadurch, dass es euch gesagt wird, ist es geschehen. 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 465 Was denn? ‚Der Kerker ging auf, die Gefesselten sind frei, die Blinden sehen, die Verschuldeten sind rein.’ Warum? ‚Vor euren Ohren ist es geschehen.’ Er sprach es, und es ward! Das ist das Evangelium, das gebende Wort, dasjenige Wort, das ist, was es sagt, und schafft, was es verheißt“ (Schlatter 1929:157). Schlatter weist auf den Zusammenhang von Mt 5-7 (Bergpredigt) und Mt 8-9 (der Messias der Tat), beginnend mit der Heilung des Aussätzigen: „Da steht der Gebende vor uns, und er fragt nicht, wie der Empfänger seiner Gabe aussieht, sondern neigt sich herunter zum zerfressenden Aussätzigen und legt die Herrlichkeit Gottes in ihn hinein und reicht seine Hand dem Heiden, und die Mauer fällt, die ihn von Israel trennt, und es gibt nichts, nicht Sturm, nicht Geister, nicht Sterben, nicht Schuld, nichts, was ihn nötigt, auf die Seite zu treten in ohnmächtigem Erbarmen, sondern er steht da als Geber der göttlichen Hilfe, der uns die Lebensströme Gottes zuleitet ohne Ansehen der Person, ohne Frage nach Würdigkeit und Unwürdigkeit! Da ist nicht eine Gegenleistung fordernde Zumutung, da ist reines Geben, reine Hilfe, reine Gnade in göttlicher Vollkommenheit“ (.:168). Schenkt Gott sich selbst, so drängt er sich doch niemandem auf. Wer ihn nicht empfangen will, wird leer ausgehen. Er wäre nicht gut zu sich selbst, hieße das doch, eine Ewigkeit ohne Gottes Liebe zu sein, was die Hölle ist. Dazu ist die Predigt da, den göttlichen Reichtum, den Gott schenkt und der er selber ist, vor der Gemeinde auszubreiten und sie von der Fülle der Gaben immer wieder zu dem Einen, dem Geber zu führen. Dazu drei Beispiele, zunächst aus einer Predigt über 5. Mose 29,28 von G. von Rad (1972:86). „Was für ein unermessliches Erbe hat Gott in den Büchern der Bibel vor uns ausgebreitet, dass wir darin heimisch werden möchten, dass wir uns so frei darin bewegen möchten, wie man sich nur im Eigensten, im Vaterhaus bewegen kann. ‚Was aber offenbar ist, das ist unser.’ Paulus ist unser; du bist an seinen Tisch geladen, und du wirst in deinem ganzen Leben mit ihm nicht zu Ende kommen. Du bist aber auch an den Tisch des Johannes geladen. Und du darfst dich neben die großen Propheten des Alten Bundes setzen und ihnen zuhören, und weil du Jesus Christus kennst, darfst du sie verstehen. Ja, du darfst sogar von der Grenze ihrer Heilserkenntnis reden, wenn du versprichst, dass du es nicht grämlichen Geistes tun willst, sondern wenn du dich vor Staunen nicht lassen kannst, dass Gott dir Dinge zeigt, die jenen noch verborgen waren … “ 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 466 Bohren (1990:19-277) predigt über den 32. Psalm: „Wohl dem, dessen Übertretung vergeben und dessen Schuld bedeckt ist!“ „Merkwürdig, wozu uns hier gratuliert wird! … Wir beglückwünschen uns, wenn wir etwas geschafft, geleistet und erreicht haben. Bei Festen und Erfolgen gibt es Gratulationen. – Hier wird uns zu dem gratuliert, was Gott getan hat. Hier wird uns zur Vergebung gratuliert: Vergebung ist das Fest, die Feier des Glücks. Vergebung ist der größte Erfolg, den wir haben können – völlig unverdient … Weil Jesus kam, weil Heiliger Geist kam, darum ist die Vergebung nicht mehr auszulöschen über euren Köpfen. Sie ist nicht mehr loszureißen von euren Herzen ... Da ist gar nichts mehr zu machen, als glücklich zu sein und das Fest der Vergebung zu feiern, ein ganzes Leben lang … Das ist wahr, weil Christus gekommen – wahr, weil der Geist ausgegossen ist – wahr, weil Gottes Wort es bezeugt – wahr, weil es der Geist bestätigt: Vergebung ist da, Glück ist da – auch für dich! Darum wage es, vor Gott ehrlich zu sein.“ „Vergebung ist der größte Erfolg, den wir haben können – völlig unverdient“, ein Satz wie dieser birgt das ganze Evangelium und offenbart zugleich die Relativität aller menschlichen Jagd nach Erfolg. Busch (1967:86), der Evangelist, sagt es so: „Ein Aussätziger war gekommen … Er hat von Jesus gehört, und ihn treibt das große Verlangen: ‚Ich möchte den Heiland sehen!’ So kommt er. Und der Mann bekommt vielleicht Platz! Die Leute weichen nur so zurück. Und dann brüllen sie: "Geh weg, du! Hau ab!" Sie ergreifen Steine und drohen. Aber er lässt sich nicht hindern. Ich kann mir das so gut vorstellen, wie mitten durch die Menge ein Weg frei wird, freigemacht von entsetzten Leuten. Und durch die entstandene Gasse geht er nach vorn - bis er vor Jesus steht. Nein, er steht nicht vor Jesus, er sinkt in den Staub vor ihm und weint dem Heiland sein ganzes Elend hin: ‚Mein Leben ist verkorkst, verdorben! Jesus, wenn du willst, kannst du mich reinmachen. Hilf mir!’ Ah, wissen Sie: Das zerstörte Menschenbild und der Heiland, der Sohn Gottes, müssen zusammenkommen! So muss es sein: Unser Elend muss vor Jesus kommen! Ach, ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihr bisschen ‚Religion’ über den Haufen werfen und Ihr Elend vor Jesus bringen. Und da liegt der Aussätzige vor Jesus: ‚So du willst, kannst du mich reinigen!’ Und nun geschieht etwas, was ich unendlich schön finde. Ich könnte mir vorstellen, dass Jesus einen Schritt zurückträte vor diesem entsetzlich zerstörten Menschenbild und sagte: ‚Ja, gut. Steh auf! Sei gereinigt!’ Aber nein, das tut er nicht. Jesus geht einen Schritt vor und legt seine Hände auf das kranke Haupt! Die Leute schreien vor Entsetzen: ‚Einen 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 467 Aussätzigen fasst man doch nicht an!’ Die Bibel berichtet: ‚Und Jesus rührte ihn an.’ Kein Schmutz ist dem Heiland zu eklig! Kein Elend ist ihm zu groß! Er legt seine Hand darauf! Wenn ich der andere Wilhelm Busch wäre, der Zeichner, das wollte ich malen: die Jesushände auf dem zerstörten, halbverwesten Angesicht des Aussätzigen. Das ist Jesus, das Wunder der Zeiten!“ So führt der Evangelist die Menschen zum gebenden Gott. Was bedeutet es nun für die sendungsorientierte Gemeinde, wenn die Predigt sie zum Geber aller Gaben führt? Besteht Gottes Wesen im Geben, so besteht das Wesen des Menschen im E m p f a n g e n . Menschwerden heißt lernen, sich von Gott beschenken zu lassen. Gottes Gabe will empfangen sein. Vom Empfangen „wie ein Kind“ macht Jesus das Erlangen des Reiches abhängig (Mk 10,15), anders kann es nicht erlangt werden. Weil Gott gibt, hängt nun alles an unserem Empfangen. Davon, dass Gottes Wesen darin besteht, ein Gebender zu sein, leitet Gogarten (1948:74) das Wesen des Menschen als das eines Bittenden ab. Er verweist auf Mk 11,24: „Alles, um was ihr betet und bittet, glaubet [nur], dass ihr es empfangen habt, und es wird euch zuteil werden“ (Zürcher). „Gott gibt also nicht erst auf Grund des Bittens der Menschen. Er gibt vielmehr, weil er Gott ist, und insofern hat er immer schon gegeben. Der Mensch aber wird dadurch, dass er ein Bittender wird, fähig zum empfangen.“ Es geht nun bei dem, was der Mensch von Gott empfängt nicht um etwas, „bei dem es nicht darauf ankommt, ob der Mensch es hinnimmt oder nicht. Es geht dabei um das Leben des Menschen, wie es ihm von Gott bestimmt ist … Und es geht zugleich um Gottes Ehre und Heiligkeit, der sich eben darin als unser Gott erweist, und den wir nur dann unsern Gott sein lassen, wenn wir vor ihm nichts als Empfangende sind (Gogarten 1948:81). In diesem Sinne ist Gott als der Gebende zugleich der Fordernde. Aber: „Was Gott vom Menschen fordert, ist eben das, was er ihm gibt“ (:80). Es ist nicht in das Belieben des Menschen gestellt, ob er vor Gott ein Empfangender sein, ob er glauben will oder nicht. Schließlich handelt es sich hier um die Entscheidung „zwischen Gut und Böse im letzten Sinn“ (:81). Entweder wird durch das Empfangen das Leben gewonnen oder durch das Nicht-Empfangen verloren. „Die 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 468 Forderung geht also, so könnte man sagen, gar nicht auf etwas, was der Mensch tun soll, sondern auf etwas, was er Gott an sich tun lassen soll“ (:80). Dennoch ist das kein bloß passives Geschehenlassen, sondern Vertrauen, Liebe und Gehorsam sind „allerhöchste gesammelte Aktivität“ (ebd.). Wir berühren hier den Bereich der Spiritualität der Gemeinde und ihrer Glieder. Biblische Spiritualität zeichnet sich nicht durch teilnahmslose Passivität oder rege religiöse Aktivitäten aus, sondern dadurch, dass sie sich den Dienst Jesu gefallen lässt, der zu dem Jünger sagt: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir“ (Joh 13,8). „Spiritualität“ ist in unserem Kulturkreis inzwischen zum Modewort für alles Mögliche und Unmögliche geworden. Evangelische Spiritualität meint nicht jenen „Container-Begriff“ (Ruhbach, s. Herbst 2003:7), in dem sich vieles an religiös und weniger religiös Gegensätzlichem angesammelt hat. Es geht inhaltlich um das Ziel, das die apostolische Fürbitte für die Gemeinde ins Auge fasst: „… dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid … damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle“ (Eph 4,17-19). Das Erfülltwerden mit der ganzen Gottesfülle meint die Erfahrung des Ewigen. Gott zu erfahren, das zeigt die Fürbitte, geht von Gott aus. Hanssen (1995: 108) bemerkt: „Wenn unsere Väter davon sprachen, dass das Evangelium ‚eitel Glauben’ voraussetzt, so meinten sie, dass man die Offenbarung der Ewigkeit nur empfangend, glaubend als ein Geschenk hinnehmen kann.“ Niemand könne in seinem Leben durch eigenes Bemühen Ewigkeitserfahrung oder Gotteserfahrung erzwingen, sondern die Grundhaltung müsse die des Glaubens und des s c h l e c h t h i n n i g e n E m p f a n g e n s sein. Hanssen weist auf das Gethsemanegebet (Mt 26,3): „Mein Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Er sieht hier eine Absage an alle Erwartungen an etwas, „was aus der Zeit ist“. Hier geht es um „die Erwartung, dass die Ewigkeit sich selbst offenbart“ (ebd.). Wenn ein Mensch sich im Gethsemanegebet, als einem kontemplativen Gebet zur Ewigkeit ausstreckt, dann bewirkt das der „Christus in mir“ (Gal 2,20). „Christus in mir, in mir als dem Garten Gethsemane, streckt sich zu Gott aus, denn die Sehnsucht zur Ewigkeit ist ewigkeitsgewirkt. Da ist kein Platz für menschliche Quälerei, Aktivität und religiöse Leistung, da ist nur ein Zulassen möglich“ (:109). Falsche Aktivität bedeutet, das Wirken Gottes in 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 469 sich selbst nicht zuzulassen. „Christliche Existenz ist empfangende Haltung“ (:110). Dürkheim (1984) spricht von der Erfahrung der Transzendenz und stellt dar, dass Transzendenz sich auf zweierlei beziehen kann: „auf eine überweltliche Wirklichkeit und auf eine innere Haltung des Menschen, in der alles, was er wahrnimmt oder tut, in einer tranzendentalen Bedeutung gesehen wird … es gibt Menschen, die jede Begegnung mit dem anderen im Zeichen der praesentia Dei erfahren und durchleben“ (:205). Eine besondere Einstellung und Bereitschaft gehören dazu, ein Geöffnetsein nach innen hin in die Tiefe unseres Wesens. „Dazu muss man abbauen, was dieser Geöffnetheit im Wege steht, und zuzulassen lernen, was sie ermöglicht“ (206). Eine Weise des Empfangens ist die christliche M e d i t a t i o n , sie ist der Zugang, der es ermöglicht, mehr und mehr im Worte Gottes zuhause zu sein. „Wir bezeichnen sie am besten als ‚Nachsinnen’. Das heißt: Es ist etwas da, dass ich nicht zu erstellen brauche. Darauf kann ich – anderes ausschließend – meine Gedanken richten. Ich komme zur Ruhe. Ich schaue es an. Ich denke ihm nach. Alles ohne Anstrengung, gelassen, gelöst! Ich lasse mich auf etwas ein. Es geht mich persönlich an. Das ist Meditation. Im Raum des christlichen Glaubens war dieses ‚Etwas’, dieser Mittelpunkt oder Gegenstand der Meditation von Anfang an Christus bzw. die Schrift“ (Seitz 1978:199). Wir müssen vor dem Geber aller Gaben nicht die Starken sein, müssen nicht mit vollen Händen voller guter Eigenschaften, guter Taten und Leistungen vor Gott treten. Solange die Erde steht, wird sich der Mensch zwar mühen und plagen müssen, ist es doch der Fluch, unter dem er existiert (Gen 3,17-19). Aber sein Lebensgeheimnis besteht darin nicht. Rennen und Jagen, das ist es nicht, was die Würde eines Menschen ausmacht. Von Gott her leben, von ihm empfangen, mit ihm in persönlicher Gemeinschaft sein, darin liegt sein Geheimnis. Nie sind wir vollkommener, als wenn wir vor Gott mit leeren Händen stehen und empfangen. Die geistlich Armen werden vom Bergprediger glücklich gepriesen (Mt 5,3). Das sind die, die mit den leeren Händen dastehen vor ihrem Gott. Unser Wesen liegt nicht in dem, was wir schaffen, sondern in dem, was wir empfangen. Die leeren Hände zählen vor Gott mehr als die vollen. Je leerer unsere Hände, umso mehr 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 470 kann der Geber sein Wesen uns gegenüber entfalten, ist er doch gekommen dass er gebe und - dass er diene. Er ist uns nicht in unserem Egoismus dienlich. Er dient uns mit dem, was zu unserem Heil dient. Menschen, die mit Altlasten ihres Lebens herumlaufen, dient er darin, dass er sie ihnen nimmt. Denen, die sich mit Verwundungen herumschleppen, aus ihrer Kindheit vielleicht, mit Verbiegungen aus den Teenagerjahren, mit Schuld, denen bietet er seine Gabe an: Vergebung und Heil. Des Menschen Bestimmung ist, dass er vor Gott zum Empfangenden wird. Durch Empfangen gelangt der Mensch zur Lebensreife. Maria, die Mutter Jesu, ist das Urbild des Empfangens. Menschen reifen dadurch, dass sie bereit sind, sich von Ewigen mit dem Schönsten beschenken zu lassen - wie Maria - mit Gottes Sohn. Von Gott zu empfangen schließt die Bereitschaft ein, sich Belastendes nehmen zu lassen. Empfangen bedeutet auch loszulassen, vielleicht Bindungen oder ungute Gewohnheiten. Das geht oft nicht ohne Trennungsschmerz. Man kann auch die Verletzungen seiner Seele festhalten, sich sein Leben lang damit herumschleppen, nicht loslassen wollen. „Willst du gesund werden?“ fragt Jesus den Kranken am Teich Betesda (Joh 5,6). Jemand, der einen lieben Menschen verlor, kann sich über Jahre und Jahrzehnte in seine Trauer verkrampfen. Echte Trauer führt durch tiefe Täler des Schmerzes, und es dauert seine Zeit, bis die Wunden verheilen. Aber wer sich „aus Prinzip“ nicht trösten lässt, missachtet den, der gesagt hat: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“ (Mt 5,4). Wir müssen die Trauer einmal loslassen, den Blick wieder erheben, um die Lebenden wahrzunehmen. „Sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ fragt der Apostel (Röm 8,32). Wir leben vor Gott nicht von dem, was wir tun, sondern von dem, was e r tut. Wir leben nicht von dem, was wir machen, geben und festhalten, sondern von dem, was wir empfangen. Wir dürfen uns auch selbst empfangen. Dadurch dass Christus uns angenommen hat, dürfen wir uns selber auch annehmen: Weil Gott mich gewirkt hat, muss ich mich selber nicht mehr verwirklichen. Weil Gott mich gefunden hat, muss ich mich selber nicht mehr suchen. Weil er mich ernst nimmt, muss ich mich 3.3.1. Predigen führt zum gebenden Gott 471 nicht mehr so wichtig nehmen. Weil Christus mich erlöst hat, muss ich mich nicht mehr selber erlösen. Weil ich ihm gehöre, muss ich niemandem hörig sein. Gott gibt. Wir empfangen. Empfangen macht wertvoll - für andere. „Wohl keine Seele kann mehr Licht ausstrahlen als sie erhält“ (Heschel 19892:76). Wer von Gott empfängt, gibt anderen, teilt Gutes aus. Das Empfangen der Liebe Gottes macht einen Menschen liebevoll gegenüber seinen Nächsten, für Vater, Mutter, Schwestern und Brüder, für die eigenen Kinder und andere Leute. Sie, die Anderen, profitieren von der überfließenden Gabe. Neben den Nächsten haben sogar die Feinde etwas davon (Mt 5,44). Ragaz ([1945] 1971:175) schreibt in seiner Auslegung der Bergpredigt zur „goldenen Regel (Mt 7,12): „Wir müssen fein und feiner empfinden lernen, damit wir die Anderen fein und feiner empfinden können. Wir müssen uns heilig halten, damit wir die Anderen heilig halten können. Wir müssen uns reich machen, damit wir den anderen viel geben können. Wir müssen liebevoll werden, damit wir viel Liebe geben können.“ Was wir da „müssen“ setzt Empfangen voraus. Früchte reifen durch Empfangen heran, auch die Früchte des Geistes (Gal 5,22-23). Die Bäume wurden von ihrem Schöpfer mit Wurzeln, Zweigen und Blättern versehen. Damit richten sie sich auf ihre Kraftquelle aus, senken ihr Wurzelwerk ins Erdreich, strecken Zweige und Blätter der Sonne entgegen. Der Apfelbaum wird zum Lehrmeister: Weil er das Geheimnis des Empfangens kennt und die ihm gewachsenen Zweige, Blätter und Wurzeln bereitwillig einsetzt, um Lebenskräfte zu empfangen, haben wir im Herbst die Ernte, schöne Äpfel. Der Schöpfer fordert auch von Obstbäumen nicht, was er ihnen nicht vorher gibt. Gott gibt und fördert durch - Herausforderung. Er hat uns Augen gegeben. Nun sagt er: „Sehet!“ Er hat uns Ohren gegeben und sagt: „Hört!“ Er hat uns Füße gegeben: „Geht!“ Er hat uns Hände wachsen lassen. Nun sagt er: „Öffnet sie, um zu empfangen und zu geben!“ Seine Forderungen töten nicht, sie fördern, helfen zum Leben, sind sinnstiftende Herausforderungen. Von Christus empfangen heißt, anderen ein Christus zu werden. Es steht geschrieben: „In Antiochia wurden die Jünger zuerst Christen genannt“ (Apg 11,26). Offensichtlich war man der Meinung: Christen sind kleine Christusse. 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 472 Als Martha sich um Jesus mühte, Maria aber zu seinen Füßen saß, da hatte nicht die Eifrige das gute Teil erwählt. Maria, die Jesus zuhörte, hatte nichts getan als zu empfangen. D a s war das gute Teil. Das wird ihr nicht genommen (Lk 10,42). Es ist, als habe sie gewusst: Dieser Gast will nicht bedient sein. Er will dienen. Wir ehren ihn, wenn wir seinen Dienst empfangen. Wenn der Retter und Richter der Welt das Wort ergreift, ist keine andere Tat geboten als das Hören, verkündigt er uns doch den Gott, der gerecht spricht – ohne Werke (Joh 13,8). Aus solchem Hören erst erwächst das rechte Tun, ein Tun, das nicht vom eigenen Willen, sondern von seinem Wort geleitet ist. Wir sollen lieben, sagt das Gesetz. Wir sollen Gott lieben, uns untereinander und sogar unsere Feinde. Das aber können wir von uns aus nicht. Wir können es nur, wenn wir geliebt werden, wenn wir uns lieben lassen. Das Gebot „Du sollst ieben“ (Mt 22,37-39) offenbart unsere absolute Unfähigkeit dazu. Damit treibt Jesus uns nicht in die Verzweiflung, er treibt uns in die Arme dessen, der uns gibt, was wir von uns aus nicht haben. Er gibt – im Überfluss. Nur als Überfließende können wir lieben. So wird die überfließende Liebe - durch den Heiligen Geist ausgegossen in unsere Herzen (Röm 5,5) - das Gesetz erfüllen. Predigt, die sich als Sammlung zur Sendung versteht, führt die Gemeinde zum gebenden Gott. Die Predigt wird die Gemeinde beschenken mit dem Zuspruch ihres Herrn und Retters, wird ihr seine Liebe zusprechen, nicht süßlich und nicht säuerlich, aber mütterlich und väterlich. So wird die Empfangende zur Gebenden. Predigt als Sendungsrede lebt von dem Dreiklang: Er gibt. Wir empfangen. Durch Empfangen wird die Gemeinde wertvoll für die Welt. 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma Dass Gott ein gebender Gott ist, erweist sich auch an der Fülle der Charismen, die der Geist schenkt. Sie haben wir unter verschiedenen Gesichtspunkten schon bedacht. An dieser Stelle sei das wichtigste von allen hervorgehoben: „Das Charisma Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus unserm Herrn“ (Röm 6,23). „Charismen gibt es nur, weil es dieses eine Charisma gibt, auf das alle anderen sich beziehen, und allein dort, wo in der eschatologisch aufgerichteten Herrschaft Christi die Gabe des ewigen Lebens erscheint. 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 473 ‚Gnadengabe’ ist deshalb eine irreführende Übersetzung des griechischen Wortes, weil sie nicht zeigt, dass die Gabe von der sie gewährenden Gnadenmacht unabtrennbar, nämlich ihre Manifestation und Konkretion ist, so wie das ewige Leben nicht eine unter vielem Gaben, sondern die eine und einzigartige Gabe der Endzeit ist“ (Käsemann [1960] 1970:110). Michel (1966:163) betont: „Der Ausdruck crisma ist gewählt, um jeden Anspruch des Menschen auszuschließen.“ Für Rosenius (1986:375) ist „das ewige Leben nicht die Vergeltung eines Gehorsams oder einer Treue unsererseits. Kein Heiliger ist vorhanden, der das ewige Leben verdiente! … Er gibt keinen einzigen seines Volks etwas Geringeres; und diese Gabe ist gewiss das allergrößte Geschenk, das jemals gegeben werden kann.“ Ist das ewige Leben Gottes Gabe in Christus Jesus unserm Herrn, dann wird sie durch den Glauben an Christus den Menschen zuteil. Das schärfen besonders Paulus und das Johannesevangelium ein. Das Johannesevangelium, so schreibt Kähler (1912:23), „erzählt die Geschichte des Glaubens bis dahin, wo der Zweifler zur Anbetung kommt. Der erweckte, erzogene, geübte, geprüfte Glaube ist zur Gewissheit geworden, die er auch ohne Schauen erlangen kann und soll. Hinter ihr aber steht die in ihrer Bedeutung erkannte Heilswirklichkeit des Gekreuzigten und Auferstandenen in seiner geschichtlichen Lebensfülle.“ „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme“ (Eph 2,8-9). Schmitz (1956:70) nennt das NT „das große Buch der Gewissheit, der einzigen letzten Gewissheit, die es überhaupt in der Welt gibt“ und „es kennt auch die persönliche Gewissheit des Heils für den einzelnen.“ Das ist die Gewissheit, die das Tridentinum für „eitel“ erklärte, die die Evangelischen als das Vertrauen auf die unveranlasste Gnade des Vaters im Gekreuzigten bekannten. Wer das NT liest, der erfährt, dass wir uns des ewigen Heils – unter mancherlei Anfechtungen - gewiss sein dürfen. Wir mögen wanken. Der Grund, auf dem wir stehen, wankt nicht. Glaube, auf dem Wort und nicht auf dem Gefühl gegründet, atmet die Gewissheit des ewigen Lebens. Die ersten Christen waren von ihrer jüdischen bzw. heidnischen Religion mit den dazu gehörenden Ängsten zur Freiheit der Kinder Gottes gelangt. Das Evangelium hatte ihnen ihren Erlöser und damit ihre Erlösung tief eingeprägt. 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 474 Das Wort Gottes verlieh die Gewissheit des ewigen Lebens. Aus dem Munde des Nazareners, in seinen machtvollen Reden, einprägsamen Statements, bildhaften Vergleichen, vernehmen Verurteilte ihren ewigen Freispruch. Einst Verlorene wissen sich gerettet. Für ihren Erlöser brennend, verbreiten sie die Liebesglut, zuerst im eigenen Volk, dann unter den Völkern. Wie ein Lauffeuer breitet sich die Botschaft vom Retter und der ewigen Rettung auch unter den Heiden aus. Der Siegeszug des Evangeliums ist auch unter ihnen nicht aufzuhalten. Jesus Christus spricht: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der h a t das ewige Leben“ cei zwÑn a¸ðnion (Joh 5,24). Das „cei“ signalisiert eine geistliche Revolution. Es stürzt religiöses Denken in die größte Krise. Heidnisches Wesen - tief in uns verwurzelt - will sich selbst erlösen. Nun aber regiert der Erlöser. Von seiner Regentschaft und seiner Ret- tungstat am Kreuz zur Vergebung der Sünden leitet sich die Gewissheit ab. Diese hat befreiende Folgen: „Da die größte Sorge, die an der Schuld entstand, beseitigt war, erstreckte sich die Befreiung von der Sorge a u f d e n g a n z e n I n h a l t d e s L e b e n s , auch auf die natürlichen und geschichtlichen Vorgänge, die in dieses eingriffen. Die Sorge stießen sie aber in der Kraft der positiven Gewissheit ab, dass alles, was ihnen widerfahre, heilsam sei, weil es nach Gottes Regierung geschieht. Die Jünger begannen darum ihr Werk nicht nur mit der Ergebung in das, was kam, sondern besaßen durch die Gewissheit der göttlichen Regierung das Vermögen zum Entschluss und die Kraft zur Tat“ (Schlatter 1922:13-14; Hervorhebung KE). In verzagte Herzen drang Jesu Kreuzesruf: „Es ist vollbracht!“ Ende der Selbsterlösung! Wer glaubt, h a t das ewige Leben! Kein „vielleicht“ steht da, kein „unter Umständen“, kein „es könnte sein“, oder „es ist zu vermuten“. Mit dem kleinen „hat!“ schenkt er Gewissheit des Heils. Ewiges Heil, Zugehörigkeit zu Gott wird in unserer Kirche wohl noch in liturgischen Formeln oder an das vorhandenen Glauben stärkende Sakrament gebunden. Persönliche H e i l s g e w i s s h e i t , die sich auf das Wort gründet, ist vielen Kirchenchristen bis in die Pfarrerschaft hinein unbekannt. Der Mangel an Heilsgewissheit wird möglicherweise bestärkt durch ein oft f a l s c h e s Verständnis des „kyrie eleison“ in lutherischen Gottesdiensten. W o r ü b e r soll 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 475 sich der Herr erbarmen? Über erkannte und unerkannte Schuld. Viele Christen denken dabei jedoch an ihre ewige Seligkeit, als müssten sie, um diese zu erlangen, immer noch um Erbarmen bitten. Im NT ist diese Bitte an konkrete Anliegen gebunden: Mt 9,27; Mt 15,22; Mt 17,15; Mt 20,30; Mt 20,31; Mk 9,22; Mk 10,47; Mk 10,48; Lk 16,24; Lk 17,13; Lk 18,38; Lk 18,39. Wir leben davon, dass Gott sich erbarmt h a t . Das wird, wie Schweizer (1959:206) meint, „im NT so ernst genommen, dass es in der Gemeinde kein Sündenbekenntnis, jedenfalls kein regelmäßig im Sonntagsgottesdienst abzulegendes, mehr gibt.“ Das confiteor war im römischen Ritus das Sündenbekenntnis des Priesters und seiner ministri in der Sakristei, „das mit einer als Fürbitte gestalteten Absolution verbunden“ war (RGG, 3:1861). Es wurde aus der Sakristei heraus in die gottesdienstliche Liturgie verlagert und meint im Gegenüber zur persönlichen Beichte konkreter Sünden die „Offene Schuld“. Nach dem Gnadenwort erfolgt – auch in der lutherischen Liturgie - darum das Gloria. Grundsätzlich kommt die Kirche von Gottes Erbarmen her. Darum ist sie eine lobende und dankende. Die Zuversicht ruht nicht wie ein fester Besitz in uns und ist fernab aller Heilssicherheit. Steinwand betont mit Recht: „Der Glaube, wie ihn das Neue Testament versteht, lebt von der Heilsgewissheit und tröstet sich mit der Heilsgewissheit, während ihm die Heilssicherheit zum Verhängnis wird … Die Heilsgewissheit ist etwas Köstliches. Ohne eine Heilsgewissheit wird unser Glaube in Frage gestellt. Es entspricht aber unserem natürlichen Wesen, dass wir immer bestrebt sind, die Spannung der Heilsgewissheit aufzulösen und zu einer Heilssicherheit zu gelangen, um Ruhe zu haben, um einschlafen zu können. Gerade das ist uns verwehrt. Heilsgewissheit und Heilsicherheit stehen nebeneinander, aber die Heilsicherheit ist die Anfechtung der Heilsgewissheit“ (Steinwand 1964:175). Christus ist die Voraussetzung der Gabe des ewigen Lebens und damit auch der Heilsgewissheit. Die certitudo beruht auf Gottes Wort und dem Zeugnis des Geistes. Christen produzieren keine Gewissheit. Sie produzieren Zweifel, Verzagtheit, Kleinglaube. Glaube ist angefochten. Man will Sicherheit (securitas). Aber die Wankelmütigen sind in Christus, stehen auf starkem Fels, der Wahrheit, bezeugt in Gottes Wort. Es gilt auch dann, wenn wir es zeitweilig nicht glauben können. Die Gewissheit ist im Wort zu verankern, nicht in schwankender Gläubigkeit. 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 476 „Wie viele mühen sich gerade, um Gottes Geist zu empfangen, ab, indem sie an sich selbst arbeiten wollen und suchen sich in ‚Stimmung’ oder in die rechte ‚Stellung’ zu bringen, und ihr Blick ist immer auf sich selbst gerichtet. Wollen wir unseres Heilsgewiss werden, dann müssen wir den Anker nicht in das Schiff hineinwerfen, sondern in den Felsen, in sicheren Ankergrund außerhalb unseres Schiffes, in Jesus, den Heiland“ (Humburg 1949:11). Gewissheit im Glauben liegt außerhalb von uns, extra nos! Man darf den Anker der Zuversicht nicht in seine wechselnden Gefühle versenken. In Christus, im Felsengrund seines Wortes müssen Glaube und Gewissheit verankert sein. „Diese Gewissheit ist nicht etwas neben dem Glauben, für ihn und vor ihm oder aus ihm und nach ihm; nicht die Voraussetzung für seine Entstehung, nicht eine Bedingung seines Bestandes, nicht ein Lohn für seine Leistung und eine Zugabe zu seinem Gewinne. Sie ist das Kennzeichen an ihm, dass er wirklich und voll Glaube sei“ (Kähler 1912:24). Die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Jesus Christus unserm Herrn. Die Gemeinde lebt aus dem Sein in Christus. Der ist auch die Quelle ihrer Loblieder. „Die Sonne, die mir lachet ist mein Herr Jesus Christ …“ - Grundton des Glaubens. Er gilt auch trotz gegenteiliger Erfahrung. Der fröhliche Grundton lässt sich stimmungsmäßig nicht alle Tage durchhalten. Dennoch lässt es sich in der Tiefe von Trauer und Not erfahren: „In dir ist Freude, in allem Leide…“ (EG 398:1). Wir leben aus einem Sein, um dessen Bestehen wir uns nicht sorgen müssen. Wer dagegen aus dem Sollen lebt, trägt eine Last, meint beständig vor irgendwelchen Instanzen bestehen zu müssen. Nie hat der Geplagte genug getan, wie er meint, kann nicht frei atmen. Ich hörte von einem Pfarrer. Er stand im Ruf ein „Arbeitspferd“ zu sein, wäre ständig unterwegs, wolle alle zufrieden stellen. Ein Psychologe erzählte, der Mann habe eine fordernde Mutter gehabt. Sie war gestorben. Ihr Sohn aber spüre noch ihren strengen Blick. Er wolle ihr nach wie vor alles recht machen. Auf die Zahl der Gemeindeglieder verweisend sagte der Psychologe, der Arme habe nun etwa 2000 Mütter, die von ihm das Letzte fordern. Dauerdruck kann zu Schwermut führen. Nicht selten spielt verirrte Religiosität eine üble Rolle. Da wird als Antreiber kein Geringerer als Gott selbst empfunden, der unentwegt Leistungen fordert. Wir haben es oben zitiert. „Das Herz des Menschen ist eine Götzenfabrik“ (Calvin). Für unser heidnisches 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 477 Denken ist Gott ein Despot. Da verbinden sich mit dem schönsten Namen nicht Frieden und Geborgenheit, sondern Unsicherheit und Angst. Unserer Angst begegnet Christus mit seinem: „Fürchtet euch nicht!“. „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit verloren, die Gott ihnen zugedacht hatte und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Röm 3,23-24). - Alle haben gesündigt, sind untauglich für die Ewigkeit. Verzweifelte Situation. Aber dann: „Wir werden, ohne es verdient zu haben, gerecht“ Röm 3,24). Vor der letzten Instanz gerecht gesprochen zu werden, ist im kommenden Gericht der bestmögliche Ausgang. Zu Verurteilende fallen unter den Freispruch des Auferstandenen, auf Grund seiner Gnade, durch die Erlösung, die durch Jesus geschehen ist. Christu hat sich selbst gegeben, um unsere Herzen zu erobern. Nicht über die Gabe kommen wir zu ihm, sondern durch ihn zur Gabe. Die Gnade ist nicht mehr aufzuheben, sie ist doch geschehen! Wir können sie nur noch – unmögliche Möglichkeit – von uns weisen. Alles hat der Ewige für uns getan, aber eines tut er nicht, er gibt seine Liebe nicht gegen unseren Willen. Über die Jerusalemer sagt er: „Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht gewollt“ (Mt 23, 37). Gott kann empfangen werden, wie ein Geschenk! Das ist so überwältigend, dass Jesus mit dem Hinweis auf die Kinder die Erwachsenen aus der Reserve lockt, ihn doch anzunehmen (Mk 10,15). Ein Geschenk kann noch so gewaltig sein, ein Kind in seiner Einfalt wird ohne Zögern zugreifen. Gierig reißen Kinder Geschenkpakete auf. Weihnachten war Tobias mit seinen Eltern bei uns. Er bekam ein Paket. Da flogen die Fetzen, Schnüre, Papier, Pappdeckel, bis er zielstrebig zum Kern der Sache kam. Den Eltern war es peinlich. So ist mit Gott umzugehen. Es ist, als wollte Jesus sagen: „Seht ihr nicht? Merkt ihr nichts? Es geht ums Ganze, ums Größte, um das Geschenk aller Geschenke. Da gibt es doch kein Halten! Schaut auf die Kinder!“ Das Reich Gottes, Christus gilt es zu ergreifen, wie ein Kind ein Geschenk an sich reißt, begierig, entschlossen, nicht mehr zu halten! Werdet wie die Kinder!“ (Mt 18,3). „So besteht nun kein Verdammungsurteil mehr für all jene, die in Jesus Christus sind“ (Röm 8,1). Hier wird Christus „räumlich“ vorgestellt. Man kann in 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 478 ihm sein, wie im Schutz einer Burg. Das bedeutet, kein Verdammungsurteil (katkrima) fürchten zu müssen. Die Zukunft des Kommenden, ist unsere Zukunft. Ich habe erlebt, wie schwer Menschen sterben, wenn sie das Verdammungsurteil fürchten. Ich habe aber auch gesehen, welch ein Glanz über einem Sterbenden liegt, der weiß, dass er in Christus ist und die Schuld vergeben. Wo keine Schuld mehr ist, kann es keine Verdammnis geben. Darum jubelt Paulus: „Kein Verdammungsurteil!“ Er war seine Schuld losgeworden. „Aus Gnade seid ihr gerettet durch den Glauben und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, damit sich nicht jemand rühme“ (Eph 2,8). Noch leben wir nicht in der Vollendung, aber der Vollender lebt in uns. „Wohl“, sagen welche, „wir sind gerettet durch den Glauben. Wer aber kann sich seines Glaubens sicher sein? Die Gnade ist unumstößlich, aber doch nicht der Glaube.“ - Hier liegt der Irrtum vor, als handele es sich beim Glauben um ein Werk des Menschen. Dass wir glauben, haben nicht w i r gemacht. „Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (Joh 6,29). Luther greift diesen Gedanken im Kleinen Katechismus auf: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen ...“ Was die Gnade und den Glauben betrifft, ist Gott der Handelnde. Er ruft zum Glauben, schenkt und erhält ihn. Darum ist das „Ihr seid gerettet“, für alle Ewigkeit in Geltung. Aus Gnade s e i d ihr gerettet durch den Glauben. „Denn i c h b i n g e w i s s , dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“ (Röm 8,38-39). Ich bin gewiss! - Nichts kann uns scheiden von seiner Liebe. Sie ist stärker als alle Mächte, die uns von Gott trennen möchten: „Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen“ (Joh 10,28-29). Ist es nicht Hochmut zu behaupten: „Ich habe ewiges Leben?“ Wer kann das wissen? - Würden wir meinen, wir hätten es uns verdient, wäre es Hochmut. 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 479 Wenn wir vertrauen, dass es uns geschenkt wurde, nehmen wir Gott beim Wort. „Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, d a m i t i h r w i s s t , d a s s i h r d a s e w i g e L e b e n h a b t , die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes“ (1. Joh 5,9-13). Wir dürfen dem Wort mehr glauben, als unseren Zweifeln. Wer Gott nicht glaubt, macht ihn zum Lügner. Es gehört zu den großen Erschwernissen in volkskirchlichen Gemeinden, dass viele ihrer Glieder, auch in der Kerngemeinde, vom Charisma des ewigen Lebens persönlich nichts wissen. Heilsgewissheit ist – wie gesagt - auch in Pfarrerkreisen nicht immer bekannt. Freude kommt nicht auf. Das Evangelium wird ethisiert, verwandelt sich zwangsläufig in eine Ideologie und das ewige Heil wird zum Ideal, dem man meint, nachjagen zu müssen. Das Motiv zum christlichen Handeln erwächst dann aus der Pflicht und nicht aus Freude und Dank. Oft wird das Wort des Paulus vom Nachjagen gegen die Heilsgewissheit ins Feld geführt: „Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin“ (Phil 3,12). Paulus spricht von Zielen der Heiligung, denen er nachjagt, nicht von einer selbst zu erwerbenden Rechtfertigung. Er bekennt: Wir werden „geschenkweise (dikaioÀmenoi dwren) gerecht“ (Röm 3,24). Die Predigt hat die Aufgabe, das Bewusstsein für das Charisma des ewigen Lebens zu stärken und die Menschen zu bitten, Christus anzunehmen, denn e r p e r s ö n l i c h i s t d i e s e s C h a r i s m a . Wie will eine Gemeinde anderen Menschen das Evangelium verkündigen, wenn sie über das Geschenk der Gnade und des ewigen Lebens selber keine Klarheit hat und Heilsgewissheit nicht kennt, weil sie Christus nicht kennt? „Man wird das Leben der neutestamentlichen Gemeinde und man wird darum auch ihre Ordnung nie verstehen, wenn man die j u b e l n d e G e w i s s h e i t nicht verstanden hat, in der diese Gemeinde von der Wirklichkeit ihres auferstandenen, gegenwärtigen Herrn überzeugt ist ... ‚Ekklesiologie’ gibt es nicht losgelöst von der Christologie. Nur vom Glauben der neutestamentlichen Gemeinde an den Gekreuzigten und dennoch Auferstandenen her lässt sich verstehen, wie d e m ü t i g die Gemeinde weiß um ihr Angewiesensein auf den Herrn, ihre ganze Begrenzung, ihr Hörenmüssen, ihr Dienen, und wie sicher sie dennoch weiß um ihre Einheit mit dem Herrn, ihre Vollmacht, ihren 3.3.2. Predigen führt zum wichtigsten Charisma 480 Missionsauftrag, ihre Befehlsgewalt. “ (Schweizer 1946: 15-16. Hervorhbg. KE). Hier wird deutlich: Die j u b e l n d e G e w i s s h e i t ist nicht etwas Privates, ein zu verbergendes Geheimnis, für eine allein in sich gekehrte, persönliche Christlichkeit. Christus, die Gabe des ewigen Lebens kann, darf und muss weitergereicht werden. Sie wird weitergereicht durch das Zeugnis des Glaubens, durch das Wort. Die mit dem Charisma des ewigen Lebens Begabten, waren durch das vernommene Evangelium dieser Gabe teilhaftig geworden. Allein auf gleichem Wege werden auch die, die von der Gabe nichts wissen und sie darum noch nicht ergreifen konnten, dazu gelangen. Wir sahen oben: Die mit dem wichtigsten Charisma Begabten können es nicht lassen, davon zu reden, was Ihnen widerfahren ist. Das ist die Chance der bislang noch nicht Erretteten, der noch nicht mit dem crisma zwÑ a¸ðniov Begabten. Im Wei tersagen – das ist das Wunder Gottes - wi rd d ie Gabe wei te rget ragen . Christen sind durch Christus, die Gabe des ewigen Lebens geadelt, Kinder Gottes zu sein (Joh 1,12). Aufgrund dieses „Adels“ wissen sich apostolische Christen als Schuldner gegenüber denen, die das Evangelium nicht kennen (Röm 1,14). So findet die persönliche Heilsgewissheit der Kinder Gottes heraus aus einer bloß subjektiven, auf sich selbst bezogenen, dankbaren, aber im Herzen eingeschlossenen, egoistischen Frömmigkeit. Kutter jun. zitiert den Satz des Vaters: „Wie kann der Protestantismus auf der einen Seite die Gewissheit des lebendigen Gottes verkündigen und auf der anderen Seite diese Gewissheit zur bloßen Heilsgewissheit des Subjekts herabdrücken!“ (Kutter jun. 1965: 24). Hier ist klar gesehen: Die Gewissheit des lebendigen Gottes ist mehr als der Glaube an die eigene Erlösung, ist mehr als die Pflege christlicher Privatfrömmigkeit. Die Gewissheit des lebendigen Gottes ist persönliche Betroffenheit. Da ist das Wort Gottes nicht ein religiöser Unterhaltungsgegenstand. Wer zum Reiche Gottes gehört, steht im Kampf, dem Ewigen gehorsam 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 481 zu sein, ist auf den Weg der Sendung gestellt, Christus zu dienen in seinem vorrangigen Werk, der Rettung der Menschen. Christen haben die Gabe des ewigen Lebens nicht allein für sich bekommen, nur damit sie „selig werden“, sondern damit dieses Charisma auf Erden für das Gottesreich Frucht bringe, zum ewigen Leben ihrer Nächsten. Das ist der Sinn christlicher Nächstenliebe, dass Christus, die Gabe des ewigen Lebens, weitergereicht werde, ausgeteilt durch das Zeugnis der Christengemeinde an die ohne Christus verlorene Welt, dem Ewigen zur Ehre. 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung Das Wissen um das wichtigste Charisma gibt nicht nur Freiheit und Mut, sondern auch die reale Möglichkeit, sich dem Willen Gottes zu öffnen und sich auf Christus hin verändern zu lassen: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,2). Die Ermahnung des Apostels (Röm 12,1) schließt an das Thema des Römerbriefes an „der durch Glauben Gerechte wird leben“. „Wir haben hier ein Beispiel für die unerhörte Konsequenz, die das Denken des Paulus beherrscht“ (Nygren 1954: 293). „Eine Lehre, ein Evangelium, das für das Leben und den Wandel des Menschen keine Folgen hat, ist kein wahres Evangelium, wie auch ein Leben und ein Wandel, die sich nicht auf das im Evangelium Empfangene gründen, kein christliches Leben und kein christlicher Wandel sind“ (:294). Es geht dem Apostel um „eine wirkliche Metamorphose des Sinnes und des Wandelns“ (:297). metamorfoÂsqe ist Passiv (nicht Medium). Luther übersetzt „ändert euch“. „Gottes Werk vollzieht sich dadurch an uns, dass wir uns in unserem Sinn erneuern lassen“ (Michel 1966:293). Hier ist der neue Mensch angesprochen, der in der Kraft von Glaube und Taufe aufgerufen ist, sich in seinem Denken (noÂv) erneuern zu lassen. „Es fällt auf, wie stark Pls sowohl die konkrete menschliche Situation als auch das menschliche Denken unter die Verheißung des Evangeliums stellt“ (Michel ebd.). Die Erneuerung des Sinnes dient dazu „die durch das Evangelium aufgegebene Frage nach dem eigentlichen Willen Gottes zu beantworten“ (:293- 294). Käsemann (1974:315) gibt zu Bedenken: „Was Gottes Wille jeweils von uns fordert, lässt sich nicht ein für alle Male festlegen, weil es nur in konkreter 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 482 Entscheidung gegenüber einer gegebenen Situation erkannt und getan werden kann.“ Exemplarisch seien einige konkrete Situationen herausgegriffen, die nach einer Veränderung des Sinnes rufen: Josuttis (2003:7) schreibt in seinem Vorwort zum Buch von Bohren über das Gebet, dass es die übliche Unterscheidung „zwischen distanzierter Wissenschaft und erbaulicher Anleitung“ überhole. Man werde „allmählich und unvermeidlich, ganz ohne peinliche Zudringlichkeit von Seiten des Autors in die Frage verstrickt, ob und wie er/sie denn selbst zu beten vermöchte.“ Hinter dieser Bemerkung verbirgt sich zweierlei, e i n m a l die Möglichkeit, sich in Freiheit verändern zu lassen. Zum a n d e r e n scheint eine theologische Not auf, eben die Unterscheidung „zwischen distanzierter Wissenschaft und erbaulicher Anleitung“. Theologen haben ein Studium hinter sich, das ihnen nicht selten so etwas wie die Spaltung ihres Bewusstseins beschert hat. Darauf hat Hempelmann erneut aufmerksam gemacht: „Nach Immanuel Kants Verweisung Gottes aus dem Bereich empirischer Erkenntnis und nach Daniel Ernst Friedrich Schleiermachers konsequenter Bestimmung ‚Frömmigkeit … ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins’ steht für protestantische Theologie und Kirche weithin fest: Glaube, persönlicher Glaube, Bibellese, Gebet und Frömmigkeit ist eine Sache; wissenschaftliche Theologie, speziell Exegese ist eine andere. Das eine hat mit dem andern nichts zu tun. Das Katheder ist keine Kanzel; der Hörsaal keine Kirche; der Glaube hat mit Wissenschaft nichts zu tun“ (Hempelmann 2004:19). Wieder sei es Schlatter, der die Dinge kritisch unter die Lupe nimmt. Da ist der „heidnische Kopf und das fromme Herz, die atheistische Wissenschaft und die religiöse Stimmung“ (Hempelmann ebd.). Die Spaltung ist in der Kirche unterschwellig überall spürbar. Das Theologiestudium hat den Glauben mancher junger Theologen nicht etwa gestärkt oder vertieft. Da ist die persönliche Beziehung zum „guten Hirten“ nur selten gewachsen. Schlatter vertrat „eine ganzheitliche, die ganze Existenz mit einbeziehende Erkenntnishaltung, die Gott mit dem ganzen Herzen mit der ganzen Seele und mit 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 483 dem ganzen Verstand liebt (Mt 22,37). Gott, dem lebendigen Gott, gilt und gehört nicht nur unser Fühlen, sondern auch unser Verstand“ (Hempelmann 2004:20). Zu ihm in einem persönlichen Glaubensverhältnis zu stehen, ist und bleibt Voraussetzung für die Führung des geistlichen Amtes im Allgemeinen und die Predigt im Besonderen. „Heute aber gehen viele junge Prediger mit der Bibel um wie Techniker mit ihrem Rohstoff. Aus verschiedenen Kommentaren schreiben sie sich etwas zusammen und walzen das Ganze wie ein Walzblech in Richtung Gemeinde aus. Aber sie sind bei dieser Produktion von Walzblech, das sie Predigt nennen, nur technisch interessiert. Es war ein großes Anliegen des Pietismus, dass der Prediger selber glaube, dass er mit seiner Existenz beim Wort sei. Dieses Anliegen darf nicht fallengelassen werden“ (Bohren in: Wolff, Moltmann, Bohren 1959:60-61). Gemeinde, die sich als Gesandtschaft und Stadt auf dem Berge sieht, wird neben der E i n i g k e i t i m G e i s t (Eph 4,3) ihr Christsein als eine w a c h s e n d e , p e r s ö n l i c h e B e z i e h u n g zum Schöpfer aller Dinge verstehen. Für geistlich mündige Führungspersonen und ihre geistlich mündigen Geführten ist wichtig zu wissen: Wer Christ wird, hat nicht ein Endziel erreicht, sondern einen Anfang erfahren, den eines dynamischen Wandlungsprozesses: Er wird an sich selbst kleiner und ärmer, Gott in ihm aber größer und reicher. Helmut Wenzelmann, Gründer und Leiter des „Offenen Abends“ in Stuttgart, der einmal größten „innerkirchlichen“ Bewegung unter jungen Erwachsenen im deutschsprachigen Raum, pflegte zu sagen: „Ein Christ ist wie ein Kuhschwanz. Er wächst immer nach unten.“ Das war nicht das Bekenntnis eines von Skrupel Behafteten, sondern die Bemerkung eines Befreiten. Etwas feiner sagt es Johannes der Täufer: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ (Joh 3,30). „Wachsende Beziehung zum Schöpfer“ - das will weder mystisch noch romantisch verstanden sein. In ihrer Gottesbeziehung erleben Christen Geborgenheit, ein Stück Erfüllung der Sehnsucht aller Welt. Sie werden zugleich mit sich selbst, d. h. auch mit ihren inneren Abgründen konfrontiert. Das führt in Krisen. Verdrängungsmechanismen, die im Blick auf die Defizite der Gemeinde eingeschaltet werden, funktionieren auch im Bereich des Persönlichen. Sein Inneres aufdecken zu lassen, dem eigenen Schatten zu begegnen, als Pfarrer seine 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 484 persönlichen Defizite und Grenzen im Lichte Gottes zu sehen, ist schmerzhaft, zielt es doch auf Lebensreife. Die Zumutung, Verkehrtes abzulegen, verursacht Trennungsschmerz. Das sucht unser alter Mensch, der sich gern in uns regt, zu verhindern. Das NT spricht von dieser Angelegenheit in nüchternen Worten: „Das ist aber das Gericht (kr°siv), dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden“ (Joh 1,19-21). Was ich als Schatten, Defizit und Grenze beschrieb, nennt das NT das Böse. Niemand sieht gern in seine persönlichen bösen Abgründe, die ihm zeigen, wie er wirklich ist. Wer sich dem Licht aber aussetzt, sein Inneres vor Gott aufdecken lässt, wird gerade auf diese Weise zur Reife und Heiligung geführt und damit für andere zum Segen. Sich selbst in der Gegenwart des Auferstandenen zu erkennen, ist der Weg, der durch Umkehr zur Freude an Gott führt. „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Die Erfahrung, vor Gott nichts zu haben und nichts zu sein, als sein Kind, macht für den Dienst in seinem Reich besonders geeignet, ein Umstand, von dem der Apostel wusste: „Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott“ (2. Kor 3,4-5). Er gibt. Wir empfangen. Weil sich viele Prediger zu sehr in theoretischen Abhandlungen ergehen und rationalisieren, treffen sie nicht ins Leben der Gemeinde. Sie geben ein Kopfwissen über Gott weiter, vermögen aber nicht zu sagen, wie ein Leben mit dem Schöpfer aller Dinge aussieht, wie sich die Nachfolge Jesu in der Praxis gestaltet. Dabei ist es ihre ureigenste Aufgabe, die Gemeindeglieder zu lehren, wie sie zu einer persönlichen Gottesbeziehung kommen und wie diese gelebt werden kann. Um eine bloß kultische Religionsausübung geht es in der Gemeinde des Auferstandenen nicht. Um die persönliche Beziehung zu Gott geht es und die ist nur gesund, wenn sie wächst und reift. Daraus entwickelt sich eine besondere 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 485 Beziehung zu den Gliedern am Leibe Jesu und dieser untereinander. Dass solches so selten gefunden wird, liegt daran, dass die Leiter selber kaum in einer lebendigen Gottesbeziehung leben und darum auch kaum die Beziehung der Glaubenden untereinander zu fördern in der Lage sind. Lebten sie in einer lebendigen Gottesbeziehung, könnten sie es nicht lassen, darüber zu reden, denn wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund (Lk 6,45). Der Schöpfer ist die Quelle der inneren Dynamik, die im Menschen Raum greifen will. Eine Gesandtschaft ohne die dÀnamiv qeo ist ein lahmer, harmloser Haufe, der nichts ausrichtet. Jesus hat es seiner Gemeinde vor Augen gestellt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Die spirituellen Ressourcen eines Pfarrers verbrauchen sich schnell, werden aber üblicherweise kaum erneuert. Das Gebet, schöpferisches Aufnehmen von geistlichen Impulsen, Kraftempfang aus dem Wort, das Lesen der Hl Schrift, das Lesen überhaupt, all das wird in der Regel vernachlässigt. „’Gott’ gehört nach wie vor konstitutiv in den homiletischen Akt hinein, semantisch als Vokabel in Bibeltexten, die auf der Kanzel ausgelegt werden, pragmatisch als Adressat von Gebeten, inhaltlich als Gegenstand von theologischen Erörterungen. Aber von einer lebendigen Gottesbeziehung ist nur in seltenen Fällen etwas zu spüren … Bei vielen Predigten habe ich eher den Eindruck, dass der Prediger sich seinem Gott gegenüber in der Endphase der Beziehung befindet. Die Liebe ist vorbei, aber auch der Hass und die Enttäuschung sind schon abgeklungen. Man redet nur noch miteinander, wenn es unbedingt nötig ist“ (Josuttis 1988:44). So haben viele Amtsträger kaum etwas Gültiges weiterzugeben. Sie leben nicht aus Wort und Gebet. Zudem lastet zu viel auf dem Einzelgänger. Als es den Leitern der Urgemeinde ähnlich erging, riefen sie die Gemeinde zusammen. Zu vieles lastete auch auf ihnen. Darum bekam die Gemeinde eine neue Gestalt: „Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben“ (Apg 6,1-7). „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ „Der Glaube hat seinen Ursprung nicht nur im Hören, sondern auch im Lesen. Selig sind die Lesenden! verheißt uns die Johannesoffenbarung (Offb 1,3). 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 486 Lesen freilich will gelernt und gepflegt sein. Der christliche Glaube bedarf einer Lesekultur, an der es heute mangelt ... Luther hatte persönlich erfahren, dass eine Leseerfahrung zur Glaubenserfahrung werden kann. Seine reformatorische Entdeckung gründete darin, dass ihm schlagartig der Sinn einer Stelle im Römerbrief neu aufging. ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben’ (Röm 1,17) – dieser Satz, neu gelesen sollte sein ganzes Leben verändern. Ähnlich war es schon dem Kirchenvater Augustin ergangen, der durch die Lektüre des Römerbriefs endgültig zum Christentum fand“ (Körtner 2002:68-71). Der Amtsträger ist nicht der Vermittler, der zwischen Gott und der Gemeinde steht. Er hat, wie wir herausgestellt haben, die Aufgabe, die Gemeinde zu lehren, selbst in enger Gemeinschaft mit Christus zu leben. Er hat sie einzuführen ins Bibellesen und ins Gebet. Dazu aber ist er nur fähig, wenn er selber darin lebt. Mir ist in Österreich eine Landgemeinde mit ca. 2000 Seelen begegnet, die ungewöhnlich viele geistlich mündige Mitglieder hat. Dazu ist es auf folgende Weise gekommen: Der Pfarrer hat für sich persönlich den Segen der Stille, des Bibellesens und Betens erfahren. Wiederholt erzählt er der Gemeinde in der Predigt, was ihm der persönliche Umgang mit dem Worte Gottes bringt. Eines Tages fragt ihn ein Gemeindeglied, ob er ihm nicht sagen möchte, wie er das praktisch macht, das Bibellesen und Beten. Er könne es ihm zwischen Tür und Angel kaum erklären, sagte der Pfarrer, aber man könne ja einen Gesprächstermin vereinbaren. Dann kam er auf den Gedanken, es könnten vielleicht auch andere Gemeindeglieder daran Interesse daran haben. So beschloss er, die Gottesdienstbesucher zu einer Einführung ins Bibellesen und Beten einzuladen. Der Termin war ungünstig gewählt, Sonntagnachmittag um 15.00 Uhr. Kurz vorher, so berichtete die Frau des Pfarrers, habe sie aus dem Fenster geschaut und sah unten vor dem Gemeindehaus etwa 80 Leute stehen. Das Interesse war kein Strohfeuer. Nach einer Einführung in das persönliche Bibellesen und Beten bildeten sich „Stille Zeit Kreise“. Alle folgten dem gleichen Bibelleseplan. Die einzelnen Gemeindeglieder schrieben sich beim persönlichen Bibelstudium ihre Gedanken auf. Einmal in der Woche traf man sich zum Austausch und zum weiterem Gespräch, Hausfrauen vormittags, junge Eltern nachmittags, Jugendliche abends usw. Das Ergebnis ist eine geistlich mündige Gemeinde, eine 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 487 Stadt auf dem Berge - geworden durch persönliches und gemeinschaftliches Bibellesen und Gebet. „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Dass Pfarrer nur selten dazu kommen, Seelsorge zu üben, ist kein Geheimnis. Spüren die Menschen, dass die Seele ihres Hirten selber nicht versorgt ist? Die unversorgte Pastorenseele geht einmal mehr auf die Pfarrerzentriertheit zurück. Der Hirtenstand befindet sich in einer schleichenden Demontage. Pfarrer müssen tun, wozu sie nicht da sind, und wozu sie da sind, ist ihnen zu wenig klar, B e t e r z u s e i n , B i b e l l e s e r , G a b e n e n t d e c k e r u n d A u s b i l d e r d e r B e g a b t e n , a l s o a l l e r ! Weil es hier im Entscheidenden fehlt und die Verantwortlichen mehr aus Eigenem leben, als aus der Gotteskraft, haben sie keine Vollmacht. Fehlt die gelebte Beziehung zu Gott, wird auch die Beziehung zur Gemeinde oberflächlich. Lebensentscheidendes haben Pfarrer ihren Gemeinden dann selten zu geben. So bleibt es bei einer unterkühlten Kirchlichkeit, die niemanden erwärmt. Wir nehmen hier noch einmal den von Schlatter (1923:128) formulierten Widerspruch auf: Wenn Theologie und Gemeinde die Natur nicht mehr betend reflektieren und dieses Reflektieren und Hinsehen gar in einen Gegensatz zu ihrer Frömmigkeit bringen, dann machen sie „den ganzen konkreten Inhalt des Lebens religiös wertlos.“ Zur Schöpfung gehört neben der sichtbaren Natur, auch der Bereich unserer persönlichen und gemeindlichen Beziehungen. Dass hier die Nachfolge gelebt wirdt, setzt nicht nur persönliches Heil, sondern persönliche Heilung und Heiligung voraus. Vielleicht gibt es lang zurückliegende Belastungen. Vielleicht ist es Schuld, die nie wirklich versöhnt oder bereinigt ist. Der Christ, auch als Pfarrer, ist zwar erlöst, aber für konkrete seelische Verwundungen aus jungen Jahren trifft das vielleicht nicht zu. Daran nicht rühren zu wollen, wäre eine Flucht vor dem Schöpfer, wie sie Adam nach Gen 3,8 praktizierte. Das Licht der Welt darf dann seinen Dienst nicht tun, wenn wir die Finsternis mehr lieben, als das Licht. Die Erlösung kommt zu kurz und damit auch die Heiligung. 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 488 Der Schöpfungsbereich B e z i e h u n g e n bleibt durch Verdrängungen unerlöst und der Heiligung entzogen. Durch die Umkehr sind wir im Glauben auf Hoffnung erlöst. Aber diese Erlösung will nach Leib, Seele und Geist wirksam werden. Sonst träfe uns Jesu Vorwurf gegen die Heuchler, die den Balken im eigenen Auge übersehen möchten (Mt 7,3). Zum anderen spricht er vor dem Sauerteig der Pharisäer, „das ist die Heuchelei“ (Lk 12,1). Damit ist gesagt: Innen und Außen sollen übereinstimmen: „Täuscht keine Erlösung vor, wo ihr nicht erlöst seid. Gebt keine Heilung vor, wo ihr nicht geheilt seid. Aber lasst den Erlöser an alles heran!“ Hilfreich ist die Aussprache beim Bruder, bei der Schwester. „Der Christus im eigenen Herzen ist schwächer als der Christus im Worte des Bruders“ (Bonhoeffer 1976:14). Nach Gal 5,25 erfolgen Veränderungen im Leben der Christen aus dem Heiligen Geist: e¸ zòmen pneÀmati, pneÀmati ka± stoicòmen -“Wenn wir durch den Geist leben.“ Der einfache Dativ pneÀmati ist ein instrumentaler. „So lasst uns durch den Geist in einer Reihe marschieren“ - stoicòmen. Nac S itz (1985:178) umfasst d s geistliche Leben „jed Beziehung“. „Die geläufige Formulierung ‚in jeder Beziehung’ ist biblisch gesehen ein hintergründiges Wort. Sie besagt, dass der Mensch als Geschöpf in eine vierfache Beziehung gestellt ist: Gott seinem Schöpfer, dem Menschen als Mitmensch, der Dingwelt als Hüter gegenübergestellt, zu sich selbst gut zu sein. Erst in dieser vierfachen Beziehung ist er der ganze. Die Humanwissenschaften, die zwar vom ganzen Menschen sprechen, aber die Gottesbeziehung ausblenden, haben ihn nicht vor sich. Und eine Seelsorge, die ihm nur auf der Ich-Gott Ebene hilft, verfehlt ihn auch. Christlich, also biblische Anthropologie zur Geltung bringend ist sie nur, wenn sie ihm ‚in jeder Beziehung hilft.“ Beziehungskonflikte und -krisen gehören seit dem Sündenfall zu unserer Natur, ihre Bewältigung zu den Schöpfungsgeheimnissen. Krisen dieser Art sind uns um unseres geistlichen Wachstums willen auch und gerade in der Gemeinde verordnet. Die Ergebnisse geistlichen Wachstums liegen nicht ständig so auf der Hand, wie Früchte in einer Obstschale. Geistliches Wachstum ist in seinen Auswirkungen nicht immer gleich sichtbar. Es wird jedoch spürbar. Früchte des Geistes wachsen in der Verbindung mit Christus, dem Weinstock (Joh 15,5). 3.3.3. Predigen führt zur entscheidenden Änderung 489 Geistliches Wachstum kennt nicht nur den Aufwärtstrend. Es kennt Tiefen und Täler, Krisen und Konflikte. Überall da aber ereignet sich geistliches Wachstum, wo wir diese Dinge nicht vor Gott verschließen, wo wir sie vor ihm offen legen und - nach 1, Thess 5,18 – für sie danken (!) und unseren Herrn als den eigentlichen Helfer erkennen. Wer sich durch Krisen und Konflikte zum gehorsamen Handeln gegen Gottes Wort leiten lässt, wird als Gesegneter aus notvollen Zeiten hervorgehen. Psychologie als Hilfswissenschaft zur Theologie bietet uns dabei Unterstützung. Psychologen und Soziologen, sofern sie keine Ideologen sind, erfinden nichts, sondern finden. Finden lässt sich nur, was schon vorhanden ist. Was die Humanwissenschaftler finden, f i n d e n s i e v o r . Der Schöpfer hat, was sie finden, geschaffen. In seine Schöpfung zu schauen, seine Gesetzmäßigkeiten und Geheimnisse zu erkennen, ist eine lohnende Aufgabe. Konflikte und Krisen sind des Schöpfers freundliche Erinnerungen, dass wir etwas Liegengelassenes aufzuarbeiten haben. Sind sie auch nicht immer leicht zu ertragen, so sind sie doch unvermeidbar. An Konflikten werden wir reifen. Infantil ist es, den Beziehungskonflikten in der Gemeinde auszuweichen, ihre Lösung vor sich her zu schieben. Es käme der Verweigerung gleich, reifen zu wollen. Der Epheserbrief rät: „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen“ (4,26). Psychologie kennt Konfliktforschung. Die Tiefen unseres Lebens wollen Stadien der Bewährung und Reifung werden. Hier gilt das Wort: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Röm 8,28). „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Alles zielt auf den Gottesdienst im Alltag des Lebens. Ä n d e r t e u c h durch Erneuerung eures Sinnes“ sagt der Apostel „damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,2). Luther, der ein Passiv mit einem Aktiv übersetzt, wollte die Christen wohl anspornen, selbst an ihrer Änderung zu arbeiten. Das hat sein Recht, sind wir doch keine Marionetten in der Hand eines göttlichen Spielers. Dass wir ganz auf ihn gewiesen sind, macht das paulinische Passiv deutlich: „Lasst euch verändern!“ 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 490 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit Schlatter (1927:6) erinnert an eine weltgeschichtliche Tat des Judentums in griechischer Zeit, nämlich an dessen unverbrüchliche E i n h e i t ! „Über die rassenmäßigen, sprachlichen, kulturellen, ja auch über die tiefsten theologischen Unterschiede hinweg ist die Einheit festgehalten worden“ (ebd.). Glaubt eine Gruppe, dass mit dem Tode die Existenz zu Ende sei, glüht in der anderen heiße Auferstehungshoffnung. Auf der einen Seite waltet diesseitige Glücksethik, auf der anderen Opferbereitschaft, die nicht nur bereit ist irdisches Gut, sondern um Gottes willen das Leben hinzugeben. Und doch bleiben sie e i n e „Kirche“, die nicht geteilt werden kann. Unerschütterlich steht fest: Es gibt e i n e n Gott, e i n e n Tempel und darum auch e i n Volk Gottes. Der Zusammenhang zwischen der vorgegebenen Einheit der Judenschaft und dem Werden der neuen Kirche ist sichtbar. Der unerschütterliche Gedanke e i n e Kirche zu sein, beherrscht die Lehre, die Arbeit, die Organisation der erstehenden Christenheit. Die unterschiedlichsten Christengemeinden entstehen, judenchristliche in Israel, judenchristliche in der Diaspora, heidenchristliche (Griechische, Römische). Die einen meinen, auch Heidenchristen müssten das Gesetz halten und sich beschneiden lassen. Die anderen begehren dagegen auf. Aber die Einheit wird über alle Unterschiede hinweg geradezu feierlich und leidenschaftlich postuliert (s. Eph 4,3-6). Der Ernst und die Häufigkeit, mit der dieses Thema behandelt wird, fallen auf und müssen besondere Gründe haben. Die zwei entscheidenden seien zuerst genannt. Erstens: Der irdische Jesus legt seinen Jüngern das Gebet in den Mund, das sie bereits in der Anrede zusammenschließt. Im „ U n s e r Vater“ hat alle herzandringende Ermahnung des NT zur Einheit ihre B e g r ü n d u n g . Alle beten zum gemeinsamen Vater, sind seine Kinder. Tritt Schuld trennend zwischen sie, vergeben sie ihren Schuldigern, wie sie ja auch den Vater um Vergebung bitten. Sie sind in ihm eins. Und müssen doch immer wieder eins werden. Darum bittet Jesus den Vater für die Jünger: „dass sie e i n s seien wie wir“ (Joh 17,11). Die Gemeinde sieht hier die Kundgabe des letzten Willens ihres Herrn. Mit seinem 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 491 Gebet nimmt er sie hinein in die Einheit, die er mit dem Vater hat (s. VV. 21. 22. 23. 26; vgl. Joh 3,16-18, 23; 1. Joh 2,9-10; 3,16-18, 23; 4,7-21). Jesus betet: „Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind“ (Joh 17,22). Die Einheit der Gemeinde hat ihre herausragende Bedeutung darin, dass mit ihr das Zeugnis von der E i n h e i t d e s D r e i e i n i g e n auf dem Spiel steht und das Zeugnis von der Gabe seiner Herrlichkeit an die Jünger. Nicht zuletzt geht es darum, dass den Menschen durch eine geeinte, sich untereinander liebende Christenheit oder Gemeinde die Augen für Christus und die Seinen aufgehen: „D a r a n w i r d j e d e r m a n n e r k e n n e n , d a s s i h r m e i n e J ü n g e r s e i d , w e n n i h r L i e b e u n t e r e i n a n d e r h a b t “ (Joh 13,35). Zweitens: Hat die Einheit der Gemeinde ihre B e g r ü n d u n g in der Einheit, die Jesus mit dem Vater hat, der „unser Vater“ ist, so entnehmen wir den S i n n der Einheit dem hohepriesterlichen Gebet (Joh 17). Jesus bittet den Vater, dass die Jünger und die, die durch ihr Wort an ihn glauben werden, eins seien. Hören wir den gravierenden Sinn: „D a m i t d i e W e l t g l a u b e , dass du mich gesandt hast“ (V. 21). Der Einheit der Gemeinde kommt damit unvorstellbare Bedeutung zu. Der Glaube der Welt hängt von der Einheit der Christen ab. Sprechen wir von der „notwenigen“ Einheit, zu der die Predigt zu führen hat, dann ist das wörtlich zu nehmen. Die Einheit wendet die Not, dass die Welt aufgrund von Streit und Spaltung der Gemeinde am Glauben gehindert wird. Dass die Welt aber durch die Gemeinde am Glauben gehindert wird, rührt an das Nervenzentrum der Heilsgeschichte Gottes mit den Völkern, die mit der Verheißung an Abraham (Gen 12) ihren Anfang nahm. Unter diesem geradezu dramatischen Vorzeichen stehen die diesbezüglichen vielfältigen Ermahnungen um Einheit und Warnungen vor Uneinigkeit im NT. Einige seien kurz benannt: Hinter den vier Evangelien vermutet man verschiedene Gemeinden an verschiedenen Orten. Die Urgemeinde verblieb im jüdischen Volks- und Kulturverband, ließ also zunächst auch Priesterschaft und Opferkult, Synagogengottesdienst und Gesetz gelten (Schweizer 19622:28). „Dass sie zu Jesus von Nazareth ja und nicht nein sagen, bedeutet zunächst nur eine 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 492 Lehrabweichung, die ihre Eingliederung in Israel noch nicht berührt“ (:40). Auch Priester sind in die Gemeinde eingetreten (Apg 6,7). Unsicher ist, wo der Verfasser des Matthäusevangeliums gelebt hat. Man hält Syrien für wahrscheinlich, ein vom Judentum geprägtes Diasporagebiet. Die Scheidung zwischen Juden und Judenchristen wird deutlicher. Bei Lukas wird sichtbar, dass die Gemeinde Jesu die rechtmäßige Nachfolgerin des atl. Israel darstellt. Hier aber tritt zur Gemeinde die Welt. „Nicht umsonst steht vor der ersten Predigt des Petrus eine Völkertafel, d.h. nicht umsonst wird uns gesagt, wie bunt die Gemeinde, die sich um das Heiligtum in Jerusalem sammelt, zusammengesetzt war, was für eine Einigung verschiedener Rassen und Kulturen und Religiositäten hier vollzogen war“ (Schlatter 1927b:9). Was aber hielt sie zusammen? Die jüdischen Gemeinden hatten Jerusalem als ihren gemeinsamen heiligen Ort, in dessen Richtung man die Gebete verrichtete. Sie hatten das Gesetz, den Sabbat, die Beschneidung. Die vielfältigen, neuen Gemeinden der Christen hatten das alles nicht, keinen heiligen Ort, kein Gesetz. Was sie eint, ist die Freiheit vom Gesetz, die Erlösung durch den Erlöser. Die Freiheit in Christus ließ sie sich nicht individualistisch zerteilen, sondern führte sie zusammen zu dem einen Leib in Christus. Unversöhnlichkeit und Spaltungen haben da keinen Platz. Darum ist im Falle eines Streites alsbald Versöhnung angesagt „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder und dann komm und opfere deine Gabe“ (Mt 5,23-24; s. Eph 4,26). Das Einswerden aber steht unter großer Verheißung: „Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel“ (Mt 18,19). Ebenfalls in der Bergpredigt findet sich die Warnung vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern kommen, innen aber reißende Wölfe sind (Mt 7,15-20). Nach Ragaz ([1945]1971:182) sind es solche, die „die Religion im Dienste der Welt missbrauchen. Sie suchen ihre Ehre. Sie suchen Macht.“ Es können Einzelne, Bewegungen oder Gemeinschaften sein, sie wollen möglichst Viele und Vieles an sich reißen. Sie setzen andere herunter, zerreißen sie in 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 493 Hochmut, Hass und Neid. „Sie zerreißen sie mit Frömmigkeit und Theologie … Es gibt nirgends soviel Streitwut, soviel Richtgeist. Soviel Eifersucht, soviel Selbstgerechtigkeit und Hochmut, soviel giftige Verleumdung wie in den religiösen, theologischen, kirchlichen frommen Kreisen … Warum ist das so? …Gott gibt, die Religion nimmt. Gott einigt, die Religion trennt“ (ebd.). Jesus hatte für die Jünger gebetet, dass sie alle eins seien (Joh 17). Damit war angezeigt: Ihre Einheit ist nicht Tat der Jünger, sie ist Gottes Gabe. Und so konnten sich die Ermahnungen des Apostels auch darauf beziehen: Er beschwor die Einheit, die in Christus, der in ihnen lebte, schon gegeben war: „Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“ (Phil 2,1-5). „Dein Reich komme!“, hatte Jesus die Jünger beten gelehrt. Da ging es ums Ganze, um die ganze Welt, und „dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,10f.). Die an Jesus gläubig geworden waren, sind schon Hausgenossen des Reiches. Das aber kann man nicht als einzelner sein, einsam und allein. Das kann man auch nicht, wenn man die Gemeinde spaltet. „Das kann nur die eine zusammengebundene Schar, die alle umfasst, die Gottes sind“ (Schlatter1927:15). Die Apg legt dar, dass die Jünger im Tempel einmütig waren (émoqumadèn - 2,46; vgl. 2,14; Apg 4,24, 5,12; 8,6; 15,25). Paulus lässt die Gemeinde in Rom wissen, dass Gott e i n e n Ölbaum gepflanzt hat, „nicht eine ganze Allee von Kirchen, sondern den Einen Ölbaum.“ Gott ist durch das Versagen Israels gezwungen, Glieder des Volkes aus seiner Erwählung auszuschließen. „Nicht der Baum wird umgehauen, sondern nur einige Zweige werden entfernt, während die am Baum verbleibenden Zweige das gläubig gewordene Israel vertreten“ (Michel 1966:275-276). Paulus ermahnt die 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 494 Heidenchristen in Rom, die ausgebrochenen Zweige, die ungläubigen Juden also, nicht zu verachten. „Die ‚Wurzel’ des Ölbaums besteht in den Erzvätern, die Fettigkeit der ‚Wurzel’ in der Erwählung, die den Erzvätern zuteil wurde, und die die gleiche ist wie die unsrige. Auch der Heidenchrist lebt von dem Wort des AT’s und die endgültige Bedeutung des AT’s wird erst in der messianischen Vollendung Israels offenbar“ (276). Ist Paulus an der Einheit zwischen seinem Volk und den Christen gelegen, so betont der Eph, dass der Zaun zwischen Juden und Heiden abgebrochen ist (2,14). Daran wird wiederum deutlich, dass die Frage nach der Einheit der Gemeinde keine ntl Randbemerkung darstellt. Sie ist eine Angelegenheit von höchstem heilsgeschichtlichem Rang. Paulus, der die Gemeinde als Leib versteht, hat seine Einheit im Auge: „So sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied“ (Röm 12,5). Er sieht Einmütigkeit als Gabe Gottes: „Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Röm 15,5-6; vgl. Phil 1,27; 2,2). Einheit und Liebe stehen eng beieinander. Beide bedingen sich. Ist die Liebe in den Gliedern der Gemeinde, so ist die Einheit bewahrt. Ohne Liebe gibt es keine Einheit. Alle Mahnungen zur Liebe untereinander sind zugleich Mahnungen, eins zu sein (1. Petrus 1,22-23; 3,8;). Ebenso ist es mit dem Wort „Friede“. Alle Mahnungen zum Frieden untereinander sind zugleich Mahnungen zur Einheit (1. Petr 1,9-11). Das Thema „Einheit der Gemeinde“ zieht sich also wie ein roter Faden durch das NT. Die verschiedenen Gaben, die Röm 12,1-21 beschreibt, stehen nicht in einem gegenseitigen Konkurrenzkampf. Qualifizierende Unterschiede im Raum der Gemeinde sind grundsätzlich aufgehoben. Das macht besonders der von Paulus stammende „ekklesiologische Spitzensatz“ (Stuhlmacher:1975:47-48) deutlich: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid a l l e s a m t e i n e r in Christus Jesus (Gal 3,28).“ Wer zu Christus gehört, muss sich nicht mehr durch eigene Leistung und Begabung definieren, weil er sich von Christus und seiner Heilstat her versteht. Auf das, was den einen vom anderen unterscheidet, muss niemand mehr abheben. Alle definieren sich allein durch ihre Zugehörigkeit zu Christus. 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 495 „Und genau das schafft jede Trennung ab und stiftet Einheit untereinander, man ist jetzt - so heißt es im Text - ‚einer in Christus Jesus’ … Wenn man in den Bereich des Christus eintaucht, wo qualifizierende Unterschiede überholt sind, findet man sich als Teil eines lebendigen, pulsierenden Ganzen vor, und es strömt einem eine Lebendigkeit zu, von der man vorher keine Ahnung hatte“ (Rebell 1990:106-107). Vor den Ermahnungen steht in der Regel die Gabe, die die Voraussetzung zur Paraklese darstellt. So ist es im Römerbrief: Vor Kap 12, mit dem die Ermahnung beginnt, liegen die Kapitel der Grundlegung des Evangeliums. Das Muster kehrt wieder im ersten Brief an die Korinther. Kap 1,1-9 ist voll von Dank über die Gemeinde und die Treue Gottes. Dann folgt der ermahnende Teil. Genauso im 1 Petrusbrief: In 1,1-12 geht es um die lebendige Hoffnung! In 1,13-25 um das geheiligte Leben! Ebenso im Jakobusbrief: Gott gibt Weisheit, alle gute Gabe – das stellt Jakobus in die Überwindung pervertierter Kommunikation (Rebell 1990: 198;206). Die Lektüre des Epheserbriefes erschließt, wie entscheidend die Einheit der Gemeinde für das Reich Gottes ist. Soll die Gemeinde an den Beinen gestiefelt sein, das Evangelium des Friedens zu treiben (6,15), darf sie selbst untereinander nicht im Krieg, im Streit, in Uneinigkeit leben. „Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens“ (Eph 4,3). Die Paränese stellt einen entscheidenden Zielpunkt des gesamten Briefes an die Epheser dar. Der Verfasser des Epheserbriefes erinnert „die Heiligen in Ephesus“, an das Urschisma zwischen Juden und Heiden, das einst bestand, nun aber aufgehoben ist (2,11-12). „Denn er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft. Durch das Opfer seines Leibes hat er abgetan das Gesetz mit seinen Geboten und Satzungen, damit er in sich selber aus den zweien einen neuen Menschen schaffe und Frieden mache und die beiden versöhne mit Gott in einem Leib durch das Kreuz, indem er die Feindschaft tötete durch sich selbst“ (2,14-16). Das Schisma ist am Kreuz überwunden. Neue Schöpfung ist angebrochen. Auf welche Weise die Gemeinde durch Verkündigung zur Einheit zu führen ist, dafür kann wiederum der Epheserbrief als homiletisches Grundmuster gelten. 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 496 In den ephesischen Gemeinden ist die Einheit handfest bedroht (4,3). Gemeindeglieder reden böse übereinander, es wird gelogen, wohl auch gestohlen (4,28), man treibt faules Geschwätz etc. Der Schreiber beginnt seinen Brief jedoch mit einem völlig anderen Thema. Er beginnt doxologisch, mit dem Gotteslob! Von der Größe und Schönheit des Höchsten schreibt er und - im gleichen Atemzug - von der Größe und Schönheit der Gemeinde. Das ist mehr als nur Mittel zum homiletischen Zweck. Seinen Worten ist abzuspüren, dass ihn erfüllt, wovon er redet. Die Wirklichkeit, die er schaut, ist nicht die Dunkelheit der Gemeinde, sondern das Licht der Herrlichkeit des Höchsten und alles, womit die Gemeinde aus der Fülle und den Reichtum des Christus beschenkt ist. Wir sind an 2. Kor 3,18 erinnert: Das Schauen der Herrlichkeit des Herrn verwandelt (metamorfoÀmeqa) in sein Bild. Darum spricht der Schreiber des Epheserbriefes zunächst nur von dem, was er im Schauen der Herrlichkeit sieht (Kap.1-3). In das Licht der Gottesherrlichkeit und Gemeindeschönheit, das die ersten drei Epheserkapitel bestimmt, stellt der Schreiber dann seine herzandringende Bitte: Parakalò oÊn Ãm‚v. „So e r m a h n e ich euch n u n … “ (4,1) übersetzt Luther. In unserem deutschen Wort „ermahnen“ kommt das Werben und Bitten, das Ermuntern, Zureden und Trösten von Parakalò nicht zum Tragen, kommt es doch aus dem Altdeutschen „irmannen“ und heißt dort, „dem Pferd die Sporen geben“. Eigentlich steht hier: „Ich lege euch inständig ans Herz!“ Der Schreiber redet die Briefempfänger weder primär noch direkt auf ihren Mangel hin an, sondern auf die ihnen verliehene, überfließende Gabe. Das ist nicht nur schön. D a s t u t w e h : Schmerzlich zeigt sich, wie klein und hässlich das eigene faule Geschwätz, die Sünde der Glieder ist. U n d d o c h i s t a l l e s H ä s s l i c h e s c h o n - i n G o t t e s S c h ö n h e i t a u f g e h o b e n . Der Paränese ist damit jeder gesetzliche Ton genommen (Röm 4,15). „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr leitet?“ hatte Paulus geschrieben (Römer 2,4). Hier erleben wir dazu ein seelsorglich - homiletisches Exempel: „So groß ist die uns gegebene Gabe. Weil wir derart gewürdigt, vom Geber so groß angesehen sind, haben wir es nicht mehr 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 497 nötig, andere klein zu machen und uns dadurch groß. Ihr seid schon groß, dass es größer nicht geht: ihr, die aus Gnaden Geliebten Gottes!“ Die Einheitsmahnung in Eph 4,1-6 erweist sich „nicht nur allgemein gehalten, sondern prinzipiell begründet“ (Schlier 19686:178). Die Mahnung zur Einheit geht allen anderen Mahnungen im Brief voran. Als hinge nun alles, was der Gemeinde von Ewigkeit her gegeben ist, für sie am seidenen Faden ihrer Einheit, so mutet die Mahnung an. Kann die Gemeinde das tragen? Wie bald ist doch die Einheit bedroht! Ist die Gabe des Evangeliums so schnell zu verspielen? Text und Kontext weisen aus: Die Einheit muss von der Gemeinde jedenfalls nicht hergestellt werden. Sie besteht bereits. Darum ist sie im Grunde nur zu bewahren (tjre²n). Sie ist in einer siebenfachen Einheit begründet, die ihr vorgegeben ist. Auf sie hat sie sich auch immer wieder rückzubesinnen, sobald die Einheit gefährdet ist: EIN Leib und EIN Geist, wie ihr auch berufen seid zu EINER Hoffnung eurer Berufung; EIN Herr, EIN Glaube, EINE Taufe; EIN Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“ Die Ausführungen über die Gaben (4,11-13) greifen ebenfalls auf den Gedanken der Einheit zurück. Wie wollen die Gaben in einer Gemeinde zusammenspielen, wenn keine Einheit herrscht? Die beschworene Einheit ist „das Ziel der mannigfachen Gaben“ (Schlier [1957]1968:195). Wir sahen (3.1.4.) dass die Einheit zu den Entfaltungsbedingungen der Charismen gehört. Was Jesus über das Reich des Satans ausgesprochen hat, ist ein Grundsatz, der für alle Reiche gilt: „Wenn ein Reich mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen. Und wenn ein Haus mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen“ (Mk 3,24-25). Das heißt doch, dass auch Kirche und Gemeinde ohne Einheit nicht bestehen können. Der Schreiber des Eph fordert nicht nur zur Einheit auf. Er tritt fürbittend für die Gemeinden ein. Zum Mahnung gehört die I n t e r c e s s i o : „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater“ (3,14). Sein Gebet ist deutlich auf i n n e r e s W a c h s t u m der Gemeinde gerichtet. Er bittet, dass sie durch den Geist stark werden „an dem inwendigen Menschen (V.16). Wie soll sich auch nach Außen im Sinne des Evangeliums etwas gut gestalten, wenn es Innen nicht stimmt? In der Schöpfung hat uns unser Schöpfer sein Geheimnis wie in einem Gleichnis abgebildet: Alles Äußere baut auf einem Innersten auf, alles Große auf 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 498 dem Kleinen. So tragen die Elementarteilchen der Atome das physikalische Universum. Weil es im Innersten stimmt, gibt es einen stimmigen Kosmos. Der Mikrokosmos ermöglicht erst den Makrokosmos. Würde es im Kleinen und Inneren nicht stimmen, würde es Großes nicht geben. Unser Leib baut sich auf Abermilliarden kleine Zellen auf. Sobald es d a im Inneren, im Zellenhaushalt, nicht mehr stimmt, sind alles Große und alle Größe vom Tode bedroht. In der Natur hat uns unser Schöpfer ein Gleichnis gegeben: Es muss im Inneren stimmen. Darum betet der Schreiber, dass die Gemeinde am inneren Menschen stark werde. Um „bloße Innerlichkeit“ geht es nicht. Die Fürbitte zielt auf die Einheit, auf das unbedingt notwendige Miteinander. In der Fürbitte ist jeder einzelne als Glied eines Ganzen ins Gebet genommen. In der apostolischen Fürbitte werden alle auf Hoffnung zusammengeschmiedet zu der Einheit, zu der sie berufen sind. Der „Christus in euch“ ist Quelle der einenden Kraft. „Damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“ – das steht auf dem Spiel. Einssein in Christus ist keine seelische Gleichmacherei, wie in psychotischen Gruppen, in denen man nicht erträgt, wenn ein Mitglied anders ist, eine eigene Meinung hat, einen eigenen Weg geht. In der familia dei ist gerade die Fülle, in schöpferischer Vielfalt und Verschiedenheit Anliegen der Fürbitte. Es geht um ein Einssein in der engen Bindung an Christus. Er ist der Hirte, die Gemeinde ist die Herde. Er ist der Weinstock, die Gemeinde sind die Reben. Die Einheit mit ihm und untereinander ist von notwendender Wichtigkeit: „Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“ (Mt 12,30 par). Die Intercessio zielt auf die Einheit und damit auf das Erfülltwerden mit der g a n z e n G o t t e s f ü l l e : ´na pljrwqÒte e¸v p‚n tè plÐrwma to qeo (Eph 3,19). Für Bohren (1993:39) gehört dieser Satz „damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle“ zur ungepredigten Bibel: „Das Hineinwachsen in die Gottesfülle wird tabuisiert, wobei die homiletische Unterschlagung der Verheißung jeder Spaltung Vorschub leistet“ Mehrfach in seinen Schriften, so auch hier, beklagt Bohren, dass in unseren Predigten der Plural biblischer Texte durch den Singular ersetzt wird: „Der homiletische Diebstahl des Plural … sabotiert die Einheit und löst in der 3.3.4. Predigen führt zur notwendigen Einheit 499 Gemeinde Magersucht aus, die sich wohl nur als Verabschiedung Gottes von der Gemeinde begreifen lässt“ (:39-40). - Hier ist zu fragen, ob der Schaden nicht tiefer liegt. Wir sind, was wir sehen. Die Pfarrer haben – so wurden sie gelehrt - nicht Gemeinde vor Augen, sondern Hörerinnen und Hörer, Predigtpublikum, aber keine Gemeinschaft im Sinne des Leibes Christi, den Paulus beschreibt. Das ist auch Bohren bewusst. Er hält die gesetzliche Predigt für ein Produkt zerrissener Gemeinde, die wiederum die Gemeinde spaltet. Daran anschließend sagt er „… während das Evangelium die Gemeinde eint und sie vom Irr- und Unglauben scheidet“ (:42). Dem ist entgegenzuhalten, dass auch die Predigt des Evangeliums die Einheit der Gemeinde nicht automatisch herstellt. Die Kategorie des Gehorsams gegen das gepredigte Evangelium darf hier nicht außer acht bleiben. Das Evangelium, wenn es auf taube Ohren und Herzen stößt, verstockt. Da hilft auch nicht die Predigt, die den Plural verbal zu Ehren bringt. Es ist zur Wurzel vorzustoßen: Wird der Sendungsauftrag im Gehorsam gegen Christus wahrgenommen, wird die Gemeinde zu einem verbindlichen Leibganzen, sie wird um der Größe ihrer Aufgabe zur Einheit finden, sonst nicht. Erst, wenn die Einzelnen sich im Gehorsam gegen den Auftrag ihres Herrn zusammentun, wird aus einem zusammengewürfelten Haufen, den wir aufgrund permanenter Wahrnehmungsverweigerung „Gemeinde“ nennen, verbindliche Gemeinschaft, eine aufeinander angewiesene Pluralität. Der Weg der Liebe, auf den die Gemeinde gestellt ist, ist nicht nur der Weg zueinander. Es ist der Sendungsweg, der Weg zu den Menschen vor den Toren der Gemeinde, der Weg in die Welt. Um ein erträgliches Betriebsklima allein geht es nicht. Mit der Einheit der Gemeinde steht die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf Erden auf dem Spiel, das Zeugnis der Gemeinde an die Welt, ihr Auftrag, ihre Mission, damit ihre Liebe zu Gott und den Menschen. Nicht nur um ihres inneren Friedens willen, sondern um des Retters Jesu Christi und seiner Retterliebe willen ist die Einheit ein unschätzbares, kostbares Gut, das es zu bewahren, dem es nachzujagen gilt. Darum nimmt das Thema solch einen Raum im Chor der Weisungen des NT ein. Vollmächtige Predigt führt die Gemeinde zu dieser so notwendigen Einheit, sie hält ihr vor Augen, dass Gott e i n e r ist und dass sie für den Rettungsdienst unter den Menschen der der Einheit unbedingt bedarf. 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 500 3.3.5. Predigt führt zur evangelistischen Liebe Im Lobgesang des Zacharias ist von der herzlichen Barmherzigkeit unseres Gottes die Rede, (di splgcna l™ouv qeo Ómòn) „durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe“ (Lk 1,78). Dem herzlichen Erbarmen begegnen wir wieder in Mt 9,36: „Und als er das Volk sah, jammerte es ihn (splagcn°sqj); denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.“ K. Barth schreibt zum Begriff splagcn°sqj: „Der Ausdruck ist unübersetzbar stark: das Elend, das er vor sich hatte, ging ihm nicht nur nahe, nicht nur zu Herzen - ‚Mitleid’ in unserem Sinne des Begriffs wäre kein Wort dafür - sondern in sein Herz, in ihn selbst hinein, so dass es jetzt ganz sein Elend, viel mehr das seine als das der Elenden, letztlich und im Grunde - er nahm es ihnen ab und auf sich - nicht mehr das ihrige, ganz das seinige war. Er erlitt es an ihrer Stelle“ (KD IV/2:205). „Als er das Volk sah …“ so beginnt der bekannte Abschnitt, der uns einen Blick ins Innere des Menschensohnes gewährt. Alles, so wird uns hier nahegelegt, beginnt mit dem rechten Sehen, der jesusgemäßen Sicht. Jesus sieht die Menschen mit anderen Augen, als sie sich selbst. Er sieht sie auch anders, als die Kirche, die Schultheologie oder unsere Gemeinden sie sehen. Dass diese von einem herzlichen Erbarmen gegenüber den Menschen bewegt werden, weil sie ohne den guten Hirten leben, ist kaum zu erkennen. Was Jesus sieht, bewegt ihn bis ins Innerste. Matthäus, der Evangelist, schildert es mit der erkennbaren Absicht, die Leser seines Evangeliums ebenso im Innersten zu bewegen. Jesu Blick erfasst nämlich ein Elend, das tiefer liegt als alle irdischen Nöte, obwohl er auch dafür ein Herz hat. Sein Auge ist durch den beständigen Blick auf den Vater für die Ewigkeitsnot des Volkes geschärft. Menschen ohne den Hirten sind Menschen ohne Gott (Ps 23,1). Das ist Jesu realistische Wahrnehmung. Wir brauchen uns nur noch einmal die biblischen Worte vom Verlorengehen (2.2.2.), vom Richter (2.2.3.) und Retter (2.2.4.) in Erinnerung zu rufen, um die bis ins Innerste gehende Erschütterung Jesu zu verstehen. Jesu Tränen über Jerusalem (Lk 19,41) fügen sich hier ein: Das Evangelium abzulehnen, ist für Gott und die Menschen derart folgenreich, dass Gott weint. Hier wird nichts schamvoll verschwiegen oder gar verdrängt. In den 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 501 biblischen Texten werden die Dinge mit bewegenden Worten bei Namen genannt, weil Zurückhaltung und Schamhaftigkeit nun einmal nicht angebracht sind, wenn es um den gekommenen Menschensohn geht, dem die ewige Errettung von Menschen vor Gottes Gericht Grund seines Kommens ist. Die jüngeren Äußerungen zum Thema „Mission“ bzw. „Evangelisation“ aus dem Raum der Kirche - so weit sie mir zugänglich sind1 - sprechen eine andere, eher theologisch unterkühlte Sprache. Im Bericht der zweiten Sektion der Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Evanston (1954) wird die Frage aufgeworfen: “Worum geht es nun in der Evangelisation?“ Einmal gehe es gewiss darum, „die frohe Botschaft so zu verkündigen, dass es die Gruppierung und das Bild der Gesellschaft … verwandelt und zwar mit dem Ziel, menschliche Institutionen und Lebensformen stärker dem anzunähern, was Gott will, und dem Grenzen setzenden Vorrecht Gottes Achtung zu verschaffen“ (Margull [Hg.] 1963:110). „Eine andere Seite der Evangelisation ist das Bemühen, Menschen in das volle Leben der Kirche einzuführen …“ (ebd.). Der Kern der Sache aber sei: „Menschen zu Christus als zu ihrem Heiland und Herrn zu bringen und sie teilnehmen zu lassen an Seinem ewigen Leben“ (:111). Vergeblich sucht man ein Wort vom Erbarmen Jesu oder ein Wort über den Ernst, der die Kirche angesichts der Ewigkeit bewegen muss, kein Wort über die Verlorenen, die es zu retten gilt, kein Hinweis auf den kommenden Richter und das Gericht oder einen Hinweis auf den weinenden Gott. Die Angelegenheit ist formalorthodox zwar genannt, aber in einer verkürzten, steril-richtigen Formel verpackt. Die Weise, wie man hier von der Sache spricht, eignet sich bestens dazu, sie zu verschweigen. Seitz (1985:32) geht es um die Klarheit der Begriffe Mission und Evangelisation. Was Letztere betrifft „bezeichnen wir mit Evangelisation eine elementare Weise der Verkündigung und Gemeindearbeit, durch die in einfacher Bezeugung Gemeindeglieder, Entfremdete und Fernstehende in verbindliche Christusgemeinschaft berufen und zum Zeugnis befähigt werden.“ Vom Motiv des Kommens Jesu (Lk 19,10), von der Not der Verlorenheit des Menschen ohne 1 Walldorf (2002) und Werth (2004) geben einen Überblick über Missionstheologien im europäischen Kontext. 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 502 die Christusgemeinschaft findet sich - in dieser Definition jedenfalls - kein Wort. Auch diese Redeweise zeigt keinesfalls die Dramatik, die dem Begriff und seinem ntl Kontext eignet. „Die Entfaltung der Taufe bzw. der Ruf zu ihr“ gehört nach Seitz zu den Elementen der Evangelisation (ebd.). Wird hier nicht übersehen, dass sich damit für unsere heutigen, dem Evangelium und oft allem Kirchlichen entwöhnten Zuhörer, ein zunächst fremdes und darum befremdend empfundenes sakramentales Geschehen zwischen Christus und ihnen, den Anfängern des Glaubens, schiebt? Glaube ist eine personhafte Beziehung zu Christus. Eine Beziehung zu einer Taufe, an die jede Erinnerung fehlt, ist in der Evangelisation dagegen schwer zu vermitteln und muss da auch nicht verhandelt werden.1 Es gehört die „Entfaltung der Taufe“, die ich mit Seitz für wichtig halte, in eine spätere Didaché, als Vergewisserung, Bekräftigung und Siegel des Wortes. Das Sakrament hat neben dem Wort keine selbständige Bedeutung, ist es doch nichts anderes als „eine Gestalt, eine ‚Spielart’ des Wortes“ (Thielicke 1978:337). Werth (2004), wenn er von der mission Dei (:39-40) oder der Mission (:60) spricht, nennt das Ganze „die Bewegung Gottes zu den Menschen“ oder „in die Welt hinein“. „Ziel dieser Mission ist die Versöhnung der Welt mit Gott, die Wiederherstellung des Heils … und der Gerechtigkeit …“ (:60). Diese aufs Ganze gesehen wieder „richtige“, aber unangemessene Redeweise über das, worum es wirklich geht, ist nicht dazu angetan, den Ernst, die Dramatik und Dringlichkeit der Rettungsaufgabe deutlich zu machen. Ein möglicher Hinweis auf das Erfordernis einer sachlich-wissenschaftlichen Sprache kann nicht befriedigen, da die Schwere des Sachverhalts darin nicht zum Tragen kommt. Auch die Unterscheidung zwischen einem infralapsarischen und supralapsarischen Verständnis der Soteriologie (:229-234) vermag die Dramatik, die der christlichen Soteriologie zugrunde liegt, nicht zum Ausdruck zu bringen. 1 Eindrücklich ist mir ein Erlebnis auf einem 3tägigen kirchlichen Landesjugendtreffen: Junge Menschen finden zum Glauben an Christus. Freude liegt in der Luft. Dann kommt der Pfarrer angereist, der vor 25 Jahren das Jugendtreffen ins Leben gerufen hatte. In seiner Jubiläumspredigt spricht er, wo der Name Jesu genannt werden müsste, von der Taufe, durch sie hätten wir das ewige Leben, sie vergewissere uns im Glauben, alle müssten dankbar für ihre Taufe sein. Wie Raureif legt es sich auf die Versammlung. Das hohe Lied auf die Taufe drängt Christus in den Hintergrund. Glaubenlähmender Sakramentalismus will Raum greifen. Zum Glück ist das an diesem Tag nicht das letzte Wort an die jungen Leute. 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 503 Warum wird durchweg eine distanzierte, verschlüsselt, zurückhaltende Rede gewählt, wo es um Himmel und Hölle, ewige Seligkeit oder Verdammnis geht? Es sei nur daran erinnert, wie zutiefst beteiligt das deutsche Volk die Rettung der verschütteten Bergleute von Lengede in den Medien verfolgt hat - und die Berichterstatter zutiefst beteiligt waren. Ähnliches war weltweit durch die Tsunamikatastrophe oder die Zerstörung New Orleans samt den fälligen Rettungsmaßnahmen ausgelöst worden. Dass sich immerfort geistliche Lengedes, Tsunamis und New Orleans’ ereignen, ein Verlorengehen und Retten im Horizont der Ewigkeit, ist kaum im theologischen Bewusstsein und Sprachgebrauch. Anders in der Heiligen Schrift! Der gute Hirte (Joh 10,11) ist bis in sein Innerstes erschüttert. Es liegt auf der Hand, dass dem Evangelisten darüber eine verschlüsselte Sprache verwehrt ist. Was Jesus sieht, geht ihm – und dem Berichterstatter - durch und durch. Das Sündenelend der Menschen, ihre Verlassenheit, die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, greift in die tiefste Tiefe (splagcn°sqj). Jesus wird als gefühlsmäßig aufgewühlt beschrieben. Dennoch, er ertrinkt nicht in Gefühlen. Ihn überkommt eine unüberbietbare Nüchternheit. Die treibt ihn in den Garten Gethsemane und von da ans Kreuz. Der Menschen Elend wird seines, damit es endgültig aufhört, ihr Elend zu sein. Ihm ist es zu wenig, Menschen nur von außen zu helfen und sie dann sich selbst zu überlassen. Damit wäre an der Wurzel des Elends nichts geändert. Sein Heilandswerk ist größer. Er macht die Sünde der Verlorenen zu seiner eigenen Sünde, damit sie ihre Sünde nicht mehr ist. Er gibt mehr als Verbesserung und Erleichterung des alten Lebens. Er schenkt ein völlig neues. Das Erbarmen Jesu mit den Menschen, die noch keinen Zugang zum Evangelium kennen, hat sich nicht nur vage auf seine Nachfolger übertragen. Jesu hat sie klar und deutlich zu den Menschen gesandt. „Hat Jesus zu seinen Lebzeiten den Jüngern einen Sendungsauftrag erteilt?“, so fragt Hahn (1963:32). Daran ist für ihn auf Grund der Aussendungsreden Mk 6,7-11; Lk 9,1-3, sowie Lk 10,1-12 und Mt 9,37-38; 10,5-16 nicht zu zweifeln. Jesus schickt seine Jünger nach den verschiedenen Aussendungstexten nicht nur hinaus, das weiterzuverkündigen, was sie gesehen und gehört haben, sondern „er gibt ihnen 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 504 Anteil an eben der Vollmacht, durch die er selber wirkt. Sie sind nicht nur seine Boten, sie sind seine Mitarbeiter“ (ebd.). Was uns von den ntl Gemeinden berichtet ist, liegt auf der gleichen Linie. Sie waren, wie Hahn (:120) feststellt, grundsätzlich offen für alle, die mit der Verkündigung in Berührung kamen, und sie waren in ihrem Leben und Wirken ausgerichtet auf die Gewinnung anderer Menschen für den christlichen Glauben. „Ein lehrreiches Beispiel sind die Äußerungen des Paulus 1 Kor 14 über den Gottesdienst: Gewiss soll der Gottesdienst dem Aufbau der Gemeinde dienen, das o¸kodome²n wird ja von Paulus zum eigentlichen Kriterium für die rechte Durchführung und Ordnung der christlichen Versammlung gemacht, doch muss der Gottesdienst auch gewährleisten, dass die ¸diòtai und ˆpistoi, die Randsiedler und Ungläubigen, gewonnen werden können. Sie sollen durch die Prophetie überführt und gerichtet werden, so dass das Verborgene ihres Herzens offenbar werde und sie niederfallen, Gott anbeten und sprechen: ‚Wahrlich, Gott ist in eurer Mitte’ (1 Kor 16,22).“ Um Jesu und seines Erbarmens willen ist der Gottesdienst der Gemeinde, was seinen Inhalt und seine Form betrifft, derart gestaltet, dass die Ungläubigen ihres Unglaubens überführt und für Christus gewonnen werden. Das liegt auf der Linie von Kol 4,5: „Wandelt weise gegen die, die draußen sind ...“ Auf sie stellt sich die Gemeinde auch in ihren Gottesdiensten ein. In der Sendungsrede von Mt 10 heißt es: „Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“, (V.7). Das genahte Himmelreich ist die Voraussetzung der Sendung. Im „Missionsbefehl“, Mt 28, geht es vorderhand ebenfalls nicht darum, was Christen tun sollen, sondern darum, w e r C h r i s t u s i s t : Mir ist gegeben alle Exousia im Himmel und auf Erden (V. 28). Im Zentrum steht der pantokrtwr, der Herrscher über das All, nicht die missionierende Kirche oder der verlorene Mensch oder das Seelenheil. Mission und Evangelisation finden um Christi willen statt, der aber ist auf Gottes Ehre und die Rettung der Menschen gerichtet. Auch dem Apostel geht es darum, Menschen zu retten: „Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette“ (1. Kor 9,22). Allein d i e Gemeinde wird missionarisch sein, in der Jesus Christus der Herr ist, dessen Erbarmen und Befehl den Liebesgehorsam der Gemeinde hervorruft. Evangelisation ist Ansage der Gottesherrschaft, darin eingeschlossen die 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 505 Rettung der Menschen. Ursprünglicher Ort der Evangelisation sind die „Landstraßen und Zäune“ (Lk 14,23), nicht Kanzel oder Katheder. Ihr Feld ist die Welt, nachgeordnet erst die Kirche. Ihr Grundmodell ist das Gespräch, nicht die gottesdienstliche Predigt. Weil für den historischen Jesus die alltägliche Gesprächssituation die Grundgestalt seiner Verkündigung darstellt, ist sein Reden unüberbietbar konkret und - folgerichtig - wohltuend unkirchlich. Seine Verkündigung ist auf die Themen dieser Welt bezogen und weist doch beständig über sie hinaus. Findet Evangelisation um Gottes willen statt, so entspricht es gerade diesem Gotteswillen, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Tim 2,4). Darauf beruht der Glaube, „dass Christus für unsre Sünden gestorben ist, nach der Schrift“ (1. Kor 15,13). Dass dem Herrn des Universums so sehr an uns liegt, ist seelenrettend und damit Glück über Glück. Um Verlorene zu retten, reichen menschliche Überredungskünste nicht aus, dazu bedarf es übernatürlicher Kraft (Röm 1,16). Jesu Vollmacht weist uns an die entscheidende Quelle. „Zu Jüngern machen“ ist eine Vollmachtsfrage. Vor der Kunst der Rede steht die Kunst des Schweigens. Vor dem Tun steht das Lassen, vor aller Aktivität die Passivität. Entscheidendes haben wir nur zu geben, wenn wir Empfangende seiner Vollmacht sind. Jesu Vollmacht ist auszuüben: „M a c h t z u J ü n g e r n ! “ Zu Jüngern machen – das zielt auf den G l a u b e n der Heidenvölker. Beim „L e h r e t s i e h a l t e n !“ ist der G e h o r s a m im Blick. Glaubensgehorsam Gott gegenüber ist das Ziel der missio Dei. Paulus bestätigt das: „Wir haben Gnade und Apostelamt empfangen, um im Namen Jesu „den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden“ (Röm 1,5; 15,18; 16,21). Wiederum ist der Plural zu beachten. Der Missionar spricht nicht von sich allein. Er bezieht die Gemeinde in den Aposteldienst mit ein. Hat sie die Gnade empfangen, dann mit ihr den apostolischen Auftrag. Das wird auch beim Schreiber des Epheserbriefes deutlich. Er bittet die Gemeinde „für alle Heiligen“ zu beten, „und für mich, dass mir das Wort gegeben werde … freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu verkündigen“ (6,18-20). Bohren (1993:41) kommentiert: „… er lässt die 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 506 Gemeinde teilnehmen und teilhaben an seinem apostolischen Auftrag und schreibt ihr apostolischen Rang zu.“ Die Predigt, die sich als Sendungsrede versteht, wird die Gemeinde zur evangelistischen Liebe führen, die nichts anderes ist als Retterliebe im Horizont der Ewigkeit. Die Predigt wird diese Liebe nicht durch Appelle hervorrufen, sondern dadurch, dass sie der Gemeinde Jesus als den, der die Verschmachteten und Verlorenen liebt, vor Augen stellt (Gal 3,1). Die Christuspredigt macht die Gemeinde froh und facht zugleich das Feuer der Retterliebe Jesu in ihr an, lebt Christus doch in ihr. Solche Predigt setzt nicht unter Druck, aber sie ruft das Verlangen, die frohe Botschaft weiterzugeben, in der Gemeinde hervor. Dieses Verlangen wird auch in denen geweckt, die keine evangelistische Gabe haben, mit den ihnen anvertrauten Talenten aber ebenfalls unter dem Vorzeichen der Sendung stehen. Ei mal mehr zeigt sich auch hier, wie wichtig die Erkenntnis ist, dass die Gemeinde unter dem Vorzeichen der Sendung steht und nicht umgekehrt. Steht die Gemeinde unter dem Vorzeichen der Sendung, dann auch ihre Seelsorge, ihre Lehre, ihre Leitung, ihre gottesdienstliche Feier, die Sakramente, Gemeindefeste und auch die Evangelisation. Stünde die Sendung dagegen unter dem Vorzeichen der Gemeinde, wäre natürlich auch die Evangelisation unter dieses gestellt. Evangelisation würde bald um des Gemeindeaufbaus willen betrieben und nicht um der Rettung der Seelen willen. Gelegentlich habe ich Gemeinden erlebt, die nicht um Gottes und der Menschen willen, sondern um der Aufbesserung ihrer Statistik willen eine evangelistische Woche durchzuführen beabsichtigten. Die größte Schuld der Christen hierzulande aber besteht in der Weigerung, die Menschen mit den Augen Jesu zu sehen. Das hat seine Ursache darin, dass wir den leidenden, sich erbarmenden Jesus nicht vor Augen haben. Daran, wie wenig uns sein Erbarmen bewegt, lässt sich ablesen, wie wenig er uns selbst bedeutet - unserer Kirchensprache zum Trotz. Bedeutet er uns wenig, bedeutet uns auch sein Erbarmen wenig, darum erbarmen wir uns auch nicht der Menschen. An den Menschen jenseits unserer Gemeinden ist Gott unendlich interessiert. Unsere Gleichgültigkeit ihnen gegenüber zeigt unser Desinteresse an Gott: Was ihn interessiert, interessiert uns nicht. Unglaube ist offenbar das größte menschliche Unglück, da es Gott zum Weinen bringt. Aber sein Weinen rührt die 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 507 Christen wenig. Ihre Nächstenliebe ist oft nur auf Irdisches gerichtet, nicht auf die Ewigkeit der Menschen. Damit praktizieren sie eine - „gottlose Nächstenliebe“. „Unsere Zeit hat keinen Mangel an humanitären Bestrebungen, karitativen Maßnahmen und philanthropischen Organisationen. Unsere Zeit ist allerdings eine Zeit gottloser Nächstenliebe, einer Nächstenliebe, die die Not des Menschen unterschätzt und ihm weniger gibt, als er braucht. Was wir brauchen, sind Menschen, die die Welt mit Jesu Augen sehen“ (Deichgräber 1978:7). Die Weigerung, die Welt mit den Augen Jesu zu sehen, ist Ursache vieler Fehlentwicklung der Kirche. Weil sie den weinenden Gott übersieht und dadurch das Unglück der glaubenslosen Menschen, ist sie harmlos geworden. Uns fehlt der Hirtenblick der Liebe Jesu, d.h. die realistischen Wahrnehmung der Ewigkeitsnot der Welt. Die sendungsorientierte Gemeinde hat Augen und Ohren für das Erbarmen Jesu: „Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende (Mt 9,36-38). „Die Ernte ist groß ...“ Jesus sieht nicht allein, was vor Augen ist. Er schaut eine andere Wirklichkeit. Er sieht die Not, aber ist von ihr nicht in den Bann gezogen. Er schaut über die Not hinaus. Er sieht die Verschmachteten vor dem Horizont der auf uns zukommenden Ewigkeit. Ernte – wir sahen es oben (1.3.2.) - ist Bild für die Endzeit und für das Gericht. Der Sünderheiland ist ein V i s i o n ä r . Die Saat ist kaum gesät, da sieht er schon die Ernte. Die Heilige Schrift hat Visionskraft, vertreibt Verzagtheit. Die Ernte ist groß! Christen in seiner Nachfolge sind ebenfalls unverzagte Visionäre, nicht von Natur, aber aus Gnade. „… wenige sind der Arbeiter. Darum b i t t e t den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ Wir sahen (1.3.2.): So wenig sich Jesu Blick in den Tälern des Elends verliert, genauso wenig verliert er sich in den Höhen der Vision. Beides versetzt ihn mit nüchternem Sinn in die Gegenwart, in das Heute. Die Ernte ist groß! Darum muss j e t z t an Erntearbeiter gedacht werden. Gottes Sohn ist auf der Suche nach Mitarbeitern, nach geistlichen Schlüsselpersonen, nach Leuten, die entscheidenden Anstoß geben und nach solchen, die 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 508 Angestoßenes beharrlich weiterführen, damit die Ernte geborgen wird. Darum geht es jetzt! Kirche war als Mitarbeiterschmiede gedacht, Gemeinden als Lehrwerkstätten, in denen Jünger ausgebildet werden, damit Menschen geborgen werden für das Himmelreich. Dabei ist es der Herr der Ernte, der Mitarbeiter sendet. Er tut es auf das Gebet der Christen hin! So ist die erste Maßnahme der Gemeinde angesichts der Ewigkeitsnot der Menschen das Gebet um Arbeiter für die Ernte. Indem er sie darum beten lässt, pflanzt er sein Erbarmen in die Herzen der Beter. Das bereitet sie zu, gesandt zu werden. Ernsthaftes Gebet bewahrt Verkündiger davor, Funktionäre zu werden. Bevor Jesus die Jünger sandte, hat er sie um sich versammelt, sie gelehrt und ausdrücklich aufgerufen, um Mitarbeiter zu beten. Es gibt Arbeit die Fülle. Er aber sagt: Betet! Nachdem sie zu Betern geworden sind, sendet er sie, (Mt 10,1-11,1): Die Botschafter seines Reiches sollen Beter sein! Mit „Evangelisation“ ist nicht nur das Charisma oder eine Redeveranstaltung gemeint. „Evangelisation“ kann darüber hinaus als eine G e s i n n u n g verstanden werden, als Herzenshaltung. Christen, die liebend gern möchten, dass andere auch von Christus erfahren, sind evangelistisch. Es ist schwer vorstellbar, dass es Christen gibt, denen das zum Glaubenkommen anderer nicht tiefster Wunsch und Wille sein könnte. Nicht alle sind evangelistisch begabt. Alle aber verspüren den Wunsch, dass mit ihnen auch andere Menschen das Glück des Glaubens und der Erlösung erleben. Solchen ist es oft auch gegeben, diesem Wunsch Ausdruck zu verleihen, ihm Sprache zu geben. Und wenn nicht, so ist die Fürbitte eine Macht, die Christen zu gebrauchen verstehen. Kann Glaube derart auf sich selbst gerichtet sein, dass es ihm egal ist, ob anderen das Geschenk des Glaubens gegeben ist oder nicht? Das wäre Glaubensegoismus, der dem NT entgegensteht. Dieses atmet „glühende Retterliebe“. Niemand muss der große Evangelist sein, es sei, es ist ihm gegeben. Jeder Christ, jede Christin aber wird es jedem von Herzen gönnen, zu Christus zu finden. Das anderen zu wünschen, dazu braucht man keine Begabung, nur ein liebendes Herz. Die Mutter, die am Bett ihres Kindes sitzt und ein Abendgebet spricht, ist bereits die erste Evangelistin im Leben ihres Kindes. Großmütter, Großväter, die das tun - sie sind erste Botschafter des Dreieinigen im Leben ihrer Enkel. Wir 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 509 reden keinem Übereifer das Wort, der eher Unheil anrichtet als Heil. Aber die Herzensgesinnung, den Wunsch und Willen, dass auch andere Menschen zum Glauben finden, möchten wir mit Nachdruck bewusst machen. Luther sagt in seinem Vorwort zum Babstschen Gesangbuch aus dem Jahre 1545: „Gott hat unser Herz und Mut fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er uns gegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer solches mit Ernst glaubt, der kann’s nicht lassen, er muss fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, dass es andere auch hören und herzukommen. Wer aber nicht davon singen und sagen will, das ist ein Zeichen, dass er’s nicht glaubt und nicht in’s neue fröhliche Testament, sondern unter das alte, faule, unlustige Testament gehört.“ Zur evangelistischen Liebe gehört auch die Mühe um die beste Methode. Der Heilige Geist ist der Geist der Schöpfung. Die Trinität will Verleiblichung. Methode verdrängt nicht den Heiligen Geist, sondern der Heilige Geist drängt auf die beste Methode. Er heiligt sie. „Alles ist euer, ihr aber seid Christi“ (1. Kor 3,23). Der Geist entzieht sich, wo Prediger Methoden einsetzen, um eigene Ehre zu suchen. Die Wahrheit schützt sich selbst. Evangelistische Verkündigung macht Gott schön, lässt die Sonne des Evangeliums aufgehen über den Menschen, ruft sie heraus aus den Schatten des Todes. Solche Verkündigung ist mit Hingabe vorzubereiten und auszurichten. Das erfordert neben anderem, Mühen um die besten Methoden. Wo Geist und Methoden zusammenwirken, helfen sie uns eindringlich zu reden, aber nicht aufdringlich; werbend, aber nicht propagandistisch; ernst, aber nicht demagogisch; liebevoll, aber nicht süßlich; zu Herzen gehend, aber nicht sentimental; spannend, aber nicht Effekt heischend; humorvoll, aber nicht albern; verständlich, aber nicht vulgär; leidenschaftlich, aber nicht fanatisch. Alle Mühe geschieht um Gottes willen und aus Liebe und Wertschätzung gegenüber den Hörern. Wir tun Gott und den Menschen einen schlechten Dienst, wenn wir mit der aufregendsten Botschaft unter dem Himmel - langweilen. Manche langweilen, weil sie nichts zu sagen haben. Andere haben etwas zu sagen, sind aber sprachmethodisch so schwach, dass es quälend ist, sie zu hören. Die sendungsorientierte Gemeinde nimmt Methoden ernst, eingedenk der Tatsache, dass der Glaube derer, die bisher „draußen“ waren, nicht das Ergebnis einer Methode ist. Über das Geheimnis verfügt die Gemeinde nicht. Und doch 3.3.5. Predigen führt zur evangelistischen Liebe 510 verleiblicht sich Gottes Geist, bedient sich gern der guten Methode. Die Methode darf nicht herrschen, aber dienen. 3.3.6. Predigen führt zu einem realistischen Zukunftsbild 511 „So besteht die ungeheuchelte Liebe, die wir für den Dienst Christi gebrauchen, nicht in einer Vielgeschäftigkeit, die tausend Dinge unternimmt. Sondern sie ist zuerst eine große Stille, ein priesterliches Tragen der Lasten, ein heimliches und heiliges Warten auf Gottes Stunde, ein starkes Zutrauen zu seiner alle menschlichen Bande lösenden Barmherzigkeit. Gewiss wünschen wir uns für unseren Dienst eine immer bessere Ausrüstung. Wir können wissenschaftlich gar nicht genug geschult sein. Wir können im Reden mit den Leuten gar nicht schlicht und verständlich genug sein. Wir sehnen uns nach einer echten Volksverbundenheit. Aber wichtiger als das alles ist schließlich die Gottesverbundenheit und Christusverbundenheit eines von ihm geliebten Menschen, der in seiner Schule wirklich lieben lernt“ (Bodelschwingh zitiert in Kampffmeyer 1959:74). 3.3.6. Predigen führt zu einem realistischen Zukunftsbild Eine Gemeinde, die sich dessen bewusst wird, dass sie von dem, nach dessen Namen sie sich nennt, in die Welt gesandt ist, wird sich zusammensetzen und sich fragen: Wie können wir uns zu einer sendungsorientierten Gemeinde hin entwickeln? Will jemand ein Haus bauen, so bedarf es vorher eines Baumeisters, der plant, sich berät, die Kosten bedenkt. In Zusammenhang mit der Kreuzesnachfolge sagt Jesus seinen Zuhörern: „Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, - damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen?“ (Lk 14,28-30). Was für die Nachfolge des einzelnen Christen gilt, gilt genauso für die Nachfolge der Gemeinde als Gesandtschaft und Stadt auf dem Berge. Paulus hat sich selbst als Baumeister gesehen: „Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister (‡rcit™ktwn); ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut“ (1.Kor 3,10). Hier ist jeder in der Gemeinde angesprochen, also ist jeder in die „Bauentwicklung“ einzubeziehen. Seitz (1985) hat auf die Notwendigkeit der Planung im Gemeindeaufbau hingewiesen, er sieht eine „Nötigung zur Planung“ (:9-10). Winkler zitierend schreibt der Erlanger Theologe: „Gemeindeaufbau ist Gottes eigenes Werk, ‚der seine Mitarbeiter zu planmäßigem Wirken für intensives und extensives 3.3.6. Predigen führt zu einem realistischen Zukunftsbild 512 Wachstum der Gemeinde bewegt’, damit sie ihren Auftrag erfüllen kann (:48). Dass Gott selbst ein planender ist, verrät ein Blick in die Natur, zudem gibt es darüber Hinweise genug in der Heiligen Schrift (Eickhoff 1992:281-283). „Heiliger Geist und Gemeindeplanung“ sind zueinander nicht in einen falschen Gegensatz zu bringen. Es geht um ein „Schöpferisches Planen unter der Zucht des Geistes“ (:279-288). Inzwischen wurde ein neuer Begriff geprägt: „Spirituelles Gemeindemanagement“ (Herbst 2003:178-198). Es geht darum: „Spirituelles Gemeindemanagement als Versuch, Spiritualität, Gemeindeaufbau und Methoden des Marketing in Non-Profit-Organisationen miteinander zu verknüpfen, um gerade so Pfarrerinnen und Pfarrern das nötige Rüstzeug für die anspruchsvolle Arbeit in spätvolkskirchlichen Zeiten zu geben“ (:180). Dass solch ein Rüstzeug nötig ist, steht mir an einem Erlebnis lebhaft vor Augen: Vor Jahren bat mich ein Pfarrer darum, ihn bei der Gemeindeentwicklung zu begleiten. In einem ersten Vorgespräch erwähnte ich eher beiläufig, dass im Laufe des Nachdenkens und Planens ein Leitbild erstellt werden sollte, ein ungefähres, an den konkreten Entwicklungen flexibel zu behandelndes Zukunftsbild. Daraufhin verfasste der Pfarrer noch am selben Abend in der Abgeschiedenheit seiner Amtsstube ein Leitbild und trug es gleich am nächsten Sonntag seiner Gemeinde im Gottesdienst vor. Enttäusch gab er mir zur Kenntnis, dass seine Gemeinde für so etwas nicht reif sei. Sie habe mit Unverständnis oder gar nicht reagiert. Völlig nders ging ein Kommunalpolitiker vor, der u. a. ein evangelisches Gemeindeaufbauseminar absolviert hatte, in dem auch Planungshinweise von Seitz gelehrt worden waren: In Oberösterreich liegt das Dorf Steinbach/Steyr. Es war nach einer jahrhunderte langen Blütezeit durch eine florierende Messerschmiedefabrik zu hohem Ansehen gelangt. Dann aber ist es durch die aufkommende Industrialisierung mehr und mehr verkommen. Häuser verfielen, Geschäfte wurden geschlossen, die Infrastruktur zerbrach. 1986 übernahm ein neuer Bürgermeister die Aufgabe, das schwere Erbe zu verwalten. Sein Herz schlug für die Erneuerung des ländlichen Raums. Biblische Grundsätze für den Umgang mit Menschen und die Entwicklung von christlichen Gemeinden waren 3.3.6. Predigen führt zu einem realistischen Zukunftsbild 513 dem Bibelleser bekannt. Seine erste Maßnahme bestand darin, die zerstrittenen politischen Parteien miteinander zu versöhnen: „Einer der ersten Schritte war die E r n e u e r u n g d e r B e z i e h u n g s k u l t u r in der Gemeindepolitik. Dazu hatte man gemeinsame Regeln erarbeitet. Die Fraktionen des Gemeinderates trafen eine Vereinbarung über eine ‚neue politische Kultur’. Damit trat die Dominanz der Parteipolitik in den Hintergrund. Die meisten Funktionsträger machten mit, einige stiegen aus“ (Sieghartsleitner 2002:8, Hervorhebung KE). Der Bürgermeister, Sieghartsleitner, entwickelte sich zu einem erfolgreichen Friedensstifter - e¸rjnopoio° (Mt 5,9). Wenn das Klima stimmt, geht der Same auf. Dann setzte er sich mit Bewohnern der Ortsgemeinde zu Gruppen- und Einzelgesprächen zusammen. Auf diese Weise wurde unter Einbeziehung vieler Menschen in langen Monaten ein L e i t b i l d entwickelt (Sieghartsleitner 1998). Jeder Erwachsene im Dorf, der wollte, hat es sich zu Eigen machen können, ja, lebt in dem realistischen Bewusstsein, an dem Leitbild aktiv mitgewirkt zu haben. Die Entwicklung der ersten Fassung des Leitbildes dauerte etwa ein Jahr! D a s E n t s c h e i d e n d e a n e i n e m L e i t b i l d i s t d e r P r o z e s s . Die Mühe, die aufgewandte Zeit, das Einbeziehen vieler Dorfbewohner hat sich gelohnt. Acht Jahre später erhielt Steinbach/Steyr den Europäischen Dorferneuerungspreis der Europäischen Arbeitsgemeinschaft für Dorferneuerung und Landentwicklung. Inzwischen haben Delegationen aus der Schweiz, Deutschland, Japan, Indien, China, Russland und mehrere Universitäten den „Steinbacher Weg“ vor Ort erkundet. Die Entwicklungsstufen des Leitbildes sind in einer Broschüre festgehalten und legen Zeugnis davon ab, wie vorgegangen wurde. Da sich hier Impulse für ein ähnliches Vorgehen auch einer Kirchengemeinde gewinnen lassen, im Folgenden die Stadien, die zur Entwicklung der ersten Fassung führten: „Erstmals wurde 1987, im Rahmen einer Klausurtagung des gesamten Gemeinderates (in Losenstein) nach jeweiligen grundsätzlichen und wertorientierten Impulsvorträgen im Plenum, das Leitbild in Gruppenarbeit erstellt und die wesentlichen Grundsätze und Ziele der künftigen Gemeindearbeit formuliert. Als Diskussionsgrundlage wurde an alle Fraktionen des Gemeinderates der erarbeitete Entwurf zur Stellungnahme weitergeleitet. 3.3.6. Predigen führt zu einem realistischen Zukunftsbild 514 Ein Redaktionsteam hat die Ergänzungen und Abänderungsvorschläge der Fraktionen in den bestehenden Text des Leitbildentwurfes eingearbeitet. Anschließend wurden die Meinungsbildner der Gemeinde eingeladen, den Text des Leitbildentwurfes zu hinterfragen und zu ergänzen. - Die diesbezüglichen Formulierungsvorschläge und inhaltlichen Ergänzungswünsche wurden vom Redaktionsteam geprüft und weitgehendst in das Leitbild eingearbeitet. In der darauffolgenden Gemeinderatssitzung wurde sodann das Leitbild, Fassung Nr. 1, im Jahr 1988 nach eingehender Diskussion einstimmig von den Mitgliedern des Gemeinderates beschlossen. In einer Bürgerversammlung wurde das Leitbild der gesamten Bevölkerung präsentiert“ (ebd.:11). Zu den beständigen Werten und einer stetigen Entwicklung zählen: „Langfristig und nachhaltig. Identität – „sich daheim fühlen“. Selbstversorgung und Nähe. Eigenverantwortung, Partnerschaft und Solidarität. Bürgerbeteiligung und Patentschutz der Ideen. Neue politische Kultur. Von der Vision zum Handeln“ (:4-5). In der Broschüre „Der Steinbacher Weg“ wird die Leitbildentwicklung kommentiert: „Der Leitbildprozess bewirkte eine grundlegende Änderung des Selbstverständnisses der Gemeindepolitik. Die Weichen für einen Ü b e r g a n g v o m r e i n e n V e r w a l t e n z u m v o r a u s s c h a u e n d e n G e s t a l t e n wurden gestellt. Im Mittelpunkt standen nicht mehr die Probleme, sondern die Ziele“ (:9; Hervorhebung KE). In der Broschüre wird folgende Frage aufgeworfen: Was kennzeichnet den Wechsel von der ‚zufälligen’ zur ‚nachhaltigen’ Entwicklung? „Von der Sachpolitik zur Wertepolitik: ein neues Wertebewusstsein entwickeln, den Widerspruch zwischen Denken und Tun überwinden, Werte leben und wo notwendig, den Kurs wechseln. - Vom Einzelthema zum gemeinsamen roten Faden: neue Qualität der Zusammenhänge herstellen, ökologisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell und geistig entwicklungsfähig bleiben. Von der Ohnmacht zur Eigenständigkeit: eigene Stärken erkennen und nutzen, den Aufbruch wagen, lokale Innovationen entwickeln … Von der Sorglosigkeit zur Verantwortung im Umgang mit Ressourcen und Möglichkeiten: mit dem natürlichen Erbe, mit Rohstoffen und Energie, mit dem kulturellen Erbe, mit den Menschen, ihren Talenten und Fähigkeiten. Von der Verwaltungseinheit zur Bürgergesellschaft: Menschen ermuntern, sensibilisieren, begeistern, einbinden, befähigen sowie die Beziehungskultur in der Politik, in der Wirtschaft und im privaten Umgang miteinander erneuern“ (ebd.:4-5). 3.3.6. Predigen führt zu einem realistischen Zukunftsbild 515 Eine Kirchengemeinde, die ihren Sendungsauftrag erkannt hat und ergreifen möchte, wird in ähnlicher Weise vorgehen. Sie wird sich besprechen, planen, die Entwicklung umbeten, sie wird sich nach den Menschen umschauen, die sich begeistern und einbinden lassen, wird ihre Gaben ernstnehmen, usw. 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 516 Auf diese Weise kommt sie zu einen realistischen Zukunftsbild. Alles was hier schwer, zu mühevoll, vielleicht sogar unrealistisch erscheint, bekommt wirklichkeitsnahe Züge, wenn man sich auf einen langen Weg einstellt, der hier zu gehen ist, Schritt für Schritt, wenn man sich bewusst einen großen Zeitraum vorstellt, in dem die zu entwickelnden Maßnahmen vorgenommen werden. Sobald die Dinge auf konkrete Schritte und Handlungsweisen zugehen, ist eine unverbindliche Verkündigung ohne Ziel und ohne roten Faden nicht mehr denkbar. Durch Konkretion, durch die Verleiblichung und Umsetzung des Erkannten ändert sich vieles, um nicht zu sagen fast alles in der Gemeinde: Das Denken ändert sich, das Beten, die Gespräche, der Umgang miteinander, das Engagement, das Gemeindeklima und nicht zuletzt – die Verkündigung. 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel Mit dem sendungsorientierten Zusammenspiel des Gebers und der von ihm mit Charismen begabten Gemeinde mit ihren Dienstgruppen und Kreisen ist das entscheidende, theologisch bedeutsame Gemeindeziel erreicht. Auf die sendungsorient ier te Gemeinde läuf t Got tes Absicht hinaus. Sie is t es , in der a l le zusammenspielen - auf die got tgewoll te Sendung hin. In der sendungsorientierten Gemeinde hat Gott die Schar, die er einsetzt, der Welt den Erlöser zu verkündigen – und das in Wort und Tat. Was bei der Abrahamverheißung von Jahwe her beginnt, sich in den Sendungen Israels, des Sohnes, des Geistes und der Jünger (Mt 28,18-20) fortsetzt, führt mit innerer Konsequenz auf das zielgerichtete Zusammenwirken der mit Charismen begabten Gemeinde unter dem Vorzeichen der Sendung. Nach der Heiligen Schrift alten und neuen Testaments gibt es auf Erden nichts Gottgefälligeres als die Gemeinde, die ihre Sendung ergreift. Alles Handeln Gottes strebt wie im breiten Gefälle eines gewaltigen Stromes auf sie zu. Die sendungsorientierte Gemeinde ist es, durch die der Dreieinige auf Erden sein Heilandswerk betreibt. In Parallele zur Theonomen Reziprozität beim Werden der Predigt geht es nun um eine T h e o n o m e I n t e r d e p e n d e n z , die von Gott gewollte und veranlasste gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem ewigen Retter und der zum Rettungshandeln berufenen Gemeinde. Die zum Rettungshandeln berufene Gemeinde k a n n nicht ohne den Retter sein und der Retter w i l l nicht ohne 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 517 seine zur Rettung berufene Gemeinde sein. So ist das sendungsorientierte Zusammenspiel zunächst von der Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde bestimmt, einer Beziehung zur Ehre Gottes, zur Freude und Stärkung des Leibes Christi und zum Heil der Welt. Hier ist nun der spirituelle Reichtum der Kirche an Liturgie und Anbetung, an stiller Kontemplation und betrachtendem Gebet, an Gebetsgemeinschaften und Meditation in den gewaltigen missionarischen Strom hinein gegeben. Nun stehen auch das Liturgische, Soziale und Evangelistische nicht mehr gegeneinander. Sie stehen in ein und demselben Zusammenhang unter dem einen Vorzeichen der Rettung der Verlorenen, gehen gemeinsam in die gleiche Richtung, die Richtung der sendungsorientierten Gemeinde zur Ehre Gottes und dem ewigen Heil der Menschen. Da gibt es keinen Kraftverlust und keine Zeitverschwendung mehr durch unnötige innerkirchliche Grabenkämpfe, kämpfen sie doch gemeinsam für das gleiche große Ziel. Nun werden die dringlichen Mahnungen des NT zur Einheit erst richtig verständlich. Das ist die Absicht des dreieinigen Gottes: Die durch den sendenden Christus berufene Gemeinde wirkt als Gesandtschaft und Stadt auf dem Berge einträchtig zusammen zum Segen „aller Völker“ (Gen 12,3; Mt 28,19). Das charismatische Zusammenspiel der Gemeinde in der Sendung Jesu hat in mehrfacher Hinsicht heilsgeschichtlichen Rang: 1. Es stellt das von Ewigkeit her intendierte Ziel Gottes mit der Gemeinde dar (Eph 1,4). 2. Im charismatischen Zusammenspiel der Gemeinde bildet sich das Wesen des Dreieinigen ab, das uns dargestellt ist, als ein innergöttliches Zusammenwirken von Ewigkeit her (Mk 1,10-12). Wird der Gemeinde verkündigt, dass ihr Zusammenspiel in Einheit, gerichtet auf das hohe Ziel der Rettung von Menschen, ein Abbild der Trinität darstellt, mag sie ermessen, welche Würde ihr verliehen ist und welch hohe Bedeutung ihrem Zusammenwirken zukommt. 3. Das Zusammenspiel der Begabten ist ein Widerhall auf das hohepriesterliche Gebet Jesu „dass sie alle eins seien“ (Joh 17,21) und auf die von den Aposteln angemahnte Einheit der Gemeinde (Eph 4,1- 6; Phil 4,2). 4. Das gabenbewusste, sendungsorientierte Zusammenspiel ist die Konsequenz aus dem Sendungsauftrag. Im sendungsorientierten Zusammenspiel der Charismen realisiert sich der Auftrag Jesu an der Gemeinde zur Rettung vieler. 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 518 Das sendungsorientierte Zusammenspiel ist also kein Reigentanz, bei dem sich jeder einzelne und alle zusammen um sich selber drehen. Es ist ein Kampf gegen die Mächte des Versuchers, der dem Reiche Gottes widersteht. Dieser treibt sein Werk bekanntlich weniger außerhalb der Kirche, als innerhalb von ihr, oft in den Herzen der Gemeindeglieder und dort bevorzugt in den Herzen der berufenen Leiter, hat er sich doch an Christus selber herangemacht (Mt 4,1-11). Es ist ein Kampf, der Wachsamkeit und vollen Einsatz fordert. Vor allem aber ist es ein Kampf um Christi willen, der um und für die Menschen geführt wird, die für das Reich Gottes zu gewinnen sind, ein Kampf, der natürlich auch hohe gesellschaftspolitische Bedeutung hat. Der Kampf erfordert Konzentration der Kräfte und liebevolle Ideen. Er ist nur mit geistlichen Waffen, wie Liebe, Glaube, Hoffnung, Sanftmut, Demut, Geduld etc. zu führen (2.Kor 10,4). Jedes Glied der Gemeinde ist dazu wichtig und wird gebraucht. Die Gemeinde ist ein Kunstwerk, wie unser Leib ein Kunstwerk ist. Jedes einzelne Glied ist ein Geschenk an den Leib. Und dann das zielgerichtete Zusammenspiel aller in der sendungsorientierte Gemeinde! Jede und jeder hat ihre oder seine persönliche Beziehung zum Herrn Jesus Christus und hat zugleich ihren oder seinen Platz am Leib der Gemeinde, ist im Einsatz für das eine große Ziel. Hier wird das Bild vom Kunstwerk gesprengt. Als Sportfan denke ich an ein Mannschaftsspiel – Fußball. Da geht es um das Zusammenspiel aller, auf das gemeinsame Ziel hin, dass sie alle eint: Tore schießen und siegen. Um bei diesem Bild zu verweilen (mit dem Wissen darum, dass jedes Bild hinkt, „omne simile claudicat“): Man spricht von Fußballvereinen gelegentlich als von der großen „Fußballgemeinde“. Am Toreschießen und siegen sind hier nicht nur die elf besonders dazu begabten Spieler der eigenen Mannschaft beteiligt. Wer sich zur Fußballgemeinde zählt, ist mit ganzen Herzen und allem ihm möglichen Eifer am Siegenwollen dabei. Da sind nicht nur Trainer und Manager, sondern auch Verwaltungsangestellte, Stadionarbeiter, Rasenpfleger, Fanartikelhersteller und Fanartikelverkäufer nicht nur am Sieg hoch interessiert, sondern aktiv handelnd in das Gesamtgeschehen eingebunden und daran beteiligt. Auch die Zuschauer sind keine passiven Herumhänger. Sie sind vor, während und nach dem Spiel äußerst engagiert und aktiv. Auch Kinder helfen 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 519 begeistert mit. Sie drücken die Daumen; ganz fest. Manche Knirpse beten. Die Väter, auch viele Mütter opfern mit Freuden Zeit und Geld, um zum Sieg beizutragen. Viele der so Beteiligten können selber gar nicht Fußball spielen. Dennoch haben sie ein Herz für den Fußball und setzen alles dafür ein. Mit ihrem Einsatz an Zeit und Geld und dem Ansporn ihrer Mannschaft machen sie den Sieg erst möglich. Nicht alle können Tore schießen (ohne Bild: nicht alle können evangelisieren und Menschen zu Jesus führen, es geben aber alle, was sie geben können, alle stehen begeistert hinter dem großen Ziel). Alles Wünschen und Wollen, alle Gedanken, Aktivitäten und Einzelaktionen stehen in dem großen Zusammenhang, unter dem einen Vorzeichen: „Wir wollen siegen!“ Und wenn dann die Tore der Heimmannschaft fallen, ist der Jubel groß. (Ohne Bild: Der Jubel für das Gewinnen eines Sünders, der umkehrt, reicht von der Gemeinde bis in den Himmel: „Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut …“ [Lk 15,7]). Wir spüren die Begeisterung des Paulus, wenn er an die Gemeinde denkt, aber auch – seine Sorge um die Einheit der Christen. Mit den Gemeindegliedern ist es halt anders als mit den Gliedern am menschlichen Leib. Letztere kennen keinen Hochmut der besonderen Glieder gegenüber den einfachen. Niemand stellt sich über die anderen. Es ist wahr, das Auge ist feiner gewirkt als die Hand, das Ohr komplizierter als der Fuß. Und doch: Was wäre der Leib ohne Hand und Fuß? Die schwächeren Glieder sind für den Leib unverzichtbar. Da ist kein Raum für Kleinmut. Wenn auch eine individualistische Engführung dem ntl Gemeindegedanken zuwiderläuft, werden die einzelnen Glieder mit ihren Charismen nicht etwa übergangen. Paulus will, dass jedes Glied in seiner Besonderheit geachtet und eingebunden wird und - dass den geringeren Gliedern besondere Ehre zukommt, „damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit“ (1. Kor 12,25-26). Der Leib Christi ist durch Glieder, die dominieren oder sich verweigern, gefährdet. Keines soll sich überheben und keines soll sich minderwertig vorkommen. Das lähmt den Leib und behindert damit den Auftrag schwer. „In der Gemeinde gibt es die Starken und die Schwachen, Edlen und Unedlen, Weisen 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 520 und Törichten, das Gestaltete und Ungestaltete. Keiner darf nach 1. Kor 12,21 zum anderen sagen: Ich bedarf deiner nicht“ (Käsemann [1960]19706:120). Der Apostel lässt die Gemeinde wissen, wie sehr auch er ihrer bedarf: Darum wendet er sich unentwegt an sie. Er braucht ihre Fürbitte (Röm 15,30; Eph 6,18- 19) und betet selber für sie (Eph 3,14-21 u.ö.). Er sucht die Gemeinschaft mit den Mistreitern und betet darum, zu ihnen zu kommen: „Denn mich verlangt danach, euch zu sehen, damit ich euch etwas mitteile an geistlicher Gabe, um euch zu stärken, das heißt, damit ich zusammen mit euch getröstet werde durch euren und meinen Glauben, den wir miteinander haben“ (Röm 1,9-12). Paulus sucht die gegenseitige Unterredung und Tröstung der Brüder (Schmalkaldische Artikel, III.). Käsemann ([1969] 19706:113) betont, dass in Röm 1,11 die mutua fratrum consolatio als W i r k u n g d e r C h a r i s m e n zu sehen ist! So manifestiert sich „in der Solidarität der Charismen und Charismatiker die Einheit des Christusleibes, die nichts anderes als die Herrschaft des Christus in und über allen seinen Gliedern ist.“ Welche Bedeutung die Charismen für den Apostel haben, wird an seiner Charismenlehre deutlich: An ihr wird nicht weniger als seine theologische Grundkonzeption sichtbar: „D i e C h a r i s m e n l e h r e d e s P a u l u s i s t n i c h t s a n d e r e s a l s d i e P r o j e k t i o n d e r R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e i n d i e E k k l e s i o l o g i e h i n e i n und macht als solche deutlich, dass eine bloß individualistische Interpretation der Rechtfertigungslehre vom Apostel her nicht legitimiert werden kann“ (Käsemann ebd.:119; Hervorhebung KE). Das heißt: Auch die Gestalt und Ordnung der Gemeinde, das Zusammenspiel ihrer Charismen, wird soteriologisch und ekklesiologisch begründet. Beharrlich wird wiederholt, dass Gott einem jeden eine Gabe gibt (Röm 12,3; 1. Kor 3,5; 10; 12,7; Eph 4,7). „Jeder hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so“ (1. Kor 7,7). Hier wird nicht nivelliert und gleich gemacht. Jeder und jede hat sein oder ihr eigenes Gabenprofil. Gibt Gott einem jeden, wie er will, so gibt er die Gaben nicht zur Selbstherrlichkeit des einzelnen. Die Gaben sind füreinander da und alle zusammen für die Sendung, in die der Herr die Gemeinde stellt. 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 521 „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: wenn jemand predigt, dass er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus“ (1. Petr 4,10). Jeder kommt dem anderen mit Ehrerbietung zuvor (Röm 12,19; Phil 2,3; 1. Petr 5,5). Eindringlich mahnt der apostolische Schreiber: „Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi“ (Eph 5,21). All das sind Ermahnungen und Maßnahmen, die darauf zielen, ein Miteinanderwirken der Gaben zu gewährleisten. Käsemann weist zu Beginn seines Kommentars über den Römerbrief daraufhin, dass criv bei Paulus „keineswegs primär eine göttliche Eigenschaft ist … also gut griechisch die Huld, konkret die freie Liebe Gottes meint. Fast durchweg gilt sie als Heilsmacht, die sich in bestimmten Gaben, Taten und Bereichen objektiviert und in den Charismen geradezu individualisiert“ (Käsemann 1974:12). Die criv wird praktisch in den Charismen, die in den Dienst der Heilsmacht, also der Rettung der Menschen gestellt sind. Das Verhältnis von Gemeinde und Amt wird bei Paulus ebenfalls vom Charismagedanken her bestimmt. Wo alle Charismatiker sind, kann es keine besonderen heiligen Personen wie im Judentum oder den heidnischen Religionen mehr geben. Alle Gläubigen, die sich zur Gemeinde halten, werden als „die Heiligen“ angesprochen (Röm 1,7; 12,13; 15,25-26; 1. Kor 1,2 u. ö.). Alle glaubenden Getauften sind Träger eines Dienstes. Das kommt besonders 1. Petr 2,9 zum Ausdruck: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, d a s s i h r v e r k ü n d i g e n s o l l t d i e W o h l t a t e n d e s s e n , d e r e u c h b e r u f e n h a t von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ Käsemann ([1969] 1970:123) zieht den Schluss: „Wo man die Machttaten des Christus proklamiert, befindet man sich in konkretem Gegenüber zur Welt und zwar in offizieller Mission. Man treibt das ministerium verbi divini, die diakon°an tÒv katallagÒv von 2. Kor 5,18. Man treibt es jure divino: Es ist jedem Christen übertragen und geboten, wenn er nicht aufhören soll, ein Christ zu sein.“ 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 522 Dem ist theologisch zuzustimmen. Dennoch bergen Käsemanns Sätze in unserer kirchlichen Lage die Gefahr, gesetzlich missverstanden zu werden. Wir haben noch nicht die Gemeinde der Könige und Priester (s. 2.1.6.). Das „Volk des Eigentums“ ist bei uns Gegenstand des Glaubens, nicht der Erfahrung. Christsein spielt sich meistens in der Vereinzelung ab, d. h. die Gemeinden stellen eine Ansammlung von Christen dar, die in der Regel die Zurüstung der Heiligen zum Werk des Dienstes (Eph 4,11) nie erfahren haben. Von solchen geistlich unmündig gehaltenen Einzelnen zu erwarten, was im NT der Gemeinde als Ganzer gesagt wurde, nämlich, dass ihr der Dienst am Worte Gottes „übertragen und geboten“ ist, kann Beklemmungen auslösen. Käsemann verlangt von dem einzelnen Glied, was es nur im engen Verbund mit der sendungsorientierten Gemeinde sein kann. Indem er das bei uns fehlende Ganze übersieht, erdrückt er mit seiner „biblischen“ Forderung die Teile. Alles ruft also danach, dass wir anfangen, geistlich mündige Gemeinde zu werden, damit solche ntl begründeten Worte nicht mehr gesetzlich verstanden werden können, sondern als ermutigende, indikativische Rede im Kontext des Evangeliums, wie sie im NT gemeint sind. Das charismatische Gemeindebild des Paulus findet sich in den Pastoralbriefen und bei Lukas so nicht. Wir hören von Presbyterien, Ordnungen, Ordinationen, in denen der Geist durch Handauflegung vermittelt wird (Apg 6,6; 1. Tim 4,14). Beginnt hier schon ein Stück kirchlicher Bürgerlichkeit? Wir können diese Veränderungen nur aus der weiteren Entwicklung der Umgebung der Gemeinde verstehen: Die Wiederkunft des Herrn verzögert sich. Die Gnosis macht der Gemeinde zu schaffen. Sie muss sich abgrenzen. „Nun muss man sich des Enthusiasmus erwehren, indem man die Lehre und Leitung zuverlässigen Händen anvertraut, ein festes Amt schafft, an welchem fremde Ansprüche sich brechen …“ (Käsemann: ([1969] 1970:129-130). Die unterschiedlichen Vorstellungen von Gemeinde haben sich bis in unsere Zeit hinein erhalten. Weltweit finden sich lockere freikirchliche, charismatische Gebilde. Ihnen stehen streng geordnete gegenüber bis hin zur hierarchischen Katholischen und Evangelischen Kirche. Alle Formen repräsentieren die christliche Gemeinde in dem Maße zu Recht, wie sie im Glauben an Christus und im Gehorsam gegen ihn ihre Sendung ergreifen. Wir sahen: Jede Gemeinde, sei 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 523 sie hochkirchlich vornehm zurückhalten oder pfingstlerisch enthusiastisch, steht unter dem Doppelgebot der Liebe und damit unter dem Missionsbefehl. Das wird die Gemeinde, in welcher Form sie auch existiert, dann verwirklichen, wenn sie ihren Reichtum an Gaben für ihre hohe Aufgabe fruchtbar macht. Die Frage: „Sind wir Gemeinde nach dem Willen Gottes!“ wird nicht durch den Hinweis auf eine Denomination, Form oder Ordnung der Gemeinde beantwortet, sondern vom Liebesgebot her, das in sich missionarisch ist. Orientiert sich die Gemeinde - welcher Form auch immer - nicht an der Sendung, geht ihr verloren, was die Sendung impliziert, der Segen des Allerhöchsten, die Freude an der Umkehr neuer Freunde. Nach dem NT fällt sie dem Gericht anheim. Wenn sie alles hätte, aber die Liebe zu den Verlorenen nicht, dann wäre sie nichts (1. Kor 13). Nächstenliebe, Liebe überhaupt, ist – wie wir sahen -in der Hl Schrift vor allem Retterliebe (Joh 3,16; Lk 19,13). Diese Liebe wirkt sich aus bis in die Kirchengestalt. Die Botschaft der Kirche ändert sich nicht. Die Umwelt der Kirche aber ändert sich ständig. Will die Gemeinde den Menschen ihrer Umwelt das Evangelium verkündigen, wird sie nicht nur die Art und Weise der Vermittlung ändern. Sie wird auch ihre Ordnung und Gestalt den Veränderungen anpassen, will sie doch den zu gewinnenden Menschen eine geistliche Heimat bieten, die ihnen hilft, ihrerseits Zeugen des Auferstandenen zu werden. Findet jemand neu zur Gemeinde nach dem Willen Gottes, wird er oder sie Glied an einem Leib. Man bleibt kein christliches Einzelwesen in einer mit ihren Aktivitäten auf sich selbst bezogenen Gruppe. Die Gemeinde repräsentiert kein Christentum der Teile. Sie ist ein Ganzes. Ohne dass Neugewonnene aufhören, besondere Einzelne und von Gott geliebt zu sein, werden sie Glieder des Christusleibes, d. h. ihnen wird höchste Ehre zuteil und zugleich werden sie in die Gemeinde eingebunden, mit all den schon vorhandenen Gliedern zusammengefügt und auf diese Weise in einer ihnen wohltuenden Weise begrenzt. So erbaut sich die Gemeinde. - K. Barth sagt: „Erbauen heißt Z u s a m m e n f ü g e n . Das ist es, was Gott, was Jesus tut, was dann auch die Apostel und die Charismatiker tun, was letztlich, ist sie wirklich Kirche, die ganze Gemeinde in allen ihren Gliedern tut. Da ist eine Vielheit von Menschen, versammelt d u r c h die Verkündigung des 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 524 Evangeliums, und d a m i t dieses in der Welt durch sie verkündigt werde. Diese Menschen bedürfen dessen, zusammengefügt und so als G e m e i n w e s e n , als ein zu einmütiger Aktion befähigtes V o l k konstituiert, begründet und erhalten werden“ (K. Barth 1964, KD IV, 4/2:718). So kommt es zum Wachsen der Gemeinde. Dennoch kann, was Barth einige Seiten später zu diesem Wachstum schreibt, nicht befriedigen. Er unterscheidet zu Recht zwischen einem extensiven und einem intensiven Wachstum (:728-747). Nach ihm wächst die Gemeinde „in einer ihr souverän eigenen Macht und Art, und nur indem sie das tut, wird sie dann auch gebaut, erbaut sie sich dann auch selber“ (:729). Diese Auffassung begründet Barth mit den Gleichnissen von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-30) und dem Senfkorn (Mk 4,30-32). Das Reich Gottes auf Erden wächst wie eine still wachsende Saat. Gemeinden in unseren Zonen aber erleben das Gegenteil. Sie wachsen nicht still vor sich hin, sie verwelken. Es mutet an, als sei das, was gesät wird, nicht Reichgottessaat. Die Gemeinden drohen zu sterben. Die Volkskirche erscheint als „Auslaufmodell“ (Neubauer 1994). Ergeht es ihr wie den einst blühenden Gemeinden Kleinasiens, die verschwunden sind? Ist die Geschichte der Gemeinde wirklich „die Geschichte eines aus sich selbst wachsendes Subjektes“? (Barth 1964, KD IV, 4/2:729). Wohl verweist Barth positiv auf das numerische Wachstum der Gemeinde, wie es die Apg berichtet. A b e r : „Das eigentliche Wachstum, das das Geheimnis der Erbauung der Gemeinde ist, ist nicht ihr extensives, sondern ihr i n t e n s i v e s , ihr vertikales, in die Höhe und in die Tiefe strebendes Wachsen“ (:733). Das extensive Wachstum, wenn es dabei mit rechten Dingen zugehe, beruhe auf dem intensiven. Es werde vermeintliche Stillstände und Engpässe geben, schon Geglaubtes, Erkanntes, Errungenes oder Geschenktes werde wieder aus der Hand genommen, das alles nun doch „damit sie wirklich wachse, zunehme, größer werde“ (:735). Dieses Wachsen und Größerwerden aber beruhe auf der in ihr wohnenden Kraft: „Die Kraft, in der die Gemeinde wächst, ist die ihr innewohnende Lebenskraft“ (:736). „Als Mittel zum Zweck einer extensiven gebraucht, würde die intensive Erneuerung sofort ihren Sinn und ihre Kraft verlieren. Sie will nun gerade um 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 525 ihrer selbst willen vollzogen sein, um dann – aber ungeplant und nicht auf Bestellung! – auch ihre Früchte zu tragen“ (:733). Ist Barth verborgen, dass sich die „intensive Erneuerung“ ohne die Spannung und Auseinandersetzung, in welche die Sendung zur Rettung von Menschen führt, leicht in geistlichen Hochmut verwandelt? Was soll eine intensive Erneuerung „um ihrer selbst willen“ bedeuten? All zu schnell macht sich die Gemeinde nach solcher ihr genehmen Darlegungen an die Pflege ihrer Innerlichkeit, aufgrund der ihr innewohnenden - Trägheit. Verräterisch ist hier das „ungeplant“, als ob sich intensive Erneuerung und Gemeindeplanung ausschließen. Im Gegenteil, ich halte dafür, dass sorgsame Planung und intensive Erneuerung in der sendungsorientierten Gemeinde zusammengehören (s. Seitz 1985:9-14; Eickhoff 1992:278-309). Barts Erörterungen an dieser Stelle sind wenig hilfreich, sie leisten einer fiktiven Kirche Vorschub. Eine unfruchtbare Diskussion eines Hin und Her von intensivem und extensivem Wachstum kennt das NT nicht. Zwar beschreibt es beide Wachstumsweisen, schwächt aber die eine gegenüber der anderen nicht ab. Im Gegenteil, die der Gemeinde innewohnende Kraft ist auf das Sendungsziel gerichtet: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde“ (Apg 1,8). Das Gedankenspiel, inneres Wachstum dürfe nicht Mittel zum Zweck eines äußeren Wachstums werden, konstruiert eine Situation, die bei uns alles andere als eine Gefahr darstellt. Solch ein Konstrukt lenkt vom Auftrag ab, der der Gemeinde gegeben ist. In der Tat, sie hat nicht ihr eigenes Wachstum im Sinne eines Selbstzwecks zu suchen. Sie hat aber zu hören und zu tun, was der Herr sagt: „Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde“ (Lk 14,23). Wenn wir Gemeinden wären, denen es vor lauter blindem missionarischem Eifer nur noch um ihr numerisches Wachstum ginge, die darüber Gefahr laufen, ihren Herrn und damit ihre Seele zu verlieren (Lk 12,21), machte Barths Paraklese Sinn. Unsere Situation ist eine andere. Einer Kirche, der die Leute davonlaufen, steht es schlecht an, vor extensivem Wachstum ein Warnlicht aufzustellen. Wir haben 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 526 kein Recht, extensives Wachstum zu relativieren, solange wir die Sendung zum Heil der Menschen verleugnen und Kirchenaustritte an der Tagesordnung sind. Ergeben sich die Defizite der Gemeinde vornehmlich aus der Relativierung bzw. Ignorierung der Sendung, brauchen wir den gemeinsamen Willen zur R ü c k k e h r z u r S e n d u n g s t h e o l o g i e d e r H e i l i g e n S c h r i f t . Wir werden die Erfahrung machen, dass sich die Gemeinde, sobald sie im Sinne der Sendung aufbricht, durch die Kraft des Geistes wandelt. Christus jedenfalls traut ihr Großes zu. Wir brauchen Ausrichtung auf angemessene, sendungsorientierte, kurz- mittel und langfristige Ziele, das Gehen entsprechender Wege, in kleinen Schritten und - einen langem Atem. Das Ernstnehmen und Aufgreifen der faszinierenden Gabe und Aufgabe, Menschen für die Ewigkeit zu gewinnen und ihnen auch in ihren irdischen Nöten beizustehen, schweißt die Gemeinde mit ihren Gliedern zusammen, verbindet sie untereinander, erweckt ihre Charismen, bringt sie zum Erblühen. Die Gemeinde samt ihren Gliedern wird an ihrer und durch ihre Aufgabe wachsen. Der Sendungsauftrag nimmt der Gemeinde nichts, sondern beschenkt sie vielmehr. Von ihr wird in erster Linie nicht etwas gefordert. Sie wird in erster Linie beschenkt und durch die darauf folgende Herausforderung nachhaltig gefördert. Die Gemeinde, die sich senden lässt und damit in den Kampf eintritt, der ihr verordnet ist (Hebr 12,1), wird Störfeuer erleben. Jesus sendet seine Gemeinde wie Schafe unter die Wölfe (Mt 10,16). Paulus sagt den Ältesten von Ephesus: „Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen, die die Herde nicht verschonen werden“ (Apg 20,29). Falsche Propheten treten in der Gemeinde auf. Der Bergprediger warnt vor ihnen: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Mt 7, 15-16). Reisende falsche Propheten treiben auch bei uns in missionarischen Gemeinden ihr Unwesen. Da kommt es, wie mir in einem Fall vor Augen steht, zum Erliegen einer hoffnungsfroh begonnenen missionarischen Arbeit. Man wollte eine geistliche Oase für Fernstehende sein und zieht sich plötzlich auf eine falsche Innerlichkeit zurück. Eine Schar von motivierten Christen verkommt zu einer unbedeutenden „charismatischen“ Sekte. 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 527 Oder es stehen Machtmenschen mitten aus der Gemeinde auf und stiften Verwirrung. Auch das ist nicht neu. In seinem 3. Brief erwähnt Johannes einen Diotrephes (Verse 9-10): „Ich habe der Gemeinde kurz geschrieben; aber Diotrephes, der unter ihnen der Erste sein will, nimmt uns nicht auf. Darum will ich ihn, wenn ich komme, erinnern an seine Werke, die er tut; denn er macht uns schlecht mit bösen Worten und begnügt sich noch nicht damit: er selbst nimmt die Brüder nicht auf und hindert auch die, die es tun wollen, und stößt sie aus der Gemeinde“ Diotrephes gehörte der Gemeinde an, gehörte wohl sogar zu den Leitern. Er war kein Irrlehrer, aber wirkte aufgrund seines Machtgebarens verheerend in der Gemeinde. Kessler schreiben treffend: „Vergleicht man die johanneische Beschreibung der damaligen Situation mit Beobachtungen in heutigen Gemeinden, ergeben sich erstaunliche Parallelen. Die Methoden des Diotrephes werden nach wie vor benutzt und wirken auch heute! Es ist nicht das einzelne Symptom, das einen Menschen als Machtmenschen kennzeichnet, sondern die Summe der Symptome. Nicht jeder, der schlecht über andere redet, ist ein Machtmensch, aber es ist typisch für Machtmenschen, dass sie andere verunglimpfen“ (Kessler 2001:16). Wie gestaltet sich das Zusammenspiel zwischen geistlich mündigen Führungspersonen der Gemeinde und den geistlich mündigen Geführten? Geistlich mündige Führungspersonen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Aufgabe als Dienst und nicht als Herrschaftsausübung verstehen. Geistliche Autoritäten wollen nichts für sich selbst. Sie wollen alles für ihren Gott. Darum sind sie frei von Machtgelüsten, frei vom Druck, für sich selbst etwas zu gewinnen. Königliche Freiheit gehört zum Wesen geistlicher Führungspersonen, zum Wesen der königlichen Priesterschaft (1. Petr 2,9). Dienend führen oder leiten, heißt – das große Ziel vor Augen - helfen, zurechtbringen, auch ermahnen, zu dem Zweck, dass die Glieder und ihre Gaben um Gottes willen erblühen. Geistlich mündige Geführte zeichnet selbständiges Denken aus, Mitverantwortung, Mitwirken, qualifizierte Rückmeldung, interessierte Nachfrage, hilfreiche Korrektur, konstruktiven Widerspruch. In der Gemeinde des Priestertums aller Gläubigen lernen nicht nur die Geführten von den Führenden, es lernen auch die Führenden von den Geführten. Beide wachsen so sehr 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 528 zusammen, dass die Führenden wohl Erste unter Gleichen, aber nicht einsame Erste sind. Im volks- und freikirchlichen Raum erlebe ich Gemeinden und ihre Pastoren selten als eine Schar von - im guten Sinne – zufriedenen Menschen. Sie sind entweder selbstgefällig oder unzufrieden. Selbstgefällig sind jene, die sich im Gemeindeghetto eingerichtet und ihren status quo vor allen Infragestellungen erfolgreich verteidigt haben. Unzufrieden sind die Gemeinden, die von der Möglichkeit sendungsorientierter Gemeindeentwicklung zwar wissen, sich davon aber noch weit entfernt sehen. Anstatt dass Letztere sich die Zeit nehmen, ihre Lage gründlich zu bedenken und konstruktive Konzepte zu entwickeln, lassen sie sich oft vom Hergebrachten und gerade Anfallenden fesseln und „wurschteln“ planlos dahin. Ist auch der Pastor von der Unzufriedenheit erfasst, wirkt sich das auf seine Verkündigung aus. So ist denn der Tenor vieler Gemeindepredigten ausgesprochen oder unausgesprochen: „Tut doch was!“ W a s zu tun ist, wird nicht gesagt. Der Pastor und seine Mitarbeiter wissen es selber nicht. Sie haben darüber nicht nachgedacht, geschweige denn gesprochen. Hier sei an den „Steinbacher Weg“ erinnert (3.3.4). Man blieb nicht in den guten Gedanken stecken, sondern setzte Erkanntes Schritt für Schritt in praktische Maßnahmen um. Die meisten Gemeindeglieder möchten sich von Herzen gern an die der eigenen Gabe entsprechende Aufgabe hingeben. Die Führung der Gemeinde ist dafür verantwortlich, ein Konzept zu entwickeln, das allen Gliedern innerhalb der Sendung ein Betätigungsfeld für ihre Gaben bietet. Helfende Literatur dazu gibt es (Schwarz 1984; Seitz 1985; Herbst 1987; Möller 1987, 1990; 1990; Sorg 1987; Eickhoff 1992; Schwarz/Schalk 1997; Schock 2004). Die Gemeinde setzt die Erkenntnis, dass Gott mit ihren Gaben zu verherrlichen ist, in konkretes Handeln um: „Handelt damit, bis ich wiederkomme! (Lk 19,13). Dazu bedarf sie einer m i s s i o n a r i s c h e n I n f r a s t r u k t u r , die schrittweise zu entwickeln ist. Das ist ein Netz von Führungspersonen, Dienstgruppen und Hauskreisen (Eickhoff 2000), das geeignet ist, neu zu gewinnende Freunde (Kinder, Teenager, junge Erwachsene, Erwachsene in der Lebensmitte oder Senioren) zu integrieren. Sie leitet auf verschiedenen Ebenen Maßnahmen zur Gewinnung von Menschen ein. 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 529 Die Gemeinde hat also mehr als ein System der permanenten und kontingenten Evangelisation zu entwickeln, sondern eine Struktur, in der ihre Leiter leiten und andere lehren, wie man leitet, in der die apostolisch und prophetisch Begabten dienen und andere zurüsten zum entsprechenden Dienst, in der Evangelisten ihre Gabe betätigen und multiplizieren, eine Struktur in der die Lehrer lehren und zu Lehrern ausbilden, in der Seelsorger tätig sind und andere zu solcher Tätigkeit anleiten, in der die kybernetisch Begabten steuern und organisieren und die dazu ebenfalls Begabten lehren, es zu tun. In missionarische Hauskreise werden Menschen eingeladen, die etwa zum monatlichen „Offenen Abend“ gekommen waren (Wenzelmann [1968] 1973). Missionarische Hauskreise sind wie ein Netzwerk untereinander durch Zusammenkünfte der Leiter und gelegentliche gemeinsame Treffen aller, verbunden. Gemeindeleitung, Chor, Frauen- Männer- Kinder- und Jugendkreise, wenden sich mehr und mehr den Menschen in ihrem Umkreis zu. Es geht um Einzelne und Gruppen der Gemeinde im wechselseitigen Zusammenspiel. Da ist ein Hin und Her an Inspiration und Einflussnahme, an Wort und Antwort, an Ruf und Rückruf an Darstellung und Ergänzung in Wort und Tat. Sendungsorientiertes Zusammenspiel ist lebendiges Lernen, das individuelle, zwischenmenschliche, gemeindliche und sachliche Aspekte zu einem Zusammenwirken vereint, das nicht nur vordergründig intellektuell zu verstehen ist, sondern Kopf, Herz und Hand gleichermaßen für wichtig hält und einbezieht. Dabei ist nicht zu übersehen, wie sehr die innergemeindliche Prägung (Tradition) und das außergemeindliche Umfeld (Säkularisation) auf das Geschehen einwirken. Sendungsorientiertes Zusammenspiel zielt auf Veränderung bisheriger Bewertungen, sowie auf Veränderung des bisherigen Verhaltens im Namen des Herzensanliegen Gottes, der Sendung. Damit ist als Nebenwirkung belebende und heilende Wirkung für die Gemeinde selbst zu erwarten (Mt 6,33). Sendungsorientiertes Zusammenspiel meint ein kommunikatives Geschehen. Die Gemeinde könnte von der „Themenzentrierten Interaktion“ lernen (Langmaack 2001). Nur geht es in der Gemeinde im Grundsätzlichen nicht um ein beliebiges Thema, dass sie sich selber sucht. E s g e h t u m d i e T a g e s o r d n u n g , d i e C h r i s t u s d e r G e m e i n d e v o r g e s c h r i e b e n 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 530 h a t . Gottes Sendung als Gabe und Aufgabe ist in die Mitte gestellt. Ist die Sendung Vorzeichen der Gemeinde, so leitet die Verkündigung wohlüberlegt und situationsbezogen zu diesem Ziel, fasst es immer wieder neu in mutmachenden Predigten ins Auge und schaut darüber hinaus auf den wiederkommenden Herrn, der sie sendet. Die derzeitige „normale“ Gemeinde hindert ihre Glieder in der Regel daran, zum Glauben zu finden, auf den Wiederkommenden zu schauen, ihr Gabenpotential zu entdecken und zu entfalten, sie behindert geistliche Identitätsfindung. Dagegen fördert sie spirituellen Autismus, die Behinderung, sich in geistlichen Dingen zurechtzufinden oder auszudrücken. Die „normale“ Gemeinde stellt eine kirchliche Robinsonade dar. Jeder lebt auf seiner Insel und gelangt nur selten an das Ufer eines Mitchristen. Die Gemeinde jedoch, die ihre Sendung entdeckt, erkennt dadurch in einer vorher nicht gekannten Weise ihre Nächsten, die für den Glauben Offenen, die Fragenden, Zweifelnden oder Christus gänzlich ablehnenden Mitmenschen. Sie sieht diese in ihrer besonderen Würde, dass Christus für sie gekreuzigt wurde und auferstand und erkennt ihr besonderes, gottgegebenes Recht von Christus authentisch zu hören. Auch wenn die Menschen sich von dieser Würde her nicht verstehen und sich auf ihr Recht nicht berufen, bestehen die Würde und das Recht trotzdem. Die Gemeinde weiß mit Paulus: „Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen (Röm 1,14). Die sendungsorientierte Gemeinde weiß etwas davon zu sagen, dass Menschen, die durch die Verkündigung des Evangeliums die ihnen geschenkte Würde erkennen, und einen neuen Selbstwert verspüren, mutiger, gelassener, gefestigter werden. Dass sie wertvolle Menschen sind, wird ihnen u. a. auch dadurch gezeigt, dass die Gemeinde sie braucht, sie um ihre Mitarbeit ausdrücklich bittet. Die sendungsorientierte Gemeinde übt sich darin, die Mitmenschen ganzheitlich zu sehen. Sie fragt nach ihren physischen, emotionellen und intellektuellen Bedürfnissen und Erfahrungen, nach Seele und Geist „die nicht voneinander getrennt werden können, sondern immer Facetten der gleichen Einheit Mensch repräsentieren“ (Langmaack 2001:42). 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 531 Die Erfahrung lehrt, dass die Gemeinde, die sich ihrer Sendung stellt, mehr und mehr Christen zur Mitarbeit ermutigt bzw. zur Mitarbeit willige fast magisch anzieht. Welcher Christ möchte nicht Glied einer lebendigen Gemeinde sein und sich selbst mit seiner Gabe einbringen? Es drängt das Charisma doch geradezu darauf, sich entfalten zu können. Angesichts bestimmter Aufgaben kommen die Leute und sagen: „Dazu hätte ich Lust!“ Die Lust, die sich regt, ist meistens der Hinweis auf ein verborgenes, zur Verwirklichung drängendes Charisma. Das sendungsorientierte Zusammenspiel führt in der Gemeinde die verschiedensten Menschen und Charismen zusammen, den Kopfmenschen und den, der sich mehr von emotionalen Eindrücken bestimmen lässt, den religiös enthusiastisch Veranlagten und den gefühlsmäßig gemäßigten Zeitgenossen. Hatten sie vorher kaum intensive Berührungspunkte, stehen sie nun, da die Gemeinde sich auf ihre Sendung einlässt, unter dem gleichen Auftrag, rücken möglicherweise in ein und derselben Dienstgruppe zusammen, haben aufgrund ihrer verschiedenen Gaben jedoch unterschiedliche Lernziele. Die Gemeinde unter dem Vorzeichen der Sendung ist per se ein „lernender Organismus“ geworden. Das setzt bei ihren Gliedern ein hohes Maß an Veränderungswillen voraus, der durch die Verkündigung gestärkt werden wird. Die Leitung der Gemeinde wird in kleinen Schritten vorgehen, um niemanden zu überfordern. Gleichzeitig ist langer Atem vonnöten, Geduld und Beharrlichkeit. Die Gemeinde achtet auf ein ausgewogenes Verhältnis von Kraftempfang und Einsatz der Kräfte, von Arbeit und Ruhe, Geben und Nehmen, Lernen und Ausüben. Ni mand in der Gemeinde beginnt etwas Neues, mit der Frage: „Was muss ich jetzt tun?“ sondern mit der Frage: „Was muss ich jetzt lassen?“ Die verantwortliche Gemeinde fragt: „Was bedeutet es, dass unsere Mitarbeiter ihren Dienst ehrenamtlich tun, ihre freie Zeit einsetzen und opfern? Sie achtet auf das Zeitbudget der Mitarbeiter, auf ihre familiäre und berufliche Situation. Auf den Austausch von Erfahrungen wird Wert gelegt. Information aller über (fast) alles gehört zum sendungsorientierten Zusammenspiel. Fehlentscheidungen resultieren in der Gemeinde oft aus fehlenden Informationen. Konflikte werden möglichst schon im Entstehen angesprochen und einer Lösung zugeführt nach der Weise von Eph 4,26: „Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die 3.3.7. Predigen führt zum sendungsorientierten Zusammenspiel 532 Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“ Auch fromme Gemeindeglieder erleben sich nicht nur in der Kooperation mit anderen, sondern auch in Rivalität ihnen gegenüber. 3.3.8. Predigen führt zur Sammlung der vollendeten Gemeinde 533 Wir sahen, dass die Dynamik der Sendung Jesu von seiner Liebe zu Gott und den Menschen bestimmt war. Auf Grund dieser Liebe war er gehorsam, nicht widerwillig, sich selber zwingend, im Inneren etwas anderes wollend, sondern durch alle Anfechtungen hindurch war er gehorsam „von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt“ und von allen seinen Kräften (Mk 12,30). Zu solchem Liebesgehorsam ist die Gemeinde gern bereit. Liebesgehorsam ist keine messbare Größe und doch entscheidend für das sendungsorientierte Zusammenspiel. 3.3.8. Predigen führt zur Sammlung der vollendeten Gemeinde „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet w i e e i n e g e s c h m ü c k t e B r a u t f ü r i h r e n M a n n “ (Offb 21,1-2). Unsere Sinne und Gedanken werden an die Hand genommen, nach vorn gerichtet: Dieses Leben, das ist noch nicht alles. Gottes Wort ist machtvoll der Vollendung zugewandt. Alles ist durchströmt vom Atem der auf uns zukommenden Ewigkeit. Es ist, als wolle das Wort uns mit Macht ins Himmelreich ziehen – wo wir doch so gerne mit beiden Beinen auf der alten, brüchigen Erde stehen. „Haben wir uns das schon einmal klargemacht, was das ist, dieser Erdboden, auf den wir unseren Fuß setzen, unsere Hochhäuser gründen, unsere Atomexplosionen loslassen? Eine Haut, dünner als eine Eierschale, ausgespannt über einer Feuerkugel. Unser Planet ein Stück gärender, kochender Kosmos, ständig schwankend um seine Achse, in die Leere hinausgeschleudert. Es sieht nicht unbedingt nach Ewigkeit, nach Endgültigkeit aus dieses kühne Provisorium“ (Schütz, 1962:108). Auf einem Provisorium ist die Menschheit unterwegs. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mt 24,35) sagt der Herr. Die Ewigkeit kommt mit Riesenschritten auf uns zu. Wozu war Jesus gesandt? Diese Frage zum Schluss noch einmal zu stellen, scheint überflüssig. Wir haben sie eingehend bedacht: „Zu suchen und zu retten, was verloren ist“, darin bestand seine Sendung. Diese Sendung aber zielt auf und ist hineingenommen in - die g r o ß e S a m m l u n g . Der irdische Jesus wusste sich gesandt auf diese 3.3.8. Predigen führt zur Sammlung der vollendeten Gemeinde 534 Sammlung hin, die großen Ernte (Mt 9,37). Mit einer gluckenden Henne vergleicht er sich, die vergeblich gegackert hat, um ihre Kinder unter ihre Flügel zu locken (Mt 23,37). Die Kinder Israels sind ihm bisher nicht gefolgt, haben sich nicht sammeln lassen. In der Nachfolge Jesu hat die Gesandtschaft Christi Anteil an seiner großen Sammlung! Aber: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut - ka± é mÑ sungwn met@ mo skorp°zei“ (Mt 12,30). Viele unserer Gemeinden sind nur noch verbaliter m i t ihm; realiter sind sie gegen ihn. Weil sie nicht mit ihm sammeln, zerstreuen sie und zerstören sich selbst, was der Niedergang der etablierten Kirchen und ihren Gemeinden zeigt. Paulus spricht von Gliedern der Kirche als von den Feinden des Kreuzes (Phil 3,18) und der Erhöhte an die Adresse der Gemeinde von Sardes: „Du hast den Namen, dass du lebst und – bist tot“ (Offb 3,1). Der „Weizen“ soll in die Scheunen gesammelt werden (Mt 13,30). In dem Jesus die Jünger sendet, in alle Welt zu gehen und alle Völker zu Jüngern zu machen, weist er sie an, die Völker zu sammeln: „Lehrt sie halten, alles, was ich euch befohlen habe“ (Mt 28,20). Sprachen wir von der Sammlung zur Sendung, ist nun von der Sendung zur eschatologischen Sammlung zu reden. D i e S e n d u n g g e s c h i e h t u m d e r g r o ß e n S a m m l u n g w i l l e n , der Zusammenführung des Gottesvolkes. Freytag fragt in seinem Aufsatz „Vom Sinn der Weltmission“ ([1950] 1961: 213-214) nach dem Sinn der „Endzeit“, für die Kirche, der Zeit zwischen Auferstehung und Wiederkunft: „Der Sinn dieser Zeit ist die Sammlung der Gemeinde, die auf den kommenden Herrn wartet … Es wird die Gemeinde gesammelt, die den kommenden Christus als ihren Herrn annimmt, sich in seinen Tod taufen lässt und in ihm ein neues, anderes Leben lebt. U n d z u g l e i c h h a t d i e s e S a m m l u n g d e r G e m e i n d e i h r e n S i n n n i c h t i n s i c h s e l b e r , sondern darin, dass die Botschaft vom kommenden Herrn hingeht durch alle Völker zu einem Zeugnis über sie auf den Tag hin, an dem nur die Kinder des Reiches nicht zuschanden werden. In diesem Sinn ist Mission Zeugnis vom gekommenen Reich auf das kommende hin“ (Hervorhebung KE). 3.3.8. Predigen führt zur Sammlung der vollendeten Gemeinde 535 Das letzte Buch der Bibel nennt die Gemeinde die „Braut Christi“. Johannes, der Seher, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann (21,2). „Diese ‚Stadt’, das Bild der vollendeten Gemeinde … ist und bleibt die heilige Mitte der neuen Gotteswelt“ (Lamparter 19772:149). Die Gemeinde wird sich in der Vollendung nicht auflösen. Sie behält ihre Kontur. Das himmlische Jerusalem ist schon jetzt bevölkert mit denen, die durch das Blut Christi mit weißen Kleidern angetan sind (Offb 7,14): „Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut“ (Hebr 12,22-24). Zu dieser Stadt, der Brautgemeinde, strömen die Völker. Zu ihr einzuladen ist die Gemeinde Jesu berufen, kommt doch alles darauf an, dass die Menschen, nachdem Christus für sie gekreuzigt wurde und auferstand, das Zentrum und Ziel aller Dinge erreichen! „Der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (22,17; 19,7. 21,2. 9). Das alles „zum Lob seiner herrlichen Gnade“ (Eph 1,6). 536 Bibliographie 531 Bibliographie Altmann, Eckhard 1963. Die Predigt als Kontaktgeschehen. Berlin: Ev. Verlagsanstalt. Althaus, Paul 1962. Die Theologie Martin Luthers. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn. Aland, Kurt 1956, (Hg.) Lutherlexikon. Berlin: Ev. Verlagsanstalt. Andersen, Wilhelm [1956]1961. Evangelisches Kirchelexikon. Artikel: Amt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Auel, Hans-Helmar 1999. Der Himmel öffnet sich, und Gott gibt Einblick in sein Kommen. Predigt am 28. November 1999. In Pastoralblätter 11/99 139. Jahrg. Augustinus, Aurelius [1955] 1987. Bekenntnisse. Frankfurt M., Leipzig: Insel. von Balthsar, Hans Urs 1963. Glaubhaft ist nur Liebe. Einsiedeln: Johannes. von Balthsar, Hans Urs 1972. Die Wahrheit ist symphonisch: Aspekte des christlichen Pluralismus. Einsiedeln: Johannes. Barth, Hans-Martin 2002. Dogmatik: Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligi- onen: Ein Lehrbuch. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus GmbH. Barth, Karl 192212. Der Römerbrief. Zürich: Theologischer Verlag. Barth, Karl 1925. Das Wort Gottes und die Theologie. München: Chr. Kaiser. Barth, Karl 1958-1970. Kirchliche Dogmatik. Zollikon-Zürich: Ev. Verlags A.G. Barth, Karl – Thurneysen, Eduard 1973. Briefwechsel, Bd 1: 1913-1921. Zürich: Theologischer Verlag. Barth, Karl 19863. Homiletik. Zürich: Theologischer Verlag. Barth, Markus 1961. Solidarität mit den Sündern. Wesen und Auftrag der Gemeinde nach dem Epheserbrief. Kassel: J. G. Oncken Verlag. Barton, Peter F. 1981. Der lange Weg zur Toleranz: In: Im Lichte der Toleranz: Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts im Reiche Joseph II., ihren Vor- aussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift. Wien: Institut für protestantische Kirchengeschichte. Baschang, Klaus 2001. Zukunftskirche Volkskirche: Von der Freiheit der Glaubenden und dem Auftrag der Kirche. Karlsruhe: Evang. Presseverband für Baden e.V. Bauer, Walter 19715. Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur. Berlin, New York: Walter de Gruyter. Baumann, Andreas 2003. Der Islam – Gottes Ruf zur Umkehr?: Eine vernachlässigte Deutung aus christlicher Sicht. Basel, Gießen: Brunnen. Bäumler, Christof 1984. Kommunikative Gemeindepraxis: Eine Untersuchung ihrer Bedingungen und Möglichkeiten. München: Chr. Kaiser. Bauschke, Martin 2001. Jesus im Koran. Köln: Böhlau Verlag. Bekenntnisschriften (Die) der evangelisch-lutherischen Kirche 1930. 1. und 2.Band. Berlin: Deutsches Evangelisches Kirchenbundesamt. Benn, Gottfried 1958. Die Stimme hinter dem Vorhang, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. II, Wiesbaden: Limes Verlag. Berger, Peter L.1962. Kirche ohne Auftrag: Am Beispiel Amerikas. Stuttgart: Kreuz. Berger, Peter L. 1972. Auf den Spuren der Engel: Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag. Bibliographie 532 Berkhof, Hendrikus 19882. Theologie des Heiligen Geistes. Neukirchen-Vluyn: Neukir- chener. Bezzel, Hermann 19162. Der Dienst des Pfarrers. Neuendettelsau: Buchhandlung der Diakonissenanstalt. Bezzel, Hermann 1917. Der Kampf mit den Kleinheiten. Barmen: Verlag der Wuppertaler Traktat-Gesellschaft. Bezzel, Hermann 1936. Das Gebet Jesu Christi für die Seinen. München: Paul Müller. Bittner, Wolfgang J. 1993. Kirche – wo bist Du? Plädoyer für das Kirche-Sein unserer Kirche. Zürich: Theologischer Verlag. Bloch, Ernst 1973. Das Prinzip Hoffnung: 1-3. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Bloth, Peter C. u. a. 1983. Handbuch der Praktischen Theologie. 3. Gütersloh: Gerd Mohn. Blumhardt, Johann Christoph 1948. Schriftauslegung: Ausgewählte Schriften I. Zürich: Gotthelf-Verlag. Bockmühl, Klaus1969. Atheismus in der Christenheit: Anfechtung und Überwindung: Die Unwirklichkeit Gottes in Theologie und Kirche. Wuppertal: Aussaat. Bohren, Rudolf 1959. Das Pfarramt in der Sicht des Theologiestudenten. In: Kirchliche Hochschule Wuppertal, Freundesgabe. Bohren, Rudolf 1962. Mission und Gemeinde. München: Chr. Kaiser. Bohren, Rudolf 1963. Predigt und Gemeinde: Beiträge zur Praktischen Theologie. Zürich, Stuttgart: Zwingli. Bohren, Rudolf 1968 (Hg.). Wort und Gemeinde: Probleme und Aufgaben der Praktischen Theologie: Eduard Thurneysen zum 80. Geburtstag. Zürich: EVZ - Verlag. Bohren, Rudolf 1969. Dem Worte folgen: Predigt und Gemeinde. München, Hamburg: Siebenstern Taschenbuch Verlag. Bohren, Rudolf 1971. Predigtlehre. München: Chr. Kaiser. Bohren, Rudolf 1973. Fasten und Feiern: Meditation über Kunst und Askese. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Bohren, Rudolf 1975. Dass Gott schön werde: Praktische Theologie als theologische Ästhetik. München: Chr. Kaiser. Bohren, Rudolf 1979. Geist und Gericht: Arbeiten zur Praktischen Theologie. Neukirchen- Vluyn: Neukirchener. Bohren, Rudolf [1960]1979.Unsere Kasualpraxis – eine missionarische Gelegenheit? München: Chr. Kaiser. Bohren, Rudolf 1981. Vom Heiligen Geist: Fünf Betrachtungen. München: Kaiser. Bohren, Rudolf 1981/9. Die Differenz zwischen Meinen und Sagen. Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.. Bohren, Rudolf 1982. Prophetie und Seelsorge: E. Thurneysen. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Bohren, Rudolf 1983. Aufruf zur Buße. Pastoraltheologie 9/1983. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Bohren, Rudolf 1986. Lebensstil, Fasten und Feiern. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Bohren, Rudolf 1989. Wider den Ungeist. Predigten. München.: Chr. Kaiser. Bohren, Rudolf 1989a. Predigtanalyse und Gemeindeaufbau, in: Die Predigtanalyse als Weg zur Predigt, R. Bohren/K.-P. Jörns (Hg.). Tübingen: Franke. Bibliographie 533 Bohren, Rudolf 1990. Texte zum Aufatmen: Seligpreisungen der Bibel. Freiburg, Basel, Wien: Herder Taschenbuch Verlag. Bohren, Rudolf 1993. Einheit und Zerrissenheit der Kirche – Macht und Ohnmacht ihrer Predigt. Festschrift für Eduard Buess. Basileia. Hrsg von H. Dürr und C. Ramstein. Basel: Edition Mitenand. Bohren, Rudolf 2002/1952. Der Ruf in die Herrlichkeit: Predigten. Waltrop: H. Spenner. Bohren, Rudolf 2003. Das Gebet 1. Unter Mitarbeit von Frank Karpa hg und eingel. von Manfred Josuttis. Waltrop: H. Spenner. Bohren, Rudolf 2005, Predigen in dürftiger Zeit. Theologische Beiträge 2005/1. Witten: R. Brockhaus Verlag. Bonhoeffer, Dietrich [1951] 19685. Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. (Hg.) Eberhard Bethge. München/Hamburg: Siebenstern. Bonhoeffer, Dietrich 1958. Schöpfung und Fall. München: Chr. Kaiser. Bonhoeffer, Dietrich 1975. Gesammelte Schriften, IV. München: Chr. Kaiser. Bonhoeffer, Dietrich [1932] 1971 Das Wesen der Kirche: Aus Hörernachschriften zusammengestellt. (Hg.) Otto Dudzus. München: Chr. Kaiser. Bonhoeffer, Dietrich [1937] 1976. Nachfolge. München: Chr. Kaiser. De Boor, Werner 1963. Das ist Jesus. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag. De Boor, Werner 1969. Die Briefe des Paulus an die Thessalonicher. Wuppertal: R. Brockhaus. Borchert, Wolfgang 1956. Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen. Hamburg: Rowohlt. Bornkamm, Günther 1956. Jesus von Nazareth. Stuttgart: W. Kohlhammer. Bräumer, Hansjörg 1983. Das erste Buch Mose. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag. Braun, Herbert [1969] 1973. Jesus: Der Mann aus Nazareth und seine Zeit. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn Brunner, Emil 1951. Das Missverständnis der Kirche. Stuttgart: Ev. Verlagswerk. Brunner, Emil 1965. Das Ewige als Zukunft und Gegenwart. München/Hamburg: Siebenstern. Bub, Wolfgang, 1990. Evangelisationspredigt in der Volkskirche: Zur Predigtlehre und Praxis einer umstrittenen Verkündigungsgattung. Stuttgart: Calwer. Büchsel, Friedrich 1937.Theologie des Neuen Testaments: Geschichte des Wortes Gottes im Neuen Testament. Gütersloh: C. Bertelsmann. Büchsel, Friedrich 1957. Art. kr°nw, kr°siv. THWB III. Stuttgart: W. Kohlhammer. Bultmann, Rudolf 1966. Glauben und Verstehen. Erster Band. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Bultmann, Rudolf 19686. Theologie des Neuen Testaments. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Busch, Wilhelm 1967. Jesus unser Schicksal. Gladbeck: Schriftenmissions-Verlag. Busch, Wilhelm 1968. Verkündigung im Angriff: Gesammelte Aufsätze über Jugendarbeit, Kirche, Theologie und Pietismus. (Hg.) H. Währisch. Wuppertal: Aussaat Verlag. Christlieb, Theodor 1893. Homiletik: Vorlesungen. Basel: Jäger & Körber. Christlieb, Alfred 1976. Vollmacht von oben. (Hg.) Arno Pagel. Marburg/Lahn: Franke. Codex iuris canonici, 1984. Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe. Bibliographie 534 Kevelaer: Butzon & Bercker. Conzelmann, Hans 1969. Der erste Brief an die Korinther. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Cornehl, Peter und Hans-Eckehard Bahr (Hg.) 1970. Gottesdienst und Öffentlichkeit. Zur Theorie und Didaktik neuer Kommunikation. Hamburg: Furche. Cullmann, Oscar [1957]19664. Die Christologie des Neuen Testaments. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Daiber, Karl-Fritz 1974. Kirchenleitung und Kirchenplanung. In: Klostermann/Zerfass (Hg.). Praktische Theologie heute. München/Mainz: Kaiser/Grünewald. Daiber, Karl-Fritz 1991. Predigt als religiöse Rede: Homiletische Überlegungen im Anschluss an eine empirische Untersuchung. München: Chr. Kaiser. Dannenbaum, Hans 1950. Werden und Wachsen einer Missionsgemeinde: Erlebnis- und Tatsachenbericht aus der Arbeit im Dienste der Berliner Stadtmission 1926-1947. Gladbeck: Schriftenmissionsverlag. Dantine, Johannes o. J. Religionsunterricht als Zeugendienst. Als Manuskript gedruckt. Davila, Nicolás Gómez 1994. Aufzeichnungen eines Besiegten: Fortgesetzte Scholien zu einem inbegriffenen Text. Wien: Karolinger. Deichgräber, Reinhard 1969. Gotteshymnus und Christushymnus in der frühen Christenheit: Untersuchungen zu Form, Sprache und Stil der frühchristlichen Hymnen. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Deichgräber, Reinhard 1975. Gott ist genug: Liedmeditationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht/F. Pustet. Deichgräber, Reinhard 1978. Verachteter Dienst: Betrachtungen zum missionarischen Auftrag. Gnadenthal: Präsenz. Denecke, Axel 1979. Persönlich predigen. Gütersloh: Gütersloher V. H. Gerd Mohn. Drewermann, Eugen 1984. Tiefenpsychologie und Exegese. Band I. Olten/Freiburg im Breisgau: Walter. Dürckheim, Graf, Karlfried 1984. Von der Erfahrung der Transzendenz. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Ebeling, Gerhard [1959] 1963. Das Wesen des christlichen Glauben. Tübingen: J. C. B. Mohr. Ebeling, Gerhard [1979] 1993. Dogmatik des christlichen Glaubens: Band III. Der Glaube an Gott den Vollender der Welt. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Ebner, Ferdinand 1965. Das Wunder des Wortes. Eingeleitet und ausgewählt von Franz Seyr. München: Kösel-Verlag. Ehlhaus, Philip (o. J.) “Wind of Change? Eine Nachlese zur "Missionssynode" der EKD in Leipzig im November 1999“. Internet: http://bs.cyty.com/elmbs/wind.htm. Elert, Werner, 19653. Morphologie des Luthertums. Bd. I. München: Beck’sche VBH. Eichholz, Georg 1959. Was heißt charismatische Gemeinde? Sonderdruck, Heft 77, Theologische Existenz heute. München: Chr. Kaiser. Eickhoff, Klaus 1992. Gemeinde entwickeln für die Volkskirche der Zukunft: Anregungen zur Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Eickhoff, Klaus 1998. Die Predigt beurteilen: Gemeinde denkt mit. Wuppertal: R. Brockhaus. Eickhoff, Klaus 2000. Brief an einen Hauskreis: Schritte zu neuer Begeisterung. Asslar: Gerth Medien GmbH. Bibliographie 535 EKD 1999. Kundgebung der Synode: Das Evangelium unter die Leute bringen. Zum missionarischen Dienst der Kirche in unserem Land. EKD-Texte 68. EKD 2005. Gezählt: Evangelische Kirche in Deutschland: Zahlen und Fakten zum kirchli- chen Leben. Hannover: Kirchenamt der EKD. Engelsberger, Gerhard 2001. Ansprechend predigen. Artikel im Internet (2005). Engemann, Wilfried 1989. Persönlichkeitsstruktur und Predigt: Homiletik aus transaktions- analytischer Sicht. Berlin: Ev. Verlagshaus. Fezer, Karl 1925. Das Wort Gottes und die Predigt: Eine Weiterführung der prinzipiellen Homiletik auf Grund der Ergebnisse der neuen religionspsychologischen und systematischen Forschung. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchhandlung. Fezer, Karl 1927. Der Herr und seine Gemeinde. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchhandlung. Finney, Charles G. 1965. Lebenserinnerungen. Giessen / Basel: Brunnen Verlag GMBH. Fischer, Martin 1963. Überlegungen zu Wort und Weg der Kirche. Berlin: Lettner Verlag. Fliege, Jürgen 2005. Idea Spektrum Nr. 22. 1.Juni 2005. Foerster, Werner. Artikel xous°a in THWB II. Frankl, Viktor E. 1948. Der unbewusste Gott. Wien: Amandus – Edition. Franke, August Hermann 1966. Wort und Tat: Ansprachen und Vorträge zur dreihunderts- ten Wiederkehr seines Geburtstages. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Freytag, Walter 1961. Reden und Aufsätze, II. (Hg.) Jan Hermelink; Hans Jochen Margull). München: Chr. Kaiser. Friedrich, Gerhard. Artikel kjrÀssw  in THWB III. Friedrich, Gerhard. Artikel profÐtjv in THWB VI. Gabriel, Ingeborg Gerda 2004. Humanität und Heiligkeit: Spiritualität und Ethik als “Zeichen der Zeit“ und Anfrage an die christlichen Kirchen. In: Zulehner, Paul M.; (Hg.). Spiritualität – mehr als ein Megatrend: Gedenkschrift für Kardinal DDr. Franz König. Ostfildern: Schwabenverlag. Geest, Hans, van der 19832. Du hast mich angesprochen: Die Wirkung von Gottesdienst und Predigt. Zürich: Theologischer Verlag. Gertz, Jan Christian/Schmid, Konrad/ Witte, Markus (Hg.) 2002. Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion. Berlin/New York: Walter de Gruyter. Glasenapp, Helmut von 1961. Die nichtchristlichen Religionen. Frankfurt/Main: Fischer Bücherei. Gogarten, Friedrich 1948. Die Verkündigung Jesu Christi: Grundlagen und Aufgabe. Heidelberg: Lambert Schneider. Gollwitzer, Helmut 19714. Krummes Holz – aufrechter Gang: Zur Frage nach dem Sinn des Lebens. München: Chr. Kaiser. Gollwitzer, Helmut 1975. Vortrupp des Lebens. München: Chr. Kaiser. Gollwitzer, Helmut 19522. Die Freude Gottes: Einführung in das Lukasevangelium. Berlin Dahlem und Gelnhausen/Hessen: Burckhardthaus-Verlag G. m. b. H. Goppelt, Leonhard [1976] 19853.. Theologie des Neuen Testaments. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Gottschick, Johannes 1887. Luthers Anschauung vom christlichen Gottesdienst und seine thatsächliche Reform desselben. Gießen: C. v. Münchow. Bibliographie 536 Grafe, Hugald 1965. Die volkstümliche Predigt des Ludwig Harms, Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Gräßmann, Frithjof 1961. Religionsunterricht zwischen Kirche und Schule. München: Chr. Kaiser. Grawe, Klaus 2004. Neuropsychotherapie. Göttingen, Bern, Toronto Seattle Oxford, Prag: Hogrefe. Green, Michael 1970. Evangelisation zur Zeit der ersten Christen. Neuhausen Stuttgart: Hänssler - Verlag. Greive, Wolfgang 1975. Praxis und Theologie. München: Chr. Kaiser. Grethlein, Christian; Meyer-Blank, Michael. (Hg.) 2000. Geschichte der Praktischen Theologie: Dargestellt anhand ihrer Klassiker . Leipzig: Ev. Verlagsanstalt. Grethlein, Christian 5-2001. Praktische Theologie und Mission. In: Evang. Theologie; 61. Jahrg. München: Chr. Kaiser. Gronemeyer, Reimer 1995, Wozu noch Kirche? Berlin: Rowohlt. Gronemeyer, Marianne 1996. Das Leben als letzte Gelegenheit: Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit. Darmstadt: Primus. Grözinger, Albrecht 1989. Erzählen und Handeln. Studien zu einer trinitarischen Grundlegung der Praktischen Theologie. München: Chr. Kaiser. Grözinger, Albrecht 1991. Die Sprache des Menschen: Ein Handbuch. Grundwissen für Theologinnen und Theologen. München: Chr. Kaiser. Grözinger, Albrecht 1995. Praktische Theologie als Kunst der Wahrnehmung. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher V. H.. Grözinger, Albrecht 1998. Die Kirche – ist sie noch zu retten? Anstiftungen für das Christentum in postmoderner Gesellschaft, Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher V.H. Grundmann, Walter 19695. Das Evangelium nach Lukas. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Guardini, Romano 1980. Der Herr: Über Leben und Person Jesu Christi. Freiburg, Basel, Wien: Herderbücherei 813 Haarbeck, Ako 1961. Ludwig Hofacker und die Frage nach der erwecklichen Predigt. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Haendler, Otto 1949. Die Predigt: Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen. Berlin: Alfred Töpelmann. Haenchen, Ernst 1968. Die Apostelgeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Hahn, Ferdinand 1963. Das Verständnis der Mission im Neuen Testament. Neukirchen – Vluyn: Neukirchener Verlag. Hammer, Karl 1974. Deutsche Kriegstheologie 1970-1918. München: Deutscher Taschen- buch Verlag. Hänle, Joachim 1997, Heilende Verkündigung. Kerygmatische Herausforderungen im Dialog mit Ansätzen der Humanistischen Psychologie. Ostfildern: Schwabenverlag. Hanssen, Olav 1963. Die dynamische Funktion des Predigtamtes. Ev. Missionszeitschrift. Hanssen, Olav 1995. Das Schönste liegt noch vor uns: Einkehr und Ausblick im Jahres- kreis. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Hanssen, Olav 1999. Gott alles in allem: Exegetische Einblicke in das Neue Testament. (Hg.) Christoph Burchard. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Härle, Wilfried 20002, Dogmatik. Berlin, New York: Walter de Gruyter. Bibliographie 537 Harnack, Adolf von 1924. Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten. Wiesbaden: VMA-Verlag. Harris, Thomas A. [1967] 2002. Ich bin O. K. – Du bist O. K.: Eine Einführung in die Transaktionsanalyse. Reinbeck: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH. Harris, Thomas A. / Harris, Amy Bjork 1985. Einmal O. K. – Immer O. K.: Transaktions- analyse für den Alltag. Reinbeck: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH. Hartenstein, Karl 1954. Der wiederkommende Herr. Stuttgart: Ev. Missionsverlag. Hauss, Friedrich 1989. Erweckungspredigt: Eine Untersuchung über die Erweckungspre- digt des 19. Jahrhunderts in Baden und Württemberg, insbesondere über die Ursa- che und ihre Fruchtbarkeit, als Hilfe in der Predigtnot heute. Bad Liebenzell: Lie- benzeller Mission. Heim, Karl 1952. Jesus der Weltvollender: Der Glaube an die Versöhnung und Weltver- wandlung. Hamburg: Furche Verlag. Hempelmann, Heinzpeter 2004. Adolf Schlatter als Ausleger der Heiligen Schrift: Sieben hermeneutische Impulse. In: Theologische Beiträge 04, 1. Witten: Theologischer Verlag Rolf Brockhaus. Henze, Ernst 2005. Unterwegs zur Mitte: Olav Hanssen – Bausteine eine Biografie. Georg Gremels (Hg.). Marburg/Lahn: Franke. Herbst, Michael 1987. Missionarischer Gemeindeaufbau in der Volkskirche. Stuttgart: Calwer Verlag. Herbst, Michael 2001. Und sie dreht sich doch: Wie sich die Kirche im 21.Jahrhundert ändern kann und muss. Asslar: Gerth Medien GmbH. Herbst, Michael (Hg.) 2003. Spirituelle Aufbrüche: Perspektiven evangelischer Glaubens- praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Hering, Theodor 2003. „Mission“ – wie geht das? Deutsches Pfarrerblatt 1/2003. Heschel, Abraham J. 19892. Der Mensch fragt nach Gott: Untersuchungen zum Gebet und zur Symbolik. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Hirschler, Horst 19923. biblisch predigen. Hannover: Lutherisches V. H.. Hoekendijk, Johannes Christiaan 1964. Die Zukunft der Kirche und die Kirche der Zukunft. Stuttgart. Berlin: Kreuz-Verlag. Hofacker, Ludwig 1977. Predigten für alle Sonn- und Festtage, Band I. St.- Johannis – Druckerei C. Schweickhardt, Lahr-Dinglingen. Höhler, Gertrud 2004. Die Sinn-Macher: Wer siegen will, muss führen. Ullstein. Huber, Wolfgang, 2005. Das Vermächtnis Dietrich Bonhoeffers und die Wiederkehr der Religion. EKD: http://www.ekd.de/print.php?file=vortraege/051006. Humburg, Paul 1949. Frühlingstage der Gemeinde: (Apg. 2-6). Wuppertal Barmen: Aussaat Verlag. Hummel, Gert, (Hg.) 1971. Aufgabe der Predigt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Husar, Andreas 1987. Missionarische Predigt im Gottesdienst: Zur Beurteilung der missionarischen Intention der gottesdienstlichen Predigt in der Homiletik seit Schleiermacher. Berlin: Ev. Verlagsanstalt. Hüther, Gerald 2004. Die Macht der inneren Bilder: Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Hybels, Bill 2002, Mutig führen, Navigationshilfen für Leiter. Asslar: Projektion J. Bibliographie 538 Illies, Florian 2002. Generation Golf - eine Inspektion. Frankfurt M.: Fischer Iwand, Hans Joachim 1964, NW IV. (Hg.) Kreck, Walter. Gesetz und Evangelium. München: Chr. Kaiser. Iwand, Hans Joachim 1974. Luthers Theologie. NW 5. München: Chr. Kaiser. Jeremias, Joachim 1956. Die Gleichnisse Jesu. Berlin: Evangelische Verlaganstalt. Jeremias, Joachim 1971. Neutestamentliche Theologie : I. Die Verkündigung Jesu. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn. Jetter, Werner 1964. Wem predigen wir? Notwendige Fragen an Prediger und Hörer. Stuttgart: Calwer. Jetter, Werner 1976. Homiletische Akupunktur: Teilnahmsvolle Notizen – die Predigt betreffend. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Joest, Wilfried [1986]19964. Dogmatik: Band 2: Der Weg Gottes mit dem Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Josuttis, Manfred 19692. Gesetzlichkeit in der Predigt der Gegenwart. München: Chr. Kaiser Verlag. Josuttis, Manfred 1983. Der Pfarrer ist anders: Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie. München: Chr. Kaiser. Josuttis, Manfred 1985. Rhetorik und Theologie in der Predigtarbeit: Homiletische Studien. München: Chr. Kaiser. Josuttis, Manfred 1988. Der Traum des Theologen: Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie 2. München: Chr. Kaiser. Josuttis, Manfred 19882. Praxis des Evangeliums zwischen Politik und Religion: Grund- probleme der Praktischen Theologie (4. A.). München: Chr. Kaiser. Josuttis, Manfred 1990. Über alle Engel: Politische Predigten zum Hebräerbrief. München: Chr. Kaiser. Josuttis, Manfred 1993. Petrus, die Kirche und die verdamme Macht. Stuttgart: Kreuz V. Josuttis, Manfred 1995. Gesetz und Evangelium in der Predigtarbeit: Homiletische Studien 2. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher V. H.. Josuttis, Manfred 1999. Offene Geheimnisse: Predigten. Gütersloh: Chr. Kaiser/ Gütersloher V. H.. Josuttis, Manfred 2000. Segenskräfte. Potentiale einer energetischen Seelsorge. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher V. H.. Jörns, Klaus-Peter 1999. Die neuen Gesichter Gottes: Was die Menschen heute wirklich glauben. München: C. H. Beck Jörns, Klaus-Peter 20052. Notwendige Abschiede: Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Jung, Kurt Gerhard 1971. Der Erlösungsbegriff in den frühen Predigten Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers, Inaugural-Dissertation, Berlin 1971. Kähler, Martin 1912. Die Heilsgewissheit. Berlin: Edwin Runge Kähler, Martin 1937. Der Lebendige und seine Bezeugung in der Gemeinde. Berlin: Furche. Kallestad, Walt P. 1996. Prinzipien der Gemeindeleitung. Wuppertal: R. Brockhaus. Kampffmeyer, Karl, (Hg). 1959. Das Teure Predigtamt: Gebete und Weisungen für den Dienst am Wort aus dem Schatz der Kirche. Hamburg: Furche Verlag. Kasting, Heinrich 1969. Die Anfänge der urchristlichen Mission. München: Chr. Kaiser. Bibliographie 539 Käsemann, Ernst 19572. Das wandernde Gottesvolk. Eine Untersuchung zum Hebräerbrief. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Käsemann, Ernst [1960]19706. Exegetische Versuche und Besinnungen, I. und II. Band. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Käsemann, Ernst 1974. An die Römer. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Kellner, Thomas 1988. Kommunikative Gemeindeleitung: Theologie und Praxis. Mainz: Matthias-Grünewald. Kessler, Volker/Martina 2001. Machtmenschen in der Gemeinde. Gießen: Brunnen. Kirkegaard, Sören 1848/1981. Reden 1848, GW 20. Gütersloher Verlagshaus. Klostermann, Ferdinand. Zerfass, Rolf, (Hg.) 1974. Praktische Theologie Heute. München, Mainz: Chr. Kaiser/M. Grünewald. Knauer, Peter 1978. Der Glaube kommt vom Hören: Ökumenische Fundamentaltheologie. Graz, Wien, Köln: Styria. Knieling, Reiner 1999. Predigtpraxis zwischen Credo und Erfahrung: Homiletische Untersuchungen zu Oster-, Passions- und Weihnachtspredigten. Stuttgart: Calwer Verlag. Körtner, Ulrich H. J. 1988. Wie lange noch, wie lange?: Über das Böse, Leid und Tod. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Körtner, Ulrich H. J. 1994. Der inspirierte Leser: Zentrale Aspekte biblischer Hermeneutik. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Körtner, Ulrich H. J. 2000, Der verborgene Gott: Zur Gotteslehre. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Körtner, Ulrich H. J. 2001, (Hg) Hermeneutik als Ästhetik. Die Theologie des Wortes im multimedialen Zeitalter: Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Körtner, Ulrich H. J. 2002, Anleitung zum Abschalten, Anstöße und Notizen zu einer Theologie des Alltags. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Kramp, Willy. 1981. Der Protest der Schlange: Signale zum Umdenken, Stuttgart / Berlin: Kreuz Verlag. Kraus, Hans-Joachim 1962. Gottesdienst in Israel: Grundriss einer Geschichte des alttestamentlichen Gottesdienstes. München: Chr. Kaiser. Kraus, Hans-Joachim 1965. Julius Schniewind: Charisma der Theologie. Neukirchen- Vluyn: Neukirchener Verlag. Kraus, Hans-Joachim 1967. Predigt aus Vollmacht. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag Kraus, Hans-Joachim 1986. Prophetie heute!: Die Aktualität biblischer Prophetie in der Verkündigung der Kirche. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Kroeger, Matthias 2004. Im religiösen Umbruch der Welt: Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche: Über Grundriss und Bausteine des religiösen Wandels im Herzen der Kirche. Stuttgart: W. Kohlhammer. Krusche, Werner 1971. Schritte und Markierungen: Aufsätze und Vorträge zum Weg der Kirche. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kunze, Reiner 1981. auf eigene hoffnung: gedichte. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag. Kunze, Reiner 1998. ein tag auf dieser erde: gedichte. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag. Kutter, Hermann 1912. Wir Pfarrer! Jena: Eugen Diederichs. Kutter, Hermann 1912a. Die Revolution des Christentums. Jena: Eugen Diederichs. Bibliographie 540 Kutter, Hermann, 1926. Wo ist Gott?: Ein Wort zur religiösen und theologischen Krisis der Gegenwart. Basel: Verlag Kober. Kutter, Hermann, 1927. Not und Gewißheit: Ein Briefwechsel. Basel: Kober C. F. Spittlers Nachfolger. Kutter, Hermann jun. 1965. Hermann Kutters Lebenswerk. Zürich: EVZ-Verlag. Kuske, Martin 1971. Das Alte Testament als Buch von Christus: Dietrich Bonhoeffers Wertung und Auslegung des Alten Testaments. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kvarning, Lars Ake / Ohrelius, Bengt 1994. Das Schwedische Kriegsschiff Wasa. London and Basingstoke, Hampshire, England: Macimilian. Lamparter, Helmut 19772. Die Hoffnung der Christen: Das biblische Wort vom Ziel aller Dinge. Wuppertal, Metzingen: Aussaat Verlag, Verlag Ernst Franz. Lange, Ernst 1968. Die verbesserliche Welt. Möglichkeiten christlicher Rede erprobt an der Geschichte vom Propheten Jona. Stuttgart, Berlin: Kreuz Verlag. Lange, Ernst 1981, Kirche für die Welt: Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns. Hg. und eingeleitet von Rüdiger Schloz. München: Kaiser. Gelnhausen: Burckhardthaus. Lange, Ernst 1982. Predigen als Beruf: Aufsätze zu Homiletik, Liturgie und Pfarramt. Rüdiger Schloz (Hg.). München: Chr. Kaiser. Längle, Alfried 1985, (Hg.). Orientierung am Sinn. In: Wege zum Sinn: Logotherapie als Orientierungshilfe. Für Viktor E. Frankl. München, Zürich: Piper. Langmaack, Barbara 2001. Einführung in die Themenzentrierte Interaktion TZI, Leben rund ums Dreieck. Weinheim und Basel: Beltz. Lämmerman, Godwin 2001. Einleitung in die Praktische Theologie: Handlungstheorien und Handlungsfelder. Stuttgart, Berlin, Köln: W. Kohlhammer. Lämmlin, Georg, Scholpp. Stefan, (Hg.) 2001, Praktische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Tübingen und Basel: A. Franke. Liebelt, Markus 2000. Allgemeines Priestertum, Charisma und Struktur: Grundlagen für ein biblisch-theologisches Verständnis geistlicher Leitung. Wuppertal: Brockhaus. Lindner, Helgo 2003, (Hg.) Ich bin ein Hebräer: Gedenken an Otto Michel (1903-1993). Giessen, Basel: Brunnen. Lischer, Richard in PTh 1995/4. Performing the Scriptures: Die Schrift ‚darstellend’. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Lohfink, Gerhard 1982. Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Zur gesellschaftlichen Dimension des christlichen Glaubens. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Lorenz, Konrad [1964]1967. Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen. München. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG. Lorenz, Wolfgang 1981. Kirchenreform als Gemeindereform dargestellt am Beispiel Emil Sulze. Dissertation. Königsberg/Pr. Luther, Martin 1952, Kurt Aland (Hg.). Kirche und Gemeinde. Band 6, Stuttgart, Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Luther, Martin 1962, Kurt Aland (Hg.) Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Band 2, Stuttgart, Göttingen: Ehrenfried Klotz, Vandenhoeck & Rupprecht. Luther, Martin 1962b, Kurt Aland (Hg.) Von der Freiheit eines Christenmenschen. Band 2, Stuttgart, Göttingen: Ehrenfried Klotz, Vandenhoeck & Rupprecht. Bibliographie 541 Luther, Martin 19632, Kurt Aland Hg. Die Schriftauslegung. Band 5, Stuttgart, Göttingen: Ehrenfried Klotz, Vandenhoeck & Rupprecht. Luther, Martin 19642, Kurt Aland (Hg.) Der Kampf um die reine Lehre. Band 4, Stuttgart, Göttingen: Ehrenfried Klotz, Vandenhoeck & Rupprecht. Luther, Martin 1967. Der Christ in der Welt, Kurt Aland (Hg.) Band 7, Stuttgart, Göttingen: Ehrenfried Klotz, Vandenhoeck & Rupprecht. Lüthi, Walter 1958. Die Apostelgeschichte ausgelegt für die Gemeinde. Basel: Verlag Friedrich Reinhardt AG. Maly, Karl 1967. Mündige Gemeinde: Untersuchungen zur pastoralen Führung des Apostel Paulus im 1. Korintherbrief. Stuttgart: .Katholisches Bibelwerk. Margull, Hans Jochen 1959. Theologie der missionarischen Verkündigung: Evangelisation als ökumenisches Problem. Stuttgart: Ev. Verlagswerk. Margull, Hans Jochen 1963 (Hg.) Zur Sendung der Kirche, Material der ökumenischen Bewegung, München: Chr. Kaiser. Margull, Hans Jochen 1965 (Hg.) Mission als Strukturprinzip, Ein Arbeitsbuch zur Frage missionarischer Gemeinden. Genf: Ökumenischer Rat der Kirchen. Marti, Kurt, 1981. Zärtlichkeit und Schmerz: Notizen. Darmstadt, Neuwied: Luchterhand. Marti, Kurt, 1981. Für eine Welt ohne Angst: Berichte, Geschichten, Gedichte. Hamburg: Lutherisches V. H. Martin, Gerhard Marcel, 1983. Predigt als offenes Kunstwerk? Zum Dialog zwischen Homiletik und Rezeptionsästhetik, in EvTh 44. Mayer, Rainer, 1994. Bekennende Kirche und Berneuchener Bewegung: Bemerkungen zu Bonhoeffers Brautbriefen, in: Theologische Beiträge, 25. Jg. Wuppertal: Theol. Verlag, Rolf Brockhaus. Merz, Georg 1952. Priesterlicher Dienst im kirchlichen Handeln. München: Chr. Kaiser. Michel, Otto 1950/51. Der Abschluss des Matthäusevangeliums. Evangelische Theologie 10. Michel, Otto 19664. Der Brief an die Römer. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Miskotte, Kornelis Heiko, 1963. Wenn die Götter schweigen: Vom Sinn des Alten Testaments. München: Chr. Kaiser.. Moltmann, Jürgen 1965. Theologie der Hoffnung. München: Chr. Kaiser. Moltmann, Jürgen 1975. Kirche in der Kraft des Geistes: Ein Beitrag zur messianischen Ekklesiologie. München: Chr. Kaiser. Moltmann, Jürgen 1980. Neuer Lebensstil: Schritte zur Gemeinde. München: Chr. Kaiser. Möller, Christian 1987. Lehre vom Gemeindeaufbau: Konzepte, Programme, Wege. Band 1. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Möller, Christian 1990. Lehre vom Gemeindeaufbau: Durchblicke, Einblicke, Ausblicke. Band 2. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Möller, Christian 19902. Seelsorglich predigen: Die parakletische Dimension von Predigt, Seelsorge und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Müller, Hans Martin 1996. Homiletik: Eine evangelische Predigtlehre, Berlin, New York: Walter de Gruyter. Müller-Schwefe, Hans-Rudolf 1961. Die Sprache und das Wort. Grundlagen der Verkün- digung. Hamburg: Furche. Bibliographie 542 Müller, A. M. Klaus 1982. Leid-Glaube-Vernunft: Signale der Geschöpflichkeit. Stuttgart: Radius. Neill, Stephen 1974, Geschichte der christlichen Mission. (Hg.) Niels-Peter Moritzen. Erlangen: Verlag der Ev.-luth. Mission. Neubauer, Reinhard 1994. Auslaufmodell Volkskirche – was kommt danach? Stuttgart: Quell Verlag. Neve, Herbert T., Krusche, Werner 1968. Quellen der Erneuerung: Auf der Suche nach beweglichen Strukturen für die Kirche. Genf: Ökumenischer Rat der Kirchen. Nicol, Martin 2000. Grundwissen Praktische Theologie. Ein Arbeitsbuch. Stuttgart: Kohlhammer. Nicol, Martin 20052. Einander ins Bild setzen: Dramaturgische Homiletik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Nicol, Martin/Alexander Deeg 2005. Im Wechselschritt zur Kanzel: Praxisbuch Dramatur- gische Homiletik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Niebergall, Alfred 1974. Der Dienst der Kirche: Gesammelte Aufsätze 1954-1973. (Hg.) Rainer Lachmann. Kassel: Johannes Stauda. Niederwimmer, Kurt 1983. Zur praedicatio de Deo im Neuen Testament. In: Gott ohne Eigenschaften? Susanne Heine, Erich Heintel (Hg.). Wien: Ev. Presseverband. Niesel, Wilhelm 1966 (Hg.). Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche. 3. Aufl. Zürich o. J., D. Übersetzung: Das zweite Helvetische Bekenntnis, (Hg.) Kirchenrat des Kanton Zürich. Nygren, Anders [1930/37] 19542. Eros und Agape. Gestaltwandlung der christlichen Liebe. Gütersloh: C. Bertelsmann. Nygren, Anders 1954. Der Römerbrief. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Ökum. Rat der Kirchen 1963. Salz der Erde. Genf: Ökumenischer Rat der Kirchen. Ollrogg, Wolf-Henning 1979. Paulus und seine Mitarbeiter: Untersuchungen zur Theorie und Praxis der paulinischen Mission. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Ott, Ludwig 19542. Grundriss der Katholischen Dogmatik. Freiburg: Herder. Ott, Ursula 7.7. 2004. Bauchredner am Altar, Mäuse in der Predigt: Wie viel Experimente verträgt eigentlich ein Gottesdienst? In: Chrismon, Das Ev. Online-Magazin. Otto, Gert 1981. Rhetorisch predigen: Wahrheit als Mitteilung, Beispiele zur Predigt- praxis. Gütersloh: Gütersloher V. H. Gerd Mohn. Otto, Gert 1994, Die Kunst, verantwortlich zu reden: Rhetorik, Ästhetik, Ethik. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher V. H.. Otto, Gert 1999, Rhetorische Predigtlehre: Ein Grundriss. Mainz und Leipzig: Matthias Grünewald, Ev. Verlagsanstalt. Pannenberg, Wolfhard 1971. Theologie und Reich Gottes. Gütersloher Verlagshaus, Gerd Mohn. Petry, Bernhard 2001. Leiten in der Ortsgemeinde: Allgemeines Priestertum und kirch- liches Amt - Bausteine einer Theologie der Zusammenarbeit. Gütersloh: Kaiser, Gütersloher V. H. Picard, Max 19513. Die Flucht vor Gott. Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch. Pinomaa, Lennart 1964. Sieg des Glaubens, Grundlinien der Theologie Luthers. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Pieper, Josef 19623. Glück und Kontemplation. München: Kösel. Bibliographie 543 Platon, 1957. Sokrates im Gespräch: Vier Dialoge. Frankfurt a. M. und Hamburg: Fischer Bücherei. Pöhlmann, Horst Georg 1973. Abriss der Dogmatik: Ein Repetitorium. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, Gerd Mohn. Prenter, Regin 1960. Schöpfung und Erlösung: Dogmatik. Band 2. Erlösung. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Preuß, Horst Dietrich 1984. Das Alte Testament in christlicher Predigt. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Verlag W. Kohlhammer. Quell, Gottfried 1957. Art. ‡gpaw THWB I. Stuttgart: W. Kohlhammer. von Rad, Gerhard 1956. Das erste Buch Mose. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. von Rad, Gerhard [1957]1962. Theologie des Alten Testaments I. München: Chr. Kaiser. von Rad, Gerhard 1965. Gesammelte Studien zum Alten Testament. München: Chr. Kaiser. von Rad, Gerhard 1972. Predigten. München: Chr. Kaiser. Ragaz, Leonhard [1945] 1971. Die Bergpredigt Jesu. Hamburg: Furche Verlag. Rahner, Karl, Vorgrimler, Herbert 198014. Kleines Konzilskompendium: Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Ratzmann, Wolfgang 1980. Missionarische Gemeinde. Ökumenische Impulse für Struktur- reformen. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Rebell, Walter 1989. Alles ist möglich dem, der glaubt: Glaubensvollmacht im frühen Christentum. München: Chr. Kaiser. Rebell, Walter 1990. Zum neuen Leben berufen: Kommunikative Gemeindepraxis im frühen Christentum. München: Chr. Kaiser. Reimer, Johannes 2004. Leiten durch Verkündigung. Eine unentdeckte Dimension. Giessen, Basel: Brunnen Verlag. Reingrabner, Gustav 1991; (Hg.) … und folget Seinem Lehren …: Eine Sammlung von Predigten aus der ev. Diözese A. B. Burgenland. Eisenstadt: Ev. Superintendentur. Remplein, Heinz 1967. Psychologie der Persönlichkeit. Die Lehre von der individuellen und typischen Eigenart des Menschen. München/Basel: Ernst Reinhardt Verlag. Rengstorf, Karl Heinrich [1936]1958. Das Evangelium nach Lukas (NTD). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Riecker, Otto 1973. Mission oder Tod. Lahr-Dinglingen: St-Johannis-Druckerei. Riesner, Rainer 1981. Jesus als Lehrer: Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien- Überlieferung. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Riess, Richard (Hg.) 1974. Perspektiven der Pastoralpsychologie. Göttingen: Vanden- hoeck & Ruprecht. Roloff, Jürgen 1978. Apostel/Apostolat/Apostolizität I. Theologische Realenzyklopädie. Berlin. New York: Walter de Gruyter. Roloff, Jürgen 1993. Die Kirche im Neuen Testament. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Rosenius, Carl Olof 1986. Der Brief an die Römer: Eine seelsorgerliche Auslegung: Band 1. Lahr-Dinglingen: St.-Johannis-Druckerei. Bielefeld: Missionsverlag. Rosenkranz, Karl. (Hg.) v. Kliche, Dieter [1853]1990. Ästhetik des Hässlichen. Leipzig: Reclam. Rosenstock-Huessy 1985. Des Christen Zukunft oder Wir überholen die Moderne. Moers: Brendow Verlag. Sartre, Jean-Paul 1965. Situations I. New York: George Braziller. Bibliographie 544 Schabert, Arnold 1962. Rede und schweige nicht: Ausgewählte Predigten. München: Claudius Verlag. Schabert, Arnold 2003. Christus und seine Gemeinde: Betrachtungen über die Ab- schiedsreden und die Leidensgeschichte des Herrn: Mit einer Predigt über das Amt der Kirche. Neuendettelsau: Freimund-Verlag Schempp, Paul, 1960. (Hg.) Ernst Bizer. Gesammelte Aufsätze. München: Chr. Kaiser. Schiller, Friedrich von, o. J. Schillers Werke: II. Band. (Hg.) Gerhard Stenzel. Salzburg: Verlag „Das Bergland-Buch“. Schlatter, Adolf 19053. Der Glaube im Neuen Testament. Calw & Stuttgart: Verlag der Vereinsbuchhandlung. Schlatter, Adolf, 1909. Die Theologie des Neuen Testaments: Erster Teil: Das Wort Jesu. Calw & Stuttgart: Verlag der Vereinsbuchhandlung. Schlatter, Adolf 19222. Die Theologie der Apostel. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchhandlung. Schlatter, Adolf 1923a. Die Geschichte des Christus. Stuttgart: Calwer Vereinsbuch- Handlung. Schlatter, Adolf 1923b. Die philosophische Arbeit seit Cartesius nach ihrem ethischen und religiösen Ertrag. Gütersloh: C. Bertelsmann. Schlatter, Adolf 1924. Die christliche Ethik. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchhandlung. Schlatter, Adolf 1927. Die Geschichte der ersten Christenheit. Gütersloh: C. Bertelsmann. Schlatter, Adolf 1927b. Das Werden der Kirche in der Urchristenheit. Velbert: Freizeiten Verlag. Schlatter, Adolf 1929. Gesunde Lehre: Reden und Aufsätze. Velbert: Freizeiten Verlag. Schlatter, Adolf 1936a. Die Kirche der Griechen im Urteil des Paulus: Eine Auslegung seiner Briefe an Timotheus und Titus. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchhandlung. Schlatter, Adolf 1936b. Die Kirche, wie Jesus sie sah: Eine Auslegung seiner drei letzten Gleichnisse Matthäus 24,45-25,30. Kassel-Wilhelmshöhe: Neuwerk-Verlag. Schlatter, Adolf 19541. Das Evangelium nach Matthäus: Ausgelegt für Bibelleser. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Schlatter, Adolf 19542. Die Briefe des Petrus, Judas, Jakobus, der Brief an die Hebräer: Ausgelegt für Bibelleser. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Schlatter, Adolf 19543. Die Evangelien nach Markus und Lukas: Ausgelegt für Bibelleser. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Schlatter, Adolf 1956. Paulus der Bote Jesu: Eine Deutung seiner Briefe an die Korinther. Stuttgart: Calwer Verlag. Schlatter, Adolf [1948] 1957. Der Evangelist Matthäus: Seine Sprache, sein Ziel, seine Selbständigkeit. Stuttgart: Calwer Verlag. Schlatter, Adolf 1963. Die Briefe an die Galater, Epheser, Kolosser und Philemon: Ausge- legt für Bibelleser. Stuttgart: Calwer Verlag. Schlatter, Adolf [1897] 1969. Der Dienst der Christen in der älteren Dogmatik. In: Zur Theologie des Neuen Testaments und zur Dogmatik. München: Chr. Kaiser. Schleiermacher, Friedrich [19103]1961; H. Scholz (Hg.) Kurze Darstellung des Theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung. Schlier, Heinrich [1957]1968. Der Brief an die Epheser. Ein Kommentar. Düsseldorf: Patmos-Verlag. Bibliographie 545 Schmitz, Otto 1939. Urchristliche Gemeindenöte: Eine Einführung in den ersten Korintherbrief. Berlin: Furche. Schmitz, Otto 1940. Apostolische Seelsorge: Eine Einführung in den zweiten Korintherbrief. Berlin: Furche. Schmitz, Otto 1956. Die Lehre des Neuen Testaments über Taufe, Buße, Glaube und Heilsgewissheit. In: Pietismus und Theologie: Beiträge zu ihrem Verständnis. (Hg.) Otto Schmitz. Neukirchen: Buchhandlung des Erziehungsvereins. Schneider, Gert 1982. Grundbedürfnisse und Gemeindebildung: Soziale Aspekte für eine menschliche Kirche. München: Kaiser; Mainz: Grünwald. Schneider, Wolf 200210. Wörter machen Leute: Magie und Macht der Sprache. München, Zürich: Piper Schneider-Flume, Gunda 2002. Leben ist kostbar: Wider die Tyrannei des gelingenden Lebens. Göttingen-Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht. Schniewind, Julius 1952. Nachgelassene Reden und Aufsätze. Berlin: Alfred Töpelmann. Schniewind, Julius 1956. Die Freude der Buße: Zur Grundfrage der Bibel. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schniewind, Julius 19568.Das Evangelium nach Matthäus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schniewind, Julius [1935] 1966. Zur Erneuerung des Christenstandes. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schniewind, Julius, [1927; 1931] 1970. Euangelion: Ursprung und erste Gestalt des Begriffs Evangelium. Untersuchungen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Schniewind, Julius, Michel, Otto 1988. (Hg.) O. S. v. Bibra. Vollmacht. Lüdenscheid- Lobetal: Oekumenischer Verlag Dr. R.-F. Edel. Schock, Karl 2004. Organismus Gemeinde: Struktur, Leitung und Organisationsentwick- lung für christl. Gemeinden und Werke. Bonn: Verlag f. Kultur u. Wissenschaft. Schoenauer, Gerhard 1990. Kirche lebt vor Ort. Wilhelm Löhes Gemeindeprinzip als Widerspruch gegen kirchliche Großorganisation. Stuttgart. Calwer. Schönberg, Michael M. 2002. Wort gehalten: Predigten. Waltrop: Hartmut Spenner. Scholtissek, Klaus 1992. Die Vollmacht Jesu: Traditions- und redakionsgeschichtliche Analy- sen zu einem Leitmotiv markinischer Christologie. Münster: Aschendorf. Scholz, Frithard 2001. Missionarische Kirche – ihr Ja und Nein. D. Pfarrerblatt 11/2001. Schütz, Paul 1960. Parusia: Hoffnung und Prophetie. Heidelberg: Lambert Schneider. Schütz, Paul 1962. Charisma Hoffnung: Von der Zukunft der Welt. Hamburg: Furche. Schütz, Paul 1964. Die Kunst des Bibellesens: Verlust und Wiedergewinnung des biblischen Maßstabes. Hamburg: Furche. Schütz, Paul 1969. Warum ich noch ein Christ bin: Eine Existenzerfahrung. Hamburg: Furche. Schwarz, Fritz/Christian A. 1984. Theologie des Gemeindeaufbaus: Ein Versuch. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Schwarz, Christian A. / Schalk, Christoph 1997. Die Praxis der natürlichen Gemeindeent- wicklung. Emmelsbüll: C& P Verlag. Schweizer, Eduard 1946. Das Leben des Herrn in der Gemeinde und ihren Diensten: Eine Untersuchung der neutestamentlichen Gemeindeordnung. Zürich: Zwingli. Schweizer, Eduard 1952. Geist und Gemeinde im Neuen Testament und heute. München: Chr. Kaiser Verlag. Bibliographie 546 Schweizer, Eduard [1959] 19622. Gemeinde und Gemeindeordnung im Neuen Testament. Zürich: Zwingli. Schweizer, Eduard 1978. Heiliger Geist. Stuttgart, Berlin: Kreuz. Seitz, Manfred 1960. Hermann Bezzel: Theologie seiner Verkündigung. München: Chr. Kaiser. Seitz, Manfred 1978. Praxis des Glaubens: Gottesdienst, Seelsorge und Spiritualität. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Seitz, Manfred 1985. Erneuerung der Gemeinde, Gemeindeaufbau und Spiritualität. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Seitz, Manfred 1993. Ich hoffe auf dein Wort: Predigten und Ansprachen. Stuttgart: Calwer. Seitz, Manfred 2003. Theologie für die Kirche: Beiträge zum christlichen Glauben, Leben und Handeln. Stuttgart: Calwer. Senge, Peter M. [1990] 1997. Die fünfte Disziplin: Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta. Shakespeare, William 1962. Ein Sommernachtstraum u .a. Berlin: Aufbau-Verlag. Sieghartsleitner, Karl u. a. 1998. Leitbild: Gemeinde Steinbach/Steyr. Steinbach: Medieninhaber und Herausgeber: Gemeinde Steinbach/Steyr. Sieghartsleitner, Karl, Humer, Günther 2002. Der Steinbacher Weg: Ein Modell für die Lokale Agenda 21. Steinbach an der Steyr: Oö. Verein für Entwicklungshilfe. Smith, Oswald 1977. Glühende Retterliebe. Moers: Telos Taschenbuch Nr. 193. Smolik, Josef 1990. Jürgen Seim, Lothar Steiger (Hg.). Die Unfähigkeit zum Lob. In: Lobet Gott: Beiträge zur theologischen Ästhetik. München: Chr. Kaiser. Sommerlath, Ernst 1954. Amt und Allgemeines Priestertum. Berlin: Ev. Verlagsanstalt. Sorg, Theo 1984. Grundlinien biblischer Verkündigung. Giessen/Basel: Brunnen. Sorg, Theo 1987. Christus vertrauen – Gemeinde erneuern: Beiträge zum missionarischen Gemeindeaufbau in der Volkskirche. Stuttgart: Calwer Verlag. Spurgeon, Charles, Haddon 1896. Ratschläge für Prediger. Stuttgart: D. Gundert. Spurgeon, Charles Haddon 1975. Ratschläge für Seelengewinner. Lahr-Dinglingen: St.-Johannis. Stauffer, Ethelbert 1959. Die Botschaft Jesu: Damals und Heute. Bern, München: Francke. Stauffer, Ethelbert, 1961. Jesus, Paulus und wir: Antwort auf einen Offenen Brief von Paul Althaus, Walter Künneth und Wilfried Joest. Hamburg: Wittig Verlag. Steiger, Lothar, 2005. Predigt im Gespräch, Nr. 80, Adloff, Bohren und andere (Hg.). Höchenschwand: Ökumenischer Verein zur Förderung der Predigt. Steinwand, Eduard 1964. Verkündigung, Seelsorge und gelebter Glaube: Gesammelte Aufsätze, Manfred Seitz (Hg.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Stählin, R [1956]1961. Evangelisches Kirchenlexikon. Artikel: Charisma. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Stickelberger, Hans 2001. Bullingers bekanntester Satz und seine Interpretation bei Karl Barth, in: Bächtold, H. U. (Hg.): Von Cyprian zur Walzenprägung: Streiflich- ter auf Zürcher Geist und Kultur der Bullingerzeit. Prof. Dr. Rudolf Schnyder zum 70. Geburtstag. Zug: Achius. Bibliographie 547 Stollberg, Dietrich 1972. Seelsorge durch die Gruppe: Praktische Einführung in die gruppendynamisch-therapeutische Arbeitsweise. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Strasser, Peter 1998. Journal der letzten Dinge. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Strasser, Peter 2002. Der Gott aller Menschen: Eine philosophische Grenzüberschreitung. Graz: Styria. Stuhlmacher, Peter 1975. Der Brief an Philemon: Evangelisch - Katholischer Kommentar zum NT. Zürich, Einsiedeln, Köln/Neukirchen: Benziger / Neukirchener Verlag. Stuhlmacher, Peter 2003. Die Verkündigung des Christus Jesus: Neutestamentliche Beobach- tungen. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag. Thielicke, Helmut 1961. Vom geistlichen Reden: Begegnung mit Spurgeon. Stuttgart: Quell- Verlag. Thielicke, Helmut 1962. Das Schweigen Gottes: Fragen von heute an das Evangelium. Hamburg: Furche. Thielicke, Helmut 1965. Leiden an der Kirche, Hamburg: Furche. Thielicke, Helmut [1958]19724. Theologische Ethik, I. Band Prinzipienlehre: Dogmatische, philosophische und kontroverstheologische Grundlegung. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Thielicke, Helmut 1973. Der Evangelische Glaube, Grundzüge der Dogmatik, II. Band: Gotteslehre und Christologie. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Thielicke, Helmut 1978. Theologie des Geistes, III. Band: Der dritte Glaubensartikel. Die Manifestation des heiligen Geistes im Wort, in der Kirche, in den Religionen und in den letzten Dingen. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Thielicke, Helmut 1976. Mensch sein - Mensch werden: Entwurf einer christlichen Anthropologie. München: Piper. Thielicke, Helmut 1986. Auf der Suche nach dem verlorenen Wort: Gedanken zur Zukunft des Christentums. Hamburg: Hoffmann und Campe. Thomas, W. Ian 19806. Christus in Euch – Dynamik des Lebens. Neuhausen: Hänssler. Thoreau, Henry David 20054. Walden: Ein Leben mit der Natur. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Thurneysen, Eduard 1921 Die Aufgabe der Predigt in: Hummel, Gert, (Hg.). Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft. Trillhaas, Wolfgang [1935] 19645,Evangelische Predigtlehre. München: Christian Kaiser. Uhsadel, Walter 1963. Die gottesdienstliche Predigt: Evangelische Predigtlehre. Heidelberg: Quelle & Meyer. Urner, Hans 1961. Gottes Wort und unsere Predigt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Uschmann, Marco, 2005. Diesseits – Jenseits. In Saat: Evangelische Kirchenzeitung für Österreich , Nr. 4, 52. Jahrg. Vicedom, Georg F. [19602] 2002. Missio Dei. Actio Dei [1975] 2002. (Hg.) Klaus W. Müller, edition afem. Nürnberg: Theologie und Missionswissenschaft. Vicedom, Georg F. 1961. Das Dilemma der Volkskirche: Gedanken und Erwägungen. München: Claudius Verlag. Vicedom, Georg F. 1963. Der Anteil der Gemeinde an der Sendung Christi in die Welt. Bad Salzuflen: MBK-Verlag. Vilmar, A. F. C. 1928. Gewalt über die Geister. München: Verlag Paul Müller. Bibliographie 548 Vilmar, August Friedrich Christian[1876] 1968. Die Theologie der Tatsachen wider die Theologie der Rhetorik: Bekenntnis und Abwehr. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Vischer, Georg 1990. In Jürgen Seim, Lothar Steiger (Hg.) Lobet Gott, Beiträge zur theologischen Ästhetik, München: Chr. Kaiser. Voillaume, René 1955. Mitten in der Welt: Das Leben der kleinen Brüder Jesu von Pater de Foucauld. Freiburg: Herder Verlag. Volz, Paul 1949. Prophetengestalten des Alten Testaments, Sendung und Botschaft der alttestamentlichen Gotteszeugen, Stuttgart: Calwer. Walldorf, Friedemann 2002. Die Neuevangelisierung Europas: Missionstheologien im europäischen Kontext. Giessen, Basel: Brunnen Verlag. Warneck, Gustav 1880. Warum hat unsere Predigt nicht mehr Erfolg: Praktisch – theologische Aphorismen. Gütersloh: C. Bertelsmann. Warning G. Rainer (Hg.)19944. Rezeptionsästhetik: Theorie und Praxis, München: Wilhelm Fink. Weber, Otto [1962]19836. Grundlagen der Dogmatik: Zweiter Band. Neukirchen-Vluyn: Neukirchner Verlag. Weinreb, Friedrich, 19852. Wenn ein Rebbe eine Geschichten erzählt. Chassidische Geschichten. Weiler im Allgäu: Thauros Verlag. Weischedel, Wilhelm [1966]1998. Die philosophische Hintertreppe: 34 große Philoso- phen in Alltag und Denken. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Weiße, Wolfram, 1999. Hrsg. Vom Monolog zum Dialog: Ansätze einer dialogischen Religionspädagogik. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. Welcome ORF Religion 2004, Österreich 1, Karner, Peter. Das Evangelische Wort. Wenzelmann, Helmut 19682 . Besser ohne Schneckenhaus: Baustelle Gottes unter jungen Menschen in der Großstadt. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag. Wenzelmann, Helmut 1973. Hauskreise über der Bibel: Gemeindeaufbau von der Zelle her. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag. Wenzelmann, Gottfried 1994. Nachfolge und Gemeinschaft: Eine theologische Grundle- gung des kommunitären Lebens. Stuttgart: Calwer Verlag Werth, Martin 2004. Theologie der Evangelisation. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener V. Westermann, Claus 19684. Das Loben Gottes in den Psalmen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Westermann, Claus 19692. Der Psalter. Stuttgart: Calwer Verlag. Westermann, Claus 19702. Das Buch Jesaja, Kapitel 40-66. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Westermann, Claus 1978. Theologie des Alten Testaments in Grundzügen. Göttingen:. Weth, Rudolf 1993. Kirche in der Sendung Jesu Christi: Missionarische und Diakonische Existenz der Gemeinde im nachchristlichen Zeitalter. Neukirchen: Aussaat/ Neukirchener. Wilken, Waldemar1961. Macht die Gemeinde stark: Die Ortsgemeinde in der anders gewordenen Welt. Stuttgart: Ehrenfried Klotz Verlag. Wilkens, Erwin (Hg.) 1964. Helsinki 1963: Beiträge zum theologischen Gespräch des Lutherischen Weltbundes. Berlin und Hamburg: Luth. Verlagshaus Bibliographie 549 Wilkens, Ulrich 2002. Theologie des Neuen Testaments. Band I: Geschichte der urchristli- chen Theologie. Teilband 1: Geschichte des Wirkens Jesu in Galiläa. Neukirchen- Vluyn: Neukirchener Verlag Wilkens, Ulrich 2003. Theologie des Neuen Testaments. Band I: Geschichte der urchristli- chen Theologie. Teilband 2: Jesu Tod und Auferstehung und die Entstehung der Kirche aus den Heiden. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Wingren, Gustaf 1959. Die Predigt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Winkler, Eberhard 1997. Praktische Theologie elementar: Ein Lehr und Arbeitsbuch. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Winter, Friedrich 1974. Die Predigt. In: Handbuch der Praktischen Theologie. 2. Band. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. Wintzer, Friedrich 1985. Praktische Theologie. Unter Mitarbeit von M. Josuttis, D., Rössler, Wolfgang Steck. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Wirsching, Johannes 1990. Kirche und Pseudokirche: Konturen der Häresie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Wolff, Hans Walter 1949. Jesaja 53 im Urchristentum. Berlin: Ev. Verlagsanstalt. Wolff, Hans Walter (mit Jürgen Moltmann, Rudolf Bohren) 1959. Die Bibel – Gotteswort oder Menschenwort: Dargestellt am Buch Jona und am Apostolat des Paulus nach 2. Korinther 4. Neukirchen Kreis Moers: Neukirchener Verlag. Wolff, Hans Walter 1965. Wegweisung: Gottes Wirken im Alten Testament. München: Christian Kaiser Verlag. Wolff, Hans Walter 1971. Menschliches. Vier Reden über das Herz, den Ruhetag, die Ehe und den Tod im Alten Testament. München: Chr. Kaiser. Wolff, Hans Walter 1977, Anthropologie des Alten Testaments. München: Chr. Kaiser. Wollstadt, Hanns Joachim 1966. Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde: Dargestellt an den Lebensformen der Herrenhuter Brüdergemeine in ihren Anfängen. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Zerfass, Rolf 19954. Grundkurs Predigt 1: Spruchpredigt. Düsseldorf: Patmos. Zerfass, Rolf 1992. Grundkurs Predigt 2: Textpredigt. Düsseldorf: Patmos. Zulehner, Paul M.; Denz, Hermann; Beham, Martina; Friesl, Christian 1991. Vom Untertan zum Freiheitskünstler: Eine Kulturdiagnose anhand der Untersuchungen „Religion im Leben der Österreicher 1970-1990“ – „Europäische Wertestudie – Österreich 1990“. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Zulehner, Paul M. 1995. Ein Obdach der Seele: Geistliche Übungen – nicht nur für fromme Zeitgenossen. Düsseldorf: Patmos Verlag. Zulehner, Paul M.; Isa Hager, Regine Pollak 2001. Kehrt die Religion wieder? Religion im Leben der Menschen 1970-2000. Ostfildern: Schwabenverlag. Zulehner, Paul M.; Lobinger, Fritz 2002. Um der Menschen und der Gemeinde willen: Plädoyer zur Entlastung von Priestern. Ostfildern: Schwabenverlag. Zulehner, Paul M.; Lobinger, Fritz; Neuner Peter 2003. Leutepriester in lebendigen Gemein- den: Ein Plädoyer für gemeindliche Presbyterien. Ostfildern: Schwabenverlag. Zulehner, Paul M.; (Hg) 2004. Spiritualität- mehr als ein Megatrend. Gedenkschrift für Kardinal DDr. Franz König. Ostfildern: Schwabenverlag.